Titel:
Der Brief
Autor: Lady of Gondor


Seufzend blickte er hinaus und verlor sich in dem grauen Himmel, der schon den ganzen Tag mit Regen aufwartete. Wind wehte die wenigen Blätter von den Bäumen, die dem Herbst bisher trotzen konnten. Trostlos und traurig wirkte die Welt und passte genau zu seiner Laune. Denn auch in ihm herrschte graue Traurigkeit.
 
Langsam stand der junge Mann auf und ging zum Fenster, um es zu schließen. Denn sein Herz benötigte nicht die Kälte des Herbstes, um zu zittern. Als ob es gegen die innerliche Gefühlsleere helfen konnte, entzündete er ein paar Duftkerzen, die den Raum sofort in angenehm warmes Licht eintauchten. Doch er nahm es gar nicht wahr, sondern atmete den Geruch nach Maulbeere tief ein. Vielleicht würde das ja entspannen und ein wenig ablenken.
 
Ein leises Klopfen riß ihn aus der Betrachtung der flackernden Flamme. Nur Sekunden später wurde die Tür geöffnet und ein brauner Lockenkopf steckte seinen Kopf hinein.
"Dave... die Hobbits wollen Pizza essen gehen. Willst Du mit?"
Der angesprochene junge Mann sah auf und schüttelte abwehrend den Kopf. Auch wenn dies sicherlich eine Abwechslung gewesen wäre, so hatte er keine Lust auf einen lustigen Abend mit Orlando und den Hobbit-Darstellern.
"Sei mir nicht böse Orlando, aber ich will lieber alleine sein."
David blickte seinen Freund an und lächelte gezwungen, denn er sah die Beunruhigung in Orlandos Augen.
"Es ist alles in Ordnung, ich bin einfach nur müde. Der Dreh war wohl ein wenig zu anstrengend."
Der junge Brite nickte nur und akzeptierte die Bitte seines Kollegen, auch wenn er genau wusste, dass die Worte nicht der Wahrheit entsprachen. Trotzdem umarmte Orlando seinen Freund noch einmal, bevor er sich verabschiedete.
 
Und so war David wenige Minuten später wieder alleine. Innerlich verfluchte er sich, diese Möglichkeit zur Ablenkung nicht genutzt zu haben und doch war er erleichtert, dass Orlando ihm geglaubt hatte. Denn wenn einer ihn kannte, dann war es der Legolas-Darsteller. Bei ihm hatte er das Gefühl, dass die sanften, braunen Augen bis in seine Seele sehen konnten.
 
Davids Blick fiel wieder auf ein Blatt Papier, das unberührt neben einer Feder und einem Tintenfass auf dem Tisch lag. Es war das letzte Blatt, denn alle anderen lagen rings um den Tisch verteilt und zerknüllt auf dem Boden.
 
"Wie schwer es doch ist, Gefühle in Worte zu fassen", flüsterte David zu sich selbst und setzte sich. Es war nur ein Brief... ein Brief, der den Empfänger wohl niemals erreichen würde und trotzdem konnte er sich nicht überwinden, verborgene Gedanken niederzuschreiben. Vielleicht, weil es dann nicht mehr nur Gefühle waren, sondern eine Tatsache. Wie oft hatte er es verleugnet oder seine Gedanken unterdrückt. Aber wie sollte dies gehen, wenn er seine Gefühle niederschrieb? Denn Worte konnte man nicht so einfach ungeschehen machen, wie Empfindungen.
 
Wieder verschmolzen seine Augen mit dem Regen und er wünsche, frei und ungezwungen wie der Wind zu sein. Geschichten zu erzählen und gleichzeitig zu vernehmen. Körper zu umschmeicheln oder unruhige Seelen in den Schlaf zu wiegen. Doch er war nur ein Mensch, selbst Teil einer Geschichte. Sie erzählte aber nicht von Liebe und Zugehörigkeit, sondern von Einsamkeit und von der Sehnsucht.
 
Vor seinem inneren Auge formte die Sehnsucht ein Bild, das schon oft des Nachts seine Träume heimgesucht hatte. Zwei Körper, ebenso vereint wie die beiden schnell schlagenden Herzen. Töne der Luft schwängerten die nächtliche Stille, während zwei Seelen sich umarmten.
David kamen der Wind und der Regen in den Sinn. Sie durften kosten, was ihm verwehrt bliebt. Liebkosen, was äußerlich so rauh erschien, doch innerlich so verletzlich war. Wie gerne wäre er nun der Wind, der durch das braune, volle Haar streichelte oder der Regen, der die edel geschwungenen Lippen liebkoste. Aber dies alles war er nicht und seine Lippen würden niemals die des anderen berühren oder gar küssen. Wahrscheinlich nahm der schöne Neuseeländer ihn gar nicht wahr….
 
~*~
 
Eine einsame Träne stahl sich aus Davids Auge und tropfte hinab in die nachtblaue Tinte, vermischte sich damit. Ihr folgte die Feder, etwas von dem Blau aufnehmend. Noch einmal zögerte David und dachte darüber nach, ob dieser Brief eine so gute Idee wäre.
"Er wird ihn niemals lesen", beruhigte sich der Faramir-Darsteller selbst.
Und nur Sekunden später wurden Gefühle zu Worten.
 
Wir Menschen sind Engel mit nur einem Flügel. Um fliegen zu können, müssen wir einander umarmen.
 
Karl,
 
dieses Zitat drückt am besten aus, wie ich fühle.
Es ist, als ob ich unvollkommen wäre ohne Dich.
Nur ein Teil von etwas Wunderbarem,
und gleichzeitig in viele Stücke zerbrochen.
Wie ein Eiskristall, der in Schönheit strahlt und doch so grausam kalt.
 
Ich kann nicht fliegen zu den Sternen,
nicht reisen mit dem Wind.
Denn nur zu zweit können wir fliegen, nicht jedoch allein.
Vielleicht trage ich auch zuviel an meinem Körper,
bin zu schwer um zu schweben.
Doch all das ist mein Schutz gegen Kälte und Sehnsucht.
 
Wie oft wünsche ich mir, dass Du mich davon befreist.
Mich umarmst und unseren Körpern Flügel verleihst.
Doch niemals streifen mich Deine braunen Augen,
oder sie verweilen nicht auf mir, irren weiter umher.
 
Und trotzdem begehre ich Dich in Körper und Geist.

Liebe Dich aus vollem Herzen, doch ohne Hoffnung.

Tränen benetzten das Papier und ließen die Worte verschwimmen, während die Feder lautlos zu Boden fiel. Doch David war es egal, ob die blaue Tinte den Teppich befleckte. Er starrte auf den Brief, las noch einmal die Worte und wusste plötzlich, dass es nun kein Entrinnen mehr gab. Nie mehr würde er sich vor den Gefühlen verstecken können, denn hier auf diesem weißen Blatt waren sie mit blauer Tinte niedergeschrieben.

Ein weiteres Klopfen drang wie durch einen Nebel an Davids Ohren. Zuerst wollte er nicht reagieren. Doch wenn es Orlando war, würde er nicht einfach wieder gehen. Schnell wischte er sich die Tränen aus den Augen, atmete noch tief ein und öffnete dann die Tür. Doch nicht Orlando stand davor und lächelte ihn freundlich an, sondern Karl.

~*~

Für einen Moment wusste David nicht, was er machen sollte. Erst als Karl sich räusperte, bemerkte er, dass er den Neuseeländer nur anstarrte.

Geht es Dir nicht gut David? Orlando hat sich Sorgen gemacht und da hab ich angeboten, noch mal vorbei zu schauen. Vielleicht hast Du ja inzwischen Lust bekommen."

Nein ich denke nicht, ich habe noch...noch viel zu tun."

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, ließ David den Eomer-Darsteller stehen und verschwand beinahe panisch ins Badezimmer. Das war zuviel für ihn. Er wollte seine Nähe, doch ertrug er sie nicht.

Verwundert blickte ihm Karl nach und trat langsam in die kleine Wohnung. Der Geruch von Maulbeere verführte ihn und er atmete tief ein. Dabei fiel sein Blick auf die Feder, die auf dem Boden lag. Kopfschüttelnd hob er sie auf und wollte sie gerade auf den Tisch legen, als er den Brief bemerkte.

Der geht Dich nichts an, Urban!", mahnte er sich selbst, aber die verräterischen Tränenspuren erweckten seine Neugierde.

Doch wünschte er sich nur Augenblicke später, diese bezwungen zu haben. Denn er wurde sich darüber bewusst, dass dies ein Brief war... ein Brief an ihn, der von den tiefen Gefühlen sprach, die David wohl für ihn haben musste.

Karl fühlte sich schlecht, so als wäre er unberechtigt in die Gedankenwelt des Faramir-Darstellers eingedrungen. Aber hatte er nicht genau das gerade getan? Was machte es für einen Unterschied, ob Gedanken niedergeschrieben waren oder tief in der Seele verborgen? Und selbst, wenn dies ein Brief an ihn war... Karl war sich sicher, dass er ihn nie erreicht hätte.

Beschämt darüber und von den Gefühlen seines Kollegen verunsichert, verließ er die kleine Wohnung von David wieder. Er wollte nicht, dass David bemerkte, dass er diesen Brief gelesen hatte und noch weniger wollte er, dass er wieder enttäuscht wurde. Denn Karl wusste von der Katastrophe zwischen David und seiner ehemaligen Verlobten, wusste wie sehr den Faramir-Darsteller dies verletzt hatte. Und obwohl er für David mehr als nur Freundschaft empfand, war er wohl der falsche, der diesen Schmerz heilen konnte.

Und so war er längst wieder verschwunden, als David aus dem Bad trat. Seine Augen waren von den Spuren der Tränen gezeichnet. Die Hoffnung, Karl hier noch vorzufinden, wurde von der Erleichterung, dass eben dies nicht so war, hinweg genommen. Sein Blick fiel sofort auf den Brief, den er langsam an sich nahm. Noch einmal überflog er die Zeilen und übergab die Worte dann den Flammen der Kerze.

So würden seine Gefühle weiterhin verborgen bleiben, zumindest für Karl. Denn er selbst konnte nun nicht mehr vor ihnen davonlaufen. Doch ahnte er nicht, dass Karl den Brief schon gelesen hatte und genau das getan hatte, was David selbst bisher immer gemacht hatte: Weglaufen.


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