Titel:
Was vermag ein König? Autoren: Anima und Hephaistion
König!! Er war jetzt König!!!
Alexander durchmaß sein Zimmer mit großen
Schritten. Auf und ab, hin und her,...es war unfassbar für den knapp
20-Jährigen, dass sein Vater nicht mehr lebte, obwohl doch immer damit gerechnet
werden musste, dass irgend ein Verzweifelter dem König nach dem Leben trachtete.
Und einer hatte Erfolg gehabt.
Nun war er der König! Alexander
dachte an seine heimliche Freude, an seine Erleichterung, die er verspürt hatte,
nicht mehr den Vater, diesen unberechenbaren Menschen, fürchten zu müssen. Alles
würde sich ändern, würde sich zum Besseren wenden, denn jetzt hatte er zu
bestimmen.
Es hatte sich auch einiges verändert. Alexander hatte bereits
einiges in die Wege geleitet, um seine Eroberungspläne Wirklichkeit werden zu
lassen. Das ließ sich vielversprechend an. Er konnte seine Heerführer
begeistern. Das machte ihm kein Kopfzerbrechen. Nur an einem Punkt kam er
nicht weiter. Ein Umstand der Alexander sowohl ungeduldig machte, als auch seine
Verzweiflung beständig verstärkte. Und das hatte überhaupt nichts mit seinen
Rechten und Pflichten als König zu tun.
Alexander hatte in den ersten
Stunden nach dem Tod seines Vaters nur daran denken können, dass sich nun
endlich seine Liebe zu Hephaistion in einer direkteren Art würde zeigen können.
Aber seinem Freund, seinem härtester Kritiker, seinem Vertrauten seit
Kindertagen war er keinen Schritt näher gekommen. Es stimmte, Hephasition war
wie immer. Aber gerade das war ja das Schlimme.
Gewitzt, ehrlich,
manchmal sogar übermütig. Aber das war immer nur so lange sie in Gesellschaft
waren. Sobald er seine „Patroklos“ für sich alleine hatte, sobald er sich ihm
näherte, wurde Hephaistion wortkarg, nervös und erfand allerlei Ausflüchte warum
er sich zurückziehen musste.
Ausflüchte, ja das traf es. Alexander
schüttelte enttäuscht den Kopf. Es schien beinahe als ob Hephaistion vor ihm
flüchtete.
Aber um der Götter willen, er war der König! Warum konnte er
dann nicht über Hephaistion herrschen, wie er über alle anderen herrschen
konnte?
,,,,.....,,,,.....
Der Mann, an den der König beständig
denken musste, saß in seinem Zimmer und starrte aus dem Fenster. Vor sich lag
eine Papyrusrolle, eine Feder, und ein Gefäß voller Tinte stand
bereit--unberührt. Hephaistion hatte versucht Alexander zu schreiben, aber das
wollte so gar nicht gelingen.
Er fand keinen Anfang und betrachtete
statt dessen lieber den Himmel. Er wusste nicht, was mit ihm los war. Wann hatte
es angefangen, dieses seltsame Gefühl, immer wenn er mit Alexander zusammen in
einem Zimmer war? Dieses Sehnen, mehr zu tun, als nur zu reden?
Natürlich kannte er den Eros zwischen Männern. Aber er war bei weitem
nicht alt genug, um für Alexander der Führer und Lehrer in diesen Dingen zu
sein. Hephasition verzog die Lippen zu einem spöttischen Lächeln. Führung und
Anleitung hätte er selbst bitter nötig in dem Bereich, der dem Kampf so
entgegengesetzt war, und dennoch so viel mit ihm gemein hatte.
Erobern,
unterwerfen, herrschen, war die Liebe denn gar so anders, als der Kampf?
Sie musste es sein. Denn dem Kampf hatte sich Hephaistion immer mutig
gestellt. Aber die Gefühle, die ihn nun beständig quälten, die ihn dazu
verleiten wollten, Alexander nur für sich alleine haben zu wollen, diese Gefühle
fürchtete er.
Nicht genug damit, dass er sich mit sich selber
herumplagen musste, nein, er benahm sich zunehmend auffällig in Alexanders
Gegenwart. Bisher war das zwar nur wenn sie alleine waren passiert, aber er
hatte doch nicht die Gewissheit, dass er nicht einmal während ihrer
Besprechungen, vor all den anderen anfangen würde zu stottern, weil er sich in
der Betrachtung von Alexanders goldenem Haar verloren hatte. Oder dass er bis
über beide Ohren errötete, weil ihm seine Fantasie einen nackten Alexander
vorgegaukelt hatte?
Hephasition stand ruckartig auf. Er würde bald eine
Lösung aus seinem Dilemma finden müssen. So konnte es auf keinen Fall weiter
gehen. Am besten konnte er nachdenken, wenn er in Bewegung war. Er würde
nach draußen gehen, entweder um jemanden zu finden, der mit ihm trainieren
würde, oder um zu laufen.
Es war einer dieser goldenen Herbstmorgen in Pella, der warme Luft durch alle
Ritzen der Königsburg zu treiben schien, reif und üppig und von Gerüchen
durchzogen, die Alexander das Wasser im Mund zusammenlaufen ließen.
Obst.
Äpfel vor allem – Alexander liebte Äpfel.
Heute
war ein Tag, wo er noch einmal Kind sein wollte – kein junger König mit
Staatspflichten und Geldsorgen im eigenen Lande, die ihn über kurz oder lang in
einen Krieg mit Persien verwickeln würden, nein – bei diesen Gerüchen in der
Luft musste er nach draußen und so ließ Alexander den Federkiel sinken, um sich
ein Paar feste Sandalen anzuziehen und schnellen Schrittes entfernte er sich aus
Pella, um in die Obstgärten zu gehen.
Dort würde er einige Stunden
zubringen, von diesem oder jenem Baum naschen und sich dann mit Magenschmerzen,
wie immer, wieder in die Burg schleichen. Denn Alexander konnte nicht aufhören,
in dem saftigen säuerlichen Fleisch der Äpfel zu schwelgen und erst, wenn es ihm
wirklich schlecht wurde, konnte er aufhören.
Maß halten konnte er in
jeglicher Hinsicht, nur nicht, was Äpfel anging.
Er war in dem
Garten angekommen, der eigens für die Mitglieder des Königshauses gedacht war.
Niemand sonst durfte hier ernten außer dem König und seinen Gärtnern, und
Alexander hatte streng untersagt, hier einen Fuß hineinzuwagen, bis er die
ersten Äpfel selbst gekostet hatte.
Dies war am heutigen Tag der Fall.
Alexander lächelte, als er die Bäume betrachtete, die sich unter der
Last der Früchte fast bogen.
Ein guter Jahrgang, dachte er, und vor
seinem inneren Augen sah er bereits die Körbe voller rotwangiger Äpfel, die in
den Kellern des Palastes schlummern würden und nur darauf warteten, zu
köstlichsten Speisen verarbeitet zu werden, die Alexander den ganzen Winter über
erfreuen würden.
Diesen Winter noch, dachte Alexander, dann werde ich in
den Osten ziehen und Hellas von den Persern befreien.
Diesen Winter
noch.
Er pflückte verschiedene Äpfel von verschiedenen Bäumen und legte
sich in die warme Septembersonne.
Er schloss die Augen und biss in die
erste Frucht.
Köstlich.
Er stöhnte vor Wohlbehagen – es hörte
ihn ja niemand – und der Apfelsaft lief ihm die Mundwinkel heraus, über sein
Kinn bis auf seinen dunkelroten Chiton.
Welch Genuss.
Alexander
biss erneut zu und kaute das knackige Fruchtfleisch mit ganzer Aufmerksamkeit.
Bei Aphrodite, dachte er, welch Frucht. Kein Wunder, dass die Götter
diese Frucht als die ihre betrachten. Und Paris gab einen Apfel der Göttin der
Liebe.
Wem würde ich den Apfel geben? überlegte er weiter, Athene, der
Göttin der Weisheit? Oder Hera, der Gattin des Zeus, Königin des Olymp? Oder
ebenfalls Aphrodite, der Liebesgöttin?
Sein Finger fuhr die klebrige
Spur auf seinem Kinn nach, seine Zungenspitze leckte über die Mundwinkel und
seine Lippen.
Für die Liebe... dachte er, und plötzlich tauchte
Hephaistion auf, in seiner Vorstellung, lächelnd und auf ihn zukommend.
Alexander streckte die Arme aus, ließ den Apfel neben sich fallen und
gab sich der Illusion hin, dass sein Freund und engster Vertrauter nun wirklich
käme.
„Hephaistion...“ flüsterte er, und in seinem ganzen Sein machte
sich ein Sehnen breit, ein Ziehen in seinem Herzen und ein Ziehen in seinen
Lenden. Priapos’ Zepter richtete sich unwillkürlich auf und Alexanders Hand fuhr
herab an seinem Körper, fand seinen zitternden und um Erlösung flehenden Stab
des Eros und schloss seine Augen.
„Warum fliehst du vor mir,
Hephaistion?“ sagte er leise und richtete sich dann mit einem einzigen Ruck auf.
Nein, dachte er, nicht so, nicht hier.
Alexander packte die
Äpfel in ein Tuch und schnürte es zusammen.
Als er den Garten verlassen
wollte, sah er von weitem eine Gestalt, die sich näherte.
Hephaistion hatte während der Zeit, die er im Freien zugebracht hatte, sein
inneres Gleichgewicht wieder gefunden. Plötzlich schien ihm alles gar nicht mehr
so schrecklich zu sein. Seine aufgewühlten Gefühle würden sich beruhigen, ganz
gewiss. Und bald würde alles wieder so sein wie früher, zwischen ihm und
Alexander.
Sie wären wieder Achilles und Patroklos in der kindlich
spielerischen Art wie sie es füreinander seit Jahren waren. Ganz gewiss würde es
wieder so sein.
Hephaistion schlug den Weg durch die Apfelplantagen ein.
Ein schöner Spaziergang durch die duftende Pracht des Herbstes würde ihn völlig
gestärkt in den Palast entlassen. Er lächelte in sich hinein.
Doch
plötzlich blieb er wie von Götterhand gebannt stehen. Hinter einem der Bäume
hervor trat ihm Alexander in den Weg. Die Ruhe der letzten Stunden verflog
schlagartig. Hephaistion spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss. Am
liebsten hätte er sich auf der Stelle umgedreht und wäre davon gerannt.
„Möchtest du kosten? Die ersten Früchte dieses Jahres.“ Alexander trat
mit ausgestrecktem Arm auf seinen Vertrauten zu, in der Hand einen prallen,
runden Apfel.
Hephaistion zögerte, doch dann griff er nach der
angebotenen Frucht, die rotwangig seine eigenen Gesichtsfarbe zu spiegeln
schien. Aber Alexander drehte sich mit einem Lachen weg.
„Nicht so, das
ist langweilig. Du sollst abbeißen,...“ Mit angehaltenem Atem beobachtete der
junge König wie Hephaistion ein wenig näher kam, sich vorbeugte und sehr
behutsam von dem angebotenen Apfel probierte. Dabei streiften seine Lippen die
Finger Alexanders. Durchsichtige Tropfen der reifen Frucht liefen ihm beim Kauen
über die Mundwinkel langsam das Kinn herab.
Alexander streckte eine Hand
aus, streichelte die zarte Haut an Hephaistions Wange, dicht unter den hohen
Wangenknochen und fing dann mit einer schnellen Bewegung die süße Flüssigkeit
auf. Sein Freund zuckte zurück.
Er ist wie ein scheues Wild, dachte
Alexander. Was fürchtet Hephaistion vor mir?
In Gedanken steckte
Alexander den feuchten Finger in den Mund, um den Apfelsaft abzulutschen.
Hephaistion machte große Augen. Alexander wunderte sich nicht zum ersten Mal,
was wohl hinter den wunderschönen blauen Augen seines Freundes vor sich ging.
Der junge König war fest entschlossen, seinen Gefährten seit Kindertagen
ganz für sich einzunehmen. Jetzt, da er den schönen jungen Mann so nahe neben
sich hatte fiel ihm allerdings das Denken zunehmend schwerer. Wie sollte er es
nur bewerkstelligen, dass Hephaistion erkannte, was er ihm, Alexander,
bedeutete? Erst recht, wenn sich sein bester Freund dermaßen sonderbar verhielt,
wie in letzter Zeit.
„Komm, wir setzten uns unter einen Baum.“
Ohne sich weiter um Hephaistion zu kümmern, strebte Alexander einer
Stelle zu, an der sie schon als Kinder gerne nach den Kampfübungen oder dem
Unterricht gesessen und gedöst hatten. Hier ließen sich die vielen kleinen und
großen Geheimnisse, die die Kinderwelt beherrschten, besprechen. Ohne dass sich
einer der Erwachsenen einmischte.
Mit dem festen Entschluss von
Hephasition zu erfahren, was diesen nun schon seit einiger Zeit bedrückte, warf
sich Alexander ins Gras. Hephaistion, der langsam gefolgt war, stand unschlüssig
da und starrte in den Himmel.
„Ich muss noch Papiere fertig machen. Ich
sollte in den Palast zurückkehren.“
„Nein, das solltest du nicht.
Hepaistion! Was ist denn nur los mit dir? Ich möchte, dass du mir Gesellschaft
leistest. Komm, setzt dich hin.“ Aufmunternd klopfte Alexander neben sich auf
den Boden.
Aber der Freund ließ sich in einem deutlichen Abstand zu ihm
in das weiche Gras sinken. Dabei machte er den Eindruck, sofort wieder
aufspringen zu wollen.
Insgeheim verfluchte sich junge Makedonier dem
Drang nachgegeben zu haben, hier durch die Gärten wandeln zu wollen. Nun saß er
neben Alexander, im Kopf tausend Gedanken, einer verwerflicher als der andere,
was er und Alexander hier alles tun könnten! Miteinander tun könnten! Wenn er
doch nur ein wenig älter wäre!
Dann könnte er Alexander vorschlagen, mit
ihm die Liebe, auch deren körperlichen Aspekt zu erforschen. Aber dafür war er
zu jung. Und auch viel zu aufgeregt. Nein, er würde jämmerlich versagen.
Alleine die Vorstellung, die Initiative zu ergreifen, Alexander zu
berühren, zu umarmen, vielleicht sogar ihn zu küssen!!,....nein, er würde das
nicht können. Was wenn Alexander, sein geliebter Alexander, ihn von sich stoßen
würde? Was dann?
Nein, dann lieber die ihn peinigenden Fantasien
aushalten, als den Freund für immer zu verlieren.
Hephaistion hatte die Beine angezogen
und die Arme um die Knie geschlungen. So fühlte er sich einigermaßen geborgen.
Vorsichtig hob er den Kopf, nur um in Alexanders fragende Augen zu blicken.
Was wollte sein Freund von ihm, warum sollte er sich hier hin setzten?
Gesellschaft, hatte Alexander gesagt, sollte er ihm leisten,...aber was für
einen miserablen Gesellschafter er abgab!
Verzweifelt suchte er nach
etwas, das er sagen konnte, um das Schweigen zu brechen.
Im letzten
Augenblick konnte er das Zusammenzucken unterdrücken, als er plötzlich
Alexanders Hand auf der Schulter spürte.
„Sieh doch, wie warm die Sonne noch ist heute, Hephaistion. Ich liebe die Sonne.
Welch ein Glück, dass sie im Wappen unseres Landes ist... viele sagen, es sei
ein Stern, aber es ist die Sonne, ich weiß es ganz genau. Komm, lehn dich
zurück, an den Stamm hier, und lass die Sonne in dein Gesicht scheinen. Ich
füttere dich derweil mit dem Apfel.“
Vollkommen irritiert und unsicher
versuchte Hephaistion etwas zu antworten, da ihm aber die Worte fehlten,
beschloss er mit einem leisen Seufzer, einfach zu tun, was Alexander ihm
vorschlug.
Vielleicht war es das – einfach geschehen lassen.
Nichts tun.
Schon gar nichts erzwingen.
Aber allein die
Augen zu schließen war ein Akt, den er kaum fertig brachte, als er allein daran
dachte, dass sich Alexanders Hand mit dem Apfel wieder seinen Lippen nähern
könnte, er womöglich in seiner Ungeschicktheit seinem Freund in den Finger
beißen würde oder sonst wie lächerlich aussah... aber Vertrauen war das Wort,
das ihm nun einfiel.
Und Alexander, als könne er Gedanken lesen, fuhr
fort: „Vertrau mir einfach, mein Freund. Lass dich mal fallen. Ich tu dir doch
nichts, ich möchte dir nur ein wenig Ruhe spenden, ich weiß doch, wie viel du
arbeitest... mein Patroklos! Warte es ab, eines Tages, wenn wir in Persien sein
werden, dann wirst du mein Chiliarch sein, ich werde dich dazu ernennen, sobald
wir in Babylon sind... denkst du noch an unsere Spiele, als wir jung waren? Wir
werden bald viel mehr sein als wir damals dachten... und ich werde dich nie
vergessen, Hephaistion, niemals... du wirst immer mein bester Freund sein!“
‚Ja, dein bester Freund!’, dachte Hephaistion bitter, ‚mehr werde ich
nie sein. Immerhin, dein bester Freund. Was bin ich undankbar. Wer kann schon
von sich sagen, er sei der beste Freund eines Königs. Ich sollte mich freuen.
Trotzdem tue ich es nicht. Ich würde ihn so gerne küssen. Nein. Ich kann das
nicht. Ich will es nicht. Ich verbiete mir diesen Gedanken. Ich würde ihn so
gerne küssen.NEIN!’
Hephaistions wirre Gedanken wurden von dem Apfel
unterbrochen, der sich an seine Lippen schmiegte.
„Beiß ab!“ flüsterte
Alexander und Hephaistion schloss die Augen und biss ab.
Der Geschmack
des Apfels war tröstlich. Er erinnerte an Kindertage, als sie noch wild
herumtollten und nichts zwischen ihnen stand. Immer schon hatte Alexander Äpfel
geliebt, in jeglicher Form, sei es direkt aus der Hand, vom Baum, oder in Form
von Kuchen, eingedickten Pasten, getrockneten Äpfelstückchen, als Füllung von
Braten.. Hauptsache, Äpfel!
„Weißt du eigentlich, dass Äpfel eine Gabe
der Aphrodite sind?“ fragte Alexander, und Hephaistion traf diese Frage wie ein
Blitz aus heiterem Himmel, er zuckte zusammen, riss die Augen auf und starrte
Alexander an, der lächelte.
„Was bist du so entsetzt? Nicht aufgepasst
bei Aristoteles, damals?“
„Nein, nein, es ist nur...“ stotterte
Hephaistion und lehnte sich wieder zurück, versuchte sich zu entspannen.
„Eine Gabe der Aphrodite“, wiederholte er, brav wie ein gelehriger
Schüler, und Alexander grinste. „Ja, der Aphrodite. Hephaistion, mach den Mund
auf, ich will dich noch mal abbeißen lassen. Aber schließe deine Augen, du
kannst es so besser genießen!“
Widerwillig schloss Hephaistion seine
Augen und der Apfel näherte sich wieder seinem Mund. Knack. Abbiss. Saft. Kauen.
Schlucken.
“Nochmal…. “ Alexanders Stimme war nun nur noch ein Hauch und
wieder näherte sich etwas Hephaistions Mund.
Etwas Weiches,
apfelduftendes.
Gerade noch in letzter Minute gelang es Hephaistion zu
realisieren, dass es nicht der Apfel war, der sich ihm näherte, sondern ein
Bissen zwischen Alexanders Lippen.
Mit zwanghaft geschlossenen Lidern
und bis zum Hals klopfendem Herzen nahm Hephaistion das Apfelstückchen entgegen,
bemüht, ja nicht Alexanders Lippen zu treffen.
Alexander betrachtete zufrieden sein “Werk“.
Immerhin lehnte sein
geliebter Freund jetzt an dem rauen Baumstamm und hatte die Augen geschlossen.
Obwohl der junge König deutlich an der gerunzelten Stirn seines Vertrauten sehen
konnte, dass sich Hephaistion noch immer nicht völlig entspannt hatte, war er
seinem Plan, den Freund von seinen Gefühlen zu überzeugen, ein Stückchen näher
gekommen.
In Hephaistion unterdessen tobte ein Sturm. Warum tat
Alexander ihm das an? Sollte das ein Spiel sein? Alexander wusste doch genauso
gut wie er selber, welche Bedeutung Aphrodite zukam. Der Göttin der Liebe. Und
dann quälte er ihn auch noch mit diesem Apfel. Hephaistion schluckte, krampfhaft
darum bemüht, die Augen geschlossen zu halten.
Jetzt nur nicht
nachlassen, dachte der junge König, biss wieder von dem rotwangigen Apfel ab und
näherte sich erneut den feucht glänzenden Lippen. Aber dieses Mal wollte er
unbedingt mehr von seinem Freund spüren, als nur den sanften Hauch von schnell
zurückgezogener Haut unter seinen Lippen.
Alexander starrte gebannt in
das schöne Gesicht, das jede Gefühlsregung widerspiegelte. Angst, Verwirrung,
Verlegenheit. Aber auch --Hoffnung, vermeinte er zu erkennen.
Hephaistions Adamsapfel bewegte sich krampfhaft auf und ab. Aber, trotz
dem Kampf, den der junge Mann im Innersten ausfocht, er hielt stand. Nein, er
würde nicht davon laufen. Wenn Alexander mit ihm spielen wollte, musste er auch
das hinnehmen.
Vertrauen! Ja, das war es. Vertrauen darauf, dass
Alexander ihn nicht verletzten wollte.
Alexander, sein bester
Freund,...Hephaistions Gedanken zerlegten die Bedeutung des Begriffs. Nein, er
barg nicht das in sich, was er für seinen König empfand.
Freundschaft,
ja, das war eines der Gefühle. Dann, wenn sie zusammen debattierten, sich im
Kampf maßen oder auch Zukunftspläne schmiedeten, dann fühlte er sich dem König
in Freundschaft verbunden. Aber das allein reichte nicht aus, um das
Herzklopfen und die wirren Gedanken und Tagträume zu begründen, die ihn, immer
wenn er an den blonden Mann dachte, überfielen.
Alexander wagte es. Er
drückte den saftigen Bissen Fruchtfleisch zwischen die weichen Lippen und
drängte nach. Jetzt durfte Hephaistion einfach nicht den Kopf wegdrehen . Er
wollte doch so gerne von diesen Lippen kosten, die ihn so oft anlächelten und
dabei mit jedem Mal verlockender wurden.
Nicht heftig. Nur sanft wollte
er den Freund dort berühren, wo sonst nur der Hauch des Lebens entlang
streicheln durfte .
Endlich spürte er, zitternd und bebend unter sich,
den Mund Hephaistions. Aber der herrliche Kontakt wurde jäh unterbrochen. Der
Geküsste zuckte zurück. Dabei schlug er sich den Kopf an dem rauen Stamm des
Apfelbaums.
"Au!“
Ein Laut, eher ärgerlich
und überrascht als Schmerzerfüllt, entwich dem zukünftigen Chiliarchen.
Hephaistion hielt sich den Kopf und schaute recht schuldbewusst drein. Er hätte
sich schlagen können. Warum verhielt er sich nur so absurd? Das war doch gerade
ein Kuss gewesen? Das was er sich immer von Alexander gewünscht hatte. Und er
hatte es verpatzt. Alexander würde ihn gleich hier sitzen lassen. Mindestens.
Wahrscheinlich würde er ihn auch noch auslachen.
Allerdings musste
Alexander wirklich lachen, aber der leise Laut klang eher tröstlich in den Ohren
Hephaistions.
„Habe ich dir nicht gesagt, dass du mir vertrauen sollst?
Das hast du jetzt davon.“
Alexander grinste. Ihm kam dieses
„Missgeschick“ seines Freundes gerade recht. Lockerte das doch ganz
offensichtlich dessen ganzes verspanntes Wesen auf. Nun war der Freund abgelenkt
und er konnte zum Angriff übergehen. Er kroch auf allen vieren dichter an seinen
Freund heran.
Mit geringer Anstrengung imitierte er Aristoteles
dozierende Sprechweise:
„Und weil du dich nicht richtig auf deine
Aufgabe konzentriert hast, werden wir das gleich noch einmal üben. Allerdings“
ein Glitzern schlich sich in die großen Augen Alexanders, „diesmal ohne Apfel.“
Bevor Hephaistion auch nur die Gelegenheit hatte, eine Ton von sich zu
geben, beugte sich der junge König über ihn und seine vollen Lippen wurden
erneut attackiert. Genau so leicht war dieser Kuss, so wie es die erste
Berührung ihrer Lippen gewesen war. Die Annäherung war eher fragend als wirklich
berührend.
Alexander zog sich vorsichtig zurück und betrachtete seinen
geliebten Freund atemlos.
Hephaistion war sprachlos. Er, der sonst nie
um eine Antwort verlegen war, der auch in der hitzigsten Debatte die rechten
Worte fand, saß da wie vom Donner gerührt und betrachtete angelegentlich das
weiche Gras auf dem sie immer noch saßen.
Er berührte mit den
Fingerspitzen seinen Mund. Kurz schloss er die Augen. Dann hob er den Blick und
sah Alexander tapfer an. Er musste das hier und jetzt klären, bevor er drohte,
von seinen eigenen Wunschträumen und den Taten seines Freundes in den Wahnsinn
getrieben zu werden.
„Das war ein Kuss. Alexander, warum küsst du mich?“
Alexander lächelte wieder und sein Gesicht kam langsam wieder näher, ohne dass
er Hephaistion die Antwort gegeben hätte.
Er blieb sie ihm einfach
schuldig, lange Momente lang, in denen sie sich ansahen, in denen sie ihren Atem
spüren konnten, in denen Hephaistions Herz so heftig schlug, dass er fürchtete,
es würde ihm zerspringen.
‚Was, wenn er einfach nur mit mir spielt?’
dachte er und spürte Verzweiflung in sich aufsteigen. ‚Wenn er einfach nur
Langeweile hat, mich hier gesehen hat, zufällig getroffen sozusagen, sich
gedacht hat: Wunderbar, wir sind alleine, es ist ein schöner Tag, ich schnapp
mir den hier jetzt mal? Abgeneigt ist er sicher nicht, ist ja mein bester
Freund, vielleicht könnte man einen neuen Zeitvertreib ausprobieren? Was, wenn
er einfach nur versuchen möchte, wie es sich anfühlt, wenn sich unsere Lippen
treffen, wenn wir uns berühren? Was hat er überhaupt vor? Will er weiter gehen?
Will er mich hier etwa verführen? Will er – will er unsägliche Dinge tun, dann
aufstehen und wieder gehen und darüber lachen, während mein Herz gebrochen ist,
weil er lacht? Will er das tun, was Aristoteles als schändlich zwischen Achilles
und Patroklos beschrieben hat? Körperliche – Liebe? Lust befriedigen? Will er
das? Sich an mir reiben, mich anfassen, und lachen, wenn ich schwach bin? Was tu
ich, wenn er das tun will, wenn er mit mir spielt? Ich will das nicht!’
Und Alexanders’ lächelnde Lippen waren so nahe.... ‚Was, wenn er das
Gleiche will wie ich? Wenn er mehr will als nur Freundschaft? Wenn sein Herz wie
das meine fühlt... wenn sich alles in ihm nach mir sehnt, so wie sich alles in
mir nach ihm sehnt? Was, wenn unsere Seelen verschmelzen würden, jetzt und hier,
untrennbar, wenn seine Hände meine Haut lieben würden, wenn ich ihn berühren
könnte bis an sein tiefstes Sein, wenn sich unsere Herzen finden würden... oh,
was würde ich darum geben, ihn so zu haben, und mich ihm so zu schenken... aber
hielte ich das aus? Ich würde sterben, zweifelsohne! Ich würde es nicht
aushalten, wenn er mich wiederlieben würde... wenn ich ihm das Wichtigste, das
Teuerste wäre... ich würde sterben – vor Glück... und wie sähe es aus? Wie würde
er sich anfühlen – überall...? Gesehen habe ich ihn schon, doch seine Haut unter
meinen Händen, unter meinen Lippen... noch nie berührte ich jemanden... noch nie
küsste ich jemanden... wenn er mir jetzt sagt, dass er mich auch liebt.... würde
ich dann zögern? Könnte ich das aushalten?“
„Weil ich es will!“ sagte
Alexander unvermittelt und war so nahe, so nahe!!!!
Da rollte sich
Hephaistion zur Seite weg, richtete sich auf, klopfte sich die Grasreste vom
Chiton und räusperte sich, während Alexander seine Stirn an den Baum sinken
ließ, die Augen geschlossen, die Zähne zusammengepresst.
„Ich habe noch
viel zu tun!“ rief Hephaistion und sein Herz sagte ihm, dass er das Richtige
getan hatte.
‚Weil er es wollte... weil er es wollte...’ wiederholte er
vor sich hin und spürte, wie sich ein innerer Schmerz in ihm ausbreitete. ‚Er
wollte es. Also Langeweile und Machtgefühle, die ihn getrieben haben. Keine Rede
von Liebe. Keine Rede von uns beiden... von Achilles und Patroklos. Er wollte
es. Und ich wollte es nicht!’
Hephaistion wandte sich zum Gehen, da
stand auch Alexander auf, ging ihm hinterher, packte ihn am Arm.
„Es tut
mir Leid!“ sagte sein Freund, der junge König von Makedonien, leise.
„Hephaistion, es tut mir so Leid! Ich habe mich getäuscht... ich wollte
dich nicht verletzen. Die Freundschaft mit dir ist das Wichtigste in meinem
Leben... ich... ich habe mich getäuscht... ich will dich nicht verlieren, nimm
meine Entschuldigung bitte an. Ich werde dir nicht mehr zu nahe treten. Ich
dachte nur...“, Alexander schluckte und blinzelte, „ich dachte nur, du teilst
meine Gefühle... aber ich habe mich geirrt. Ich möchte mich dir nicht
aufdrängen, es war nur ein Versehen, bleibe mein Freund, Hephaistion...“
Dann ließ Alexander Hephaistion los und drehte sich schnell um, bevor
dieser in seinen Augen die ersten Tränen schimmern sehen konnte.
Alles war verloren. Alexander biss die Zähne so fest aufeinander, dass der
Kiefer schmerzte. Ein dummer Satz nur, eine falsche Antwort und er hatte
Hephaistion verloren. Dabei hatte sich Hephaistion ihm doch eben noch zugeneigt.
Die leichte Berührung ihrer Lippen versprach den Himmel, und nun, nur weil er in
seiner Tollkühnheit alles auf einmal zu wollen das Nachdenken vergessen hatte,
verlor er nicht nur die Zuneigung seines Freundes, sondern verwirkte mit diesem
einen dummen Satz auch noch jegliche Möglichkeit die Liebe Hephaistions zu
erlangen.
Am liebsten würde er seinen Kopf gegen den Stamm des knorrigen
Apfelbaumes schlagen, bis er, der König der Makedonen, ohnmächtig würde. Da
spürte er auf einmal eine zarte Berührung an der Schulter. Zaghaft drehte sich
Alexander um.
Hephaistion hatte sich das Gestammel seines Freundes und
Königs erst unwillig, dann ungläubig und dann mit einem sich allmählich
ausbreitenden Gefühl der Erleichterung tief in seiner Brust, dort wo doch gewiss
die Seele sitzen musste, angehört.
„Alexander, kannst du mir bitte eine
Frage beantworten?“
Diese Stimme, so sanft und doch kraftvoll bescherte
dem Angesprochenen weiche Knie und er sackte einfach gegen den Baumstamm der ihm
nun den Rücken stärkte. Ohne diesen mächtigen Pflanzenfreund wäre er schlicht
und einfach zu Boden gegangen, besiegt von seinem Freund Hephaistion,--wieder
einmal.
„Ja, was möchtest du wissen.“
Er ist nicht weggerannt.
Alexander begann zu hoffen, nur ein kleines bisschen, denn Hephaistion stand
immer noch vor ihm. Und in diesen schönen Augen, glomm darin nicht ein Funke
Hoffnung?
„Von welchen Gefühlen sprichst du, wenn du glaubst, ich würde
sie nicht mit dir teilen? Wir sind Freunde, Alexander, was für Gefühle magst du
mir gegenüber noch hegen?“
Warum nur vermochte es Hephaistion immer
wieder, ihn sprachlos zu machen? Ihn, Alexander, den König, der auf alles eine
Antwort hatte, und der immer so genau wusste, was er wollte. Und der immer das
bekam, was er wollte.
Aber was genau wollte er von Hephaistion? Dass es
mehr war als Freundschaft , was er ihm gegenüber empfand, war ihm schon lange
bewusst. Aber wie viel mehr wollte, oder konnte er sich von seinem Freund, von
seinem Patroklos erhoffen?
Die Antwort musste er gut überlegen. Er
durfte nicht wieder etwas sagen, das Hephaistion beleidigen oder gar verjagen
würde. Aber er musste etwas sagen. Denn schon sah er, wie die ausdrucksstarken
Augen dunkel wurden, wie sich Zweifel darin spiegelte.
Hephaoistion
hatte die Schulter Alexanders losgelassen und war einige Schritte rückwärts
gegangen. So konnte er die gesamte Gestalt des jungen Königs betrachten, die
kräftigen Muskeln, das goldenen Haar, den energischen Kiefer.... für eine kurze
Weile verlor sich Hephaistion in der Betrachtung des Mannes den er begehrte und
der doch unerreichbar für ihn war.
Das Schweigen zwischen ihnen dauerte
an. Er sagt nichts, er spricht nicht mehr mit mir. Hephaistion senkte den Blick,
Enttäuschung wallte in ihm auf.
Er spricht nicht zu mir, weil er nichts
zu sagen hat. Ja, was er will, das kann er sagen, aber nicht über seine Gefühle
sprechen. Warum ist das so? Hephaistion gab sich gleich selber die Antwort auf
die stumm gestellte Frage. Weil da in dieser Brust gar keine Gefühle verborgen
sind? Jedenfalls keine für mich, die über bloße Freundschaft hinausgehen?
Das wird es sein. Alexander ist immer ehrlich zu mir gewesen, und nun
wird er nicht anfangen, nur um einen netten Nachmittag zu verbringen, mir Lügen
vorzusäuseln, auch nicht, um mich küssen zu können.
Alexander streckte
die Hand aus und zog seinen Freund mit sanfter Gewalt näher an sich heran. Erst
als sie dicht voreinander standen, öffnete er den Mund. Erst war kein Laut zu
vernehmen, obwohl Hephaistion sah, wie sich Alexanders Mund bewegte.
Dann fuhr eine Zungenspitze hervor und befeuchtete die vollen Lippen,
die ihn eben noch versucht hatten zu küssen.
„Meine Gefühle für dich,
mein Patroklos, sind mehr als nur die reiner Freundschaft.“ Alexander verstummte
und sah zu seinem geliebten Freund auf. Was würde Hephaistion darauf antworten?
Oder würde Hephaistion sich nun endgültig von ihm abwenden, jetzt da er
das Unerhörte aus dem Mund seines Königs vernommen hatte?
Hephaistions Mund öffnete sich, um etwas zu sagen, schloss sich wieder, um zu
schweigen, er schluckte, um den Kloß los zu werden, der sich in den letzten
Minuten in seiner Kehle gebildet hatte und ihn drohte zu ersticken, dann biss er
sich kurz auf die Unterlippe, um wieder etwas zu entgegnen, was doch nicht
sagbar war. Wirrste Gedanken schossen durch sein aufgescheuchtes Herz und immer
wieder hallte dieser Satz in ihm: Mehr als nur die reiner Freundschaft...
Was dann?
Was ist mehr als nur reine Freundschaft?
Und
verdammt, dieser Aristoteles mit seinem Gerede von Reinheit und Freundschaft und
allem, er war Schuld an allem, wäre er nicht gewesen... was sollte so unrein
daran sein, wenn man den küsst, den man so sehr liebt? Was sollte unrein daran
sein, wenn man dessen Körper berührt, wenn man ihn streichelt, wenn man ihm
schöne Gefühle bereitet, wenn man – mit ihm verschmilzt? Oh, er wusste Bescheid,
er hatte das Gerede der Älteren gehört und er war aufgeklärt, was die
körperliche Liebe anging. Er wusste sogar, dass man Öl dazu benötigte und dass
es weh tun könnte, wenn man zu schnell war – und dass es noch andere
Möglichkeiten gäbe, seinen Geliebten zu verwöhnen... und dass Achilles und
Patroklos dies sicherlich auch miteinander getan haben. Warum auch nicht? Es ist
nicht unrein, es ist die Krönung einer Liebe... aber er ist der König... und
konnte sich Hephaistion wirklich sicher sein, dass es Liebe war? Der König
konnte alle haben, Frauen, Männer, Knaben, Mädchen... wie Philipp, der es
öffentlich zeigte, was er alles konnte und durfte. War Alexander wie sein Vater?
War er, Hephaistion, nichts anderes als einer der Knaben des Königs, wie
Pausanias? Nein, er war mehr, er wusste es, er war Alexanders Patroklos... warum
nur zögerte er jetzt, warum sagte er nicht, Alexander, ich liebe dich auch –
oder irgend etwas in dieser Art?
Hephaistion biss sich wieder auf die
Unterlippe.
Und Alexander spürte das letzte bisschen Mut in sich
zusammensacken wie ein Holzstoß, der lichterloh gebrannt hatte und nun verglüht.
‚Das war es also’, dachte der junge König, ‚das war genau der Schritt zu
weit, der ihn von mir entfernt hat. Was mag er von mir denken? Für wie schlecht
und nichtswürdig hält er mich nun? Dabei hätte ich schwören mögen... als seine
Lippen auf meinen... aber... es war vermutlich nur mein Wunsch... jetzt habe ich
ihn verloren, mit diesem grauenvollen Geständnis.’
„Hephaistion...“ hob
Alexander noch einmal an, doch bevor er zu Ende sprechen konnte oder überhaupt
einen weiteren klaren Gedanken fassend, sprang der Dunkelhaarige auf ihn zu und
packte ihn. Und es war kein Kampf zu erwarten, und kein Fausthieb, sondern
Hephaistions Arme hielten ihn fest und sicher und Hephaistions Mund fand ebenso
unzögerlich sein Ziel.
Er küsste ihn.
Sein Patroklos küsste ihn!
Alexander schwanden die Sinne, als er seinen langjährigen Freund so nahe
an sich spürte, und dessen Lippen, die nicht mehr zart und vorsichtig waren,
sondern erobernd, fast gewalttätig... Alexander sah nicht, denn seine Augen
waren geschlossen, dass Hephaistion Tränen die Wangen herabliefen, dass er seine
Gefühle nicht mehr beherrschen konnte, hier und jetzt, und vorsichtig öffnete
der junge König seine Lippen, um die forschende und drängende Zunge seines
Freundes in sich zu lassen, um sich erobern zu lassen von dem so lange
Begehrten, um –
„ALEXANDER!!!!“
Hephaistion riss die Augen auf,
ließ seinen Freund los und wischte sich in seinem Ärmel über das Gesicht.
„Bei Zeus, was will DER hier?“ flüsterte er, als er die große starke
Gestalt bereits furchtbar nahe auf sie zukommen sah.
Alexander
schüttelte sich kurz, als ob er aus einem Traum aufwachen müsste, und wandte
sich um.
Er räusperte sich.
Der Mann war bereits so nahe, dass
er nicht mehr rufen musste.
„Alexander. Wir haben dich überall gesucht.
Es gibt Neuigkeiten, du solltest am Hofe bleiben und nicht –„
Der Mann
brach ab und warf Hephaistion einen abschätzigen Blick zu.
„Alexander,
eile zurück. Man erwartet dich. Parmenion hat eine Nachricht, die dich
beunruhigen wird. Und wir beide...“, er wandte sich Hephaistion zu, der mit
Alexander gehen wollte, „wir beide haben noch etwas zu besprechen, dringend.
Alexander, gehe, es ist dringlich. Ich werde dir bald folgen.“
Dringlich, pah!
Alexander hatte sich Parmenions ach so dringende
Nachricht mit immer größerem Erstaunen angehört.
Für so eine Bagatelle
wagte man es, ihn aus seinem geliebten Obstgarten zu holen!!
Und dann
auch noch gerade zu einem Zeitpunkt, an dem er endlich Hephaistion in den Armen
gehalten hatte. Endlich dessen starken Körper ganz dicht an seinem eigenen
spüren konnte. Die Leidenschaft die darin schlummerte, sich ihm offenbaren
wollte.
Und nun? Nun durchmaß er mit weit ausgreifenden Schritten wieder
und wieder den großen Saal in dem alle Besprechungen stattfanden und starrte mit
blinden Augen auf Karten, die ihn wirklich im Moment nicht im mindesten
interessierten.
Vor Augen hatte er statt dessen Hephasition, wie er
sich, erschrocken über die Störung die Lippen ab gewischt hatte. Den Ärmel
seines Chitons wie einen Schleier vor sich haltend. Noch nie zuvor hatte er
seinen Freund begehrenswerter erlebt.
In Gedanken hörte Alexander seine
Mutter sprechen über Zauberkräfte und Verführungskünste. Der junge König verzog
den Mund. Unweigerlich würde Olympias dann auf seine Aufgaben und Pflichten als
Herrscher zu sprechen kommen. Ihn daran erinnern, dass er in erster Linie
herrschen sollte , dass das seine Bestimmung war, und nicht, dass er sich
beherrschen lassen sollte, weder von seinen Gefühlen, noch von seinen Freunden.
Und mit Freunden meinte sie immer und ausschließlich Hephaistion. Obwohl
seine Mutter das niemals sagen würde. Nein, sie würde sich nicht die Blöße
geben, Eifersucht zu zeigen.
Alexander blieb plötzlich mitten im Zimmer
stehen. Was dachte er denn da? Unwillig über die Richtung, die seine
Überlegungen genommen hatten, schüttelte er mehrmals den Kopf. Er musste wieder
klar denken. Den Kopf frei bekommen, von allen ablenkenden Einflüssen.
Erneut studierte er die Karten und die Berichte, die ihm Parmenion
vorgelegt und auch noch atemlos, in seiner eigenen Art, vorgetragen hatte. Nun
gut, er musste sich um dieses Problem kümmern.
Aber dann, sobald er sich
ein Vorgehen überlegt hatte, wie er mit diesem Problem umgehen wollte, würde er
sich zurückziehen und Hephaistion sollte dann bei ihm sein. Er wollte diesen
einen besonderen Kuss noch einmal erleben. Den Kuss der so brutal unterbrochen
worden war. Er wollte den Freund dicht an sich drücken, ihn umarmen, ihn
zurückküssen, ihm alle Leidenschaft zeigen, die er für ihn empfand.
Überhaupt, wo war denn nun sein Freund? Er würde sich gerne jetzt mit
ihm beraten, denn Hephaistion zeigte, dort wo er zu übereilten Maßnahmen greifen
wollten, Besonnenheit.
Und wo blieb der Störenfried ihres Nachmittags?
Ein sonnendurchfluteter Herbstnachmittag, der obwohl er so vertrackt begonnen
hatte, doch noch so wunderbar zu werden versprach.
Wollte dieser Mensch,
dessen Name zu denken ihm sogar unangenehm war, nicht sofort nachkommen?
Alexander setzte sich nun endlich doch noch an den großen Tisch,
studierte die Karten, las die Berichte und überlegte. Nach einiger Zeit hob er
mit einem triumphierenden Glänzen in den Augen den Kopf. Er hatte die Lösung
gefunden.
Energisch sprang er auf, stürmte zur Tür, um einen der Diener
zu beauftragen nach Hephaistion zu suchen, um ihn sofort hier her zu bringen.
Doch sein Freund stand bereits vor der Tür, gerade im Begriff
einzutreten.
„Du kommst genau richtig. Ich wollte mit dir etwas
besprechen.“ Alexander griff nach Hephaistions Arm und zog ihn hinter sich her
zum Tisch.
Das kurze Zusammenzucken und den seltsamen Blick der ihm
Hephaistion zuwarf, bemerkte Alexander zwar, aber für den Moment drängte er
diese Beobachtung beiseite.
Als die Besprechung zu Ende war, der Hephaistion nicht folgen konnte und wollte,
schickte Alexander alle Berater nach draußen und bat seinen Freund, sich
hinzusetzen.
Hephaistion schüttelte nur kurz den Kopf und wandte sich
dann ab.
„Was ist mit dir?“ fragte Alexander besorgt und berührte die
Schulter seines Freundes. Er war wohl doch zu weit gegangen! Jetzt tat
Hephaistion, als seien sie sich fremd, und er, Alexander, war schuld daran, er
allein. Hephaistion hatte es sich sicherlich noch einmal anders überlegt, vor
allem, nachdem er vermutlich eine ordentliche Zurechtweisung von Antigonos, dem
Vater des Kassander, erduldet haben musste, denn anders konnte er sich das
Verhalten seines Freundes nicht erklären.
„Lass mich bitte!“ begehrte
Hephaistion nun auf, als Alexander versuchte, ihn wieder zu sich zu drehen. Und
seine Stimme klang seltsam, fast, als würde er etwas unterdrücken.
„Hephaistion.... ich kann mir vorstellen, was in dir vorgeht...“
„ACH JA?“ zischte der Dunkelhaarige und wandte sich abrupt wieder zu dem
jungen blonden König. „Kannst du dir das vorstellen?“ Und er fegte seine Haare
beiseite, dass Alexander auf die rechte Halsseite seines Freundes sehen konnte.
Ein feuerrotes Mal prangte dort, ganz offensichtlich der Abdruck von Zähnen. Und
Hephaistion schob seinen Chiton zur Seite, so dass Alexander auf seine Seite
sehen konnte – und er sah blutende Kratzer. „Willst du noch mehr sehen?“ fragte
Hephaistion atemlos. „Kannst du dir vorstellen, was in mir vorgeht? Kannst du,
ja?“
Alexanders Mund blieb offen stehen, er rang um Luft, versuchte
dann, etwas zu sagen, rang wieder um Luft, schwieg.
„Ich kann dir noch
mehr zeigen, Alexander. Ich glaube aber nicht, dass du es wirklich sehen willst.
Und ich für meinen Teil möchte es lieber für mich behalten.“
Alexanders
Augen füllten sich mit Tränen. ‚Warum?’ fragte er sich, wieder und wieder.
‚Warum ausgerechnet jetzt, ausgerechnet heute, warum ausgerechnet Hephaistion?’
Hephaistion drehte sich wieder um, wütend und verletzt. Er bemühte sich
um Selbstbeherrschung, oder um das, was davon übrig war, nachdem Antigonos ihm
eine – wie er es nannte – „Lektion“ verpasst hatte. Ja, er sollte die Hände von
Alexander lassen. Es wäre bekannt, was er bezweckte – er wollte nur mehr Macht
an sich reißen, indem er den jungen König von der Arbeit abhielte und für seine
Zwecke missbrauchte. Und er, Antigonos, wüsste genau, mit was er den jungen
König reizen könnte... mit seiner Unberührtheit, seiner Unschuld. Damit wäre
Schluss, wenn er mit ihm fertig wäre – dann wäre nichts mehr an ihm, was ihn
noch begehrenswert machte für den König. Er wäre nichts weiter als ein
abgelegter Knabe des Antigonos, von ihm benutzt, beschmutzt und weggeworfen.
Alexander würde ihn keines Blickes mehr würdigen, und Kassander, sein Sohn,
würde endlich den Platz einnehmen, der ihm gebührte – als der erste und beste
Freund des Königs.
Alexander starrte eine Unendlichkeit, so erschien es ihm, auf den Rücken seines
Freundes. An der angespannten Haltung war die Wut und Demütigung, die
Hephaistion empfinden musste, deutlich zu erkennen. Der junge König überlegte,
seine Tränen krampfhaft hinunterschluckend, wie seinem Freund am besten zu
helfen war. Sich jetzt von ihm abzuwenden wäre feige und würde nicht nur ihrer
aufkeimenden Liebe, sondern überhaupt ihrer Freundschaft, eine nie wieder zu
heilende Wunde schlagen.
Deswegen begann er, sehr leise, zu sprechen:“
Verzeih mir, Hephaistion. Du hast recht, ich kann mit nicht vorstellen, wie es
dir gerade geht. Aber ich möchte verstehen. Bitte, wende dich nicht von mir ab.
Gerade jetzt nicht!“
Langsam war er hinter Hephaistion getreten. Nun
legte er seinem Freund ganz sacht eine Hand auf die Schulter. Er war sich nicht
sicher, ob seiner Stimme der innere Aufruhr anzuhören war. Ob seine
Unsicherheit, seine Angst, immer noch, oder sogar noch stärker als am
Nachmittag, Hephaistion zu verlieren, durch die gewisperten Worte deutlich
wurde. Würde ihn sein Freund für einen Schwächling halten? Aber wenn er jetzt
siegen wollte, musste er das eben riskieren.
„ Wir sind Freunde
,Hephaistion. Jetzt, da dir unrecht geschehen ist, und du Schmerzen hast, werde
ich dich nicht im Stich lassen. Komm mit.“
Mit sanfter Gewalt dirigierte
er den Freund in ein direkt neben dem Besprechungsraum gelegenes Zimmer, das ihm
häufig als Rückzugsmöglichkeit diente. Dort drückte er Hephaistion auf eine
Liege. Mit einem kleinen Abstand zwischen ihren Körpern setzte sich Alexander
neben seinen Freund.
Er konnte sich vorstellen, dass sich Hephaistion,
obwohl er nun seinen Beistand brauchte, eine gewisse Distanz zu schätzen wusste.
Aber wenigstens die Hand seines Freundes hielt er locker in der seinen. „So, und
nun erzähle. Wer war das? Wer hat es gewagt, dich zu beißen und zu kratzen?“
Als Hephaistion verstockt schwieg und nur stur vor sich hin starrte,
fuhr der junge König behutsam fort: „ Das war Antigonos, nicht war?“
Hephaistion nickte. Der junge König überlegte einen Moment. „Ich kann
mir schon vorstellen, warum er das getan hat. Aber um Antigonos werde ich mich
später kümmern. Zuerst möchte ich nach deinen Wunden sehen.“
Die
wunderschönen, blauen Augen Hephaistions wurden groß. Aber bevor er zu einem
Protest ansetzten konnte, fiel ihm Alexander ins Wort: „Keine Widerrede. Auch
die unscheinbarsten Wunden können sich entzünden. Die Folgen können verheerend
sein, wie du ganz genau weißt.“
Alexander holte ein wenig zitternd Luft.
Denn was er von Hephaistion gleich verlangen würde, könnte zu mehr als nur zum
einfachen Wunden auswaschen führen. Wenn er ehrlich zu sich war, hoffte er sogar
darauf. Dann brachte er die entscheidenden Worte über die Lippen:
„Zieh
dich aus.“
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