Titel: Die gestohlene Rose
Autor: AnimA


Mit einem leisen Summen lief Glorfindel den gekiesten Weg entlang. Sein Ausbilder an den Waffen hatte ihn heute vor den versammelten Kriegern gelobt. Er war  voller Freude, und konnte es kaum erwarten, seinem Lord davon zu berichten. Schließlich war er der jüngste Elb, der jemals zu diesem harten Training zugelassen worden war. Plötzlich hielt er mitten in der Bewegung inne.

Dort, in dem von einem fein geschmiedeten Zaun umschlossenen Rosengarten Elronds stand ein  fremder Elb. Alleine die bis zur Hüfte reichenden, offen getragenen schwarzen Haare sagten Glorfindel dass diese Person nicht zum letzten gastlichen Heim gehörte. Was machte der Fremde da?

Der große Dunkelhaarige kehrte Glrofindel den Rücken zu. Er war ganz offensichtlich in die Betrachtung der üppig blühenden Sträucher vertieft. Wie aus dem Nichts blitzt etwas silbern auf im Sonnenlicht. Dann, mit einem kurzen Schnitt war eine der tiefroten Rosen weit unten am Stil abgetrennt.

„Was fällt dir ein,...das ist verboten“ Glorfindel hatte den Schrei des Entsetzens bereits ausgestoßen, noch bevor er sich in Bewegung setzte. Der Unbekannte wandte ihm kurz sein Gesicht zu. Vor Schreck weit aufgerissene Augen streiften Glrofindels Gestalt, dann drehte sich der Elb, denn darum handelte es sich zweifellos, wie der blonde Krieger nun sehen konnte, um, und ergriff die Flucht.

Glorfindel hetzte stumm und verbissen hinter dem dreisten Rosenräuber her. Lord Elrond war bestimmt untröstlich, wenn er von dem Frevel an seinen geliebten Blumen erfuhr. Der Flüchtende war flink, und schlug immer wieder Haken. Doch Glorfindel merkte bald, dass sich der Dunkelhaarige hier nicht auskannte. Mit einigen geschickten Täuschungsmanövern drängte er den Fremden Richtung Pferdestallungen. Tatsächlich, der Dunkelhaarige bemerkte die Falle nicht, er verschwand in einem der Ställe, dicht gefolgt von Glorfindel, der nun langsam auf den in die Enge Getriebenen zuschritt.

„Warum stielst du die Blumen unseres Lords? Wer bist du überhaupt, und wo kommst du her? Ich habe dich hier noch nie gesehen.“ Mit jeder Frage war Glorfindel einen Schritt näher an den Unbekannten heran getreten, der sich inzwischen ängstlich in die hinterste Ecke drückte.

„Also, ich bin Glorfindel von Athilasgrund, und ich werde einmal ein großer Krieger, genau wie der Ballrogschlächter, nach dem mich meine Eltern benannt haben, und mit dem ich überdies verwandt bin.“ Der blonde Elb straffte die Schultern und versuchte dadurch noch etwas größer zu erscheinen. „Und mit Dieben werde ich kurzen Prozess machen. Gib die Rose her!“ damit faste er nach dem langen Rosenstil der merklich in der Hand des Anderen zitterte.

Ein leises Fauchen war zu hören, und der Dunkelhaarige verstärkte den Griff um den dornigen Stil. So sehr hielt er an seiner Beute fest, dass ein dünnes Rinnsal Blut über das schmale Handgelenk den Arm hinunter lief.

Mit einem knarrenden Geräusch, das freilich für menschliche Ohren nicht zu hören gewesen wäre, schwang die große Stalltür auf. Glorfindel blickte sich erstaunt um, gerade, um noch aus den Augenwinkeln zu bemerken, das der Fremde wie ein Pfeil an ihm vorbei schoss um hinter dem gerade Eintretenden in Deckung zu gehen. Er versteckte sich beinahe in den üppigen Falten einer Robe.

Glorfindels Blick folgte den Falten des edlen Stoffes bis er in das erstaunte Gesicht seines Lords blickte. Überrascht, aber geistesgegenwärtig verbeugte er sich ehrfürchtig.

„Glorfindel, bist du so freundlich, mir zu erklären, was hier los ist?“

„Mein Lord, ich habe diesen Elben dabei überrascht, wie er eine eurer Rosen....“

Die Worte erstarben auf seinen Lippen, denn der dunkelhaarige Elb trat nun vor Elrond um ihm die Blume zu reichen. Auch er verbeugte sich. Was, wie Glorfindel mit leichtem Missfallen bemerkte, weitaus eleganter aussah als alles was er bisher an Verbeugungen zu Stande gebracht hatte. Aber, beruhigte er sich, er war schließlich Krieger, und kein schwächlicher Höfling!

„Danke, Erestor.“ Der Lord von Bruchtal lächelte den großen Elben freundlich an. “Ich nehme an, ihr habt euch noch nicht bekannt gemacht?“

Glorfindel schüttelte überrascht den Kopf. Das also war Erestor, der Elb den eine der erst vor kurzem eingetroffenen Patrouillen mitgebracht hatten. Man munkelte, dass der seltsame Elb mitten im Wald völlig verwahrlost  gefunden worden war. Anscheinend stimmte auch das Gerücht, dass er nicht sprach.

Elrond wandte sich an den Dunkelhaarigen: “Darf ich dir Glorfindel vorstellen? Er ist, obwohl noch sehr jung, einer unserer tapfersten Krieger.“

Der Elbenlord richtete seine intensiv blaugrauen Augen auf Glorfindel: „Glorfindel es ist mir eine Freude dir Erestor vorzustellen. Mir will scheinen ihr seid beide etwa in einem Alter. Nun, dann bist du hier nicht mehr nur von um so vieles älteren Elben  umgeben.“

        

Dem wachsamen Blick Elronds war die Verletzung Erestors keinesfalls entgangen.

Behutsam nahm er die zitternde Hand in die seine, und drehte sich die Innenfläche zu, um zu sehen, was die Dornen angerichtet hatten.

„Erestor du gehst bitte zu einem der Heiler und lässt die Wunden verbinden. Glorfindel, bist du so gut, und begleitest Erestor? Bei der Gelegenheit kannst du unserem Gast gleich ein bisschen von der Schönheit Bruchtals zeigen.“

„Sehr wohl mein Lord“, der blonde Elb verneigte sich ehrerbietig. Er hatte verstanden. Denn mehr noch als die Worte hatten die Blicke die ihm Elrond zugeworfen hatte, gesagt, dass sein Lord ihm die ehrenvolle Aufgabe übertrug, sich um den Fremden zu kümmern, und wenn er seinen Lord richtig verstanden hatte, ihn vielleicht auch zu beschützen.

Während sie den Weg zu einer der Hallen einschlugen, in denen die Heiler ihrer Berufung nachgingen, versuchte Glorfindel ein Gespräch mit dem Fremden anzufangen. Die einzige Reaktion die er allerdings erhielt, war ein langer Blick aus intensiv blauen Augen, der ihm, wie er erstaunt feststellte durch und durch ging. Noch nie hatte er sich von anderen einschüchtern lassen und erst recht nicht dadurch, dass ihn jemand ansah.

Glorfindel wusste, dass er selbst für elbische Maßstäbe überdurchschnittlich gut aussah. Er war es gewohnt, angestarrt zu werden. Aber diese blauen Augen,....

Er versuchte es ein letztes Mal. „Wir haben ja beide recht berühmte Namenspatrone. Ich frage mich, ob dich Elrond nach seinem Berater benannt hat, der soll angeblich auch so dunkle Haare wie du haben.“

Ein erstaunter Ausdruck zeigte sich auf dem schmalen Gesicht seines Begleiters.

„Ja, ich weiß, das klingt komisch, aber ich habe Lord Erestor noch nie gesehen. Weißt du, allzu lange bin ich noch gar nicht hier in Bruchtal. Der Berater Elronds weilt so viel ich weiß, seit einiger Zeit in Gondor. Meine Eltern leben recht zurückgezogen auf einem großen Anwesen. Aber ich wollte hier unbedingt die Ausbildung zum Schwertkämpfer absolvieren. Anschließend will ich noch an Thranduil´s Hof. Dort werden die besten Bogenschützen trainiert. Mein Traum ist es, der allerbeste Elbenkrieger zu werden.“

Lächelte Erestor ihn an? Glorfindel hatte einfach drauf losgeplaudert, und sie waren nun schon bei einer der Heilstätten angelangt, ohne dass ihm aufgefallen wäre, wie sie die doch recht lange Strecke zurück gelegt hatten.

        

Die Hand war schnell verbunden, und Glorfindel bot seinem neu gefundenen Freund an, ihn zu Elronds Gemächern zu geleiten, einfach weil er annahm, dass der Dunkelhaarige dort im Gästeflügel seine Räume hatte. Einer der vielen Bediensteten würde ihm schon sagen können, wo genau Erestor  untergebracht war.

Dann standen sie vor Erestors Räumen, und der dunkelhaarige Elb streckte Glorfindel eine schmale Hand entgegen die dieser erfreut ergriff.

„Wollen wir uns morgen wieder sehen?“ Glorfindel spürte mit Erstaunen, dass sein Herz auf einmal heftig zu klopfen begonnen hatte. Zu seiner Enttäuschung aber schüttelte Erestor den Kopf.

Mit einigen Gesten seiner schlanken Hände deutete Erestor das Aufschlagen eines Buches, und mit einem leichten Stirnrunzeln, was in diesem jungen Gesicht rührend wirkte, Lesen in eben jenem Buch, an.

„Du willst damit sagen, dass du morgen in der Bibliothek bist?“

Erestor nickte.

„Auch am Nachmittag?“

Das Nicken wurde intensiver, und das feine Lächeln kehrte zurück auf die schmalen Lippen.

„Dann komme ich morgen Nachmittag nach meinem Training in die Bibliothek, abgemacht?“

Nun war es an Glorfindel, die Hand auszustrecken.

Erestor starrte einen langen Moment zu Boden, bevor er sehr zögerlich seine eigene Hand in die von Schwielen raue Handfläche des Blonden legte. Dann wandte er sich abrupt um und verschwand in seinen Räumen.

Glorfindel stand noch eine Zeit einfach auf dem luftigen Gang und starrte auf die dunkel Holztür. Morgen würde er den merkwürdigen Elben wieder sehen. Zuerst hatte er gedacht, dass es unmöglich sein müsste sich mit jemandem, der nicht sprach, zu unterhalten, aber der Nachmittag, der nun schon in den Abend dämmerte, war so rasch vergangen, und obwohl er das ganze Reden übernommen hatte, hatte er sich nicht einen Moment gelangweilt.

Und das lag an den ausdruckstarken Augen, den feinen Gesten, der überaus wundersamen Körpersprache des Dunkelhaarigen, und seinem Lächeln, wie sich Glorfindel eingestehen musste.

 

Bald schon war es zwischen den beiden jungen Elben zur Gewohnheit geworden, sich des Nachmittags zu treffen. Erestor zeigte Glorfindel was er über den Tag gelesen oder gezeichnet hatte, denn neben seinem offensichtlichen Interesse an Pflanzen und Rezepturen konnte der dunkelhaarige Elb wunderschöne Aquarelle von Blumen die er sah, oder von denen er Beschreibungen gelesen hatte, auf Papier zaubern.

Im Gegenzug zu Glorfindels Besuchen in der Bibliothek oder den Gärten sah Erestor seinem blonden Freund ab und an bei dessen Kampftraining zu.

Ein einziges Mal hatte der Meister an den Stöcken bei einem dieser Besuche auf dem Kampfplatz  versucht Erestor zu einem Training zu nötigen. Der schlanke Elb hatte seine wertvolle Robe abgelegt, war mit Hemd und engen Hosen, die in halb hohen Stiefeln steckten, in die mit Sand bestreute Arena getreten, hatte den Meister angreifen lassen, und, während dieser ihn noch attackierte, blitzschnell entwaffnet. Mit einem lauten Geräusch zerbrach der Stock, den Erestor über ein Knie brach. Die Bruchstücke warf er auf den Boden, schüttelte entschieden den Kopf , streckte die Arme vor sich aus, die Handfläche nach außen gekehrt und zog sich dann rückwärtsgehend, langsam zurück.

Obwohl Glorfindel zu gerne von seinem Freund erfahren hätte, wo er so kämpfen gelernt hatte, und obwohl er wiederholt darum bat, dass ihm Erestor die Kniffe beibringen sollte, er bekam immer nur ein entschiedenes Kopfschütteln zur Antwort.

Glorfindel hatte bald herausgefunden, das sich Erestor in der Gesellschaft anderer Elben nicht wohlfühlte. Der einzige, vor dem er,  von Glorfindel selber einmal abgesehen, nicht die Flucht ergriff, war Lord Elrond.

Der blonde Elb hatte sich den Kopf zerbrochen , wie er diese Scheu seines Freundes mindern konnte.

Er war zu dem Schluss gekommen, dass das am heutigen Abend stattfindende Fest die richtige Gelegenheit war, Erestor zu beweisen, dass es auch Freude machen konnte, in Gesellschaft der anderen Elben zu sein.

Um dem Dunkelhaarigen die Entscheidung zu erleichtern, hatte er ein besonderes Geschenk mitgebracht. Ein wenig aufgeregt, wie eigentlich immer, wenn er an Erestors Zimmertür klopfte, stand er da, und wartete, dass ihm sein Freund öffnete.

 

Erestor freute sich, den blonden Elben zu sehen. Mit einer einladenden Geste bat er ihn herein. Wie gewöhnlich strahlte Glorfindel und brachte mit seiner lebensfrohen Art Wärme in das Zimmer Erestors. Nicht zum ersten Mal ertappte dieser sich dabei, dass er vorsichtig schnupperte. Er liebte den Duft, der Glorfindel eigen war. Nach warmen Stahl, erhitzter Haut, und kräftiger Erde roch der blonde Krieger. Aber heute mischte sich ein anderer, blumiger Duft in das betörende Gemisch das Erestor auch im Dunkeln als Glorfindels Geruch erkannt hätte.

Erstaunt zog er die Augenbrauen hoch. Da sprudelte es auch schon aus dem jungen Elben heraus: “Hier, diese Blüte habe ich dir mitgebracht. Ich habe gesehen, wie du die Bilder von  der „Rose ohne Dornen“ immer wieder betrachtet hast, und hier ist eine für dich.“

Erestor wurde noch eine Spur blasser, was bei seiner hellen Haut erstaunlich war. Er wusste, dass die wenigen Blüten, die es in ganz Bruchtal gab, im immer noch unruhigen Grenzgebiet wuchsen. Elrond hatte ihm das wiederholt erzählt, weil auch der Elbenlord Erestors sehnsuchtsvolle Blicke auf die Abbildungen dieser Blume erhascht hatte.

Und dieser verrückte Elb, der doch der beste aller Elbenkrieger werden wollte, begab sich für eine Blume in Gefahr. Erestor wusste nicht, ob er wütend, erschrocken oder einfach nur begeistert sein sollte. Ehrfürchtig nahm er die handtellergroße Blume entgegen.

Mit einem Lächeln neigte er den Kopf, um Glorfindel seine Freude und seinen Dank auszudrücken.

Wie nicht anders zu erwarten, redete Glorfindel bereits weiter: “Ja, ich dachte, mit der Blume,...also,...Hmmm, ich meine,...“

Erestor warf nun einen erstaunen Blick in das schöne Gesicht, dessen braune Augen  einen exquisiten Gegensatz zu den goldblonden Haaren darstellten.

Der Elbenkrieger räusperte sich, und begann seinen Satz von vorne:“ Was hältst du davon, heute Abend zu Lord Elronds Fest zu gehen?“

Das Lächeln erstarb auf Erestors Lippen. Vehement schüttelte er den Kopf.

„Aber warum denn nicht? Es wird Musik und Gesang geben. Die besten Speisen werden aufgetragen, und später gibt es  Gelegenheit zu tanzen. Du wirst dich bestimmt amüsieren.“

Erestor verdrehte die Augen. Warum wollte sein Freund ihn nicht verstehen? Er deutete auf seine dunkle Robe, und schüttelte wieder den Kopf.

„Ach, du meinst, du hast nicht das Passende anzuziehen? Ich kann dir von meine Sachen etwas Festliches leihen.“

Erestor seufzte, dann deutete er auf seine Haare. Das müsste Glorfindel verstehen.

Doch auch hier kam nur: “Wenn du mich lässt, werde ich dir einen Zopf flechten, Klemmen habe ich auch genug, das wird fantastisch aussehen.“

Erestor nahm Glorfindel sanft am Arm und trat mit ihm auf die Terrasse, die sich gleich vor den Fenstertüren vor seinem Zimmer bis zu einem kleinen,  künstlich angelegten See erstreckte.

Er trat bis dicht ans Ufer und zeigte auf die spiegelnd Fläche. Er deutet auf Glorfindel und lächelte. Dann zeigte er auf sich und das wohlbekannte Kopfschütteln folgte.

Endlich schien Glorfindel zu verstehen. Aber anscheinend wollte er nicht nachgeben.

„Das ist überhaupt nicht wahr.“ ließ sich Glorfindel vernehmen. Du hast ja gar keine Ahnung, wie viele Elben dich attraktiv finden. Gerade dein wunderschönes Haar ist doch hier eine Seltenheit. Und, und,...ich würde mich einfach freuen, wenn du mit mir auf dem Fest bist.“

Das war etwas anderes. Zögerlich nickte Erestor, den Blick auf die seltene Blume gesenkt, die er immer noch in der linken Hand hielt. Versonnen sah er auf die großen, an den Rändern leicht gewellten Blütenblätter. Dann hob er die Augen, um Glorfindel direkt anzusehen. Entschlossen nickte er noch einmal.

Tief in Gedanken versunken stand Erestor immer noch am See, als Glorfindel schon längst gegangen war. Vorbereitungen treffen, wie er sich ausgedrückt hatte.

Ein Rascheln ließ ihn zusammenzucken.

Ein Elb trat aus den dichten Büschen der Uferbepflanzung. Sein helles Haar glänzte golden im Sonnenlicht. Allerdings war das ein ganz anderer Goldton als ihn Glorfindels Haare hatten, die in einmalig warmen Tönen schimmerten.

Innerlich wand sich Erestor. Warum musste ausgerechnet das Lebewesen, das er am wenigsten auf Arda sehen wollte, hier auftauchen?

Heffron war ein hochmütiger, von sich selbst eingenommener Elb, der es sich anscheinend zur Aufgabe gemacht hatte, Erestor zu quälen, wo immer  sich ihm eine Möglichkeit bot.

„Sieh an, die Missgeburt hat eine Blume bekommen. Findest du es nicht merkwürdig, dass der allseits begehrte Glorfindel mit dir auf Elronds Fest, DEM Ereignis des Jahres nebenbei bemerkt, gehen will?“

In der Parodie einer freundschaftlichen Geste trat der hellblonde Elb näher.

„Ist dir noch nie in den Sinn gekommen, dass Glorfindel sich nur mit dir abgibt, weil Lord Elrond es so will?“

Erestor wurde kalt, ein Gefühl, das er eigentlich nicht kennen sollte, das ihn aber seit,...nein, er konnte sich nicht erinnern seit wann,... das ihn seit einiger Zeit begleitete und nur für kurze Momente verließ, immer dann, wenn er mit Glorfindel zusammen war.

„Wenn dir wirklich etwas an Glorfindel liegt, “ fuhr der andere Elb unbeirrt fort,“ gehst du heute nicht auf das Fest. Du blamierst Glorfindel nur. Es ist doch recht peinlich, wenn man sich mit dir zeigen muss. Überhaupt, so wie du aussiehst, will sowieso keiner etwas mit dir zu tun haben. Und reden kann man mit dir auch nicht. Wirklich, ich frage mich, ob du überhaupt ein Elb bist, oder nicht vielmehr eine von Saurons misslungenen Kreaturen.“

Aus Erestors Kehle zwang sich ein tiefes Grollen seinen Weg nach oben. Er knurrte. Verzweifelt wanderte sein Blick zwischen dem arroganten Gesicht seines Peinigers, und der Rose in seiner Hand hin und her.

„Ach, du meinst, weil dir Glorfindel eine alberne, wertlose Blume geschenkt hat, bedeutest du etwas für ihn? Dass ich nicht lache. Mitleid hat er mit dir. Wenn du nicht zugegen bist, solltest du einmal hören, wie die Krieger über dich lachen,...und dein Glorfindel lacht mit,...“

Das war zuviel, zuviel Demütigung, vielleicht auch zu viel Wahrheit. Erestor trat dich an den unterdrückt Kichernden heran. Ein Fauchen entfuhr ihm, und mit einer einzigen Geste zog er dem anderen seine mit langen Nägeln bewehrten Finger durchs Gesicht.

Das hässliche Kichern erstarb. Heffron wurde erst blass, dann hochrot.

„Das hättest du nicht tun sollen. Du bist ja eine Gefahr! Das werde ich Lord Elrond melden müssen. Sieh nur, was du angerichtet hast. Soll ich etwa mit einem zerkratzten Gesicht auf das Fest gehen? Das wird ein Nachspiel haben, das verspreche ich dir!! Und Glorfindel wirst du nicht mehr wiedersehen, dafür werde ich persönlich sorgen.“

Heffron wandte sich zum gehen, doch bevor er, immer noch wutschnaubend, abzog wandte er sich ein letztes Mal um:“ Wenn du dir einen Gefallen tun willst, verschwindest du, geh dahin, wo du hergekommen bist.... Abschaum!“

Wie erstarrt stand Erestor da. Er konnte nicht glauben, was da eben passiert war. Er hatte die Beherrschung verloren. Nie, niemals wieder hatte er ein anderes Wesen angreifen wollen. Woher dieser Vorsatz kam, vermochte er nicht zu sagen, der Entschluss aber war tief in seiner Seele verankert. Und nun hatte er gegen seine Überzeugung gehandelt. Das alleine war unentschuldbar. Aber wenn stimmte, was der verhasste Elb gesagt hatte, warum sollte er hier bleiben?

War Glorfindels Freundschaft für ihn wirklich nur gespielt, von Lord Elrond befohlen?

Ganz langsam löste sich eine einsame Träne, und rann die porzellanweiße Wange herunter.

Mechanisch wandte er sich seinem Zimmer zu. Automatisch trugen ihn seine Beine in den eben noch von Glorfindels Lachen erwärmten Raum. Aber das war alles nur ein Trugbild gewesen. Wie hatte er auch nur so naiv sein können, den warmen braunen Augen zu trauen, und der sanften  Stimme Gehör zu schenken?

Haffron hatte recht, mit jedem Wort. Er war hässlich und unnütz, Ballast. Ohne ihn wäre Glorfindel besser dran. Er würde mit seinen Kameraden zusammen feiern und ausgelassene Scherze aushecken können, und vor allen anderen Dingen, er könnte mit den anderen Reden.

Ein kaum mehr zu unerdrückendes Wimmern drang zwischen den zu schmalen Strichen zusammengepressten Lippen hervor.

Trotz aller Qual, die sein Innerstes beinahe zu zerreißen drohte, funktionierte doch sein Geist hervorragend. Behutsam legte er die edle Rose in eine Glasschale, die er mit Wasser gefüllt hatte. Dieses wertvolle Geschenk würde er nicht mitnehmen können.

Kurz überlegte Erestor, ob er Glorfindel einige Zeilen schreiben sollte. Den Gedanken verwarf er schnell wieder. Er wollte nicht, dass der blonde Elb noch mehr Grund hatte, über ihn zu lachen.

Die wertvolle Robe zog Erestor aus, und hängte sie sorgfältig in den Schrank. Freilich, von dem was er bei seiner „Rettung“ auf dem Leib getragen hatte, war nichts mehr da. Alles war so zerrissen und verschmutzt gewesen, dass er kein  einziges Stück seiner Kleidung mehr besaß.

Aber der schlichte Wollumhang, den er oft bei seinen Exkursionen in die Gärten von Bruchtal getragen hatte, war gut genug für ihn.

Ein letztes Mal blickte er sich in dem Zimmer, das für einige Zeit sein Zuhause geworden war, um.

Dann trat er entschlossen an seinen Arbeitstisch. Aus einer darunter angebrachten Schublade holte er seine Zeichnungen und Aufschriebe heraus. Auf einen kleinen Zettel schrieb er den Vermerk, dass die Unterlagen für Elronds Bibliothek bestimmt seien.

Erestor hoffte, dass er damit wenigstens einen Teil seiner Schulden die er hier in Form von Kleidung, Verpflegung und dem Recht ein Zimmer zu bewohnen, angesammelt hatte, abgelten konnte.

Sein Weg fort vom letzten gastlichen Heim führte ihn noch einmal an den Vorratshallen vorbei. Einige Äpfel und einen kleinen Laib Brot steckte er sich in seinen Reisebeutel, der das einzigste war, das ihm von seinen  Habseligkeiten geblieben war.

Dann verschwand er, unbemerkt von den anderen, mit den Vorbereitungen für das Fest beschäftigten Elben,  in den angrenzenden Wäldern.

Vor Vergnügen pfiff Glorfindel ein beliebtes Lied, das sicher nachher auch auf Lord Elronds Fest gespielt werden würde. Auf den Armen trug er eine seiner besten Roben, in seinem Gewand sicher verstaut befanden sich etliche edel geformte Spangen. Er hatte genaue Vorstellungen davon, wie er Erestor frisieren wollte. Ein Lächeln huschte über Glorfindels Gesicht, als er sich den dunkelhaarigen Elben in der blauen Festrobe vorstellte. Diese klare Farbe würde hervorragend zu den sprechenden Augen seines Freundes passen. Der blonde Elb freute sich darauf, mit Erestor auf das Fest zu gehen. Sein Freund war immer viel zu ernst. Es war an der Zeit, dass er die Freuden die ein Leben in Bruchtal bieten konnte, kennen lernte.

„Hier bist du, ich habe dich überall gesucht.“

Überrascht wandte sich Glorfindel um. „ Warum das denn? Du siehst mich nachher noch zur Genüge,“ jetzt grinste der junge Elb,“ und trainiert haben wir heute genug, will ich meinen.“

„Das du nie ernst sein kannst“, der andere Elb schüttelte in gespielter Verzweiflung den Kopf, „ Lord Elrond möchte dich sprechen, du sollst sofort zu ihm kommen.“

„Was? Jetzt? Aber ich wollte doch,...“ Glorfindel war bereits etwas spät dran, und eine erneute Verzögerung passte ihm überhaupt nicht. Schließlich wollte er sich in Ruhe Erestor widmen. Er hatte sich insgeheim darauf gefreut, das prächtige dunkle Haar  endlich berühren zu könne, auch wenn es unter dem Vorwand geschah, eine festliche Frisur zu flechten. Sein Freund sollte so schön aussehen wie nie. Er wollte, dass die anderen sahen, was für ein anziehender Elb sein Erestor war. Er wollte, dass der zurückhaltende Erestor endlich etwas mehr Selbstvertrauen bekam.

„Kann das nicht warten?“

Der ältere, blonde Elb schüttelte den Kopf:“ Ich fürchte nicht.“

„Kannst nicht du für mich gehen, Heffron?“ Glorfindel hoffte, dass sein Kamerad, mit dem er seit seinen ersten Kampfstunden befreundet war, für ihn einspringen würde. Aber der zuckte bedauernd die Schultern. „Tut mir leid, aber Elrond hat speziell nach dir verlangt, sonst hätte ich das gerne für dich übernommen. Was hast du eigentlich  dringendes vor, so kurz vor Beginn des Fests?“

„Ach, nichts.“ Glorfindel wollte jetzt keine großen Erklärungen abgeben. Er hatte bereits mehrmals bemerkt, wie seltsam sich der ältere Elb benahm, sobald er mit seinen anderen Kameraden, und nicht ausschließlich mit Heffron, etwas unternahm. Wenn es nicht so unwahrscheinlich gewesen wäre, hätte Glorfindel vermutet, dass der ältere Elb eifersüchtig war. Aber Heffron hatte sich ihm nie anders als in freundschaftlicher Weise genähert, und so schob Glorfindel den Gedanken wieder beiseite.

„Wo finde ich den Lord denn?“

„Vorhin war er am Wasserfall.“

Glorfindel stöhnte. Das war seinem eigentlichen Ziel genau entgegengesetzt, dazu noch an einem der entlegensten Stellen des Festgeländes.

„Dann beeile ich mich am besten.“ Glorfindel drückte das Festgewand für Erestor vorsichtig an sich und fiel in einen leichten Trab. Lord Elronds Auftrag, was immer das auch sein würde, hatte ihm gerade noch gefehlt.

Ihm lief buchstäblich die Zeit davon. Deswegen atmete er auf, als er auf seinem Weg einen anderen Elben aus seiner Kampfklasse traf, mit dem er sich gut verstand.

Der erklärte sich einverstanden, die Robe und eine kleine Notiz, die Glorfindel schnell auf eine winzigen Zettel kritzelte, Erestor zu bringen.

Darin versprach der blonde Elb so schnell wie möglich zu kommen, um Erestor abzuholen, damit sie wenigstens zusammen die Eröffnungszeremonie erleben konnten.

Heffron sah mit einem triumphierenden Lächeln hinter Glorfindel her. Das lief besser, als er gedacht hatte. Natürlich war der Lord ganz woanders, und bis der junge Elb ihn gefunden  hatte, würde noch eine geraume Zeit verstreichen. Genügend Zeit,  während der  das Fest beginnen konnte und somit  Glorfindel davon abgehalten würde, auch nur an Erestor zu denken. Hafron würde es schon irgendwie bewerkstelligen, dass Glorfindel nicht so schnell zu Erestors Gemächern gelangen konnte.

Wäre erst das Hindernis, das Erestor für ihn darstellte, beiseite geschafft, hätte er Glorfindel und dessen Zuneigung endlich für sich. Ausgerechnet, als er genügend Mut gefunden hatte, um dem jungen Elben seine Gefühle zu gestehen, war die Missgeburt aufgetaucht. Seit dieser Zeit hatte Glorfindel kaum noch Zeit für ihn gehabt, seine ganze Aufmerksamkeit schenkte er diesem wertlosen Schwächling. Aber bald, dafür hatte er gesorgt, wäre das Problem verschwunden. Glorfindel wäre bestimmt zunächst untröstlich. Aber als guter Freund würde er ihm zur Seite stehen. Und wenn die Zeit der Trauer vorüber war, würde sich Glorfindel daran erinnern, wer immer für ihn da gewesen war, und wer es verdiente, seine Liebe zu bekommen.

Ja, Heffron war sich sicher, dass alles nach seinem gut ausgeklügelten Plan laufen würde. Zufrieden mit dem Erreichten ging er zu seinen Räumen. Er musste sich noch für die kommenden Stunden umziehen.

Immer tiefer war Erestor in die Wälder vorgedrungen. Da er sich nicht daran erinnern konnte, woher er stammte, wer er war, wo sein wirkliches Zuhause war, war es egal, wohin er ging. Die Gedanken an das, was nur ein grauer Nebel für ihn war, und was eigentlich seine Vergangenheit sein müsste, und die Vorkommnisse der letzten Stunden beschäftigten ihn so sehr, dass er kaum bemerkte wie es immer dunkler wurde.

Plötzlich jedoch erstarrte er mitten in der Bewegung. Sein feines Gehör sagte ihm, dass sich mehrere Berittene näherten. Hastig sah er sich um. Er stand auf einer großen Lichtung, zu jeder möglichen Deckung war er zu weit entfernt, als dass er sie erreichen konnte, bevor die Reiter erscheinen würden.

Ein Blick zum sich ständig verdüsternden Himmel erinnerte ihn daran, dass Elronds Fest nun schon vor einiger Zeit begonnen haben müsste. Aber das Fest, auf das er sowieso nur Glorfindel zu liebe gegangen wäre, hatte für ihn nun keine Bedeutung mehr. Ihm war, außer seinem Leben, nichts mehr von Wert geblieben. Und an das meiste aus seinem Leben konnte er sich nicht mehr erinnern.

„Was haben wir denn da?“ eine raue , tiefe Stimme in der Verwunderung mitschwang riss Erestor aus seiner Starre. Er schaute auf. Rings um ihn standen Pferde, und auf ihnen saßen, groß und schwer bewaffnet, die Rüstungen im allerletzten Licht des Tages aufblitzend, die  Wesen aus Erestors Alpträumen.

Verzweifelt tastete er nach dem kleinen Dolch, den er immer bei sich trug. Er öffnete den Mund. Zu seiner eigene Verwunderung hörte er eine Schrei,...mit Verzögerung erkannte er, dass das sein eigenes Schreien war, das schmerzhaft in seinen Ohren gellte.

Die Reiter kamen näher, berührten den eingekreisten Elben beinahe mit ihren kräftigen Tieren.

„Das ist ein Elb, was macht der denn hier so allein?“ ein krächzendes Lachen folgte den Worten.

„Wir sollten ihn zurück bringen, wo er hingehört. Das hier ist kein Platz für seinesgleichen.“ Meldete sich ein dritter Reiter zu Wort. Erestor versuchte einen Blick in die Gesichter der Männer zu erhaschen. Aber dichte Stoffschichten, die nur die Augen unverhüllt ließen, verhinderten das effektiv. So konnte er nicht erkennen, welcher Rasse die Berittenen angehörten. Aber alles an ihnen verursachte eine kaum mehr zu kontrollierende Panik in Erestor. Er war verstummt, als der zweite Reiter zu sprechen begonnen hatte, aber der dunkelhaarige Elb wusste, dass dieses „Reden“ nur der Auftakt zu etwas Grauenerregenden war.

Plötzlich schien alles auf einmal zu passieren. Die Pferde waren beängstigend nah, einer der Männer beugte sich herab, um nach Erestor zu greifen, und am Rand der Lichtung sah der inzwischen völlig panische Elb einen blonden Schopf zwischen den Bäumen auftauchen.

Der Geruch der Tiere gepaart mit dem Gestank ungewaschener Körper, das leise Klappern der Rüstungen und Waffen,...und ein Glorfindel der sich in Todesgefahr begab,.....mit einem Mal fiel Erestor alles wieder ein.

Er sah brennende Scheiterhaufen und er hörte die Schreie der blonden Elben die dort in Flammen standen. Verzweifelt versuchte er seinen Geist vor den Erinnerungen zu schützen. Aber unbarmherzig kam jedes einzelne Schreckensbild zurück.

Er war mit einer kleinen Schutztruppe seines Stammes auf marodierende, von Sauron verführte Menschen gestoßen. Die deutlich in der Überzahl befindlichen Männer hatten die Elben nach einem langen erbitterten Kampf, bei dem Erestor einen ihrer Häuplinge getötet hatte, gefangen genommen.

Die Menschen wollten von dem dunkelhaarigen Elben, der ganz offensichtlich der Anführer der kleinen Schar war, wissen, wo das versteckte Heim der Elben lag. Erestor zwang sich, still zu sein, mit keinem Wort seine Schutzbefohlenen zu verraten. Er würde lieber alle Qualen, und auch den Tod auf sich nehmen, als ihren Stamm, die wenigen Frauen und Kinder die ihnen geblieben waren, einem schlimmen Schicksal auszuliefern.

Da hatten die Menschen begonnen, seine Freunde, einen nach dem anderen zu verbrennen. Erestor hatte, als er die Grausamkeiten nicht mehr ertragen konnte, geschrieen, gefaucht, geknurrt, aber kein verständliches Wort war mehr über seine Lippen gekommen.

Er hatte seine Freunde in den Tod geschickt, er hatte keine Wahl gehabt, sein Geist hatte vergessen, wie Worte geformt wurden. Aber jetzt hatte er die Möglichkeit  Glorfindel zu retten, ohne dass ein anderes Wesen dafür zu Schaden kommen würde. Er betete zu den Valar, sie mögen ihm die Gabe des Sprechens zurückgeben, und wenn nur für eine kurzen Moment.

Erestor öffnete den Mund. Ein heiseres Krächzen,....und dann, zum ersten Mal seit langer Zeit kamen Worte aus seinem Mund:

„Lauf, Glorfindel, Flieh!“

Verzweifelt versuchte der große Elb, wild um sich schlagend, die Aufmerksamkeit der Menschen weg vom Waldrand, auf sich zu lenken. Doch plötzlich explodierte eine grelle Flamme in seinem Kopf und alles um ihn herum wurde dunkel.

Das erste, das Erestor wahrnahm, als er zu sich kam, war das freundliche Zwitschern der Vögel. Vorsichtig streckte er einen Fuß von sich. Er spürte weiche Stoffe auf seinem Körper, und unter dem Kopf ein dickes Kissen.

Sein Blick wurde klarer. Über ihn gebeugt stand Lord Elrond. „Wie geht es dir, Erestor?“

„Mein Kopf schmerzt, aber sonst,...was ist passiert, was ist mit Glorfindel?“

Auf Elronds Gesicht erschien ein langsam immer strahlender werdendes Lächeln.

„Glorfindel wartet draußen. Glaub mir, er ist äußerst ungeduldig. Er kann es kaum erwarten, mit dir zu sprechen.“

„Tatsächlich, warum?“

Erestor zog die Stirn in Falten. So viele Gedanken stürmten plötzlich auf ihn ein. Wo sollte er nur anfangen, welche der vielen Vorkommnissen, von denen er vergessen hatte das sie geschehen waren, sollte er als erste dem Herrn von Bruchtal berichten?

Elrond schien seinen Gedanken gefolgt zu sein. Beruhigend legte er eine Hand auf die Schulter des dunkelhaarigen Elben.

„Zunächst einmal freut es mich, dass  Glorfindel richtig gehört hat. Du hast deine Sprache wieder gefunden,...“

„Und mein Gedächtnis, Lord Elrond, mein Name ist nicht Erestor. Ich....“

„Halte einen Moment inne, bevor du weiter sprichst. Du bist eben erst zu dir gekommen. Ich möchte, dass du noch ruhst. Lasse alles was dir wieder einfällt, zunächst eine Zeit lang  wirken. Denn jede Kleinigkeit scheint jetzt gleich wichtig. Aber mit etwas Abstand wirst du erkennen, was noch von Bedeutung ist, und über was du doch lieber nicht reden möchtest. Du sollst diesmal die Wahl haben zu entscheiden, was du in Worte fassen willst, und was ungesagt bleiben soll.“

Erestor, so hieß er ja nun für den Moment noch für Elrond, neigte nachdenklich den Kopf, als sich der Lord von Bruchtal bereits wieder vernehmen ließ:“ Wenn es dir genehm ist, möchte ich Glorfindel hereinrufen. Er wartet sehnsüchtig darauf, an deiner Seite zu sein. Ich selber werde später wieder nach dir sehen. Aber achte darauf, dich nicht zu erschöpfen. Höchstens eine viertel Stunde solltet ihr miteinander reden.“

Ergeben nickte Erestor, zu sehr noch gefangen in der Gewohnheit, alles mit Gesten ausdrücken zu müssen, was für gewöhnlich doch mit Worten gesagt werden konnte.

Momente später wirbelte, in einem Rausch von goldenem Haar und braunen Stoffen der junge Glorfindel in das Krankenzimmer. „Bei den Valar, Erestor, was hast du mich erschreckt, und die Menschen, die dir helfen wollten, hast du mit deinem Kriegsgeschrei in Todesangst versetzt. Was war denn in dich gefahren? Der Hauptmann, der dich niedergeschlagen musste, ist untröstlich. Er weilt mit seinen Männern noch hier und möchte sich bei dir persönlich entschuldigen, wenn es dir wieder besser geht. Es geht dir doch hoffentlich wieder besser? Ach, verzeih, der Lord hat mir eingeschärft, ich soll dich nicht mit Fragen bombardieren. Na, wie auch immer, ich bin froh, das, was auch immer die Ursache dafür war, du nun in der Lage bist, wieder zu sprechen.“ Glorfindel machte eine kleine Pause, bevor er ein weinig verunsichert fortfuhr: “Du kannst doch sprechen, oder?“

Erestor nickte, bevor er merkte, dass das nicht ausreichen würde, den blonden Elben von seiner wundersamen „Heilung“ zu überzeugen. „Ja, ich kann reden, mir ist auf der Lichtung, als ich dich dort am Waldrand stehen sah, wieder eingefallen, was ich glaubte, für immer vor mir selber verstecken zu können.“ Erestor merkte wie brüchig seine Stimme nach dieser langen Zeit des nicht Gebrauchens geworden war.

Aber es gab etwas, das er fragen wollte, je eher, desto besser.

„Sag mir, Glorfindel, warum bist du mir gefolgt? Hat dich Elrond geschickt?“

„Du hast Nerven. Nein, ich habe mich sofort, als ich dein leeres Zimmer mit der seltsamen Nachricht an Lord Elrond gefunden habe, auf die Suche nach dir gemacht. Warum bist du denn so überstürzt verschwunden? War es, weil ich unbedingt wollte, dass du mit auf das Fest kommst? Habe ich dich damit irgendwie verletzt, oder habe ich zu sehr gedrängt?“ Der blonde Elb wusste nicht mehr weiter. Verzweifelt die Hände ringend stand er neben Erestors Bett.

Der musste mehrmals mit den Augen zwinkern, bevor er wieder klar sah. Dann streckte er einen Arm aus: “Komm her, setzt dich zu mir.“

Erleichtert, dass Erestor vielleicht doch nicht seinetwegen verschwunden, und ihm anscheinend auch nicht böse war, ließ sich der junge Krieger auf der Bettkante nieder, und ergriff mit einem zaghaften Lächeln die angebotene Hand.

„Kurz nachdem du gegangen warst, am Nachmittag vor dem Fest“ Erestor hatte keine Ahnung wie lange er bewusstlos in Elronds Obhut verbracht hatte, „ kam mich Heffron besuchen. Und er machte mir sehr glaubhaft klar, dass ich hier nichts verloren habe.“

„Aber dazu hat er doch überhaupt kein Recht. Das zu bestimmen, obliegt alleine Elrond, und der Lord hat dich gerne um sich, das musst du doch bemerkt haben?“

Ja, im Grunde genommen wusste Erestor das. Aber das war es nicht, was er von Glorfindel hören wollte. Er musste es anders beginnen, wollte er eine Antwort auf die Frage haben, die ihm am meisten am Herzen lag.

„Warum wolltest du, dass ich dich auf Erlonds Fest begleite? Und sei bitte ehrlich, ich verkrafte das schon.“

Verwirrt starrte Glorfindel seinen Freund an. Was sollte er darauf antworten? Ehrlich sollte er sein. Aber das war er immer zu Erestor, wie kam der Elb nur darauf, etwas anderes zu vermuten?

Mit einem Mal begriff Glorfindel. Wie es seine Art war, platzte es aus ihm heraus, noch bevor er auf die eigentliche Frage einging.“ Die Kratzer in Heffrons Gesicht waren von dir, nicht wahr? Ich hatte mich schon gewundert, dass er so kurz vor dem Fest noch eine Schlägerei riskiert hatte, und nun den ganzen Abend diese Zeichen zur Schau tragen müsste. Eitel wie Heffron ist, passt das gar nicht zu ihm.“

Eifrig seinen Überlegungen weiter ausspinnend, beugte sich Glorfindel näher zu seinem Freund, wobei einer seiner Schläfenzöpfe nach vorne rutschte und Erestors Wange streifte.

„Was hat er dir erzählt? Ohh, ich weiß wie verletzend Heffron sein kann. Ich habe seinen  Spott zu Anfang meiner Ausbildung oft über mich ergehen lassen müssen. Oder hat er dir gedroht? Das würde zu ihm passen.“

„Glorfindel, du hast meine Frage nicht beantwortet.“ Erestor nahm den feinen Zopf, der beständig vor seinem Gesicht tanzte zwischen die Finger und zog leicht daran.

„Ohh, ach ja,...hmm,...nun,...also,...“ auf der leicht gebräunten Haut des Blonden zeigte sich ein zarter roter Schimmer.

„Es ist so, dass...., also,....“Glorfindel stotterte, während sich das Rot auf seiner bronzenen Haut noch eine Spur intensivierte, und immer noch nach Worten suchend wagte er einen dritten Anlauf.

„Weil ich dich gerne mag und ich mit dir tanzen wollte.“ sprudelte es endlich atemlos aus dem blonden Krieger heraus. Nun glich Glorfindels Gesichtsfarbe  ziemlich genau dem satten rot reifer Erdbeeren. Aber Erestor wollte die Wahrheit wissen, und das war Glorfindels ureigenste Wahrheit. Allerdings bis er es ausgesprochen hatte, waren ihm selber diese Gründe nur als vages Gefühl bewusst gewesen. Er hatte unter dem Vorwand Erestor aus seiner freiwillig gewählten Einsamkeit zu erretten, doch insgeheim darauf gehofft, seinem Freund auf dem Fest näher zu kommen.

Auf dem blassen Gesicht des verletzten Elben zeigte sich ein schüchternes Lächeln.

„Sehr gerne werde  ich bei nächster Gelegenheit mit dir Tanzen. Ich wusste gar nicht, dass du das kannst.“

„Du meinst“ der blonde Elb wurde kühner, “du hast nichts dagegen, wenn wir beide,... zusammen,....gemeinsam,.....“

„Nein, Glorfindel, ich habe überhaupt nichts dagegen. Nur für eine Moment hatte ich angenommen,...aber vergiss das ganz schnell, das tut jetzt überhaupt nichts mehr zur Sache.“

Ein leichter Zug am Schläfenzopf brachte Glorfindels Gesicht noch eine Spur dichter an das des dunkelhaarigen Elben.

Erestor war entschlossen, auch die letzten Zweifel auszuräumen. Falls er sich getäuscht hatte, würde er gleich wahrscheinlich einen entsetzten, wütenden Glrofindel vor sich haben, der ihn zu recht zu einem Duell um seine verletzte Ehre herausfordern würde, oder aber, er müsste nie wieder darüber grübeln, ob nicht doch ein Funke Wahrheit in Heffrons Worten steckte.

„Noch eine Frage, Glorfindel, bevor ich dich gehen lassen kann.“ Erestor hielt kurz den Atem an. „Willst du mir einen Kuss geben?“

Die braunen Augen wurden groß vor überraschter Freude und Verlangen. Ohne noch ein weiteres Wort zu verlieren, schloss Glorfindel die winzige Distanz zwischen ihren Lippen, und berührte zum ersten Mal innig und voller Freude den fein geschwungenen Mund seines Freundes.


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