Titel: Der Prinz am Weißen Baum
Autor: Boromirs Bride


Der Ringkrieg war Geschichte. Fast ein Jahr war inzwischen vergangen. Aragorn und Arwen schickten sich an, ein letztes Mal in das verlassene Bruchtal zu reisen. Arwen wollte endgültig Abschied nehmen von dem Ort, an dem sie so viele Jahre gelebt hatte.

Die Dienerschaft war eifrig dabei, alles nötige für die Reise zu veranlassen und vorzubereiten, und Arwen dirigierte ihre Untergebenen. Aragorn indessen ließ seinen Statthalter zu sich rufen, um mit ihm die verschiedenen Dinge zu besprechen, die Faramir während der Abwesenheit des Königs erledigen sollte.

Für Faramir bedeuteten diese Tage schmerzliche Erinnerungen. Denn ein Jahr war es nun her, dass Boromir der Versuchung des Einen endgültig erlag. Der Tod seines Bruders hatte in Faramirs Seele tiefe Wunden gerissen, die nie völlig geheilt waren. Der Schmerz über den Verlust hatte in seinem Geist dunkle Schatten heraufbeschworen, die Faramir zu einem anderen Menschen werden ließen. Denn tief in ihm zehrten Wut und Hass, seit er einst das Totenboot seines Bruders erblicken musste und das zerstörte Horn Gondors in seinen Händen hielt. Er konnte nicht begreifen, weshalb Boromir in seiner Stärke und seinem Stolz so enden musste.

Gleichwohl hatte er von Aragorn erfahren, wie es sich zugetragen hatte, doch für Faramir stand fest, dass sein Bruder im Stich gelassen wurde. Im Stich gelassen von seinen Gefährten.

Der junge Statthalter war indes ein pflichtbewusster Mann, der sein Amt im Sinne Gondors bekleidete. Doch hatte und wollte er niemals vergessen. Und die Stunde war noch nicht gekommen, da er Rache nehmen konnte. Es hatte sich noch kein günstiger Moment gefunden, da er allein Aragorn büßen lassen konnte. Doch diese Zeit würde kommen.

In Aragorn, Legolas und Gimli sah er die Schuldigen. Die Halblinge zählten nicht, denn sie waren zu schwach, als dass sie gegen Boromir etwas auszurichten vermochten. Doch die drei anderen, die zu der unglückseligen Zeit stets in Boromirs Nähe waren, sollten für ihre Unachtsamkeit bestraft werden.

Es war schier unmöglich, Aragorn allein habhaft zu werden. Den ganzen Tag umschwirrten ihn Soldaten und Diener, und natürlich Arwen. Gimli hielt sich in Rohan auf, wo er die glitzernden Höhlen noch immer erforschte und untersuchte. Jedoch schien sich endlich eine Möglichkeit zu ergeben, um Legolas seiner gerechten Strafe zuzuführen. Faramir war zu Ohren gekommen, dass sich der Elbenprinz auf dem Weg nach Minas Tirith befand. Er kam aus Rohan, wo er Gimli eine zeitlang Gesellschaft geleistet hatte. Doch nun verspürte er wohl den Wunsch, den König und die Königin einmal wiederzusehen.

Als die Kunde von Legolas´ bevorstehender Ankunft Minas Tirith erreichte, erwachten die Schatten in Faramir aufs Neue zu voller Blüte. Er würde sich etwas besonderes für das anmutige Prinzlein einfallen lassen. Ihn zu töten kam für Faramir nicht in Frage. Nein, Legolas sollte dort getroffen werden, wo es ihm den größten Schmerz bereitete, und den Rest seines Lebens mit dieser Schmach verbringen. Der Statthalter würde dem Elb den Stolz nehmen und ihn vor aller Augen der Lächerlichkeit preisgeben. Legolas sollte Faramirs Spielzeug werden für eine Weile, bis sein Stolz nur noch eine entfernte Erinnerung war.

Nur noch wenige Stunden und Faramir würde sein Spiel beginnen.

Doch zuvor führte ihn sein Weg nun zu Aragorn, der eine Versammlung einberufen hatte, um die letzten wichtigen Aufgaben zu bereden. Also machte er sich auf den Weg in den Sitzungssaal.

Faramir war, als ob die Zeit nicht voranschreiten wollte. Die Besprechung nahm einfach kein Ende. Mit den Gedanken bereits bei Legolas, vernahm er die Reden Aragorns wie durch einen dumpfen Schleier. Ab und an nickte der Statthalter zustimmend, jedoch lauschten seine Ohren keinem Worte. Er würde sich nachher noch einmal mit einem der anderen Teilnehmer besprechen. Doch nun hatte die Rache an Legolas den Vortritt.

Endlich war es soweit. Die Hörner der Wachen kündeten von der Ankunft des Elben. Faramir schreckte auf, als er durch das laute Tönen aus seinen Gedanken gerissen wurde. Sein Herz schlug schneller und seine Ungeduld wuchs, er konnte es nicht erwarten, endlich Legolas habhaft zu werden.

Einige Augenblicke später, die Hörner waren nun verstummt, beendete Aragorn die Versammlung mit seinen üblichen Schlussworten. Dann löste sich die kleine Gesellschaft auf und jeder ging seines Weges. Auch Faramir machte sich auf, den Saal zu verlassen. Er schlug den Weg zu dem großen Empfangssaal ein, um dort im Hintergrund die Begrüßung der zwei hochgelobten Gefährten zu beobachten. Noch wusste Faramir nicht, wann und wie er Legolas abfangen könnte, doch es würde sich schon eine Gelegenheit bieten.

So sah er aus seinem sicheren Versteck hinter einer großen Säule dem großen Empfang des Elben zu. Und es schmerzte Faramir, dass Boromir in Vergessenheit geraten war, denn nicht ein Wort über ihn kam über die Lippen der beiden gar so treuen Gefährten.

'Boromir wäre nun hier an meiner Stelle und würde mit Aragorn gemeinsam die Empfänge vollziehen. Doch Ihr hegt nicht einmal einen kleinen Gedanken an ihn. Ist er seines Gedenkens unwürdig? Kämpfte er nicht genauso hart wie Ihr anderen, allein seinerzeit in Moria? Soll das alles keinen Wert haben? - Oh Legolas, Du feiner Elbenprinz, ich werde Dich lehren, was es heißt, Boromirs Gedenken in den Schmutz zu zerren...'

Faramirs Gedanken peitschten empor und ließen erneut hohe Wogen der Verachtung in ihm aufkeimen.

Der junge Statthalter trat nun aus seinem Versteck hervor und ging auf die beiden von Soldaten in festlichen Gewändern umringten Männer zu. Er begrüßte den elbischen Prinzen, wie es das Protokoll erforderte, und nahm seinen Platz zwei Schritt hinter dem König ein. Stumm folgte er ihnen in beibehaltenem Abstand zum Speisesaal, der bereits für das Mahl hergerichtet war. Arwen nahm den willkommenen Gast herzlich in Empfang und sie tauschten einige Höflichkeiten aus. Dann nahm die kleine Gruppe an der reich gedeckten Tafel Platz und nahm die mittägliche Speise zu sich.

Faramirs Gedanken waren weit entfernt, doch dieses fiel dem König und seiner Gemahlin nicht auf, da der junge Mann bei Tisch stets ein stiller Gast war.

Als Aragorn und Legolas während des Essens miteinander sprachen, nahm Faramirs Plan mehr und mehr Form an. Er würde Legolas, natürlich nach der Abreise des Königs und der Königin, in einem passenden Moment einige Worte sagen, den Elb daraufhin sich selbst überlassen, so dass er in Ruhe über Faramirs Äußerungen nachdenken konnte, und später zur Tat schreiten.

Ein schmales Lächeln erhellte, unmerklich für die anderen, Faramirs Gesicht.

'Bald', dachte er bei sich, 'bald, Legolas.'

Die Zeit verstrich und endlich war das Mahl beendet. Für Aragorn und Arwen bedeutete dies, nun für eine längere Zeit Abschied von Minas Tirith und Gondor zu nehmen. Faramir gab vor, einige dringende Erledigungen tätigen zu müssen, wünschte seiner Herrschaft eine gute Reise und verabschiedete sich. Er ging den Flur in Richtung des Gästeflügels entlang und stoppte an einer dunklen Nische. Hier nutzte er den Schatten zur Tarnung und drückte sich an die Wand. Nun würde es nicht mehr lange dauern, bis Legolas Faramirs Versteck passierte, denn er wusste um den bevorstehenden Aufbruch des Königspaares.

Aragorn sprach dem Elb sein Bedauern aus, dass sich Legolas´ Besuch mit der Abreise des Herrscherpaares so unglücklich traf. Doch Legolas zeigte natürlich Verständnis. Und er bekam, wie erwartet, die Erlaubnis, sich solange er wollte in Minas Tirith und im Palast aufzuhalten. Die zwei ehemaligen Waffenbrüder verabschiedeten sich mit einer freundschaftlichen Umarmung. Arwen gegenüber bezeugte Legolas durch eine tiefe Verbeugung seine Achtung, und alsbald hatten der König und seine Gemahlin den Palast verlassen und waren zu ihrer Reise aufgebrochen.

Legolas hatte indes den Weg zu dem ihm zugedachten Gemach eingeschlagen. Er durchschritt die Flure in Begleitung eines Dieners, welcher dem Elb voranschritt. Als Faramir aus seinem Versteck das Nahen Legolas´ gewahr wurde, presste er sich fest an die kalte Wand und zählte jeden Schritt, welchen der Diener verlauten ließ. Endlich passierte der Bedienstete die Nische und Legolas folgte in einigen Schritten Entfernung. Langsam löste sich Faramir aus seinem Versteck, trat auf Legolas zu und berührte ihn an der Schulter. Der Elb blieb stehen und wandte sich um.

"Faramir, weshalb so geheimnisvoll?" Legolas sah dem Diener hinterher, der seinen Weg fortsetzte; er hatte das Geschehen hinter sich wohl nicht bemerkt. Doch Faramir erwiderte: "So lasst ihn gehen, Ihr werdet Euer Gemach leicht allein zu finden wissen."

Legolas, im Unklaren ob dieser merkwürdigen Begegnung, blickte Faramir an und bemerkte in dessen Augen einen Schimmer, welchen er nicht zu deuten wusste. Doch schon rückte Faramir dicht auf und zischte: "Ein Leben, das einmal fehlging, hat denselben Wert wie eines, das in Hochmut gebettet ist. Merkt es Euch gut und denkt darüber nach, solange noch Zeit ist."

Damit ließ der Statthalter den Gast des Königs stehen und ging davon. Legolas sah ihm nach. In des Elben Antlitz spiegelte sich Verwirrung wider.

"Herr, bitte verzeiht meine Unachtsamkeit. Ich habe nicht bemerkt, dass Ihr mir nicht mehr folgt." Der Diener war zurückgeeilt, nachdem er vor der Türe zu dem Gastgemach das Ausbleiben Legolas´ bemerkt hatte. Ihm war es sehr unangenehm und er unterstrich seine Entschuldigung mit einer tiefen Verbeugung. Doch Legolas wandte sich ihm zu und entgegnete: "Nein, es war nicht Deine Schuld." Seine Stimme wurde nachdenklich: "So führe mich nun in mein Gemach." Der Diener setzte sich nach nochmaliger Entschuldigung in Bewegung und achtete nun darauf, dass der Elb nicht erneut zurückblieb. Der Elbenprinz versuchte die Worte Faramirs zu deuten, doch wollte es ihm nicht gelingen.

Woher sollte er auch wissen, dass Faramir von seinem Bruder sprach, war das alles doch schon ein Jahr vorüber. Legolas hatte mit dem Kapitel des Ringkrieges nach den langen Jahren des Kämpfens abgeschlossen und konnte sich nun nicht erklären, was die Worte des Statthalters bedeuten sollten. Schließlich tat er es ab als unüberlegt dahergesagte Worte, welche wohl die Folge von zu langen Arbeitstagen des jungen Menschen waren.

Einige Tage vergingen, und Legolas dachte längst nicht mehr an das Verhalten Faramirs. Dieser wiederum ging dem Elb so gut es ging aus dem Wege. Er wollte sichergehen, dass Legolas wirklich arglos war, wenn die Stunde kam. Dennoch ließ Faramir den Gast nicht aus den Augen und studierte ihn genau. Und schließlich, vier Tage nach der Abreise des Königspaares, fasste der junge Statthalter den Entschluss, die Gelegenheit am Schopfe zu packen.

Die Abenddämmerung lag über Gondor und die untergehende Sonne schickte einen tiefroten Schleier über den Himmel. Legolas hatte sich in den vergangenen Tagen angeschickt, zu dieser Zeit am Weißen Baume zu verweilen. So würde er es auch heute wieder tun, folgerte Faramir, und er hatte recht. Da stand der Elb, die Arme verschränkt, an den Baum gelehnt und blickte in die Ferne gen Osten. Auch seine Gedanken schienen weit entfernt, so dass es für Faramir ein leichtes war, sich unbemerkt zu nähern.

In einigem Abstand hielt er inne und beobachtete Legolas. Doch dessen feine Sinne bemerkten dies bald, so dass er sich Faramir zuwandte.

Legolas nickte dem Menschen höflich zu: "Ich wünsche Euch einen guten Abend, Faramir."

Faramir richtete seinen Blick auf das Antlitz des Elben, doch gab er keine Antwort auf die Begrüßung. Daraufhin schritt Legolas langsam auf den Menschen zu, da er dessen Verhalten nicht zu deuten wusste.

"Sagt, was ist Euch? Weshalb steht ihr hier und beobachtet mich wortlos?"

Keine Antwort.

Legolas stand nun dicht vor Faramir und sah tief in dessen Augen, als wollte er seine Seele ergründen. Und Faramir hielt diesen Blicken stand.

"In Euren Augen lese ich Traurigkeit, Faramir", sagte der Elb leise. "Sagt, was bedrückt Euch?"

Ein Lächeln huschte über Faramirs Lippen, welche jedoch von Legolas nicht als ein solches gedeutet wurde, wie es von dem Menschen tatsächlich empfunden war. Denn Faramir sah sich kurz vor seinem Ziel, und Legolas vermutete ein gewisses Zutrauen, eine Art Dank für die Aufmerksamkeit, welche er dem Menschen entgegenbrachte. Und Faramir stand weiter nur da und blickte sein Gegenüber an.

Legolas trafen diese Blicke tief, konnte er solchen Blicken noch nie widerstehen. Der Statthalter konnte dies nicht wissen, doch würde es ihm nur recht sein. So legte der Elb seine Hände vorsichtig auf die Schultern Faramirs. "Wollt Ihr mit mir sprechen? Ich höre Euch gern zu, Faramir, doch bitte, erzählt mir, was Euch auf der Seele lastet, so ich Euch vielleicht mit meinem Rat dienen kann."

'Du wirst mir dienen, Elb, Du wirst... Doch nicht, wie es Dein Sinnen ist...', schoss es Faramir durch den Kopf.

'Wie gern würde ich Euch einfach an mich ziehen, edler Faramir, so steht Ihr in diesem Augenblick da, als wäret Ihr das Ebenbild Boromirs.' Legolas ließ sich zu diesen Gedanken hinreißen ob des beharrlichen Schweigens Faramirs und die zunehmende Dunkelheit, vor welcher sich Faramirs Silhouette abzeichnete, tat ihr übriges. Ohne es zu wissen hatte Faramir genau die richtige Taktik gewählt, um den Elben unvorsichtig werden zu lassen. Und der junge Mann triumphierte im Geiste, dass es so einfach war, diesen Elbenprinzen für sich einzunehmen.

Faramir ließ es geschehen, wenn auch widerwillig, als die elbischen Hände an seinen Armen entlangglitten.

"Wisst Ihr", begann Legolas, "dass auch ich Euch oft beobachte? Ihr seid ein kluger Mann, und kluge Menschen sind mir die liebsten. Einfältigkeit ist meine Sache nicht, so weiß ich nicht mit solchen Menschen umzugehen. Auch Aragorn ist klug, und ihn bewundere ich ebenso wie Euch. Doch gibt es einen Unterschied zwischen Euch und dem König: Ihr seid jung, habt noch viel zu lernen und ich würde Euch gern dabei unterstützen, so Ihr es annehmen wollt."

Faramir war überrascht ob dieser offenen Rede des Elben. Doch besser konnte es nicht sein, und so begann er endlich zu sprechen: "Ich danke Euch dafür und ich will Eure Hilfe gern annehmen."

Legolas lächelte erfreut. Und die Erwartung der Erfüllung seines Traumes, endlich einmal mit Faramir die Freuden der Lust genießen zu können, ließ ihn unachtsam werden. Noch hatte dies für ihn keine Folgen, jedoch sie würden kommen.

Der Statthalter nahm sich zusammen und spielte das Spiel mit. Niemals würde er sich in solcherlei Weise mit diesem Elben einlassen. In seiner Vergangenheit, während der langen Nächte des Krieges, hatte Faramir nur sehr selten bei einem Manne gelegen, und nun gehörte sein ganzes Herz allein Éowyn. Glücklicherweise weilte sie bei ihrem Vater für einige Zeit, so dass Faramir nun unbehelligt seinen Plan verfolgen konnte. So ließ er sich von Legolas also berühren, wie es sonst nur seine Gemahlin tat. Denn Legolas, Faramirs Handeln missdeutend, ließ eine Hand nun hinauf zu Faramirs Kopf gleiten und sanft durch das wellige Haar streichen.

Auch Elben hatten Momente, in welchen sie nicht mehr vollständig Herr der Lage waren. So war dies ein solcher Augenblick, da die wohlige Lust ihm den Sinn für die Vorsicht vernebelte. Faramir kam es mehr als gelegen und nutzte die Lage aus, indem er Legolas glauben machte, wohlwollend auf ihn einzugehen. So erwiderte er also das Handeln des Prinzen, indem er nicht zurückwich, sondern sich gar um einen kleinen Schritt näherte, so dass nur noch ein oder zwei Handbreit die beiden Männer trennte.

Legolas wurde noch unvorsichtiger, er sah sich bereits am Ende seiner Träume. Denn schon lange ging ihm des Königs Statthalter nicht mehr aus dem Sinn. Und weil er nicht wusste, wie er sich Faramir nähern konnte, ohne ihn zu vertreiben, zog es ihn für eine Weile nach Rohan zu seinem Gefährten Gimli. Nicht, dass der Zwerg eine zweitrangige Rolle für den Elb spielte, nein, er war sein Freund, doch ließ sich diese Freundschaft nicht mit den Gefühlen vergleichen, wie er sie für Faramir empfand. Und nun erfreute es ihn ungemein, dass seine Reise zurück nach Minas Tirith anscheinend zum rechten Zeitpunkt erfolgte.

Als er das Nahen von Schritten vernahm, ließ Legolas von Faramir ab. Zwei Silhouetten zeichneten sich vor dem abendlichen Himmelsschein ab. Es waren Wachen, die ihrer Pflicht nachkamen und ihren Rundgang unternahmen. Faramir rührte sich nicht, sondern musterte den Elb, der wie ein kleiner Junge erschrak und sich auf gebührenden Abstand von dem Menschen entfernte. Legolas´ Blick folgte den sich im Gleichschritt nähernden Wachen, bis sie vorübergeschritten waren und wandte sich wiederum Faramir zu.

Doch dieser wünschte Legolas nun eine gute Nacht, wandte sich ab und ging. Er malte sich aus, wie erstaunte Blicke ihn verfolgten. Doch war es ihm gleich. Er war in gewisser Weise den Wachen dankbar, dass die just im passenden Augenblick dahergekommen waren. Wusste er nun im Nachhinein nicht, wie er sich aus der bedrängenden Situation mit dem Elben hätte herauswinden können, ohne ihn schon vor der Zeit zu vertreiben. Nein, denn Legolas war nun dank der Gunst der Stunde hoffentlich ermuntert, einen zweiten Versuch bei Faramir zu wagen.

Mit diesen Gedanken schritt Faramir seinen Gemächern entgegen. Er wollte noch ein wenig in Ruhe darüber nachsinnen, wie er Legolas in die Richtung lenken könnte, die ihn seiner Strafe zuführen sollte.

Ausgestreckt und die Arme hinter dem Kopf verschränkt lag der Statthalter auf seinem Bett und starrte ins nächtliche Dunkel über ihm. Er ließ verschiedene Szenerien vor seinem geistigen Auge vorüberziehen, welche sich allesamt um die Bloßstellung des elbischen Prinzen drehten. Doch noch war kein Gedanke darunter, der Faramirs ganze Zustimmung fand, aber er hatte keine große Eile damit. Denn es würden ihm noch genügend Tage zur Verfügung stehen, so dass er sich in aller Ruhe ein perfektes Finale für den Elb überlegen konnte.

Am nächsten Tag ging Faramir wie gewohnt seinen täglichen Pflichten nach. Die Mittagsstunden verbrachte er, wie er es stets einmal in der Woche tat, in einer der Wachstuben. Auf diese Weise hatte er steten Kontakt zu den Soldaten und konnte sich so ihre Sorgen und Nöte anhören, und ebenso wurde er eingebunden in frohe Kunden wie Geburten oder sonstige feiernswerte Anlässe. Faramir sah sich schon immer als einer der Soldaten und hatte sich nie ausschließlich der Führungsklasse angehörig gefühlt. Und die Soldaten dankten es ihm, indem sie ihm großen Respekt zollten.

Die kleine Runde, welche aus acht Wachen und dem jungen Statthalter bestand, nahmen plaudernd ihre Mahlzeit zu sich, und plötzlich machte einer der Männer eine Bemerkung, welche Faramir aufhorchen ließ. Dieser Mann nämlich berichtete von einer Feierlichkeit, welche unlängst bei seinem Vetter stattgefunden hatte. Er erzählte von einem Scherz, den sich einige Gäste mit besagtem Vetter erlaubten, welcher unter den Anwesenden allgemeine Heiterkeit ausbrechen ließ. Der Gastgeber war bereits leicht trunken und prahlte mit seiner Stärke, und dies tat er solange, bis die Gäste den Beweis forderten. Daraufhin erhoben sich einige von ihnen und banden den Mann an einen der freistehenden Stützpfeiler des Hauses fest. Natürlich wand er sich hin und her, doch befreien konnte er sich nicht. Dies war die kleine Begebenheit, die nun auch unter den Soldaten in der kleinen Mittagsrunde für Heiterkeit sorgte. Und Faramir starrte gedankenversunken auf seinen Teller und in seinem Kopfe entstand das Bild eines an einen Pfeiler gebundenen Legolas. Doch allein das Fesseln gereichte selbstredend nicht für eine richtige Demütigung. Nein. Denn zum Einen sollte er von vielen Menschen auf einmal erblickt werden und desweiteren müsste der Elb schon etwas Außergewöhnliches an sich haben, um der vollständigen Lächerlichkeit preisgegeben zu werden. Doch halt... wieso sollte er etwas an sich haben, wenn es auch anders ging? Wie wäre es, wenn er nichts an sich hätte - weder ein Hemd noch ein Beinkleid... Faramir lächelte in sich hinein. Endlich, alles setzte sich nun langsam zusammen. Nun brauchte er nur noch einen passenden Augenblick und eine passende Stelle, welche des Nachts verlassen und über den Tag belebt war. Legolas zu solch einer kleinen Spielerei hinzureißen dürfte nicht allzu schwer sein, so Faramir geschickt genug vorginge und dabei so glaubhaft wie nötig erschien. Nur noch eine geeignete Umgebung fehlte, doch dürfte es nicht allzu schwer werden, eine solche ausfindig zu machen.

Als der Statthalter des abends in seinem Arbeitszimmer über alten Büchern saß, vernahm er ein Klopfen an seiner Türe. Er bat die Person herein und Legolas trat ein. Faramir spürte ein Unbehagen in sich emporsteigen, doch wurde dieses hervorgerufen durch die Gedanken an die Berührungen seitens des Elben, die nun höchstwahrscheinlich vor ihm lagen. Faramir wollte einerseits keine Zeit mehr vergeuden und die nächste sich ihm bietende Möglichkeit nutzen, doch desgleichen fühlte er sich aufs Äußerste unwohl, wenn er daran dachte, dass er so manche Berührung des Elben über sich ergehen lassen müsste, damit sein Plan nicht fehlschlagen konnte.

So stand nun Legolas vor dem großen, schweren Holztisch des Statthalters und wünschte einen guten Abend. Faramir erwiderte den Gruß und schloss die Frage an, was er für Legolas tun könnte.

Der Elbenprinz schritt langsamen vor dem Tisch auf und ab. "Nun, Faramir, ich gedachte für den morgigen Tag, einen kleinen Ausritt zu machen und hätte Euch gern in meiner Gesellschaft gewusst. Selbstverständlich nur, so Eure Geschäfte nicht darunter leiden und Ihr die Muße hättet, mich zu begleiten. Es ist offensichtlich, dass Ihr durch die Abwesenheit Eurer holden Gemahlin nur Eure Arbeit habt, die Euch beschäftigt, und so kam mir der Gedanke, dass Euch womöglich ein paar Stunden Erholung nicht schaden könnten. Was sagt Ihr?"

Faramir lauschte den Worten aufmerksam, und er überlegte nicht lange. Nach einer kurzen Pause antwortete er: "Nun ja, Ihr habt sicher nicht Unrecht mit der Annahme, dass ich mich sehr viel der Arbeit widme. Daher werde ich Euren Vorschlag annehmen. Wann gedenkt Ihr Euren Ausritt zu beginnen?"

Die Augen des Elben erhellten sich, als er die Antwort des Statthalters vernahm. Im Innern hätte er nicht mit einer solchen gerechnet, doch nun war er voll der frohen Sinne, die über ihn kamen, so er intensiv an Faramir dachte. Faramir - dieser junge Mann, stark im Geiste und freundlich im Wesen - würde er verstehen, was Legolas für ihn empfand? Hatte er es bei ihrem abendlichen Treffen am Weißen Baume wirklich verstanden, um was es Legolas ging? So er es denn verstand, hatte er sich dennoch nicht der Berührungen des Elben entzogen. Doch hatte er es nicht verstanden, wovon Legolas nicht ausging, da er dem Menschen einen hellen, wachen Verstand zusprach, so würden noch einige umsichtige Annäherungsversuche vor Legolas liegen. Doch dem würde er sich ohne zu zögern stellen. Zu wichtig war ihm der Mensch, als dass er diese Chance an sich vorbeistreichen lassen konnte.

Faramir hingegen sah die Stunde der Vergeltung wieder einen großen Schritt nähergerückt. Er wusste, worum es sich nun zu kümmern galt: wann er am nächsten Tag handeln würde.

So verabschiedete er Legolas mit den Worten: "Nun seid mir nicht gram, Legolas, doch habe ich hier noch einige gewichtige Dinge zu erledigen, welche ich noch heute zum Ende bringen möchte, damit ich morgen frei bin für unseren Ausflug. Ich wünsche Euch eine gute Nacht.

Nichts lag dem Elbenprinzen ferner, als dass der geplante gemeinsame Ausritt nicht stattfinden konnte. So bedankte er sich für Faramirs Zusage, wünschte ihm eine gute Nacht und entschwand.

'Ich spüre die Aufregung in mir, das Klopfen meines Herzens, die Anspannung in Erwartung an den morgigen Tag. Endlich meint es das Schicksal einmal günstig und gewährt mir die Gunst, mich ihm zu offenbaren. Endlich kann mein Traum sich erfüllen, wird er spüren, was ich für ihn empfinde.' Und mit diesen Gedanken nahm Faramir platz in seinem gemütlichen Polstersessel und ließ seinen Gedanken freien Lauf, denn er musste nun einen Plan fassen. Nur noch ein paar Stunden blieben ihm, und diese wollte er nur noch seinem Vorhaben widmen.

Das frühmorgendliche Gezwitscher der Vögel riss Faramir aus seinem Schlaf. Er fand sich in seinem Sessel wieder. 'Da soll mich doch... Ich bin eingeschlafen, ohne dass ich meinen Plan vollenden konnte! Oh Faramir, Du bist ein Narr!' Der Mann schwang sich aus dem Sessel, um sich an seinem Waschtisch frisch zu machen. Glücklicherweise war der Tag noch sehr jung und er würde noch etwas Zeit haben, um sich vorzubereiten. 'Was kann ich bloß tun? Wohin soll ich ihn locken?' Aufgeregt marschierte er in seinem Gemach auf und ab. Die Zeit wurde immer knapper, und noch immer wollte ihm kein gescheiter Gedanke kommen.

Plötzlich klopfte es leise an der Türe. Faramir fuhr herum und öffnete. "Guten Morgen, Faramir! Ich sehe, Ihr seid schon erwacht. Ich hatte es nicht vermutet, so aber dennoch gehofft. Bitte verzeiht mein frühes Erscheinen, doch der Morgen ist so angenehm frisch, dass es mich nicht länger in meinem Quartier hielt und ich Euch zu fragen gedachte, ob Ihr einverstanden seid, schon zu dieser Stunde unseren Ausritt zu beginnen."

Verblüfft entgegnete Faramir: "Guten Morgen." Schnell dachte er nach und es fiel ihm nichts besseres ein als folgende Worte: "Bitte nehmt es mir nicht übel, doch habe ich gestern nicht alle Dinge erledigen können, daher wollte ich gerade damit fortfahren. Bitte haltet Euch gegen die Mittagszeit bereit. Früher werde ich meine Arbeit leider nicht erledigt haben. Ich hoffe, dass ich Euch mit dieser Auskunft nicht beleidige, aber es ist mir wahrlich nicht anders möglich."

"Nein, ich verstehe es schon richtig. Ich werde also zur Mittagszeit bereit sein und in meinem Gemach Euren Bescheid erwarten. So wünsche ich Euch nun ein gutes Gelingen." Lächelnd wandte sich der Elb um und nahm den Rückweg zu seinem Gemach auf. Er war etwas enttäuscht, doch andererseits war er über sich selber leicht entrüstet. Wie konnte er nur zu dieser frühen Stunde auch nur die leiseste Hoffnung erwägen, den Statthalter zu stören? Doch hinterher ist man immer schlauer - und dieses gilt auch für Elben.

Faramir hatte gut gehandelt, das war ihm sofort klar. Und er hatte sogar noch ein paar Stunden zusätzlich für sich herausgeholt. So würden sie also um die Mittagszeit aufbrechen und er würde dafür sorgen, dass sie am späten Abend erst zurückkehren würden. So würde das Dunkel der Nacht ihm den Mantel des Schutzes gewähren und die Gefahr, von einer der wenigen Wachen entdeckt zu werden, wäre sehr gering.

Die Stunden verstrichen. Und Faramir hatte sie genutzt, um sich endlich einen kleinen Plan zurecht zu legen. Er wusste nun, wie und wo er Legolas seiner Schmach ausliefern würde. Nun war die Mittagszeit gekommen und Faramir schickte nach dem Elbenprinzen und erwartete ihn bei den Ställen. Er ließ sein Pferd sowie ein weiteres für Legolas satteln und als dieser die Ställe erreichte, standen die Reittiere zum Aufbruch bereit auf dem Hof.

Für Legolas verstrich die Zeit bis zur Mittagsstunde sehr langsam, und der üblicherweise besonnene Elb wurde mit jeder Stunde etwas aufgeregter. Die Ungewissheit, die ihn quälte, ließ sein Herz bis zu seinem Halse schlagen. So er sich Faramir sicher wäre, würde ihm eine große Last vom Herzen fallen. Doch bis es soweit war, fragte er sich immer und immer wieder, wie er den Menschen für sich, oder besser gesagt für sein Herz gewinnen konnte. Was, wenn er Faramir verschreckte und ihn somit vertreiben würde? Der Elb dachte an ein Elixier, welches seit Urzeiten im Besitz seines Volkes war und bei so manchem Feinde angewandt wurde, um diesen gefügig zu machen, wenn es darum ging, an wichtige Informationen zu gelangen. Wie gern würde er es nun in seinen Händen halten und es Faramir verabreichen. Damit wären alle Zweifel in Rauch aufgelöst und der Geist des Menschen könnte in Legolas´ Sinne geformt werden. Doch würde aus Faramir lediglich eine Marionette, und das war es nicht wirklich, was Legolas wollte. Er wollte die echte Zuwendung des jungen Statthalters, und nun sah er die Stunde gekommen, in welcher er alles auf eine Karte setzte, jedoch so vorsichtig wie möglich vorgehen wollte.

Nachdem ein Bediensteter an Legolas´ Türe geklopft und ihm Bescheid gegeben hatte, machte sich der Elb sofort auf den Weg zu den Ställen. Als er eintraf, standen dort zwei gesattelte Pferde im Hof. Und Faramir. Legolas´ Herz raste. Und als er Faramir erblickte, hielten seine Schritte eine kurze Weile inne. Doch nun gab es kein Zurück mehr. Bemüht, seine Aufregung verborgen zu halten, schritt der Elb auf den Statthalter zu und grüßte ihn noch einmal.

"Nun denn, werter Legolas, lasset uns starten." Und die beiden Männer schwangen sich auf die Pferde und machten sich auf den Weg zum Stadttor.

Wer auf ihrem Weg zum Tor auf ihre Gesichter achtete, erkannte deren Zufriedenheit. Beide lächelten leise vor sich hin und dennoch schienen sie leicht angespannt zu sein. Keiner sprach mit dem anderen und sie schienen sich im Geiste weit weg zu bewegen. Falsch wären solcherlei Mutmaßungen nicht gewesen, denn natürlich hing jeder seinen Gedanken nach, doch dass diese so unterschiedlicher Natur gewesen, konnte ein Beobachter natürlich nicht wissen.

Die beiden Männer ritten in Richtung Emyn Arnen, dem kleinen Vorgebirge von Mordor, welches auf der anderen Seite des Anduin und südlich von Osgiliath gelegen war. Dass sie diesen Weg eingeschlagen hatten, war ihnen zunächst nicht bewusst, waren sie einfach nur drauflos geritten. Doch bald wurde ihnen klar, auf welches Ziel sie zuritten. Und je näher sie dem Fluss kamen, desto näher kam auch die Erinnerung in Faramirs Gedächtnis zurück. Die Erinnerung an die schrecklichen Momente vor einem Jahr, als das Totenboot Boromirs dieses Gebiet passierte. Lange schon war Faramir nicht mehr hier gewesen, wollte er doch die schmerzlichen Erinnerungen nicht wieder in sich aufsteigen lassen. Aber nun war es wieder soweit. Die Bilder der Vergangenheit formten sich erneut vor seinem Auge und Traurigkeit und Wut breiteten sich erneut in ihm aus. Es war ein abscheuliches Gefühl, doch sorgte eben dieses Gefühl dafür, dass er seinen Plan wirklich vollziehen konnte. Denn Faramir war ein von Grund auf ruhiger und ausgeglichener Mensch, der jederlei Art von Arglist und Vergeltung ablehnte, doch mit Boromirs unnötigem Tod war alles anders geworden. Und nun, da die Zeit sich in seinem Geiste zurückbewegte und die alten Bilder wieder hervorkamen, wollte er mehr denn je seine Art von Rache üben.

Am Ufer des Anduin angekommen stoppten sie und stiegen von ihren Pferden. Sie gingen die letzten Schritte bis zum Gewässer und ließen sich dort am Rande des Ufers nieder.

Legolas reichte Faramir ein Stück Lembas. Der junge Mann bedankte sich und nahm einen Bissen. Der Elb sah zu seinem Begleiter hinüber. "Wisst Ihr", begann Legolas, "Ihr könnt Euch glücklich schätzen, Statthalter über ein so schönes Land zu sein. Die Wiesen stehen in saftigem Grün, der mächtige Anduin schlängelt sich anmutig vor den Toren Minas Tiriths vorbei und die Menschen in Gondor bringen Euch ihre ganze Ehrfurcht entgegen. Etwas besseres kann sich ein Mensch wahrlich nicht wünschen."

"Ich wüsste Wünsche, die schwerer wiegen, Prinz", entgegnete Faramir forsch. "Nicht für jeden Menschen ist Ansehen der Wichtigste aller Wünsche. Ich weiß von den Elben zu wenig, doch glaube ich nicht, dass solcherlei Wünsche Euer Streben bestimmen. Ihr selbst werdet auch wichtigere Ziele verfolgen, ist es nicht so?" Gleichgültig sah Faramir Legolas an und beobachtete ihn genau. "Oh, ja, natürlich habe auch ich selbst für mich wichtigere Wünsche. So wollte ich Euch mit meinen Worten nicht beleidigen, edler Faramir. Ich weiß wohl um Euer Wesen und dass Ihr nicht der Mensch seid, dem es einzig auf das Ansehen ankommt. Doch... wollt Ihr mir... von Euren Wünschen... erzählen? Womöglich tut es Euch wohl, wenn Ihr einmal darüber sprechen könnt. Sicher hattet Ihr solcherlei Dinge früher mit Boromir...." Faramir hielt inne, ja hörte gar für einen kurzen Augenblick zu atmen auf. Der Blick, der Legolas nun traf, bedeutete ihm, dass er den letzten Satz besser nicht ausgesprochen hätte. "Bitte verzeiht meine unbedachte Äußerung. Ich wollte Euch nicht zu nahe treten..."

Da platze es aus Faramir heraus, während er sich auf die Füße schwang: "Wie könnt Ihr es wagen zu erwarten, dass ich Euch von meinen innersten Gedanken erzähle? Was fällt Euch ein, mich aushorchen zu wollen? Und, mein edler Herr Prinz, lasst den Namen meines Bruders nie wieder über Eure Lippen kommen! Ich werde es nicht erlauben, dass Ihr seinen Namen in den Schmutz zieht! Und vermeidet es künftig...." - '...auch nur in meine Nähe zu kommen', vollendete er den Satz in seinem Geiste. Das hätte nicht passieren dürfen. Er hat sich in seiner Pein zu diesem Gefühlsausbruch hinreißen lassen, was ihm gerade bei seinen zuletzt gesagten Worten bewusst wurde. Er hat Legolas nun auf Abstand gebracht, was unter normalen Umständen nicht das geringste Problem für Faramir dargestellt hätte. Doch nun war die Lage eine andere, denn er musste das Gegenteil bewirken. Legolas sollte Vertrauen zu ihm haben, und sich nicht abgewiesen fühlen. So würde alles noch schwieriger werden. Doch was konnte Faramir nun tun, um die Situation zu retten? Er musste schnell handeln.

Faramir würde sich lieber die Zunge abgebissen haben, als sich bei dem Elbenprinzen zu entschuldigen, doch es musste sein. Er überwand sich und sprach: "Verzeiht, Legolas, doch die Erinnerungen... sie haben mich für kurze Augenblicke meiner ermächtigt. Bitte verzeiht."

Auch Legolas erhob sich nach dem kurzen Schrecken und sah dem Menschen in die Augen: "Nein, ich bin derjenige, der um Verzeihung bitten muss. Ich habe unbedacht gesprochen. Ich hätte es wissen müssen." Während er sprach, legte Legolas seine Hände auf Faramirs Schultern. Für einige Momente standen sie reglos da. Beide wussten nicht um den nächsten Schritt, der zu tun war und den sie wagen konnten.

Faramir entschied sich abzuwarten und lediglich zu reagieren. Und er musste nicht lange warten, bis Legolas den nächsten Schritt wagte. Denn der Elb ließ seine Hände leicht über Faramirs Schultern streichen, bis die Finger kurz darauf etwas fester zugriffen. Legolas beobachtete seinen Begleiter genau. Da dieser jedoch nicht einmal zuckte, wagte sich der Elb noch etwas weiter vor. Er zog Faramir leicht zu sich heran. "Sagt, was habt Ihr vor, Legolas?" Peinlich berührt ließ der Elb von Faramir ab und senkte sein Haupt. "Verzeiht mein forsches Vorgehen. Ich... ich..." "Nein... es... ist gut..." Faramir schloss bei diesen Worten seine Augen und überwand sich, diesen kurzen, aber alles entscheidenden Satz herauszubringen. Nun war der Weg geebnet, denn Legolas blickte erstaunt auf und sah den Menschen an, der nun seinerseits sein Haupt gesenkt hielt. Der Prinz vermutete hinter dieser Geste eine leichte Scham, da es dem Menschen in gewisser Weise unangenehm sein könnte, seine Gefühle Legolas gegenüber zuzulassen.

Und Legolas, in Erwartung der Erfüllung seines sehnlichen Wunsches, hielt nun seine Gefühle merklich weniger zurück. "So muss ich Euch etwas gestehen, Faramir. Jedoch mir fehlen die rechten Worte... Ich möchte nicht, dass ich Euch abstoße und somit gar vertreibe..."

Es folgten einige Momente des Schweigens. Keiner sah den anderen an und doch wussten beide, was der andere erwarten würde.

Schließlich ergriff Faramir das Wort: "Ihr braucht Euch nicht zu erklären, Legolas." Er sah den Elbenprinzen mit festem Blicke an und ließ wiederum dessen tiefe Blicke über sich ergehen. Und eine kleine Woge der Erleichterung zog durch Legolas´ Körper. Sein Herz war nun voll der Freude auf das, was nun folgen könnte. Doch Faramir sprach weiter: "Setzten wir uns doch. Seht, ich habe für unser leibliches Wohl gesorgt und einen großen Trinkbeutel unseres eldelsten Weines mitgebracht."
Ein paar Augenblicke später hatten sich die beiden Männer in das weiche Gras gesetzt und saßen sich nun gegenüber. Faramir schenkte zwei Kelche den süßen Wein in die Kelche. Und während Legolas seine Blicke über den Anduin schweifen ließ, versetzte er den Kelch des Elben mit einem Pulver, welches sich aus einem kleinen unscheinbaren Beutelchen ergoss. "Lasst uns trinken, Legolas. Trinken auf die, die wir lieben und nie vergessen werden." Legolas nahm den ihm zugedachten Kelch und erwiderte: "Ja, edler Faramir, lasset uns trinken." Seine Blicke ließen nicht von Faramirs Augen, während er einen kräftigen Schluck des Weines nahm.

Der Statthalter triumphierte über seine List. Noch kurz vor Beginn ihres Ausrittes hatte er das Pulver von einem alten Manne abgeholt. Niemand kannte seinen Namen und sein Alter, doch gehörte er zu Minas Tirith wie der Weiße Baum. Faramir war der Gedanke auf den Wein und das Pulver glücklicherweise noch rechtzeitig gekommen. Und schnell machte er sich auf den Weg zu dem alten Mann, welcher schon manchen kranken und von allen Ärzten aufgegebenen Einwohnern Gondors heilen konnte. Auch an Faramirs Genesung vor fast einem Jahr hatte er seinein Teil beigetragen. Und nun konnte Faramir wiederum von dem Wissen des Alten zehren. Das Pulver musste nicht erst zubereitet werden, denn es handelte sich um ein recht starkes Schlafmittel. Es hatte keinen Geschmack und so musste Faramir nur darauf achten, dass er gerade so viel in den Kelch tat, dass es sich schnell im Weine auflösen konnte.

Doch Legolas schien auf das Pulver nicht zu reagieren. Als er den Kelch fast zur Neige geleert hatte, sagte er: "Das ist wahrlich ein edler Wein. Sein süßer Geschmack ist ein Genuss für meine Kehle. Bitte, schenkt mir doch etwas nach." Und Faramir nahm den Kelch und wollte nun erneut ein wenig Pulver hineintun. Doch Legolas sah nicht weg. So musste sich Faramir nun schnell eine Ablenkung einfallen lassen. "Leoglas, bitte... bitte rückt doch zu mir herum. Ich würde Euch gern dicht bei mir wissen." Natürlich zögerte der Elb keinen Augenblick und während er seinen Platz wechselte, füllte Faramir das Pulver nach.

Oh wie schwer ihm doch die eben gesagten Worte über die Lippen kamen. Er schämte sich vor sich selbst, so etwas auszusprechen. Doch die Zeit war knapp und es kam ihm nichts anderes in den Sinn, wodurch sich der Elb wohl ablenken lassen konnte. So saßen die beiden Männer nun dicht nebeneinander und Legolas spürte die Hitze, welche in ihm aufstieg. Lag es nur am Wein oder war es tatsächlich die direkte Nähe zu dem Manne, den er so begehrte? Doch es kam sicherlich beides zum Tragen. Denn der Elb spürte, der Wein würde dazu beitragen, dass er bald seine Zurückhaltung einbüßen könnte. Dann würde es von Faramir abhängen, ob er seinem Traume näher käme oder nicht. Oh wie lange wünschte sich Legolas eine solche Zweisamkeit. Keine störenden Diener, Soldaten und vor allem kein Eheweib, das der Sache noch im entscheidenden Augenblick zu einem plötzlichen Ende verhelfen könnte. Ja, Legolas wähnte sich kurz vor seinem Ziele. Er war voller Überschwang und selbst das Schweigen, das nun schon etwas anhielt, konnte ihn nicht mehr davon abbringen.

Faramir drehte den Kelch in seinen Händen hin und her und beobachtete Legolas aus den Augenwinkeln. Er erwartete sehnlichst den Moment, an welchem der Elb zur Seite fallen würde. Und je mehr Zeit verstrich, desto mehr Unruhe spürte er in sich aufkeimen. 'Was, wenn das Pulver bei ihm keine Wirkung zeigt? Was, wenn er gleich seine Hand auf meinen Körper legt? Was soll ich tun? Wie soll ich mich verhalten? Soll ich mich ihm ergeben in der vagen Hoffnung, dass das Pulver endlich Wirkung zeigt? Soll ich mich seiner erwehren und hoffen, dass ich seiner bei anderer Gelegenheit besser habhaft werde?' Die Gedanken kreisten und Faramir spürte die Kälte der Aufregung in seinen Händen.

Ein Geräusch ließ Faramir aufhorchen. Er blickte zur Seite und musste unvermittelt grinsen. Da lag er nun, der unsterbliche Elb. Umgefallen wie ein morscher Baum und tief schlafend wie ein Säugling nach seiner Mahlzeit. Die tiefen und gleichmäßigen Atemzüge ließen keinen Zweifel offen, dass Legolas endlich im Reich der Träume angelangt war.

Schnell raffte Faramir alles zusammen. In der Ferne war die Abenddämmerung im Anmarsch, und der Mann stellte fest, dass er jedes Gefühl für die Zeit verloren hatte, während er seinen Gedanken nachhing und sehnsüchtig den Moment erwartete, der nun endlich gekommen war. So umfasste er also den Körper des Elben und schwang ihn auf das Pferd. Mit einem Seil fixierte Faramir den schlafenden Legolas, so dass er während des Rückrittes nicht herabstürzen konnte. Einige Augenblicke später preschten die Pferde über das satte Grün der Wiesen.

Während des Heimrittes war Faramirs Kopf voll der Schadenfreude, die auf ihn wartete. Er konnte es nicht mehr erwarten, endlich die Mauern Minas Tiriths zu erblicken. Und nach schier endlosem Ritt näherten sie sich dem großen Stadttor schließlich mehr und mehr. Und als Faramir es passierte, kamen natürlich Fragen der Wachen ob des leblos wirkenden Legolas. Doch hier hatte sich der Mann längst eine passende Antwort bereitgelegt: "Er fühlt sich nicht wohl. Ich selbst werde mich um ihn kümmern. Ein Heilkundiger ist jedoch nicht vonnöten."

Und Faramir passierte Tor um Tor, wobei er allen Wachen dieselbe Antwort auf die sich wiederholende Frage bezüglich Legolas gab.

Endlich gelangte er zur obersten Ebene. Inzwischen hatte die Nacht ihre Schatten über Gondor geschickt und die Wachen hatten sich bis auf einige wenige in ihre Nachtlager zurückgezogen. Faramir ließ die Pferde gleich am Tore halten und stieg ab. Kurz danach zog er Legolas vom Pferd und trug ihn - von den sehr wenigen Wachen unbemerkt - auf der Schulter zu einer dunklen und recht geschützten Stelle an der Mauer des Palastes. Hier wartete er nun, bis die zwei Wachen, welche für diesen Teil der oberen Ebene eingeteilt waren, bei ihrem Rundgang diese Stelle passierten.

Nach einer kleinen Weile war es soweit, und die Wachen schritten an Faramir und dem schlafenden Legolas vorüber, ohne dass diese bemerkt wurden. Und als die Soldaten aus Faramirs Blickfeld entschwunden waren, ließ er den Elb langsam auf den Boden heinabgleiten. Nun erst bemerkte Faramir seine Aufregung, denn er presste seine Handflächen fest zusammen und sein Herz klopfte schneller. Nun war der Moment gekommen - endlich. So nah vor seinem Triumph, dass er seine Freude hierüber herausschreien wollte. Doch er musste endlich handeln. Die Wachen passierten diese Stelle dreimal in jeder Nacht. Und er musste fertig sein, wenn sie wiederkehrten.

Langsam beugte er sich zu Legolas herab und löste das Band der elbischen Beinkleider. Sachte zog er an dem aus zartem Stoffe gearbeiteten Wams und anschließend an dem Hemd. Er zögerte, denn er befürchtete, dass er Elb vielleicht erwachen könnte. Faramir flüsterte ein Stoßgebet, dass die Wirkung des Pulvers noch die ganze Nacht durch anhalten möge, und dann fuhr er mit der Entkleidung des Elben fort. Langsam, leise, immer darauf bedacht, keine unnötig schnelle Bewegung zu machen.

Und da geschah es: Legolas murmelte etwas und bewegte seine Beine. Faramir erstarrte. Er verharrte in seiner gebeugten Körperhaltung, in der linken Hand die Beinkleider und in der rechten Wams und Hemd. Er spürte seinen Herzschlag bis in den Kopf hinein und der Mensch getraute sich nicht einmal mehr zu atmen. Die Augen weit aufgerissen und innerlich Flüche ausstoßend beobachtete er sorgsam die Augen des Elben. So sie sich nicht öffneten, war alles in Ordnung. Alles in Ordnung... alles... in Ordnung...

Legolas drehte sich auf die Seite und nach einigen Augenblicken vernahm Faramir wieder das tiefe und gleichmäßige Atmen. Erleichtert ließ er seine Arme herabsinken, während er gleichzeitig seine Augen schloss, seinen Kopf in den Nacken warf und sich selbst gegen die Mauer fallen ließ. Das wäre ein schönes Ende seines Planes gewesen, wenn dieser Elb erwacht wäre. Und Faramir würde nun noch umsichtiger vorgehen. Doch es hielt es auch für besser, dem schlafenden Elben noch ein paar weitere Schluck von dem Weine zu geben. So schlich er sich zu seinem Pferd und holte den Beutel mit dem schmackhaften Traubensaft. Er bat inständig, dass Legolas noch immer so daliegen würde wie vor wenigen Augenblicken. Er durfte nicht erwachen - noch nicht. Und so schlich Faramir wiederum unbemerkt zurück zu dem Elb und hob sachte dessen Kopf ein wenig an. Er hatte den kleinen Rest des Pulvers in die Flasche geschüttet und nun flößte er Legolas vorsichtig den Wein in den Mund. Und im Schlafe schluckte der Elb den süßen Saft.

Als der Wein geleert war, blickte sich Faramir noch einmal um; alles war ruhig. Keine Wache war in der Nähe. Seit das Böse vor einem Jahr besiegt wurde, waren keine Wachen in großer Anzahl mehr vonnöten. Dies kam Faramir nun mehr als zugute. Und so umfasste er den vollkommen entkleideten Legolas und schleppte ihn zum Weißen Baum. Diese Stelle wurde von der Wache nicht passiert, so dass der Statthalter nun in Ruhe die letzten Schritte seines Planes durchführen konnte.

Er zog sein Seil hervor, drückte den Elb aufrecht gegen den Baumstamm und schnürte das Seil um den Stamm und den elbischen Körper. Es fiel Faramir nicht schwer, denn der Elb schien auch im Schlafe sein Gleichgewicht nicht zu verlieren, so dass der Statthalter nicht sonderlich darauf achten musste, dass Legolas ihm nicht entgleitet.

Nach kurzer Zeit stand Faramir mit verschränkten Armen einige Schritt weit vor dem Baume und begutachtete sein Werk. Hämisch grinsend malte er sich aus, wie Legolas erwachen und sich in dieser Lage vorfinden würde. Und er würde nicht sogleich befreit werden von dem nächstbesten Passanten, dafür wollte Faramir sogleich sorgen. Er machte sich auf, einen Soldaten heranzuholen, welcher den elbischen Gast bewachen sollte. Und alsbald kehrte der Statthalter mit einer Wache zurück und wies diese an:

"So höre, weder Du noch irgend jemand anderes darf den Elbenprinzen bis zur Mittagsstunde befreien. Denn dieses für uns Menschen befremdlich anmutende Ritual ist der Elben Art, einmal im Jahr Buße zu tun oder derlei ähnliches. Der Prinz hat es mir nicht genauer erläutert. Lediglich vor Sonnenaufgang muss er an einen Baum gebunden und darf nicht vor der Mittagszeit wieder befreit werden. Und ganz gleich, mit welchen Mitteln er versuchen wird, jemanden zu überreden ihn zu befreien, Du darfst nicht darauf hören, denn dies ist Teil des Rituals, wie mir der ehrenwerte Legolas erklärte. Gegenwärtig scheint es, als würde er schlafen, doch hat er sich vor kurzer Zeit in diesen Zustand versetzt, um zu meditieren. In dieser Zeit hört er nichts und sieht er nichts, was hier um ihn herum geschieht. Und nun sage ich es noch einmal: Ganz gleich, was er sagt, Du darfst ihn nicht befreien, bevor die Mittagsstunde gekommen ist. So waren seine Worte und es ist selbstverständlich, dass diesen Worten die notwendige Achtung entgegengebracht wird. Geht jemand fehl und missachtet meine Worte, so wird er streng bestraft! Und nun bezieh Deine Stellung einige Schritt vor dem Baume und stell Dich mit dem Rücken zu unserem Gast. Ich werde zur Mittagsstunde wieder hier sein."

Damit wandte sich Faramir ab und nahm den Weg auf in Richtung Palast. Auf dem Wege in sein Gemach hielt er in einem Arkadengange inne und schaute auf den großen Platz. Die Wache hatte wie befohlen vor dem noch schlafenden und gebundenen Elben Stellung bezogen. Der Statthalter lächelte düster. Er würde sich nun ein paar Stunden Schlaf gönnen, um dann in aller Frühe eine geeignete Stelle auszuwählen, von wo aus er regelmäßig auf das geplante Geschehen blicken könnte. Und er würde sich an den Versuchen Legolas´, sich aus seiner Fesselung zu befreien, laben und dann zur Mittagszeit erhobenen Hauptes zu ihm gehen, um ihn nicht länger im Ungewissen zu lassen, was der Zweck dieser Zurschaustellung war.

Faramir nahm den Weg zu seinem Gemach wieder auf. Nun dachte er darüber nach, wie er es anstellen konnte, dass keine Kunde von dieser Tat zu Aragorns Ohren kommen würde. Er musste versuchen, Legolas zum Schweigen zu veranlassen. Doch das dürfte nicht gar zu schwierig werden. Faramir kam eine Idee. War er doch bei Hofe als zurückhaltender Mann und treuer Gatte bekannt, und wenn der Elbenprinz Meldung machen würde bei dem König, so würde Faramir seinerseits vor seinen Herrn treten und von dem Ausritt berichten und dass Legolas stets versuchte, des Menschen habhaft zu werden. Aragorn dürfte wissen, das Legolas keine oder nicht nur Frauen als Partner um sich hat. Ja, so müsste es klappen. Faramir würde also den Elb zur Mittagsstunde diese Drohung offenbaren und es müsste mit dem Bösen zugehen, wenn Legolas darauf nicht einginge. Sollte sich dieser jedoch über Faramirs Plan hinwegsetzen und dennoch zu Aragorn gehen und der König dem Elb auch noch Glauben schenken, so würde es für Faramir bedeuten, dass er seines Amtes enthoben und aus Minas Tirith verbannt werden könnte. Doch in diesen Momenten schob er diese Befürchtungen weit von sich. Für ihn zählte allein die sich ihm bietende Möglichkeit, diese einmalige Möglichkeit, endlich einen Schuldigen zu bestrafen.

Früh am Morgen erwachte Faramir. Die Nacht war vertrieben und der Morgenhimmel schimmerte leicht wolkenverhangen über dem Land. Schnell erfrischte sich Faramir und kleidete sich an. Danach ging er durch die Flure uns suchte nach einem geeigneten Platz, von wo aus er möglichst unauffällig zum Baume hinunterblicken konnte. Nach einigem Suchen hatte er ihn gefunden. Sein Herz klopfte schnell vor Aufregung, und als er den Baum erblickte, war er zunächst beruhigt, dass es so verlief, wie er es geplant hatte. Der Elb war noch an den Baum gebunden und die Wache stand regungslos davor, den Rücken dem Prinzen zugewandt. Und der Soldat reagierte nicht auf die fortlaufenden Befehle des Gefesselten. Auch haben sich inzwischen in größerem Abstand kleine Menschentrauben gebildet, die teils belustigt, teils empört das Geschehen verfolgten. Einige gingen schnellen Schrittes auf die Wache zu und wollten sie dazu bewegen, den Nackten zu befreien, doch dann folgte wohl eine kurze Erklärung seitens des Soldaten und die Empörten beruhigten sich, blickten noch einmal zu dem Elb hinüber und gingen dann kopfschüttelnd ihres Weges.

Faramir konnte seine Freude kaum unterdrücken. Dass sein Plan so gut funktionierte, hatte er zwar inständig gehofft, doch in seinem Innern wurden immer wieder Zweifel wach, ob er nichts vergessen hatte oder ob ihm nicht doch noch der Zufall in die Quere kommen würde. Doch wie es bisher aussah, konnte es nicht besser laufen.

"Binde mich sofort los, Soldat!" Doch das dauernde Rufen schien die Ohren des Wachtpostens nicht zu interessieren. Legolas zerrte an seinen Fesseln, doch half es ihm nicht. "Ich verlange, dass man auf der Stelle den Statthalter ruft!"

Der Elbenprinz war während der Morgendämmerung aus seinem tiefen Schlafe erwacht und glaubte zunächst an einen schlechten Traum, in dem er sich wiederfand. Doch schnell wurde ihm klar, dass es die Wirklichkeit war. Verwirrung machte sich in ihm breit und er konnte keine Erklärung finden für seine Situation. Dann kam ihm der Ausritt des Vortages in den Sinn und das letzte, an das er sich erinnerte, war der Wein, den er mit Faramir trank. Und ihm kam wieder in den Sinn, dass plötzlich vor seinen Augen alles verschwamm und er von einem großen Schwindelgefühl gepackt wurde. Und nun stand er hier an den Weißen Baum gefesselt. Doch was war geschehen? Aus welchem Grunde wurde er hier auf diese abscheuliche Weise zur Schau gestellt? Legolas war natürlich klar, dass Faramir damit zu tun haben müsste, doch fand er keine Erklärung, weshalb der Statthalter dies tun sollte. Und als die ersten Bewohner Minas Tiriths aus der erwachenden Stadt den großen Platz kreuzten, wurde sich Legolas seiner Nacktheit bewusst. Und er spürte die Blicke auf sich kleben wie zähes Pech. Und obwohl es sich um Gelehrte und Ratsherren handelte, welche um diese Zeit auf dem Wege in die Bibliotheken und den Palast waren, so konnten sie ihre Belustigung ebensowenig zurückhalten wie die Handwerker und Bauern, die - aus welchen Gründen auch immer - ihr Weg hierher führte. Doch waren einige Menschen darunter, die empört auf den Wachtposten zugingen und lautstark die "Befreiung des der Lächerlichkeit preisgegebenen Elbenprinzen" forderten. Doch nach kurzem Wortgeplänkel mit dem Soldaten schienen die Leute in seltsamer Weise zwar ungläubig, aber dennoch beruhigt zu sein, dass sie sich wieder abwandten und ihren Weg wieder aufnahmen.

Und Legolas konnte sich keinen Reim darauf machen. Er blickte jedem Einzelnen, der ihn mit seinem Blicke bedachte, fest in die Augen und rief die Leute an, ihn zu befreien. Es war für den stolzen Elben eine große Schmach, dahergelaufene Menschen um Hilfe bitten zu müssen, doch wusste er sich nicht anders zu helfen. Und seine Wut stieg stetig, denn niemand eilte ihm zu Hilfe.

Die Zeit verstrich. Faramir ging seinen Aufgaben nach, wobei er es tunlichst vermied, den großen Platz zu betreten. Ab und zu begab er sich zu seinem heimlichen Aussichtsposten und beobachtete Legolas. Mittlerweile huschten mehr Menschen auf dem Platze hin und her, als es sonst in einer ganzen Woche üblich war. Es hatte sich inzwischen in ganz Minas Tirith herumgesprochen, dass im obersten Ring der Stadt der Elbenprinz sich zur Meditation an den Weißen Baum hat binden lassen. Und dieser, seiner aussichtslosen Lage ausgeliefert, durchlebte die demütigensten Stunden seines bisherigen langen Lebens. Immer und immer wieder versuchte er, einen Sinn für diese Tat zu finden. Hatte er etwas übersehen? War er doch zu weit gegangen? Wurde er ohnmächtig vom Weine oder waren ihm nur derart die Sinne getrübt von dem köstlichen Trank, dass er Faramir irgendetwas angetan hatte, von dem er nun nichts mehr weiß, weil er den Wein nicht vertrug? Er dachte jede erdenkliche Möglichkeit durch, doch alle Ideen verliefen im Sande und ergaben keinen Sinn. Und die Blicke der Schaulustigen schienen ihn förmlich zu verschlingen. Er nahm seine geistige Kraft zusammen, erhob stolz sein Haupt und schloss die Augen, so dass er den Menschen wahrhaftig die Illusion bot, er würde tatsächlich meditieren. Und als er seine Augen schloss und die vielen Leute nicht mehr sehen musste, ging es ihm etwas besser. Jedoch verschärfte sich dadurch sein Gehör und er hörte das Gemurmel und Getuschel, welches von überall um ihn herum an seine Ohren drang. Ewig würde er nicht an den Baum gefesselt sein, und die Hoffnung an seine baldige Freilassung hielt ihn aufrecht. Und er würde von Faramir Genugtuung fordern für diese Schmach und dafür sorgen, dass der Statthalter vor aller Leute Ohren für diese Pein angeklagt würde.

So gingen die Stunden voran und die Sonne wanderte zwischen den Wolken höher und höher.

Schließlich war die Mittagszeit erreicht. Faramir hatte wieder seinen heimlichen Beobachtungsposten bezogen und rieb aufgeregt seine Hände. Nun würde er gleich den Befehl geben, Legolas loszubinden. Und langsam machte er sich auf den Weg zum Baum. Unterwegs rief er einige Wachen herbei, welche das Volk auseinandertreiben und an ihre Arbeit zurückschicken sollten. Er wollte vermeiden, dass jemand das Gespräch zwischen ihm und dem Prinzen belauschen könnte. So schritten die Wachen also in die Menge und der Pulk der Neugierigen löste sich alsbald langsam auf. Und Faramir ging auf den Elben zu und mit jedem Schritt, welcher ihn dem Gefesselten näherbrachte, stieg die Aufregung in ihm. Hoffentlich würde auch der Rest des Planes so reibungslos verlaufen.

Legolas vernahm langsame, aber feste Schritte hinter sich, und ahnte, dass Faramir sich näherte. Doch er drehte weder sein Haupt, noch öffnete er die Augen. Doch als die Schritte neben ihm erklangen, schlug er seine Lider auf und starrte geradeaus in die Ferne. Faramir sollte nicht annehmen, dass der Elb seinen Stolz eingebüßt hatte. Doch fiel es ihm schwer, seine Schmach in seinem Innern versteckt zu halten.

Faramir schritt um Legolas herum und blieb dicht vor ihm stehen. Er sah ihm festen Blickes in die Augen.

"So, Legolas. Habt Ihr inzwischen einmal über meine Worte nachgedacht, die ich Euch sagte am Tage Eurer Ankunft, als Ihr auf dem Wege in Euer Gemach gewesen seid?"

Legolas schluckte. Er dachte kurz nach und langsam kamen ihm die Worte vage in den Sinn zurück. Nun endlich glaubte er zu begreifen.

"Nun, Prinz Legolas, ich habe mir geschworen, dass ich Euch bestrafen würde für Eure Unachtsamkeit, die Ihr Boromir habt angedeihen lassen. Mein Bruder würde heute an meiner statt als des Königs Stellvertreter in Amt und Würden stehen. Doch da Ihr es nicht für nötig gehalten hattet, auf Boromir acht zu geben, musste er sterben. Ihr, der an geistiger Stärke uns Menschen um vieles überlegen seid, habt es sträflich versäumt, Boromir vor dem Banne Saurons ausreichend zu schützen. Ihr hättet wissen müssen, in welcher Gefahr er stets geschwebt hat. Doch als er starb, war er allein. Wo wart Ihr, als er starb, Legolas? Ich frage Euch: wo wart Ihr?"

Die Mimik des Elben verriet, dass ihn die Ansprache Faramirs getroffen hatte. Er wusste nun, dass der Mensch ihn zutiefst hassen musste. Und dass er von den bösen Geistern der Rache besessen war. Andererseits war der Elb jedoch erstaunt, dass die Strafe in der Verhältnismäßigkeit recht milde ausfiel. Aber während der letzten Stunden musste er derart viel seines Stolzes einbüßen, dass er sich in seiner Verzweiflung schwor, nie mehr irgendeinem Menschen unter die Augen zu treten. Er sah in seinem Geiste, wie alle Bewohner Minas Tiriths, die er passierte, sich hinter seinem Rücken das Maul über ihn zerrissen. Und dass diese vielen Menschen ihn in seiner vollen Blöße betrachten konnten, als wäre er ein wildes Tier, erweckte in ihm einen Ekel, wie er ihn bisher nie kennenlernen musste.

"Faramir, das wird Folgen für Euch haben." Legolas bemühte sich um eine feste Stimme, was ihm jedoch nicht zur Gänze gelingen wollte. "Ich werde mit dem König entsprechend zu Rate sitzen, was mit Euch zu geschehen hat. Glaubt mir, so sehr es mir um Euren Bruder leidtut, so wenig habt Ihr jedoch das Recht, mich für seinen Tod verantwortlich zu machen. Ihr wisst, dass wir ihm zu Hilfe eilten, so schnell es uns möglich war..."

"Schweigt, Legolas. Ich habe meine eigene Sicht der Dinge und Ihr werdet mich nicht davon abbringen. Und ich glaube nicht, dass Ihr Aragorn berichten werdet, dass ich Euch betäubt und an diesen Baum gebunden habe, denn dann werde ich Meldung machen, dass Ihr mich auf dem Ausritt entgegen meines ausdrücklichen Willens in eindeutiger Weise belästigt habt und mir beinahe mit Gewalt beigekommen wärt, hätte ich Euch nicht mit dem Weine betäubt. Dass ich Euch im normalen Kampfe unterlegen wäre, liegt auf der Hand, und dass ich das Schlafpulver aus Vorsicht mitnahm, weil Ihr auch vorher bereits eindeutige Annäherungen versuchtet, klingt nicht weit hergeholt. Und dass ich Eure Einladung zu dem Ausritt annahm, liegt daran, dass ich mich als Statthalter um das Wohl der Gäste zu kümmern und ihnen zunächst das volle Vertrauen zu schenken habe, denn das gebietet allein die Höflichkeit an diesem Hofe. Nun könnt Ihr Euch überlegen, was Ihr tut. Doch ich denke, dass Ihr Euch richtig entscheidet und hierüber Schweigen bewahrt. Ich werde nichts weiter gegen Euch unternehmen, so Ihr Euren Mund haltet, denn ich habe meine Genugtuung, indem Ihr nun für den Rest Eures Lebens mit der Erinnerung an diese schmachvollen Stunden gestraft seid. Denn ich wollte Euren Stolz, und den habt Ihr nun eingebüßt. Wenn auch nicht zur Gänze, so jedoch zum Teil, und das genügt mir. - Wache, bindet ihn nun los!!! - Mein Prinz, es steht Euch nun frei, Minas Tirith zu verlassen oder die Rückkehr des Herrscherpaares abzuwarten."

Faramir verbeugte sich höflich, blickte dem Elb noch einmal ins Antlitz und ging zurück in den Palast.

Mit dem Lächeln eines Siegers ging er schnellen Schrittes in seine Arbeitsräume. Eine große Last war ihm nun vom Herzen gefallen. Dass dieser unausgereifte Plan so gut geklappt hatte, konnte Faramir noch gar nicht recht glauben, doch das Glück war auf seiner Seite.

Und irgendwann würde die Stunde kommen, da sich das Glück wiederum auf seine Seite schlüge und er auch Aragorn und Gimli habhaft werden könnte. Wann diese Zeit kam, konnte niemand wissen, doch wenn sie käme, wäre Faramir bereit und er würde wissen, was zu tun sei.

Legolas verabschiedete sich noch am selben Nachmittag von Minas Tirith. Er konnte es nicht mehr ertragen, sich zwischen den Menschen zu bewegen, die ihn mit Hohn und Spott in ihren Blicken bedachten. Und er wollte vergessen. Aus diesem Grunde hatte er nicht vor, Aragorn Bericht zu erstatten. Doch es würde sich irgendwann eine Möglichkeit bieten, diese schmachvolle Tat zu ahnden.

Faramir ging wie gewohnt seinen Aufgaben nach, Legolas befand sich auf dem Ritt nach Rohan in die angenehme Gesellschaft seines zwergischen Freundes, und Aragorn und Arwen verlebten noch einige schöne Tage in Bruchtal. Der Alltag war wieder eingekehrt in Minas Tirith, und als das Herrscherpaar zurückkehrte, hatten die Menschen den merkwürdigen Vorfall mit dem meditierenden Elb schon vergessen.

Und als der König seinen Statthalter begrüßte, blitzte in Faramirs Augen ein schelmischer Funke...


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