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Titel:
Aragorns Geständnis (1/?) Autor: Boromirs Bride
Aragorn war endlich König
und nahm Arwen zu seiner Gemahlin. Inzwischen waren sechs Monate
seit der Krönung vergangen und Arwen weilte mit Éowyn
in Edoras. Der König liebte Arwen, dachte jedoch oft zurück
an die für ihn noch sehr nahe Vergangenheit, als er mit den
Gefährten aufbrach, um den Ringträger zu geleiten. Frodo,
dieser tapfere kleine Hobbit und sein treuer Freund Sam... es erschien
Aragorn noch immer wie ein Wunder, dass diese beiden es geschafft
hatten, den Einen seinem Schicksal zuzuführen. Mit jedem weiteren
Tag erschien es dem Dúnadan etwas mehr wie ein Traum, doch es war
die schönste Realität: Mittelerde war endlich zur Ruhe
gekommen und das vereinte Königreich begann aufzublühen.
Allerdings hatte diese wunderbare Realität einen großen
bitteren Beigeschmack: viele tapfere Krieger waren im Ringkrieg
gefallen, und unter ihnen war Boromir. Aragorn versetzte es jedesmal
einen Stich ins Herz, wenn er an den Kampf auf dem Amon Hen dachte
und an den sterbenden Boromir in seinen Armen.
Boromir....
mit ihm hatte Aragorn wunderbare Nächte verlebt. Sie hatten
sich oft heimlich vom Lager davongeschlichen und für kurze Zeit
konnten sie die Strapazen des vergangenen Tages vergessen. Sie gaben
sich ihrer Leidenschaft hin, sie genossen ihre Zweisamkeit, ihre
Liebe, ihre Ekstase. Ihre erstes gemeinsames Erlebnis war einfach
passiert. Boromir wusste, was er wollte, und er ließ es Aragorn
spüren. Er ging vorsichtig, aber bestimmt vor, und nach einiger
Zeit ergab sich Aragorn endlich. Es war ein gänzlich anderes
Erlebnis, als es Aragorn mit einer Frau kannte. Er wusste nicht,
was es war, das ihn dazu hinreißen ließ. Boromir wusste
sehr gut zu reden und plötzlich fand sich Aragorn in Boromirs
sanften Umarmung wieder. Der Waldläufer wollte sich nicht mehr
wehren, zu sehr war er fasziniert von dem blonden Krieger, von dessen
männlicher und doch sanften Ausstrahlung. Boromir hatte in
ihm ein Verlangen entfacht, wie er es bisher noch nicht kannte.
Die vielen Blicke Boromirs und dessen "zufällige"
Berührungen über viele Tage mögen dazu beitgetragen
haben.
Aragorn dachte oft an diese glücklichen
Stunden zurück, und jedesmal überkam ihn schmerzliche
Trauer. Er wurde in diesen Momenten nachdenklich und verschlossen, was von seinem Umfeld
jedoch auf die Erlebnisse der schweren, gefahrvollen Reise zurückgeführt
wurde. Er wollte niemanden um sich haben und man ließ den König in Frieden. Es würde
sich alles bald zum Guten wenden und er würde in nächster
Zeit alles verarbeitet haben, beruhigte er Arwen. Doch Aragorn fürchtete
insgeheim, dass es noch lange dauern würde, bis er den Tod
Boromirs endlich überwinden könnte.
An diesem Abend
überkam ihn wieder einmal tiefe Trauer über den Verlust
seines Geliebten. Umso mehr, da er durch die Abwesenheit Arwens
seinen Gefühlen wirklich freien Lauf lassen konnte. Er fasste
den Entschluss, in der Dämmerung einen Spaziergang über
die Veste zu unternehmen. Langsam schlenderte der König am Brunnen vorbei
und machte schließlich vor der nördlichen Mauer halt.
Er blickte nach Norden in Richtung Amon Hen. Seinen linken Arm verschränkte
er vor der Brust, während die Finger seiner rechten Hand fahrig
über sein Gesicht und durch seine dunklen Haare strichen. Er
war tief in Gedanken versunken. Daher bemerkte er nicht, dass sich
ihm jemand näherte. Es war Faramir, der seit ein paar Wochen
in Minas Tirith weilte, um Aragorn bei seinen Geschäften etwas
zur Hand zu gehen. Er hatte die Stimmungswechsel Elessars des öfteren
bemerkt und nun schien der König wieder an einem seelischen
Tiefpunkt angelangt zu sein. Der Statthalter wollte dem endlich
auf den Grund gehen und hatte beschlossen, Aragorn seine Hilfe anzubieten.
"Mein König", sprach
Faramir leise, als er neben Aragorn stehenblieb. Aragorn fuhr erschrocken
herum. In dem Zwielicht glaubte er in der ersten Sekunde, Boromir
vor sich zu sehen. Sein Herz raste und er zitterte am ganzen Körper.
Dieses blieb von Faramir nicht unbemerkt. "Mein König",
wiederholte er, "ich habe große Sorge um euch. Eure
zeitweise Schwermütigkeit wird nicht weniger. Gibt es keine Möglichkeit,
euch von den trüben Gedanken zu befreien? Bitte habt Vertrauen
zu mir, es schmerzt mich, euch so zu sehen."
Aragorn
sah wieder über die Mauer hinweg und überlegte, ob er
Faramir offenbaren sollte, was er und Boromir füreinander empfanden.
Er musste endlich darüber reden, spürte er doch, dass
er sonst daran zugrunde ging. Der König atmete tief durch und
wandte sich wieder seinem Statthalter zu: "Ich fürchte,
ihr würdet es nicht gern hören, was ich zu erzählen
habe. Doch ich muss mich endlich jemandem anvertrauen. Nur das könnte
mir wohl etwas helfen." Faramir erwiderte: "Ich verspreche
euch, nichts kann mich davon abbringen, euch zu helfen. Egal, was
ihr mir nun erzählt."
'Diese Stimme...' dachte
Aragorn und schloss die Augen. Ihm war - wie so oft, wenn er mit
Faramir eine Unterhaltung führte -, als spräche Boromir
zu ihm. Faramir legte seine Hand auf den Arm des Königs und
sagte: "Lasst uns auf die Bank setzen. Dort ist es angenehmer für
eine Unterhaltung." Aragorn folgte ihm zu dem kleinen
Platz zwischen dem Springbrunnen und dem Weißen Baum und sie
ließen sich auf der Bank nieder. Aragorn beugte seinen Oberkörper
nach vorn und stütze ihn mit seinen Ellenbogen auf den Knien
ab. Er blickte auf den Boden,
rieb nervös seine Hände aneinander und die Finger verschlangen
sich krampfhaft. Er suchte nach den richten Worten. Wie sollte er
beginnen? In den vergangenen Monate hatte Aragorn mitbekommen, dass
die Gemeinschaft zwischen Mann und Frau den Menschen in Minas Tirith
heilig war - im Gegensatz zu anderen Gegenden -, sollte der Erhalt
der Stadt mit ihren starken und mutigen Kriegern gesichert sein.
Er vertraute Farmir, doch könnte dieses Gespräch Faramirs
Andenken an Boromir tief erschüttern. Auch die Loyalität
des blonden Mannes zu seinem König könnte einen Bruch
erleiden. Der junge Mann war im Gegensatz zu seinem Bruder ein
konservativer Mensch. Er würde niemals die geschriebenen oder
ungeschriebenen Gesetze seines Volkes brechen, seien sie auch noch
so gering. Doch es musste endlich sein. Aragorn musste diese Stunde
nutzen und endlich mit jemandem reden. Schließlich atmete er tief durch und sagte
zögerlich und leise: "Die ganze Zeit unserer Reise waren wir unter unendlicher
Anspannung. Wir mussten ständig mit Überfällen aus
dem Hinterhalt rechnen. Wir waren angespannt, dass es fast weh tat
und mussten uns oft gegenseitig ermutigen. Insbesondere, als wir
Gandalf verloren glaubten. Er fehlte uns sehr, bis wir ihn im Fangornwald
endlich wiedersahen. Doch Boromir..." Er stockte; doch er nahm
seinen Mut zusammen und blickte Faramir in die Augen. Dann fuhr
er fort: "Boromir war... er war stark und voller Willenskraft.
Mir war klar, dass der Ring versuchte, seine Gedanken zu vergiften,
und deshalb bewunderte ich euren Bruder umso mehr, wie er sich gegen diese
böse Macht auflehnte. Faramir, dein Bruder war für mich
mehr als ein Freund. Er und ich... wir... haben... wir
waren..." Aragorns Gedanken überschlugen sich, doch er
wollte diesen Satz zu Ende bringen: "Wir haben uns geliebt." Während
er die letzten Worte sprach, wandte er seinen Blick von Faramir ab und starrte
wieder auf den Boden. "Ich weiß, dass das ein Schock
für euch sein muss, aber ich bitte euch, euren Bruder nicht
zu verdammen." Der Körper des Königs bebte vor Aufregung
und er brachte kein Wort mehr heraus, denn er wollte Faramirs Reaktion
abwarten. Dieser saß da und sah Aragorn erstaunt
an. Er sah in diesem Augenblick einen Mann neben sich, der gerade
seine intimsten Gedanken mit ihm geteilt hatte. Dieser Mann und
sein Bruder... 'Ein Liebespaar!' schoss es Faramir durch den Kopf:
'Aragorn, König von Gondor, und Boromir, mein geliebter Bruder,
waren... mehr als Gefährten füreinander!'
Aragorn bemerkte die ungläubigen
Blicke Faramirs sehr wohl, aber er war nun erleichtert, dass er
sich endlich offenbart hatte. Und er war froh, dass es Faramir
war, dem er es erzählte. Der Dúnadan fuhr mit seiner Erklärung
fort: "Faramir, euer Bruder bedeutete mir sehr viel. Er war
stark und sanft zugleich. Ich leide Höllenqualen, weil ich
zu spät kam und ihn nicht retten konnte." Er
sah zu Faramir auf: "Ihr seid ihm so ähnlich. Ihr habt die
gleichen Augen, den gleichen Gang, bewegt euch wie er."
Dann
trat Schweigen zwischen die beiden Männer. Faramir
schien geschockt zu sein. Er schloss seine Augen und wandte
seinen Blick ab. Schließlich - immernoch etwas durcheinander - brach er die unangenehme Stille,
um eine feste Stimme bemüht: "Wie es scheint, bereitet euch meine bloße
Anwesenheit große Schmerzen, da ich euch an meinen Bruder
erinnere. Nun, dann wird es das Beste sein, wenn ich wieder nach
Hause nach Emyn Arnen gehe." "Ich kann verstehen, dass
ihr das möchtet.", bemerkte Aragorn verständnisvoll.
"Ja, ich muss zugeben, euer Anblick schmerzt mich, aber bitte
versteht mich richtig. Sicher, ihr müsst schockiert sein über
euren Bruder und mich und ich werde euch nicht davon
abhalten, zu gehen. Doch eines noch, Faramir: Es wäre mir eine
große Hilfe, wenn ihr mir sagtet, dass ihr euren Bruder nicht
dafür hasst."
Faramir konnte es nicht verstehen
und war verwirrt. Er hatte diese Neigung nie an seinem Bruder bemerkt.
Boromir schien ihm plötzlich so fremd, genau wie der trauernde
Mann neben ihm. Es passte nicht in Faramirs Bild von einem Mann,
und schon gar nicht von diesen beiden Männern. Sollte er wirklich
von hier fortgehen und den König seinem Schicksal überlassen?
Nein, Aragorn litt schon zu lange. Er konnte es nicht mit seinem
Gewissen vereinbaren, den König jetzt im Stich zu lassen. Der
junge Statthalter suchte nach Worten und sprach, seinen Blick noch
immer abgewandt:
"Aragorn, ich hasse weder Boromir noch euch - und ich werde
nicht gehen. Ich werde euch weiterhin für Gespräche zur
Verfügung stehen, wenn es euch hilft; doch Weiteres liegt nicht
in meiner Macht. Aber ich brauche etwas Zeit, um dieses Gespräch
zu verarbeiten." Erleichtert richtete Aragorn sich auf und
erwiderte: "Ich danke euch und nehme euer
Angebot gern an. Nehmt euch nur die Zeit, die ihr braucht. Ich
verstehe euch; auch ich brauchte damals einige Zeit, meine Gefühle
für Boromir zu begreifen, und ihm ging es nicht anders."
Kurz
darauf verabschiedete sich Faramir und ging in seine Gemächer.
Inzwischen war es dunkel geworden und eine sternenklare Nacht war
über Mittelerde hereingebrochen. Aragorn war sichtlich erleichtert
über den Ausgang der Unterhaltung und fühlte, dass zumindest
eine kleine Last von ihm genommen wurde. Er saß noch eine
Zeit lang auf der Bank und machte sich dann ebenfalls auf den Weg in den
Palast.
Faramir legte sich gleich zu Bett - doch
schlafen konnte er nicht. Er war zu aufgewühlt, dachte über
seinen Bruder nach und fragte sich immer wieder, warum alles so
geschehen musste. Und warum hatte er nie die Vorliebe für andere Männer bemerkt? Boromir hatte
sie geschickt vor aller Welt verborgen. Plötzlich schreckte
der blonde Mann hoch, denn ihm wurde klar, dass er Aragorns eigentliches
Problem gar nicht mehr beachtet hatte. Der König glaubte, er
sei mitschuldig am Tod Boromirs. 'Wie konnte ich nur darüber
hinweggehen?' dachte Faramir. 'Warum habe ich zu Aragorn nicht wenigstens
ein tröstendes Wort gesagt?' Er fühlte sich unwohl in
seiner Haut und überlegte, ob er noch einmal zum Brunnen gehen
und mit Aragorn reden sollte. Er erhob sich von seinem Nachtlager
und kleidete sich an. Als er seine Tür gerade einen Spalt geöffnet
hatte, sah er Aragorn in einiger Entfernung durch den Flur und in
dessen Gemach gehen. Nun wollte Faramir seinen König nicht
mehr stören und ging wieder zu Bett. Er lag noch lange wach
und sah durch das Fenster in den Himmel. Er war hin- und hergerissen
zwischen Verachtung und Loyalität. Jeder normale Bürger
wäre für solch ein unheiliges Verhalten gemieden worden.
Irgendwann nickte
er endlich ein und hatte einen traumlosen Schlaf.
Als Aragorn
seinen Schlafraum betrat, stellte er sich noch für einen kurzen
Moment ans Fenster und atmete tief die klare Nachtluft ein. Dann
entledigte er sich seiner Kleidung und ging zu Bett. Und das erste
Mal seit langer Zeit hatte er das Gefühl, schnell einschlafen
zu können. Seine Gedanken waren bei Boromir und schon bald
übermannte ihn die Müdigkeit und Aragorn schlief fest
ein.
~~~~~
Als der Dúnadan am nächsten Morgen
erwachte, fühlte er sich endlich einmal wieder richtig ausgeruht.
Nachdem er sich gewaschen und angekleidet hatte, verließ er
seine Räume und schlug den Weg Richtung Speisehalle ein. An
diesem Morgen verpürte er Appetit auf ein nahrhaftes Frühstück
- im Gegensatz zu den letzten Wochen und Monaten. Aragorn war erstaunt,
dass das Gespräch mit Faramir bereits eine solche Wirkung zeigte.
Zwar änderte es nichts an seiner Trauer, doch der Anfang war
gemacht.
Aragorns Diener öffneten die große schwere
Holztür zur Speisehalle und er ging hinein. Faramir war bereits
vor ihm angekommen und stand an einem der großen Fenster und
blickte hinaus. "Guten Morgen!" rief Aragorn zu seinem
Statthalter hinüber. "Willst du dich nicht setzen? Ein
paar Hauptleute werden gleich kommen und Bericht über die letzten
Wiederaufbauarbeiten erstatten. Es wird dich bestimmt interessieren."
Faramir wandte sich dem König zu und wünschte ihm auch
einen guten Morgen. "Danke, Aragorn, dass ihr mich an den
Berichten deiner Soldaten teilhaben lasst. Es interessiert
mich natürlich." Er lächelte und beide gingen gleichzeitig
zu der großen Tafel und nahmen Platz. Es war ein langer Tisch
und die beiden Männer saßen sich an den Enden gegenüber.
Gedeckt war für sechs Personen und die Diener trugen Wein,
Wasser, Brot, Fleisch und Obst auf. Lauter werdende schnelle Schritte
kündigten die Ankuft der Hauptmänner an, die kurz darauf
die Halle betraten. Sie grüßten den König und den
Statthalter und setzten sich auf die schweren, kunstvoll verzierten
Holzstühle, die den Tisch flankierten. Aragorn bedeutete den
fünf Männern, ersteinmal zu essen und danach die Berichte
zu erörtern. Während des Mahls unterhielten sich die Männer
miteinander und der Dúnadan konnte nicht umhin, ab und zu
seinen Blick auf Faramir zu richten. Dieses blieb von den Soldaten
unbemerkt; Faramir jedoch fiel es auf, weil er seinerseits den König
ab und zu ansah, da sich seine Gedanken noch immer um die Unterhaltung
des vergangenen Abends drehten. Und jedesmal, wenn sich Aragorns
Gesicht dem blonden Mann zuwandte, sah dieser auf seinen Teller
oder nahm einen Schluck aus seinem Becher.
Nach einer Weile
war das Frühstück beendet und die Diener hatten - bis
auf das Wasser und den Wein - alles abgeräumt und die Türen
hinter sich geschlossen. Nun begannen die Hauptleute nacheinander
mit ihren Berichten und Aragorn sah zwischendurch immer wieder zu
Faramir hinüber. 'War es doch falsch, ihm von der ganzen Sache
zu erzählen?' fragte er sich. Während die Soldaten erzählten,
nickte Aragorn ein paar mal zustimmend, doch war er nicht bei der
Sache. Faramir hatte es bemerkt und wurde sich langsam der Tatsache
bewusst, dass der König ihn in der Vergangenheit oft so angesehen
hatte, wie er es jetzt tat, doch hatte sich der junge Mann nie etwas
dabei gedacht. Aber nun bekam alles eine gewisse Logik: 'Es ist
Boromir, den der König in mir sehen muss oder zu sehen glaubt.
Was denkt er, wenn er mich ansieht? Gehen ihm die nächtlichen
Treffen mit Boromir durch den Kopf?' dachte Faramir und ihm wurde
unwohl bei dem Gedanken, wie sein Bruder und der König... Nein,
er wollte nicht daran denken. Aragorn bemerkte die Unruhe, die von
dem jungen Mann ausging. Er riss sich zusammen und richtete seine
Aufmerksamkeit wieder auf die Soldaten. Als sich Faramir wieder
unbeobachtet fühlte, sah er zu Aragorn hinüber und konnte
sich nicht von dem Gedanken lösen, doch mehr erfahren zu wollen.
Er wollte wissen, wie es angehen konnte, dass sich sein Bruder mit
ihm einließ. Der blonde Mann fasste den Entschluss, Aragorn
um ein weiteres Gespräch zu bitten. Doch bis dahin verfolgte
er die Gespräche der fünf anderen Männer und erfuhr
von den vielen guten Fortschritten der Aufbauarbeiten in den Gebieten
westlich von Mordor.
Nach etwa einer Stunde waren die Gespräche
beendet. Die Hauptmänner verabschiedeten sich und verließen
die Halle, um wieder zu ihren Lagern zurückzukehren. Faramir
war nun allein mit Aragorn. Der König erhob sich, ging durch
die Halle und sprach zu seinem Statthalter: "Es ist schön,
zu hören, dass die Arbeiten so schnell vorangehen. Ihr werdet
sehen, Faramir, bald wird man von den Zerstörungen nicht mehr
viel bemerken und die Städte und Dörfer werden wieder
in ihrem alten Glanz erstrahlen." Auch Faramir war inzwischen
von der Tafel aufgestanden und ging zu Aragorn hinüber. "Mein
König, es erfüllt mich mit Freude, davon zu hören.
Viel zu lange haben die Schergen des Bösen gewütet und
es ist eine Genugtuung, zu wissen, dass ihre Zerstörungen nicht
endgültig waren. Doch verzeiht, Aragorn, dieses beschäftigt
mich im Augenblick nicht so sehr. Mein Augenmerk richtet sich auf
etwas, das mir persönlich wichtiger ist." Aragorn wusste,
wovon Faramir sprach und nickte. "Ihr möchtet wissen,
wie das mit Boromir und mir geschehen konnte, nicht wahr?"
Der junge Mann sah zu Boden und sprach: "Es erscheint mir so
weit weg... so unwirklich. Ich bitte euch um ein weiteres Gespräch.
Erzählt mir bitte davon. Ich will es verstehen können."
"Also gut." erwiderte Aragorn. "Kommt, lasst uns wieder
an der Tafel Platz nehmen." Sie gingen zu dem großen
Tisch zurück und setzten sich nebeneinander auf zwei Stühle
an der Längsseite.
Aragorn begann zögernd, zu erzählen: "Ich weiß
nicht, wie ich beginnen soll. Es gibt keinen genauen Zeitpunkt,
den ich nennen könnte, an dem ich plötzlich Gefühle
für ihn hatte. Es geschah langsam, nach und nach. Zunächst
hatte er mir nur Verachtung entgegengebracht, was ich auf den Ring
zurückführte, der schon seit langem versuchte, von Boromir
Besitz zu ergreifen. Ich habe immer versucht, euren Bruder von
dem Einen fernzuhalten. Und als Boromir den Ring in seinen Händen
hielt - damals auf dem Caradhras - fürchtete ich, er würde
ihn sich anstecken und mit ihm verschwinden. Doch er hatte die Kraft,
ihn Frodo wiederzugeben, wenn auch nach meiner ausdrücklichen
Aufforderung. Euer Bruder war nicht er selbst, Faramir, doch er
wehrte sich dagegen. Um es kurz zu machen, unsere Freundschaft begann sich
zu entwickeln, nachdem wir vom Caradhras herabgestiegen waren und
den Weg nach Moria eingeschlagen hatten. Enger wurde das Band zwischen
uns nach den Kämpfen gegen dieses Monster aus dem See vor dem
Hulstentor und später gegen die Orks und den Höhlentroll
in der Archivkammer am Grabmal von Balin. Nachdem wir aus Moria
entkommen waren und Gandalf verloren glaubten, hatte wohl jeder
der Gefährten ein gewisses Bedürfnis nach Trost. Während
Boromir sich um einen der Hobbits kümmerte, trafen sich zufällig
unsere Blicke. Und es war das erste Mal, dass ich diese Wärme
in seinen Augen vernahm - Wärme und eine gewisse Sehnsucht.
Ich fühlte, dass da mehr war zwischen uns, konnte es aber nicht
deuten. Als wir uns danach auf den Weg nach Lórien machten
und am Rande des Waldes die Nacht verbrachten, hatten Boromir und
ich ein langes Gespräch. Ich bemerkte, dass auch er etwas
empfand, wohl aber auch eine gewisse Unsicherheit verspürte.
Und irgendwann in dieser Nacht ist es passiert. Aber darauf möchte
ich jetzt nicht weiter eingehen. Ich denke, es wäre noch zu
früh. Verarbeitet erst einmal alles. Aber bitte glaubt mir,
es war nicht irgendeine Laune, weder von eurem Bruder noch von
mir. Es kam aus unserer tiefsten Seele."
Faramir hatte
während Aragorns Ausführungen unbeweglich auf eine Stelle
des Tisches gestarrt und atmete nun tief durch. Er sah Aragorn an
und entgegnete: "Ich danke euch für eure Offenheit, aber
ich kann jetzt nichts dazu sagen. Verzeiht, ich möchte
jetzt erst einmal allein sein." Er stand auf und ging zu der
großen Tür. Er hatte bereits den Türgriff in der
Hand, als er sich noch einmal zu Aragorn umdrehte: "Ich hasse
Boromir nicht. Und euch auch nicht." Mit diesen Worten
öffnete er die Tür und ging hinaus auf den Flur. Der Dúnadan
vernahm die sich schnell entfernenden Schritte, ließ seinen
Kopf in den Nacken fallen und atmete auf.
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