Titel: Die Weide am Flussufer
Autor: Boromir


Die Nüstern des müden, staubigen Pferdes blähten sich, als es Wasser in der Nähe witterte. Mit neu erwachter Energie strebte es schnell der kühlen Erfrischung zu. Der Reiter ließ dem Tier seinen Willen, denn auch er war erschöpft und durstig von der langen Reise.
Bald hatten Mann und Tier das Flussufer erreicht und der Krieger sprang behände neben einer alten, ausladenden Weide aus dem Sattel.
Während das Pferd schon mitten im Wasser stand uns sich satt soff, kniete der Mann am Ufer nieder und trank in langen, durstigen Zügen. Dankbar benetzte er sein Gesicht mit dem kühlen Nass und der müde Zug um seine Blauen Augen entspannte sich merklich.
Nachdem der Krieger seine Wasserflasche gefüllt hatte, zog er sich in den Schatten der Weide zurück und legte sich nieder, um ein wenig zu ruhen. Sein Pferd graste in der Nähe und schien mit diese Rast sehr zufrieden zu sein.
Im kühlenden Schatten des alten Baumes übermannte den Krieger seine Müdigkeit und er schlief fest ein.

Der König liebte es, unerkannt sein Land zu durchstreifen. In der Kleidung des einfachen Waldläufers, der er einst war, fühlte er sich immer noch am wohlsten.
Er hatte die Königswürde spät aber bei vollem Bewusstsein um ihre Pflichten angenommen. Er trug seine Verantwortung zwar nicht leicht, aber doch mit der Gelassenheit, die einem echten König gebührte.
Und doch sehnte er sich ständig nach dem Moment, da er in ruhigen Zeiten aus seiner königlichen Haut schlüpfen und sich wieder in Aragorn verwandeln konnte. Oder besser noch Streicher! Geheimnisvoll, wild und gefährlich. Geachtet und gefürchtet nicht wegen seines Amtes sonder wegen seiner Fähigkeiten.
Seine Wanderung währte bereits einige Tage und er wusste, dass er sich wieder auf den Weg zurück nach Minas Tirith machen musste. Eine offizielle Delegation aus Rohan sollte bald dort eintreffen und die erwartete natürlich, den König vorzufinden und nicht einen einfachen Waldläufer.
Doch bevor er zurück kehren konnte, musste er noch der alten Weide am Flussufer einen Besuch abstatten. In ihrem Schatten fand er stets die Kraft, sich erneut seinen Pflichten zu stellen.
Als Aragorn durch das hohe Gras dem Flussufer zustrebte, gewahrte er ein einsames, friedlich grasendes Pferd. Der Reiter konnte wohl nicht weit sein, denn es trug den Sattel noch auf dem Rücken.
Und richtig! Dort, im Schatten der Weide lag ein Mann und schlief friedlich, als würden ihm hier, mitten in der Wildnis, keinerlei Gefahren drohen.
Auf den ersten Blick schien Aragorn dieser Mann bekannt vorzukommen, und doch erkannte er ihn nicht. Vorsichtig und leise näherte sich Streicher dem schlafenden Mann.
Als dieser sich im Traume drehet und den Arm, der zuvor über seinem Gesicht gelegen hatte, herunter nahm, blieb der Waldläufer abrupt stehen. Jetzt endlich hatte er erkannt, wer dort lag!
Das war doch... aber nein, das war unmöglich! Er war doch tot! Aragorn hatte selbst die Totenklage gesungen!

Immer wieder der gleiche Traum. Eine wirre Mischung aus Schuld, Schmerzen und Angst zu Anfangs.
Dann, später, als er sein Gedächtnis wiedererlangte, nahmen seine Träume immer konkretere Formen an.
Der Verrat an den Freunden und der Versuch, Wiedergutmachung zu leisten. Die furchtbaren Schmerzen, als die Pfeile ihn trafen und die Verzweiflung, als die Kleinen entführt wurden. Und die Angst vor dem Tode.
All dies träumte der Krieger auch dieses mal, doch da war noch etwas mehr.
Eine Stimme, die beruhigend zu ihm sprach und Tränen, die auf sein Gesicht tropften. Und die sanfte Berührung eines Kusses auf seiner Stirn.
Er seufzte leise auf, als sich der Traum verflüchtigte und, um ihn festzuhalten, griff er unbewusst neben sich.
Als seine Hand auf festes Fleisch und lederne Kleidung traf, wachte der Krieger abrupt auf.
Sofort zur Verteidigung bereit, sprang er auf und zog sein Schwert. Doch bevor er zum Angriff übergehen konnte, erkannte er, wer dort stand und ihn im Schlafe berührt hatte.
Langsam ließ er das Schwert sinken und stammelte: "Aragorn!"
Der Waldläufer ging einen Schritt auf seinen Freund zu und umarmte ihn. Mit heiserer Stimme flüsterte er: " Boromir!"

Die beiden Krieger lagen einander in den Armen, lachten und weinten. Es dauerte lange, bis sich das Gefühlschaos, das ihr unverhofftes Zusammentreffen in beiden Männern ausgelöst hatte wieder legte.

Erschöpft und glücklich sanken sie nebeneinander in das hohe Gras am Fuße der Weide.
Immer noch konnte Aragorn es kaum glauben, dass der Mann, nein, der Freund, den er tot geglaubt hatte hier lebendig neben ihm saß.

Wie um sich selbst zu überzeugen, dass es sich bei seinem Freund nicht um einen Geist handelte sondern um einen lebenden Menschen mit heißem Blut und festem Fleisch legte Aragorn seine Hand auf das Bein des Kriegers. Die Wärme, die er dort spürte beruhigte ihn und doch nahm er seine Hand nicht fort, begierig nach diesem Kontakt.

„ Wie kommt es, dass du hier bist, dass du lebst?“

„ Das ist eine lange Geschichte, Aragorn, eine Geschichte die damit anfängt, dass ich sterbe. Ich erinnere mich genau daran. Du knietest neben mir, gabst mir das Schwert in die Hand und dann war ich tot. Er muss mich wieder zum Leben erweckt haben, da bin ich mir sicher. Obwohl er stets behauptete, ich sei nicht wirklich gestorben.“

Neugierig sah Aragorn Boromir an. „ Er? Von wem redest du? Wer sollte die Macht haben, einen Toten zurück ins Leben zu holen?“

„ Ein alter Mann mit jungen Augen, mehr weiß ich über ihn nicht zu sagen.“

„ Ein Elb vielleicht?“

Boromir lachte leise auf. „ Nein, kein Spitzohr! Ein Mensch, so glaube ich zumindest. Vielleicht war er aber auch einer der Valar, der mich dem Tode entriss, damit ich mein Unrecht wieder gut machen kann.“

Aragorn zuckte leicht zusammen und streichelte dann beruhigend Boromirs Schenkel.
„ Mach dir keine Vorwürfe, mein Freund, der Ring hat uns allen zugesetzt. Du wolltest das Richtige tun.“

Boromir seufzte und lächelte Aragorn schief an. „ Und doch habe ich das Falsche getan. Sag, wie geht es den Kleinen? Haben sie den Krieg überstanden? Und Gimli und Legolas, leben sie noch?“

Aragorn lächelte. „Alle leben und sind wohlauf. Ich werde dir später von ihnen erzählen, doch zuvor will ich mehr hören von dem alten Mann und wie du zu ihm gekommen bist.“

Der Gondorianer schüttelte den Kopf. „ Ich weiß es wirklich nicht. Ich war tot und als ich erwachte, war ich in der Hölle. Es war dunkel und kalt und ich war alleine, so alleine. Mein Körper und meine Seele waren voll des Schmerzes. Eine unendlich lange Zeit fühlte ich nichts als Pein. Doch irgendwann wich die Dunkelheit dem Licht und die Kälte der Wärme.
Ich war in einer einfachen Hütte und ein alter Mann beugte sich über mich und lächelte mich an.
Ich konnte nicht reden und mich nicht bewegen, deshalb sah ich ihn nur an. Wie er das Feuer schürte und einen Trank zubereitete. Wie er neben mir kniete und mir half zu trinken. Wie er meine Wunden versorgte und mich wusch.
Irgendwann schlief ich wieder ein und dann begannen die Träume. Jede Nacht kehrte ich zurück in die Hölle um weiterhin für meine Vergehen zu büßen..“

Aragorn schaute ungläubig drein. „ Vielleicht war der Mann ein Einsiedler, der dich aus dem Fluß gezogen hat. Ich mache mir Vorwürfe, Boromir. Ich hätte merken müssen, daß du noch nicht tot bist. Wie konnte ich nur so verantwortungslos sein und dich einfach dem Wasser übergeben?“

Boromir lachte. „ Nun ja, besser, als wenn ihr mich verbrannt hättet, nicht wahr?“
Plötzlich wieder ernst fügte er hinzu: „ Ihr mußtet so handeln, eure vordringlichste Aufgabe war es, die Kleinen zu retten. Und so wie es aussieht, war der Fluß meine Rettung!“

„ Ja, es scheint so,“ sagte Aragorn. „ Doch berichte weiter, wie es dir bei dem Mann ergangen ist. Warum hat es so lange gedauert, bis du wieder nach Gondor kamst?“

„ Du mußt verstehen, Aragorn, daß ich nicht wußte wer ich war. Mir war nur eines klar, daß ich große Schuld auf mich geladen hatte, und daß ich eigentlich tot sein müßte.

Es dauerte lange, bis ich mich von meinem Lager erheben konnte. Sobald mein Körper es zuließ, begann ich dem Alten bei seinen Arbeiten zu helfen.
Das war eine stille und ruhige Zeit, denn es dauerte noch länger, bis ich wieder sprechen konnte. Doch ich brauchte diese stillen Tage, denn die Nächte waren furchtbar.
Keine Nacht verging, in der ich nicht mehrfach schweißgebadet erwachte.
Anfangs verspürte ich nur undefinierte Pein, doch als die Zeit verstrich, wurden meine Träume immer konkreter und ich begann, mich zu erinnern.“

Gequält stöhnte Boromir auf. „ Mein Verrat und meine Unfähigkeit, die Kleinen zu schützen standen mir wieder vor Augen. Jede Nacht durchlebte ich die Schande aufs Neue und nun quälte sie mich auch am Tage. Es kam so weit, daß ich wünschte, ich wäre tatsächlich gestorben!“

Erschrocken sah Aragorn seinen freund an. „ Nein, Boromir. Du lebst und das erfüllt mich mit großer Freude. Und den anderen Gefährten wird es ebenso ergehen, denn sie haben sehr um dich getrauert!“

Boromir schüttelte ungläubig den Kopf. „ Das kann ich mir kaum vorstellen. Wie auch immer, jetzt bin ich hier um für meine Vergehen Abbitte zu leisten. Der alte Mann hatte mir gesagt ich sollte euch suchen und mit euch reden. Denn als ich die Pein nicht länger ertragen konnte, habe ich ihm alles erzählt. Ich beschönigte nichts, doch ich sah ihn nicht an dabei, denn ich wollte die Verachtung in seinen Augen nicht sehen. Als ich geendet hatte stand er auf und ging hinaus. Ich fürchtete das Schlimmste, doch er kam zurück und gab mir mein Schwert. Er schickte mich fort mit dem Ratschlag, daß ich euch finden und mit euch reden sollte, dann würde ich Erlösung finden.“

Boromir stand auf und kniete vor Aragorn nieder. „ Ich bin deiner Vergebung nicht wert, doch bitte ich dich mir zu erlauben, meine Schuld abtragen zu dürfen.“

Entsetzt blickte Aragorn auf den mit gesenktem Kopf vor ihm knienden Boromir um dann seinerseits nieder zu knien und ihn zu umarmen.

„ Ich habe dir längst vergeben, Boromir, sofern es überhaupt etwas zu vergeben gab. Ich habe deine Motive immer verstanden. Der Wunsch, deinem Volk zu helfen war so stark, daß er dich schwach machte gegen die Einflüsterungen des Ringes. Und doch hast du wie ein Held dagegen angekämpft!“

Boromir schüttelte den Kopf, doch Aragorn stoppte ihn, indem er sein Gesicht in beide Hände nahm. „ Sieh mich an, Boromir. Es gibt keinen Grund, dich zu schämen. Ich wünschte, du könntest dich so sehen, wie wir dich immer gesehen haben, stark, tapfer und leidenschaftlich.
Wie kann ich es dir nur begreiflich machen?“

Ein tiefer Blick in die traurigen Augen seines Freundes genügte und Aragorn wußte, was er zu tun hatte.
Vorsichtig zog er Boromirs Kopf zu sich heran und sanft küßte er den Mund des Kriegers.

Für einen kurzen Moment wollte Boromir sich losmachen aus der Umarmung, dem Kuß Aragorns entfliehen. Wollte sagen: Ich bin deiner Liebe nicht wert. Doch Aragorn hielt ihn fest, bezwang ihn mit seinen weichen Lippen.

Ein tiefer Seufzer entrang sich Boromirs Brust und endlich ergab er sich. Er legte sein Leben in Aragorns geschickte Hände, die begonnen hatten, den Krieger seiner Kleidung zu entledigen.

Ehe er es sich versah lag der Gondorianer nackt und bloß auf dem Rücken und sah auf in das liebevoll lächelnde Gesicht Aragorns. Scheu streckte Boromir eine Hand nach dem Mann aus, der sich schnell ebenfalls auszog und gerne zu seinem Freund herabziehen ließ.

Langsam und zärtlich küßte und streichelte Aragorn jeden Zentimeter von Boromirs Haut. In jede seiner Berührungen legte er so viel Liebe wie irgend möglich. Und den häßlichen Narben der Pfeilwunden auf Boromirs Brust widmete er besondere Aufmerksamkeit. Aragorn wünschte Boromir zu heilen. Nicht äußerlich, das konnte er nicht mehr, denn der alte Mann hatte ganze Arbeit geleistet. Doch in seiner Seele war Boromir noch immer zutiefst verwundet.

Die Hände und Lippen Aragorns taten Boromirs Körper wohl und seine Seele verspürte einen Frieden wie schon lange nicht mehr. Und als Aragorn liebevoll seine Narben berührte, die äußeren Zeichen seines Versagens, da spürte Boromir, wie ihm Tränen über das Gesicht rannen. Er verstand nun, daß Aragorn ihm vergeben hatte und er wußte, daß seine Seele Frieden finden konnte.
„ Aragorn“, flüsterte er leise und als dieser ihm sein Gesicht zuwandte, küßte er ihn leidenschaftlich. Sein ganzes Sein, seine ganze Seele legte Boromir in diesen Kuß und Aragorn verstand und öffnete ihm auch seine Seele.

Und die beiden Seelen wurden eins, wie auch die Körper eins wurden und die Welt war erfüllt von Liebe und Zärtlichkeit und Leidenschaft.
Und die alte Weide senkte schützend ihre Zweige über die beiden Männer und raunte eine leise Melodie bis beide erschöpft und glücklich, einander in den Armen haltend einschliefen.



Der Abend dämmerte bereits als Aragorn und Boromir wieder auf ihren Pferden saßen und ihre Schritte gen Gondor lenkten. In kameradschaftlicher Stille hatten sie sich angekleidet, ihre Pferde bestiegen und waren los geritten. Es schien keiner Worte mehr zwischen ihnen zu bedürfen und jeder der Männer hing seinen eigenen Gedanken nach.

Ein leises Lachen Boromirs unterbrach schließlich die Stille und Aragorn sah seinen Freund lächelnd an. Er war froh, dieses Lachen wieder hören zu dürfen. „ Was amüsiert dich?“

„ Ich habe mich nur grade gefragt, ob ich mit einem König oder einem einfachen Waldläufer geschlafen habe.“

Aragorn lachte ebenfalls. „ Das, mein Freund, ist eine weitere lange Geschichte. Wir sollten bald zu der Weide zurück kehren, dann werde ich sie dir erzählen.“

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