Titel:
Geschichte für einen Toten Autor: Hephaistion
Ich sehe deinen Blick.
Genauer: Ich kann deinen Blick auf mir spüren.
Wie lange ist es her, dass ich es zum ersten Mal bemerkte?
Ich glaube, ich war noch ein Kind. Ein Knabe am Hofe von
Pella, und du warst einer der wichtigsten Freunde des Königs.
Damals
hast du mich so angesehen wie all die anderen Knaben am Hofe – abschätzig, fast
ein wenig generös, überlegen.
Wir waren Kinder in deinen Augen, du warst
ein Mann.
Und was für einer! Ich erinnere mich, wie ich dich heimlich
beobachtet habe. Ich wollte so sein wie du. Weißt du das eigentlich?
Ich wollte ganz genau so sein wie du. Hart, männlich, dunkel, verwegen,
mutig. Immer irgendein passendes Wort auf den Lippen, sarkastisch und
spöttisch, du hast nie Schwäche gezeigt.
Aber damals schon merkte ich,
dass ich dich nur bewundere, weil ich selbst so anders war als du. Damals schon.
Du warst Philippos ein Freund – nicht mehr. Du warst ihm ein Berater,
ein treuer, loyaler Gefährte, Führer seiner Reiter, du hast mit ihm getrunken,
bis du unter den Tisch fielst und ihn dort wieder fandest, und du hast ihn
unterstützt in allem, was er tat.
Aber du hast immer deine Liebschaften
gehabt, und es waren immer junge Männer – jung, aber schon Männer. Du nanntest
sie Knaben und hast sie damit in ihre Ränge verwiesen – nie hast du wirklich
Knaben begehrt, dazu warst du zu stark und zu hart – du hättest Knaben zerstört
mit deiner Art. Nicht, dass es in Makedonien nicht üblich gewesen wäre – aber du
wolltest dies nie. Und so blieben dir sicherlich auch meine Blicke verborgen,
die ich dir mit 16 oder 17 zuwarf... ich war für dich tabu, weil ich zu jung war
– und ich war für dich tabu, weil ich sein Freund war.
Irgendwann hat
sich das geändert, es hat sich alles geändert.
Ich erinnere mich genau,
wann es geschah.
Und es gehört nicht zu meinen ruhmreichen Erinnerungen
– jetzt erst traue ich mich darüber zu schreiben, es der kratzenden Feder und
dem geduldigen Papyros anzuvertrauen, jetzt, da du tot bist – und niemand wird
es je erfahren, denn in dem Moment, wo meine Geschichte geschrieben ist, meine
und auch deine, wird das Stückchen Papyros dem Feuer geopfert, ich werde
Hephaistos ein Geschenk machen, und mir diese unselige Leidenschaft aus der
Brust reißen, auf dass du für immer und ewig im Reiche des Hades sein wirst,
vergessen und keine Eurydike wird für dich herabsteigen, um dich zu befreien,
mein Orpheus... nein, vergessen will ich dich und alles, was mit dir
zusammenhing und noch zusammenhängt.
Ich muss es lesen, ich muss es
lesen, um es schwarz auf weiß zu sehen, um mir klar zu machen, dass alles
wirklich geschehen ist und um es auf immer zu vergessen.
Ich wollte,
nichts davon wäre geschehen!
Was würde ich darum geben, das Rad der Zeit
zurück zu drehen und alles ungeschehen zu machen. Wenn es ein Bad gäbe, das mich
reinigen könnte von dir! Von all dem, was du mir angetan hast, und ich habe es
zugelassen. Nein, ich wollte es. Bei allen Erynnien, die mich verfolgen, ich
wollte es, es war mein Wille. Ich wollte es vom ersten Augenblick an, da ich
dich zum ersten Mal sah. Und nichts konnte mich davon abbringen. Nichts. Nichts
konnte mich daran hindern, diese unselige Sache zu beginnen oder besser, sie zu
verhindern. Oder habe ich sie nicht begonnen, indem ich damals schon nach dir
sah? Ich hätte meine Augen bei mir behalten sollen und mich beherrschen, doch es
gibt Dinge, die sind stärker als ich. So viel stärker. Nicht einmal Liebe hielt
mich davon ab – nicht einmal das. Du warst so viel stärker als alles, was mir
heilig war. Du hast mir dein dunkles Geheimnis aufgezwungen, allein durch deine
Existenz. Wäre ich dir doch niemals begegnet!
Doch wie hätte ich mich
fern halten können von dir? Du warst überall. Zuerst warst du überall, wo
Philippos war, dann warst du überall, wo Alexandros war. Du warst
allgegenwärtig, und ich war es auch – wie hätten wir uns aus dem Weg gehen
können? Wie hätte ich meine Augen senken können, wenn du vor mir standst?
Ich habe es nicht geschafft, ich habe versagt.
Und das nicht nur
ein Mal.
Ich möchte vergessen.
Jetzt, da du tot bist, will ich
dich endlich vergessen. Ich werde erleichtert sein, wenn ich all dies
aufgeschrieben habe und meine Erinnerungen Gestalt angenommen haben, auf dass
ich sie vernichten kann.
Aber jetzt will ich mich zunächst
zurückbesinnen, mich erinnern an deinen Blick, und an den Moment, wo sich alles
änderte.
Es war damals, am Vorabend der großen Schlacht.......
Es war damals, am Vorabend der großen Schlacht...
Ich war bei
Alexandros, und ich sprach mit ihm. Der Himmel verfinsterte sich, der Mond
verdunkelte sich, und er hatte Angst, ich konnte sie greifen.
Wir alle
hatten Angst.
Und nichts war natürlicher, als die Angst zu teilen, und
bei dem zu sein, den man liebte.
Ich wollte bei Alexandros sein. Ich
wollte ihn im Arm halten, bei ihm sein, seine Stimme hören, vielleicht wollte
ich ihn lieben, ein letztes Mal, und so ging ich auf ihn zu, als ich ihn beten
sah.
Und er sprach mit mir.
Dann umarmte er mich – und ließ mich
alleine.
Er ging einfach, und er machte mir klar, dass er diese
vielleicht letzte Nacht nicht mit mir teilen wollte.
Er wollte allein
sein.
Er zog die Einsamkeit meiner Gesellschaft vor.
Mein Herz
zog sich zusammen und ich spürte in mir so viele Gefühle aufflammen...
Enttäuschung, Einsamkeit, Angst, Verzweiflung.
Und Trotz.
Mein
Trotz erwachte, als ich deinen Blick sah.
Du hast mich angesehen, wie
noch nie.
Oder es war mir noch nie aufgefallen, es durfte mir nicht
auffallen.
Deine schwarzen Augen haben mich durchbohrt und mir war, als
schlugen mir Flammen entgegen.
Es waren keine Worte nötig, du kamst auf
mich zu und ich blieb stehen, gebannt von dir, wie ich es immer war – wie das
Kaninchen vor der Schlange, die es fressen wird, und dennoch kann es nicht
fliehen.
Hätte mich doch Alexandros an diesem Abend nicht weg geschickt!
Alles wäre anders gelaufen.
So umfassten mich deine Arme, zogen
mich weg von den Augen der anderen.
Keiner sah, was wirklich geschah,
keiner sah, was du wirklich von mir wolltest, und in der Dunkelheit des
verdeckten Mondes verlor ich mich in meiner schwärzesten Phantasie.
Sie
wurde Wirklichkeit, als du mich in die Knie zwangst und ich mich nicht wehrte.
Ich konnte deine Verachtung für mich spüren, fühlen und mehr.
Du
hast mich benutzt, wie du irgendjemanden benutzt haben würdest, und es war dir
eine Genugtuung, dass ich es war, und dass ich es begehrte.
Du musst
mich lange beobachtet haben, um dir so sicher zu sein – du hattest lange Zeit
dazu.
Was ich tat, mit dir, hatte nichts mit Zuneigung zu tun oder gar
mit Freundschaft oder Liebe. Nie hasste ich dich mehr als in dieser Nacht, als
du mich deiner Lust unterwarfst, als du deine Möglichkeit wahr nahmst, als du
dich an des Königs Geliebtem vergriffest. Und ich habe es zugelassen! Warum,
weißt nur du, weil du meine Blicke aufgesogen hattest, seitdem ich begann, sie
dir zu schenken. Meine kranke Faszination für dich, für deine Dunkelheit, für
deine Stärke, sie war schuld daran, dass dies alles geschah, was in dieser Nacht
seinen Anfang nahm.
Ja, Kleitos...
Meine Gedanken
streichen über meine Erinnerungen wie die Feder über das Papyros kratzt.
Man nannte dich den Schwarzen Kleitos. Und schwarz, das warst du,
wahrhaftig... deine Haare glänzten wie das Gefieder eines Raben, selbst jetzt
noch, da du die 40 Jahre überschritten hattest und auf ein halbes Jahrhundert
zugingst, und dein Bart war schwärzer als der der Perser. All das gab dir dieses
verwegene Aussehen, das meine Augen von je her gefesselt hatte, und dann noch
deine eigenen Augen – dunkel und unergründlich. Irgend etwas war an dir, das
mich trotz besserem Wissen, trotz der Warnrufe meines aufgescheuchten Herzen,
das Alexandros gehörte, zu dir zog.
Hätte er es gewusst...
Ich
weiß nicht, was er getan hätte.
Mich verbannt?
Mich
zurückgeschickt?
Hätte er es als Verrat angesehen?
Seit dieser
Nacht verband dich, den Ersten General der Reiterei, und mich, des Königs
Geliebten, ein schwarzes Band, das du sorgsam geknüpft hattest.
Du hast
es gewoben aus jahrelanger Beobachtung, aus Rivalität, aus Verachtung und aus
dunkler Lust.
Denn verachtet hast du mich.
Du hast keinen
Zweifel daran gelassen, was ich in deinen Augen bin – vor allem nachdem du mich
weggestoßen hast in dieser Nacht, nachdem du deine Begierde an mir gestillt
hast, mit einer Geste, die unwürdig war, die mich in jeglicher Hinsicht
erniedrigt hatte – und nachdem du höhnisch gelacht hast. Und nie vergesse ich
deine Worte.
„Komm wieder, Knabe, wenn dich dein Herr vernachlässigt.
Der schwarze Kleitos hat immer etwas für dich übrig!“
Nein, diese Worte
habe ich nicht vergessen.
Sie haben sich mir unauslöschlich eingeprägt.
Ich habe gehofft, dass ich falle in dieser Schlacht. Dass ich mich
opfern könnte für den, den ich liebe, dem ich mein Herz geschenkt habe, als
Wiedergutmachung dafür, dass ich dir so verfallen war, so krank, so furchtbar,
so widernatürlich verfallen.
Was hast du mit mir gemacht, Kleitos?
Was war es, das dich dazu ermächtigt hatte, mich so anzuziehen, obwohl
ich wusste, wie sehr du mich verabscheust?
Vielleicht war es genau DAS.
Alexandros liebte mich zu sehr – und zu wenig.
Er liebte immer
jemanden mehr – ohne dies je zu sagen. Nein, gesagt hat er immer anderes: Ich
sei es, den er am meisten liebe.
Aber ich weiß es besser...
Es
gab immer jemand anderen.
Erst war es Olympias, seine Mutter, dann war
es Roxane, seine Frau. Ich war immer die Nummer zwei, ich war nie der Erste in
seinem Herzen.
Und das brachte mich dazu, mich selbst zu verachten. Ich
empfand mich nicht als wertvoll genug, Alexandros’ Herz als Einziger zu
besitzen. Ich war mangelhaft, nicht richtig, nicht liebenswert genug. Und du,
Kleitos, du hast es geschafft, mich für diese Mangelhaftigkeit zu bestrafen. Ich
selbst hätte mich niemals in dieser Art und Weise schädigen können, wie du es
getan hast. Du warst mein Werkzeug – du hast vollbracht, was ich nicht konnte.
Und du hast es so gut getan....
Es waren immer die Augenblicke, in denen
er mich wegschickte.
Und derer gab es viele.
Alexandros wollte
oft allein sein.
Allein mit anderen.
Bagoas.
Roxane.
Stateira.
Ich will nicht vorgreifen, aber
wenn ich an Bagoas denke, an unsere erste Nacht in Babylon... dann weiß ich
wieder, warum das alles geschehen ist.
Warum du so eine große Rolle in
meinem Leben gespielt hast, Kleitos.
Ich vermisse dich.
Niemand war entsetzter als ich, als dich Alexandros’ Speer durchbohrte.
Was soll ich ohne dich tun?
Wie soll ich die Einsamkeit
aushalten, wenn er mich nicht haben will?
Das Papyros geht zur
Neige, ich muss ein neues holen gehen... während ich noch einmal jung bin und
durch Babylons Tore schreite... zusammen mit dir.....
Es ist unglaublich.
Sie heißen uns willkommen, skandieren „Sikander!
Sikander!“ und ich bin gefangen in diesem Jubel, gefangen in der Kultur des
persischen Reiches, das mich vom ersten Augenblick an fasziniert.
Ich
beobachte dich heimlich, und ich kann in deinem Gesicht ablesen, was du darüber
denkst.
Ja, es passt nicht zu dir, nicht zu dir, Kleitos, dem Makedonen,
dem Harten, Schwarzen... es ist dir zu weich, zu schön, zu bunt.
Aber
Alexandros ist begeistert und ich teile seine Faszination.
Dann gelangen
wir in den abgeschlossenen Bereich, in dem sich nur die Frauen des Dareios
aufhalten – und Jünglinge, die zwar groß sind und erwachsen scheinen, doch kein
Bartschatten ziert ihr Gesicht, fast wie Frauen sehen sie aus und doch sind es
keine.
Mein Blick fällt auf einen – er ist wunderschön und ich sehe zu
Alexandros.
Auch er ist nicht blind und genau diesen hat er sich
ausersehen, ich weiß es genau, ich erkenne alle Zeichen des Interesses in seinem
Gesicht und meine Augen wandern – von diesem großen, braunhaarigen jungen Mann
zu Alexandros und schließlich bleiben sie bei dir hängen, Kleitos... auch dir
ist es nicht unbemerkt geblieben und du ziehst eine Augenbraue hoch, in meine
Richtung... und dein Mund verzieht sich zu einem spöttischen Grinsen.
‚Komm wieder, Knabe, wenn dich dein Herr vernachlässigt. Der schwarze
Kleitos hat immer etwas für dich übrig!’ hallt es in meinen Ohren und ich weiß,
dass du genau dieses denkst in diesem Augenblick.
Ich senke meine
Augen, ich möchte auf einmal wo anders sein – noch einmal jung, noch einmal
allein mit Alexandros, der noch kein König ist und dies alles hier....
Mein Herz zieht sich zusammen, als ich die Blicke sehe, die der junge
Perser Alexandros zuwirft und dann auch noch mir. Ja, ich weiß, du wirst diese
Nacht sicherlich mit meinem König verbringen, denke ich, innerlich seufzend, und
vermutlich die nächsten Nächte auch. Wieder jemand, der besser ist als ich,
schöner, jünger, passender...
Und die Nacht naht und Alexandros
versucht, es mir schonend beizubringen, als ich nach dem Nachtmahl noch Zeit mit
ihm verbringen will.
Er sagt etwas von er habe vor, zeitig zu schlafen,
und ich soll mich noch amüsieren, und er ziehe sich jetzt zurück... und ich
verstehe, mein Herz krampft zusammen vor Sehnsucht nach ihm, aber ich kann
nichts erzwingen, und so gehe ich, hinaus, verlasse den Saal, verlasse meinen
Stolz, als ich dich sehe in der Nacht, der du schon auf mich gewartet hast, wie
es mir erscheinen will.
Ich versuche meine Tränen zurückzuhalten, vor
allem, als ich dir gegenüber stehe.
Von dir habe ich kein Erbarmen und
keinen Trost zu erwarten – das weiß ich.
Und dennoch bin ich jetzt hier,
zu dir gekommen, und du verschonst mich nicht.
„Er hat einen hübschen
Knaben erwählt, Hephaistion...“ sagst du, und deine Stimme schneidet in mein
Herz. „Wisse – er ist ein Eunuch... er hat das nicht, was ihn zum Manne machen
würde. Alexandros scheint das zu mögen. Er mag mädchenhafte Knaben. Das erklärt
auch, weshalb er dich so lange mochte – aber nun, Hephaistion, wirst du
erwachsen, du bist erwachsen, Bart verunstaltet dein hübsches Gesicht, kaum,
dass wir einen Tag unterwegs sind – und dein Körper ist hart und voller
Muskeln... vergleiche dich mit ihm, Hephaistion! Er ist zur Liebe geschaffen, du
bist ein Krieger. Dein Herz aber ist weich wie das eines verliebten Mädchens.
Doch der, den du willst, der will dich nicht. Nicht mehr. Und du läufst hier
herum mit dem Herzen eines Mädchens und dem Körper eines Mannes. Was ist mit
dir, Hephaistion? Was willst du wirklich?“
Du hast so Recht, Kleitos!
würde ich dir am liebsten ins Gesicht schreien, doch ich schweige, ich höre zu,
ich schüttle meinen Kopf und zucke mit den Schultern.
Was du mir sagst,
ist richtig.
Ich sollte endlich erkennen, dass ich es nicht bin, den er
will. Nicht SO, wie ich ihn will. Er hat mich lange genug ertragen, doch nun
kommen andere, die besser passen, schöner sind, williger, anmutiger.
Was
ist, Kleitos? denke ich. Passe ich dir auch nicht? Nicht mal DAFÜR? Sieh her,
ich bin da... lass meinen Schmerz vergehen, der in meinem Herzen tobt, indem du
meinen Körper betäubst – was soll ich noch tun? Was soll ich sagen, dass du
endlich begreifst, was ich von dir will?
Und du begreifst...
Du begreifst so schnell, und so gut.
Du nimmst mich mit, in dein
Gemach, das dir Alexandros zugewiesen hat als ranghoher General, und als die Tür
hinter uns zuschlägt, da sehe ich das wilde Tier in deinen Augen, den bloßen
Hunger, und ich weiß nicht, was in mich fährt, da ich dich nun noch ermutige,
dich an mir auszutoben.
Die Spuren, die du diese Nacht auf mir
hinterlässt, vermischen sich unauffällig mit den Wunden, Kratzern, Hieben, die
ich noch von der letzten Schlacht her auf meinem Körper trage.
Ich lasse
es erst gut sein, als ich nicht mehr aufhören kann zu weinen.
Zeit heilt alle Wunden, und so auch
die, die mir Alexandros in Babylon schlug und die, die du mir zugefügt hast.
Ich weiß nicht, warum ich es wollte, aber ich weiß noch heute, dass ich
es brauchte.
Alexandros ließ Bagoas jede Nacht kommen, oder besser
gesagt, Bagoas war einfach da und ich kam nicht mehr – ich machte nicht mal mehr
den Versuch, zu ihm vorzudringen, sondern zog mich stets sofort zurück.
Du hast mich nie aufgesucht, Kleitos. Du hast immer gewartet, bis es für
mich unerträglich war, und dann kam ich – zu dir.
Du warst da.
Du hast jeden weggeschickt, wenn ich kam.
Niemand hat dir je das
gegeben, was ich dir gab – die Genugtuung, Alexandros zu treffen, indem du den
erniedrigst, der für alle offiziell der Gefährte des Königs war.
Ich war
es – nicht Bagoas, der Eunuch – er war im Bette des Königs, aber alle wussten,
dass ich sein Patroklos war.
Patroklos!
Welch Verspottung meiner
Liebe!
Ja, ich war Patroklos, doch er war nicht Achilles. Achilles hatte
niemals einen – einen...
Mir versagen die Worte, wenn ich an Bagoas
denke.
Ja, er war so schön.
Er ist es heute noch, und seine
Augen strahlen Traurigkeit aus, da er mich ansieht. Ich habe keine Ahnung,
warum, doch etwas ist in seinen Augen, das mich seltsam berührt. Es ist, als ob
er sich entschuldigen möchte, für seine Existenz – aber er IST da und ich bin es
nicht, in all diesen Nächten, an Alexandros’ Seite, die für mich kalt sind und
einsam, es sei denn, der Schmerz wird so groß, dass ich zu dir komme, Kleitos...
denn die Schmerzen, die du mir zufügst, machen mich taub für das, was in mir
tobt. Es ist gut, wenn etwas mehr weh tut als etwas, das unerträglich ist.
Du bist hart, du bist brutal, du bist unbarmherzig, und du hasst mich.
Du hasst mich zweifach: Für das, was ich bin – und für das, wer ich bin.
In mir kannst du ihn hassen, durch mich kannst du ihn verletzen. Und ich weiß,
dass du es eines Tages gegen ihn verwenden wirst.
Damals schon habe ich
diese Ahnung.
In Babylon, in unzähligen Nächten, die kalt und grauenvoll
waren, und ich mich herumwälzte, bis mein dumpfer Schmerz siegte und ich mich
dir zu Füßen warf, wieder und wieder, und du mich so zugerichtet hast, dass ich
nicht anders konnte, als mich tagelang zu verstecken.
Er hätte es
niemals bemerkt!
Er wollte mich ja nicht mehr.
Und unter langen
Gewändern ließ sich viel verbergen.
Ich begann, um meine Augen Kohle zu
schmieren – vielleicht mochte mich Alexandros mehr, wenn ich aussah wie sein
Gespiele, aber er lächelte nur und machte mir ein halbherziges Kompliment.
Dein Urteil war härter.
Ich weiß noch, was du gesagt hast, und
was du an diesem Abend mit mir gemacht hast. Wie könnte ich es
vergessen!
Kleitos, wie könnte ich dich vergessen.
Roxane.
Er musste sie haben, er war so verliebt, so versessen
darauf, sie zu ehelichen.
Bagoas machte nun die gleiche Erfahrung wie
ich – zumindest zunächst. Später dann hat sich Alexandros besonnen und das Bett
gleichermaßen mit ihm UND mit ihr geteilt.
Ich habe es nur
gerüchtehalber erfahren – denn ich war außen vor, ohne dass er sich auch nur um
mich scherte oder sich um mich kümmerte. Ich war sein guter Freund, sein bester
Freund, derjenige, der ihn am besten kannte, am besten verstand, derjenige, dem
er vertraute – aber ich war nicht mehr das, was ich einst war.
Ich war
nicht mehr in seinen Armen, in seinem Herzen, in seinem Bett.
Und nun
auch noch diese Frau.
Ich hasste sie vom ersten Augenblick an, denn ich
wusste, dass sie ihm etwas geben würde, was ich nie hatte geben können. Und das
wiederum vereinte mein Schicksal mit dem des Bagoas, denn auch er war unfähig,
dem König einen Erben zu schenken.
Die Hochzeit war ein einziger
Dorn, der sich hart und kalt durch mein Herz stieß.
Alexandros verliebt
– und ausgelassen – und ich im Hintergrund, ich versuchte zu lächeln, aber – es
erstarb mir im Winter meiner Seele.
Und ich fühlte deine Augen auf mir, erneut.
‚Siehst du?’
sagen sie, ‚nicht nur einen Knaben zieht er dir vor, auch eine Frau. Du hast
ausgespielt, Hephaistion, er hat dich nie geliebt, er wird dich nie lieben, du
bist nicht nur die Nummer zwei, du bist die Nummer drei – oder die Nummer null.
Einer wie andere.’
Ich schlucke meine Tränen, ich bin jetzt wieder dort,
wo er feiert, und ich sehe, wie glücklich er ist. In meiner Tasche ist der Ring,
den ich für ihn in Ägypten erworben habe... schon so lange möchte ich ihn ihm
geben, doch nie war der Zeitpunkt, und wenn nicht jetzt, dann nie...
So
schleiche ich mich in das Gemach, in dem er schon auf sie wartet, und er sieht
mich überrascht an, mein Alexandros – so nenne ich ihn noch einmal, heimlich,
für mich, schon lange wage ich ihn nicht mehr so zu nennen... – und streife ihm
den Ring über, und ich weine, denn ich weiß, ich habe ihn verloren, wenn nicht
in Babylon, so doch jetzt, und es ist ein Abschiedsgeschenk, doch er weiß es
nicht.
Er ist viel zu glücklich, er merkt gar nichts, und dann erscheint
auch noch sie und ich bin vergessen, ein Schatten, der verschwindet, der in die
Nacht verschwindet wie ein Nebel, und ich stolpere, ich bin blind vor Tränen,
und deine Arme, Kleitos, fangen mich auf, halten mich, während ich hemmungslos
weine, heule wie ein Kind.
Du bist seltsam.
Du zerrst mich
nicht an meinen Haaren in dein Gemach, reißt mir nicht die Kleidung vom Leib,
über die du dich höhnisch ausgelassen hast, zwingst mich nicht, vor dir zu
knien, schlägst mich nicht, zerreißt mich nicht.
Du nimmst mich in deine
Arme und drückst mich an dich.
Deine Hände streicheln über mich, während
ich schluchze, und du versuchst mich zu beruhigen.
„Kleitos...“ flüstere
ich. „Kleitos, tu mir das nicht an. Ich will dein Mitleid nicht.“
Nein,
das will ich nicht – dazu bin ich nicht hier, dazu habe ich dich nicht
ausersehen.
Du nickst und dann spüre ich wieder deinen festen Griff, den
ich ersehnt habe – du hast meine Haare um deine Faust gewickelt und stößt mich
so vor dir her, in die tiefe Nacht, und erst, als meine körperlichen Qualen so
groß werden, dass ich keinen Raum mehr habe, an das zu denken, was mich so
verletzt, erst dann kann ich vergessen und versuchen, mich von allem zu lösen.
Dein Ende...
Ich sehe es noch vor mir.
Du hast es gewagt, ihn
anzugreifen.
Du hast ihm deine Meinung gesagt – die des alten Recken,
des Generals, der bereits unter Philippos seinen Mann stand – und er wollte es
nicht hören.
Du hast ihm deinen Respekt verweigert und dich in Rage
geredet... und dich um Kopf und Kragen.
Ich fürchtete um dein Leben,
Kleitos... ich fürchtete darum und ich rief mehrfach Alexandros’ Namen, doch er
hörte nicht, er war blind vor Zorn, rot wie Blut war seine Sicht und ich sehe
dich jetzt noch, wie du auf mich zeigst, und mich „Kriecher!“ nennst... obwohl
du es besser weißt, obwohl du weißt, wie ich mich gewehrt habe, auf meine Art,
auf eine Art, die Alexandros tief getroffen hätte, hätte er es je erfahren...
Er hat es niemals erfahren.
Selbst jetzt weiß er es noch nicht,
dass ich mich zu dir geschlichen habe, um meinen Schmerz zu betäuben, indem ich
mich von dir demütigen ließ. Er weiß nicht, dass nur deine Gnadenlosigkeit die
Verletzungen, die ich durch seine Lieblosigkeit erlitt, geheilt hat.
Er
weiß es nicht.
Er wird es nie erfahren – in seinen Augen werde ich immer
derjenige sein, der still und klaglos an seiner Seite ausgeharrt hat, obwohl er
mein Herz mit Füßen getreten hat. Er weiß nicht, wie ich mich gerächt habe – und
wie ich mich selbst bestraft habe dafür, dass ich ihn so liebe.
Selbst
jetzt – er sieht mich einfach nicht.
Jetzt ist es Stateira, die ihn
blendet, und Bagoas darf hin und wieder zu ihm gehen – aber ich, ich bin der
General, der Vizekönig, der Chiliarch – hoch geachtet und gefürchtet unter allen
anderen, sie hassen mich – und der einzige, zu dem ich gehen konnte, der ist
tot...
Kleitos, du bist tot, und du hast unser Geheimnis mit ins Grab
genommen.
Du hast es in deiner Hand gehabt, es ihm ins Gesicht zu
schmettern – wie leicht wäre es gewesen, ihm auch noch das zu sagen.
„Dein geliebter Hephaistion – fragst du dich nicht, was er tut, während
du mit deinen orientalischen Geliebten die Nächte verbringst? Fragst du dich
nicht, wo er ist? Frag ihn – frag ihn, wo er ist in all diesen Nächten, frag
ihn, wer ihn wund küsst, wer es ihm besorgt, frag ihn, wo er hingeht, wen er
anbettelt, ihm weh zu tun, ihn zu kratzen, zu beißen, zu schlagen.. frag ihn,
FRAG IHN!“
Oh, Kleitos, es wäre so einfach gewesen.
Das wäre
dein Triumph gewesen.
Doch du hast geschwiegen.
Meine Augen
gehen über, wenn ich daran denke.
Du hast mich mehr geliebt als er mich
– du hast mich geschützt, indem du geschwiegen hast.
Du hast mich nicht
gehasst, Kleitos.
Du hast mich geliebt.
Und ich habe dich
geliebt, schwarzer Kleitos.
Ich habe versucht, es zu verhindern. Ich
wusste, ein Wort mehr von dir, und Alexandros wird handeln. Er hat dich gewarnt,
Kleitos – er sagte dir, geh, oder dein Leben ist zerstört... und du hast nicht
hören wollen, hast weiter gesprochen, und dann stand Alexandros auf, ich hielt
ihn fest, versuchte ihn abzuhalten, er hätte dich mit bloßen Händen getötet,
Kleitos, hast du es nicht gesehen, dieses Leuchten in seinen Augen? Diese Wut?
Weißt du nicht, wie sehr du ihn an seinen Vater erinnert hast?
Oh doch, genau das wusstest du, deshalb hast du dies alles ja
gesagt.
Ich kenne dich, mein Kleitos... du hast immer das Rechte gesagt
und getan. Du wusstest, wie man trifft – wie man verletzt – wie man tötet...
Nur vor dich selbst hast du dich nicht retten können.
Kleitos...
Er entgleitet mir, ich kann ihn nicht mehr halten, es ist rasend vor
Zorn, Kleitos.....
KLEITOS!!!!!
Ich sehe jetzt noch, wie
Alexandros’ Lanze durch dich hindurchgeht, wie er dich aufpfählt, dich
ermordet... und wie ich nicht fassen kann, was geschieht...
Du bist tot,
Kleitos, und niemand wird so sein wie du, niemand, nie.
Ich vermisse
dich so, Kleitos.....
Ich vermisse dich unendlich.......
Das Papyros sinkt nieder in meiner Hand.
Ich starre
auf das Feuer, das vor mir brennt, im Kamin, ich werde nun aufstehen und alles
verbrennen, was mir jemals teuer war.
Wenn ich es verbrannt habe, ist
alles weg – jede Erinnerung an dich, mein Kleitos.
Wie soll ich ohne
dich weiter leben?
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