Titel: Loslassen
Autor: Lady of Gondor


Fassungslos halte ich deine Hand und blicke hinunter auf deinen zerstörten Körper. Die schwarzen Pfeile der Uruks haben sich tief in deine Brust gegraben und halten dich nun in einer tödlichen Umarmung. Ich will etwas sagen, doch fehlen mir die Worte, will dich beruhigen, doch fehlt mir dazu der Mut. Noch nie kam ich mir so hilflos vor...ich der zukünftige König Gondors. Doch hier, in diesem Augenblick sind meine Hände gebunden, meine Seele in dem Anblick deines Leides gefangen.

Obwohl es einen tiefen Schmerz in mir hinterlässt, so weiß ich doch, dass dies hier dein letzter Kampf gewesen sein wird. Des Bösen Hand hat dich zu schwer verletzt, als das die heilenden Hände meiner Bestimmung dich noch retten könnten. Die Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag mitten ins Gesicht. Nie wieder wirst du dich stolz und stark der Übermacht des Feindes entgegenstellen. Dein unbezwingbarer Mut scheint unter meinen Augen zu schwinden und mit jedem deiner schwachen Atemzüge zu verblassen.

So vieles geht mir in diesem Augenblick durch den Kopf. Dinge, die unwichtig sind und doch erscheinen sie mir jetzt von so großer Bedeutung. Ich will dich festhalten in diesem aufgewühlten Meer des Schmerzes, doch die Wellen treiben mich davon. Mein Herz ruft nach dir, oh Juwel Gondors und ich vernehme die Erwiderung deines Herzens so deutlich. Trotzdem erreiche ich deine nach mir ausgestreckte Hand nicht.

Es schmerzt so sehr, dich so zu sehen und zum Nichtstun verdammt zu sein. Dein Körper, einst so stark und kräftig ist nun nur noch ein schwindendes Abbild deines Wesens. Aber was mich noch viel mehr erschreckt, sind die silbernen Perlen, die über deine Wangen in den Abgrund stürzen. Niemals zuvor habe ich die schimmernden Zeugen von Schmerz oder Trauer auf deinem Antlitz gesehen. Und nun offenbaren sie die Schwächen eines starken Kriegers.

Doch für mich ist es kein Ausdruck von Schwäche, denn nie hattest du Angst vor dem letzten Atemzug unter den Sternen Ardas. Sie sind der Spiegel deiner Seele und ein Ausdruck von wahrer Stärke. Du trauerst um uns und darum, dass du dein Versprechen gegenüber mir nicht halten kannst. Denn einst sagtest du mir, dass du an meiner Seite stehen würdest, bis das Licht der Welt sich für mich verdunkeln würde und ich in die Hallen meiner Vorväter eingehen würde. Und nun fallen mir diese Worte wieder ein.....hier am Ende deiner Reise.

Hier werden sich jedoch unsere Wege trennen, denn du wirst dahin gehen, wohin ich dir noch nicht folgen kann. Nie wieder werden sich unsere Herzen mit der Einheit unserer Körper vereinen und nie wieder wird dein stolzes Gesicht in Freude und Leidenschaft erstrahlen. Niemals mehr werde ich in deine Augen blicken können, wenn dich die Liebe mitnimmt auf ihrem Weg zu den Sternen und niemals mehr werde ich in der Geborgenheit deiner Arme aufwachen.

Vergessen ist deine Schwäche gegenüber dem Ring. Du hast deine Schuld so hoch bezahlt und tapfer gekämpft. Dein Leben gegen die Bürde deines Versagens....ein hoher Preis.

Ich spüre deine Hand, wie sie hilfesuchend nach der meinigen greift. In deinen Augen steht nun Angst, aber vor allem eine tiefe Trauer und ich versuche dir in diesem Moment ein Fels in der stürmischen See zu sein. Deine Hand verkrampft sich unter den Wellen des Schmerzes und ich wende meinen Blick kurz ab, denn Tränen verschleiern meinen Blick. Doch ich will dir dies nicht zeigen, muss ich doch stark sein....für dich, für uns.

Meine Augen ruhen auf deinem Antlitz, das so blass ist und ich will schreien, die Valar anflehen, dich nicht aus meiner Umarmung zu reißen. Ich kann nicht einfach zulassen, dass dein Leben unter meinen Händen schwindet. "Lass, es ist vorbei." Nur schwach vernehme ich deine gebrochene Stimme, will aber ihre Worte nicht wahrhaben. Als ich jedoch in deine Augen sehe, weiß ich um die Wahrheit dieses einen Satzes. Ich erinnere mich daran, dass ich dir versprochen habe, dich durch meine Arme zu schützen. Ein Versprechen, dass wie dein Leben unter meinen Händen schwindet.

Trotzdem bin ich nicht bereit, dich gehen zu lassen. Wir haben noch soviel vor uns und Gondor braucht dich mehr, als einen König ohne Krone. Du bist das Juwel dieser Stadt, ein wahrer Sohn Gondors, auf dessen Rückkehr gewartet wird. Und dieses Juwel darf seinen Glanz nicht verlieren. Diese Worte will ich heraus schreien, doch sie wollen nicht über meine Lippen kommen. Gleichzeitig will ich dich dazu auffordern, den Kampf nicht aufzugeben und das obwohl mein Herz schon lange weiß, dass es keine Hoffnung mehr gibt.

Wo Liebe ist, da ist auch Schmerz und Leid nicht fern, sagte mir einst Elrond. Ob er jedoch wusste, wie tief dieser Schmerz gehen kann und wie groß die Wunden sind, die er hinterlässt?

Dein Atem geht nun schneller und die Worte, die mir eine noch viel größere Last aufbürden, als die Vernichtung des Ringes es je könnte, sind nur noch der Hauch eines Sommerwindes. Erneut gebe ich dir ein Versprechen und erkenne, wie deine Augen ihren gehetzten Ausdruck verlieren. Fast glaube ich so etwas wie Friede darin zu sehen. Meine Hand umfasst die deine fester, während ich mir wünsche, deinen Platz einzunehmen. Denn du wirst in den Herzen des Volkes von Gondor immer der wahre Herrscher sein. Nicht Denethor und auch nicht ich, da sie dich in ihre Herzen geschlossen haben.

Wie also kannst du sie ohne einen Führer zurücklassen...wie kannst du mich ohne ein Herz zurücklassen? Erst jetzt wird mir bewusst, wie wenig Zeit wir auf dieser Welt zusammen hatten. Warum führen uns die Valar zusammen, wenn sie uns doch wieder entzwei reißen? Du solltest an meiner Seite über Gondor wachen, gerecht und stolz, wie es auch dein Wesen ist. Doch nun wirst du die Weiße Stadt nie mehr wieder sehen und sie wird ihren Sohn schmerzhaft vermissen.

Meine Augen treffen erneut auf die deinen und ich erkenne den liebevollen Ausdruck darin. Für diesen Augenblick sind die Schatten der nahenden Dunkelheit von deinem Antlitz verschwunden und du hebst mühsam deine Hand um über meine Wange zu streicheln. Erst jetzt bemerke ich, dass deine rauen Finger die silbernen Zeugen meiner Trauer stehlen. Ich schäme mich fast für diese Schwäche, die ich im Gegenzug bei dir als Stärke anerkenne.

Ohne zu zögern berühre ich deine Lippen mit meinen und spüre das Beben, das in dir wohnt. Du zitterst und wo einst Wärme war, fühle ich nun übermächtige Kälte. Das ist für mich das deutlichste Zeichen, dass meine Stärke dich nicht in dieser Welt halten kann. Wir verharren in diesem Augenblick und meine Hand will nicht wagen, dich auch nur für eine Sekunde zu verlassen. Du bist es schließlich, der diesen zärtlichen und wahrscheinlich letzten Kuss unterbricht.

Angestrengt holst du Luft und ich weiß, dass du etwas sagen willst. Doch sollen dich Worte nicht allzu sehr anstrengen, darum lege ich meinen Zeigefinger auf deine bebenden Lippen. "Shhhht...nicht mein Herz." Du hauchst einen sanften Kuss auf die Fingerspitze und übergehst meine stumme Bitte. Leise ist nun deine Stimme und es fällt dir sichtlich schwer zu sprechen. "Lass mich...gehen....bitte...es ist...ist vorbei."

Tränen laufen nun ungehindert und ohne Scheu über meine Wangen und ich versuche mich vor deiner Bitte zu verschließen. Nein, ich will dich nicht gehen lassen geliebter Sohn Gondors und Hüter meines Herzens...nicht hier und auch nicht in Zukunft. Aber habe ich eine andere Wahl? Die Hände des Königs, dazu auserwählt zu heilen, können in diesem einzig wichtigen Augenblick nicht helfen.

Noch einmal vernehme ich deine bittende Stimme und der Ausdruck deiner Augen offenbart mir die tiefe Liebe, die du für mich empfindest...die nun mit dir in die Hallen unserer Väter eingehen wird. Erneut senke ich meine Lippen auf die deinen und schmecke das Salz unserer Tränen, die sich genau wie unsere Lippen vereinen. "Ich liebe...liebe Dich...ewig." Diese Worte flüsterst du in unseren Kuss und in diesem Augenblick löse ich den festen Griff um deine Hand.

Ich habe dich frei gegeben für die Ewigkeit mein Geliebter und gebe dir mein Herz mit auf die Reise, bis ich selbst auch dorthin finde, wo du verweilst.

Und du schenkst mir deinen letzten Atemzug, der meine Seele mit der wahren, unendlichen Liebe zeichnet.

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