Titel: Der Leibarzt
Autoren: Balduin IV von Jerusalem


1

‚Ich werde Euch meinen Leibarzt schicken.’

Meine Augen beginnen bereits trübe zu werden und in meinen Ohren klingt Saladhins Stimme nach.

Ja, ich brauche einen Arzt, doch auch er wird mir nicht das geben, was ich wirklich brauche, was ich immer brauchte.

Ich lehne mich zurück auf meinem Thron, wohl wissend, dass es bald zu Ende gehen wird.

Ich werde keine 30 werden.

Mit 13 wurde ich König – und war bereits von der Krankheit befallen, die mich nun verzehrt, die mich auffrisst, Stück für Stück, die mich zum Tode bringen wird, mich, Balduin IV von Jerusalem, die Jerusalem selbst zu Tode bringen wird, denn was passieren wird ist unausweichlich. ER wird den Thron besteigen, gekrönt von der Hand meiner eigenen Schwester, und ich werde wo auch immer ich sein werde weinen – um dich, Jerusalem, um meine Stadt, um mein Volk.

Was nützt mir dein Leibarzt, Saladhin, denke ich, als ein Gast angekündigt wird, und wieder ist es der König der Sarazenen, in dessen gütige und doch so wache Augen ich blicke.

„Ich habe Euch immer geschätzt, Saladhin...“ sage ich, meine Stimme klingt müde, bereits am Rande des Todes. Es hat mich ermüdet, Gericht zu sitzen über die Plünderer, die Mörder, es hat mich zu Tode ermüdet. Und nun kommst du dich verabschieden, mein Bruder. Ich habe dich immer geschätzt, mein Freund. Ich danke dir für alles.

Ich schaffe es nicht mehr, das auszusprechen, zu müde bin ich.

Und Saladhin weiß es, da er mich ansieht.

„Ich schätze dich auch, mein Bruder“, sagt er, und seine Stimme ist leise, dann beugt er sich zu mir herab. „Ich habe dir meinen Leibarzt mitgebracht. Es ist alles, was ich noch für dich tun kann, mein Freund. Wir werden uns nicht wieder sehen in dieser Welt. Du wirst sehen, was ich meine, wenn du annimmst, was ich dir schenke. Noch verstehst du es nicht, aber du wirst es verstehen. Es wird all das in Frage stellen, an was du glaubst und für was du je gekämpft hast. Und du wirst ein bisschen mehr von mir verstehen, und warum ich dich so liebte. Du bleibst in meinem Herzen, Balduin, König. Nimm an, was ich dir gebe. Salaam aleikum.“

Ich verstehe nicht, kein bisschen, doch Saladhin beugt sich noch weiter zu mir herab und küsst mich auf meine silberne Stirn. Die Maske meiner Schande, meines Aussatzes, meiner Krankheit, meines Todes. Ich allein weiß, wie ich wirklich aussehe, wenn ich sie abnehme. Ich allein weiß, wie entstellt ich bin, was übrig ist von mir, welch grauenvolles Schicksal ich habe. Es ist unglaublich, was ich gelitten habe. Und nun bietet er mir ein Geschenk an. Was anderes kann es sein als der baldige Tod? Als die Erlösung von meinen Leiden? Saladhin, ich danke dir, sage ich leise, flüstere, doch er hört mich nicht, denn meine Lippen haben sich kaum bewegt und die Maske meiner Schande verbirgt den leisen Schall, der von mir rührt.

‚Und der Friede sei mit dir...’ denke ich, als mich Saladhin ein letztes Mal ansieht, dann tritt er zurück und ein Mann, den ich schon oft an seiner Seite sah, doch noch nie so nahe, kommt an meine Liegestatt und sieht mich an.

Die blauesten Augen, die ich je gesehen habe.

„Friede sei mit dir!“ sagt er, seine Stimme hat einen seltsamen Akzent, und ich nicke nur, ich weiß, dies ist der Leibarzt des Königs der Sarazenen, und dieser ist kein Orientale.

„Ich bin der Leibarzt des Königs. Und nun werde ich Euer Arzt sein, wenn Ihr es gestattet. Ich werde mit Euch gehen, und ich werde bei Euch sein.“

Wohin willst du mit mir gehen, denke ich, als ich ihn ansehe. In die Ewigkeit. Ich wusste es, Saladhin schenkt mir den Tod. Und er schenkt ihn mir in Form eines Mannes, der aussieht wie ein Engel mit seinen blauen Augen und seinen langen haselnussbraunen Haaren. Gut, dann soll es so sein.


2

Seine Stimme dringt kaum noch in meine Einsamkeit.

Ich beginne mich auf die letzte Reise zu machen und erwarte, dass er mich vielleicht darauf vorbereitet, einen Priester kommen lässt, denn gesündigt habe ich, oft und oft, obwohl man mir nachsagt, ich sei ein gerechter Mann. Doch gerecht kann ich nicht sein, wenn mich Gott bereits als Knabe mit dem Aussatz strafte, und ich hoffe darauf, dass meine Sünden getilgt werden, wenn ich in das himmlische Jerusalem einziehen werde.

Bald, bald ist es so weit.

Seine Augen verheißen es mir, dass meine Leiden bald zu Ende sein werden.

Seine Lippen formen Worte, die ich nicht verstehen kann, in einer Sprache, der ich nicht mächtig bin. Das Einzige, was ich verstehe ist das, was er auf Lateinisch sagt, und er nennt mir seinen Namen, „Medicus Saladini sum, nomen meus Vulcanius est.“

Vulcanius heißt er also und er ist der Arzt des Saladhin. Und offenbar denkt er, ich verstünde seinen Akzent nicht, da er nun zu Latein übergewechselt ist. Nicht seine Heimatsprache, wie ich gleich erkenne, doch ich bin zu müde, um zu reagieren. Meine Seele löst sich bereits aus meinem geschundenen Körper, ich beginne die Reise.

„MANE!*“ ruft er auf einmal, mit lauter Stimme, die ich nicht erwartet hatte, und er nimmt meine bandagierte Hand und drückt sie an seine Brust.

Und ich spüre, wie meine Seele wieder zurückkehrt.

Hast du nicht den Tod für mich in deinem Arztgepäck, Vulcanius? frage ich mich, und ich muss mich täuschen, denn er drückt meine Hand so sehr, dass ich es spüren kann, und das bedeutet, er muss mich sehr an sich pressen.

Er beugt sich nahe zu mir herab, um in meine trüben Augen zu sehen.

„Mein Herr wünscht, dass ich dich rette, König. Und ich werde dich retten. Aber du musst es zulassen. Bleibe in dir, König, lasse nicht zu, dass deine Seele flüchtet, sonst bist du verloren. Wenn du aushältst, werde ich dich mitnehmen, dorthin, wo niemand uns nachgehen kann. Du wirst träumen, König, und du wirst denken, dass du stirbst, aber ich bin bei dir, wie mich Saladhin geheißen hat, und ich bleibe bei dir. Es ist sein Geschenk an dich, König. Er liebt dich sehr. Aber er kann das nicht tun, was ich für dich tun werde. Deshalb hat er mich dir geschenkt. Denn zu ihm zurückkehren werde ich nimmer, du wirst verstehen, was ich meine, wenn du es mir gewährst, dich zu retten. Doch dazu musst du dein Einverständnis geben, König. Du musst mir ein Zeichen geben, und wenn es nur das Nicken deines Hauptes ist. Oder du hebst deinen Arm. Du musst mir sagen, dass du es willst, dass du leben willst, auch wenn es ein anderes Leben sein wird. Ich weiß selbst nicht, was geschehen wird, wenn ich das tue, worum mich Saladhin bat. Ich weiß nur, dass du leben wirst. Aber du musst es wollen, König. Ich bitte dich nun – gib mir ein Zeichen.“

So soll es sein, ist der letzte Gedanke, den ich fassen kann, und ich versuche zu nicken in der Hoffnung, dass er erkannt hat, dass ich ihm ein Zeichen gebe.


3

Dunkelheit umgibt mich, Schwindel erfasst mich und ich schließe meine Augen.

Er hat mich also doch in den Tod geführt, denke ich, und ich gebe mich dem Nichts hin, das so anders ist als das, was ich dachte, dass es sei.

Keine Engel singen, kein Petrus holt mich am Himmelstor ab, kein himmlisches Jerusalem, kein richtender Gott, kein Satan, der um meine Seele kämpft.

Es ist alles ganz anders und ich träume, ich träume...

Während ich schlafe wird mir warm und ich beginne zu fühlen.

Ein Traum.

Ich erinnere mich, damals, als ich noch ein Kind war. Ich habe alles gefühlt, den Sonnenstrahl auf meiner Haut, den Regentropfen, eine Katze, die um meine Beine schlich. Alles war gut und ich war gesund, dann kam der Moment, wo ich aufhörte zu fühlen, wo ich begann zu erstarren, zu erfrieren, wo sich mein Äußeres wandelte und mein Körper nicht mehr mir gehörte.

Ich erinnere mich, wie ich aussah damals. Ich hatte lange blonde Locken und blaue Augen und eine Haut wie ein persischer Apfel.

Zu früh wurde ich in das Amt des Königs geworfen, zu früh für mich, doch meine Seele war bereit und ich war alt genug, zu tun, was zu tun war.

Dann fing der Aussatz an mich zu zerstören. Nichts und niemand konnte mir helfen, als ich zerfiel, verfaulte, verging.

Und Wärme und Kälte – ich konnte sie nicht mehr spüren.

Eine silberne Maske verdeckte mich, bewahrte mich davor, mich der Welt zu zeigen als das, was ich war – jemand, der von Gott gestraft wurde, bei lebendigem Leibe gezüchtigt, ein Mahnmal der Vergänglichkeit, ein Hohn auf alles, was je schön war.

Und jetzt – Wärme.

Ich spüre sie, ich kann sie spüren, durch meine Kleidung hindurch.

Im Himmel kann man also doch wieder fühlen, denke ich und wage meine Augen zu öffnen.

Es ist ein heller Sonnentag.

Ich höre Käfer und Fliegen, die um mich summen, und ich blinzle, weil die Sonne so hell ist.

Und dann kommt ein Schatten über mich, und ich erkenne, mühsam, aber ich erkenne, dass es mein Arzt ist, der Leibarzt des Saladhin, Vulcanius, der sich vor mir hingekniet hat und mich mit seinen wachen großen Augen ansieht.

„Wohin hast du mich gebracht, Arzt?“ frage ich und meine Stimme gehorcht mir. Fast verwundert höre ich mich selbst sprechen, leise zwar, doch gut vernehmbar.

„In die Sonne, König, in die Sonne...“ sagt Vulcanius und lächelt.

„Mein Herr hat es sich so sehr gewünscht, dass er dir helfen kann. Ich weiß zwar nicht, warum, warum er ausgerechnet dir helfen wollte, wo du ihm doch eine so empfindliche Niederlage hast beigebracht, wie man mir berichtete, doch sein Herz war voller Liebe zu dir. So voller Liebe, dass er das Teuerste, was er hatte, dir geschenkt hat. Mich. Ich bin sein Arzt, König, und nun bin ich der Deine. Und nie mehr kehren wir zurück, nie mehr.“

Ich erschauere, denn ich verstehe nicht, was der Arzt mit den blauen Augen sagen möchte, doch die Sonne macht mich blinzeln und ich verziehe meine Nase.

Sie stößt an die silberne Maske.

Und ich erstarre.

Meine Nase.

Die Maske.

Wo bin ich?

Was ist passiert?

Vulcanius sieht mich an und sein Blick ist milde. In der lauen Luft bewegen sich seine Haare, die in weichen Wellen sein Gesicht umranden. Ich erkenne Narben auf seinem Gesicht, Narben, die von Kämpfen her rühren könnten. Sein Kinn weist auf Entschlossenheit hin, er ist, was ich als schön bezeichnen würde, trotz seiner Narben. Sie machen ihn härter, erwachsener. Gerne wüsste ich mehr über ihn, nun, da er hier ist und ich, und da die Sonne scheint.

Er lächelt wieder.

Dann nimmt er meine Hand, die von einem weißen Handschuh bedeckt ist, und beginnt, ihn abzustreifen. Ich versuche mich zu wehren, mich ihm zu entziehen. Sicherlich weiß er nicht, dass ich im fortgeschrittenen Stadium meiner Krankheit bin! Und ich möchte ihn nicht anstecken mit dem Aussatz. Denn ich glaube nicht daran, dass er heilbar ist, so sehr man mir das auch versichert gerade, so sehr mir Saladhin die Gesundheit wünscht.

Doch Vulcanius lässt nicht ab und dann ist der Handschuh weg.

Und meine Hand ist – makellos.

Keine offenen Wunden mehr.

Keine schwärenden Geschwüre, keine Lepra-Spuren, nicht einmal der Hauch von Wundschorf oder getrocknetem Blute. Es ist einfach weg, wie weggeblasen, und ich weiß jetzt endgültig: Ich bin erlöst. Ich bin tot. Ich bin endlich im Paradies und ein Engel gibt mich mir selbst zurück.


4

Ich lächle und schließe meine Augen.

Gott, ich danke dir. Für die Sonne, für dieses Leben nun, für Saladhins Engel. Wie auch immer er es gemacht hat, er hat mich erlöst, und ich fühle keine Schmerzen mehr.

Es ist wie früher.

Die Sonne wärmt mich.

Die Maske liegt noch auf meinem Gesicht, doch vielleicht wird der Engel sie mir auch noch entfernen, sicherlich ist kein Grund mehr zur Sorge, wenn ich im Königreich des Himmels bin, frei jeglicher Krankheit, endlich wieder ich selbst.

Auf meine Hand setzt sich ein Schmetterling, leicht und hauchgleich.

Ich kann nicht aufhören zu lächeln, so schön fühlt es sich an. Ich will wissen, welcher Falter es ist, und ich öffne meine Augen, um zu sehen, da sehe ich, wie es die Lippen des Engels sind, die meine Hand so vorsichtig berühren.

„Du bist gesund, König...“ flüstert er.

Nein, kein König soll hier sein und keine Schranke, wir sind nicht mehr auf Erden, wo es Kronen gibt und Stände, so nicke ich und sage zu ihm: „Ich bin kein König mehr, mein Engel. Ich bin Balduin, und ich war König von Jerusalem.“

Er lächelt, so sanft. Seine Augen sind so blau wie der Himmel und seine Lippen berühren meine Hand erneut. Saladhin, DANKE, sage ich in den Himmel hinein, für dieses Geschenk.

„So soll es sein“, sagt er, und dann beugt er sich über mich, um meine Maske abzunehmen.

Ich weiß es bereits, als er sie beginnt zu berühren, was er darunter sehen wird, doch ich rechne nicht mit seiner Reaktion, er hält den Atem an, als er mich sieht, und Tränen steigen in seine Augen.

Ob mein Gesicht doch nicht....

Ich wage den Gedanken nicht zu Ende zu denken, doch seine Hände berühren mich, seine Lippen zittern, seine Augen quellen über, und dann schlägt er seine Hände vor sein Gesicht und er weint.

Er weint und wendet sich ab und ich richte mich auf, werfe der silbernen Maske einen Blick zu und berühre mich.

Meine Wangen.

Voll. Samtig. Ein leichter Anflug Bart, doch noch kurz.

Meine Lippen.

Voll. Fast aufgeworfen. Sinnlich.

Meine Nase.

Gerade, leicht gebogen.

Meine Augen.

Sie scheinen groß zu sein, welche Farbe hatten sie....?

Ich wage eine Hand auf seine Schultern zu legen, auf die Schultern meines weinenden Engels.
„Weine nicht....“ flüstere ich, doch er dreht sich um zu mir und sein Daumen zeichnet meine rechte Braue nach.

„Er hat mich nicht gewarnt, warum hat er mich nicht gewarnt?“ Seine Stimme ist fast ein Keuchen, er starrt mich an und ich zweifle an meinem Aussehen, ob nicht doch Reste meiner Krankheit mit ins Himmelreich genommen wurden, wenn selbst ein Engel an mir verzweifelt?


5

„Ich verstehe nicht...“ sage ich leise, und er trocknet sich die Augen an seinem Ärmel.

„Das macht nichts, wichtig ist, dass du hier bist und bei mir. Dass du endlich bei mir bist. Wo auch immer wir sind. Und dass du geheilt bist. Du wirst viele Fragen stellen, von denen ich dir vermutlich keine einzige wirklich ausführlich und befriedigend beantworten kann, aber es spielt auch keine Rolle. Du bist gesund und wirst nie wieder krank werden. Und ich werde dich nie wieder gehen lassen, bei allen Göttern.“

Bei allen Göttern?

Es gibt nur einen Gott, denke ich, und als ich ihn ansehe, spüre ich, wie mein Weltbild zerbricht, denn ich sehe in seine Augen und ich sehe darin –

DINGE.

Ich sehe mich selbst.

Mich selbst, in einer Zeit, in der ich nicht sein dürfte, und ich sehe ihn, an meiner Seite, und er ist er, und ich bin ich, ich –

Ich bin...

Ich bin Balduin von Jerusalem.

Ich bin...

Wer bist du?

Ich wage nicht die Frage zu stellen, denn seine Augen klagen mich an, dass ich nicht erkenne, wo er doch schon längst weiß.

Er presst seine Lippen zusammen und greift um seinen Hals, um ein Lederband zu lösen, das eine silberne Kapsel trägt, und er gibt sie mir in die Hand.

„Ich weiß, dass du deine nicht mehr hast, du kannst sie nicht mehr haben, aber ich habe meine noch, ich habe sie nie hergegeben, all die Zeit nicht, die du verschollen warst und deine Wege gingst durch die Zeiten, fern von mir. Ich habe auf dich gewartet, und ich wusste, wir werden uns wieder sehen. In dieser Kapsel ist eine Locke von dir. Eine blonde Locke, sieh sie dir an. Sie ist alt, sehr alt. Sie ist fast 1.500 Jahre alt. Du wirst dich nicht erinnern und du wirst mich für verrückt und gotteslästerlich halten, aber ich weiß, wer du bist, und ich weiß, wer ich bin. Bist du des Griechischen nicht mehr mächtig, mein König? Weißt du nicht, wer sich hinter dem Namen des Leibarztes des Saladhins verbirgt, was mein Name heißt? Erinnerst du dich wirklich nicht?“

Blitze durchzucken meine Seele, Blitze von Erinnerungen an blaue Augen, an eine silberne Kapsel, an einen Toten in meinen Armen, an unsägliches Leid...

„Du bist tot!“ flüstere ich und mehr denn je weiß ich, dass ich im Himmel bin, ich habe jemanden wieder getroffen, den ich seit langem vermisste.

„Nein, ich bin nicht tot, und du auch nicht, aber ich war es, bis du Gesandte in die Oase Siwah geschickt hast! Erinnerst du dich nicht? Du hast gefragt, ob man mich als Gott verehren dürfte, und die Antwort lautete – weißt du es wirklich nicht mehr?“

Sein Blick ist anklagend, traurig, und ich gebe die Antwort, ohne wirklich zu wissen: „Nicht als Gott, aber als Heros...“

Er nickt und umfasst meine Hände.

„Das ist dein Haar, mein König. Das ist dein blondes Haar, das du mir damals gabst in Mieza. Das ist von dir, von deinem Haupte. Du hast mich wieder geholt, mit deiner Frage. Ich war tot, ich war im Hades, aber du konntest mich nicht gehen lassen. Ich kam wieder, doch nur, um festzustellen, dass du gegangen warst! Du bist einfach gegangen. Aber ich ließ dich nicht gehen, ich hielt deine Seele fest, mit dieser Locke, und ich war es, der dich in alle neuen Körper warf, meine Sehnsucht nach dir, meine unsterbliche, grauenvolle Sehnsucht. Ich wollte dich so sehr wieder sehen... und ich wollte so gerne wieder mit dir vereint sein, beenden, was wir damals anfingen, und so rief ich dich, wieder und wieder... bis ich dich nun fand. Saladhin wusste, wer du warst. Oder was denkst du, weshalb er dich so liebte, ja, fast verehrte? Dich, der du ihn so vernichtend geschlagen hast, bereits mit 16? Oh, Saladhin kann sehen, er hat das Dritte Auge, das du so sehr zu bekommen trachtetest in Indien damals, erinnerst du dich nicht? Er hat es... und er sagte es mir, da er wusste, wer ich bin. Aber ich wusste nicht, dass du noch immer aussiehst wie damals, mein....“

Seine Stimme bricht vor Rührung, vor Zärtlichkeit, vor Ergriffenheit.

‚Wir werden uns nicht wieder sehen in dieser Welt. Du wirst sehen, was ich meine, wenn du annimmst, was ich dir schenke. Noch verstehst du es nicht, aber du wirst es verstehen. Es wird all das in Frage stellen, an was du glaubst und für was du je gekämpft hast.’

Saladhins Stimme klingt in mir.

Ja, es stellt alles in Frage, was ich je glaubte, für was ich je kämpfte.

Und es ist die Erfüllung all dessen, nach was ich mich sehnte, so unbewusst, so voller Schmerz.

Er ist es, den ich suchte, nach dem ich mich sehnte.

Jetzt, da er hier ist, neben mir, im Gras, im Sonnenschein, ist es, als wären keine Jahre vergangen, und er sieht mich an, seine Traurigkeit wandelt sich in Lächeln, als er mir die Haare aus dem Gesicht streicht.

„Eins verstehe ich noch nicht, Vulcanius – Vulcanius.......“

Er lächelt. „Das ist nicht mein Name. Übersetze ihn ins Griechische, und du weißt, wer ich bin.“

Wie hatte ich dich je auslöschen können aus meinem Herzen. Du warst es, an den ich dachte, kaum dass ich meine Augen in dieser Welt öffnete. Dein Name war es, der mich mich schuldig fühlen ließ, als ich die Krankheit bekam. Der Gedanke an dich, der Gedanke daran, einen Mann zu lieben in dieser Welt der Christen – unnatürlich zu sein, unkeusch, nicht von Gott gewollt.... DAS war es, meine Sünde, meine Liebe.... das strafte mich mit der Lepra, mit dem Fluch, keine Nachkommen zu haben, ich selbst strafte mich dafür, dass ich dich liebte, stets, in meinem Herzen, stets dich in mir trug wie eine Blume, die nie aufblühen konnte, weil sie in der Knospe starb... und jetzt bist du hier, zu vollenden, was wir begannen, damals, vor so langer Zeit.

Ich lächle ihn an.

Ja, er ist es, diese Augen, und sogar die Narben, ich erkenne sie wieder.

Ich kenne dein Gesicht.

Dennoch habe ich eine Frage. Denn Lepra kann man nicht einfach wegzaubern, selbst er kann das nicht, wo er doch immer der Heilkundige war, der an Pflanzen und Tieren Interessierte.

„Ich verstehe wesentlich weniger, als ich dachte. Doch die wichtigste Frage zuerst: Wie konntest du mich heilen?“

Er lächelt und holt eine Flasche hervor.

Auf der Banderole steht ein Wort, das ich übersetzen kann, denn ein wenig gebildet bin ich, was die griechische Sprache angeht: Das Wort heißt „Antibiotikum“.

„Was ist das?“ frage ich verwirrt, und seine Antwort ist, dass er mich in die Arme nimmt. „Ich glaube ich muss dir noch sehr viel mehr erklären.“

Doch ich bin nicht sicher, ob ich es wissen will.

Was ich weiß ist: Ich bin hier.

Ich bin gesund.

Ich bin bei ihm.

Ich bin endlich zu Hause.

Und wir werden vollenden, was wir damals nicht konnten.



* lateinischer Imperativ von „manere“ = „BLEIB!“


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