Titel:
Frieden und Glas Autoren: Balduin IV von Jerusalem
Wie konnte ich so ungeschickt sein.
Ich sehe fassungslos zu, wie vor meinen Augen der rote Wein verläuft,
der in weiten Spritzern über den Boden verteilt ist und die Lache, in der der
meiste Rebensaft noch ist, immer breiter wird, immer größer, immer röter, wie
ein riesiger Blutfleck, in den sich Glassplitter mischen.
Als ob ich
mich verletzt hätte und auslaufe, verblute.
Der Wein duftet süß und
betörend, selbst jetzt noch vermögen seine Düfte mich in Rausch zu versetzen, da
ich nur davon rieche. Vielleicht sind es auch die beigefügten Säfte der
Pflanzen, von denen man denkt, ich ahne nichts davon, aber ich bin durchaus in
der Lage, den Saft der Hanfpflanze zu erschmecken, den man mir freundlicherweise
untermischt, in der Hoffnung, ich würde nichts bemerken.
Ja, so einiges
denkt man, dass ich nicht bemerken würde. So einiges hinter meinem Rücken, und
sie flüstern und hoffen, dass nichts an mein Ohr dringt, was sie an Ränken
schmieden und an Plänen, was sie wirklich über mich denken und wie sie
versuchen, denjenigen, dem ich vertraue, dunkle Dinge ins Herz zu setzen.
Ja, ich weiß, über was ihr sprecht und von was ihr mich fernzuhalten
versucht. Ich weiß, dass auch du dazu gehörst, zu den Ränkeschmiedern, und dass
du einer der Anführer bist, aber mir gegenüber sind deine Worte so zart wie
Rosenblüten in einem Brunnen. Du gibst vor, mich zu mögen, dabei wartest du nur
auf meinen Abgang. Zwar höre ich aus deinem Munde, was du mir zu berichten hast,
und ich gestehe, ich bin entsetzt über die Dinge, oft kann ich nicht glauben,
dass so böse gedacht und gesprochen wird, zumal von Menschen, die mich nicht
einmal persönlich kennen, die nur über das Hörensagen von mir wissen.
Mein weißes Gewand ist besudelt vom roten Wein mit dem Haschischsaft.
Gut so, denke ich, immerhin ist der Wein mit der Droge beseitigt, getrunken
hätte ich ihn eh nicht, ich erkenne die Essenzen noch, meine Riechfähigkeit ist
nicht gar so eingeschränkt, wie du glauben möchtest, mein lieber Schwager.
Ja, es ist zu meinem Besten, wenn ich nicht alles weiß. Du hast die
Fäden in der Hand, jetzt, da ich sie dir gegeben habe, ich Narr, und gehindert
und krank wie ich bin, elend und abscheulich, so weiß ich doch, dass du nicht
Herr der Lage bist, dass du nicht weißt, was wirklich nötig ist, dass deine
Regentschaft Gift ist für Jerusalem und es hohe Zeit ist, sie dir wieder
abzuerkennen. König willst du sein und Räuber und Plünderer bist du, dazu noch
Verschwörer und böse Zunge. Oh, ja, ich kenne dich, Guy, mein Schwager, der du
an meiner Tafel sitzt und mich keinen Moment vermisst, nein, im Gegenteil, meine
Abwesenheit erfreut dein böses, kleines, schwarzes Herz.
Ich verspüre
oft den Drang, den Menschen, die gegen mich intrigieren, einfach nur die Meinung
zu sagen, ihnen ins Gesicht zu sagen, dass ich alles weiß, dass mir nichts
entgeht, dass sie nicht meinen brauchen, nur, weil ich so selten noch an der
Öffentlichkeit teilnehme, bekomme ich nichts mehr mit von ihren Ränken. Ja, da
sitzen sie alle an meiner Tafel, wie sie auch heißen mögen, ganz zuvörderst du
und auch meine Schwester, die Herrschaften Ritter und Grafen, und sie reden und
reden und reden und du bist dabei, mein herzallerliebster Schwager, und hörst
zu, spielst angeblich pro forma ihre Spiele mit, auf dass sie denken, du bist
auf ihrer Seite, was du irrwitzigerweise auch bist, und dann trägst du es zu
mir, in unser tiefverstecktes Gemach, und ich muss mir das alles anhören, alles,
was du meinst, dass ich hören soll, und noch mehr, was mich nicht interessiert,
du lullst mich ein mit langweiligen Geschichten und Fakten und Personen, die mir
unbekannt sind, und denkst, ich würde, genügend belagert von deiner Eloquenz,
nicht mitbekommen, was du wirklich denkst und tust.
Aber du bist, der du
bist. Und ich bin, der ich bin.
Ich sehe dem Wein zu und dem
zerbrochenen Glas.
Ich weiß, dass viele Krieg wollen und den Frieden
verachten.
Du auch, es ist keine Frage.
Frieden ist langweilig,
gleichförmig, abstumpfend. Man gewöhnt sich daran und wird bequem. Viele denken,
dass sie dann nichts mehr fühlen und ziehen Schlachten und Kriege dem Frieden
vor.
Und auch mir gelingt es nicht immer ruhig zu bleiben und friedlich,
vor allem, wenn ich merke, was IN der Stadt vor sich geht. Es ist mir manchmal
fast unmöglich zu schweigen, und ich sage dir, was ich ihnen an den Kopf werfen
werde, den hohen Herrschaften, die nur darauf warten, dass ich in den Himmel
gehe, und du beruhigst mich wieder, und manchmal bin ich dumm genug auf dich zu
hören. Aber nur manchmal. Und wäre ich nicht so eingeschränkt, ich würde anders
handeln, bei Gott, ich würde das tun. Manchmal tu ich es, und ich tauche auf,
wie aus heiterem Himmel, um zu sagen, was seit Monaten an mir frisst, und man
ist entsetzt und hält mich dann erst recht für unzurechnungsfähig, aber immerhin
habe ich mich und mein Herz erleichtert und man ist gewarnt, und man weiß, dass
ich mehr weiß, als man hofft, dass ich weiß, und ich ziehe mich wieder zurück in
meine Kammer und lasse euch alle allein, an der Tafel, speisen und lästern und
spotten und Ränke schmiedend.
Und du dabei, mittendrin, mein ach so
treuer, teurer Schwager.
Sie vertrauen dir mittlerweile. Du hast dich
genügend und öffentlich von mir distanziert. Du bist mein Regent, aber du stehst
auf einer anderen Seite. Ich werde dich deines Amtes entheben, Unwürdiger! Doch
meine Kräfte schwinden und ich weiß nicht, wie lange noch ich durchhalten kann.
Es hat begonnen.
Es war der Saft in meinem Wein, von dem du
nicht sagen kannst, du hättest nichts davon gewusst. Es ist die Besänftigung,
die Umnebelung. Du lässt mich glauben, dass alles in Ordnung ist und alles so,
wie ich es gerne hätte, und du hilfst nach, indem du mir süße Tränke bescherst.
Gut, ich gebe es zu, ich war nicht ungeschickt.
Ich war wütend.
Ich habe das Glas zerschmettert, so wie ich den Frieden manchmal
zerschmettern möchte, wie ich manchmal Blut sehen möchte, wie ich allen den
Krieg erklären möchte, die hinter meinem Rücken sich verschwören. Was gäbe ich
darum, die Möglichkeit dazu zu haben.
„Tu es nicht, du machst dich nur
lächerlich!“ ist, was ich von dir höre, wenn ich dir sage, wie wütend ich bin,
über alle, und ich weiß nicht, was du damit meinst. Denkst du das wirklich?
Hältst du mich für eine Witzfigur, dessen Wut nur lächerlich ist? Oder willst du
sie damit schützen, vor meinem Zorn, weil du längst einer der Ihren bist?
Wem kann ich noch trauen?
So viele haben mich schon belogen und
betrogen und du sagst, du bist nicht einer von ihnen. Aber du paktierst mit
ihnen, aus reiner Freude an der Intrige, aus Kostenabwägungen, aus Profitgier
und Machtgeilheit. Du sitzt mit ihnen an einer Tafel und nicht mit mir. Ich weiß
nicht mehr, wie du wirklich von mir redest, wenn du mit ihnen zusammen bist, was
ich glauben soll.
Ich spüre eh nichts mehr, Guy, du kannst dir den
Hanfsaft sparen. Ich bin taub, an Seele, Herz und Gliedern, und Dunkelheit
greift nach mir.
Aber den Frieden, Guy, den Frieden in Jerusalem, hier,
innerhalb dieser Mauern, den möchte ich zerstören wie dieses Glas, ich möchte
das Blut meiner Feinde sehen, derer, die hinter meinem Rücken lachen und
lästern. Was gäbe ich darum, zu tun, was ich tun möchte. Ein letztes Mal
vielleicht.
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