Titel: Der Zorn des Alexandros
Autor: Hephaistion


Ich kann und will nicht glauben, was ich sehe.

Der Harem vor uns, Babylon, Dareios’ heimlicher Garten... und so viele Frauen, so viel Schönheit, so viel versprechende Lust, kaum verhüllt.

Wir sind irritiert, wir starren auf das Paradies, was sich vor unseren Augen öffnet. Zumindest für die meisten von uns, nicht für mich. Ich bin blind für die Schönheit, die sich mir offenbart, denn meine Augen verfolgen Alexandros, der mit offenem Mund, als wolle er alles in sich einsaugen, als wolle er an einem Tag noch mehr erobern, als eh schon vor seinen Füßen liegt... alles hier gehört ihm, was einst Dareios’ war, alles Eigentum meines Königs, meines Geliebten, meines Alexandros’.

Ich bin bei ihm, neben ihm, und ich staune ebenso, doch irgendwie ahnt mein Herz, dass heute noch etwas geschehen wird, das alles zunichte machen wird, was jemals war.

Die Frauen werden nicht berührt, Alexandros weist es an, und die Makedonen sind enttäuscht, ich kann es sehen, und dann kommt die Königsmutter, Sisygambis, und verwechselt mich mit Alexandros. Wie peinlich es für sie ist... doch mein Geliebter rettet die Situation, indem er ihr erklärt, dass auch ich Alexandros bin.

Mein Herz geht auf und ich weise alle Schatten von mir, die sich meiner bemächtigen möchten, für eine kurze Zeit, doch dann ist mein Schicksal besiegelt, als Alexandros’ Blick auf IHN fällt.

Ich bete zur süßen Aphrodite, dass mein Liebster niemals sehen würde, wer vor ihm steht, denn ich kenne ihn gut – und meine Gebete werden nicht erhört.

Er sieht ihn.

Einen Knaben mit langem schwarzen Haar, dunklen Augen, die von Schwarz gesäumt sind, einem makellosen Gesicht ohne jegliche Verletzung – schmerzlich wird mir meine Wunde bewusst, die unterhalb meines linken Auges ist und mich ein Leben lang entstellen wird – eine Wunde, geschlagen für ihn, doch wird sie mir zum Verhängnis, im Angesicht dieses – dieses ... persischen Traumes?

Alexandros hält den Atem an.

Das ist es.

Das ist er.

Sein Name ist Bagoas, so sagt der Fürst Pharnakes, der Alexandros begleitet, und er ist der Lieblingsknabe des Dareios. Oder er war es, denn Dareios ist auf der Flucht und wird vermutlich nie mehr diese Statt betreten.

Und alles gehört Alexandros, dieser Knabe auch, der sich vor ihm verneigt, mit einer Anmut, die mich schaudern lässt.

Bagoas.

Gift in meinen Adern, das zu fließen beginnt.

Ich sehe Alexandros, ich sehe seine Augen, ich sehe Begierde in ihnen, und ich weiß, dass ich jetzt nicht mehr auch Alexandros bin, denn ich möchte nicht mehr hier sein, ich möchte weit weg sein. Weit weg von Bagoas.

Es ist wie ich es ahne: In der Nacht lässt mich Alexandros rufen.

Er ist nur mit einem Mantel bekleidet, einem roten Mantel mit goldenen Stickereien, die zu seinem goldenen Haar passen, und er reicht mir einen Becher Wein.

„Mein Hephaistion...“ sagt er, und ich weiß, was er sagen will, bevor er es sagt. Ich nicke nur.

„Ich weiß, Alexandros...“ erwidere ich, und ich hoffe so sehr, in diesem Moment, dass er etwas anderes sagt als das, was ich meine zu wissen, doch er nickt nur und sagt: „Es tut mir Leid, Hephaistion... ich hoffe, es verletzt dich nicht, du weißt, dass ich dich liebe... doch ich gestehe, es verlangt mich nach dem Knaben, du hast ihn selbst gesehen... Hephaistion, möchtest du da sein, möchtest du dabei sein, wenn ich ihn holen lasse? Ich möchte keine Geheimnisse vor dir haben. Du bist ich, ich bin du. Lass ihn uns teilen. Lass ihn uns zusammen genießen. Er ist prachtvoll, er ist – „

Ich winke ab.

„Ich möchte nicht, Alexandros. Er gehört dir. Feiere mit ihm deinen Sieg...“
‚und nicht mit mir’, füge ich in Gedanken hinzu und der Wein schmeckt bitter auf meinen Lippen.

Ich sehne mich in diesem Moment danach, dass Alexandros den Kopf schüttelt, aufsteht, mich in seine Arme nimmt, mir sagt, dass er nur mich liebt, den anderen wegschicken wird, dass er die Nacht mit mir verbringen wird und alle Nächte, die kommen werden.

Doch er lächelt nur und sagt: „Ich wusste, dass du mich verstehst, mein Hephaistion... ich danke dir.“


Ja, ich verstehe dich, mein Alexandros.

Aber du – du verstehst mich nicht.

Ich stelle den Becher ab, stehe auf, gebe Alexandros einen Kuss auf die Stirn und verlasse sein Gemach, bevor er sieht, wie ich in Tränen ausbreche.

Das muss er nun wirklich nicht sehen, denke ich, als ich in den Garten gehe, in Nacht gehüllt, in dem wir ihn zum ersten Male sahen – Bagoas.

Nun ist der Garten leer und die Nacht ist warm und mein Herz ist eine schmerzende Höhle voller ätzendem Gift.

Bei allen Göttern... es tut so weh.

Ich wusste, dass so ein Tag kommen würde. Ich dachte immer, es sei der Tag seiner Hochzeit – unausweichlich – ich weiß es... aber ich wusste nicht, dass ein haarloser Knabe, der Männlichkeit beraubt, mir das Herz meines Geliebten nehmen würde. Ja, es ist nur Lust, sagt Alexandros, doch ich weiß, dass er niemals ohne Liebe tun würde, was er all die langen Jahre nur mit mir tat. Er kann es gar nicht – so ist Alexandros nicht. Er wird ihn lieben. Und ich – ich werde der „Alte“ sein, der Abgelegte – wie ein altes Gewand, das man noch liebt, weil Erinnerungen daran haften, das man nie weggeben würde, weil man es kennt, weil es vertraut ist, weil es ein Fänger der Zeit ist, eine Reminiszenz – aber dennoch abgelegt, ersetzt durch etwas Neues.

Das ist also der Tag. Oder die Nacht, besser gesagt.

Die Nacht, in der mich Alexandros wegschickt.

Ich frage mich, was ich hier möchte.

Warum ich hier her gegangen bin und nicht in mein Gemach.

Aber ich weiß es – unausgesprochen – ich möchte nicht alleine sein.

Nicht in all diesem orientalischen Pomp alleine mit mir selbst, wissend, dass wenige Türen weiter Alexandros ist... und ich nicht zu ihm kann.

Ja, er hat mir angeboten, „dabei zu sein“... dabei zu sein. Bei was? Dabei, wie er den persischen Knaben auszieht, sich an ihm weidet, an dem makellosen Körper, an der samtigen Haut, wie er ihn streichelt, kost, küsst, wie er ihn – liebt?

Und lieben wird er ihn, zweifelsohne, lieben und sich verlieben.

Schon alleine, um Dareios zu übertreffen und der neue König von Persien zu sein.

Königlich wird er sich fühlen, mit dieser Edelhure in seinem Bett... nichts anderes ist Bagoas, und nichts anderes gebührt ihm... nicht mein Alexandros, mein Achilles, der Freund meines Herzens, der Geliebte meiner Seele...

Ich Narr!

Sieh her, was der Geliebte deiner Seele tut. Er holt sich seine Lust woanders. Dein Herz ist ihm egal, jetzt, da er den persischen Knaben hält.

Ich weise diesen bösen Dialog aus mir, die Stimme, die mir sagt, dass ich Alexandros verloren habe, und ich schließe meine Augen, die eh schmerzen vor Weinen. Wie Sand, garstiger kleiner harter Sand, der sie gefüllt hat, verdorrt und wund.

Ich kann nicht hören, wie sich jemand leise zu mir begibt, wartet.

Es ist seine Anwesenheit, die ich spüre, weniger sein Kommen, das ich nicht hörte.

Eine Hand legt sich auf meine Schulter, zunächst federleicht. Es erschreckt mich nicht, ich habe die Person gefühlt.

Alexandros, denke ich, doch ich weiß, wenn ich mich umsehe, wird es nicht Alexandros sein.

Er kann es gar nicht sein, es sei denn, sein neuer Bettgefährte hat Kopfschmerzen oder ähnliches Gebrechen vorgetäuscht und Alexandros sieht sich reumütig nach mir um, dem alten so gut passenden Mantel...

Nein, nicht Alexandros, weiß ich, als der Griff etwas fester wird und die Wärme, die von dem Körper hinter mir ausgeht, deutlicher. Heiß, richtig heiß ist er, fühle ich, und ich bin geneigt, wer immer es ist, mich an ihn zu lehnen, allein dafür, dass er jetzt hier ist, bei mir, dass er meine Einsamkeit teilt und mich mit seiner Anwesenheit tröstet.

Wer auch immer es sein mag.

Will ich es überhaupt wissen?

Ich gehe vorsichtig einen Schritt rückwärts, bis ich seine Brust spüre.

Wärme.

‚Wer bist du?’ frage ich mich in meinem Innersten, und ich lehne mich nun tatsächlich zurück, lasse meinen Kopf an seine Schulter sinken und Finger streichen durch mein Haar, vorsichtig, zärtlich.

Ich schließe meine Augen.

Wer auch immer er ist, es ist gut, dass er da ist.

Ich möchte nicht weinen und schlucke meine Tränen und eine Hand berührt meine Wange, die, die noch schmerzt von dem Schwerthieb, sanft streicht jemand darüber, genau über meine Schramme, ich zucke leicht zusammen und er lässt ein „Shhhhhht.....“ hören, das sich tröstlich anhört, so tröstlich....

Es ist schwer, nicht zu weinen.

Zu wissen – da ist jemand – und es ist nicht Alexandros.

Es war immer Alexandros – seit meiner Kindheit, seit meiner Jugend. Mein Herz war immer das Seine, und immer war ich sein Liebster, sein Freund, sein Ein und Alles, eben sein Hephaistion.

Bis auf heute Nacht – heute hat er mich verlassen, für einen Eunuchen mit langen schwarzen Haaren und geilem Blick – und ich lehne meinen schmerzenden Kopf an eine fremde Brust, lasse meine Wunden von jemandem berühren, den ich nicht einmal ansehen möchte – höre tröstende Geräusche von einem Mann, der nicht der Meine ist.

Wie schnell er da war – der „andere“.

Hat er darauf gewartet – oder ist es Zufall?

Ich weiß es nicht, ich weiß ja noch nicht einmal, wer es ist.

Möchte ich es wissen?

Er zwingt mich nicht, ihn anzusehen, er ist einfach nur da. Er legt jetzt einen Arm um mich, spürt, dass ich zittere, und er hält mich fest.

Seinen Kopf hat er an die Seite meines Kopfes gelegt und ich spüre – seinen Bart.

Und ich wage, seinen Arm näher zu betrachten, und nun weiß ich, wer es ist.

„Spiel bitte nicht mit mir, Kleitos...“ flüstere ich und seine Antwort ist ein sanfter Druck seines Armes, der mich hält, und ein Kuss auf meine Schramme, so sanft wie der Schlag eines Schmetterlingsflügels.

Wir verharren.

Es geschieht nichts, außer dass die Zeit voranschreitet und ich seinen Atem an meinem Ohr höre, ruhig, beruhigend, nahe.

Er spricht nicht zu mir und ich richte das Wort nicht an ihn.

Ich wende mich nicht um und ich versuche mich nicht zu rühren.

Irgendwie möchte ich versteinern – in diesem Moment – nie mehr etwas fühlen, vollkommen leblos sein, funktionieren, mehr tot als lebendig, und ich versuche diesen Zustand zu erreichen, indem ich mich nicht bewege.

Doch meine Gedanken sind lebendig, und sie drehen sich um Kleitos.

Wieso er?

Wieso kommt er hier her, oder kam er mir nach, und wieso hält er mich, sagt nichts zu mir, ist einfach nur da?

So selbstlos wird das nicht sein, überlege ich, und sein Arm ist das Einzige, was ich jetzt in diesem Augenblick habe, und auch das Einzige, was ich will.

Er ist Alexandros treu ergeben. Er war der Freund seines Vaters und er ist der Freund Alexandros’. Er hat ihm am Granikos das Leben gerettet – ohne Kleitos wäre Alexandros nicht mehr. Und nun ist er hier, bei mir, und im Begriff, mich zu trösten.

Nie fiel mir auf, dass er etwas für mich empfand. Im Gegenteil, ich hatte immer den Eindruck, er hasste mich. Oder habe ich alles falsch verstanden? Was geht hinter seinen schwarzen Augen vor, was denkt und fühlt er wirklich? Oder ist das egal, im Angesicht des Momentes, der Nacht nun?

Vielleicht tue ich ihm einfach auch nur leid, überlege ich weiter. Er hat ja gesehen, wie Alexandros den persischen Knaben angestarrt hat und kann sich seinen Teil denken. Und er weiß, wie sehr ich den König liebe... und wie sehr es mich treffen muss, dass ich nun verstoßen worden bin.

Müßige Gedanken, rede ich mir ein, es spielt alles keine Rolle mehr.

Ich spüre seine Lippen wieder auf meiner Wange. Warum tut er das? Warum küsst er mich – und warum ausgerechnet dort, wo’s so weh tut?

„Er ist ein Narr!“ antwortet mir Kleitos, der schwarze Kleitos, als ob er meine Gedanken lesen kann. „Er ist ein Narr, dass er dich heute Nacht nicht an seiner Seite hat – dich, der du so tapfer für ihn gekämpft hast. Du bist stark und mutig, Hephaistion – er müsste stolz sein darauf, dass du ihn liebst, dass du ihn erwählt hast. Ja, auch er ist stark und tapfer – doch nun liegt er in den Armen eines – eines... Dings!“ Kleitos spuckt das Wort aus, als sei es das Gift, das bittere Gift, das es eben ist.

Ich drehe mich um, wende mich ihm zu.

Seine Augen funkeln im Mondenschein, er sieht mich an – und er ist nahe, so nahe...

Ich schüttele den Kopf und seufze.

„Ich bin nicht mehr der, der ich war, Kleitos. Ich bin – beschädigt durch das Leben, durch die Zeit, durch den Krieg, ich bin nicht mehr, der ich einst war. Wir haben alle den Tod gesehen, du noch mehr als ich nun, und es hinterlässt seine Spuren. Wir leben noch, Kleitos... aber um welchen Preis.“

„Du weißt, dass dies erst der Anfang ist?“ Er sieht mich an, durchdringend.

„Für mich ist es jetzt schon das Ende. Heute Nacht – ist es das Ende von all dem, was ich je erträumte. Ich habe ein Leben mit ihm erträumt – als sein – Freund, sein Geliebter – sein Patroklos. Ich ahnte nicht...“

„Shhhhht....“ macht er wieder und legt einen Finger auf meinen Mund. „Sprich nicht weiter, Hephaistion, es bricht mir das Herz. Ich möchte nichts sagen, was ich einmal bereuen werde, aber ich möchte dir sagen, dass ich da bin – hier – und morgen – und wann auch immer du es möchtest... ich bin nicht Alexandros, aber ich bin Kleitos, und ja, du weißt, dass ich einen Geliebten habe, aber du weißt auch, von welcher Qualität diese Beziehung ist – und dass ich ihn für dich sofort wegschicken würde – auf der Stelle... und ich weiß, dass du Alexandros gehörst, mit Leib und Seele... doch gehört er dir auch? Was schuldest du ihm? Hephaistion, es ist erst der Anfang... von allem. Du sollst wissen, dass der schwarze Kleitos immer etwas für dich übrig hat – und das ist nicht nur der Rest, den ein anderer ließ, sondern es ist – alles. Ich habe über euch beide schon lange gewacht. Zunächst im Auftrag von Philippos, dann in meinem eigenen Auftrag. Doch Alexandros ist meiner Obhut entwachsen. Bleibst du, Hephaistion... du sollst es einfach wissen. Ich bin da. Und jetzt gehe ich – du weißt, wo du mich finden kannst...“

„Nein, geh nicht!“ sage ich, und meine Stimme hört sich fast verzweifelt an und ich bemerke gar nicht, dass meine Finger sich in seine Oberarme krallen, als ob er mich vor dem Untergang bewahren könnte, er allein, und er sieht mich an, mit diesen schwarzen Augen, und dann geschieht es, und es ist nur natürlich, dass es geschehen muss, weil ich mich mit allem, was ich bin, danach sehne... unsere Lippen verschmelzen zu einem Kuss, der alle Schattierungen des Möglichen abdeckt, von Zögern über Entdecken hin zu Zärtlichkeit, Leidenschaft und bloßer Gier. Ein Tanz der Gefühle, in langen Momenten ausgekostet, bis wir uns atemlos trennen und uns anstarren, und in unseren Augen steht die Frage: Und was nun....?

Wir schrecken zurück vor dem, was sein könnte, was in dieser Nacht seinen Lauf nehmen könnte.

Er wird wieder sanft und umarmt mich. „Komm mit mir mit“, sagt er dann, und ich folge ihm, folge ihm in sein Gemach, und dort umfängt mich die Nacht, sanft und Geborgenheit schenkend, als ich in seinen Armen einschlafe, ohne dass er mich auch nur noch ein weiteres Mal geküsst hat. Ich liege einfach in seinem Bett, er hält seinen Arm um mich geschlungen, und so schlafen wir ein, alle beide, geküsst von der Ruhe nach einem schlimmen Sturm.

Als es Morgen wird, lässt der König nach mir suchen und man findet mich auch – im Bett von Kleitos. Ich gedenke nicht, dem Diener, der mich anstarrt und ihn, Auskunft zu geben, was ich hier tue oder tat, ich stehe einfach auf – der Diener sieht ja, dass ich mehr oder weniger voll bekleidet bin und in meinem Gewand geschlafen habe – und wende mich Kleitos zu.

„Danke, Kleitos... danke....“ sage ich einfach und dann strecke ich meinen Arm aus und berühre ihn, meine Finger streicheln über sein Gesicht und er senkt seine Augen, und leise murmelt er: „Denk daran... ich bin für dich da. Wann auch immer, wie auch immer.“

Gerüchte entstehen – natürlich.

Und bald ist es Alexandros zu Ohren gedrungen, dass ich die Nacht in Kleitos’ Gemach und in seinem Bett verbracht habe.

Er lässt mich rufen, schickt alle weg, und dann sehe ich in seine Augen.

Was ich in ihnen lese ist Enttäuschung, Wut, Zorn und Gekränktheit.

„Warum hast du das getan, Hephaistion?“ fragt er mich, ohne Umschweife, und ich beschließe, nichts zu sagen, denn ich habe nichts getan.

„Warum???“ fragt er noch einmal, eindringlicher.

Ich schweige.

Dass er mein Schweigen als Schuldzugeständnis wertet, wird mir klar, als er auf mich zu springt und mich an der Schulter packt und schüttelt. Ich sehe unverhohlene Eifersucht in seinen braunen Augen aufblitzen und frage mich, was das soll. Er war es doch, der den persischen Lustknaben in sein Bett holte! Und ich? Ich habe nichts getan. Ich habe mir die Tränen trocknen lassen und einen lächerlichen einzigen Kuss von General Kleitos bekommen. Was ist das im Vergleich zu dem, was ER getan hat?

„Du hast mit ihm geschlafen!!!“ schreit er nun, jähzornig und unbeherrscht, und ich hoffe, dass niemand zuhört. Nicht, dass ich noch mehr Gerüchte fürchte, als eh schon im Gange sind, ich hoffe für ihn, dass ihn so niemand hört. So – unwürdig, so unbeherrscht.

Soll ich es zurückweisen? Würde er mir glauben? Oder soll ich Alexandros im Glauben lassen, dass ich mit Kleitos das Lager geteilt habe?

Ich spüre, wie in mir etwas zerbricht, wie ich etwas verliere, und ich schüttle den Kopf, in Verneinung der Anklage, und ich flüstere, denn laut zu sprechen vermag ich nun nicht: „Nein, Alexandros, du irrst dich, ich habe nicht mit ihm geschlafen. Nicht wie du, der du mit dem Lustknaben des Dareios das Lager geteilt hast. Ich habe es nicht getan, ich war dir treu.“

„TREU???“ schreit er und erhebt seine Hand und ich kann sie gerade noch abfangen, bevor er mir ins Gesicht schlägt.

„Ja, ich war dir treu, Alexandros. Es ist nichts geschehen. Ich wollte nur nicht alleine sein und die Albträume alleine ausstehen, die mir zeigten, wie du mit Bagoas zusammen bist, wie sich sein biegsamer Körper unter dir verrenkt, wie dich seine kunstvolle Zunge beglückt... ich wollte es nicht sehen, vor meinem inneren Auge, und dabei alleine sein... alles, was Kleitos tat, war mich zu halten in dieser furchtbaren Nacht, in der unsere Liebe entweiht hast!“

Jetzt war es draußen und ich sehe, wie er den Atem anhält.

Sein Gesicht ist puterrot, es bildet einen seltsamen Kontrast zu seinen goldenen Haaren, und er dreht sich um.

Ich presse meine Lippen zusammen.

Aus, aus, vorbei... jetzt ist es vorbei mit Achilles und Patroklos, und schuld ist diese Hure.

Und in diesem Moment bereue ich, dass ich nicht das getan hatte, dessen mich Alexandros beschuldigt hatte.



Ich beschließe eine neue Strategie zu erarbeiten.


Kleitos wird nun mein erklärter Feind sein.

Alexandros wird beruhigt sein und mich in Frieden lassen mit seinen Eifersuchtsattacken. Er wird weiterhin das Bett mit seinem Lustsklaven teilen und mich nicht mehr beachten, wenn er sich sicher sein kann, dass Kleitos und ich uns nun feindlich gegenüberstehen. Und ich werde keine Rücksicht mehr auf Alexandros nehmen – und vorsichtig sein, dass er mich nicht mit Kleitos zusammen sieht – er oder sonst wer.

Denn eines ist mir jetzt klar geworden: Zu Alexandros zurück führt kein Weg mehr.

Kleitos hält sein Versprechen.

Er ist da – wenn ich ihn brauche, und er versteht auch, weshalb wir in der Öffentlichkeit ab sofort erklärte Feinde sein müssen.

Die Blicke, die wir uns in Gegenwart der anderen Generäle zuwerfen, sind tödlich, und man sieht Alexandros an, dass er erleichtert ist. Was ihn allerdings nicht davon abhält, nun jede Nacht mit der persischen Hure zu verbringen.

Meine Nächte sind größtenteils einsam.

Bis auf die wenigen Nächte, wo wir es wagen, uns zu treffen – geheim und verkleidet zumeist, und nichts geschieht weiter, als dass wir irgendwo sitzen, Arm in Arm, zumeist schweigend, selten geschieht etwas, das darüber hinausgeht.

Er ist einfach da.

Und er hat seinen Knaben tatsächlich weggeschickt.

Er sagt, er möchte neben mir keinen anderen haben.

Ich glaube ihm – und ich sehe ihn auch niemals mit jemand anderem mehr zusammen.

Ich bin zu traurig, zu sehr gefangen in dem großen Verlust, den ich erlitt, um mehr von Kleitos zu wollen oder ihm mehr zu geben, und er weiß es und lässt mich. Er drängt sich mir nicht auf, seine Nähe tut mir gut, und allein zu wissen, dass er da ist lässt mich ruhiger werden, gelassener, ich spüre, wie ich wieder ich selbst werde.

Doch Alexandros’ ständig misstrauisches Auge liegt immer noch auf uns.

Kleitos ist entsetzt, als ich ihm sage, dass ich einen sichtbaren Beweis dessen brauche, wie sehr er mich verabscheut. „Ich kann das nicht...“ sagt er und ich bin fast geneigt, meinen Plan zu ändern, doch ich möchte die absolute Sicherheit. „Du musst es tun, Kleitos...“ flüstere ich und lege noch einmal dar, was er tun soll: Beim Empfang in Baktrien soll er mich anrempeln, ich werde mich wehren, und dann soll er mich schlagen – ins Gesicht, mit seiner Faust, und er soll so zuschlagen, dass ich Spuren davontrage.

Jeder soll es sehen, es soll öffentlich sein.

Jeder soll denken, dass der Schwarze Kleitos den Hephaistion hasst – bis aufs Blut.

Vor allem soll es Alexandros sehen.

„Ich möchte das nicht!“ widerspricht er erneut, und ich sehe ihn an und ich weiß, es muss sein. Niemand darf je erfahren, dass wir uns treffen. Niemand darf je wissen, dass er seine Hand in meine legt, dass sein Kopf an meiner Schulter ist, dass meine Finger durch seine schwarzen Haare gleiten, dass Kleitos und Hephaistion.... dass sie sich mehr sind als Freunde. Dass sie überhaupt Freunde sind. Niemand darf das wissen. Immer noch sehe ich Alexandros’ Hand, gegen mich gerichtet, seine rasende Eifersucht.

Der Tag kommt, und die Musik ist betörend, der Wein ebenfalls, und Kleitos stößt gegen mich, lacht provozierend, und ich lächle zurück und drücke ihn weg, und er kommt zurück und ich kann seine entsetzten Augen sehen, als er zuschlägt – und ich schmecke Blut, meine Lippe ist aufgeplatzt, ich muss ihn zurückhalten, dass er nicht auf mich zustürzt, um mich zu halten, mich zu versorgen – ich schicke ihn weg mit eisernem Blick und entschwinde, nachdem ich sicher gehe, dass mich möglichst viele gesehen haben.

Draußen wartet er schon und ich gehe an ihm vorbei, keinen Blick schenke ich ihm, und erst, als wir sehr weit weg sind von allem, lasse ich zu, dass er mich in seine Arme zieht und genau das tut, was ich wusste, dass er tun würde: Er küsst mir das Blut von den Lippen.

„Hephaistion...“ sein Atem geht schnell, und er ist eng bei mir, an mir – zu eng, zu nahe, ich kann ihn spüren, ich weiß, was er fühlt, aber ich bin noch nicht bereit und ich schüttle den Kopf, mache mich los von ihm.

„Ich liebe dich...“ sagt er und in meinen Augen steigen Tränen auf, als ich höre, wie er es sagt, und ich wende mich wieder zu ihm, lege meinen Finger über den Mund und antworte ihm: „Ich weiß, Kleitos... ich weiß.... ich liebe dich auch.“


Ich habe es gesagt, schießt es mir durch den Kopf, und es war so natürlich, so folgerichtig, und so passend. Ja, ich liebe dich, denke ich, als ich ihn ansehe, und ich verachte mich innerlich dafür, dass ich immer noch nicht bereit bin für dich. Immer noch besitzt mich Alexandros, obwohl er mich seit Monaten nicht mehr berührt hat.

„Ich werde heiraten!“ verkündet Alexandros und seine Augen leuchten.

Wir sind alle versammelt – alle Generäle des Königs, und ich sehe in den Augen der meisten blanke Ablehnung und Unverständnis.

„Aber – sie ist eine Barbarin!“ wagt Parmenion einzuwerfen, und Alexandros greift ihn sogleich heftig an.

Kleitos’ schwarze Augen funkeln. Ich weiß, er wird gleich etwas sagen, er kann sich nicht beherrschen. Unsere Blicke treffen sich kurz, ich versuche ihm nicht zu erkennen zu geben, wie sehr mich Alexandros’ Entscheidung trifft, obwohl ich so etwas hätte ahnen müssen, und so erklärt Kleitos schließlich, dass eine Heirat angebracht wäre, aber doch wohl mit einer Makedonin.

Ich bin überrascht über sein Argument, ist doch weit und breit keine Makedonin anzutreffen in diesen Landen, und frage mich, warum er das gesagt hat, doch ich werde erst später erfahren, was ihn dazu bewegte.

Kleitos wollte mich vor erneutem Herzeleid bewahren, in dem er die Hochzeit versuchte aufzuschieben.

Aber es lässt sich nicht aufschieben und Alexandros tut das Unvermeidliche – er heiratet ein unbedeutendes Mädchen namens Roxane, die die Ausstrahlung einer Viper und den Körper einer Pantherin hat.

Ich starre sie an bei der Hochzeit und ich schiebe das kleine Päckchen zwischen meinen Händen hin und her, das einen Ring beinhaltet, den ich damals in Ägypten erwarb – ein Liebespfand für meinen Alexandros, doch nun... alles ist vorbei, denke ich, und ein letztes Mal schleiche ich mich zu ihm, in wahnwitziger Hoffnung, dass er mir sagt, dass er mich liebt, dass nur mir sein Herz gehört...

Er nimmt den Ring und er umarmt mich, er ist gerührt... und ich rede wirres Zeug, wie ein Schuljunge, wie immer, und er sieht mich an, und in seinem Blick ist Mitleid. Das ist also geblieben von unserer Liebe – Mitleid. Er weiß, dass er mich jetzt wegschicken muss, und dass er das Bett mit Roxane teilen wird, so wie er es die Nächte zuvor, lange dunkle Nächte, mit Bagoas geteilt hat, und bevor er sagen kann, dass ich gehen soll, erscheint SIE und ihr Blick ist hasserfüllt und ich weiche zurück... und Alexandros hält mich nicht auf, würdigt mich keines Blickes mehr, nur sie ist nun hier und er besänftigt sie, so höre ich noch, und ich höre auch ein Geräusch, und es ist der Ring, der von ihr weggeworfen wird und Alexandros bewundert ihre Tat, kann ich noch mit rauschenden Ohren und schwindender Kraft wahrnehmen...

Ich stolpere hinaus, weg, endgültig in die Nacht, weg von ihm, der mein Leben, meine Sonne war.

Und vielleicht hat es das gebraucht, diesen letzten Stoß in mein Herz, dass ich mich endlich Kleitos ganz zuwenden kann.

Er wartet schon, er hat es wohl gespürt, dass ich ihn heute besonders brauche, und er kennt meine Liebe zu Alexandros, die nie aufhörte – und das, obwohl sich mein Herz schon dem schwarzen General zugeneigt hat.

Nie hat er mich bedrängt, immer war er nur da, und jetzt sehe ich ihn an und schließe die Tür seines Gemaches hinter uns ab, dann tue ich, was ich für richtig halte, was ich tun möchte... ich öffne mein Gewand, ziehe meine Hose aus, und nackt stehe ich vor ihm.

Es braucht keine Worte, er weiß, was ich ihm damit sagen möchte, und seine Arme umfangen mich mit einer Stärke und Zärtlichkeit zugleich, dass es mir die Tränen in die Augen schießt. Er streichelt und küsst mich Richtung Bett, und ich schließe meine Augen und lasse mich fallen, in Kleitos’ Trost, in seine Wärme, in seine Anwesenheit.

Er sagt nichts. Er weiß einfach. Er zwingt mich nicht, Worte zu finden, die ihn enttäuschen könnten. Niemals würde ich ihn als billigen Trost ansehen, aber vielleicht fürchtet er dies und so verzichtet er auf jedes Wort. Ich erinnere mich an seinen Schlag in mein Gesicht, als er es mit Küssen bedeckt, und ich ahne, wie schwer es ihm wirklich gefallen sein muss. Er ist anders, als ich dachte, dass er ist. Er ist behutsam, vorsichtig, und fast muss ich ihn nötigen, endlich mehr zu tun, endlich nicht mehr so sanft zu sein, sondern mir das zu geben, was ich jetzt brauche – und er tut es, und er tut es so gut....

Noch nie war ich mit einem anderen Menschen – weder Frau noch Mann – so zusammen, außer mit Alexandros. Nie hat mich eine fremde Hand berührt, fremde Lippen geküsst, nie ist jemand in mich eingedrungen oder ließ mich in sich eindringen – außer Alexandros. Er war mein Erster und ich dachte, er würde mein Letzter sein, doch nun liegt Kleitos’ Arm um mich geschlungen und seine schwarzen Augen sehen direkt in meine Seele, in der ich Platz mache für ihn.

„Sprich mit ihm“, sagt er, endlich, und ich presse meine Lippen zusammen.

„Was soll ich ihm sagen, Kleitos?“ frage ich zurück. „Dass er mich freigeben soll? Dass er mit seinen ganzen Knaben, Frauen und was derlei noch mehr kommen wird, glücklich werden soll und auch mir meinen Frieden lassen möchte? Das wird er niemals tun, Kleitos. Eher lässt er uns beide töten, ist dir das klar?“

Kleitos seufzt.

Er weiß es, ja, so ist es.

Alexandros ist zu beschäftigt, um irgendwas zu merken oder um sich – anders ausgedrückt – um mich zu kümmern. Ist es nicht Roxane, mit der er sein Bett teilt, ist es Bagoas, und er vergisst nicht, mir ausdrücklich jeden Abend gute Nacht zu wünschen, ohne mich auch nur ein einziges Mal zu sich einzuladen, wie früher.

Es fällt mir nur auf – ich bedauere es nicht mehr.

Zu lange hat er mich im Schatten stehen lassen, zu lange hat er mich ignoriert.

Kleitos wartet sehr vorsichtig auf mich und wir tun alles, damit es nicht öffentlich bekannt wird. Er ist und bleibt ein Liebhaber, der sich ungeheuer viel Mühe gibt, und nach und nach verblasst die Erinnerung an Alexandros wie eine Blume, vergessen zwischen Papyros-Stücken.

Dürr und trocken wird die Erinnerung an die Zeit mit dem König, während zwischen Kleitos und mir etwas erblüht, was ich nicht mehr für möglich gehalten hätte – nicht nach Alexandros.

Wir sind nun in Indien. Zeit verging, lange Zeit, in denen Alexandros in mir nur noch den Freund sah, und ich habe mich ihm nicht weiter aufgedrängt. Er denkt sicherlich, ich habe mich damit abgefunden. Tatsache ist, dass er mir so fremd geworden ist wie kein anderer.

Er hat angefangen zu trinken.

Er rechtfertigt es damit, dass er dem Wasser nicht traut und daher seinen Wein nicht verdünnt, doch Tatsache ist ebenfalls, dass er es genießt, wenn Dionysos ihn in seine Arme schließt. Nacht für Nacht hält er Bankette ab, lädt indische Fürsten zu sich ein, lässt tanzen und singen, und jede Nacht sinkt er betrunken ins Bett, gestützt von Bagoas oder Roxane, beide diese Sitte verabscheuend, aber was sollen sie tun? Sie sind seine Werkzeuge, er befiehlt, sie gehorchen.

Ich sehe zu.

Ich weise ihn darauf hin, dass er zu viel trinkt.

Er lacht und schlägt mir auf den Rücken. Das ist also geblieben von meinem einstigen Liebhaber – ein betrunkener Barbar. Keine Zärtlichkeit mehr von dem gebildeten makedonischen Schüler des Aristoteles, pure rohe Gewalt, unkontrolliert, hässlich.

Kleitos und ich werden nachlässig. Wir beginnen, unvorsichtig zu werden, da wir denken, er ist zu sehr Dionysos’ Jünger, um überhaupt noch etwas zu merken. Und in einer Nacht vergessen wir gar, die Tür hinter uns zu schließen.

Er muss sich verirrt haben, weit weg von seinem Gemach.

Kleitos ist innigst mit mir verbunden, uns bedeckt keinerlei Laken, als er in das Zimmer eintritt und uns anstarrt.

Leugnen bringt in diesem Fall nicht viel, und so bleibt uns nur, uns eine Decke zu greifen und unsere Blößen zu bedecken.

Er ist geschockt.

Sein Blick ist vollkommen versteinert, sein Mund steht offen, er möchte etwas sagen, doch er bringt keinen Ton heraus, seine Augen wandern von mir zu Kleitos und von Kleitos wieder zu mir zurück und in diesem Moment denken wir, wir haben beide unser Leben verwirkt.

Doch welche Schandtat haben wir begangen?

Das Verbrechen, uns in Liebe einander zugewandt zu haben?

Wir haben es hinter seinem Rücken getan. Und ich kenne Alexandros’ Verfolgungswahn, seine Angst vor Verschwörungen. Mir fällt Philotas und die Pagenverschwörung ein, ausgerechnet in diesem Moment, und Parmenions Tod, und noch so manches mehr, als Alexandros wieder schwer ein- und ausatmet.

Kein Zweifel, er ist mit einem Schlag nüchtern geworden.

„Du Soldatenflittchen...“ sagt er, endlich, und selbst diese grobe Beleidigung ist eine Erlösung, denn die Stille ist gebrochen.

„Du kleine Hure.“

Die entehrenden Worte dringen nicht bis an mein Herz, denn ich weiß, wer es sagt, und warum.

Und ich weiß ebenso gut, dass ich der Chiliarch des makedonisch-asiatischen Reiches bin, sein Stellvertreter, und dass es der General Kleitos ist, der nun fast schützend seinen Arm um mich legt, als ob ich es nötig hätte.

„Du störst, Alexandros.“ sage ich, und meine Stimme zittert kein bisschen. Ich bin überrascht über mich selbst, aber zu lange habe ich geweint, zu lange Bagoas, Roxane und wie sie alle heißen, ertragen, und ich habe es nicht nötig, mich dafür zu rechtfertigen, dass Kleitos und ich ein Paar wurden. Es ist nur ZU gerecht.

„DAS sehe ich!“ schnappt er zurück und tritt noch einen Schritt näher, anstatt zu gehen.

„Alexandros. Beruhige dich. Das hier ist keine Verschwörung.“

„ACH NEIN?“ schreit er nun, und ich kann wieder sehen, wie so oft, wie seine Halsschlagader anschwillt, als ob sie bersten möchte. „Als was bezeichnest du dann deine kleine schauspielerische Einlage in Baktrien? Und du, Kleitos? Erinnert ihr euch? Ich habe es nicht vergessen! Was wolltet ihr mich glauben machen? Dass ihr euch nicht mögt? Glaubt ihr, ich habe das nicht geahnt, was wirklich zwischen euch läuft? Hephaistion, du hast mich so sehr enttäuscht! Ich habe dich geliebt, aber du – du bist nichts anderes als die Hure eines gewöhnlichen Soldaten! Du hättest den König haben können, MICH!!!“

„Ich hatte nur einen Schatten und einen Namen, Alexandros. Was ich wollte, warst DU. Aber DICH bekamen Bagoas und Roxane. Ich hatte nur dein Wort. Aber meine Seele war so kalt wie mein Bett.“

„Hephaistion...“ Kleitos ist besorgt, versucht meine Worte zu stoppen, doch ich habe genug und zu lange geschwiegen.

Und Alexandros hat genug gehört.

Ohne ein weiteres Wort an mich oder Kleitos zu richten verlässt er das Zimmer und schlägt die Tür hinter sich zu.

Die nächsten Tage und Nächte sind wie Fieber.

Ein Fest jagt das nächste, Alexandros trinkt wie ein Besessener, Bagoas bietet sich ihm nun geradezu öffentlich an, in obszönen und anzüglichen Tänzen, und Alexandros küsst ihn öffentlich.

Ich fühle mich gedemütigt, obwohl mir klar ist, dass ich nicht mehr zu Alexandros gehöre. Kleitos ist seltsam – wie verändert, nachdem uns der König zusammen gesehen hat und zur Rede stellte.

Er ist intensiver. Leidenschaftlicher, fast besitzergreifend. Es ist, als ob er nahenden Tod spürt und versucht, noch einmal so viel vom Leben mitzunehmen wie es geht. Auch ich fürchte um unser Leben, denn Alexandros richtet kein Wort mehr an uns, sieht uns mit eisigem Blick an, während er Bagoas zu sich zieht und seine Zunge tief in dessen Mund steckt – vor unseren Augen.

Besessen – so sind alle, und auch mich erfasst dieses Fieber.

Ich habe Angst, Kleitos zu verlieren. Er ist das Einzige, das mir noch blieb, in diesem fernen Lande. Es hat mich nie jemand gemocht – ich war immer „die Hure des Königs“, so nannten sie mich hinter vorgehaltener Hand, oder „sein kriechendes Hündchen“, oder noch schlimmeres. Niemand mochte mich, weil Alexandros mir so nahe war und ich Alexandros. Nun, da ich ihn verlor, ist Kleitos der Einzige, den ich noch habe. Alexandros hatte sich Bagoas, Roxane und dem Wein zugewandt.

Kleitos....

Ich trinke jede Minute mit ihm, jede Sekunde. In der Nacht weiche ich nicht von ihm weg, ich fühle mich erst ruhig und sicher, wenn er seinen Arm um mich gelegt hat oder ich meinen um ihn, und am liebsten würde ich fliehen, weit weg, doch das geht nicht, denn wir sind unter seinem Kommando, seine Generäle – und er wird sich rächen, ich weiß es.

Ich kenne Alexandros.

Ich kenne ihn – nur zu gut.

Ich weiß nicht, was er vor hat, doch er wird nicht mehr lange zögern.

Und so liebe ich Kleitos immer, als sei es das letzte Mal.


Heute Nacht tanzt Bagoas wieder für Alexandros.

Ich muss es mitansehen und Kleitos steht neben mir, seine Hand sucht die meine und ich bemühe mich, Alexandros nicht anzusehen.

Seine Augen sind bereits benebelt vom Schleier des Weines und er sitzt auf seinem Thron, mit gespreizten Beinen, Bagoas tanzt vor ihm wie eine billige babylonische Hure und ich kann sehen, wie es meinen König erregt.

Übelkeit steigt in mir auf und Kleitos flüstert mir etwas ins Ohr, was ich nicht verstehe bei dem Lärm der Trommeln und Pauken, aber den Kuss danach, den verstehe ich, und es ist mir egal, ich wende mich zu ihm und küsse ihn – auf den Mund. Kurz und schnell, ich muss mich vergewissern, dass er da ist. Dass er bei mir ist.

Natürlich sieht man uns, doch es ist mir gleich.

Alexandros’ Blick ist wie Stahl und er zieht Bagoas auf seinen Schoß, nachdem er den unsäglichen Tanz beendet hat, und küsst ihn, unter lautem Gegröle der Anwesenden.

Der Kuss ist lang und unanständig. Ich frage mich, ob er unter den Augen der Feiernden auch noch vorhat mit ihm zu kopulieren, doch plötzlich sagt jemand einen Trinkspruch und alle fallen mit ein und ein Tumult entsteht. Bagoas bringt einen Becher mit Wein und kniet vor Alexandros.

„So soll es sein!“ ruft der König. „Knie vor dem König!“

Ein Hoch-Ruf erschallt und Alexandros wünscht, dass alle vor ihm knien. Er sei schließlich der König und der Sohn des Zeus.

Und tatsächlich lassen sich einige seiner Freunde herab, vor ihm zu knien und ihm so Respekt zu zollen. Doch Alexandros’ Augen liegen nur auf Kleitos und mir.

Dann steht er auf.

„Was ist mit euch?“ fragt er in unsere Richtung.

Ich weiß, dass es jetzt gefährlich wird.

„Kleitos – tu, was er sagt, um aller Götter Willen!“ bringe ich fertig zu flüstern, dann erschallt schon die Stimme des Königs: „Hephaistion, mein Freund... mein Liebling... komm und knie vor mir, wie du es früher auch getan hast... zeig mir deine Liebe und deine Ehre.“

Ich sehe Kleitos verzweifelt an. „Ich muss es tun, Kleitos... er tötet mich, wenn ich es nicht tue! Er wird es als Hochverrat ansehen!“

Kleitos schüttelt seine schwarzen Haare. Seine Augen sehen mich flehend an, es nicht zu tun, doch ich möchte uns retten, ich möchte leben – mit Kleitos, ich will diese Nächte, ich will die Tage, und ich will noch mehr – wenn wir wieder zu Hause sind, zu Hause......

„Tu es nicht, Liebster, tu es nicht...“ sagt er, doch ich wende mich ab und trete vor Alexandros, der mich provozierend ansieht.

„Los, runter, Hephaistion... knie vor mir.“

Die Tage, in denen ich in Liebe und Zärtlichkeit vor ihm kniete, sind längst vergangen. Vergangen wie die Unschuld in meinem Leben, wie das Gefühl, ein Titan an der Seite eines Titanen zu sein, dem Achilles ein Patroklos, dem zärtlichen Liebhaber ein zärtlicher Geliebter. Ich beuge meine Knie vor einem Tyrannen, der betrunken auf einem Thron sitzt, der ihm nicht gebührt, und ich beuge sie in Zwang, nicht in Respekt.

Man tuschelt, Alexandros rührt sich nicht.

Ich hoffe, dass es damit genug ist und erhebe mich wieder.

Sein Gesicht ist versteinert.

„Und jetzt Kleitos.“

Ich gehe zurück, zu Kleitos, dessen Lippen zusammengepresst sind.

„Tu es, Kleitos, ich bitte dich. TU ES.“

Er schüttelt seinen Kopf, dann sagt er, laut und deutlich: „NEIN.“


Stille.

Alexandros wiederholt, was er will.

Und Kleitos verneint erneut: „Ich beuge meine Knie nicht vor einem Tyrannen! Falscher König, du, du zwingst die, die dich lieben, zu tun, was sie nicht tun wollen! Dein Vater, Philippos, hätte niemals eine so barbarische Sitte eingefordert, schon gar nicht von den Männern, die ihn zum König gewählt haben! Du bist eine Schande für das Land, eine Schande für deinen Vater, eine Schande für die Götter! Schäme dich, Alexandros, dass du uns so erniedrigst, so entwürdigst! Nein, ich werde mein Knie nicht vor dir beugen, ich habe dich auf meinen Knien gehabt, als du ein Kind warst! Diese Knie soll ich vor dir beugen? NIE IM LEBEN!“



Dann geht alles sehr schnell.

Alexandros reißt einem Soldaten eine Lanze aus der Hand und durchbohrt Kleitos.

Er durchbohrt, was mich gehalten hat, was mir Hoffnung geschenkt hat, er tötet den, der mich geliebt hat.

Ich kann es nicht verhindern, Alexandros ist zu schnell, und ich glaube, ich bin in einem Traum gefangen, der hoffentlich bald endet, doch als Kleitos zusammenbricht und ich einen letzten Blick aus seinen brechenden Augen erhasche, da spüre ich, wie in mir alles zusammenbricht und einen Moment denke ich daran, ihm sofort zu folgen, doch Alexandros hat etwas Besseres vor.


Er kümmert sich die nächste Zeit sehr rührend um mich, ist mir nahe, um mich herum, sucht Versöhnung mit mir, möchte mich vergessen machen, was geschehen ist.

Und es gelingt ihm. Ich fasse wieder Vertrauen zu ihm....

Doch dann werde ich krank.

Es ist Typhus, sagen die Ärzte....

Doch ich weiß es besser, denn Alexandros pflegt mich. Und jedes Mal, wenn er bei mir war, geht es mir schlechter.

Alexandros....

Ich weiß, was du mir gibst.

Es ist keine Medizin.

Alexandros.

Sag mir....

Warum?

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