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Titel:
Die fernen Hallen Autor: Boromirs Bride
Das große Tor in seinem prächtigen
güldenen Schimmer tat sich auf, um dem Einlass zu gewähren, dessen Leib noch
kürzlich von Pfeilen durchbohrt. Nun stand er aufrecht und stolz, bereit,
einzutreten in die mächtige Halle.
Sie wurde getragen von mächtigen
marmornen Säulen, reich an edlen Verzierungen, wie man sie an keinem anderen Ort
zu finden vermag. Die hohen Säulen schienen unendlich in die Höhe zu ragen, bis
sie schließlich hoch droben das zu stützende Gewölbe erreichten, welches in
wärmstem sonnigen Licht erstrahlte. Der Boden war teils bedeckt mit kostbarsten
schweren Teppichen, feinste Weberei wie von Engelshand. Zur Linken gaben die
breiten Lücken zwischen den Säulen den Blick frei zu dahinschwebenden
Wolkengebilden. Die Grenze dorthin bildete eine etwa kniehohe Brüstung aus
schwarzem Holz in kunstvoll geschwungenen Wölbungen, welche sich einige Schritte
hinter den Säulen sehr weit der Halle entlang erstreckte. Zur Rechten erhob sich
einige Schritte hinter den Säulen eine Wand mit unzähligen Gemälden. Ein jedes
gab die Sekunde des Todes eines großen Helden wieder, wie tapfer er kämpfte und
wie er gefallen war. Doch hier und da stachen weiße Flächen hervor, von denen
eine ungefähr in der Mitte des großen Saales jedoch bereits bemalt wurde. Ein
alter Mann stand davor und ergänzte die Sammlung um ein weiteres Kunstwerk.
Ein leichter Wind zog durch den Saal, dessen Ende nicht abzusehen war.
Der stolze Mann, der soeben die Halle betreten hatte, setzte ehrfürchtig
einen Fuß vor den anderen und bestaunte die Pracht, die sich ihm bot. So etwas
hatte er nocht nie zuvor gesehen. Er blickte empor zu dem hohen Gewölbe, von
welchem ihm fremde menschenähnliche Wesen freundlich zuzulächeln schienen. Doch
waren es ebenso nur Gemälde, die allerdings so lebendig wirkten, als würden sie
im nächsten Augenblick herabschweben. Die Gewänder schienen sich leicht in dem
Windzug zu bewegen, doch war es eine gelungene Täuschung, hervorgerufen durch
das Zusammenspiel von Licht und Schatten und der Vielzahl an einzigartigen
Farben, mit denen der Künstler sie einst gemalt.
"Seid willkommen,
Boromir von Gondor." Eine tiefe und warme Stimme sprach diese Worte. Boromir
wurde aus seinen Gedanken gerissen und blickte in die Richtung, aus welcher die
Stimme gekommen war. Der alte Mann, gekleidet in ein dunkelblaues Gewand
kostbarsten Stoffes, lächelte weise. "So tretet nur näher. Kommt zu mir und
urteilt über mein neuestes Werk."
Die Schritte Boromirs hallten sanft in
der Weite der Halle wider, als er sich dem Alten näherte. Dieser hielt dem
Menschen seinen Arm nun ausgestreckt entgegen, um ihm kurz darauf die Hand auf
die Schulter zu legen, als wollte er ihn beschützen.
"Sieh her. Habe ich
es richtig gemacht?" Der Künstler lächelte und blickte tief in Boromirs Augen,
in seine Seele. Boromir stand vor dem Bild, welches ihn zeigte in der Sekunde,
als ihn der Tod ereilte; zusammengesunken an einen Baum gelehnt, durchbohrt von
einer Vielzahl an schwarzen Pfeilen.
"Ihr habt tapfer gekämpft, Boromir
von Gondor."
Boromir wandte seinen Blick dem alten Manne zu, der sehr,
sehr alt sein musste. Tiefe Falten bahnten sich ihren Weg durch das Gesicht, in
welchem sich alle Weisheit der Welt spiegelte. "Ich denke, ich habe es richtig
gemacht, nicht wahr?" Noch immer lag das Lächeln auf seinen Lippen und noch
immer hielt er seinen Blick fest auf Boromir gerichtet. "Bitte verzeiht, ich
habe mich Euch noch nicht vorgestellt. Für die Menschen ist mein Name Reoddyn.
Zwar trage ich nur einen Namen, doch in vielfacher Aussprache. So heiße ich für
die Zwerge Gloisin und für die Halblinge bin ich Friam Worrywort. Doch störe
dich nicht daran. Ein Name ist nur ein Name."
Mit diesen Worten beugte
er sich hinunter, nahm seine Farben und Pinsel auf, lächelte Boromir noch einmal
freundlich zu und wandte sich ab. Langsamen Schrittes ging er von dannen.
Wortlos blickte ihm Boromir nach, bis Reoddyn schließlich um eine Ecke bog und
verschwunden war. Nun war es still. Nur ein ferner Gesang drang an Boromirs Ohr.
Boromir verspürte eine Ruhe, wie er sie nicht kannte. Er war glücklich,
hier zu sein. Doch es kam ihm vor, als wäre er nicht eben erst angekommen,
sondern schon vor langer Zeit. Doch geschah es gerade erst vor ein paar
Augenblicken, dass er starb. Als nächstes erinnerte er sich an ein Grummeln, das
über seinem Kopf entbrannte. Er sah nach oben und ein Wirbel über ihm öffnete
sein Zentrum.
Gleißendes Licht fiel auf den Mann aus Gondor herab.
Geblendet hielt er eine Hand vor seine Augen. Eine Stimme, nicht männlich und
nicht weiblich, die von überall zu kommen schien, sprach zu ihm:
"Boromir, tapferer Krieger aus Gondor, Sohn von Denethor, du hast deine
Pflicht erfüllt. Du hast dem Bösen standgehalten, so gut du es vermochtest.
Mehr lag nicht in deiner Macht. Du hast unzählige Leben gerettet und dein
Name wird niemals vergessen werden. Sorge dich nicht. Der Ring wird seinem
Schicksal zugeführt werden und das Böse wird aus Mordor verschwinden. Du,
Boromir, Sohn von Gondor, hast mit deinem Mut und deiner Kraft dazu beigetragen,
dass Minas Tirith nicht gefallen ist. Und sei beruhigt. Minas Tirith wird nicht
fallen."
Während die Stimme sprach, nahm Boromir seine Hand von den
Augen und empfand das Licht als weich und wohltuend. Er fühlte sich leicht, von
aller Last befreit. Das Licht kam auf ihn zu und hüllte ihn ein. Er fühlte
Wärme, Geborgenheit, Freiheit.
Die Stimme sprach weiter: "Boromir,
Sohn von Gondor, du wirst aufgenommen im Kreis der Tapferen, die schon Zeiten
vor dir diesen Weg beschritten haben. Du sollst für alle Zeit in den Hallen des
Ruhmes weilen, auf dem dir angestammten Platz neben deinen Vorfahren. Wohlan,
sie erwarten dich, Boromir, Sohn von Denethor, tapferer Krieger und Kämpfer,
wohlan......"
Und Boromir wurde emporgehoben und schwebte durch das
Licht, bis er bald darauf die andere Seite erreichte. Der Wirbel schloss
sich und es wurde still.
Im Banne der Pracht wagte er sich zunächst
nicht zu bewegen.
Er flüsterte: "Wie ist es hier seltsam vertraut - als
wäre ich immer hier gewesen und niemals an einem anderen Ort. Ist das das
Jenseits? Soll dies mein neues Zuhause für die Ewigkeit sein? Doch wo sind all
die anderen? So werde ich ersteinmal herauszufinden versuchen, wessen Kehle der
wunderbare Gesang entstammt."
Und als er einige Schritte gegangen war,
ertönte über ihm eine Stimme: "Boromir, Sohn von Finduilas und Denethor, Du
wirst nun Rechenschaft ablegen über die Taten, welche Du zu Deinen Lebzeiten
begangen hast. Diese Taten werden aufgewogen werden und darüber entscheiden, ob
Du endgültig Einlass bekommen wirst in die Hallen derer, die stets reinen
Herzens waren und für das Gute kämpften."
Boromir hielt inne ob der
Ehrfurcht einflößenden Stimme, die weder voll des Lobes noch des Hasses war.
"So knie nun nieder in Demut und höre meine Worte."
Dem Krieger
kamen Zweifel und unwillkürlich erinnerte er sich an seine letzte Tat, die kein
Ruhmeslicht auf ihn fallen lassen würde. Er dachte an Frodo und wie er über ihn
herfiel.
"Fürchte Dich nicht, edler Krieger, denn so Deine guten Taten
die schlechten überwiegen, soll Deiner Seele die ewige Ruhe sicher sein."
Und auf seinen Knien hockte Boromir erhobenen Hauptes und mit
geschlossenen Augen da, um das über sich ergehen zu lassen, was er sich in
seinen Lebzeiten verdiente.
"Nun, Boromir von Gondor,
Du warst von Kindesbeinen an ein tapferer Mensch, der
keine Scheu hatte, sich seinen Herausforderungen zu
stellen. Als junger Mann warst Du in Edelmut stets das
Vorbild für Deine Kameraden, so wie es sich für
einen künftigen Herrscher geziemt. Und als Hauptmann
Deiner Streitkräfte hast Du Dich niemals hinter
einem Krieger versteckt, sondern bist immer als erster
geritten, als erster in jede Schlacht. Du hast es verstanden,
Deinem Volk aus in den aussichtslosesten Zeiten ein
kluger Herr zu sein.
Doch dann wurdest Du ini Versuchung geführt.
Mit dem Gedanken an das Wohl Deines Landes begehrtest
Du etwas, was schon lange in den Flammen Mordors hätte
verschwunden sein sollen. Und Du wolltest es haben für
Dein Volk, für Deinen Ruhm. Das wäre sehr
verwerflich, wenn Dich dieses Ding nicht für sich
einzunehmen versuchte. So also waren Deine Sinne nicht
die Deinen, Deine Gedanken waren verwirrt und eingenommen
von dem Bösen. Du warst in Deinen schwachen Momenten
nur vermeintlich Du selbst, doch ich sage Dir: Du wurdest
im Banne des Bösen gefangen gehalten. Und dennoch,
Boromir von Gondor, hast Du Dich - so es Dir möglich
war - mit Hilfe Deiner Gefährten nicht völlig
dem Banne hingegeben. Du hattest treue Freunde in dieser
Zeit, ohne dass Du dies bemerkt hattest. Du hast geglaubt,
man wollte Dir den Einen nicht zuteil werden lassen,
weil sie Dir ihr Vertrauen nicht schenkten, doch das
ist nicht wahr, und Du wusstest darum. Doch Du hast
in Dir den Hass aufkeimen lassen gegen jene, die Dir
das Böse nicht aushändigen wollten. Doch in
den Momenten der Klarheit, hast Du auch ein gewisses
Einsehen gezeigt, doch Du warst oft nahe dran, Dich
willentlich vom Bösen vereinnahmen zu lassen. So
auch kurz vor Deinem Tode, doch hast Du Dich auch hier
noch rechtzeitig besonnen und ein Einsehen gehabt.
Boromir von Gondor, Deine Taten waren edel, Dein
Mut war groß, Deine Tapferkeit war eines Herrschers
würdig. So werden Dir also Deine Schwachen Momente,
welche heraufbeschworen wurden durch das Böse und
denen Du mit der Dir zur Verfügung gestandenen
Kraft mehr oder weniger widerstanden hast, nicht so
hart ausgelegt, wie es normalerweise geschehen müsste.
So sei es also, dass Du aufgenommen wirst in die
Hallen der Tapferen und Edelmütigen. Möge
Deine Seele ewigen Frieden finden."
Boromir atmete tief durch und als er seine Augen
öffnete, erkannte er neben einer entfernteren Säule
eine dunkel gekleidete Gestalt. Überwältigt
von dem Urteil der Stimme, welche von überall gleichzeitig
an seine Ohren drang, und voll der Demut, erhob er sich.
Die Gestalt streckte einen Arm nach Boromir aus.
"Komm zu mir... mein Sohn."
Und Boromir erkannte die Stimme. 'Vater.. Vater!'
Langsam schritt er auf den schwarz Gewandeten zu und
mit jedem weiteren Schritt wurde ihm das Antlitz vertrauter.
Ja, es war Denethor. Wahrhaftig! Auch er war also hier
und wurde aufgenommen.
Je mehr sich Boromir seinem Vater näherte, desto
langsamer wurden jedoch seine Schritte. Zu viele Eindrücke
musste er in der kurzen Zeit verkraften, zu viel war
in dieser kurzen Zeit über ihn hereingebrochen.
Nichts war ihm hier wirklich vertraut, jedoch auch nicht
fremd. Es war ein eigenartiger Schauer, der den Krieger
nun heimsuchte.
Als ob Denethor die Gedanken seines Erstgeborenen
lesen konnte, setzte er sich in Bewegung und schritt
auf Boromir zu, um ihn kurz darauf zu erreichen und
- zuerst zögerlich - zu umarmen. Auch Boromir schlang
seine Arme mit einem ungläubigen Zögern um
die Gestalt, die sein Vater sein sollte. Doch war er
es wirklich? Er war verändert, ruhig, besonnen
und aller Zorn war aus seinem Antlitz gewichen.
"Vater?" Zitternd kam dieses Wort über
Boromirs Lippen.
"Ja, mein Sohn, ich bin es."
Die beiden Männer sahen sich an. Und Denethor
lächelte. Er lächelte wie ein Mann, der seinen
lange verloren geglaubten Sohn wieder bei sich hatte.
"Komm, mein Sohn, bevor Du in die Hallen schreitest,
möchte ich noch einige Schritte allein mit Dir
gehen. Denn wir werden künftig nicht mehr die Gelegenheit
haben wirklich für uns zu sein. Du kannst Dir denken,
dass die Hallen nicht leer sind." Und wieder huschte
ein Lächeln über Denethors Lippen. Boromirs
Herz war voll der Freude, seinen Vater hier wiederzusehen,
und überdies derart verwandelt...
"Sag, Vater, Du bist auch in die Hallen aufgenommen?"
"Ja", lachte Denethor, "ich war genauso
überrascht wie Du es nun bist. Doch auch mir wurde
zugute gehalten, dass ich nicht aus eigenem freien Willen
zu dem Manne wurde, der ich die ganzen letzten Jahre
gewesen bin."
"Wann bist Du..."
"Wann ich gestorben bin? Boromir, ich starb
nach Dir, einige Zeit nach Dir." Und die Augen
Denethors wurden traurig. "Ich wünsche keinem
Vater, seinen eigenen Sohn überleben zu müssen.
Und Dein Tod, mein Sohn, hatte mir den Rest meines letzten
bisschen klaren Verstandes geraubt." Er atmete
tief ein. "Und Dein Bruder..." Boromir erkannte
Tränen auf den Wangen seines Vaters.
"Was ist mit Faramir?" Erschrocken und
böses ahnend blieb Boromir stehen und starrte seinen
Vater an.
"Ach, mein Junge... Es tut mir so leid... Ich
hätte ihn... beinahe... umgebracht... ver... verbrannt...
bei lebendigem Leib... mit mir zusammen"
Entsetzen packte Boromir, als er diese Worte vernahm.
"Vater! Was ist mit Faramir?"
"Es geht ihm gut. Man konnte ihn mir entreißen.
Mithrandir... und... der Halbling... Nur ich war nicht
mehr zu retten in meinem... Wahn..."
"Halbling?" Boromirs Gemüt erhellte
sich. 'So haben sie es geschafft', dachte Boromir erfreut.
"Ja, der Halbling, den Mithrandir nach Minas
Tirith brachte und den ich in meine Dienste aufahm.
- Aber das wirst Du sehr bald alles erfahren, mein Sohn,
denn hier haben Zeit und Raum keine Bedeutung und Du
wirst bald Dinge sehen, die einst waren. Dieses allwissende
Sehen wird Dich ab und zu überkommen. Es überkommt
jeden von uns und wir sehen auch Dinge, die anderen
widerfuhren, die sich hier mit uns in den Hallen befinden."
"Vater, es tut mir leid, was Dir widerfahren
ist."
Und Denethor lächelte und sah seinem Sohn in
die Augen: "Ja, Boromir, mir tut es auch leid."
"Doch sag, weshalb bist Du bereits vor mir in
den Hallen... wenn Du doch..."
"Wie ich bereits sagte, hier hat die Zeit keine
Bedeutung. Hier gibt es kein Morgen und kein Abend,
wie wir es kennen. Alles hier geschieht einfach irgendwann
und irgendwie."
"Denethor!" Die Stimme klang gütig
und milde. "Denethor, wir sehen, Du bereust zutiefst.
Und Dir soll darum gewährt sein, Deinem Zweitgeborenen
ein letztes Mal gegenüberzutreten. Sage ihm, was
Du ihm schon lange sagen wolltest, Dir aber in Deiner
Verblendung niemals möglich war! Schließe
Frieden mit ihm. Und Dein Erstgeborener soll Dich begleiten.
Und nun... geht..."
Plötzlich waren die beiden Männer eingehüllt
in einer große, dichte Nebelwand. Und als sie
sich einige Augenblicke später aufzulösen
begann, erkannten sie zunächst nicht gleich, wo
sie sich nun befanden. Doch sie konnten einen Tisch
erkennen, ein großes Regal voller Bücher,
und... jemanden, der an dem Tische saß, vertieft
in ein Buch. Eine Kerze spendete Licht. Der Nebel war
nun verschwunden und die Männer standen im Schatten
der Nacht in einem Winkel von Faramirs Arbeitszimmer.
Sie wagten sich nich zu bewegen, wollten sie dem Sohn
und Bruder doch keinen Schrecken einjagen.
Faramir laß in einer der vielen Chroniken.
Er kannte sie alle, doch konnte er sich an ihnen nicht
sattlesen. Doch plötzlich ließ in etwas aufmerken.
Ein kalter Hauch erreichte ihn und fröstelnd schaute
er auf. Es war ihm etwas unheimlich, denn um diese Jahreszeit
gab es keinen kalten Wind. Er nahm seine Kerze und wollte
nachsehen, ob die Tür richtig verschlossen war,
als er im Augenwinkel etwas bemerkte, was nicht dorthin
gehörte. Er schwang die Kerze etwas herum und...
stolperte erschrocken zurück.
"Welcher Zauber ermächtigt sich meiner?
Was ist das für eine dunkle Magie?"
Denethor erwiderte sofort: "Nein, mein Sohn,
dies ist kein böser Zauber! Bitte höre mich
an!"
Bleich vor Schreck und am ganzen Leibe bebend stand
Faramir da und konnte die Kerze gerade noch halten.
Er starrte auf die bleichen Gestalten und gab sich selbst
immer wieder den Befehl, endlich aufzuwachen. Doch es
geschah nicht, und Faramir versuchte, dieses Geschehen
als wahrhaftig anzuerkennen.
"Was... Ihr seid doch schon so lange tot...
Wie ist das möglich?"
"Faramir, mein Bruder... Wie lange ist es her,
seit..."
Mit aufgerissenen Augen starrte der junge Statthalter
auf die schemenhafte Gestalt seines Bruders. "Wie
lange es her ist? Es sind fast drei Jahre ins Land gegangen..."
Die Stimme zitterte und Faramirs Herz schlug, wie noch
niemals zuvor in seinem Leben.
"Mein Sohn, bitte, ich habe diese Möglichkeit
bekommen, Dich ein letztes Mal zu sehen, und ich
möchte, dass Du weißt, dass ich Dich immer
geliebt habe. Und ich möchte Dich um Vergebung
bitten für das, was ich Dir angetan habe."
Und Denethor fiel auf die Knie und senkte sein Haupt.
Faramir, der noch immer nicht vollständig begriff,
was geschah, fasste sich dennoch ein wenig. Und als
er Boromir in die Augen sah, erkannte er, dass es wahrhaftig
sein älterer Bruder war, denn diesen Blick
voller brüderlicher Liebe würde kein Zauber
nachzuzeichnen verstehen. Und Faramir sah herab zu seinem
Vater und erwiderte: "Bitte, Vater, bitte knie
nicht vor mir. Ich weiß nun, dass Dein Handeln
einzig gelenkt von Sauron gelenkt wurde und dass Du
keine Schuld daran trägst. Aber bitte, knie nicht
vor mir."
Denethor erhob sein Haupt und ein Lächeln der
Erleichterung und des Dankes breitete sich in seinem
Antlitz aus. "Ich danke Dir, mein Sohn." Mit
diesen Worten erhob er sich und ging einen Schritt auf
Faramir zu. "Wie gern würde ich Dich nun noch
einmal in den Arm nehmen, Faramir, doch wir werden zurückgerufen.
Ich danke Dir, mein Sohn. Ich bin sehr stolz auf Dich."
"Vater!..."
Boromir ergriff das Wort: "Faramir. Bruder.
Uns geht es gut, wo wir nun sind. Und eines fernen Tages
wirst auch Du uns zur Seite sitzen in den fernen Hallen.
Doch bis dahin lebe Dein Leben, wie Du es immer wolltest,
kleiner Bruder. Es ist richtig so. Bewahre uns in Deinem
Herzen, wie auch wir Dich in den unsrigen bewahren.
Und eines Tages sind wir wieder vereint."
Die Schemen verblassten.
"Nein, wartet! Boromir! Vater!"
Doch die Erscheinungen lösten sich auf und waren
einen Augenblick später verschwunden.
Und Faramir stand noch lange da und starrte auf die
Stelle, wo sein Vater und sein Bruder ihm zum letzten
Mal erschienen sind.
Ende
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