Titel:
Hingabe Autoren: Balduin IV von Jerusalem
Als ich ihn sehe, weiß ich genau, dass es der Sohn von Godefrey ist, von
niemandem anderen, und niemand anderer kann es sein.
ich liebte seinen
Vater....
Und ich werde ihn lieben, wenn er ist wie sein Vater.
Godefrey ist tot, ich weiß es, als ich Balian das erste Mal erblicke.
Meine Gefühle sind aufgewühlt, ich spüre, wie mir die Tränen in die Augen
schießen, denn nun ist es gewiss, zuvor war es nur ein Gerücht, und ich fühle
gleichzeitig Erleichterung, dass Balian nun hier ist, dass Godefrey mich nicht
allein ließ in meiner Not.
Mir ist bewusst, was um mich herum vorgeht.
Nicht umsonst habe ich die Regierung wieder an mich genommen, denn
unfähig sind sie, intrigant und opportunistisch, dabei unehrlich und raffgierig,
unbarmherzig und intolerant. Auch meine Schwester hat mich enttäuscht und ich
sehe es als gewaltigen Fehler, sie Guy de Lusignan gegeben zu haben. Der
Einzige, der mich zu retten vermag, ist mein kleiner Neffe, und ihn zum
Nachfolger zu krönen ist die einzige Möglichkeit, die ich sehe, bevor mich meine
Krankheit verzehrt.
Eine neue Hoffnung keimt nun auf in mir, da Balian
vor mir steht.
Ich lade ihn ein, sich zu mir zu setzen, an das
Schachbrett, auf dem gerade eine Schlacht tobt, wie ich sie kenne – in mir
kämpfen Gut und Böse, Weiß gegen Schwarz, ich versuche die Balance zu halten und
Jerusalem vor dem Schlimmsten zu bewahren, das aus seinen eigenen Reihen
ersteht. Ich weiß, dass meine Kräfte nicht mehr lange währen, und so bin ich auf
Hilfe angewiesen, und vor mir sitzt er nun, Balian von Ibelin, der Sohn
Godefreys,
Godefreys....
Meine Gedanken wandern zurück, in
die Zeit, da ich noch ein Knabe war.
Er war mein bester Lehrer. Er
war es, der entdeckte, dass ich weniger Schmerzen empfand als die anderen
Kinder, als ich mich an Händen und Füßen verletzte, wie jedes Kind. Und er war
es, der meinem Vater die furchtbare Nachricht überbrachte, dass ich an Lepra
erkrankt war.... das Unglaubliche, das Unfassbare, das Schreckliche. Godefrey
weinte dabei. Mein Vater fluchte. Er fluchte, bis ich 13 war und er starb und
ich zum König von Jerusalem gekrönt wurde, da sich niemand anderes fand für die
Thronfolge, so sehr sich mein Vater mühte, der sogar die Ehe mit meiner Mutter
annullieren ließ, vermutlich, um einen neuen Thronerben zu zeugen, der nicht mit
einer Gottesstrafe belastet ist.
Es folgte eine Zeit in Verachtung und
in Demütigung. Der einzige, der sich um mich kümmerte, war Godefrey, und als ich
mit 13 gezwungen war, den Thron zu besteigen, so wurde meine Krankheit geheim
gehalten, und die einzigen, die es wussten, versuchten mich sogleich zu betrügen
und zu stürzen.
Ich verdankte es Godefrey, dass ich mich halten konnte
und dass ich einen Sieg über Saladhin feiern konnte, kaum dass ich 17 geworden
war.
Er hielt seine Hände über mir. Godefrey war mehr als mein Vater für
mich war, er war mein Berater, er war mein Freund, er war mein Lehrer, er war
mein bester Soldat. Er war stets in meiner Nähe.
Nur zu gut erinnere ich
mich an den Tag, an dem ich ihn bat, den kleinen Streifen Land anzunehmen, an
der Pilgerstraße zu Jerusalem, mit dem der Titel des Barons und Ritters von
Ibelin verbunden war. Ich war 19, er war 42, und ich sah in seine Augen, als er,
anstelle zu antworten, vor mir auf die Knie sank.
„Beschütze die Armen
und Hilflosen!“ flüsterte ich, und er sah mich an, mit seinen blauen Augen, als
ich meine rechte Hand auf seine Wange legte.
Ich wusste, dass das nicht
sein durfte, weil die Krankheit begannen hatte, sich zu zeigen und mich zu
zerstören, doch ich konnte nicht anders, ich wollte so sehr sein Gesicht spüren,
dass ich nicht an mich halten konnte, und er senkte den Kopf, hingegeben an
diese meine eigennützige Liebkosung, nach der ich mich Jahre verzehrt hatte.
Ihn berühren.
Ihm danken, all das, was er für mich tat.
Als er aufstand, hatte auch er Tränen in seinen Augen, und ich bemühte
mich, Fassung zu wahren, ich, der siegreiche Knabenkönig, vor ihm, dem so treuen
und aufrechten Ritter.
Ich wusste nicht, dass er selbst einen
Sohn hatte. Das weiß ich erst nun, da Balian hier ist und vor mir sitzt und
versucht, sich in mein Schachspiel einzudenken, in die schwarzen Figuren, die
vor ihm stehen und die er mich eben ersucht hat gegen mich spielen zu dürfen.
Ich lächle, in meine Dunkelheit hinein, die mich umgibt, seitdem ich die
Maske trage. Er wagt es in der Tat, gegen mich zu spielen, das Spiel, das mich
sein Vater lehrte.
Niemals wieder spielte jemand gegen mich, außer ihm,
außer Godefrey.
Und ich erinnere mich an unser letztes Spiel.
Er hatte gewonnen, wie immer.
Und als er den weißen König
umwarf, mit seiner so unnachahmlichen Geste, da stand er auf, kam zu mir und
kniete wieder vor mir.
Längst war ich gezeichnet von der Krankheit und
meine Maske verbarg meine Gefühle, so wie die Bandagen aus Leinen meine Finger
schützten – vor Blicken und davor, dass ich noch einmal in Versuchung kommen
könnte, jemanden damit zu berühren.
Godefrey kniete vor mir und legte
seine Hände auf meine Oberschenkel, und ich konnte ihn fühlen, durch die Lagen
der Stoffe hinweg, seine Wärme, seine Liebe.
„Verzeih mir, Balduin, dass
ich dich erneut besiegt habe. Ich kämpfe so sehr mit mir. Ich möchte dir nicht
weh tun, du hast genug, was dich schmerzt. Aber möchtest du wirklich, dass ich
dich gewinnen lasse...? Ich kann dein Gesicht nicht mehr sehen, dein schönes,
liebes Gesicht. Ich kann nicht mehr sehen, ob du lächelst oder ob du weinst. Ich
sehe nur die silberne, unendlich traurige Maske, die dich verhüllt vor der Welt.
Ich möchte, dass du weißt, dass ich dich liebe wie meinen eigenen Sohn. Dass ich
dich und dein Reich beschützen werde mit meinem eigenen Leben. Du bist
Jerusalem, mein König, und ich bin da für dich. Erinnerst du dich, als du mich
zum Ritter gemacht hast? Du hast mich damals berührt. Nicht nur deine Hand war
es, die mich berührt hat, es warst du, deine Seele. Mein König – Balduin – ich
bitte dich, berühre mich noch einmal. Und gewähre mir, dass ich dich küsse, dass
ich deine silberne Stirn küssen darf, bevor ich wieder gehe und mich auf die
Suche mache.“
Auf welche Suche, das weiß ich erst jetzt, da du vor
mir stehst, Balian. Ich ließ ihn gehen, um dich zu finden. Ich ließ ihn gehen,
dass er dir dein Erbe schenkt, und eine seiner Hinterlassenschaften, Balian, das
ist seine Liebe zu mir. Wirst auch du mich lieben, wie er es tat?
Ich
streckte meine Hand aus und berührte ihn, wie damals, als ich ihm Ibelin gab.
Sanft versuchten die eingewickelten Finger meiner rechten Hand seine Wange zu
streicheln, und seine Augen waren so voller Hingabe, dass ich weinen musste, da
ich dieses Sehnen in meiner Brust spürte, da ich ihn ansah. Wie sehr verlangte
es mich danach, gesund zu sein, nur um die Möglichkeit zu haben, sein Gesicht zu
streicheln, seine Haut zu fühlen, seinen struppigen Bart, seine ebenso
struppigen Haare, seine starke Nase, seine weichen Lippen... ich fühlte, wie
mein Herz sich zusammenkrampfte vor Sehnsucht, vor unerfüllten Wünschen, die nie
erfüllt würden, da ich verdammt bin zu sterben, bevor ich nur den Zenit meines
Lebens erreicht hätte... und ich beugte mich herab, zu ihm, so nahe wie ich es
schicklich fand, und er kam mir entgegen und seine Lippen berührten meine
silberne Stirn, und ich schloss meine Augen, mir vorstellend, es sei meine
Stirn, meine Haut, mein Körper... seine Lippen auf meiner Stirn, meinen Haaren,
meiner Wange, diese geliebten Lippen, sie trafen nur auf starres Metall, doch
sie trafen mitten in mein Sein.
„So gehe finden, was du suchst...“ sagte
ich, meine Stimme mir versagend, und er erhob sich, und ich sah ihn nie
wieder....
Und ich sehe ihn doch wieder, in deinem Gesicht,
Balian.
Er hat gefunden, was er gesucht hat.
So gehe auch
du, und beschütze die Hilflosen. Und erfülle, was dein Vater mir versprochen
hat.
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