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Titel:
Bruchtal Autor: Laurë
Bruchtal.
Wie Gandalf ihm gesagt hatte, eine der letzten Heimstätten
der Elben Mittelerdes. Er sollte froh sein. Das hier
war alles, was er sich gewünscht hatte. Er hatte
mit Frodo darüber geredet. Ein Abenteuer, wie Bilbo
es erlebt hatte, und dann die Elben sehen.
Elben
hatte er gesehen, und auch ein Abenteuer erlebt. Mehr
noch, er sollte überwältigt sein von der Pracht
und Größe dieses Hauses, war es doch viel
schöner, als alles, was er bisher über die
Elben gehört oder sich vorgestellt hatte. Er sollte
fasziniert sein von den vielen Elben, die sich hier
befanden, würdevoll und verschlossen oder ausgelassen
wie Kinder, alles zur gleichen Zeit.
Er sollte
glücklich sein darüber, dass Glorfindel Herrn
Frodo gerettet hatte. Darüber, dass Gandalf zurück
war. Darüber, dass Herr Elrond und Gandalf noch
etwas für Frodo hatten tun können.
Doch
alles, was er fühlte, war Leere.
Er war
müde, seine Augenringe waren kaum kleiner als die
der Gestalt vor ihm. Tag für Tag saß er hier,
wartete auf ein Lebenszeichen. Nur wenn Gandalf oder
einer der Elben ihn fortschickten, erlaubte er sich
einen Moment der Ruhe oder versuchte, Bruchtal näher
zu erforschen. Doch früher oder später zog
es ihn wieder hier herauf. Er könnte schließlich
aufgewacht sein.
Tränen stiegen Sam in die
Augen, als er das leblose Häufchen Elend vor sich
betrachtete. Hoffnungsvoll tastete er nach seiner linken
Hand. Sie war eiskalt, wie immer, als gehöre sie
zu einem Toten. Aber Herr Frodo war nicht tot, das hatten
zumindest der Elbenfürst und der Zauberer gesagt...
Er hielt die Hand fest, versuchte, ihr etwas von seiner
Wärme abzugeben.
Die Hügelgräberhöhen.
Es schien Generationen her zu sein. Frodos eiskalte
Hand in seiner, der kalte Körper so nah. Nun fest
geschlossene blaue Augen klar auf ihn gerichtet. Die
Erinnerung tat weh. Sie hatten sich danach viele Stunden
vollkommen ignoriert, waren dann in ein einvernehmliches
Schweigen übergegangen. Frodo hatte so entschieden:
Kein Wort darüber, nichts, was daran erinnern könnte.
Keine Berührung.
Es tat weh.
****
Gandalf
hatte ihn still weinend vorgefunden und nach draußen
geschickt; irgendetwas hatte er von „ausruhen“ gesagt.
Sam
fand sich in den Stallungen wieder, neben Lutz. Wie
er hierher gekommen war, wusste er nicht. Er fühlte
sich, als sei er aus einem tiefen Schlaf erwacht.
Das
Pony war so warm, so lebendig... Er lehnte seinen Kopf
gegen Lutz’ Hals. Er registrierte irgendwie, dass er
zugenommen hatte. Das Fell glänzte. Der Aufenthalt
tat dem Pony gut... Warum konnte es nicht auch so mit
Frodo sein?
„Er stirbt, Lutz -- er stirbt!“,
brach es plötzlich aus ihm heraus. Das Pony blieb
stumm, richtete nur seine Augen auf Sam.
„Ich
hab’ dem Zauberer doch versprochen, auf ihn aufzupassen.
Und dann so was! Erst die Hügelgräber“, er
verschluckte sich fast beim Gedanken daran, „und dann
noch diese verfluchten Ringgeister! Ich konnt’ ihm nie
helfen, immer hat er mich retten müssen.
’s
ist meine Schuld, dass er da liegt. Ich hätt’ ihn
verteidigen müssen. Ich tu’ nichts für ihn,
gar nichts! Ich bin nutzlos. Hätt’ der Zauberer
mich doch bloß dagelassen...“
Lange Zeit
sagte er nichts. Auch die Schritte, die sich näherten,
hörte er nicht, bis der Zauberer die Stimme erhob.
„Nicht
deine Schuld sind die Vorfälle auf den Hügelgräberhöhen
und an der Wetterspitze, Samweis Gamdschie. Es ist der
Feind. Sein Arm reicht weit in dieser Zeit.
Doch
reden wir nicht davon, nicht hier und nicht jetzt.
Frodo
ist nicht tot, und so bald wird er nicht sterben. Gerade
du solltest wissen, dass mehr an ihm dran ist, als es
im ersten Moment scheint.“ Gandalf lächelte ihn
gütig an. „Er schläft.“
Sams Blick
verdüsterte sich. „Das tut er seit Tagen.“
„Du
verstehst nicht. Er schläft. Er war wach. Er kämpft
nicht mehr darum, aus der Geisterwelt in unsere zurückzukehren.
Er hat es geschafft.“
Sams Herz machte einen
Sprung. Frodo war gesund, zumindest kämpfte er
nicht mehr gegen die Kreaturen Saurons! Er wollte sofort
aus der Box heraus, in das Hauptgebäude hinein.
Doch Gandalf hielt ihn zurück. „Er braucht den
Schlaf. Je mehr er bekommt, desto schneller wird er
gesund sein. Geh lieber, sieh dir Bruchtal an. Heute
Abend darfst du zu ihm, das verspreche ich dir.“
****
Bruchtal.
Eine der letzten Heimstätten der Elben Mittelerdes.
Bruchtal war groß, ein „Halbling“ wie er konnte
sich leicht verlaufen. Ein wirklich verwirrender Ort:
Elben, die sich zurückhaltend benahmen wie Könige,
nur um sich im nächsten Moment zu benehmen wie
Kinder. Laufend und lachend; oft genug hatte Sam Angst,
einfach übersehen und umgerannt zu werden.
Im
Laufe des Tages trafen einige Zwerge ein, die Bilbo
überschwänglich begrüßte. Wenigstens
hatte die Zahl der Kleinen Leute nun zugenommen und
die Elben schienen vorsichtiger zu werden.
Da
er nicht wusste, was er tun sollte - die Zeit verging
einfach nicht, er wollte, dass es endlich Abend wurde
und er zurück zu Frodo durfte - leistete er schließlich
Bilbo Gesellschaft, als sich eine kleine Gesellschaft
in der Halle versammelte. Die Elben begannen, Lieder
vorzutragen von längst vergangenen Zeiten. Er meinte,
das Hohelied auf die Sternenkönigin wieder zu erkennen,
das das Gefolge Gildors bei ihrer Begegnung gesungen
hatte. Der Tag schritt voran, und Sam ließ sich
gefangen nehmen von den Erzählungen in dieser fremden
Sprache, ließ sich treiben von den Bildern, die
in seinem Kopf entstanden. Längst vergangene Zeiten,
als die Welt jung war...
Eine Hand legte sich
auf seine Schulter. Er fühlte sich wie ein Schlafwandler,
den man aus einer seiner nächtlichen Wanderungen
gerissen hatte. Von den Liedern, die er gehört
hatte, blieben nur Schleier, Namen aus vergangenen Zeiten.
Erinnerungen an längst vergessene Königreiche.
’Tinúviel’,
dachte er zusammenhangslos, als er sah, wer ihn aus
diesen Träumen gerissen hatte. Es war Frau Arwen,
Tochter des Hausherrn, die heute erst aus einem anderen
Elbenreich zurückgekehrt war.
„Geh ihn holen“,
sprach sie, sichtlich noch nicht wieder an die Gemeinsprache
gewöhnt. „Er ist wach, sagt mein Vater, und er
darf sich aus dem Bett erheben.“
Er konnte gar
nicht schnell genug die Treppe hinauf, lief diesmal
seinerseits fast eine Elbin um, die auf dem Weg in die
große Halle war. An der Tür zu Frodos Zimmer
zögerte er nur kurz.
Sie standen sich gegenüber,
vielleicht drei Meter voneinander entfernt; und plötzlich
wusste Sam nicht mehr, was er sagen sollte. Nicht mehr
Herr über das, was er tat oder sagte, schloss er
die Tür und die Distanz zwischen ihnen beiden und
nahm Frodos linke Hand. Sie war wieder warm und lebendig!
Er stammelte irgendetwas darüber, wurde rot und
ließ die Hand los. Trat ein paar Schritte zurück
und erzählte irgendetwas über Bruchtal.
Stille.
„Gandalf
hat mir erzählt, dass du bei mir gewacht hast.
Ich möchte dir danken.“
Sam antwortete nichts,
starrte stumm in die blauen Augen seines Herrn, die
endlich wieder wach und klar waren. Er hätte für
immer so stehen bleiben können. Er war unendlich
dankbar, dass Frodo überlebt hatte.
Frodo
wand sich aus Sams Blick, studierte eingehend den Fußboden.
Er wurde rot.
„Das auf den Höhen... Es hätte
nicht passieren dürfen.“ Seine Stimme war ruhig
und sachlich, als würde er Sam etwas aus der Elbensprache
erklären. Diesem stiegen die Tränen in die
Augen. Er hatte es gewusst. Er hatte gewusst, dass Frodo
es bereute, dass es nichts gewesen war, nichts, was
er sich erhofft hatte. Aber es war für ihn so viel
gewesen. Er wäre glücklich gewesen, hätte
Frodo es nie wieder angesprochen, wäre dem nie
wieder eine Berührung gefolgt. Er hatte das gehabt,
was er sich immer gewünscht hatte. Doch dadurch,
dass Frodo es nun als Fehler deklarierte, wurde alles
zerstört. Der Schmerz wuchs, die Enttäuschung
wurde größer.
Er drehte den Kopf weg,
wollte vermeiden, dass Frodo diese Reaktion sah.
„Es
ist mir klar geworden, als ich hier lag.“
„Ich
bitte um Verzeihung, Herr -- aber was soll ich dazu
sagen?“ Er trat ans Fenster. Hoch über Bruchtal
kreiste ein Adler. Eine Träne bahnte sich ihren
Weg Sams Wange hinunter.
„Sam.“ Ein Zittern lag
nun auch in Frodos Stimme.
Ein Tag drängte
sich in Sams Gedanken, als selbst Bilbo noch in Beutelsend
gelebt hatte. Kein Schatten der Zukunft war zu spüren
gewesen. Frodo war krank gewesen, und Sam hatte dem
Schlafenden gerade eine Tasse Tee hingestellt, als dieser
die Augen aufschlug. „Danke, Sam. Du bist... Viel zu
gut für mich.“, hatte Frodo gesagt. Und dann, schon
wieder halb im Schlaf: „Du bist es, der mich hier hält.“
„Es
war für mich nicht nichts.“, holte Frodo den jungen
Gärtner wieder zurück nach Bruchtal, überbrückte
eine Spanne vieler Jahre mit sechs Worten.
„Es
hätte nur nicht dort passieren dürfen, nicht
zu dieser Zeit.“ Schritte kamen näher. Sam blieb
in seiner abgewandten Position, beobachtete weiter den
Adler. „Vielleicht hätte es gar nicht passieren
dürfen.“ Sam spürte, wie Frodos Hand nach
seiner greifen wollte. Er wehrte sie ab.
„Verzeih
mir für alles, was ich jetzt sage, Herr Frodo.“
- „Was...?“
„Was - ja, was? Was bin ich für
dich? Ein Gärtner? Ein Anhängsel? Ein Freund?
Oder eher... ein Nichts, das du nach Belieben benutzen
kannst?
Denkst du, ich habe keine Gefühle?
Denkst du, dein Verhalten verletzt mich nicht? Im ersten
Moment bist du so nah, dass ich glaube, ich könnte
dich für immer halten. Oder dass du mich für
immer hältst, wie man’s nimmt. Und im nächsten
Moment bist du so abweisend wie Frau Arwen schön!
Du sagst mir, das hätte nicht passieren dürfen,
und im nächsten Moment nimmst du meine Hand. Du
spielst mit mir!“ Er weinte.
„Ich spiele nicht.
Ich weiß nur nicht... Ich weiß nicht, was
ich tun soll. Das, was auf den Höhen war, war das,
was ich immer wollte. Aber die Reise ist noch weit,
und niemand weiß, was passieren wird. Ich muss
den Ring tragen, Sam. Niemand kann mich von dieser Bürde
befreien, nicht einmal alle Elben dieser Welt.
Seit
den Höhen weiß ich, dass es nur einen Platz
auf dieser Welt gibt, an dem ich mich sicher fühlen
kann. Aber ich darf es nicht zulassen. Ich kann nicht
immer an deiner Seite sein.“ Während er das sagte,
zitterte seine Stimme immer stärker, und schließlich
musste er eine Pause machen.
„Ich kann nicht
verantworten, dass du weiter mitgehst. Ich möchte,
dass du ins Auenland zurückgehst. Versuch dein
Glück bei Rosie. Das ist dein Schicksal, und meines
ist es, den Ring seiner Bestimmung zuzuführen,
welche das auch immer sein wird. Was haben wir schon
für eine Zukunft?“
„Du weißt, dass
ich dich nicht allein gehen lasse. Ich hab’s Gandalf
versprochen. Ich könnt’ mir nie verzeihen, wenn
dir was passiert, nur, weil du ohne mich gegangen bist.
Wenn du den Ring tragen musst, dann lass mich an deiner
Seite sein, um dich zu tragen. Vielleicht ist Rosie
mein Schicksal, aber nicht jetzt. Zuerst muss ich dich
beschützen. Ich muss bei dir bleiben, damit dir
nichts passiert. Vielleicht ist das das Einzige, was
uns voneinander bleiben wird, aber ich möchte es
nicht gegen Nichts eintauschen. Du wirst mich nicht
los, Frodo.“
„Ist es so?“
Sam drehte sich
um, nahm Frodos Hand in die seine. Blickte ihm tief
in die Augen. „Ich schwöre es dir. Und wenn ich
nur dein Weggefährte bin, mein Platz ist an deiner
Seite.“
Er hob die freie Hand, wischte eine Träne
von Frodos Wange. „Weine nicht.“
„Es wird nicht
von Dauer sein, Sam. Ich spüre es schon jetzt.
Eines Tages werden wir durch etwas getrennt sein, das
wir nicht mehr überbrücken können, und
allzu fern ist dieser Tag nicht mehr. Etwas zieht mich,
und es ist nicht der Ring.“
Sam schüttelte
traurig den Kopf. „Du weißt, dass ich dir früher
oder später überallhin folgen werde. Kein
Gebirge, Meer oder Wald auf dieser Welt könnte
mich für immer von dir trennen. Wo auch immer du
hingehst, ich komme nach. Und selbst, wenn es lange
dauert, ich bin doch immer bei dir.“
Er trat
ein paar Schritte zurück, lehnte sich gegen das
Fenster. Alles war gesagt. Frodo sah für einen
Moment unschlüssig aus, was er zu tun hätte,
dann ging er entschlossen auf Sam zu. Er nahm beide
Hände fest in seine.
„Ich weiß nicht,
ob ich ohne dich noch weiter gegen die Geister dieser
verfluchten Morgulklinge angekämpft hätte.
Aber
da war dieses Bild, diese Vision von dir, trauernd an
meinem Grab an diesem Ort. Und später... Du trugst
den Ring, eine viel zu große Bürde für
dich... Er hat dich zerstört. Ich wusste, dass
ich nicht aufgeben darf.“
„Ich kann den Ring
nicht tragen. Es ist deine Aufgabe. Aber, versteh mich
recht, ich würd’ es tun.“
Frodo blickte
auf, die Augen weit geöffnet und leicht gerötet.
Er antwortete Sam nicht sofort, doch als er in seine
braunen Augen blickte, konnte er dort die Antwort auf
seine Frage lesen. Sein Herz schlug schneller, als er
zuerst nach Sams Hand griff und dann langsam die Distanz
zwischen ihnen schloss. Er wusste bereits von den Höhen,
wie weich Sams Lippen waren, doch damals hatte er sie
nur auf seiner Stirn gespürt. Er kostete diesen
viel zu kurzen Moment aus, würde ihn für immer
in seinen Gedanken halten. Er wusste, mehr solcher Momente
würden folgen. Doch das hier, auf einem Bett auf
einer der letzten Inseln im Strom der Missgunst und
Intrigen des Feindes, war etwas Besonderes.
Er
lehnte sich etwas zurück, sah Sam an. Dieser war
rot wie eine Tomate, sah jedoch glücklich aus.
„Weißt
du, dass du manchmal redest wie einer der Elbenfürsten,
die das Westron beherrschen?“ Sam sah ihn etwas beschämt
an. „Vergleich’ mich lieber nicht mit denen. Sie sind
viel schöner und größer als ich, und
viel herrschaftlicher.“ Frodo lächelte. „Du weißt,
dass manche das nicht so sehen; zumindest ich nicht.“
Schweren
Herzens erhob Sam sich. „Ich sollte dich eigentlich
nur holen, und nun ist so viel Zeit vergangen. Komm
jetzt lieber, sie wollen zu Abend essen.“
Frodo
nahm ihn wortlos an die Hand und ließ sich so
durch die Flure Bruchtals führen, bis sie den Raum
erreichten, in dem das Essen aufgewartet werden sollte.
Zusammen
sitzen konnten sie nicht, und so unterhielt Sam sich
notgedrungen mit Merry und Pippin, während Frodo
einen Zwerg ausfragte.
Danach fanden sie sich
in der Halle zusammen, die Sam bereits früher am
Tag besucht hatte, und hörten den zahlreichen Erzählungen
zu, die sie wieder in einen angenehmen Halbschlaf geleiteten.
Einmal war Sam so, als höre er Bilbos Stimme, die
etwas von einem Seefahrer und einem Stern erzählte,
doch war er sich nicht sicher.
Kurz, bevor Sam
endgültig einschlief, trat Frodo zu ihm hin, strich
eine verirrte Strähne aus seiner Stirn.
„Ich
werde mich noch ein bisschen mit Bilbo unterhalten.
Geh ruhig schlafen, wenn du willst. Ich denke, ich weiß,
wo ich dich finden kann...“ Er drückte einen flüchtigen
Kuss auf Sams Wange. Dieser lächelte nur träge
zurück und ließ sich fast augenblicklich
wieder von einem Lied einfangen, das ihn in ein altes
Königreich trug, versteckt hinter mächtigen
Bergen.
Es würde alles gut werden, solange
sie nur zusammenhielten. Sie konnten es schaffen.
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