Titel: Vergehen
Autor: dark bat


Es wurde seit Tagen nicht mehr richtig hell.
Oder schien es ihr nur so?

Arwen wußte, daß es einmal soweit ist, hatte diesen Tag gefürchtet. Aber es war unausweichlich. Sie hatte sich vor langer, langer Zeit dafür entschieden. Und mußte jetzt mit dem Unausweichlichen leben.

Damals, in jenen Tagen, war ihr das als das einzig Richtige erschienen. Sie hatte ihr ganzes vorheriges Leben einfach so verlassen, hatte sich gegen den Willen ihres Vaters gestellt, nur um ihren geliebten Mann zu bekommen.

Bereute sie es jetzt? Eigentlich nicht. Sie hatten so viele wundervolle Dinge zusammen erlebt. Nichts davon wollte sie missen.

Was würde jetzt mit ihr geschehen?

Sie erinnerte sich an eine lang vergangene, unbeschwerte Zeit

Als Estel nach Imladris kam, war sie ihm nur eine große Schwester gewesen, hatte ihn vor den oft rauhen Spielen und Streichen ihrer Brüder beschützt. Hatte seine kleinen Verletzungen geheilt. Und wenn ihr Vater wieder einmal zu streng zu dem Kleinen gewesen war, hatte sie ihn mit aus der Küche entwendeten Süßigkeiten getröstet. Er war ja nur ein kleiner Junge, verängstigt, allein gelassen in einer fremden Welt.

Estel entwickelte sich schnell, viel schneller als Elben. Es erschreckte und faszinierte sie gleichzeitig. Arwen half ihrem kleinen Pflegebruder in dieser Zeit sehr.

Doch dann kam der Tag, an dem er fortging. Er wollte wissen, wie die Welt außerhalb der ruhigen, geschützten Zuflucht aussah. Wollte wissen, was es zu entdecken gab, wollte Abenteuer bestehen. Sie ließen ihn ziehen.

Und Arwen fuhr mit ihrem stillen Leben fort, daß ihr nach dem Weggang des jungen Mannes noch gleichförmiger erschien als vor seiner Ankunft. Sie spürte, daß ihr etwas fehlte, aber was genau, konnte sie nicht recht benennen.

Manchmal hörten sie noch von den Taten des Menschen, der für kurze Zeit ihr Heim geteilt hatte. Aber dies waren die Taten eines Fremden, eines Kämpfers, eines erwachsenen Mannes.
Das Bild, das die Botschaften zeichneten, hatte nichts mehr mit dem kleinen Jungen gemein, der weinend und mit einem aufgeschürften Knie zu Arwen gelaufen war.

Dann kam dieser Augenblick, als sie sich wieder trafen. Arwen sah erstaunt, daß aus dem kleinen Jungen wirklich ein Mann geworden war. Stark, rauh, hart, dennoch im Innern verletzlich. Diese Verletzlichkeit zeigte er jedoch nur ihr.

Und diese Seite war es, in die sie sich verliebte.

Arwen fühlte, was sie noch nie zuvor in ihrem langen, aber wohlbehüteten und gleichförmig ablaufende Leben gespürt hatte.

Liebe, Verlangen, Auflehnung gegen die Stille und Beständigkeit.

Was hatte sie sich nur dabei gedacht zu jener Zeit? Wovon hatte sie sich nur leiten lassen, als sie alle Warnungen ihres Vaters ausschlug und sich bedingungslos diesen Mann, diesem Menschen, verschrieb?

Es war die pure Freude, damals, als sie ihn endlich ihr eigen nennen konnte. Alles war im Moment des Umarmens vergessen, die Angst um ihn, die Sorge, ihr Vater würde sie doch nicht gehen lassen.
Aber als sie den Blick in Adas Augen sah, diesen verlorenen, unendlich traurigen Blick, wußte sie, sie hatte gewonnen.

Nur um welchen Preis?

Den, den sie jetzt zahlten würde.

Ihr Mann, ihr Freund, ihr Geliebter, war gegangen. War aus ihrer kleinen Welt verschwunden. Arwen spürte ihn nicht mehr.

Wohin sie selbst gehen würde, wußte sie nicht.

Was sie jedoch wußte, war, daß sie ihm nicht folgen konnte, Sie würde nirgendwohin mehr gehen.
Arwen hatte nach der angemessenen Zeit alle weggeschickt. Niemand konnte ihr helfen, sie trösten, sie halten. Sie würde gehen.

Zuerst mußte sie jedoch diese steinerne Stadt verlassen.

Sie ging, immer weiter, allein. Aber wo war der Wald, an den sich ein Teil ihres Selbst sich erinnerte?
Sie lief unter kahlen grauen Bäumen, zu ihren Füßen raschelte das bleiche tote Laub.

Arwen ließ sich zu Boden sinken.

Ausatmen.

Vergehen.

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