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Titel:
Die
Geschichte von der roten Zipfelmütze Autor: FaramirsWife
Im Kamin prasselte ein wärmendes Feuer und
Faramir saß mit seinem kleinen Sohn Elboron schläfrig
davor im Sessel. Während der Fürst von Ithilien
einen harten Tag hinter sich hatte und wirklich hundemüde
war, wirkte der sechsjährige Elboron noch putzmunter.
Er rutschte unruhig auf den Knien seines Vaters hin
und her, weil ihm diese Stille im Raum ein wenig langweilig
war.
"Ada, kannst du mir nicht eine Geschichte erzählen?"
bettelte er Faramir schließlich an. "Du erzählst
viel schöner und spannender als Mutter."
Der Fürst sah seinen Sohn mit gespielter Strenge
an.
"Wenn das deine Mutter wüsste, Elboron",
sagte er leicht tadelnd.
"Wenn ich was wüsste?" fragte Éowyn
neugierig, die in diesem Augenblick in das gemütliche
Kaminzimmer hereinkam.
Sie trug eine Schüssel mit Gebäck vor sich
her.
"Was hast du da gebacken?" lenkte Faramir
gleich vom Thema ab. "Das duftet ja herrlich nach
Zimt."
"Das sind Zimtsternchen", erwiderte Éowyn
stolz und hielt ihren beiden Männern die Schüssel
unter die Nasen.
"Das sollen Sterne sein?" fragte der kleine
Elboron enttäuscht. "Die Plätzchen sehen
aus wie Fladen."
"Ich weiß, dass ich eine schlechte Köchin
bin", seufzte die Fürstin bedrückt. "Kindermund
tut Wahrheit kund."
Faramir nahm sich jedoch eines der Zimtsternchen.
"Wenn sie so gut schmecken, wie sie duften,
will ich mit Lob nicht geizen."
Éowyn hielt den Atem an, als ihr Gemahl sich
eines der Plätzchen in den Mund stopfte und zu
kauen begann.
"Und - schmeckt es?" fragte sie vorsichtig.
"Köstlich, einfach köstlich!"
lobte Faramir sie und angelte sich das nächste
Plätzchen.
Jetzt bekam auch Elboron Appetit und begann auch
ein Zimtsternchen zu essen.
Éowyn atmete auf und setzte sich zu den beiden,
die Schüssel mit den Plätzchen auf dem Schoß.
"Und was ist jetzt mit meiner Geschichte?"
quengelte Elboron.
"Soll ich dir eine Geschichte erzählen?"
fragte Éowyn eifrig. "Dein Vater ist sicher
müde. Er war heute in Minas Tirith beim König
und hatte eine lange Besprechung mit ihm."
"Ich will aber, dass Ada mir eine Geschichte
erzählt!" maulte der kleine Junge weiter.
Faramir lachte herzlich auf und fuhr seinem Sohn
über die strohblonden Locken.
"Ich fürchte, ich bin eine schlechte Geschichtenerzählerin",
sagte Éowyn mit gespielter Traurigkeit. "Dann
muß ich meine Geschichten eben anderen Kindern
erzählen, zum Beispiel deinem Vetter Elfwyne."
"Nein, nein!" krähte Elboron erschrocken.
"Du kannst mir ja später eine Geschichte noch
erzählen, wenn Ada fertig ist."
Faramir und Éowyn blickten sich belustigt
an, als sie ihren Sohn so bestimmend reden hörten.
"Ich frage mich, von wem er das hat", murmelte
der Fürst kaum hörbar in seinen Bart.
Éowyn kicherte leise vor sich hin.
"Bitte, Ada!" flehte Elboron seinen Vater
schon fast verzweifelt an.
"Also gut", meinte Faramir großmütig.
"Dann erzähle ich dir von einem Jungen, dem
etwas wundersames passierte."
Elboron blickte seinen Vater mit leuchtenden Augen
erwartungsvoll an.
*
"Es war einmal ein kleiner Junge, ", begann
Faramir geheimnisvoll zu erzählen, "der lebte
in einem großen Palast in einer großen Stadt.
Von jedermann wurde der Junge Fari genannt, obwohl
er eigentlich einen ganz anderen Namen hatte. Der kleine
Fari war sehr einsam. Er hatte gerade erst seine Mutter
verloren und sein Vater hatte nie Zeit für ihn.
Doch zum Glück hatte Fari noch einen großen
Bruder, den er liebevoll Boro nannte. Boro war der einzige
Mensch, der sich Zeit für ihn nahm. Doch da er
5 Jahre älter als Fari war, hatte er bereits Pflichten
im Palast zu übernehmen und konnte mit seinem kleinen
Bruder nicht so oft spielen, wie er wollte.
Als Fari sechs Jahre alt war, gab es einen strengen
Winter in dem Land, in welchem er lebte. Der kleine
Junge, der sehr zart und zerbrechlich wirkte, wurde
sehr krank, denn er vertrug die Kälte nicht. Die
Krankheit war sehr ernst und die Heiler wussten nicht,
ob Fari den Winter überleben würde. Boro war
verzweifelt, denn er liebte seinen kleinen Bruder sehr
und wollte ihn auf keinen Fall verlieren. Jeden Tag
verbrachte er viele Stunden am Bett seines Bruders und
versuchte ihn irgendwie von der Krankheit abzulenken.
Doch Fari wurde immer schwächer und auch schwermütiger.
"Ich werde bald unsere Mutter wieder sehen",
murmelte der fiebrige Junge vor sich hin.
Boro erschrak, als er das hörte. Hatte Fari
sich etwa schon aufgegeben? Nein, das durfte nicht sein!
Der Heiler kam und schickte den großen Jungen
aus dem Schlafgemach. Ziellos lief Boro im Palast herum.
Schließlich hielt er es nicht mehr aus und rannte
in die Stadt hinunter. Diese Stadt bestand aus sieben
Festungsringen, genau wie Minas Tirith, und Boro lief,
bis er nicht mehr konnte. Keuchend blieb er vor einem
Laden stehen. Es hatte zu schneien begonnen und Boro
merkte, dass er eigentlich zu dünn bekleidet war,
um nach draußen zu gehen. Sein Vater würde
ihm zürnen, wenn er sich erkältete und auch
noch krank wurde. Deswegen beschloß der Junge,
erst einmal in den Laden hineinzugehen, um sich aufzuwärmen.
Er öffnete die Tür und trat ein. Drinnen
gab es allerlei Krimskrams und viele Dinge, die er noch
nie gesehen hatte, wie zum Beispiel karierte Stoffe,
die aus dem Auenland stammten. Staunend fuhr er über
den seltsam gemusterten Stoff. Aber es gab noch mehr
Dinge, die Boro verwunderten: Da war zum Beispiel eine
merkwürdige Waffe, die aussah wie ein Holzstock
und gar seltsame Schlösser hatte. Neugierig fuhr
Boro über den langen Stock.
"Finger weg!" krächzte plötzlich
eine Stimme hinter dem Tresen.
Erschrocken machte Boro einen Schritt zurück.
Ein kleiner Halbling trippelte hinter dem Tresen hervor.
Er baute sich vor dem Jungen in seiner ganzen Größe
auf und reichte ihm trotzdem nur bis zur Brust.
"Das ist ein Feuerstock, mein Junge", erklärte
der Hobbit energisch. "Es ist sehr leichtsinnig,
so eine Waffe anzufassen, wenn man sich nicht damit
auskennt. Am liebsten würde ich dir was mit der
Rute geben."
Boro blickte den Halbling empört an.
"Wißt Ihr nicht, wer ich bin?" rief
er zornig.
"Du bist ein kleiner, dummer Junge", entgegnete
der Hobbit ruhig. "Mein Name ist übrigens
Everard Heiligenschein."
Boro unterdrückte nur mühsam ein Lachen,
als er diesen kuriosen Namen hörte.
"Haben alle Halblinge solch seltsame Namen?"
fragte er prustend.
Everard Heiligenschein verschränkte beleidigt
die Arme und blickte den Jungen böse an.
"Am besten, du gehst jetzt, würde ich sagen."
Boro nickte und wollte sich schon umdrehen, als er
plötzlich eine auffallend rote Zipfelmütze
unter all den Dingen entdeckte. Staunend ergriff er
sie, um sie näher zu betrachten.
"Willst du die Mütze haben, Junge?"
fragte Everard sofort geschäftstüchtig. "So
etwas gibt es bei euch hier unten im Süden nicht.
Aber im Auenland tragen wir so etwas öfters, wenn
es so lausig kalt ist wie jetzt."
"Ich weiß nicht", murmelte Boro verlegen
und legte die Mütze wieder zurück. "Ich
habe kein Geld dabei. Eigentlich könnte ich meinem
kranken Bruder damit eine Freude machen. Er würde
sicher auf andere Gedanken kommen, wenn er dies lustige
Ding hier sähe."
"Dein Bruder ist krank?" fragte der Hobbit
mitfühlend. "Das tut mir aber leid. Was hat
er denn?"
Boros Gesicht wurde ganz traurig.
"Er hat eine Lungenentzündung. Es sieht
nicht gut aus. Die Heiler können Fari vielleicht
gar nicht mehr helfen."
Everard fing plötzlich an, in einer seiner zahlreichen
Schubladen und Kisten zu kramen, bis er eine kleine
Flasche mit einer honiggelben Flüssigkeit hervorzog.
"Gib das deinem kleinen Fari zu trinken: jeden
Morgen und Abend einen kleinen Schluck. Dann wird er
wieder gesund."
Boro betrachtete das Fläschchen argwöhnisch.
"Vertraue mir", sagte der Hobbit freundlich.
"Ich sehe, dass du sehr an deinem Bruder hängst.
Ich habe auch im Auenland ein paar kleine Brüder."
Boro lächelte jetzt, wurde aber gleich wieder
traurig.
"Es tut mir leid, aber ich habe kein Geld dabei."
"Du kannst mir das Geld irgendwann in den nächsten
Tagen bringen", sagte Everard großzügig.
"Nun aber ab nach Hause, dein Bruder braucht dich."
"Ich danke Euch!" rief Boro überglücklich.
Er wickelte das Fläschchen in die Mütze
und lief aus dem Laden hinaus. So schnell er konnte,
eilte er durch das dichte Schneetreiben in den Palast
hoch. Ganz außer Atem erreichte er die fürstliche
Wohnung. Er sah seinen Vater, der sich gerade mit den
Heilern auf den Korridor unterhielt. Boro wusste sofort,
dass etwas Furchtbares geschehen sein musste, denn die
Augen seines Vaters waren verweint. Und er hatte seinen
Vater erst einmal im Leben weinen sehen: als seine Mutter
gestorben war.
Vorsichtig schlich Boro zu Faris Schlafgemach hin,
doch sein Vater trat ihm in den Weg.
"Du kannst Fari nicht mehr besuchen, denn er
ist gerade gestorben."
Entsetzt blickte Boro seinen Vater an: er konnte
es nicht fassen. Die Züge des sonst so strengen
Mannes wurden plötzlich weich.
"Geh nur hinein und verabschiede dich von deinem
Bruder", sagte er jetzt sanft.
Boro betrat das Zimmer auf leisen Sohlen. Fari lag
in seinem Bett, als schliefe er. Doch sein Gesicht war
schneeweiß. Boro setzte sich an die Bettkante
und nahm die schlaffe, kleine Hand in die Seine.
"Warum konntest du nicht warten, Fari?"
schluchzte Boro auf. "Ich wollte dir doch etwas
zeigen."
Er holte die rote Zipfelmütze hervor und drückte
sie in Faris Hand.
"Vielleicht siehst du mir jetzt von irgendwoher
zu", schniefte Boro vor sich hin.
Plötzlich geschah ein Wunder: Faris Hand bewegte
sich und umschloß die Mütze ganz fest. Erschrocken
fuhr Boro hoch.
"Vater!" schrie er laut. "Fari lebt!
Komm schnell!"
Im Nu kam der Fürst mit den Heilern in das Gemach
geeilt. Als sie hereinkamen, hatte Fari bereits die
Augen geöffnet und blickte alle verwundert an.
"Ich muß mich geirrt haben", stammelte
der oberste Heiler verlegen. "Das ist mir auch
noch nicht passiert."
Fari jedoch hatte nur Augen für die seltsame
rote Zipfelmütze in seiner Hand.
"Das ist ein lustiges Ding", meinte er
mit schwacher Stimme und lächelte.
"Soll ich sie mal aufsetzen, Kleiner?"
fragte Boro begeistert.
Fari nickte, und der größere Junge setzte
die Zipfelmütze auf seinen Kopf. Mit der Mütze
und seinen langen, blonden Haaren wirkte Boro sehr komisch
und Fari begann zu lachen. Doch das Lachen wurde rasch
von einem Hustenanfall erstickt.
"Hier, trink das", meinte Boro und gab
seinem Bruder einen Schluck aus dem Fläschchen,
das er von Everard bekommen hatte.
Die Heiler betrachteten mißtrauisch die kleine
Flasche.
"Was ist das für ein seltsamer Saft?"
fragten sie verwirrt.
Jetzt reichte es dem Fürsten der Stadt.
"Hinaus mit euch, ihr Unfähigen!"
schrie er wütend. "Dank euerer Heilkünste
hätte ich fast meinen Sohn zu Grabe getragen."
Aufgrund der Wirkung des Hobbit-Saftes ging es dem
kleinen Fari bald besser. Nur eine Woche später
war er wieder ganz gesund.
Zusammen mit Boro wollte er den kleinen Laden
von Everard Heiligenschein besuchen. Es war Zeit, dass
der Händler sein Geld bekam.
Sie liefen langsam die Festungsringe hinab, doch
Boro fand den kleinen Laden nicht mehr.
"Das ist wirklich merkwürdig", meinte
Boro nachdenklich. "Ich könnte schwören,
dass der Laden hier in dieser Straße lag. Aber
jetzt ist er verschwunden."
"Vielleicht sollten wir die Anwohner fragen",
schlug Fari vor.
Doch niemand konnte den beiden Brüdern eine
Auskunft geben. Der wundersame Laden des kleinen Hobbit
war völlig unbekannt.
Unverrichteter Dinge gingen die beiden Brüder
wieder nach Hause. Die einzigen Beweise, dass Boro nicht
geträumt hatte, waren die Mütze und der Saft,
der Fari gesund gemacht hatte. Der kleine Fari
wurde nie wieder krank. Er wuchs zu einem großen,
kräftigen Mann heran, genau wie sein Bruder. Und
wenn er nicht gestorben ist, dann lebt er noch heute."
Faramir verstummte. Elboron gähnte jetzt verstohlen.
"Das war aber eine schöne Geschichte",
murmelte der kleine Junge schon ganz schläfrig
und lehnte sich an die breite Brust seines Vaters.
"Soll ich jetzt auch noch eine Geschichte erzählen?"
fragte Éowyn lächelnd und zwinkerte Faramir
zu.
Doch Elboron war bereits eingeschlafen. Vorsichtig
trug ihn Faramir zu Bett. Éowyn zog dem Kleinen
rasch sein Nachthemd an und deckte ihn sanft zu. Dann
verließ das Ehepaar auf leisen Sohlen das Kinderzimmer.
"Das war die schönste Geschichte, die du
je erzählt hast", meinte Éowyn lächelnd.
"Ich wünschte, ich hätte so eine blühende
Phantasie wie du."
"Die Geschichte habe ich nicht erfunden",
sagte Faramir ernst. "Sie ist wirklich so passiert."
Éowyn starrte ihren Gemahl erschrocken an.
"Dann warst du dieser kleine Fari?"
"Boromir nannte mich immer so", sagte der
junge Fürst mit belegter Stimme. "Und ich
nannte ihn Boro."
Schweigend gingen die beiden in ihr Schlafgemach.
Faramir öffnete eine große Truhe, die in
der Ecke stand, und begann, darin herumzukramen. Schließlich
zog er ein fussliges rotes Ding heraus. Éowyn
stieß einen Ausruf der Entzückung aus.
"Du hast diese rote Zipfelmütze immer noch!
Das gibt es ja nicht!"
Faramir versuchte die Zipfelmütze aufzusetzen,
aber sie war ihm zu klein.
Éowyn kicherte vor sich hin.
"Ich weiß, was wir damit machen werden",
sagte Faramir schließlich.
*
Als Elboron am nächsten Morgen erwachte, staunte
er nicht schlecht, als er eine rote Zipfelmütze
auf seinem Bett liegen sah. Verwunderte betrachtete
er das Ding. Doch dann begriff der kleine Junge, was
dies bedeutete: die Geschichte, die sein Vater gestern
Abend erzählt hatte, war nicht erfunden, sondern
Wirklichkeit.
Elboron steckte die Mütze in seine persönliche
"Schatzkiste". Als er später als junger
Mann in den Krieg ziehen musste, war die Mütze
immer als Glücksbringer in der Tasche seines Wamses
dabei, und Elboron wurde niemals verwundet. Sein ganzes
Leben lang vergaß er die Geschichte nicht und
er erzählte sie schließlich eines Tages seinem
eigenen Sohn Barahir, als dieser sechs Jahre alt war.
ENDE |
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