Titel: Abschied
Autor: Lady of Gondor


Regentropfen fielen unaufhörlich auf die Straßen nieder und ließen Minas Tirith grau und eintönig wirken. Trotzdem der Mittag weit voran geschritten war, waren die Straßen verlassen. Niemand schien dem Regen und dem Wind gewachsen zu sein. Einsam und verlassen tanzte die Flagge des Königreichs Gondor im Wind...schwarz und weiß, doch selbst der Baum und die Sterne wirkten verblasst. Ja....auch der Himmel weinte, begleitet von dem traurigen Lied des Windes.

Doch ein einsamer Reiter kämpfte sich durch Wind und Regen. Leise hallten die Hufschläge auf dem Steinboden wieder. Er hatte die Kapuze tief in sein Gesicht gezogen und trotzdem strahlte er Traurigkeit und Schmerz aus. Sein Umhang sowie das weiße Fell des Pferdes waren von der Reise gezeichnet. Für einen kurzen Moment blickte er auf und atmete tief ein. Zielstrebig lenkte er sein Pferd schließlich auf die Häuser des Königs zu. Auch hier herrschte Stille und er spürte die Trauer, die überall auf den grauen Steinen lastete. Ein junger Mann lief ihm entgegen und verbeugte sich, als er sein Pferd zügelte.

Lange war es her, dass er Luinir begegnet war und erst jetzt wurde er sich bewusst, wie lange er diese Stadt schon nicht mehr betreten hatte. „Mein Herr Legolas...ihr werdet schon erwartet.“ Die Stimme des Stallburschen war leise und er wagte es nicht, dem Elben in die Augen zu sehen. „Es steht nicht gut um ihn...Arwen ist an seiner Seite, aber sein Geist scheint nur auf euch zu warten, bevor er diese Welt verlässt.“ Legolas unterdrückte die Tränen und stieg ab. Er berührte Luinir leicht an der Schulter und dankte ihm auf elbisch, eine Sprache, die der junge Mann liebte.

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Langsam betrat er die Wohnstätte seines Freundes und spürte die Ketten um sein Herz, die mit jeder Sekunde enger wurden. Seine Schritte wurden immer schwerer, je näher er den Gemächern seines Freundes kam. Alles hier schien im fremd zu sein, obwohl er schon so oft Gast in diesem Hause war. Legolas fühlte sich hier, wo alles von Menschenhand geschaffen wurde, zum ersten Mal nicht wohl, sondern wie in einem Gefängnis. Es fiel ihm schwer, weiterzugehen und doch wusste er, dass dieser Weg beschritten werden musste. Seine Gedanken tauchten in die Vergangenheit ein und verweilten dort....flüchteten vor der grausamen Realität, die so greifbar nah war.

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Ihre Wege hatten sich vor langer Zeit gekreuzt und seit diesem Tag nannten sie sich Freunde. Er der Prinz aus dem Düsterwald und Estel, dessen Schicksal das eines Königs war. Stunden von Glück, Freude aber auch Trauer und Leid erlebten sie zusammen und nie trübte etwas ihre Freundschaft. Die dunklen Pfade zum Zwecke der Ringvernichtung bestritten sie Seite an Seite. Mehr als einmal war diese Mission knapp vor dem Scheitern und eine falsche Entscheidung hätte sie ins Verderben geführt. Doch selbst in dieser dunklen Zeit zweifelte Legolas nicht an seinem Freund und dessen Führung. Oftmals war es nur das Wissen, den anderen an seiner Seite zu haben, das Zweifel und Finsternis in ihnen niederkämpfte. Der junge Prinz wäre damals für Aragorn in den Tod gegangen, denn sein Schicksal galt es zu beschützen. Er liebte den Menschen wie einen Bruder und hatte stets ein Auge auf ihn, so wie auch Aragorn den Elben nie aus dem Blick verlor. Nur ihm vertraute Aragorn das Geheimnis an, welches in seinem Herzen wohnte.

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Legolas hatte es jedoch schon längst geahnt, denn Augen waren das Tor zur Seele und für ihn war Aragorn fast schon ein offenes Buch. Er sah die Liebe in ihnen, die sein Freund empfand. Aber es war nicht die Liebe zu Arwen, die dem zukünftigen König ihr Herz geschenkt hatte. Nein...es war die tiefe Zuneigung zu dem Krieger aus Gondor, der ebenfalls mit ihnen aufgebrochen war. Die gegenseitige Verachtung war eine schützende Fassade, die in der anhaltenden Dunkelheit von Moria zerbrochen war. Was ihr Denken verleugnete, ihr Herz jedoch seit der ersten Begegnung wusste, wurde ihnen dort offenbart. Sie verloren sich in der tiefen Liebe zueinander und wollten alle Wege gemeinsam überstehen. Doch das Schicksal hatte andere Pläne mit ihnen.

Über Boromirs Herz legte sich ein dunkler Schatten, der den Krieger oftmals zweifeln ließ....an sich selbst, der Mission und nicht zuletzt an dem, den er liebte. Die Angst um sein Volk machte sich der Feind zur Verbündeten und langsam schlich sich das Verlangen nach dem Ring in seine Seele. Selbst in Lorien kam der blonde Mann aus Gondor nicht zur Ruhe und die Liebe zwischen ihm und Aragorn wurde auf eine harte Probe gestellt. Des Feindes Wille hatte Zwiespalt zwischen ihnen gesät, aus dem eine Auseinandersetzung entstand, die das geteilte Vertrauen erschütterte. Damals war Legolas unfreiwillig Zeuge dieses Streits und schon damals hätte er ihn als Vorbote für das Unglück sehen müssen.

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Ihr Aufenthalt in Lorien sorgte jedoch dafür, dass auch Boromir für kurze Zeit zur Ruhe kam. Trotzdem ging er oft eigene Wege und nicht einmal die Hobbits konnten seine Sehnsucht nach Aragorn für Augenblicke vergessen machen. Doch die Valar wollten den Gondorianer noch einmal lächeln sehen, bevor sich sein Schicksal erfüllen würde. Eine sternenklare Nacht ließ all den Streit zwischen Boromir und Aragorn schwinden und sie liebten sich im Angesicht der Sterne. Als sie am nächsten Morgen zum Lager zurückkamen, musste Legolas keine Fragen stellen, denn ihre Augen sprachen mehr als 1000 Worte. Nichts schien mehr ihre Liebe, oder den gemeinsam zu gehenden Weg zu durchkreuzen.

Hatte sich das Schicksal für diese Zeit zum Guten gewendet, schien der Anduin sie in die Dunkelheit zu führen. Erneut fielen zwischen den beiden Menschen harte Worte und Aragorn suchte Trost in der Nähe von Legolas, während Boromir mit seinen Zweifeln alleine war. In diesem Moment wurde die Freundschaft zwischen dem Elbenprinz und Aragorn auf eine harte Probe gestellt. Legolas wollte Boromir helfen, denn er sah in der Liebe der beiden Menschen das Licht für die verdunkelte Seele des Kriegers und somit seine Rettung. Doch er entschied sich dagegen und spendete Aragorn Trost. Ein Fehler...denn niemals kam ein Wort des Bedauerns über die Lippen der Menschen. Misstrauen und Wut hatten die Stimme des Herzens geknebelt und den Kampf gegen die Liebe gewonnen.

An diesem Tag schlug das Schicksal hart zu und während Boromir sein Leben im Kampf ließ, brach mit dem letzten Atemzug des Kriegers Aragorns Herz. Erst jetzt erkannte der zukünftige König, dass die einem gegebene Zeit so genutzt werden sollte, dass man keine Sekunde davon bereute. Doch es war zu spät....die Worte waren gesprochen, Verletzungen zugefügt und im Streit hatten sie sich getrennt, nichts konnte die verlorene Zeit wieder zurückholen. Legolas sah den Schmerz in Aragorns Augen und wusste, dass sich seine Seele mit der von Boromir auf den Weg in die Hallen der Menschen machen würde.....dort auf immer vereint, bis auch Aragorns Schicksal sich erfüllen würde.

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Auch jetzt erinnerte sich Legolas an diese dunkle Stunde, über die sein Freund nie hinweg gekommen war. Elben starben an einem gebrochenen Herzen, doch er war ein Mensch und konnte dem überwältigenden Schmerz bis an sein Lebensende nicht entkommen. Selbst in den letzten Jahren führten Aragorns Wege in die Einsamkeit und trotzdem er Arwen geheiratet hatte, war sein Herz nicht bei ihr. Einen Teil hatte Boromir damals mit auf den Weg in die Hallen seiner Väter mitgenommen. Und nun schien es so, als würden sie wieder zueinander finden....der Krieger und der König. Unbemerkt hatte sich eine einsame Träne über Legolas‘ Wange gestohlen und er fürchtete sich vor dem Augenblick, von dem er nur noch wenige Schritte entfernt war. Wieder würde er mit ansehen müssen, wie ein guter Freund die Welt verließ, während er immer noch hier weilte. Doch es gab kein zurück....ihre Freundschaft hatte Krieg und Zerstörung überdauert und Legolas war es Aragorn schuldig, im Moment des Todes in seiner Nähe zu sein.

Leise klopfte er an die schwere Holztüre und wartete auf eine Reaktion. Es dauerte einen Augenblick, bis ihm geöffnet wurde. Legolas erschrak, als er in das Antlitz seines Gegenübers blickte. Die Augen, sonst strahlend schön, wirkten erschöpft und fast leblos, während ihre frühere Anmut und Schönheit dem Kummer zum Opfer gefallen waren. Unnatürlich blass war ihre Haut und die Haare schienen sämtlichen Glanz verloren zu haben. Der Abendstern, hell und strahlend, verbarg sich vor dem Leid der Welt. Ohne ein Wort zu sagen, nahm er Arwen in die Arme und drückte somit mehr aus, als mit jeder gesprochenen Silbe möglich war. Legolas spürte das Zittern ihres Körpers und wusste von den Tränen, die ihr Herz wie auch ihre Augen vergossen. Sanft streichelte er der Elbin über den Rücken. Wie damals mit Boromir ein Teil von Aragorn starb, würde jetzt auch ein Teil von Arwen zerbrechen. Nie wieder würden die Völker Mittelerdes den Glanz des Abendsterns sehen. Aber auch er selbst spürte, wie er an diesem Leid zerbrach.

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Legolas zog Arwen behutsam mit sich und schloss leise die Tür. Der Raum war abgedunkelt und der Wind spielte mit den Vorhängen, da ein Fenster geöffnet war. „Er hat das Geräusch des Regens immer geliebt....“ Arwens Stimme brach bei diesen Worten und Legolas verstand. Sie wollte ihm noch einmal ermöglichen, die fallenden Regentropfen zu hören. Wie Tränen klangen sie, als sie auf den Steinboden trafen. Langsam schritt Legolas auf das große Bett zu, dass im Schein einiger Kerzen lag. Tränen rannen über die Wangen des Elben, als er vor dem Bett kniete und seine Augen über die Gestalt seines Freundes gleiten ließ. Alt war der König von Gondor geworden, doch strahlte er selbst jetzt noch etwas aus, dass Legolas immer fasziniert hatte. Stolz und Stärke vereinigten sich in seinem Blut und die grauen Augen hatten selbst auf dem Sterbebett ihren Glanz nicht verloren.

Langsam griff er nach der Hand des Freundes, der in seinem Leben einen wichtigen Platz eingenommen hatte. Ihre Blicke trafen sich und Legolas sah in den weisen Augen des Königs ein Lächeln....ein Lächeln, dass von Herzen kam. „Mein alter Freund....lange wandelten wir auf demselben Weg...doch....meine Zeit...sie ist vorüber, ich spüre es. Du und mein Abendstern....ihr...ich habe keine Angst, wenn ihr an meiner Seite seid. Es war mein letzter Wunsch....“ Ein tiefer Atemzug unterbrach Aragorns Worte und Legolas spürte, wie sich die rauhen Finger des Menschen an seine klammerten. Arwen war nun auch an das Bett getreten und streichelte sanft eine graue Strähne aus Aragorns Gesicht. „Wir sind bei Dir Estel...Hoffnung der Menschen.“ Ihre Stimme war von Tränen erstickt, denn auch sie spürte, dass nicht mehr viel Zeit blieb. Stille trat ein, die nur von den schweren Atemzügen des Königs von Gondor unterbrochen wurde.

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Erschöpft schloss Aragorn seine Augen. Das Atmen fiel ihm immer schwerer und doch lächelte sein Herz. Die beiden Geschöpfe, die ihm am meisten am Herz lagen....von denen, die den Krieg überlebt hatten....waren an seiner Seite und würden ihn halten, bis sein letzter Atemzug vollbracht wurde. Diese Erkenntnis nahm ihm viel Angst und nur die Sorge um seinen Abendstern und Legolas blieb. Er spürte die Nähe der beiden....fühlte die zarten Berührungen von Arwens Fingern und die Geborgenheit vermittelnde Hand von Legolas. Für einen Moment hatte er das Gefühl, einen längst vermissten Blick auf sich ruhen zu haben. Leise Worte drangen plötzlich an sein Ohr. „Mein König....mein Geliebter. Die Zeit ist gekommen, in der unsere Seelen sich wieder vereinen. Hab keine Angst, ich werde Deine Hand nehmen und Dich nie mehr alleine lassen. Zu jeder Zeit habe ich über Deinen Weg gewacht und auf Dich gewartet.“ Verwirrt öffnete Aragorn seine Augen und konnte die Träne auf seiner Haut spüren, die langsam über seine Wange lief. Diese Stimme war so nah und plötzlich sah er ihn. Ein heller Glanz umgab den Menschen, der neben seinem Bett stand und ihn anlächelte. Die Wunden des Krieges waren von seinem Antlitz verschwunden und die grünen Augen strahlten wie in ihrer letzten gemeinsamen Nacht. Er war schöner, als er es zu Lebzeiten je war und Aragorn konnte seinen Blick nicht von ihm abwenden. Er war gekommen....gekommen um ihn auf seinem letzten Weg zu begleiten. Eine weitere Träne stahl sich aus seinen Augen. „Er ist hier...Boromir, er ist gekommen.“

Legolas sah überrascht auf und blickte sich im Raum um. Außer Arwen war niemand mehr anwesend und doch spürte der Elb, dass Aragorns Worte wahr waren. Er sah Arwen an, die verwirrt auf ihren Ehemann blickte. Der Elb lächelte leicht vor sich hin...endlich würden die beiden Liebenden wieder zusammenfinden. Durch Tod getrennt und durch den Abschied des Lebens wieder vereint. Er wusste, dass sein Freund auch mit Arwen glücklich gewesen war, aber nie hatten seine Augen so sehr gestrahlt, wie sie es bei Boromir vermocht hatten.

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Besorgt hatte sich Arwen neben ihn gesetzt und küsste die Tränen von des Königs Wangen. Aragorns Finger berührten langsam die warme Haut und streichelten über das Gesicht der Elbin. Er wollte ihre alterslosen Züge ein letztes Mal unter seinen Fingerspitzen spüren und sie in Erinnerung behalten. Ihre Augen waren voller Schmerz und der leichte Schimmer, der sie immer umgab, war fast erloschen....es tat Aragorn weh, sie so zu sehen. Seine Hand glitt hinab und verharrte über ihrem Herzen. Der König über Gondor spürte den Herzschlag und lächelte schwach. Für ihn war Arwen immer der hellste Stern am Himmel gewesen, nachdem Boromir gefallen war. Sie hatte ihm die verlorene Kraft gegeben, die Trauer und Krieg mit sich genommen hatten. Es gab nie einen Augenblick, in dem er seine Frau nicht geachtet oder geliebt hatte....und nun sollte er sie hier zurücklassen, gefangen in Trauer und Schmerz.

Still beobachtete Legolas die zärtliche Geste. Für einen Moment war er versucht, die Gemächer zu verlassen und den beiden noch ein wenig Zeit alleine zu geben. Doch der Blick seines Freundes hielt ihn davon ab. „Bleib Legolas.....ich will auch Dich an meiner...meiner Seite wissen.“

Sein Griff um Legolas‘ Hand wurde fester....er wollte seinen treuen Weggefährten nicht gehen lassen. Zu kurz war die Zeit, die ihm noch blieb und er wollte keine Sekunde davon verschenken. Arwen...sein kleiner Abendstern...sie würde am meisten leiden und das hatte sie nicht verdient. Für ihn hatte sie ihre Unsterblichkeit gegeben und jetzt konnte er sie nicht mehr in seinen Armen halten....ihr Trost in dunklen Stunden geben oder von ihrer Liebe erfüllt werden. Aragorn wollte seine Frau in dieser schweren Stunde nicht allein lassen und er wusste, dass Legolas da wäre, um sie vor dem Abgrund aufzufangen.

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Eine plötzliche Berührung, zart und kaum wahrnehmbar, ließ ihn aufsehen. Sanfte Hände streichelten durch sein Haar, über sein Gesicht und fast war es so, als hätte jemand die Zeit zurückgedreht. Aragorn war wieder in Lorien und atmete den vertrauten Geruch seines Geliebten tief ein. Starke Arme hielten ihn in einer liebevollen Umarmung gefangen, während eine sanfte Stimme Wörter der Liebe in sein Ohr flüsterte. Auch jetzt war Aragorn erstaunt, wie zärtlich und sanft der eigensinnige Krieger aus Gondor sein konnte. War er sonst stolz und stark, gab er sich in seiner Nähe verletzlich und empfindsam. Trotzdem liebte er mit der Intensität, die er auch im Kampf einsetzte. Tief in seinem Inneren wusste Aragorn, dass diese Zeit, dieser Ort nur ein verzweifelter Wunsch seines Herzens war und doch wollte er nicht zurück in seine Gemächer, wo er den Tod finden würde. Boromir schien diese Gedanken zu spüren, denn er legte Aragorn einen Finger auf die Lippen. „Shhhhhht...mein König. Es ist nicht nötig, das auszusprechen, was Dein Herz weiß. Wie gerne würde ich Dich hier zurücklassen, aber Deine Zeit ist gekommen Aragorn.
Man muss Abschied nehmen können, wenn man weitergehen will und Dein weiterer Pfad ist vor Dir ausgebreitet.“ Boromirs Stimme war leise und Tränen verschleierten den Blick des Kriegers, als er Aragorn anblickte. Er kannte den Schmerz, wenn man einen geliebten Menschen zurück ließ und der einen selbst im Angesicht des Todes nicht losließ. „Und man muss loslassen können, denn dann hat man beide Hände frei und kann seine Flügel ausbreiten.“ Er hauchte Aragorn einen Kuss auf die Stirn und entließ ihn aus seinen Armen.

Einen Augenblick später befand sich Aragorn wieder in seinem Bett. Er vernahm seinen Namen und ihm entging der panische Ton der Stimme von Arwen nicht. Müde schlug er seine Augen auf und blickte die Elbin an. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er für einen Moment in einen Zustand der Bewusstlosigkeit geglitten war. „Ich...wir...wir hatten Angst...“ Sie vollendete ihren Satz nicht und barg ihren Kopf auf der Brust des Königs. Noch vernahm sie seinen Herzschlag, doch er war schwach und langsam. Aragorns Blick fand den von Legolas und er erkannte auch in dessen Augen Tränen. Sie wussten es...sie wussten es genauso, wie er es auch selbst wusste. Seine Zeit unter den Sternen Mittelerdes war vorüber und er konnte nur noch Abschied nehmen. Erneut fiel Aragorns Blick auf Boromir, dessen Augen vor Trauer verdunkelt waren. Langsam strich der König über das Haar von Arwen und nahm schließlich ihre Hand. „Verliere nie Dein Leuchten schönster Stern von allen. Ich habe...habe Dich immer geliebt und werde Dich immer in meinem Herzen tra...tragen.“ Bei diesen Worten sah Arwen auf und führte die Hand ihres Mannes an ihre Lippen, bevor sie ihm einen zärtlichen und letzten Kuss schenkte. Die Zeit schien in diesem Moment stehen zu bleiben und doch konnte er nicht ewig dauern. Langsam löste sich die Elbin von Aragorn und senkte ihr Haupt. Aragorn spürte die Tränen, die seine Tunika durchnäßten und fühlte ihre Trauer tief im Herzen.

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Ohne seine Frau loszulassen, wandte sich der König an Legolas. Er drückte die Hand des Freundes noch einmal und lächelte ihn schwach an. „Hannon le, mellon nîn.“ Es bedurfte nicht mehr Worte zwischen ihnen, denn Legolas verstand die Botschaft. Er kämpfte die Tränen nieder, die sein Herz weinte und hauchte Aragorn einen Kuss auf die Stirn. „Leb wohl Elbenstein...mögen die Valar über Dich wachen.“

Doch Aragorn vermochte dies nicht, denn Tränen rannen über seine Wangen. Er bemerkte, wie Boromir näher an das Bett herantrat und spürte die sanften Liebkosungen. Wie zart die Hände eines Kriegers im Angesicht der Liebe sein konnten. „Es ist Zeit mein König. Die Sterne warten auf uns.“ Ein trauriges Lächeln lag bei diesen Worten auf Boromirs Lippen und er blickte Arwen und Legolas an. Er schätzte sie beide und doch nahm er ihnen jetzt den Menschen, der in ihren Herzen wohnte. Langsam beugte er sich über Aragorn und streichelte eine graue Haarsträhne aus seinem Gesicht. Obwohl der frühere Waldläufer alt geworden war, strahlte er immer noch Schönheit, Wissen und Stolz aus. Alles erinnerte an den Mann, der er einst gewesen war....nur der Glanz seiner Augen erlosch langsam. Der Gondorianer lächelte sanft und fuhr mit seinen Fingern die Züge Aragorns nach. „Du bist so schön Estel...selbst jetzt.“ Sekunden später schloss Boromir seine Augen und berührte mit seinen Lippen die des Königs. Ein heller Lichtstrahl durchzuckte Aragorn, als sich ihre Lippen berührten und sich in einer Geste der Liebe vereinten....einer Liebe, die über den Tod hinausging. Noch einmal spürte Aragorn die haltende Hand von Legolas und fühlte die Tränen seiner Königin auf seiner Haut. Wärme erfüllte ihn und er wusste instinktiv, dass diese Wärme von Boromir kam. Seine Sinne nahmen nur noch den sanften Kuss wahr, der ihm Flügel schenkte. Alles andere...Arwen, Legolas und sein Gemach versank langsam in einer tiefen Dunkelheit. Aragorn wollte umdrehen, doch Boromir hielt seine Hand und führte ihn dem Licht entgegen. Hell und strahlend war es....das Gegenteil der verschlingenden Dunkelheit hinter ihm. Licht und Dunkelheit gehörten zusammen, so wie Leben und Tod unüberbrückbar zusammengehörten und nun verschmolz dies in der Ewigkeit.

In diesem Augenblick vernahm Arwen, deren Kopf immer noch an der Brust des Königs verweilte, den letzten Herzschlag Aragorns. Verzweifelt sah sie auf und erkannte das Lächeln auf Aragorns Lippen. Seine Augen waren geschlossen und er sah fast so aus, als ob er nur schlafen würde. In einer Geste aus unendlicher Traurigkeit streichelte die Elbin zärtlich über das vom Alter geprägte Gesicht und beugte sich zu ihm hinab, um seine Lippen noch einmal zu berühren. Tränen benetzten sein friedliches Gesicht und Arwens Trauer war nicht länger zurückzuhalten.

Legolas senkte seinen Kopf und spürte, wie ihm die Hand von Aragorn entglitt. Auch er konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Schließlich stand er auf und führte seine rechte Hand zu seinem Herzen. „Ruhe in Frieden...Sohn Gondors, Hoffnung der Menschen und geliebter Elbenstein.“ Wie sehr hatte Legolas diesen Moment gefürchtet und nun war er gekommen. Wortlos griff er nach Anduril und legte das Schwert dem König in die Hände. Ehrfürchtig verbeugte er sich „Hiro hon hîdh ab'wanath”
und trat dann zu Arwen, deren Tränen dem Regen glichen. Sanft nahm er die Elbin in den Arm und streichelte ihr behutsam die Tränen von der Wange. Doch kein Wort kam über seine Lippen, zu groß war die Trauer um Aragorn. Sie hielten einander fest und teilten so den Schmerz über diesen Verlust....ein Verlust, der den Glanz aus den Augen der beiden Elben gestohlen hatte.

Nur das Wissen, dass Aragorn nun durch den Tod mit Boromir vereint war, ließ Legolas traurig lächeln. Ja...der Krieger aus Gondor war gekommen, um den König zu holen...ihn in die Hallen ihrer Väter zu begleiten. Dort würde ihre Liebe auf ewig vereint sein, so wie die beiden Liebenden. Und zurück blieb Arwen, die am Schmerz des Todes schwinden würde und er selbst, in der ständigen Qual gefangen, die die ihm am Herzen lagen durch den Tod zu verlieren, während er unsterblich war.

Das Los der Unsterblichkeit...Geschenk und gleichzeitig Qual


** Hiro hon hîdh ab'wanath = Möge er Frieden finden nach dem Tod
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Hannon le, mellon nîn = Danke, mein Freund.

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