Titel:
Gott will es! Autoren: Balduin IV von Jerusalem
3. Laterankonzil: "Leprosi cum sanis habitare non possunt" (1179, also 2 Jahre
nach dem 25.11.1177, noch zu Lebzeiten Balduins IV von Jerusalem, auch genannt
„Der Aussätzige“.)
Was für ein Gott ist ein Gott, der die
Menschen straft und nicht liebt?
Es ist das Jahr 1184.
Seit fünf
Jahren ist es mir von Rom aus nicht mehr gestattet, unter den Gesunden zu leben.
Ich muss mich zurückziehen, ich darf nicht mehr unter einem Dach mit den
Gesegneten leben.
Ich denke nicht daran.
Rom hat mir nichts zu
befehlen, Rom nicht und der Papst nicht und das Christentum nicht.
Und
eine Spende wollen sie. Für ein Leprosenhaus, hier in Jerusalem. Am besten ziehe
ich auch gleich mit ein. Das käme ihnen gerade recht. Ich weiß, dass sie mir
nicht gewogen sind, die Herren Kardinäle und der Herr Papst. Ich bin ein
Schandmal für das Christentum, ein Gezeichneter, ein Ausgestoßener.
UNREIN, UNREIN.
Wie kann ich es wagen, König von Jerusalem
zu sein – und zu bleiben?
Ich lasse die Feder sinken und
sehe hinaus aus dem Fenster.
Umtriebe, hektische Umtriebe, im Namen
Gottes.
Gott will es, so sagen sie, und alle sagen es. Jeder Gott will
es, und mehrere Götter müssen es sein, denn nicht jeder Gott kann das Gleiche
wollen, denn dies wäre paradox.
Der Gott der Sarazenen. Was will er?
Er will Hingabe, so sagen sie. Hingabe an ihn, an ihre heilige Schrift,
an die Lehren Mohammeds. Hingabe, Islam. Im Notfall den Krieg. Gott will es.
Heiliger Krieg, Dschihad, Zorn Gottes. Und Allah bestraft die Sünder. Wer sich
nicht unterwirft, wird Höllenqualen ausstehen, schon auf Erden. Krankheiten. Wie
ich. Der Gott der Sarazenen hat mich gestraft, so sagen sie. Salah-ah-Din
schickt mir seine Ärzte. Doch er selbst ist umstritten, was seine Glaubenskraft
angeht. Ob sein Gott ihn auch verlassen wird?
Der Gott der Christen. Was
will dieser?
Entscheidung. Man muss sich entscheiden, für oder gegen
Christus. Entscheidet man sich dagegen, ist ewige Höllenqual die Folge,
Verdammnis, ewiger Hunger und Durst nach Gerechtigkeit und keine Erlösung. Man
ersteht im Behältnis, in dem man starb, und hat man eine Krankheit, so wird man
in eben jenem kranken Leibe wieder auferstehen. Keine Gnade, auch jenseits des
Todes. Auch Christus trug seine Wundmale nach Ostern.
Gott will es also.
Einen Heiden zu töten ist keine Sünde, sondern das Tor zum Himmel.
Nun gut, gesetzt den Fall, dies ist richtig.
Auch die Sarazenen
kennen den Heiligen Krieg, auch für sie ist ein toter Christ ein Garant für ein
Leben im Paradiese, umgeben von Jungfrauen mit quellenden Brüsten.
Was
ist also richtig?
Einen Christen zu töten?
Einen Sarazenen zu
töten?
Was ist richtiger?
Welcher Gott ist der wahre?
Ich schließe meine Augen.
Krank bin ich und umstritten. Umstritten von
Männern, die „Gott will es!“ schreien und meinen, dass ihre Plündereien
sanktioniert sind, da sie nur Heiden berauben, also Menschen, die nur zweiter
Klasse sind, da keine Christen, und selbst wenn sie welche wären...
Ich
denke nicht weiter, da ich an die Gräuel der Templer denke. Sie denken, ich weiß
es nicht, was sie hinter meinem Rücken treiben, alle zusammen. Die Templer
denken, ich weiß nicht, dass sie morden und rauben, und meine Berater denken,
ich weiß nicht, dass sie die Templer hinrichten. Sie halten mich für unfähig,
diese Entscheidungen selbst zu treffen, und sie wissen genau, dass ich es mir
nicht einfach machen würde. Einen Toten für einen Toten zu geben ist nicht, was
in der Bibel steht, zumindest nicht das, was Jesus lehrte. Und dies alles ist es
nicht wert, dass auch nur ein einziger sein Leben dafür lässt.
Was
bedeuten Steine schon?
Was ist die Grabeskirche wert, was die
Klagemauer, was die Große Moschee?
Tote Steine, Relikte, nichts weiter
als Markierungen von Besitz und Streitobjekte. Es geht nicht um den Glauben,
sondern um die Menschen, ihre Habgier und ihren Zorn. Um Vorherrschaft, Macht
und Geld.
Gott will es.
Was will Gott?
Will Gott, dass
Menschen sterben um seinetwillen?
Was für ein Gott ist ein Gott, der
will, dass Menschen leiden und sterben?
Schuf er dazu die Menschen, um
sie leiden zu lassen?
Straft er die Menschen, um sich an ihrem Leid zu
ergötzen?
Lässt er sie scheitern, damit er sich unterhalten fühlt von
uns elenden Kreaturen?
Ich sehe an mir herab.
Auch auf
meiner Brust prangt das Kreuz, das Kreuz Jerusalems.
Ich werde die Stadt
verteidigen und ihre Einwohner, ich werde sie vor Unrecht schützen und vor
Übergriffen, aber nicht das, was nur Staub und Stein ist.
Das Kreuz, das
ich trage, ist ein Weltenkreuz. Es hat vier gleiche Balken, die die Welt
anzeigen – den Osten, den Westen, den Norden und den Süden. Es ist die Welt, die
auf mir lastet, und die Welt, die mich glücklich macht. Es ist der Frühling, der
Sommer, der Herbst und der Winter. Es ist die Welt.
Ich kann mir
vorstellen, die Welt unter der Sonne und unter dem Mond zu sehen. So wie die
Sonne das Leben schenkt, so schenkt der Mond die Ruhe und die Erholung. Es ist
kein Gegensatz, sondern ein Ganzes. Es ist das Gute der Handlung und das Gute
des Schlafes. Das Gute, das jedem Menschen innewohnen kann.
Gott will
es.
Wir irren alle.
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