Titel:
Der Knebel Autor: Hephaistion
‚Ich zweifle nicht daran, dass du tapfer bist, dass du stark bist, klug,
umsichtig, und was ich sehen kann, daran zweifle ich auch nicht – dass du eine
Augenweide bist, eine ewige Qual, wenn man dich ansieht und nicht mit dir
anstellen kann, was man gerne täte mit dir – daran darfst du niemals zweifeln,
Amyntors Sohn. Oh ja, ich kann mich an deinen Vater erinnern, und glaub mir, ich
habe ihn sehr gemocht. Und dich beobachte ich, seit du das erste Mal bei Philipp
aufgetaucht bist. Ja, ein Spielgefährte für seinen Sohn, ebenbürtig und fast
sein zweiter Sohn... ich kenne dich besser, als du denkst, Hephaistion, Freund
des Alexandros. Aber ich zweifle daran, dass du glücklich bist, so wie du nun
lebst. Ich sehe, was ich sehe, und daran zweifle ich nicht. Ich sehe Unglück in
deinen Augen, ich sehe Verzweiflung in deinem Herzen, Einsamkeit in deinen
Worten, kein Lächeln um deinen Mund. Ich sehe dich verdorren noch vor der Zeit,
wie ein Baum, der kein Wasser bekommt in der Wüste. Dein Leben ist ohne Liebe,
Hephaistion, und widersprich mir nicht, ich sehe besser als du, was ist, und was
sein könnte. Du musst es nur wollen. Du musst dich nur mir zuwenden, ich bin
der, der dir all das gibt, was du willst. Ich, der schwarze Kleitos. Komm zu mir
und ich mache deiner Einsamkeit ein Ende, ich werde an deiner Seite sein wie du
an meiner Seite sein wirst, und nichts wird dir fehlen, was du begehrst. All
das, nach was du dich sehnst, und glaube mir, ich weiß, was das ist! – all das
wirst du bekommen, und noch mehr, zögere also nicht und vertrau mir. Ich will
dich. Ich will dich mehr als ich das alles hier wollte, was nun passiert ist.
Ich verzichte auf all diesen Pomp, nur zu gerne, wenn du zu mir Ja sagst, wenn
ich dich endlich in meinen Armen halten kann und wenn ich – wenn du...’
Kleitos starrte auf das Papyros.
‚Das kann ich nie im Leben zu
ihm senden...’, dachte er und las es ein letztes Mal durch, bevor er es in
kleinste Stückchen zerriss und ins Feuer warf.
‚Zu sentimental.’,
entschied er und schloss die Augen.
Hephaistion tauchte in seiner
Vorstellung auf, Hephaistion, Hephaistion... Kleitos fühlte sich heimgesucht von
diesen Visionen, in jeglicher Variation stellte er sich den Ersten General
Alexandros’ vor, in einer Schlacht an seiner Seite, nackt in einem See, in
seinem Bett, auf einem Pferd, neben ihm in einem Bankett... wie es wohl sein
mochte, den Sohn Amyntors an seiner Seite zu haben, Kleitos konnte nicht
aufhören daran zu denken.
‚Ich bin schlichtweg besessen von dieser
Idee’, entschied er nüchtern, bevor er aufstand und sich eine weitere Karaffe
des starken Weines holte, den es in Persien gab. ‚Ich sollte diesen Wein hier
trinken, mir einen Knaben ins Bett kommen lassen und mir den Verstand
herausvögeln, anstelle ständig an Hephaistion zu denken. Der denkt eh nicht an
mich. Der hat nur Augen für den König, Alexandros hinten, Alexandros vorne...
dabei bedenkt er ihn nicht einmal mit einem Blick. Welch trostloses Leben. Was
könnte er mit mir alles erleben – und ich mit ihm... aber NEIN. Es muss ja der
König sein. Er läuft ihm hinterher wie ein Hündchen, so sieht’s aus, ja, genau
so ist es! Und ich bin so dumm das nicht zu merken. Ich werde etwas trinken. Und
einen Knaben, ja, vielleicht auch zwei, warum nicht, besser ist das allemal als
tränengetränkte Briefe an jemanden zu verfassen, der mich nicht mal bemerkt!’
Kleitos spürte, wie Wut in ihm aufstieg.
War es nicht genau so?
Hephaistion betrachtete ihn höchstens als erfahrenen Hipparchen, wenn
überhaupt. Als alte Garde, Philippos’ Seilschaft, unwillkommener alter Rat im
neuen Staate, überkommene Werte im neuen Reich. So war es, ganz genau so. Und
er, Kleitos, saß hier, verfasste rührselige Liebesbriefe, träumte von dem
schönen General, den er eh niemals haben würde, nicht als Freund und schon gar
nicht als Liebhaber.
Makedonische Knaben, wenn schon, sinnierte Kleitos
weiter, beim nächsten Glas Wein. ‚Knaben, ha, sie sind auch schon über 20, aber
egal, sie sind aus der Heimat und sie werden tun, was ich von ihnen will, genau
das, und bei Zeus, meine Wut ist so groß, dass ich zweie brauche, bei allen
Göttern! Ich werde sie fesseln und schlagen und dann werde ich sie meinem Willen
unterwerfen, und beim Hund der Unterwelt, ich habe einen Willen, und ich werde
tun, was ich will! Das werde ich!’
Der nächste Becher floss in des
Kleitos’ heiße Kehle und in seine noch heißere, wilde Seele. Nicht mehr Wut,
weißer Zorn war es nun, der durch seine Adern rann, Zorn über sich selbst,
darüber, beinahe schwach geworden zu sein, beinahe sich selbst preisgegeben zu
haben. Was hätte Hephaistion über ihn gelacht, wenn er diesen Brief je gelesen
hätte. Narr, verliebter, dummer, alter Narr! Kleitos schmiss den Becher an die
Wand und stand auf.
Aristandros und Lysimachos konnten am nächsten Tage
kaum stehen, geschweige denn, gehen. Kleitos warf ihnen einen bedrohlichen Blick
zu, als er die beiden jungen Makedonen aus seinem Zelt warf, nachdem er genau
das, und noch mehr, mit ihnen getan hatte, was er sich vorgenommen hatte, und
Kleitos hatte noch nicht genug, noch lange nicht.
Ausgerechnet heute
musste das Bankett sein, zu dem der König geladen hatte. Ausgerechnet heute.
Kleitos hätte sich etwas Angenehmeres vorstellen können.
Der Tag verging schleichend und so langsam, dass Kleitos dachte, er würde
niemals enden. Und wie der Zufall es wollte oder spöttisch höhnende Götter im
Olymp, Hephaistion tat nichts anderes diesen Tag als ihm ständig über den Weg zu
laufen.
Er hatte diese Art Kleidung an, die Kleitos hasste und die ihn
faszinierte auf fast kranke Art.
Orientalische Kleidung.
Hephaistion sah großartig aus darin, sie umschmeichelte seinen Körper
auf geradezu obszöne Art, ließ tief blicken und verhüllte gleichzeitig,
streichelte ihn und machte Lust darauf, ihn anzufassen, ihn zu spüren, ihm genau
dieses asiatische Zeug vom Leib zu reißen und darunter zu sehen, was übrig war
vom Jungen aus Makedonien, den Kleitos schon vor Jahren aus der Ferne betrachtet
hatte.
Und Hephaistion war geschminkt. Er trug diese Kohle um die Augen
wie die Perser, nur dass die persischen Männer damit orientalisch aussahen und
exotisch, wild und barbarisch, während Hephaistion an eine teure Hetäre
erinnerte mit seinen langen braunen Haaren und den großen leuchtenden blauen
Augen.
Kleitos sog den Atem ein, als er wieder nur einige Zentimeter von
Hephaistion entfernt war. Dieser Duft. Dunkel, schwer, ölig, orientalisch. Der
Duft der Sünde. Nein, das war nicht mehr der Knabe aus Makedonien, dessen blanke
Schenkel unter einem kurzen Chiton hervorblitzten und dessen schulterlange Haare
brav gescheitelt und zusammengebunden waren, der nach Staub roch und nach
Olivenöl, nach Pferd und nach roten Beeren, nach Rosmarin und nach Pfefferminze.
Das war nicht mehr der Freund des jungen Prinzen, dessen Wangen sich röteten,
wenn er aufgeregt war, dessen Sandalen so oft aufgingen, weil die Schnürungen
nicht perfekt waren, dessen lange schwarze Wimpern den Augen mehr Unschuld als
Verführung verliehen.
Das war orientalische Sünde, östlicher Luxus,
Persien, Asien, neue Welt – neue Welt, in der alles möglich war, in der alles
verschmolz, jegliche Grenze aufgehoben wurde, in der der Sklave zum obersten
Berater wurde und der altgediente Feldherr zum Diener, in der die Besiegten
gleichberechtigt am Tische saßen und die Männer zu Frauen wurden, und die Frauen
hatten die Macht über die Männer, und anderes, anderes... nicht nur Wein
vernebelte das Hirn der Makedonen, auch andere Drogen, schwerer Rauch, Götter
wurden menschlich und Menschen zu Göttern, die sich anbeten ließen...
Und Hephaistion war all dieses. Hephaistion war das lebendige Symbol
dieser neuen Lebensart, mit seinen schwarzummalten Augen, seiner verruchten
Kleidung, seinem schweren Schmuck, seinem betörenden Duft... das war
Hephaistion, und Kleitos hasste ihn. Jetzt, gerade, in diesem Moment. Niemand
hasste er mehr als Hephaistion, und er ließ es ihn spüren, indem er ihn
anrempelte, und Hephaistions blaue Augen blitzten vor Wut, als er zurückstieß
und Kleitos schlug ihm ins Gesicht, und Hephaistion schlug zurück, hart, wohl
wissend, wohin er zielen musste, und sein Knie stieß hoch und traf Kleitos
dorthin, wo es am schlimmsten schmerzt, und Hephaistion wandte sich voller
Verachtung ab.
‚Ich habe ihn unterschätzt’, dachte Kleitos, der sich am
Boden krümmte, ‚ich habe ihn einfach unterschätzt. Diese orientalische angemalte
Hure, ich hab sie unterschätzt. Na warte, du wirst bekommen, was du verdienst,
du Speichellecker des falschen Königs, ich werde dir geben, was du verdienst,
nach was du schreist mit all deiner Aufmachung, und du wirst den Tag verfluchen,
an dem du aufhörtest, Makedone zu sein, an dem du dich entschieden hast,
auszusehen wie ein persischer Eunuch, vor dem König auf Knien zu liegen und dich
von ihm verachten zu lassen! Du WARST mal Hephaistion, Sohn des Amyntoros! Was
du nun bist, vermag ich nicht zu sagen, aber ich werde dir einen neuen Namen
geben, wenn ich dich dort habe, wo du hingehörst – in mein Bett, unter mich, ich
in dir, auf jede nur erdenkliche Art und Weise! Ja, das wirst du bekommen, genau
das. Das hätte ich gestern schon mit dir machen sollen und nicht mit den beiden
armen Knaben. Dich fesseln, dich meinen Gürtel spüren lassen, meine rauen Hände
auf dir, meine Zähne in deinem Fleisch, und mein hartes Schwert in dir. Das ist
es, was du willst, das ist es, wonach du schreist, mit all deiner Fassade, mit
all deinem Pomp! Ja, du willst es so, du provozierst mich damit, und ich werde
deinen Wünschen nachkommen, du wirst sehen, Schlampe! Du wirst noch sehen, was
der schwarze Kleitos mit dir macht, und du wirst es wollen und unter mir stöhnen
und dich winden wie eine Hure, die du bist! Sieh dich an, Hephaistion – sieh
dich an. Das ist aus dir geworden, und genau so werde ich dich behandeln!’
Hephaistion warf Kleitos einen Blick zu, dann presste er seine Lippen
zusammen und widerstand dem Impuls, dem schwarzhaarigen Mann auf die Beine zu
helfen.
Sollte er doch selbst sehen, wie er wieder hoch kommt.
Der Abend nahte und Kleitos hatte
beschlossen, das Bankett nicht nüchtern zu verlassen und nicht nüchtern zu
betreten. Bereits in seinem Zelt hatte er dem Weine ordentlich zugesprochen und
als er nun, demonstrativ in seinen schwarzen Chiton gekleidet und mit nichts
anderem geschmückt als mit einem Lederband um sein Handgelenk, den Saal betrat,
in dem bereits Musiker aus Babylon aufspielten und Räucherwerk verbrannt wurde,
das einem den Atem verschlug, da sah er sich um und erblickte, gefiltert durch
sein bereits vom Weine in die Arme genommenen Verstande, den König auf dem Thron
des Dareios sitzend, breitbeinig, seine Füße auf einen Schemel gestellt, einen
Pokal in der Hand, und neben ihm stand in unglaublicher Pracht Hephaistion, der
ein Diadem trug, wie es in Makedonien höchstens die Könige je zu tragen gewagt
hatten.
Es war klar, was das bedeutete, Alexandros hatte seinen engsten
Freund zu seinem Vizekönig bestellt, zu seinem potentiellen Nachfolger, zu einer
sakrosankten Person, die anzutasten nun vermutlich hochoffiziell unter
Todesstrafe gestellt war, und Kleitos spürte, wie in seinem Gehirn Blasen
platzten, die dunkel waren und mit Gift gefüllt und die sich nun in seinem
eigenen Körper ausbreiteten.
Es würde nicht zu all dem kommen, von dem
er geträumt hatte.
Nur über seine Leiche.
Nun gut, dann nur über
seine Leiche.
Kleitos ließ sich nieder und folgte dem Abendprogramm,
ließ sich den Becher stets gut auffüllen und dann kam der Moment, wo Ehrungen
ausgesprochen wurden.
Und Alexandros ehrte alle Generäle, Feldherren und
Befehlshaber.
Auch Kleitos wurde geehrt und mit einem Ring bedacht und
auf ihn getrunken, doch dann kam die Reihe an Hephaistion.
„Ich verleihe
dir den Rang eines Chiliarchen.“, sagte Alexandros und hob seinen Becher zu
Hephaistion, der lächelte und seinen Becher ebenfalls hob. „Hephaistion
Amyntoros, du bist hiermit der zweite Mann in meinem Reich. Du bist mein
Stellvertreter, mein Nachfolger, wenn ich kinderlos bleibe, mein Vertrauter,
mein bester Freund. Du bist Philalexandros, diesen Beinamen sollst du von heute
an tragen.“
„Ein Hoch auf Hephaistion!“ rief da Kleitos und der Becher
schwappte über, den er hoch über seinem Kopf hielt. „Ein Hoch auf den Mann, der
sich von Asien erobern ließ, anstelle Asien zu erobern! Ein Hoch auf euch alle,
ihr verdienten Feldherren und Generäle, die ihr euch einlullen lasst von diesem
orientalischen Pomp! Ja, seht euch an, was aus euch geworden ist, erinnert ihr
euch, zu welchem Zwecke wir hier her kamen?“
Es wurde totenstill und der
König stellte den Becher ab.
„Was möchtest du wirklich sagen, Kleitos?“
fragte er, leise, seine Stimme bedrohlich.
Kleitos lachte. „Ist es nicht
klar rübergekommen, mein König?“ fragte er höhnisch. „Nun gut, dann will ich es
dir erklären. Wir kamen hier her, um die Perser zu bestrafen für ihre
Greueltaten, für ihren Hochmut, für ihre Barbarei, für all das, was sie uns seit
Jahrzehnten angetan hatten! Wir kamen hier her, um sie zu besiegen und um unsere
Freiheit wieder zu erlangen. Und nun, sieh her, was geschehen ist! Sie haben uns
erneut besiegt! Ihre Art ist es nun, die uns besiegt hat, oder vielmehr dich und
deine Freunde, allen voran dein teurer Freund Hephaistion! Sieh ihn dir an!
Kannst du dich erinnern, wie er einst war, wie er einst aussah? Bei Ares, ich
kann mich erinnern, und DAS da, was er nun ist, das ist er nicht mehr, das ist
eine billige persische Konkubine, ja, GENAU DAS ist er, kein makedonischer
Vizekönig, sondern eine HURE! Bei allen Göttern, Hephaistion, was ist aus dir
geworden, was ist aus dem wunderschönen makedonischen Jüngling geworden, der so
unverdorben war, so frisch, so geradlinig, so schnörkellos? Besitzt du einen
Spiegel, Amyntoros? Wenn ja, sieh hinein – und schau dich an. Du willst noch ein
Makedone sein? Du bist längst ein persischer – Eunuch!“
Kleitos
schleuderte das Wort heraus und Hephaistion starrte ihn wütend an, während
Alexandros’ unterschiedlich gefärbte Augen Blitze spieen.
„Geh ganz
schnell, Kleitos – sonst verwirkst du dein Leben!“ zischte der König und Kleitos
stand auf.
„Ja, so seid ihr geworden, alle zusammen. Ihr könnt die
Wahrheit nicht mehr hören! Ihr wollt nur Lobgesänge, man soll euch sagen, es ist
alles richtig, was ihr tut, und alle müssen so sein wie ihr. Ganz genau so ist
es gekommen! Du willst mich tot? Gut, dann töte mich, hier und jetzt, denn nur
der Tod allein wird mich davor bewahren, dir noch mehr Wahrheiten ins Gesicht zu
sagen, dir und deiner geschminkten Hure, die du zum Vizekönig gemacht hast. Du
willst mich töten? Dann töte mich, wenn du noch Ehre im Leib hast, wag es!“
Alexandros griff nach einem Apfel, der in einer Schüssel neben seinem
Thron lag, und warf ihn zornig Kleitos an den Kopf, der nur noch lauter lachte.
„Mit einem Apfel willst du mich erledigen, Alexandros, du König mit dem Herzen
eines Knaben? Sage an – bist du es, der Hephaistion dazu bringt, sich so zu
kleiden und so zu schminken? War es nicht dein Wunsch, wessen dann?“
Alexandros sprang auf und entriss einer Wache, die neben ihm stand, eine
Lanze.
„Halt ein!“ rief Hephaistion und warf sich in Alexandros’ Arm, der gerade im
Begriff war Kleitos zu durchbohren. „Bist du des Wahnsinns, Alexandros?“
Hephaistion starrte den rasenden König an, der wiederum Kleitos anstarrte.
„Keinesfalls, Hephaistion. Möchtest du lieber, dass ich zulasse, dass er
dich beleidigt – dich und mich?“ Alexandros senkte die Lanze und durchbohrte
Kleitos mit seinen Blicken.
Kleitos atmete laut, der Rest des Banketts
versuchte nicht zu atmen.
„Alexandros. Mein König. Ich bitte dich um
etwas. Verschone das Leben deines Hipparchen – und überlasse ihn mir. Überlasse
mir, mich für seine Beleidigungen zu revanchieren. Überlasse mir die Strafe.
Überlasse mir sein Leben. Schenk ihn mir. Schenk mir sein Leben. Es ist in
deiner Hand – du kannst es ihm nehmen, und du kannst es ihm sogar mit Grund
nehmen, denn was er sagte, war Hochverrat. Aber ich bitte um Gnade für ihn. Um
sein Leben. Gib ihn mir.“
Kleitos versuchte einen Satz zu formulieren,
versuchte zu widersprechen, dass er lieber tot wäre als jemandem zu gehören, dem
er sein Leben verdankte, und schon gar nicht, SCHON GAR NICHT Hephaistion, doch
bevor Kleitos sprechen konnte war Hephaistion mit einem Satz bei ihm und hielt
ihm den Mund zu.
„Dein Mund will deinen Tod, was?“ zischte er, für
Alexandros nicht hörbar, und mit Nachdruck drückten sich Hephaistions Finger in
Kleitos’ Lippen und Kinn. „Schweige, jetzt, für nur einen Moment, dann kannst du
wieder reden und deiner schwarzen Seele Ausdruck verleihen, aber JETZT
schweige!“
„Was sagst du ihm?“ fragte der König nach und Hephaistion
lächelte. „Ich habe ihn gebeten, nicht noch weitere Worte dem Gehege seiner
Zähne entfleuchen zu lassen!“ antwortete der Chiliarch in homerischen Worten.
„Ich denke, wir sollten das Bankett nun verlassen, Kleitos und ich. Wir haben zu
reden – das heißt, ICH habe zu reden!“ Hephaistions blaue Augen zwinkerten
spöttisch.
„Wenn die Art deines Knebels Früchte trägt, werde ich Kleitos
verschonen!“ sprach Alexandros und entließ die beiden Generäle mit einer
dismissiven Bewegung seiner linken Hand.
Hephaistion zog den
widerstrebenden Kleitos hinter sich her, gefolgt von dem Getuschel der
restlichen Gäste. Die Tür schloss sich hinter ihnen und Kleitos fand seine
Sprache wieder, als er in Hephaistions grinsendes Gesicht sah.
„Du –
DU....! Was hast du dir dabei gedacht- “ weiter kam Kleitos nicht, denn
Hephaistion hatte eine weitere sehr effektive Art entdeckt, Kleitos zum
Schweigen zu bringen, er griff dem schwarzen Feldherren in die schulterlangen
Haare, zog den Kopf zu sich und küsste ihn hart und fordernd. Seine Zunge drang
in den überraschten Mund ein und nach einer Schrecksekunde packte Kleitos
seinerseits den Chiliarchen und presste ihn eng an sich, den Kuss erwidernd und
fortsetzend.
Atemlos trennten sich die beiden Männer dann voneinander
und sahen sich an, als sähen sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben. Kleitos
öffnete erneut seinen Mund, um zu protestieren, doch Hephaistion unterbrach den
Satz, der nicht einmal ein Wort umfassen konnte, mit einem weiteren verzehrenden
Kuss. „Gewöhn dich dran, Kleitos!“ keuchte er dann, um Luft ringend, „Ich werde
dir den Mund jedes Mal stopfen, wenn du anfängst Dinge von dir zu geben, die
einfach nur unakzeptabel sind! Dinge, die dich Kopf und Kragen kosten können,
Dinge, die niemand hören will, weil sie aufrührerisch sind, Dinge, die alle
beleidigen, Dinge, die du in deiner Wut dir ausgedacht hast... ich werde dich
knebeln, Kleitos, jetzt, heute, morgen, für alle Zeiten. Und ich habe noch
andere Knebel, die in Frage kommen, deinen Mund zum Schweigen zu bringen,
schwarzer Krieger, noch ganz andere! Wenn du nicht freiwillig schweigst, werde
ich dich zum Schweigen bringen, und du wirst es lieben, du wirst sehen. Du wirst
es lieben, weil es das ist, was du in deinem Innersten zutiefst ersehnst. Ja,
Kleitos, da schaust du, nicht wahr?“
Kleitos’ schwarze Augen starrten
Hephaistion überrascht an, und zum ersten Mal in seinem Leben hatte Kleitos
nichts zu erwidern, nichts zu widersprechen.
„Ich kann übrigens lesen,
Kleitos. Und ich sag Ja zu dir, wenn du das alles zurücknimmst, mit der
persischen Hure und dem Eunuchen und dem Speichellecker. Nimm es zurück,
Kleitos, und dein Traum wird wahr werden.“
Kleitos schwieg, sein Gesicht
war eine Maske der Undurchdringlichkeit. Tausend Gedanken tobten durch seinen
Kopf, und wenn Hephaistion wollte, dass er schwieg – gut, er würde schweigen!
Und er würde genau JETZT beginnen.
Hephaistion zog seine Augenbrauen
zusammen.
„Dann war das alles Lüge? Dass du meine Einsamkeit beenden
willst? Dass du auf alles verzichtest, wenn du nur mich in den Armen halten
kannst? Kleitos, ich bin hier! Ich bin hier und du bist hier, und ohne mich
wärst du im Hades, ist dir das klar? Aber ich bin hier, weil ich deinen Brief
gelesen habe, ja, das habe ich! Weil du so fest aufgedrückt hast, dass man in
der Wachsunterlage jedes einzelne Wort noch erkennen konnte. Ich habe es
gelesen, Kleitos, und hätte ich den Brief bekommen, vielleicht wäre alles nicht
so weit gekommen. Aber ich bin keine Hure, Kleitos, nicht die des Königs noch
deine. Ich bin genau das, was du denkst das ich bin – an deiner Seite, wenn du
es willst, dein lebendiger Knebel, den du brauchst, und über alles andere werden
wir verhandeln und es wird sich ergeben. Also nimm es zurück, Kleitos. So schwer
kann das doch nicht sein, so leicht dir das Reden sonst doch fällt!“
„Es
war keine Lüge, Hephaistion.“ Kleitos holte tief Atem, dann sah er dem
Chiliarchen in die Augen. „Es ist keine Lüge. Ich möchte mit dir zusammen sein.
Ich wollte es schon immer.“
„Dann soll es so sein, Kleitos. Aber
bedenke, ich bin dein Knebel. Ich werde nicht zögern dir den Mund zu stopfen.
Weder in der Öffentlichkeit noch unter vier Augen.“
Kleitos’ Mundwinkel
zuckten, dann lächelte er. „Kannst du bitte gleich damit anfangen?“ flüsterte er
dann und zog Hephaistion eng an sich.
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