Titel: Geschichte für einen Toten - Epilog
Autor: Hephaistion


„Das habe ich alles niemals gewollt, Phaistion!“ sagst du auf einmal, hinter mir, ich habe dich gar nicht bemerkt, wie du eingetreten bist.

Und ebenso wenig habe ich bemerkt, wie du hinter mir standst und alles gelesen hast.

Alles, was ich schrieb, über Kleitos, über – alle, über alles.

Und deine Stimme klingt gebrochen, als du deine Arme um mich legst und deinen Kopf an meinen schmiegst.

„Hättest du doch geredet, Phaistion! Warum hast du still gelitten, anstelle zu mir zu kommen und mir all das zu erzählen?“

Ich ziehe ihn zu mir und sehe in seine Augen, die nass sind vor Tränen.

„Wie kann ich das alles nur gut machen, Phaistion? Wie kann ich all das Leid, dass ich dir verursacht habe, wieder gut machen? All die Tränen trocknen, die du wegen mir vergossen hast...? Ich würde es so gerne, glaub es mir... mir ging es nicht anders, ob du es glaubst oder nicht...“

„Dir?“ frage ich ungläubig, und du nickst, wischt die Tränen weg und streichelst meine Haare, die mir wohl wirr ins Gesicht hängen.

„Ja, mir ging es nicht anders – nur von der anderen Seite her. Glaub mir, auch ich habe gelitten. Und vor allem – ich wusste nicht, was ich tun sollte, um dir nahe zu kommen. Du warst so fern, und oft so feindlich... und mit Kleitos, das wusste ich. Ich habe dich beobachtet, du hast es sicherlich nicht bemerkt. Ich habe euch beide beobachtet... immer wieder, ich war dein Schatten... und ich habe mit dir gelitten.... aber ich wusste nicht, warum du es tust, warum du dir das alles von ihm hast gefallen lassen... und dass ich daran schuld war! Phaistion, es tut mir mehr leid, als ich sagen kann... und ich will, dass das endlich vorbei ist, dass keiner von uns mehr leiden muss, dass – wir...“

Ich beende sein Gestammel, indem ich ihn küsse, tief und fest, und mich frage, wie blind ich eigentlich war, all diese Jahre.

Wie konnte ich ihn nicht sehen – wie konnte ich nicht erkennen, was er fühlt? Wie egoistisch war ich?

Aber das ist jetzt vorbei, schwöre ich mir, da ich ihn nun hier habe, und als wir uns nun zum ersten Male lieben, da ist es richtig und gut, und es erscheint so, als hätte es so sein müssen von Anbeginn an, dass in einer anderen Zeit und an einem anderen Ort alles anders gewesen wäre – dass uns beiden viel Leid erspart geblieben wäre, wenn...

Wenn ER nicht wäre.

Und während ich in den Armen dessen vergehe, der mir so viel Leid angetan hat, und es gar nicht wollte, während dessen reift in mir ein unglaublicher Plan.

Unaussprechlich.

So unaussprechlich, dass ich kaum wage, ihn nachher damit zu behelligen, aber es muss sein.

Er sieht mich an, mit diesen wunderschönen großen braunen Augen, und in ihnen erkenne ich Liebe, ungeteilte, pure Liebe.

Und ich möchte es hören, ich muss es wissen, bevor ich mich ihm anvertrauen werde.

„Liebst du mich?“ frage ich ihn, und er nickt, fast wieder den Tränen nahe. Doch ich will mehr wissen, das reicht mir nicht. Noch traue ich ihm nicht gänzlich.

„Liebst du ihn auch?“

Die Frage steht ihm Raum, und er zögert keine Sekunde und schüttelt heftig den Kopf.

„Was ist es dann, was dich zu ihm zieht, Bagoas?“ Ich will es wissen, ich habe das Recht da drauf, nach all diesen Jahren, nach allem Unglück.

„Er ist mein Herr“, antwortet er mir, einfach und schlicht, und er neigt den Kopf, als er weiter spricht. „Er ist mein König, und ich diene ihm. Und ich war es gewohnt, in jeglicher Form zu dienen. Mich fragte niemals jemand, ob ich dies wollte oder nicht – ich diente – mit meinem Körper. Nie diente ich mit meiner Seele. Ich behielt sie für mich – bis ich dich sah, zum ersten Mal, damals, in Babylon. Als dich Sisygambis für den König hielt... und auch ich. Ich spürte, wie mein Herz dir zufiel, doch du warst nicht der König, sondern ER... und ich wusste ebenso genau, dass dein Herz Sikander gehörte. Bis ich dich mit Kleitos sah – da war ich verwundert. Aber ich wusste nicht, warum du das tatest. Ich dachte, du wärst ganz und allein seiner... aber nun, da ich las, verstehe ich. All die Nächte, Phaistion – ich hatte keinen Augenblick Glück darin, und du warst einsam – er hat uns beide unglücklich gemacht.“

Ich zögere immer noch.

Doch dann fasse ich mir ein Herz.

Ich breite den Plan vor ihm aus, der sich mir aufdrängte.

November : Hephaistion stirbt in Ekbatana.
Juni ein Jahr später.: Alexandros stirbt in Babylon


Bagoas lächelt, als er zu mir unter die Decke schlüpft.

Wir sind in Samarkand.

Keiner kennt uns, keiner behelligt uns.

Das Gold, das wir mitnahmen, reicht, um uns ein angenehmes Leben zu ermöglichen.
Hier, in Samarkand, ist alles möglich. Wir sind bescheiden, und wir leben.

Und wir lieben.

Es gibt niemanden mehr, der uns vor sich knien lässt. Es gibt niemanden mehr, den wir König nennen. Der König ist tot, und wir alleine wissen, warum er starb.

Das Gift, das mir Bagoas verabreichte in Ekbatana, wirkte lange genug, um mich tot erscheinen zu lassen, und kurz genug, um mich fliehen zu lassen. Der Leichnam, den Alexandros mit großem Pomp verbrannte, war der eines Dieners, der zufälligerweise auch gerade gestorben war.

Bagoas lebte noch 8 Monate an Alexandros’ Seite, während ich bereits in Samarkand auf ihn wartete. Dann starb Alexandros, und das Gift, ihr Erynnien, das habe ich bereitet. Denn stets waren Gifte und Tränke meine Kunst, ich habe nie aufgehört, mich damit zu beschäftigen. Die Naturwissenschaften ließen mich niemals los.

Und Bagoas, mein kleiner, schöner, geliebter Bagoas, hat ihm den Krater gereicht, aus dem er gierig den Wein trank... vermischt mit dem besten und tödlichsten und unnachweisbarstem Gift aus meinem Schränklein.

Ja, er sah zu, wie sein Herr starb – und vielleicht hat er es diesen einen Moment bereut, aber er ließ sich nichts anmerken.

Alexandros sank mit einem lauten Schrei zu Boden, ließ das Gefäß fallen und stand nie wieder auf.

Wie ich höre, wird heute noch darüber gerätselt, wie der große Alexandros, so nennt man ihn jetzt, zu Tode kam.

Wie auch immer – ich habe damit nichts zu tun, denn ich war schon vorher tot.

Ich war schon Jahre vorher tot.

Allein Bagoas erweckte mich wieder zum Leben – und der unglückselige Kleitos, die Götter mögen ihm gnädig sein in den ewigdunklen Hallen – aus dessen Händen ich den Schmerz empfing, der mich lebendig sein ließ.

Alexandros hat seinen Ruhm – und ich habe meine Liebe.

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