Titel:
Heimat Autor: Hephaistion
„Was ist Heimat, Ptolemaios? Wo ist zu Hause?“
Alexandros zog den Schal
tiefer in sein Gesicht, als er über die Berge des Hindukusch sah.
Weites Land, wohin auch sein Auge blickte, und
Unendlichkeit.
Nirgendwo war das angebliche Ende der Erde zu sehen, das
Aristoteles gelehrt hatte, es ging immer weiter, immer weiter... und es hörte
nicht auf. Die Welt schien unendlich zu sein, und nie kam Alexandros an ein
Ziel, an dem es sich lohnte zu verweilen.
Ptolemaios schwieg, fand keine
Antwort.
Schließlich versuchte er es damit: „Ich habe meine Heimat,
glaube ich, in Alexandria gefunden. Dort ist es immer warm und Thais liebt diese
Stadt... ich möchte dorthin zurückkehren, wenn alles vorbei ist... wenn wir
wieder nach Hause ziehen...“
Nach Hause.
Heimat.
Wieder
diese Worte.
Alexandros’ Auge schweifte weiter, hinter die Bergkette,
voller Sehnsucht.
„Ich will weiter – dorthin – dorthin, wo noch niemand
war... vielleicht finde ich dort das, was du Heimat nennst....“
Der
General schüttelte den Kopf.
„Kehre um, Alexandros... die Männer sind
unruhig, sie wollen nach Hause. Sie wollen ihre Frauen sehen und ihre Kinder –
Kinder, die sie vielleicht noch nie gesehen haben! Kehre um. Und dann... komme
wieder, und ziehe in den Osten.“
Alexandros schloss seine Augen.
„Wegen der Frauen wollen die Soldaten nach Hause! Solche Gefühle kenne
ich nicht. Ich will weiter. Ich will meine Heimat finden. Ich muss sie finden,
Ptolemaios... ich muss sie finden!“
Ptolemaios legte einen Arm um die
Schultern des Königs.
„Was wäre für dich der Ort, von dem du sagen
könntest, hier ist meine Heimat, Alexandros?“ fragte er und Alexandros
schüttelte wieder hektisch den Kopf.
„Ich weiß es nicht, Ptolemaios! Ich
dachte, es wäre vielleicht Babylon... ein Ort, an dem ich bleiben könnte, wo ich
mich wohl fühle, geborgen, geliebt... wo ich aufwache und in Gold sehe, ich
meine nicht das Gold des Stoffes oder des Metalles, sondern innen drin, in mir –
Gold... wie Sonne... wie ein Sonnenstrahl, der in mir aufgeht... wie eine Sonne
in mir drin... wenn ich das spüren würde, an einem Ort, dann wüsste ich, dass
dies meine Heimat ist... wo ich für immer verweilen möchte...“
„Und du
hast dies noch nie gespürt, an keinem Ort der Erde?“
Alexandros machte
eine verneinende Geste, dann verstummte er.
‚Doch, hast du...’ hörte er
sich selbst sprechen, ‚und du weißt genau, wo du genau dies gespürt hast,
gefühlt hast.... geh dorthin, du Dummkopf, und suche nicht weiter...!’
„Danke!“ sagte Alexandros auf einmal, umarmte Ptolemaios sehr heftig
und ließ ihn einfach stehen.
Sein Herz zog ihn nun.
Sein Herz
wies ihn an, wo er den Ort finden konnte, den er beschrieben hatte... den Ort,
wo er sich geliebt, geborgen, wohl fühlen würde... den Ort, wo er die Sonne in
sich aufgehen spüren könnte, wenn er die Augen öffnete – und auch in der Nacht,
wenn Helios seine Bahnen nicht zog.
Seine Soldaten waren bereits im
Lager und bereiteten sich auf die Nacht vor, die kalt werden würde, sehr kalt.
Doch in Alexandros’ ging jetzt eben die Sonne auf, als er ihn schon von
weitem sah.
„Hephaistion!“ flüsterte er atemlos, nicht darauf achtend,
dass ihn sein ganzes Heer beobachten würde, samt Frau, samt Generälen.
Er schlang seine Arme um den verwunderten Freund, der sich umdrehte und
nun Gesicht zu Gesicht mit dem König stand.
„Hephaistion!“ wiederholte
er, und dann tat er etwas, was er all die Jahre nicht getan hatte: Er küsste
seinen Freund, vor aller Augen, er küsste ihn auf den Mund, heftig und
sehnsuchtsvoll, und der so Überraschte erwiderte den Kuss, umarmte den König,
und ein Raunen ging durch die Menge, erste zaghafte Beifallklatscher, dann
Gejubel und Gejohle.
„Das war schon lange fällig!“ sagte Perdikkas und
lächelte, während andere eher die Brauen zusammenzogen oder unbilligend den Kopf
schüttelten, doch sie waren in der Minderzahl.
Roxane wandte sich ab,
mit hasserfülltem Blick.
Alexandros kümmerte sich um niemanden, als er
Hephaistions Hand nahm und ihn in sein Zelt führte.
In dieser Nacht ging
in beiden Herzen die Sonne auf – und Alexandros’ unstillbare Sehnsucht nach
Heimat fand ihren Frieden in Hephaistions Armen – seiner wahren und einzigen
Heimat.
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