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Titel:
Der Weg nach Bruchtal Autor: FaramirsWife
1
- Merk dir diesen Tag, kleiner Bruder!
Boromir hatte ein ziemlich ungutes Gefühl, als
er an diesem kühlen Morgen auf sein Pferd stieg.
Direkt von Osgiliath aus sollte es los nach Bruchtal
gehen. Es war der Wille seines Vaters gewesen - der
Wille des Truchsessen von Gondor.
„Schicke mich an seiner statt!“, hatte Faramir gesagt,
als er merkte, dass Boromir nicht wollte.
Doch Denethor war daraufhin furchtbar zornig geworden:
er hatte seine Wut zum ersten Mal nicht nur an
Faramir, sondern auch an seinen Lieblingssohn Boromir
ausgelassen.
Boromir hatte sich schließlich dem Willen seines
Vaters beugen müssen, obwohl er ganz und gar nicht
damit einverstanden war. Die Reise nach Bruchtal würde
viele Wochen dauern: wertvolle Zeit, die vielleicht
unnütz verschwendet wurde, falls dieser geheimnisvolle
Ring doch nicht die mächtige Waffe war, von der
Denethor träumte. Am meisten bedauerte er es, dass
sein jüngerer Bruder nun schutzlos der Verachtung
des Vaters ausgeliefert war.
Seufzend nahm er die Zügel seines Hengstes Elphros
in die Hand. In dem Moment, als er losreiten wollte,
kam Faramir herbeigelaufen.
„Willst du dich nicht von mir verabschieden, Bruder?“,
fragte der junge Mann erschrocken.
„Du weißt doch, dass ich Abschiede hasse, Faramir“,
meinte Boromir mit einem wehmütigen Lächeln.
Faramir ergriff seine Hand und drückte sie an
seine Wange. Beide Brüder kämpften mit den
Tränen. Sie wussten, dass die Reise nach Bruchtal
sehr gefährlich war. Wie leicht konnte Boromir
unterwegs etwas zustoßen. Schließlich ritt
er ganz alleine, ohne jegliche Begleitung.
„Keine Angst, ich reite durch Rohan“, meinte Boromir
beschwichtigend. „Die Rohirrim sind unsere Freunde.
Mir wird schon nichts passieren“.
Faramir sah ihn nur mit seinen großen, blauen
Augen traurig an.
„Merk dir diesen Tag , kleiner Bruder“, sagte
Boromir schließlich bedrückt und seufzte
noch einmal leise.
Dann gab er seinem Pferd die Sporen und lenkte es
von Osgiliath hinaus. Er wusste, dass Faramir ihm nachsah.
Schnell wischte er sich die Tränen fort, die ihm
über die Wangen liefen.
Inzwischen stand die Sonne hoch am Himmel und Boromir
hatte Osgiliath und Minas Tirith weit hinter sich gelassen.
Vor ihm erhob sich bereits der Leuchtfeuerberg Amon
Dîn. Boromir ritt auf der Großen Weststraße
und gelangte bis zum Abend an den Rand des Druadan-Waldes.
Dort lagerte er. Auf jeden Fall würde er in
Bruchtal den Traum deuten lassen, den er und Faramir
gehabt hatten: den Traum von dem geborstenen Schwert,
das am Himmel hing. Dann war die Reise wenigstens nicht
ganz umsonst. Boromir seufzte und stocherte in dem kleinen
Feuer herum, dass er sich gemacht hatte, um sich ein
Stück Dörrfleisch zu braten.
Plötzlich hörte er ein Geräusch im
Gebüsch und er griff sofort nach seinem Schwert.
Er wusste, dass es im Druadan-Wald wilde Menschen gab,
die mitunter recht gefährlich werden konnten.
Erneut raschelte es und Boromir sprang mit gezücktem
Schwert auf die Büsche zu. Zu seinem Erstaunen
kam jetzt ein etwa siebzehnjähriger Junge aus dem
Gebüsch. Er trug Waldläufertracht und einen
Umhang mit Kapuze. Die Kapuze hatte er tief ins Gesicht
gezogen.
„Tut mir nichts, Herr!“, flehte er mit einer ungewöhnlich
hellen Stimme.
Boromir grinste und packte den Jungen unsanft am
Handgelenk.
„Laß dich mal ansehen“, meinte er und zerrte
ihn zum Lagerfeuer.
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2 - Movai
Der Junge setzte sich eingeschüchtert ans Lagerfeuer
und begann gierig auf Boromirs Abendessen zu stieren,
dass gerade über dem Feuer brutzelte.
„Hast du Hunger?“, fragte Boromir vorsichtig.
Der Junge nickte. Boromir warf ihm ein Stück
Brot zu und teilte das gebratene Fleisch mit ihm.
Der Junge aß hastig, als er ob seit Tagen nichts
mehr zwischen die Zähne bekommen hatte. Boromir
beobachtete ihn aufmerksam: die lederne Waldläuferkleidung
war dem Jungen eigentlich viel zu groß. Vielleicht
gehörte sie ihm gar nicht. Das Gesicht des Jungen
war so verschmutzt, so dass man gar nicht richtig
die Züge erkennen konnte.
„Wie heißt du und woher kommst du?“, wollte
Boromir wissen.
„Ich heiße Movai und komme aus Pelargir“, sagte
der Junge mit vollen Backen kauend.
„Na, dann hast du aber einen weiten Weg hinter dir“,
meinte Boromir grinsend.
Irgendwie kam es ihm seltsam vor, dass es in der
großen Hafenstadt in Süd-Gondor auch Waldläufer
gab. Ebenso wunderte er sich über den Namen des
Jungen. So einen seltsamen Namen hatte er noch nie gehört.
„Wo willst du eigentlich hin?“, fragte er misstrauisch
weiter.
„Ich will nach Rohan“, erklärte der Junge mit
leuchtenden Augen.
„Was willst du denn dort?“, wunderte sich Boromir.
„Ich will unter König Théoden dienen
und ein prächtiges Pferd reiten“, fuhr der Junge
fort.
„Warum nicht in Minas Tirith - das liegt viel näher
und schöne Pferde gibt es dort auch“, erklärte
Boromir stolz.
Movai stand plötzlich auf.
„Ich kann nicht in Gondor bleiben - nein, auf keinen
Fall!“, beteuerte er.
Boromir runzelte die Stirn, sagte aber nichts mehr.
Nach einiger Zeit gab er Movai eine Schlafdecke. Er
selbst beschloß, wach zu bleiben. Er traute dem
Jungen irgendwie nicht richtig über dem Weg.
Doch irgendwann war er eingenickt. Der anstrengende
Ritt forderte seinen Tribut.
Im Morgengrauen schreckte Boromir plötzlich
hoch. Er hörte Hufgetrappel und Wiehern. Dann einen
Schrei. Boromirs Blick fiel auf die Stelle, wo Movai
geschlafen hatte. Der Junge war weg. Und nicht nur er:
auch sein Pferd und seine ganzen Sachen fehlten. Fluchend
rannte Boromir in die Richtung, aus der der Schrei kam.
Sein treuer Hengst Elphros hatte den jungen Dieb
abgeworfen.
„Brav, mein Guter!“, lobte Boromir das Pferd und
beruhigte es wieder.
Movai lag benommen am Boden. Seine Kapuze war etwas
zurück gerutscht und schwarze, lange Haare quollen
hervor. Boromir packte den Jungen zornig am Umhang und
schleifte ihn zu einem nahen Weiher. Movai war zu erschrocken,
um Gegenwehr zu leisten.
„Na warte, du kleiner Pferdedieb!“, knurrte der Gondorianer
wütend und tauchte Movai ein paar Mal kräftig
unter.
Movai schnappte verzweifelnd rudernd nach Luft, während
Boromir ihn unter Wasser drückte.
Schließlich schleifte er den völlig durchnässten
Jungen ans Ufer. Erstaunt musterte er den kleinen Pferdedieb.
Das verschmutzte Gesicht war jetzt endlich sauber und
die Kapuze bedeckte nun nicht mehr das Haar. Erstaunlich
lange Haare, wie Boromir fand. Er begann vorsichtig
die durchnässte Ledertracht aufzunesteln. Als er
den Ansatz von weiblichen Rundungen sah, schreckte er
zurück.
„Ist es möglich?“, murmelte er erstaunt.
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3 - Geständnisse
„Ja, es ist möglich!“, zischte Movai wütend
und schob Boromirs Hände von ihrem Lederwams. Sie
rappelte sich hoch und begann die Knöpfe rasch
wieder zu verschließen.
„So so, eine kleine Wildkatze“, spöttelte Boromir
grinsend und stemmte die Hände in die Hüften.
„Und jetzt würde ich gerne erfahren, wer du wirklich
bist, Mädchen“.
„Das geht dich nichts an!“, entgegnete Movai trotzig.
Boromir packte sie am Kragen und schüttelte
sie.
„Ich könnte dich ohne weiteres töten, Kleine:
schließlich wolltest du mein Pferd und meine Sachen
stehlen. Also Schluß jetzt mit dem Spielchen!“
Movai kauerte zitternd am Boden und zog die Beine
an. Sie begann erbärmlich zu frieren.
Boromir bekam ein wenig Mitleid mit ihr. Er holte
schnell eine Decke.
„Pass auf: du ziehst jetzt die nassen Sachen aus
und wickelst dich schnell darin ein“.
„Aber du darfst nicht hergucken“, meinte das Mädchen
verlegen.
Boromir drehte sich lachend um. Heimlich riskierte
er trotzdem einen Blick, denn es konnte ja gut sein,
dass das gerissene Ding wieder einen Trick versuchte.
Doch Movai machte einen ziemlich eingeschüchterten
Eindruck. Ihre Dreistigkeit war wie weggeblasen. Sie
legte ihre nassen Kleider auf einen Felsen, damit sie
dort in der Sonne trockneten. Dann setzte sie sich selbst,
in die Decke gehüllt, an einem sonnigen Platz am
Ufer des Weihers.
Boromir ging jetzt wieder zu ihr hin. Er setzte sich
gegenüber von ihr ins Gras und musterte sie nachdenklich.
Movai war ein sehr hübsches Mädchen. Sie war
höchstens 17 oder 18 Jahre alt.
„Wer bist du wirklich, Kleines?“, fragte er leise.
„Ich stamme tatsächlich aus Pelargir“, begann
Movai stockend zu erzählen. „Ich bin ein Waisenkind
und fiel einem Sklavenhändler aus dem Süden
in die Hände. Der Händler war ein halber Haradhrim
und wollte mich auch in das Land dieser Südmenschen
bringen und dort verkaufen. Ich wurde mit vielen anderen
Waisenkindern auf ein Schiff verfrachtet, das gen Süden
segeln sollte. Doch das Schiff wurde von feindlichen
Korsaren überfallen. Bei dem Überfall gelang
es mir meine Fesseln mit einem Messer zu zerschneiden,
das ich mir von einem toten Sklaventreiber angeln konnte.
Anschließend bin ich während des Kampfgetümmels
vom Schiff gesprungen und konnte mich ans Ufer retten.
Seitdem bin ich auf der Flucht“.
„Und wie kommst du zu dieser gondorianischen Waldläufertracht?“,
fragte Boromir misstrauisch.
„Meine Kleider waren zerrissen und ich fror“, fuhr
Movai fort. „Eines Abends beobachtete ich eine Gruppe
von Waldläufer in Ithilien, die im Anduin ein Bad
nahmen. Ihre Kleider lagen am Ufer. Ich suchte mir eine
Ledertracht aus, die einigermaßen passte und floh
dann. Seitdem bin ich nur noch auf der Flucht. Verstehst
du jetzt, warum ich nicht nach Minas Tirith gehen kann?“
Boromir musste wieder lachen. Dieses Mädchen
war mit allen Wassern gewaschen. Sie war nicht nur klug,
sondern auch geschickt.
„Was soll ich jetzt mit dir machen?“, fragte er kopfschüttelnd.
„Kannst du mir noch einmal verzeihen?“
Movai sah ihn mit ihren großen, grauen
Augen bittend an. Boromir, der im Grunde ein gutes Herz
hatte, konnte ihr nicht länger böse sein.
„Gut, ich nehme dich mit nach Rohan“, seufzte er
schließlich. „Aber Krieger kannst du dort bestimmt
nicht werden“.
Movai sprang jubelnd auf, so dass ihr fast
die Decke vom Leib gerutscht wäre. In letzter Sekunde
zog sie die Decke wieder hoch. Jetzt war Boromir derjenige,
der ein bisschen rot wurde.
„Ich will mich in den Ställen Edoras als Magd
verdingen“, erklärte sie begeistert. „Ich liebe
Pferde“.
„Wie heißt du eigentlich in Wirklichkeit?“,
wollte Boromir noch wissen.
„Willst du das wirklich wissen?“, seufzte das Mädchen
beschämt. „Nun gut, ich heiße Elydrith“.
„Ein seltener, aber schöner Name“ ,bemerkte
der Gondorianer grinsend.
„Und wer bist du?“
„Ich bin Boromir, der Sohn Denethors“, sagte er gelassen.
Elydrith warf sich erschrocken vor ihm nieder.
„Verzeiht mir, mein Herr, dass ich so forsch mit
Euch gesprochen habe. Ich wusste nicht, dass Ihr der
künftige Truchseß von Gondor seid“.
„Nun steh aber auf, Mädchen“, sagte Boromir
etwas genervt. „Du redest mit mir genauso wie vorher,
verstanden? Das ist mir viel angenehmer
als dieses höfische Geplänkel“.
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4 - Ondoher
Als Elydriths Sachen wieder trocken waren, setzten
sie zusammen ihre Reise fort. Sie liefen zu Fuß
auf der Großen Weststraße Richtung Norden.
Boromir führte Elphros am Zügel. Er beschloß,
für Elydrith im nächsten Dorf ein Pferd zu
kaufen, sonst würde seine Reise nach Bruchtal bis
in den Winter hinein dauern.
Asenach war ein etwas größeres Dorf
an der Weststraße. Es gab sogar mehrere Gasthöfe,
wo man gut essen und übernachten konnte. Boromir
ging mit Elydrith in den „Weißen Adler“, um Mittag
zu essen. Er fragte den Wirt, ob es in Asenach einen
Pferdehändler gab.
„Am besten, Ihr geht zu Herrn Andril, dem Bürgermeister“,
riet der Wirt. „Er ist weit und breit bekannt für
sein edles Gestüt“.
„Wahrscheinlich auch teueres Gestüt“, raunte
Elydrith Boromir zu.
„Geld spielt für mich keine Rolle“, meinte der
Gondorianer lässig. „Allerdings zahle ich keine
Wucherpreise“.
Elydrith war so aufgeregt wegen des Pferdes, dass
sie fast nichts hinunterbrachte. Sie würde ein
eigenes Pferd haben! Sie, die noch nie etwas besessen
hatte.
Auf Boromirs Anraten hin war sie auch weiter als
Junge getarnt. Und so betrachte Andril, der beleibte
Bürgermeister erstaunt das seltsame Paar, das sich
seinem Hof näherte. Der große blonde Mann,
dem man die edle Herkunft schon von weitem ansah, und
der schmächtige Junge, dem die lederne Waldläufertracht
am Leibe schlackerte. Der Junge war Andril egal, aber
der große Blonde sah nach viel Geld aus. Andril
hoffte, dass er ein Pferd kaufen würde. Er beschloß
von dem fremden Edelmann das Doppelte des Normalpreises
zu verlangen.
Boromir klopfte an die Tür des Bürgermeisters.
„Zu Diensten, mein Herr“, sagte Andril unterwürfig,
als er die Tür geöffnet hatte.
„Ich brauche ein Pferd für den Jungen hier“,
erklärte Boromir ungeduldig, der es hasste, wenn
jemand so vor ihm herumbuckelte.
„Gut, dann folgt mir, mein Herr“, nuschelte Andril
und führte die Beiden auf die Weide.
Elydrith kletterte sofort auf den Weidenzaun und
sah begeistert den Pferden zu, die dort übermütig
herumgaloppierten. Ihr fiel sofort ein edler, weißer
Hengst ins Auge. Er war größer als die anderen
Pferde und hatte den schönen Kopf stolz erhoben.
„Wie heißt dieser Schimmel?“, fragte Elydrith
atemlos.
Der Bürgermeister sah den Jungen erstaunt an.
„Ich glaube nicht, dass dein Begleiter bereit ist,
soviel Geld für dieses edle Roß auszugeben“.
„Er hat nur nach dem Namen gefragt“, sagte Boromir
barsch zu dem Bürgermeister.
„Es heißt Ondoher“, erwiderte Andril etwas
eingeschnappt. „Wie die alten Könige von Gondor.
Denn dieses Roß ist von wahrhaft königlicher
Herkunft. Es stammt von den Mearas ab“.
„Schön“, meinte Boromir lakonisch.
Elydrith lockte Ondoher herbei, indem sie seinen
Namen rief. Der Schimmel warf seinen Kopf zurück
und wieherte. Dann kam er herangetrabt. Elydrith lachte
und streichelte seinen schönen Kopf.
„Setz dich auf seinen Rücken“, forderte Boromir
das Mädchen auf.
Andril sah Boromir empört an, wagte aber nicht
zu widersprechen. Auf jeden Fall würde er eine
utopische Summe für Ondoher verlangen.
Elydrith war keine geübte Reiterin: sie hatte
kaum Gelegenheit in der Vergangenheit gehabt, auf einen
Pferderücken zu sitzen. Allerdings besaß
sie die natürliche Gabe, mit Pferden gut umgehen
zu können. Dass Boromirs Hengst sie abgeworfen
hatte, war ein unglücklicher Zufall gewesen.
Jetzt sprengte sie lachend auf Ondoher über
die Weide. Das kluge Tier merkte sofort, dass seine
Reiterin ein Herz für Pferde hatte und ließ
sie daher gewähren.
Andril verzog das Gesicht, als wenn er in einen saueren
Apfel gebissen hätte. Dieser dreiste Junge konnte
nicht einmal richtig reiten. Eine Schindmähre wäre
das richtige für ihn.
„Ich habe noch andere Pferde, die nicht so teuer
sind“, erzählte er Boromir eifrig.
„Nein, ich nehme dieses hier“, erklärte Boromir
und nahm seinen prall gefüllten Lederbeutel vom
Gürtel.
„Ondoher kostet 1500 Silberlinge“, sagte Andril breit
grinsend.
„Mehr als 1000 Silberlinge zahle ich nicht“, erwiderte
Boromir finster. „In Minas Tirith kostet ein gutes Pferd
nicht mehr als 700 Silberlinge. Ihr könnt mir nichts
erzählen“.
„Ondoher ist etwas ganz besonderes“, fuhr der fette
Bürgermeister unbeeindruckt fort. „Ich sagte schon,
es stammt von den...“
„Das ist mir egal“, fiel ihm Boromir ungestüm
ins Wort. „Falls Ihr mir dieses Pferd nicht für
1000 Silberlinge - und dann ist aber auch noch Sattel
und Zaumzeug dabei - verkaufen wollt, gehe ich zu einem
anderen Gestüt“.
Er winkte Eleydrith herbei, die sofort von Ondoher
absaß. Sie war enttäuscht, wagte aber Boromir
nicht zu widersprechen.
„Wartet, Herr!“, rief Andril plötzlich verzweifelt.
„Gut, ich bin einverstanden, auch wenn das mein finanzieller
Ruin sein wird“.
Er rief seine Knechte herbei und gab ihnen Anweisungen,
während er gierig auf Boromirs Geldbeutel starrte.
Boromir ging mit ihm ins Haus und legte 10 schimmernde
Goldmünzen auf den Tisch.
„Das dürfte genügen“.
Andril riß erstaunt die Augen auf und betrachtete
die Münzen genau.
„Das Wappen des Truchsessen! Wer seid Ihr, Herr?“
„Ich bin Boromir, Denethors Sohn“, erwiderte dieser
genervt.
Andril verbeugte sich unterwürfig.
„Verzeiht mir meine Dreistigkeit, mein Herr. Aber
die Zeiten sind schlecht und man muß sehen, wo
man bleibt. Hätte ich allerdings gewusst, dass
Ihr....“
„Jetzt schweigt endlich!“, sagte Boromir ungeduldig.
Eine Viertelstunde später verließ er mit
einer überglücklichen Elydrith und dem Schimmel
Ondoher das Gestüt.
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5 - Das brennende Dorf
Sie ritten auf der großen Weststraße
durch Anorien weiter und bald hatten sie den Druadanwald
völlig hinter sich gelassen. Vor ihnen erhoben
sich die Leuchtfeuerberge von Nardol und Erelas.
„Was haben diese Leuchtfeuerberge für eine Bedeutung?“,
wollte Elydrith wissen.
„Seit altersher besteht ein Bündnis zwischen
Rohan und Gondor“, erklärte Boromir geduldig. „Falls
eines der beiden Menschenreiche einmal in höchste
Gefahr geraten sollte, so kann das andere Reich mit
Hilfe der Leuchtfeuer um Hilfe angerufen werden“.
„Was, diese Leuchtfeuerberge reichen bis Edoras?“,
rief Elydrith erstaunt aus.
„Ja, natürlich“, seufzte Boromir etwas genervt.
Die Fragerei des Mädchens ging ihm irgendwie
mit der Zeit etwas auf den Geist. Plötzlich hielt
Elydrith ihren Schimmel an.
„Was ist denn jetzt schon wieder?“, fragte Boromir
mürrisch.
„Mir tut alles weh“, jammerte Elydrith. „Ich spüre
meinen Hintern kaum noch. Laß uns bitte eine Rast
machen“.
„Von mir aus“, knurrte Boromir unwillig.
Wenn das so weitergeht, kommen wir wirklich erst
im Herbst in Edoras an, dachte er kopfschüttelnd.
Elydrith stieg ganz steif vom Pferd herab und rieb sich
ihre schmerzenden Körperteile, während sie
durch das Gebüsch in Richtung eines nahen Baches
lief.
„Was hast du denn vor?“, rief Boromir ihr nach.
„Ich nehme ein Bad, um die Schmerzen ein wenig zu
lindern“, gab Elydrith gelassen zurück.
„Ich hatte eigentlich nicht vor, so lange zu rasten“,
erwiderte Boromir ungehalten. „Ich wollte es heute noch
bis zum Min-Rimmon schaffen“.
Leise vor sich hinfluchend ließ er sich in
der Wiese nieder. Die beiden Pferde grasten seelenruhig.
Das Zirpen der Grillen wirkte so einschläfernd
auf Boromir, dass er tatsächlich irgendwann einnickte.
„Hee, was ist denn? Ich dachte, wir wollten weiter?“
Boromir schreckte hoch. Elydrith stand angezogen
und mit feuchten Haaren vor ihm.
„Verdammt, wie lange habe ich geschlafen?“, fragte
er erschrocken.
Er gewahrte, dass die Sonne schon weit im Westen
stand. Er fluchte vor sich hin.
„Warum hast du mich nicht aufgeweckt, dummes
Kind?“, beschwerte er sich bei Elydrith.
„Du hast so müde gewirkt, da wollte ich dich
noch ein bisschen schlafen lassen“.
Boromir ging kopfschüttelnd und Verwünschungen
vor sich hinmurmelnd zu seinem Pferd.
„Laß dir das gesagt sein: wir reiten auf jeden
Fall heute noch bis Minharg am Min-Rimmon, und wenn
es Mitternacht wird“, sagte er mit einem ungewöhnlich
scharfen Unterton in der Stimme zu Elydrith.
Das Mädchen ritt eingeschüchtert hinter
ihm und wagte nichts mehr zu sagen.
Allmählich wurde es dunkel. Zur ihrer
linken erhob sich der Leuchtfeuerberg Min-Rimmon über
Anórien und glitzerte majestätisch im Mondlicht.
Boromir merkte zuerst, dass der Nachthimmel von einem
ungewöhnlich großem Feuer erhellt wurde.
„Was ist das?“, fragte Elydrith erschrocken.
„Feuer“, erwiderte Boromir tonlos. „Minharg brennt!“
Sie ritten weiter, bis sie im Tal unter sich
das brennende Dorf gewahrten. Ein Großteil
der Häuser brannte lichterloh. Verzweifelt versuchten
die Einwohner, die Brände zu löschen.
„Wir müssen helfen!“, rief Elydrith Boromir
zu und trieb ihr Pferd voran, ins Dorf hinein.
„Warte!“, schrie Boromir wütend.
Er hatte keine Lust, irgendwelchen Bauern beim Löschen
von Bränden zu helfen. Er war ein Edelmann
und er war es gewohnt, dass andere für ihn die
Schmutzarbeit machten.
Elydrith drehte sich erstaunt um:
„Du kommst doch mit, oder? Diese Menschen können
jede helfende Hand gut gebrauchen“.
Boromir folgte ihr schließlich widerstrebend.
Irgendwie erinnerte ihn Elydrith an seinen Bruder. Faramir
hätte den Leuten hier im Dorf auch ohne zu zögern
geholfen.
Sie banden ihre Pferde an einem Zaun an und liefen
zu den Bauern. Jemand drückte Boromir einen Wassereimer
in die Hand.
„Nun mach’ schon!“, herrschte der der Mann den Sohn
des Truchsessen an.
Boromir öffnete empört den Mund, sagte
aber dann doch nichts. Grummelnd ging er zum Brunnen
und füllte den Eimer. Elydrith unterdrückte
ein Kichern und schnappte sich selbst einen Eimer.
Es dauerte bis zum Morgengrauen, bis alle Brände
gelöscht waren. Die Gesichter der beiden
Helfer waren rußverschmiert - ebenso wie die Gesichter
der Bauern. Erschöpft ließen sich alle am
Brunnen nieder. Frauen aus dem Dorf teilten Essen und
Getränke aus.
„Wir danken Euch für Euere Hilfe, Fremder“,
sagte ein hochgewachsener, älterer Mann zu Boromir.
„Wer hat diese Brände gelegt?“, fragte Boromir.
„Das war doch Brandstiftung, oder?“
Der Dorfvorsteher seufzte und rang die Hände.
„Es sind diese verfluchten Räuber aus dem Firienwald“,
erzählte der Dorfvorsteher, der Margond hieß.
„Sie haben schon unser letztes Geld aus uns herausgepresst.
Jedes Monat kommen sie und fordern Geld. Diesmal konnten
wir nicht zahlen, weil wir einfach nichts mehr haben.
Da legten sie unsere Häuser in Brand. Als wir uns
wehren wollten, erschossen sie tapfere Männer aus
dem Dorf mit Pfeilen“.
„Das tut mir leid“, erwiderte Boromir mitfühlend
und biß in eine Scheibe Brot.
Elydrith stieß ihn an.
„Wir müssen was tun: es kann nicht angehen,
dass diese Räuber ungestraft davonkommen“, raunte
sie ihm zu.
Boromir verschluckte sich fast an seinem Essen.
„Dummes Ding!“, zischte er ihr wütend zu. „Und
wie soll das deiner Meinung nach aussehen?“
„Du bist doch ein großer Krieger“, meinte Elydrith
grinsend. „Dir wird schon was einfallen“.
Einige Leute aus dem Dorf spitzten die Ohren. Sie
hatten Boromir schon an der Kleidung angesehen, dass
er kein einfacher Reisender war.
„Ihr würdet uns tatsächlich helfen?“, fragte
Margond, der Dorfvorsteher, hoffnungsvoll.
Boromir verfluchte Elydrith im stillen. Doch er machte
erst mal gute Miene zum bösen Spiel.
„Wieviele Räuber sind es ungefähr?“, wollte
er von Margond wissen.
„Es sind etwa 50 Männer, die alle Waffen mit
sich führen“, erzählte der ältere Mann
ängstlich.
„Habt Ihr Waffen im Dorf hier - und Pferde?“, fragte
Boromir eifrig.
Margond ließ alle Waffen zum Dorfplatz bringen
und auch die Pferde. Boromir zählte etwa 10 Bögen
und ein paar alte Schwerter. Auch Elydrith wusste, dass
das viel zu wenig war, um gegen 50 Räuber antreten
zu können. Sie sah zweifelnd auf die sogenannten
„Pferde“: es waren ein paar alte Schindmähren und
klobige Ackergäule. Das Dorf war hoffnungslos
verarmt.
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6 - Das Räuberlager
Trotzdem sahen ihn die Menschen erwartungsvoll an.
Boromir sah die Frauen und die Kinder, die schier in
Lumpen herumliefen und er bekam eine ungeheuere Wut
auf diese Räuber.
„Also gut, dann ran an die Arbeit!“, sagte er und
stand auf.
Er zeigte den Männern, wie man die alten Schwerter
an einem Schleifstein schärfen konnte. Dann ging
er mit einigen jungen Männern in den Wald und wies
sie an, biegsame, schöne Äste für neue
Bögen zu schneiden. Die Kinder schnitzten Pfeile.
Die Spitzen dafür fertigte Boromir beim Dorfschmied
an. Am Abend gab es im Dorf 20 neue Bögen und einige
hundert Pfeile. Auch Elydrith hatte eifrig geholfen.
Jetzt galt es, den Männern das Bogenschießen
beizubringen.
Boromir wünschte sich, dass Faramir hier wäre.
Sein Bruder hatte immer eine Engelsgeduld mit jungen
Soldaten, die das Bogenschießen lernten. Die Bauern
stellten sich sehr unbeholfen beim Bogenschießen
an und Boromir wollte nicht ewig in Minharg verweilen.
Elronds Rat in Bruchtal würde nicht auf ihn warten.
Nach zwei Tagen gab es einige Männer, die tatsächlich
ein wenig Talent zum Schießen zeigten. Mehr war
auf die Schnelle einfach nicht drin. Zwanzig Männer
aus dem Dorf sollten mitreiten zum Firienwald. Elydrith
wollte unbedingt mit. Eigentlich war Boromir nicht damit
einverstanden, dass das junge Mädchen bei
diesem gefährlichem Unterfangen mitkam, aber gegen
Elydriths Starrkopf kam selbst der Gondorianer nicht
an. Aber er musste sich im stillen eingestehen, dass
sie besser Bogen schießen und reiten konnte, als
die meisten Männer aus dem Dorf, die er bei sich
hatte.
Sie kamen am Leuchtfeuerberg Calenhad vorbei und
in der Ferne konnten sie schon den Meringstrom sehen,
der die natürliche Grenze zwischen Gondor und Rohan
bildete. Vor ihnen lag nun der dichte Firienwald, der
aus lauter Eichen bestand. Dort drinnen hausten also
die Räuber.
Boromir ließ Elydrith und die Männer zurück
und ging alleine in den Wald hinein, um die Lage auszukundschaften.
Die Räuber lungerten um eine Höhle, die im
Wald lag, herum. Sie fühlten sich anscheinend recht
sicher, da sie nirgendwo Wachen postiert hatten. Boromir
pirschte sich ganze nahe an die Höhle heran. Er
hörte, wie sich Männer darin unterhielten.
Offenbar planten sie einen weiteren Angriff auf Minharg.
Boromir fühlte eine riesige Wut im Bauch aufsteigen:
diese armen Leute nagten doch jetzt schon am Hungertuch
- was wollten diese feigen Kerle denn immer noch von
ihnen? Plötzlich hörte er wie drinnen von
Sklavenhändler und ähnlichen Dingen geredet
wurde. Aha, aus dieser Richtung wehte der Wind. Sie
wollten wahrscheinlich Kinder aus dem Dorf einfangen
und dann auf einem Sklavenmarkt verkaufen. In Gondor
war Sklavenhandel sträflich verboten. Wahrscheinlich
gab es irgendwo einen illegalen Markt. Boromir wusste
genug und lief so schnell er konnte zu seinen Begleitern
zurück.
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7 - Rache
Boromir erzählte, was er gehört und gesehen
hatte. Die Bauern sahen ihn mit angstgeweiteten
Augen an. Sie hatten nicht gedacht, dass noch Schlimmeres
auf ihre Familien zukommen könnte.
„Wir müssen die Räuber daran hindern, wieder
nach Minharg zurückzukehren“, erklärte Boromir
gefasst.
„Auja!“, rief Elydrith vorlaut. „Wir lauern ihnen
aus einem Hinterhalt auf und bringen sie dann um!“
„Törrichtes Mädchen!“, stieß Margond
erzürnt hervor, der auch bei der Truppe dabei war.
„Wir sind Bauern und keine Soldaten“.
Elydrith wurde knallrot. Sie spürte an den Blicken
der Männer, dass sie zu weit gegangen war.
„Das mit dem Hinterhalt ist gar keine so schlechte
Idee“, sagte Boromir plötzlich lächelnd.
Das Mädchen sah ihn dankbar an.
„Allerdings werden wir nicht warten, bis die Räuber
erneut nach Minharg aufbrechen, sondern wir werden sie
im Schlaf überraschen“. Erklärte Boromir und
die Bauern wurden plötzlich wieder ängstlich
und verzagt.
„Wir sind nicht in der Lage, ein Räuberlager
zu überfallen“, seufzte Margond kopfschüttelnd.
„Keine Bange“, beruhigte ihn Boromir. „Ihr werdet
vielleicht gar nicht kämpfen müssen“.
Als es Mitternacht war, führte Boromir seine
Truppe durch den Firienwald. Bald schon sahen sie das
kleine Tal mit der Höhle. Es gab nur zwei Wachposten,
die jedoch eingenickt waren. Boromir lächelte
kalt. Er schlich sich alleine zum Lager, um die beiden
Wachposten zu überwältigen. Ein paar kräftige
Hiebe mit einem Knüppel auf dem Kopf genügten.
Dann sprang Elydrith herbei und fesselte die Kerle.
Nun wagten sich die Bauern heran. Auf Boromirs Geheiß
schichteten sie dürres Holz und Gestrüpp vor
dem Eingang der Höhle hoch, und setzten das Ganze
dann in Brand. Als der Haufen lichterloh brannte, wies
Boromir die Männer an, noch mehr Holz zu holen.
„Wir müssen den Kerlen da drinnen tüchtig
einheizen, damit ihnen Hören und Sehen vergeht!“
Das ließen sich die Bauern nicht zweimal sagen.
Schon bald hörten sie die Räuber in der Höhle
ächzen und husten.
„Lasst uns heraus!“, brüllten sie, soweit sie
es noch konnten. „Wir ersticken!“
Doch Boromir ließ sie noch eine Weile zappeln.
Er wollte sicher gehen, dass die meisten von den Kerlen
tatsächlich kampfunfähig wurden. Inzwischen
schickte er Elydrith und zwei Männer in die nahe
Stadt Maerburg am Meringstrom, um von dort Soldaten
zu holen. Kurz
darauf war der Holzhaufen ziemlich heruntergebrannt
. Jetzt erst gebot er den Bauern, die Flammen
zu löschen. Es gab noch einmal viel Rauch. Aber
die Husterei in der Höhle war schon viel leiser
geworden. Offensichtlich waren viele der Räuber
ohnmächtig geworden.
„So, ihr könnt jetzt herauskommen!“, rief Boromir
in die Höhle.
Er wies die Bauern an, ihre Bogen zu spannen. Es
kamen nur wenige Räuber aus der Höhle herausgestolpert:
sie husteten entsetzlich und ihre Augen tränten.
Ihre Gesichter waren alle rußgeschwärzt.
Sie leisteten keine Gegenwehr und ließen sich
bereitwillig von den Bauern fesseln. Der Rest von ihnen
war bewusstlos oder tot.
Endlich traf Elydrith mit den Soldaten ein. Birmod,
der Hauptmann, trat zu Boromir.
„Ich wollte es kaum glauben, aber dieser freche Junge
hier“ - er wies auf Elydrith - „hatte behauptet, Ihr
hättet all die Räuber gefasst, die schon seit
Monaten diese Gegend unsicher machen“.
„Und jetzt seid Ihr ganz erstaunt, weil der Junge
die Wahrheit gesprochen hat“, entgegnete Boromir ruhig
und zwinkerte Elydrith zu, die ihre Kapuze wieder aufhatte,
damit sie aussah wie ein Junge.
Einer der Soldaten trat auf Birmod zu und raunte
ihm etwas ins Ohr, während er auf Boromir blickte.
Birmod ging plötzlich vor Boromir auf die Knie.
„Ihr seid Boromir, der Sohn des Truchseß, habe
ich soeben vernommen“, stammelte er unterwürfig.
„Verzeiht mir!“
„Nun steht schon auf, Hauptmann“, sagte Boromir etwas
genervt.
Auch die Bauern verneigten sich ehrfürchtig
vor ihm. Margond wusste vor Verlegenheit gar nicht mehr,
was er sagen sollte.
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8 - Rohan
Während die überlebenden Räuber in
die Stadt Maerburg von den Soldaten gebracht wurden,
geleiteten Boromir und Elydrith die Bauern
in ihr Dorf zurück. Sie hatten sich aus der Räuberhöhle
wieder ihr gestohlenes Hab und Gut genommen, und hatten
sogar noch einiges an Geld dazubekommen, um ihr Dorf
wieder aufbauen zu können. Die Bauern wollten
Boromir und Elydrith zu Ehren ein Freudenfest veranstalten.
Doch Boromir hatte es eilig weiterzukommen. Nach
einigen Stunden Rast brach er zusammen mit Elydrith
wieder auf.
Sie überquerten den Meringstrom nahe der Stadt
Maerburg und erreichten so nun endlich Rohan.
„Das ist die sogenannte Ostfold von Rohan“, erklärte
Boromir dem Mädchen. „Noch 2 Tage, dann sind wir
in Edoras“.
Die Landschaft veränderte sich spürbar:
nach den schattigen Wäldern und Hügeln Anóriens
folgten nun die grasigen Savannen der Ostfold. In der
Ferne konnten sie das Gebirge sehen. Boromir zeigte
Elydrith die einzelnen Leuchtfeuerberge. Er wusste zu
ihrem Erstaunen jeden Bergnamen. Als sie ihn dafür
lobte, schenkte er ihr ein warmes Lächeln. Elydrith
merkte, dass ihr Herz jedes Mal schneller klopfte, wenn
er sie ansah.
Die Dörfer, durch die sie jetzt kamen,
wirkten anders als die in Gondor. Der Baustil der Holzhütten
war von der Kultur der Rohirrim geprägt. Die Menschen
in Rohan sahen für Elydrith auch sehr exotisch
aus: die meisten von ihnen hatten blonde oder rote Haare
und sehr helle Haut. Elydrith hatte außer Boromir
noch nie Menschen mit so hellen Haaren gesehen. Staunend
und mit aufgerissenen Augen ritt sie Boromir durch die
Dörfer nach.
Endlich sahen sie am Horizont den Berg, auf dem Edoras,
die Hauptstadt von Rohan, lag.
Elydrith wurde von Stunde zu Stunde bedrückter,
je näher sie der Stadt kamen.
„Was hast du?“, wollte Boromir wissen, der solch
eine Schweigsamkeit von dem Mädchen nicht gewohnt
war.
„Jetzt sind wir ja bald da“, begann Elydrith zögernd.
„Freust du dich etwa nicht mehr?“, fragte Boromir
etwas ungehalten. „Du wolltest doch unbedingt nach Edoras.
Wenn du heim nach Gondor willst, solltest du besser
gleich umkehren“.
„Ich will aber nicht nach Gondor!“, protestierte
Elydrith und wurde knallrot. „Ich will, ich will - bei
dir bleiben“.
„Was, du willst mit nach Bruchtal reiten?“, machte
Boromir vollkommen perplex. „Du bist wohl völlig
verrückt geworden!“
Elydrith senkte den Kopf, damit man ihre Tränen
nicht sah. Er wollte sie also unbedingt loswerden. Dabei
hatte sie sich unsterblich in Boromir verliebt. Sie
würde es nicht überwinden, wenn er sie in
Rohan zurückließ.
Ein Trupp Rohan-Soldaten begegnete ihnen auf dem
Weg nach Edoras. Angeführt wurde der Trupp von
Hauptmann Hama.
„Was sucht Ihr hier in der Riddermark, Fremder?“,
fragte der Rohirrim Boromir argwöhnisch.
„Wir sind Freunde - aus Gondor“, erklärte Boromir
besonnen. „Ich bin Boromir, Sohn des Denethor. Wir sind
auf der Durchreise nach Bruchtal“.
Hama musterte Boromir von Kopf bis Fuß: seiner
vornehmen Kleidung und seinem Gebahren nach konnte es
wohl stimmen, dass er von edler Herkunft und aus Gondor
war.
„Und das ist wohl Euer Knappe?“, fragte er Boromir
weiter und deutete auf Elydrith.
Das Mädchen zog sofort die Kapuze tiefer ins
Gesicht und senkte das Haupt.
„Ja, das ist mein Diener“, erklärte der Gondorianer
etwas barsch. „Ich verstehe Euer Misstrauen nicht, Hauptmann.
Menschen aus Gondor wurden in der Riddermark stets wie
Freunde behandelt“.
„Die Zeiten haben sich geändert, Herr Boromir“,
entgegnete Hama sorgenvoll. „Dunländer und allerlei
Gesindel aus Isengart suchen unsere Dörfer an den
Grenzen heim“.
„Das hört sich nicht gut an“, murmelte Boromir
mehr zu sich selbst als zu dem Rohirrim.
„Ich bringe Euch am besten zu König Theoden
und Gríma Schlangenzunge, seinem engsten Berater“,
erklärte Hama schließlich.
Boromir fragte sich im Stillen, was es mit diesem
engen Berater wohl auf sich haben mochte. Theoden war
bekannt dafür, seine Entscheidungen stets alleine
zu treffen. Irgendetwas stimmte da nicht.
Die Reitertruppe setzte sich mit den zwei Reisenden
in Bewegung. Elydrith ritt Boromir mit unglücklicher
Miene hinterher.
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9 - Eine böse Überraschung
Langsam erhob sich vor den Reitern die goldene Halle
Meduseld. Elydrith fielen fast die Augen aus dem Kopf
beim Anblick dieses wunderschönen Gebäudes.
Natürlich war die Stadt Edoras kein Vergleich mit
Minas Tirith: durch die Holzgebäude hatte sie einen
ziemlich dörflichen Charakter, ganz anders als
die erhabene Stadt aus Stein in Gondor. Aber die goldene
Halle sah einfach atemberaubend aus. Sie war mit Figuren
und Reliefs aus echtem Gold verziert.
„Wartet hier!“, sagte Hama zu Boromir und Elydrith,
als sie die steinernen Stufen hinauflaufen wollten.
„Ich musste noch nie hier warten“, erklärte
der Gondorianer ungeduldig. „König Theoden kennt
mich.“
Hama drehte sich noch einmal um und lächelte
wehmütig.
„Der König ist ernstlich erkrankt. Ich fürchte,
er weiß nicht mehr, wer Ihr seid“.
Boromir erschrak, als er das hörte. Es stand
wahrlich nicht gut um Rohan, wenn sein Herrscher seiner
Sinne nicht mehr mächtig war.
Elydrith ging zu ihrem Hengst Ondoher, der ungeduldig
mit den Hufen scharrte.
„Du wartest wohl auch nicht gerne, was?“, flüsterte
das Mädchen dem Pferd zu und streichelte seinen
schönen Hals.
Ein junger Mann mit hellbraunem, langen Haar trat
zu ihr hin.
„Ein schönes Tier hast du da, junger Waldläufer
aus Gondor“, meinte der Rohirrim und begutachtete Ondoher
neugierig.
„Theodred!“, rief Boromir plötzlich freudig
und lief auf den jungen Mann zu. „Mann, als ich dich
das letzte Mal sah, warst du fast noch ein Kind“.
Er umarmte den Rohan-Prinzen.
„Ich freue mich auch, dich wiederzusehen, Boromir
aus Gondor“, sagte Theodred lächelnd. „Es mag fast
sieben Jahre her sein, als wir uns das letzte Mal sahen.
Du hattest doch versprochen, deinen Bruder Faramir beim
nächsten Besuch mitzubringen. Warum ist er nicht
dabei?“
„In Gondor herrscht Krieg“, erzählte Boromir
bedrückt. „Faramir und ich können nicht gleichzeitig
das Land verlassen. Ich habe von meinem Vater einen
wichtigen Auftrag bekommen: ich muß nach Bruchtal
reisen zu Elronds Rat“.
„Dann bist du also nur auf der Durchreise“, seufzte
Theodred. „Ich hoffe, du nimmst dir wenigstens ein paar
Tage Zeit, in Edoras zu verweilen“.
„Jetzt sag mir, was mit deinem Vater los ist“, drängte
Boromir. „Man hat mir von einem Berater namenes Grima
erzählt, auf den dein Vater nur noch zu hören
scheint“.
„Grima!“ Theodred spuckte aus, als er diesen
Namen gesagt hatte.
„Seit dieser schwarze Unhold in Edoras weilt, ist
Vater ein anderer geworden“.
Hama kam jetzt wieder aus der goldenen Halle heraus
und nickte Boromir und dem Prinzen zu.
„Ihr könnt nun eintreten, Boromir von Gondor:
der König will Euch sehen“.
Theodred hielt Boromir noch kurz zurück.
„Erschrick nicht, wenn du meinen Vater siehst. Er
ist nur noch ein Schatten seiner selbst“.
Boromir winkte Elydrith gefasst zu sich heran.
„Komm mit!“
Er merkte, dass Theodred keine Anstalten machte,
ihm in die Halle Meduseld zu folgen.
„Du gehst nicht mit?“
Theodred schüttelte müde lächelnd
den Kopf.
„Mein Vater will mich so gut wie nicht mehr sehen“.
Elydrith folgte Boromir ängstlich in die Halle.
In der großen Halle war es ziemlich finster. Sie
musste erst ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnen.
Boromir war trotz Theodred’s Warnung schockiert, als
er König Theoden sah. Aus dem stolzen Rohirrim-König
war ein alter, sabbernder Greis geworden, der wie eine
vertrocknete Mumie auf seinem Thron saß. Seine
Augen wirkten leblos und blickten ins Leere. Neben ihm
saß ein bleicher, hässlicher Mann, ganz in
Schwarz gekleidet. Das musste dieser Grima sein!
„Seid Ihr Boromir von Gondor?“, fragte der Schwarzgekleidete
mit einer schnarrenden Stimme.
Boromir verneigte sich erst einmal vor dem König.
Doch Theoden wandte sich mit einem hilflos fragenden
Blick an seinen Berater. Grima stand auf und ging böse
grinsend auf Boromir und Elydrith zu.
„Ein reizendes Mädchen habt Ihr da bei Euch,
Boromir von Gondor“, sagte Grima und riß
Elydrith die Kapuze vom Kopf.
Ein Raunen ging durch die Halle und das Mädchen
wurde knallrot. Doch Boromir bewahrte die Fassung, obwohl
ihm Theodens Anblick und Grimas Dreistigkeit ziemlich
nahe gingen.
„Warum reist Ihr mit einem halbwüchsigem Mädchen
durch die Gegend, Gondorianer?“, fragte Grima mit gespielter
Liebenswürdigkeit.
„Seid Ihr hier der König?“, platzte Boromir
jetzt wütend heraus und er sah sich suchend nach
Theodred um.
Gerade als ihm Grima eine passende Antwort geben
wollte,betrat eine wunderschöne junge Frau mit
langem, hellblonden Haar die Halle. Boromir fielen fast
die Augen aus dem Kopf: war das etwa Éowyn, die
Königsnichte? Als er sie zum letzten Mal gesehen
hatte, war sie ein unscheinbares Kind gewesen. Und jetzt
war sie zu einer unvergleichlichen Schönheit erblüht.
Grima schluckte seinen Ärger hinunter und grinste
Éowyn mit leuchtenden Augen an.
„Sehet die Weiße Blume von Rohan, das Schönste
in unserem Reich, Boromir“, sagte er stolz.
Boromir verneigte sich vor Éowyn.
„Ich grüße Euch, Herrin“.
„Herr Boromir, ich habe Euch lange nicht gesehen“,
sagte Éowyn lächelnd. „Ich grüße
Euch auch“.
Sie reichte ihm ihre Hand. Elydrith fühlte,
dass sie eifersüchtig wurde. Boromir war vollkommen
verzückt wegen dieser Frau.
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10 - Das Nachtmahl
Elydrith ahnte nicht, dass Grima genauso eifersüchtig
wie sie auf die beiden war. Der schwarzgekleidete Berater
betrachtete Éowyn als sein Eigentum und beobachtete
die Konversation zwischen Boromir und der Königsnichte
argwöhnisch.
Endlich betrat Theodred in Begleitung von Éomer,
dem Marschall, die goldene Halle.
„Ich denke, wir sollten unsere Gäste bewirten“,
sagte der Prinz an Grima gewandt. „Es wäre nicht
im Sinne meines Vaters, Boromir von Gondor wie einen
Fremden zu behandeln“.
Der greise König hob kurz den Kopf, als hätte
er Theodred verstanden und er drehte sich hilfesuchend
zu Grima hinüber.
Dem Schwarzgekleideten blieb nichts anderes
übrig, als sich dem Wunsch des Prinzen zu beugen.
Allmählich wurde ihm Theodred wirklich lästig.
Ständig durchkreuzte der scharfsinnige junge Mann
seine Pläne. Er musste sich unbedingt eine List
ausdenken, um den Prinzen zu beseitigen. Auch Éomer
störte ihn: er musste auch aus dem Weg geschafft
werden. Dann hatte Grima freie Bahn bei Éowyn.
Theoden würde ihm ohne weiteres seine Nichte zur
Frau geben. Grima lächelte böse vor sich hin.
Boromir und Elydrith bekamen Schlafgemächer
zugewiesen. Das Mädchen bekam Frauengewänder
von einer Dienerin. Elydrith legte das Kleid an, das
ihr ausgezeichnet passte und flocht ihr langes, dunkles
Haar. Boromir sah sie ganz verdattert an, als er sie
zum Nachtmahl abholte.
„Du siehst wunderschön aus, Elydrith“, flüsterte
er.
Elydrith errötete und wusste vor Verlegenheit
gar nichts darauf zu sagen. Anscheinend war sie doch
ernsthafte Konkurrenz für Éowyn.
Beim Mahl in der goldenen Halle saß Elydrith
neben Theodred. Sie merkte, dass sie der Prinz immer
wieder betrachtete. Gefiel sie etwa dem jungen Mann?
Elydrith war es überhaupt nicht gewohnt, dass sie
von jungen Männern hoffiert wurde. In Pelargir
war sie ein schmutziges Straßenkind gewesen, das
kein Mensch beachtet hatte.
„Boromir, warum habt Ihr denn Eueren Bruder nicht
mitgebracht?“, fragte Éowyn bedauernd. „Ich wollte
Faramir doch mal kennenlernen. Mein Bruder sagte einst
aus Spaß, ich würde gut zu Euerem Bruder
passen. Deswegen bin ich so neugierig, wie Faramir ist“.
Boromir musste leise lachen.
„Fürwahr, mein Bruder wäre der richtige
Gemahl für Euch, Herrin. Aber momentan befindet
er sich auf einem Kriegszug in Ithilien. Ich hoffe,
dieser unselige Krieg findet bald einmal ein Ende, so
dass Faramir Zeit findet, Euch in Rohan den Hof zu machen“.
„Ich halte diese Verbindung für keine gute Idee“,
warf Grima bissig ein. „Frau Éowyn hat einen
Herrscher als Ehemann verdient. Euer Bruder wird
nie einer sein“.
„Vielleicht sollte ich Boromir ehelichen“, rief Éowyn
erbost. „Er wird jedenfalls der künftige Truchseß
von Gondor sein“.
„Ihr solltet in Rohan bleiben, meine Teuerste“, erwiderte
Grima lächelnd. „Hier gibt es auch hochgestellte
Persönlichkeiten“.
„Ihr meint wohl Euch!“, sagte Éowyn empört
und verließ die Tafel.
„Dieser Grima ist ein Ekel“, raunte Boromir Éomer
zu.
„Wir können nichts gegen ihn machen“, sagte
der junge Marschall seufzend. „Er steht unter dem persönlichen
Schutz meines Onkels. Aber wehe, er kommt Éowyn
zu nahe, dann bekommt er mein Schwert zu spüren“.
Nach dem Essen ging Boromir vor der goldenen Halle
spazieren. Elydrith gesellte sich zu ihm. Der Mond stand
am Himmel und warf ein fahles Licht auf den großen
Hof. Sie merkte, dass Boromir sehr besorgt wirkte.
„Was gibt es denn?“, fragte sie vorsichtig.
„Rohan ist schwach geworden“, erwiderte Boromir bedrückt.
„Unsere einstigen Verbündeten sind durch
Theodens Krankheit ein schutzloses Volk geworden. Theodred
ist noch zu jung und unerfahren, um den Thron zu besteigen.
Grima wird Rohan ins Verderben führen - das sagt
mir mein Herz und mein Verstand“.
„Es tut mir leid“, murmelte Elydrith.
Boromir musste lächeln, weil ihre Anteilnahme
sein Herz berührte. Vorsichtig fasste er mit seinen
Fingern unter ihr Kinn und hob es hoch.
„Du siehst heute abend wie eine hohe Dame aus, Elydrith“.
Das Mädchen strahlte ihn glücklich an.
Boromir konnte nicht anders und es geschah das Unvermeidliche:
er küsste sie.
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11 - Abschied
Elydrith konnte es nicht fassen, dass Boromir sie
küsste. Doch nur nach wenigen Sekunden hielt Boromir
inne.
„Verzeih“, sagte er mit heiserer Stimme und wandte
sich zum Gehen.
„Boromir!“, rief Elydrith ihm verzweifelt hinterher.
Doch in diesem Moment betrat Éowyn den nächtlichen
Hof. Elydrith verstummte und versuchte die Tränen
zurückzuhalten. Boromir drehte sich noch einmal
zu ihr um. Er wirkte sehr traurig. Aber dann verschwand
er schnellen Schrittes in der Halle.
„Elydrith“, sprach Éowyn das Mädchen
freundlich an. „Boromir hat mir erzählt, dass du
gerne hier in Rohan bleiben möchtest. Ich suche
eine neue Kammerzofe, da meine bisherige Zofe Morwen
kürzlich geheiratet hat. Es wäre schön,
wenn du für mich arbeiten würdest. Vielleicht
können wir auch Freundinnen werden“.
Elydrith wusste, dass sie dieses Angebot unmöglich
ausschlagen konnte. Kammerzofe am Hofe Rohans war für
sie als ehemaliges Straßenkind das Beste, was
ihr passieren konnte. Sie würde nicht schwer arbeiten
müssen, und würde doch genug zu essen und
zu trinken haben und ein Dach über dem Kopf. Sie
ahnte, dass Boromir diese Sache eingefädelt hatte,
um sie loszuwerden.
„Nun?“, fragte Éowyn erstaunt. „Du sagst gar
nichts, Mädchen. Willst du nicht für mich
arbeiten? Du siehst so betrübt drein“.
„Doch, ich will schon für Euch arbeiten, Herrin“,
erwiderte Elydrith schließlich verzagt.
„Aber?“
Das Mädchen schlug die Augen nieder. Es hatte
keinen Zweck, länger um den heißen Brei herumzureden.
„Ich liebe Boromir und ich dachte, er liebt mich
auch“, gestand sie Éowyn mit brennenden Wangen.
„Und ich dachte, er nimmt mich mit nach Bruchtal“.
„Boromir hat recht, wenn er dich hierläßt,
Mädchen“, sagte Éowyn besorgt. „Der Weg
nach Bruchtal ist sehr gefährlich. Die Pforte Rohans
wird von Unholden aus Isengart kontrolliert. Das ist
keine Reise für eine Frau“.
Elydrith wollte aufbegehren, aber sie traute sich
dann doch nicht. Éowyn behandelte sie so freundlich,
dass ihr nichts anderes übrigblieb, als das Angebot
anzunehmen.
Bereits am nächsten Morgen wollte Boromir aufbrechen.
Erschrocken sah Elydrith zu, wie er sein Pferd sattelte.
„Boromir, du willst doch nicht tatsächlich ohne
mich losreiten“, sagte das Mädchen unter Tränen.
Boromir sah ihr in die Augen und seufzte.
„Die Rohirrim haben mir gesagt, dass der Weg nach
Norden sehr gefährlich ist. Ich kann dich unter
keinen Umständen mitnehmen“.
„Aber wir sind doch mit den Räubern im Firienwald
auch fertiggeworden“, rief Elydrith empört. „Ich
habe keine Angst vor Feinden“.
„Elydrith, an der Pforte Rohans hausen Uruk-Hai und
Dunländer“, fuhr Boromir ungehalten fort. „Das
sind schreckliche und grausame Unholde. Dagegen sind
diese Räuber harmlose Tölpel“.
„Und ich dachte du liebst mich“, schluchzte das Mädchen
leise.
„Ich habe gestern abend einen Fehler gemacht“, murmelte
Boromir. „Ich hätte dich nicht küssen dürfen.
Nein, ich liebe dich nicht“.
Elydrith wusste genau, dass er log. Und das schmerzte
sie umso mehr. Er wollte sie in dem Glauben zurücklassen,
dass er sie nicht liebte, um sie zu schützen.
Weinend rannte das Mädchen in das Gebäude
zurück. Boromir sah ihr fassungslos nach. Er schüttelte
den Kopf über sich selbst : er hätte es niemals
soweit kommen lassen dürfen.
Theodred und Éomer traten zu ihm hin.
„Pass gut auf dich auf, Boromir“, sagte Theodred
besorgt. „Noch ist die Pforte von Rohan einigermaßen
passierbar. Doch wahrscheinlich wirst du einen anderen
Rückweg von Bruchtal aus nehmen müssen. Über
den Fluß“.
Grima kam aus der goldenen Halle heraus. Er lächelte
selbstgefällig vor sich hin, während er zusah,
wie Boromir davonritt.
Theodred wandte sich mit finsterem Blick zu ihm um.
„Euch scheint es zu gefallen, dass Boromir in die
Gefahr reitet, was?“
„Nein, mein Prinz, ich bin sehr besorgt um seine
Sicherheit“, erwiderte Grima scheinbar erschüttert.
„Euer Vater hat übrigens angeordnet, dass Ihr mit
einem Trupp Soldaten die Gegend
um Helms Klamm nach Feinden absuchen sollt“.
„Warum denn bei Helms Klamm?“, fragte Éomer
argwöhnisch. „Dort ist doch noch alles ruhig, soviel
ich weiß“.
„Für Euch, vorlauter Marschall, habe ich einen
anderen Befehl“, erwiderte Grima hochmütig.
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12 - Elydriths Entschluß
Boromir war keinen halben Tag fort, als Elydrith
es nicht mehr länger in Edoras aushielt.
Man war freundlich zu ihr und behandelte sie gut. Doch
sie liebte nun mal Boromir und sie wollte bei ihm sein,
mit ihm sterben, wenn es sein musste. Sie beschloß,
ihm nachzureiten.
Als es dunkel wurde, schlüpfte sie wieder in
ihre Waldläufertracht und zog die Kapuze über
den Kopf. Sie wartete, bis alle in Meduseld schliefen.
Dann schlich sie sich zu den Ställen und sattelte
Ondoher. Der Schimmel wieherte freudig, als er das Mädchen
erkannte.
„Ist ja gut, mein Treuer, wir brechen endlich auf“,
sagte Elydrith beruhigend zu ihm.
Minuten später galoppierte sie zum hölzernen
Tor von Edoras hinaus.
Sie ritt die ganze Nacht hindurch. Schließlich
hatte Boromir schon einen ziemlichen Vorsprung. Im Morgengrauen
gönnte sie Ondoher und sich eine Rast. Sie verspürte
überhaupt keine Müdigkeit, auch keinen Hunger.
Sie dachte nur an Boromir und dass sie ihn so schnell
wie möglich einholen wollte. Nach zwei Stunden,
in denen sie keinen Schlaf gefunden hatte, ritt sie
weiter.
Boromir hatte inzwischen ein kleines Dorf namens
Roodgar in der Westfold erreicht. Eigentlich hatte er
vorgehabt, länger in Edoras zu verweilen, doch
die Sache mit Elydrith hatte ihm einen Strich durch
die Rechnung gemacht. Er schalt sich selbst einen Narren,
wenn er daran dachte, dass er sie geküsst und dabei
Hoffnungen in ihr geweckt hatte. Er wünschte
sich, er hätte das Mädchen unter anderen Umständen
kennengelernt. Ja, er hatte sich auch in sie verliebt.
Das spürte er ,und er begann sie zu vermissen.
Leise seufzend betrat er das einzige Gasthaus im
Dorf. Er hatte Hunger und er wollte sich auch ein Zimmer
zum Übernachten nehmen. Er konnte sich Zeit lassen.
Hauptsache, er war erst einmal weg von Edoras und von
Elydrith. Nur so würde er über das Mädchen
hinwegkommen.
„Verdammt“, fluchte er leise vor sich hin und starrte
in seinen Bierkrug.
Wie schnell konnte man sich doch an einem Menschen
gewöhnen und ihn lieb gewinnen.
Elydrith sah am Nachmittag das Dorf Roodgar vor sich
liegen. Sie merkte jetzt, wie erschöpft sie war.
Auf einmal hörte sie hinter sich Hufgetrappel
und Geschrei. Erschrocken merkte sie, wie eine Schar
fremdländisch aussehender Männer, die bis
an die Zähne bewaffnet waren, auf sie zukamen.
Sie trieb Ondoher voran. So schnell wie möglich
musste sie das schützende Dorf erreichen.
Boromir saß immer noch in der Dorfschänke.
Er hatte gegessen und trank gerade das zweite Bier.
Plötzlich hörte er draußen aufgeregte
Stimmen. Dunländer griffen das Dorf an! Sofort
stürmte Boromir aus dem Gasthaus und sah die Reiter,
die sich dem Dorf näherten. Ihnen voran sprengte
ein Schimmelreiter. Er traute seinen Augen kaum, als
er den Reiter erkannte.
„Elydrith“, murmelte er fassungslos.
Das Mädchen sah bestürzt, dass der Abstand
zwischen ihr und den Dunländern immer kürzer
wurde. Pfeile zischten an ihr vorbei. Dann traf sie
ein Pfeil von hinten in die Schulter.
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13 - Eine Verletzung mit Folgen
Langsam öffnete Elydrith ihre Augen. Sie merkte,
dass sie sich in einem halbdunklen Raum befand. Ihre
linke Schulter schmerzte höllisch. Sie hörte
das Gemurmel von Männer- und Frauenstimmen.
„Endlich, sie kommt zu sich“, sagte eine ältere
Frau, die sich über Elydrith beugte.
Dann sah das Mädchen Boromirs besorgtes Gesicht
und musste lächeln.
„Was machst du denn für Sachen?“, fragte er
leise.
Elydrith sah, dass er mit den Tränen kämpfte.
Sie fühlte sich plötzlich unendlich matt und
schloß wieder die Augen.
Als sie wieder erwachte, war es in dem Raum etwas
heller. Sie sah eine alte Rohirrim-Frau an einem Tisch
sitzen. Als die Frau sah, dasss Elydrith wieder wach
war, verließ sie schnell den Raum.
Elydrith fühlte sich etwas besser: es tat nicht
mehr ganz so weh und sie fühlte sich auch nicht
mehr schläfrig. Sie versuchte sich daran zu erinnern,
was geschehen war: die Dunländer hatten sie verfolgt
und dann war da dieser schreckliche Schmerz in ihrer
Schulter gewesen. Unmittelbar dannach musste sie die
Besinnung verloren haben.
Die alte Frau kam zusammen mit Boromir zurück.
Er war erleichtert, Elydrith etwas munterer zu sehen.
Er setzte sich an ihr Bett und ergriff ihre Hand.
„Du hattest großes Glück, Mädchen“,
sagte er mit belegter Stimme. „Der Pfeil ist am Schulterblatt
abgeprallt und hat so keine ernsthaftere Verletzungen
verursacht“.
„Man kann nur hoffen, dass die Dunländer kein
Pfeilgift verwendet haben“, mahnte die alte Frau.
„Mir geht es schon wieder ganz gut“, beteuerte Elydrith
und wirkte plötzlich putzmunter. „Ich denke, in
ein paar Tagen bin ich ganz gesund“.
Boromir lachte leise und tätschelte behutsam
ihre Hand.
„Du kleines, verrücktes und törichtes Ding.
Warum bist du mir eigentlich gefolgt?“
„Weißt du das denn nicht?“, fragte Elydrith
fast herausfordernd.
„Ich muß bald weiterreiten nach Bruchtal“,
meinte er geistesabwesend, statt Elydriths Frage zu
beantworten. „Elrond wartet nicht extra auf Gondor“.
„Bitte nimm mich mit!“, flehte Elydrith erschrocken.
„Ich bin schon fast wieder gesund“.
Sie setzte sich trotz Schmerzen im Bett auf und tat
so, als ginge es ihr gut.
„Was bleibt mir schon anderes übrig, dummes
Ding“, meinte er wehmütig lächelnd.
Elydrith fiel ihm freudig um den Hals, obwohl der
Schmerz in ihrer Schulter wie verrückt pochte.
Am Abend des gleichen Tages verließ sie zum
ersten Mal das Haus. Die Dunländer hatten einige
Häuser verwüstet. Doch dank Boromirs Anwesenheit
war es den Rohan-Bauern gelungen, die Feinde abzuwehren.
Elydrith war ganz schwindelig, als sie vorsichtig zum
Stall lief. Sie wollte nur sehen, ob mit Ondoher alles
in Ordnung war. Doch sie spürte kalten Schweiß
auf ihrer Stirn und ihre Knie wurden weich. Sofort schleppte
sie sich wieder ins Haus zurück und legte sich
auf das Bett nieder. Die alte Frau brachte ihr eine
kräftige Brühe zum essen.
„Ich würde an deiner Stelle noch nicht mit Herrn
Boromir reiten“, sagte die Frau mahnend. „Die Dunländer
verwenden manchmal Pfeilgifte, die erst nach einer Weile
wirken“.
„Mir geht es gut“, erklärte Elydrith patzig.
„Der Pfeil war bestimmt nicht vergiftet“.
Boromir wartete noch drei Tage, dann musste er unbedingt
aufbrechen. Er wusste, dass es keine gute Idee war,
Elydrith mitzunehmen. Aber er wusste auch, dass sie
ihm auf jedem Fall wieder nachreiten würde. Das
Mädchen saß leichenblass und müde im
Sattel. Immer wieder drehte sich Boromir besorgt zu
ihr um. Doch sie hielt sich tapfer und sie schenkte
ihm jedes Mal ein Lächeln. So erreichten sie die
Pforte von Rohan. Elydrith hatte seit einigen Tagen
leichtes Fieber und Schwindelanfälle. Sie schob
es auf die Anstrengung des Rittes. Boromir gegenüber
ließ sie sich nichts von ihrer Schwäche anmerken.
Dann fing ihr linker Arm an taub zu werden. Eine schreckliche
Ahnung stieg in ihr hoch: der Pfeil war also doch vergiftet
gewesen!
14 - ein trauriger Abschied
Als sie die Pforte Rohans passiert hatten, sahen
sie bereits die Ausläufer des Nebelgebirges.
„Jetzt ist es nicht mehr weit nach Bruchtal“, frohlockte
Boromir. „In zwei Wochen sind wir dort“.
Als sie durch den dunklen Erynen-Wald ritten, geschah
es: Elydrith kippte ohne Vorwarnung vom Pferd und blieb
bewusstlos liegen. Ahnungsvoll begann Boromir sie zu
untersuchen. Als er den verschmutzten Verband an ihrer
Schulter löste, erschrak er: die Wunde war ganz
schwarz geworden und seltsame Linien breiteten sich
an Elydriths linkem Arm aus.
„Gift!“, murmelte Boromir tonlos.
Er spürte, dass das Mädchen hohes Fieber
hatte. Er konnte nichts für sie tun, außer
kalte Umschläge zu machen und die Wunde frisch
zu verbinden. Elydrith ging es von Stunde zu Stunde
schlechter. Schließlich merkte Boromir, dass sie
nicht mehr atmete. Weinend brach er über Elydriths
Körper zusammen.
Er wusste nicht, wie lange er so kauerte. Doch Geräusche
im Unterholz ließen ihn hochschrecken. Wahrscheinlich
waren Orks in der Nähe. Es war höchste Zeit
für ihn aufzubrechen. Er bedeckte Elydrith schnell
mit ein paar Zweigen. Wenn er in Bruchtal war, konnte
er noch genug um sie trauern. Sein Pflichtgefühl
für Gondor hatte schließlich gesiegt.
Kaum war Boromir davongeritten, kamen zwei dunländische
Jungen aus dem Gebüsch. Sie hatten Boromir und
Elydrith die ganze Zeit beobachtet. Die Jungen hatten
zerrissene Kleider an.
Sie beschlossen, die Kleidung der Toten an sich zu
nehmen. Sie entfernten also die Zweige von Elydriths
Körper. Plötzlich hörten sie ein leises
Stöhnen. Die Jungen erschraken.
„Berdur, hast du das auch gehört? Der Waldläufer
lebt noch“, sagte Giladan, der Jüngere der beiden.
„Das ist doch eine Frau - siehst du das nicht?“,
meinte Berdur, ein fünfzehnjähriger, schlaksiger
Junge.
„Wir müssen ihr helfen“, sagte Giladan spontan.
Berdur überlegte kurz, nickte aber dann. Zu
zweit schleppten sie die halbohnmächtige junge
Frau in ein kleines Lager auf einer Waldlichtung, das
aus Strohhütten bestand. Giladans Mutter war eine
heilkundige Frau und sie kümmerte sich sofort um
Elydrith. Es dauerte aber einige Tage, bis das Mädchen
vollkommen erwachte.
„Was ist geschehen?“, fragte sie Giladath, die Mutter
von Giladan.
„In deinen Adern befand sich ein heimtückisches
Pfeilgift, das eine totenähnliche Starre hervorruft“,
erklärte Giladath förmlich. „Du hattest Glück,
das die Jungen dich fanden, sonst hätten dich vielleicht
wilde Tiere gerissen“.
„Wo ist Boromir?“, wollte Elydrith erschrocken wissen.
„Mein Sohn hat erzählt, dass der Mann, der dich
begleitet hatte, dich bestattet hat, weil er dich für
tot hielt“, fuhrt Giladath fort.
Elydrith fuhr hoch. Doch sie merkte gleich die große
Schwäche in ihrem Körper und sank wieder mutlos
zurück.
„Ich muß zu Boromir - nach Bruchtal“, flüsterte
sie matt und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
„Du musst erst einmal wieder gesund werden, Kind“,
mahnte Giladath vorwurfsvoll.
Es dauerte viele Wochen, bis Elydrith wieder auf
die Beine kam. Die Dunländer in dem kleinen Strohhüttendorf
verhielten sich sehr gastfreundlich zu ihr. Sie erfuhr,
dass diese nördlichen Dunländer nicht so kriegerisch
waren wie die des Südens, die Rohan bedrängten.
Sie wollten lieber ihre Ruhe haben und in Frieden weiterleben.
Als Elydrith auf einem zotteligen Pony schließlich
aufbrach, war es Mitte November geworden.
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15 - Über das Gebirge
Inzwischen befand sich Boromir mit der Ringgemeinschaft
bereits auf dem Weg nach Süden. An dem Tag, wo
Elydrith aufbrach, durchwanderten die neun Gefährten
gerade die Minen von Moria.
Boromir hatte die Trauer um Elydrith tief in seinem
Herzen vergraben: für ihn zählte jetzt nur
noch der Eine Ring. Er musste ihn unbedingt an sich
nehmen - für Gondor. Nur so konnte er sein Land
retten. Tag und Nacht zermarterte er sich das Hirn,
wie er Frodo am besten den Ring abluchsen konnte.
Elydrith kam auf dem Pony nur langsam voran. Sie
ritt den Weg entlang des Nebelgebirges nach Norden.
Irgendwann - so hoffte sie - würde sie Bruchtal
dann erreichen. Das Pony wieherte leise, als sie eine
Gruppe Reiter vom Norden her näherte. Elydrith
stieg vorsichtshalber ab und führte sich und das
Pony in Deckung. Schon bald merkte sie, dass es sich
bei den Reitern um Elben handelte. Es waren die ersten
Elben, die sie in ihrem Leben zu Gesicht bekam.
Sie beobachtete von ihrem Versteck aus, wie die schönen
Wesen an ihr vorüberzogen. Dann gewahrte sie die
beiden Pferde, die sie mit sich führten.
„Ondoher!“, schrie sie aufgebracht, als sie ihren
Schimmel entdeckte und stürmte aus ihrem Versteck.
Die Elben zogen erschrocken ihre Schwerter, doch
ihr Anführer gebot Einhalt. Verwundert sahen die
Elben, wie das Mädchen den Hals des prächtigen
Pferdes umschlang. Auch Boromirs Hengst Elphros trottete
zu ihr hin und stubste sie mit seiner Nase an.
Elladan, der Anführer der Elben, betrachtete
Elydrith nachdenklich.
„Du musst das Mädchen sein, von dem Boromir
berichtet hat“, sagte er zu Elydrith. „Aber wie es das
möglich: du bist doch eigentlich tot?“
Elydrith wandte sich mit Freudentränen in den
Augen zu dem Elben und erzählte, was ihr zugestoßen
war.
„Aber was habt Ihr mit den Pferden vor, und wo ist
Boromir?“, fragte das Mädchen schließlich
aufgeregt, als es mit seinem Bericht fertig war.
„Boromir hat uns vor seiner Abreise aufgetragen,
die edlen Rösser nach Edoras zu bringen“, sagte
Elladan in seiner elbisch-zurückhaltenden Art.
„Er reist mit der Ringgemeinschaft nach Mordor, um den
Einen Ring zu zerstören“.
„Ich muß unbedingt zu Boromir!“, sagte Elydrith
eifrig.
„Bist du denn der Ringgemeinschaft unterwegs nicht
begegnet?“, fragte Elladan erstaunt.
„Sie haben wahrscheinlich den Weg über das Gebirge
genommen und werden östlich des Nebelgebirges am
Großen Strom entlangwandern“, meinte ein anderer
Elb namens Ciranthir.
„Dann muß ich so schnell wie möglich das
Gebirge überqueren“, erwiderte Elydrith und schwang
sich auf Ondoher.
„Diese Reise ist zu gefährlich für dich,
Menschenkind“, sagte Elladan kopfschüttelnd. „Du
solltest mit nach Bruchtal kommen und dich dort ausruhen.“
„Ich muß aber zu Boromir“, rief Elydrith verzweifelt
und die Tränen stiegen in ihre Augen.
„Ich liebe ihn doch“, fügte sie leise hinzu.
Ciranthir hatte Mitleid mit dem Mädchen.
„Laßt mich sie begleiten, Herr Elladan“, bat
er seinen Gebieter.
Elladan zögerte, doch dann nickte er schließlich.
„Wir sehen uns in Edoras wieder, wenn alles gut verläuft“.
Und so hatte Elydrith einen neuen Begleiter und Beschützer
gefunden.
Der Weg über das Nebelgebirge war beschwerlich.
Außerdem lag bereits Eis und Schnee. Das Mädchen
war dick vermummt, um sich gegen die Kälte zu schützen.
Dem Elb schien das alles nichts auszumachen. Er trug
nur einen Umhang mit Kapuze und machte immer eine freundliche
Miene. Der Schnee wurde immer tiefer. Ondoher kam kaum
noch voran: der Schnee reichte bereits bis zu seinem
Bauch.
„Bitte, Ondoher!“, flehte Elydrith den Tränen
nahe. „Du musst es schaffen!“
Der Elb war von seinem Pferd abgestiegen und lief
leichtfüßig über den Schnee, während
sich sein Pferd durch den Schnee grub. Das Mädchen
beneidete Ciranthir, weil er sich so unbeschwert fortbewegen
konnte.
Einen Tag später hatten sie das Schlimmste überstanden:
der Gebirgspass war jetzt weniger schneereich und es
ging allmählich wieder bergab.
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16 - Das Horn Gondors
Die Ringgemeinschaft befand sich inzwischen in Lorien.
Boromir wartete immer noch auf eine günstige Gelegenheit,
um sich den Einen Ring verschaffen zu können. Aber
hier in Lorien bei den Elben war es schier unmöglich.
Er hatte an diesem Abend ein langes Gespräch mit
Aragorn geführt und hatte ihm von Minas Tirith,
von seinem Vater und seinem Bruder erzählt. Boromir
wollte vorfühlen, wie Aragorn zu Gondor stand.
Vielleicht war es am besten, wenn die ganze Ringgemeinschaft
nach Gondor wanderte. Dann würde es nicht mehr
schwer sein, den Ring Frodo abzunehmen und ihn seinem
Vater auszuhändigen. Aber Aragorn schien nicht
begeistert von dem Vorschlag zu sein, nach Gondor zu
gehen.
In dieser Nacht träumte Boromir von Elydrith:
sie erschien ihm im Traum und sah ihn traurig an.
„Warum bin ich am Leben und du bist tot?“, fragte
sie leise. In ihren Händen hielt sie sein Horn:
es war gespalten.
Erschrocken fuhr Boromir hoch. Er keuchte. Er wusste,
dass er in seinen Träumen oft die Zukunft sah -
auch Faramir hatte diese hellsichtige Gabe.
Das kann nicht sein, dachte er erschrocken. Elydrith
ist tot. Und ich werde nicht sterben.
Trotzdem ließ ihn dieser Traum nicht mehr los.
Einige Tage später reisten sie mit den Elbenbooten
auf dem Anduin weiter.
Elydrith und Ciranthir hatten die östliche Seite
des Nebelgebirges endlich erreicht. Sie waren jetzt
wieder ziemlich weit im Süden. Den Fangornwald
hatten sie umritten und nun das Hügelland, auch
Wold genannt, erreicht.
„Vielleicht haben wir sie verfehlt“, sagte Elydrith
schließlich zweifelnd.
„Das kann ich mir nicht vorstellen“, erwiderte der
Elb gelassen. „Ich vermute, dass Mithrandir sie nach
Lothlorien gebracht hat, damit sie sich dort eine Weile
in Galadriels Obhut ausruhen können. Ich denke,
dass sie nun mit Booten den Fluß hinabfahren.
Wir sollten zu den Rauros-Fällen reiten und dort
auf sie warten“.
Sie erreichten die Raurosfälle einen Tag vor
der Ringgemeinschaft. Am Amon Hên rasteten sie
schließlich. Während Elydrith schläfrig
am Lagerfeuer saß, wirkte der Elb recht beunruhigt.
Ständig verschwand er im Wald und erschien dann
wieder. Seit Gesicht wurde von Mal zu Mal besorgter.
„Mach schnell das Feuer aus, Elydrith!“, forderte
er das Mädchen plötzlich auf. „Im Wald lauern
Uruk-Hai. Sie sind auf Menschenjagd.“
Elydrith wurde ganz blaß, während sie
das Feuer austrat. Ciranthir holte inzwischen die Pferde.
„Wir müssen den felsigen Weg an den Rauros-Fällen
hinabsteigen“, sagte der Elb. „Mein Herz sagt mir, dass
wir dort unten sicher vor den Feinden sind“.
Sie brauchten fast die ganze Nacht, bis unten
im Tal ankamen.
„Ich habe keine Ahnung, wo wir hier überhaupt
sind“, meinte Elydrith unsicher. „Ist es von hier noch
weit nach Gondor?“
„Nein, wir sind bereits ganz im Osten Rohans“, erklärte
der Elb. „Nur wenige Meilen flussabwärts kann man
bereits die Wälder Nord-Ithiliens sehen“.
Sie legten sich hin, um eine Weile auszuruhen. Als
Elydrith erwachte, sah sie erschrocken, dass es bereits
fast wieder Abend war. Plötzlich hörte sie
den Ton eines Hornes. Immer wieder erscholl das Horn.
Es kam aus der Richtung vom Amon Hên.
„Das Horn Gondors“, sagte Ciranthir tonlos und trat
neben sie. „Die Ringgemeinschaft ist in Not“.
„Wir müssen ihnen helfen!“, rief Elydrith entsetzt.
Ciranthir zauderte und überlegte. Plötzlich
sahen sie Gestalten, die den felsigen Weg herabrannten.
„Die Uruk-Hai fliehen“, sagte der Elb mit gedämpfter
Stimme. „Schnell, wir müssen in Deckung gehen!“
Doch es war schon zu spät: schwarz-gefiederte
Pfeile zischten an ihnen vorbei. Die schrecklichen Unholde
hatten sie entdeckt.
„Lauf!“, befahl Ciranthir plötzlich.
Elydrith wollte widersprechen, doch da sah sie, dass
der Elb bereits von mehreren Pfeilen getroffen wurde.
Blind vor Tränen rannte sie davon. Sie kämpfte
sich durch das Unterholz, bis sie die Verfolger abgeschüttelt
hatte. Irgendwie schienen die Uruk-Hai sie auch nur
recht halbherzig verfolgt zu haben. Den Grund sah sie
bald: die schwarzen Kerle trugen zwei kleine Halblinge
bei sich. Die Beiden schienen irgendwie eine besonders
kostbare Beute zu sein.
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17 - Ithilien
Elydrith blieb solange im Gebüsch sitzen,
bis auch der letzte Uruk-Hai meilenweit entfernt war.
Dann erst wagte sie sich bang wieder heraus. Von Ciranthir
war weit und breit nichts zu sehen.
Dann sah sie die Blutspur, die zum Fluß führte.
Die Uruk-Hai hatten den toten Elb anscheinend hineingeworfen.
Das Mädchen brach in Tränen aus und ließ
sich am Ufer des Anduin nieder. Plötzlich fiel
ihr Blick auf ein kleines Boot, dass die Wasserfälle
hinunterglitt und schließlich in der brodelnden
Gischt versank. Sie hatte genau gesehen, dass in dem
Boot eine Gestalt lag. Dann sah sie plötzlich einen
Gegenstand auf dem Wasser treiben: ein rundes Schild,
das sie nur allzu gut kannte. Sie versuchte das Schild
schwimmend zu erreichen. Aber die Strömung war
zu schnell. Plötzlich sah sie ein gespaltenes Horn,
das sich im Ufergebüsch verfangen hatte. Entsetzt
stieg sie aus dem Wasser und nahm es an sich: jetzt
gab es keinen Zweifel mehr - die Gestalt im Boot war
Boromir gewesen. Er war im Kampf mit den Uruk-Hai gefallen
und seine Freunde hatten ihn auf diese Weise beigesetzt.
Elydrith brach weinend zusammen. Sie wusste nicht,
wie viele Stunden sie so dalag. Plötzlich stubste
sie etwas an. Es war Ondoher, ihr treuer Hengst. Und
wieder brach sie in Tränen aus, weil sie sich daran
erinnerte, wie Boromir ihr den Schimmel gekauft hatte.
Ondoher wieherte leise. Doch Elydrith war jetzt nicht
imstande, sich um ihr Pferd zu kümmern. Sie lag
einfach am Flussufer und weinte weiter, bis sie plötzlich
eine leise Stimme rief. Erschrocken fuhr sie hoch.
„Elydrith!“
Sie sah Ciranthir, der an ein Stück Holz geklammert,
an das Flussufer getrieben worden war.
In seinem Rücken steckten mehrere schwarzgefiederte
Pfeile. Dennoch lebte er. Elydrith half ihm ans Ufer.
„Mit mir geht es zuende“, sagte der Elb leise.
„Boromir ist tot“, schluchzte Elydrith auf. „Und
nun sollst du auch noch sterben, gerade wo ich wieder
hoffen durfte. Ich bin jetzt ganz alleine auf der Welt“.
Ciranthir versuchte ein Lächeln.
„Weine nicht, kleines Mädchen. Du musst Boromirs
Horn seiner Familie bringen. Reite nach Ithilien, das
nicht weit von hier ist und bringe Faramir das Horn.
Boromir hätte es sich so gewünscht.
Er liebte Faramir über alles“.
„Ich weiß nicht, ob ich das fertig bringe“,
jammerte Elydrith.
„Du musst es mir versprechen“, sagte der Elb mit
brüchiger Stimme. „Du hast so viel schon gemeistert
- du wirst es schaffen“.
Er drückte noch einmal ihre Hände, dann
starb er. Elydrith begrub Ciranthir unter Steinen und
Zweigen, dann ritt sie auf Ondoher davon. Das gespaltetene
Horn trug sie wie einen Schatz bei sich.
Nach wenigen Tagen erreichte sie unbeschadet die
Wälder Nord-Ithiliens. Sie hatte keine Ahnung,
wie sie Faramir finden konnte. Der sterbende Elb hatte
ihr weiter keinen Rat geben können. Eines Nachts
lagerte sie in der Nähe eines kleinen Weihers.
Ondoher war sehr unruhig. Er schien irgendeine Gefahr
zu wittern.
„Was ist denn, mein Guter?“, fragte Elydrith ängstlich.
Sekunden später tauchten vermummte Männer
aus dem Unterholz auf. Sie waren mit Pfeil und Bogen
bewaffnet. Das Mädchen konnte nur die Augen der
Männer sehen, die sie nicht gerade freundlich anblickten.
„Sieh an, ein Mädchen“, sagte einer von ihnen
grimmig. „Und es trägt unsere Waldläufertracht“.
Elydrith fiel ein Stein vom Herzen, als sie das hörte.
Dann waren das Faramirs Leute, unter die sie geraten
war. Sie blickte die vermummten Waldläufer stolz
an.
„Bringt mich zu Faramir, Euerem Hauptmann. Ich bringe
wichtige Botschaft für ihn von seinem Bruder“.
Die Waldläufer sahen sich verblüfft an.
Einer ging auf sie zu und verband ihr die Augen. Die
Anderen fesselten sie.
„Was soll das?“, schrie Elydrith wütend. „Warum
bin ich auf einmal Euere Gefangene?“
„Wir können hier niemanden trauen“, sagte der
Eine wieder. „Wir bringen dich zu einem geheimen Ort,
den Fremde normalerweise nicht betreten dürfen“.
Elydrith blieb nichts anderes übrig, als
sich in ihr Schicksal zu fügen.
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18 - Faramir
Das Mädchen merkte, dass sie in eine Art Höhle
gebracht wurde. Sie hörte ganz in der Nähe
einen Wasserfall rauschen und wunderte sich etwas. War
das etwa ein Geheimversteck der Waldläufer? Jemand
nahm er die Augenbinde wieder ab und Elydrith versuchte,
ihre Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. Sie durfte
sich auf einen Hocker setzen. Die Waldläufer betrachteten
sie argwöhnisch. Elydrith befürchtete, einen
Fehler gemacht zu haben. Vielleicht hätte sie besser
nicht nach Ithilien reiten sollen, sondern gleich nach
Minas Tirith. Dann sah sie Faramir. Sie wusste sofort,
dass er es war. Er hatte die gleiche rotblonde
Haarfarbe und die gleiche unverkennbare Nase wie Boromir.
Er war etwas vornehmer gekleidet wie die anderen Waldläufer.
Er trug ein grünes, gestepptes Hemd, einen ärmellosen
Mantel darüber und eine Wildlederhose mit Stiefeln.
Seine Miene wirkte streng und traurig zugleich. Elydrith
stand auf.
„Ihr müsst Faramir sein, der Bruder von Boromir“,
flüsterte sie aufgeregt.
Faramir wies auf das gespaltene Horn, das er in der
Hand hielt.
„Wo hast du es her, Mädchen?“, fragte er mit
beherrschter Stimme.
Elydrith begann zu erzählen. Während Faramir
sie forschend mit seinen seeblauen Augen anblickte,
erzählte sie ihm schließlich alles, von Anfang
an. Nur als sie von dem Elbenboot berichtete, das den
Wasserfall hinabgeglitten war, konnte sie sich nicht
länger zurückhalten und begann zu weinen.
Plötzlich merkte sie, wie Faramir sie tröstend
in den Arm nahm.
„Ihr glaubt doch nicht etwa dieser kleinen Diebin,
Heermeister Faramir?“, fragte einer der Waldläufer
entsetzt. „Es ist meine Kleidung, die sie trägt.
Vor einigen Monaten wurde sie mir am Anduin gestohlen“.
Faramir stand auf und sah Amrond finster an.
„Ich fühle, dass Elydrith die Wahrheit spricht“,
sagte er zu dem Waldläufer. „Ich habe Boromirs
Totenboot in einem Traum gesehen. Sie erzählte
mir von eben diesem Boot, das sie die Rauros-Fälle
hinabstürzen sah. Und was deine Kleidung anbelangt,
Amrond: so gib in Zukunft besser darauf acht“.
Amrond senkte beschämt den Blick. Elydrith sprang
auf:
„Es tut mir leid, Herr Amrond. Ich wollte das eigentlich
nicht tun. Aber ich hatte nichts außer Lumpen
zum Anziehen. Und ich wollte doch nach Rohan“.
Der Waldläufer und selbst Faramir in seiner
Trauer mussten schmunzeln über die offenen Worte
des Mädchens. Sie bekam etwas zum Essen und ein
Nachtlager. Am nächsten Morgen durfte sie zusammen
mit Faramir frühstücken.
„Du kannst leider hier nicht bleiben, Elydrith“,
sagte er bedauernd. „Ich werde dich zusammen mit einigen
Männern nach Minas Tirith schicken. Dort wirst
du das Horn Boromirs meinem Vater überbringen.
Ich werde dafür sorgen, dass es dir in Minas Tirith
an nichts fehlen soll“.
Elydrith musste am gleichen Tag aufbrechen. Zunächst
verstand sie Faramirs Eile nicht, doch dann sah sie
die Haradhrim-Verbände, die durch Ithilien zogen.
Faramir geleitete sie noch ein Stück des Weges.
Er trug seine Lederrüstung und war mit Pfeil und
Bogen bewaffnet.
„Ich muss mich nun von dir verabschieden, kleines
Mädchen. Wir werden nun die Haradhrim in einen
Hinterhalt locken und hoffentlich viele von ihnen vernichten
können. Komm du nun gut nach Minas Tirith und lebe
wohl“.
Er küsste Elydrith auf die Stirn. Das Mädchen
starrte ihm traurig nach. Was für ein edler Mann
doch Faramir war! Sie begriff nun, warum Boromir
ihn so geliebt hatte.
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19 - Minas Tirith
Elydrith war nun schon gespannt auf Denethor, dem
Vater Faramirs und Boromirs. Wenn die beiden Söhne
schon so edle Menschen waren, wie musste dann erst der
Vater sein! Sie hatte keine Ahnung, was sie erwartete,
denn Boromir hatte nie ein böses Wort über
seinen Vater verloren. Sie war noch nie in Minas Tirith
gewesen. Der Anblick der wuchtigen Stadt mit den sieben
Festungsringen alleine erschlug sie schon fast. Es dauerte
über eine Stunde, bis sie ganz nach oben in den
siebten Festungsring gelangten, wo die Zitadelle mit
dem Weißen Turm lag.
Zwei Palastdiener führten Elydrith und die drei
Waldläufer, die sie begleiteten, in den großen
Thronsaal, wo Denethor sie bereits erwartete.
Das Mädchen begann zu zittern, als sie in die
grausamen, dunklen Augen eines verbitterten, alten Mannes
blickte. Nein, so hatte sie sich Denethor wirklich nicht
vorgestellt. Sie hatte an einen gütigen, freundlichen
Menschen gedacht, der sich so wie seine Söhne verhielt.
„Faramir schickt dich also zu mir, kleines Ding“,
sagte der Truchseß unfreundlich. „Ich dachte mir
schon, dass er sich wieder mal sträubt, selbst
zu mir zu kommen“.
„Herr Denethor, Faramir leitet gerade einen Feldzug
gegen feindliche Haradhrim-Verbände“, meldete sich
Amrond zu Wort.
Der Truchseß nahm Amronds Worte kaum zur Kenntnis.
Stattdessen stierte er auf das zerborstene Horn, das
Elydrith ihm schüchtern überreichte.
„Sage nicht, Boromir sei gefallen!“, herrschte er
das Mädchen an.
Elydrith traute sich nichts mehr zu sagen. Sie senkte
errötend den Kopf.
„Sie hat gesehen, wie Boromir, in einem Elbenboot
bestattet, die Raurosfälle hinunterglitt, mein
Herr“, sagte Amrond an ihrer Stelle.
„Stimmt das?“, herrschte Denethor das Mädchen
an.
Elydrith nickte.
„Kannst du nicht mehr sprechen, hast du die Sprache
verloren?“, polterte der Truchseß weiter.
Dadurch schüchterte er das Mädchen nur
noch mehr ein.
„Geht mir aus den Augen“, sagte Denethor schließlich
kalt und riß Elydrith das gespaltene Horn aus
den Händen.
„Mein Herr, Faramir hat angeordnet, dass Elydrith
in der Zitadelle wohnen darf und es ihr an nichts fehlen
soll“, sagte Amrond schnell noch.
Denethor lächelte verächtlich:
„So so, Faramir hat das angeordnet. Ist er der Truchseß
oder ich? Aber ich bin kein Unmensch. Das Mädchen
soll beim Gesinde wohnen dürfen“.
Als die Vier den Thronsaal verlassen hatten, konnte
Denethor sich nicht mehr länger beherrschen und
er begann hemmungslos zu weinen, das Horn auf seinen
Knien.
Einige Wochen später:
Der Ringkrieg war vorüber. Elydrith hatte in
der Zitadelle richtig abgeschirmt gelebt. Die meisten
Schrecknisse der Schlacht um Minas Tirith hatte sie
dort oben gar nicht mitbekommen. Die einzig schlimme
Nachricht, die sie erreichte, war die von Faramirs schwerer
Verwundung und Denethors Tod durch seinen selbst errichteten
Scheiterhaufen.
Dann sah sie eines Tages zusammen mit der anderen
Dienerschaft die ehemalige Ringgemeinschaft, die in
den Palast zusammen einzog. Das waren also Boromirs
ehemalige Gefährten: ein Waldläufer, ein Elb,
ein Zwerg und vier Hobbits. Und es hieß, dass
der Waldläufer namens Aragorn zum König gekrönt
werden sollte.
Sicherlich ist er ein besserer Mensch als Denethor,
dachte Elydrith optimistisch.
Sie erstarrte, als sie in den Gängen des Palastes
Éomer von Rohan wiedersah. Auch er war erstaunt,
sie hier wieder zu sehen.
„Wie kommst du hierher, kleine Elydrith?“, fragte
er lächelnd, doch Elydrith sah, dass seine Augen
nicht mitlächelten. Irgendein großer Kummer
lastete auf seinem Herzen.
„Das ist eine lange Geschichte, Herr Éomer“,
sagte das Mädchen leise. „Ihr wisst ja bestimmt
schon von Boromirs Tod“.
„Ja, dieser Krieg hat schreckliche Opfer gefordert“,
erwiderte Éomer traurig. „Theoden und sein Sohn
sind gestorben und meine Schwester wurde schwer verletzt“.
„Theodrid ist tot?“, fragte Elydrith den Tränen
nahe.
Sie konnte es nicht fassen, dass der junge Mann,
der in Edoras so freundlich zu ihr gewesen war, nun
auch tot sein sollte.
„Und Éowyn?“, hakte sie nach.
„Sie befindet sich noch in den Häusern in der
Heilung“, meinte Éomer etwas fröhlicher.
„Es geht ihr schon wieder ganz gut“.
„Darf ich sie besuchen?“, fragte Elydrith eifrig.
„Aber natürlich“.
Das ließ sich das Mädchen nicht zweimal
sagen und lief zu den Häusern der Heilung, die
sich ebenfalls im siebten Festungsring der Stadt befanden.
Elydrith beschloß bei dieser Gelegenheit sich
auch nach Faramirs Wohlergehen zu erkundigen.
Éowyn saß auf einer Bank im Garten,
als Elydrith zu ihr kam. Sie lächelte, als sie
das Mädchen erkannte.
„Ich hoffe, Ihr seid mir nicht mehr böse wegen
damals“, sagte Elydrith verlegen. „Ich bin ja einfach
heimlich fortgegangen aus Edoras, ohne Euch etwas zu
sagen.“
„Das ist schon gut, Mädchen“, sagte Éowyn
lachend. „Ich habe schon gehört, was du alles erlebt
hast. Mein Angebot steht übrigens immer noch. Du
kannst also gerne meine Kammerzofe werden.“
„Ich weiß nicht, ob ich noch mal nach Edoras
will“, gestand Elydrith. „Die Erinnerungen an damals,
als alle noch lebten, sind zu frisch“.
„Du sollst ja gar nicht nach Edoras“, meinte Éowyn
immer noch lächelnd. „Ich werde hier bleiben in
Gondor“.
Elydrith sah die Eorlinga ganz erstaunt an.
„Ja warum denn?“
„Du bist vielleicht neugierig, Kind“, sagte plötzlich
Faramir, der dazugekommen war.
Er setzte sich zu Éowyn und gab ihr einen
Kuß.
Elydrith war sprachlos, als sie dieses Liebesglück
sah. Dann war also Boromirs Wunsch, dass die Beiden
ein Paar würden, in Erfüllung gegangen. Die
Freudentränen liefen an ihren Wangen herunter.
„Warum weinst du denn?“, fragte Faramir erstaunt,
während er Éowyns Hand hielt.
„Weil Boromir sich das so sehr gewünscht hat“,
sagte sie schnell und lief davon.
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Epilog:
Die Hochzeit von Faramir und Éowyn wurde in
aller Pracht in Edoras gefeiert. Natürlich war
Elydrith dabei. Eine glückliche Zukunft erwartete
das junge Mädchen in Emyn Arnen, das in Ithilien
lag. Dort war sie mehrere Jahre lang Éowyns Kammerzofe,
bis auch sie endlich neues Liebesglück fand. Sie
heiratete schließlich den Waldläufer Amrond,
der ihr schon seit dem Ringkrieg den Hof gemacht hatte.
Doch ihre Liebe zu Boromir bewahrte sie stets in einem
Teil ihres Herzens.
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