|
Titel:
Der Adler ruft (Kap. 1 - 3) Autor: Leonel
1. Nur ein Unfall
`Der Sinn des Krieges. Worin liegt er? Der Sinn eines
Krieges.` Faramir ließ das Buch, dass er in seinen Händen hielt in seinem
Schoß sinken. Er legte seinen Kopf zurück an die Lehne des großen und bequemen
Sessels, der in der Bibliothek unter dem Fenster stand. Es war Abend und
durch das Fenster, welches nach Westen schaute schienen die letzten goldenen
Sonnenstrahlen. Durch das Licht der Sonne konnte er den Staub in der Luft
tanzen sehen. `Kämpfen wir um die die wir lieben zu beschützen? Die Menschen
die uns Essen und Kleidung geben?` In Bitterkeit seiner Gedanken schloss er
seine Augen. Bitterkeit in Gedanken an seinem Vater. Ja, sein Vater gab
ihm Essen und Kleidung. Aber sollte ein Vater einem Sohn nicht ein wenig
mehr geben können? Liebe, Geborgenheit, Vertrauen? Er hatte keine
Erinnerung mehr daran wann sein Vater ihn das letzte Mal in den Arm genommen
hatte. Letztes Jahr um diese Zeit wurde Faramir in einem Kampf-Wettbewerb
von seinem Gegner durch das Schwert verletzt. Er lag drei Tage in den
Häusern der Heilung, doch sein Vater fand keine Zeit um seinen Sohn zu besuchen.
Es war sein Bruder der jeden Tag, jede ihm mögliche Stunde, an seinem Bett
verbracht hatte. Faramir verband jeden weiteren Gedanken an seinen Vater, an
seinen Zorn und Gleichgültigkeit gegenüber ihm Faramir ahnte, dass er
seelisch an einem Punkt angelangt war an dem er die Torturen seines Vaters nicht
mehr länger ertragen konnte. Er schüttelte den Kopf und versuchte sich
wieder auf das Buch zu konzentrieren. Ein Buch seiner verstorbenen Mutter.
Es erzählte die Geschichten der Elben. Sein Vater hatte ihm schon vor langer
Zeit verboten dieses Buch in die Hand zu nehmen, weil es eines der letzten
Erinnerungsstücke an seiner geliebten Frau war. Aber Faramir wusste, dass
sein Vater so gut wie nie die Bibliothek betrat. Schon gar nicht wenn sein
Zweitgeborener in Minas Tirith weilte. Denethor, sein Vater, wusste zu
genau, dass Faramir in seiner freien Zeit sehr oft diesen Raum aufsuchte.
Faramir schrak auf und schaute zur Tür an der es geklopft hatte.
Erst dachte er an seinen Vater aber der würde nicht anklopfen sondern das
Zimmer ungeachtet Faramirs Anwesenheit erstürmen. Schnell stand er auf um
das verbotene Buch wieder in das Regal zu stellen. Drei lange und schnelle
Schritte und er gelangte zu dem Regal.
Bei dem hastigen Versuch das Buch
wieder an seinem Platz zwischen den anderen Büchern zu stellen fielen mehrere
andere zu Boden. Wieder klopfte es an der Tür. Er warf einen schnellen
Blick zur Tür um dann eiligst die Bücher aufzusammeln. Endlich hatte er die
Bücher beisammen. Er stand auf und ging dabei einen halben Schritt zurück um
sie besser in das Regal stellen zu können. Dabei übersah er den Stuhl hinter
sich. Mit einem recht lauten Poltern fiel er rücklings über den Stuhl.
Beim Fallen schlug sein Hinterkopf an die Kante des Schreibtisches. Der
Schmerz war wie eine Explosion. Die Bücher und der Stuhl fielen mit ihm.
„Lord Faramir? Ist etwas passiert?“ Eine Stimme hinter der Tür.
Faramir war zu benommen um darauf reagieren zu können. Er verfluchte seine
Reaktionen die nur auf seine Angst vor seinem Vater beruhten. Der Türknauf
bewegte sich und dann öffnete sich die Tür. Mit Entsetzen sah Faramir es.
Der Dienstbote seines Vaters der in der Türöffnung erschien erblickte
einen Lord Faramir vor dem Schreibtisch auf dem Boden liegend. Über und
neben ihm lagen verstreut Bücher und ein Stuhl. Der Bote räusperte sich
unbehaglich und schaute auf die Wand hinter ihm. Er glaubte zu wissen, was und
warum es passiert war. Jeder wusste um die Beziehung zwischen Vater und
diesem seinen Sohn. Er räusperte sich noch einmal. „Lord Faramir. Euer Vater
wünscht Eure Anwesenheit zum Abendessen. Er trug mir auf Euch davon in Kenntnis
zu setzen, dass ein Gast Minas Tirith erreicht hat. Mithrandir ist heute
eingetroffen. Er wird bis nach den Kampf-Festspielen bleiben.“ Mit diesen
Worten versicherte sich der Bote dass Faramir nicht ernstlich verletzt war. Er
wollte ihm jede weitere Peinlichkeit ersparen, verbeugte sich in seine Richtung
und zog sich wieder zurück. Die Tür leise hinter sich schließend.
Mithrandir! Was für eine Freude. Er atmete tief ein und wieder aus
um seine körperlichen Kräfte zu sammeln. Dann stand er langsam auf. Sein
Kopf schmerzte und die Welt, sowie der Boden unter ihm, schien zu schwanken.
Er hielt sich mit beiden Händen an den Kanten des Schreibtisches fest.
Sein Blick wanderte zu den Büchern am Boden und dem Stuhl. Mit einer Hand
sich festhaltend bückte er sich langsam um den Stuhl aufzustellen. Es
glückte ihm, obwohl beim Bücken eine Welle der Übelkeit über ihm kam. Sein Kopf
pochte. Er schluckte und schaute auf die Bücher. Sehr lange konnte er hier
nicht mehr verweilen, wenn er rechtzeitig zum essen da sein wollte. Nein,
Bücken ging nicht mehr. Das wusste er jetzt. Es musste anders gehen. Er ging
langsam in die Knie, um so die Bücher aufzusammeln. Dabei vermied er es, so gut
wie es ging, den Kopf zu senken. Es dauerte lange, viel zu lange. Aber
endlich hatte er es geschafft. Die Bücher standen wieder alle an ihrem Platz.
So, als wären sie nie bewegt worden. Langsam machte er sich auf den Weg zur
Tür und von dort aus den langen Korridor entlang, zu einer Treppe die viele
Stufen nach oben führte. Er versuchte den Korridor entlang gerade zu gehen.
Doch sein Kopf schwamm und er brauchte immer wieder die Wand um sich abzustützen
damit er nicht fiel. Er hatte noch nicht mal mehr Zeit um sich vor dem Essen
zu waschen oder etwas Frisches anzuziehen. Noch immer trug er die schwarze
Tunica und die naturfarbene Lederhose von heute Morgen. Hinter sich hörte er
hastige Schritte. Verzweiflung kam über ihm. Er versuchte möglichst gerade zu
gehen. „Hee, Faramir, kleiner Bruder. Wo hast Du gesteckt?“ Boromir! Es
war Boromir, sein geliebter Bruder. Faramir blieb stehen und lehnte sich mit
dem Rücken zur Wand. Er schaute seinem Bruder entgegen. Bei ihm angekommen
blieb Boromir stehen.
Boromir eilte um rechtzeitig zum Essen zu
erscheinen. Der Bote unterrichtete ihn über den Gast den sie über die Zeit der
Kampf-Festspiele haben würden. `Das wird sehr zur Freude meines Bruders
sein` dachte er und lächelte an die Erinnerung an seinem kleinen Bruder. Wie
er sich als kleines Kind so vertrauensvoll an Mithrandir wendete! Faramir
lauschte immer mit offenem Mund seinen Geschichten und hatte immer tausend
Fragen. Fragen, die Mithrandir geduldig und für ein kleines Kind
verständlich beantwortet hatte. Wie oft hatte er die beiden Hand in Hand
gehen sehen? Der große Graue Zauberer und sein kleiner Bruder. Doch sehr
zum Missfallen seines Vaters. Er hat es nie gern gesehen wenn Faramir sich an
Mithrandir wendete. Endlich hatte er den Korridor erreicht um anschließend
die Treppe zu erklimmen die zu dem Raum führte in dem Denethor, sein Vater,
pflegte mit Gästen zu speisen. Nicht, dass Denethor Mithrandir mochte. Nein,
keinesfalls. Aber er respektierte ihn in seiner Eigenschaft als der, wer er war.
Vor ihm in dem langen, sparsam beleuchteten Gang konnte er eine taumelnde
Gestalt ausmachen. `Es wird Vater nicht gefallen, wenn er herausbekommt,
dass einer seiner Dienerschaft im Dienst betrunken ist`, dachte er voller
Mitleid. Als er näher an die Gestalt herankam erkannte er seinen Bruder.
`Faramir. Bitte nicht Du. Das kann nicht sein.` Was konnte seine Bruder
bewogen haben sich zu betrinken und dann zum Essen zu ihrem Vater zu kommen,
zumal noch ein Gast anwesend sein würde? Wusste Faramir nicht um die
Konsequenzen? Wenn sie einer wusste, dann er. „Hee, Faramir, kleiner
Bruder. Wo hast Du gesteckt?“ Fast war er auf Höhe seines Bruders. Er
sah, das Faramir stoppte, sich gegen die Wand lehnte und ihm entgegensah.
Das hieß, er wollte ihn ansehen aber es war ihm nicht möglich seine Augen zu
fokussieren. Boromir legte beide Hände auf die Schultern seines Bruders und
sah ihn eindringlich an. „Faramir. Wie konntest du nur? Dich zu betrinken, wenn
Vater uns zum Essen ruft. Warum, kleiner Bruder. Was ist passiert?“ Boromir
war alarmiert. Das war nicht die Art seines Bruders. Faramir trank nie
mehr als ein oder vielleicht zwei Gläser Wein. Er kannte seinen Bruder seit
zwanzig Jahren, seit dem Tag als er schreiend das Licht der Welt erblickte.
Faramir stütze sich rückhändig mit beiden Armen an der stabilen Mauer ab und
suchte den Blick seines Bruders. Das Gesicht seines Bruders schien auch zu
schwanken, so wie alles andere auch. Er formte Wörter in seinem Kopf. Er wollte
es ihm sagen.
„Boromir, ich habe im verbotenem Buch gelesen, es
hat geklopft, dachte erst, es wäre Vater. Bin gefallen, mein Kopf, er schmerzt.
Aber das Essen. Mithrandir. Und Vater.“ Seine Stimme wurde immer verzweifelter.
Seine blauen Augen schauten Boromir bittend an. Boromir verstand, er schaute
zu der Treppe. Ohne Hilfe würde sein Bruder in diesem Zustand die Treppe
nicht bewältigen können. „ Kleiner Bruder. Du weißt wie Vater reagiert, wenn
Du nicht kommen wirst.“ Faramir nickte ergeben. Er stieß sich von der Wand
ab. Boromir legte einen Arm um seinen Bruder um ihm zu stützen. Er spürte
dass er zitterte. Vor Anstrengung oder vor Angst. Er wusste es nicht. Doch
er wusste, sie würden zu spät zum essen erscheinen. Armer Faramir, dachte
er.
Boromir hatte Mühe gehabt seinen Bruder ohne zu fallen die Treppe
hinauf zu bugsieren. Einmal machten sie eine Pause in der Faramir sich auf die
Treppe setzte. Boromir setzte sich neben ihn und strich seinem Bruder das
lange und rotblonde Haar aus dem Gesicht. Er machte sich Sorgen. Sein Bruder
musste wirklich schwer gestürzt sein. Mit seiner rechten Hand tastete er
seinen Kopf ab. Dann fühlte er die Schwellung und etwas Klebriges an seiner
Hand. Er zog die Hand zurück und sah, dass es Blut war. „Bruder. Du hast Dir
den Kopf aufgeschlagen. So kannst Du nicht zum Essen erscheinen. Nicht nur
Mithrandir wird da sein. Es werden auch einige Ratsmitglieder anwesend sein.“
Faramir versuchte seinem Bruder in die Augen zu sehen. „Was soll ich tun? Vater
erwartet mich. Erscheine ich nicht wird er mich strafen. Erscheine ich in diesem
Zustand wird er mich auch strafen. Eigentlich ist es egal was ich mache.“
Boromir hörte die Bitterkeit in seiner Stimme, sah die traurige Resignation
und auch die aufsteigenden Tränen die seine blauen Augen umschatteten.
„Boromir. Mein Stirnband. Hole es. Binde mir die Haare zusammen. Es wird das
Blut verdecken“ Er sah seinen Bruder hoffnungsvoll an. „Deine Zimmer sind zu
weit weg. Das dauert zu lange.“ „Es macht doch jetzt eh nichts mehr. Zu spät
sind wir alle mal. Und Du, nur durch mich. Es tut mir leid“. „Faramir,
kleiner Bruder. Es gibt für mich nichts Wichtigeres auf der Welt als Dich. Ich
liebe Dich. Und ich werde auch immer für Dich da sein. Ich hole das Haarband.“
„Du wirst es in der linken, oberen Schublade meines Schreibtisches finden.“
Boromir nahm das Gesicht seines Bruders zwischen seinen Handflächen. Er
fühlte die Hitze Faramirs. Er sah in seine Augen. Was er dort entdeckte,
erschrak ihn! Blindes Vertrauen, reine Liebe und pures Verlangen geliebt zu
werden. Er lehnte sich nach vorne um ihn auf die Stirn zu küssen. Dann erhob
er sich schnell um den weiten Weg zu den Räumen seines Bruders zu eilen.
Der große Raum wurde von vielen Kerzenhaltern beleuchtet. In der
Mitte stand ein ovaler Tisch. Er war üppig gedeckt mit feinsten Speisen und Wein
aus Dol Amroth. An den beiden langen Seiten konnten jeweils vier Personen
bequem sitzen und speisen. An dem einen Ende saß Denethor, ihm gegenüber saß
der Zauberer. Die Plätze links und rechts von Denethor waren verwaist. Es
waren die Plätze seiner Söhne. Die anderen Plätze waren von den Ratsmitgliedern
belegt. Äußerlich war Denethor ruhig, aber sein Innerstes kochte. Wie
konnten seine Söhne es wagen? Mit einer einladenden Geste und einigen
freundlichen Wörtern unterbrach er die leisen Gespräche und erklärte das Essen
als eröffnet. Die Ratsmitglieder fingen an ihre Teller zu füllen. Gandalf
sah unbehaglich zur Tür und dann auf Denethor. Seine rechte Hand zupfte an
den Enden seines langen, grauen Bartes. Er wusste, dass Denethor sich von
seinen Söhnen verraten fühlte. Aber Gandalf wusste auch, dass keiner der
Beiden ohne einen wirklich triftigen Grund einfach nicht erscheinen würde.
Endlich standen sie vor der großen, doppelflügeligen Tür aus schwarzem
Holz hinter der sich der Speisesaal befand. „Wie fühlst Du Dich?“ Er sah
besorgt zu seinem Bruder der sich schwer an seiner Seite stützte. Faramir
trug jetzt ein schwarzes und breites Stirnband. Boromir hatte es etwas
seitlich geknotet, damit die volle Breite des Bandes auch das Blut verdeckte.
„Du musst ab hier alleine gehen. Wirst Du es schaffen?“ „Ich werde es
müssen.“ Faramir ließ von seinem Bruder ab und straffte sich. Er atmete
tief ein. Mit einem leichten Nicken zu seinem Bruder legte er die Hand auf den
Türgriff um sie zu betätigen.
Gandalf wollte gerade seinen Teller füllen
als ein Flügel der großen Tür sich öffnete. Alles sah zur Tür. Denethor
ließ seine Hände mit dem Essbesteck sinken. Ah, da waren sie endlich, seine
Herren Söhne! Gaben sich die Ehre ihrem Vater zu gehorchen! Seine Hände
fingen an vor Wut zu zittern. Er zwang sich seine Neigung zum explodieren zu
unterdrücken. Später, nach dem Essen. Ja, dann würde er seinen Söhnen zeigen
was es hieß Denethors Anweisung zu missachten. Faramir gab sich große Mühe
gerade zu gehen. Aber er wusste, er musste aussehen wie jemand der zuviel
getrunken hatte. Sein Bruder ging hinter ihm. Um ihn aufzufangen, im Fall
der Fälle. An den Tisch angekommen deuteten beide Brüder eine Verbeugung in
Richtung ihres Vaters an und dann in Richtung der anderen Anwesenden.
Boromir umrundete den Tisch an der Kopfseite, wo sein Vater saß, um seinen
Platz einzunehmen. Faramir konnte direkt Platz nehmen. Denethor sah
ungläubig auf seinen jüngeren Sohn. Ihm war der unsichere Gang sehr wohl
aufgefallen. So, wie auch den anderen Personen. Die Ratsmitglieder taten so
als wäre nichts Besonderes und fingen wieder leise an sich zu unterhalten und zu
essen. Gandalf sah Faramir mit zusammen gezogenen Brauen an. Das war nicht
der Faramir den er kannte. „Ihr seid spät!“ Mit dieser Aufforderung zu einer
Erklärung wandte sich Denethor an Faramir. Der zuckte zusammen, den Blick
auf seinen leeren Teller gerichtet. Die kalte Stimme Denethors erfüllte die
Luft. „Vater….“ Boromir startete einen Versuch, um seinem Bruder zu helfen.
Denethors Kopf flog herum um Boromir zu fixieren. „Ich habe nicht Dich
angesprochen, Sohn. Ich glaube, Dein Bruder ist alt genug um sich selbst zu
äußern.“ Boromir senkte seinen Blick unter den kalten, grünen Augen seines
Vaters. Denethor wendete sich wieder an Faramir. „Welche Erklärung hast
Du für Eure Verspätung? Was gab es denn so Wichtiges? Ich würde gern daran
teilnehmen.“ Der Hohn in dieser Stimme war für Faramir unerträglich.
„Vater. Ich bitte um Entschuldigung. Es…es gab nichts anderes was wichtiger
war.“ Denethor zog seine Brauen zusammen. Sein Sohn hob noch nicht einmal
seinen Blick zu ihm! „Vater, bitte….“ „Boromir.“ Die Schärfe in der
Stimme seines Vaters ließen Boromir abermals verstummen. Faramir fühlte,
dass er anfing zu schwitzen und zu zittern. Sein Kopf pochte. Er fühlte die
Übelkeit in sich aufsteigen. Noch immer starrte er auf seinen leeren Teller.
Wie durch Watte hörte er das Geschnatter der Ratsmitglieder. Sie taten gut
daran so zu tun als wäre nichts, dachte er. Gandalf beobachtete das Ganze.
Ihm entging nicht die Totenblässe in Faramirs Gesicht und das leichte
Zittern seiner Hände. Das Kerzenlicht und die schwarze Tunica ließen Faramir
wirklich aussehen wie ein Geist. Gandalf konnte es fast körperlich fühlen,
irgendetwas stimmte nicht. „Vater. Bitte, ich bin nicht hungrig. Bitte, darf
ich gehen?“ Faramir bettelte förmlich, jedoch traute er sich nicht seinen Vater
anzusehen. Er wusste, dass er keine Kraft mehr hatte. Ihm war so übel.
Er hatte Angst er würde sich hier bei Tisch erbrechen. „Du kannst gehen.
Aber zur zehnten Stunde erwarte ich Dich und Deinen Bruder in mein
Arbeitszimmer. Ich denke, wir haben noch etwas zu besprechen.“ Die letzten Worte
waren mehr eine Drohung. Faramir stand langsam auf. Er hatte keine Kraft
mehr, für mehr Wörter oder für eine Verbeugung. Seine Beine wollten ihm nicht
mehr so recht gehorchen und alles schien zu schwanken. Er wusste nicht, dass
er es war der schwankte. Er versuchte langsam die paar Schritte zur Tür zu
gelangen. Ohne Vorwarnung gaben seine Knie nach und dann fühlte er sich auf
dem Boden liegend. Sein Magen rebellierte. Er konnte es nicht mehr
verhindern.
Boromir beobachtete seinen Bruder wie er langsam aufstand.
Ihm fiel jetzt auch die Blässe auf. Gandalf, sowie alle anderen Anwesenden
wunderten sich über das merkwürdige Verhalten Faramirs. Sie sahen ihn recht
unsicher zwei Schritte gehen um dann in die Knie zu sinken. Es wirkte wie
ein pathetischer Kniefall. Dann kollabierte er vollständig und fiel zu
Boden. Boromir sprang von seinem Platz, sein Stuhl schepperte über den
Mamorboden während er zu seinem Bruder eilte. Bevor er ihn erreichte war
Gandalf schon bei ihm. Mit seiner rechten Hand stützte Gandalf seinen Kopf
an der Stirn ab. Es war nicht viel was sein Magen hergab.
Denethor
verließ ebenfalls seinen Platz und beugte sich zu seinem Sohn herunter. Die
Ratsmitglieder waren alle verstummt und standen ebenfalls auf. Für jeden war
deutlich das Blut in den blonden Haaren zu sehen. Es hatte das Haarband
durchdrungen. Denethor zog das Band vom Kopf seines Sohnes. „Warum hat
der Junge nichts gesagt?“ fragte Denethor fassungslos seinen Erstgeborenen. „Wie
ist das passiert?“ „Er hatte einen Unfall. Er wollte es vor Dir verbergen,
weil er Dich nicht enttäuschen wollte,“ erwiderte Boromir bitter. Der kniete
bei Gandalf. Ihre Blicke trafen sich Faramir war jetzt ruhig, er hielt seine
Augen geschlossen. Das würgen hatte gestoppt und sein Magen war leer.
Gandalf hielt seinen Oberkörper an seine Brust gelehnt. „Dein Bruder hat
sich heftig den Kopf aufgestoßen. Er hat vermutlich eine Gehirnerschütterung von
der er noch lange etwas haben wird. Wie konntest Du ihn in so einem Zustand
herbringen?“ Der Vorwurf war deutlich aus Gandalfs Stimme herauszuhören.
„Mithrandir. Ihr kennt ihn. Er hätte es nie anders gewollt.“ Boromir
wusste, der Zauberer hatte Recht. Er hätte ihn sofort in die Häuser der Heilung
bringen sollen. Gandalf legte einen Arm unter Faramirs Rücken und die andere
unter seine Knie. So hob er ihn, mit unerwarteter Leichtigkeit hoch. „Wir
bringen ihn in seine Zimmer. Geh und hol einen Heiler,“ sagte Gandalf zu
Boromir, um dann seinen Bruder aus dem Zimmer zu bringen. Boromir sprintete
davon. Denethor entschuldigte diesen Zwischenfall bei den Ratsmitgliedern
und bedeutete ihnen das Essen fort zu führen. Er selber gab dem Dienstboten
einige Anweisungen damit der Boden von dem Erbrochenen gereinigt wird um dann
Gandalf zu folgen.
2. Denethors innerer Zwiespalt
Endlich erreichten sie Faramirs
Räume. Gandalf wunderte sich die ganze Zeit über so wenig Gewicht, des
jungen Mannes in seinen Armen. Denethor öffnete die Tür um Gandalf mit
Faramir einlassen zu können. Schnell durchquerten sie das Arbeitszimmer um in
das angrenzende Schlafzimmer zu gelangen. Der Zauberer legte ihn seitlich
auf sein Bett damit er nicht auf die Wunde am Hinterkopf liegen würde.
Gandalf strich eine Haarsträhne aus seinem Gesicht. Faramir war ganz
ruhig und hielt seine Augen noch immer geschlossen. „Faramir. Wir ziehen
Dich jetzt um. Hörst Du mich? Kämpfe nicht dagegen an. Deine Sachen sind ganz
nass. So holst Du Dir den Tod. Faramir, hast du mich verstanden?“ Faramir
nickte ganz leicht. Gandalf sah Denethor auffordernd an. So begannen die
Beiden Faramir auszuziehen.
Denethor zuckte leicht bei den ersten
Berührungen an seinem Sohn. Er hatte ihn schon seit vielen Jahren nicht mehr
berührt.
Sie zogen ihm die Stiefel, Tunica und ein Unterhemd aus Als
sie ihm die Hose ausziehen wollten wehrte er sich kurz. Er zog seine Beine
an und krampfte seine Hände am Bund. Er wollte vor seinem Vater nicht nackt
daliegen. Beide Männer hatten Mühe seine Hände zu lösen. Als er endlich
ausgezogen war wurde beiden Männern gewahr wie mager er wirklich war.
Gandalf suchte erschrocken Denethors Blick. Dieser jedoch schaute
unbehaglich zur Seite. Sein Sohn war erst seit ein paar Wochen aus Ithilien
zurück, aber selten hatte Faramir sich zum Essen eingefunden. Und auf sein
Zimmer durfte er sich schon seit Jahren nichts mehr bringen lassen. Die
Küchenbediensteten hatten auch Anweisung ihm nichts zu geben. Wenn er Hunger
hatte sollte er mit seinem Vater speisen.
Gandalf ging zum Schrank und
wühlte, bis er ein langes Hemd und zwei Handtücher gefunden hatte. Er meinte
im Arbeitszimmer einen Krug mit Wasser gesehen zu haben. Schnell holte er
ihn. Dann drückte er Denethor ein Handtuch in die Hand. Gandalf schaute ihn
scharf an. „Zu zweit geht es schneller.“ Sie setzten sich, jeder auf eine
Bettseite und begannen Faramir zu waschen. Anschließend zogen sie ihm das
knielange Hemd an.
Als Boromir mit Caranthir, Denethors persönlicher
Heiler und Freund, das Schlafzimmer seines Bruders betrat sah er, dass Gandalf
und sein Vater ihn schon entkleidet hatten. Er trug jetzt nur ein leichtes
dunkelrotes Leinenhemd und lag seitlich auf seinem Bett.
Boromir trat
auf das Bett zu. Er konnte seinen Augen nicht glauben. Ja, sein Bruder war immer
sehr schlank gewesen, aber das was er sah schockierte ihn.
Caranthir
beugte sich über Faramir um die Wunde zu untersuchen. Er strich die Haare
beiseite um dann eine recht große Platzwunde zu finden. Er pfiff leise durch die
Zähne. „Ein Wunder, dass er überhaupt so lange auf den Beinen war. Der
Schlag, der diese Wunde verursachte hätte einen Troll töten können.“ Er
tastete, um eine Knochenverletzung zu finden, was aber nicht der Fall war.
Vermutlich ein Haarriss, dachte er. Da er den aber nicht diagnostizieren
konnte wollte er die anderen nicht unnötig in Sorge versetzen. Er wendete
sich um. „Denethor, alter Freund. Euer Sohn hatte Glück. Keine
Schädelverletzung. Aber er wird für lange Zeit unter erheblichen Kopfschmerzen
leiden. Diesen Dickschädel muss er von Euch geerbt haben.“ Alle nahmen diese
Worte erleichtert zur Kenntnis. Niemand bemerkte das leichte zusammenzucken
Denethors bei dem Wort `geerbt`. Bevor der Heiler anfing die Wunde zu
behandeln schickte er die anderen aus dem Zimmer.
Als Caranthir die Tür
öffnete um Faramir endlich alleine zu lassen war er überrascht Denethor
vorzufinden. „Denethor, Ihr solltet Eurem Sohn ein wenig Ruhe gönnen.“ „Es
dauert nicht lange, nur einen Moment“ Denethor duldete keinen Widerspruch, das
wusste der andere Mann. Der Heiler schüttelte den Kopf. „Ich habe gesehen,
Mithrandir ist Euer Gast?!“ Denethor war schon über die Türschwelle, als er
sich umdrehte. „Ihr werdet ihn zusammen mit Boromir in mein Arbeitszimmer
finden. Ich werde gleich nachkommen.“ Mit diesen Worten schloss Denethor die
Tür.
Caranthir überlegte noch einen Moment, ob er sich Sorgen machen
sollte. Er hatte Faramir oft genug zusammengeflickt, nachdem er zu
„Besprechungen“ in Denethors Zimmer zitiert worden war. Aber dann ging er den
Gang hinunter in Richtung dieses Zimmers.
Denethor stand vor dem
Schlafzimmer. Einen Moment starrte er auf die Tür und fragte sich, was er hier
eigentlich wollte. Er öffnete sie und sah auf das Bett. Bis auf eine Kerze
am Nachttisch war der Raum dunkel. Es roch nach Blut und Heilkräuter.
Langsam ging er auf das Bett zu.
Faramir war froh, als der Heiler
endlich von ihm abließ. Sein Kopf war verbunden und der Kräutertee tat auch
seine Wirkung. Sein Kopf schmerzte nicht mehr so schlimm, ihm war nicht mehr
übel und er fühlte sich müde. Der Tee wirkte wie eine Schlafdroge. Er fühlte
sich immer leichter werdend. Er registrierte noch das Caranthir zur Tür ging,
und wunderte sich über die Ehre die ihm zuteil wurde. Caranthir kam sonst
nur zu seinen Vater. Er war seines Vaters persönlicher Heiler. Dann fielen ihm
die Augen zu. Er merkte nicht mehr wie sein Vater das Zimmer betrat und nach
kurzem Zögern auf sein Bett zuging.
Denethor setzte sich auf den Stuhl
am Kopfende des Bettes. Sein Sohn lag auf dem Rücken, sein Kopf ihm zu gewandt.
Der Heiler hatte ihn mit einer leichten Decke zugedeckt. Denethor
bewunderte die Schönheit seines Sohnes. Wieso war ihm das nie zuvor
aufgefallen? Er streckte seine rechte Hand aus um das Haar zu berühren.
Die gleichen Haare die seine Frau hatte. Rötlich blond gewelltes Haar.
Dann zeichneten seine Finger die geschlossenen Lippen seines Sohnes nach.
Es waren die gleichen sinnlichen Lippen seiner Frau. Die Berührungen
Denethors waren fast zärtlich. Er sah seine Frau, seine geliebte Finduilas,
dort liegen. Tränen formten sich in seinen sonst so kalten Augen beim
Anblick Faramirs. Sanft strich er über die Wange seines Sohnes. Faramir
hatte fast etwas Feminines an sich, so sehr ähnlich seiner Mutter. Er sah
die schmalen Handgelenke und die langen, ebenfalls schmalen Finger. Hände
eines Poeten, eines Träumers, aber nicht die eines Kriegers. Denethor sah
viel von Finduilas im Gesicht seines Sohnes. Aber er sah nichts von sich.
So sehr er auch in all den Jahren hoffnungsvoll danach gesucht hatte.
Boromir hatte auch viel von seiner Mutter. Aber in diesem Gesicht konnte
er auch etwas von sich sehen. Die grünen Augen Denethors und das gesamte
Kinn. Auch die kräftige Statur hatte Boromir von ihm.
Vor seinem
geistigen Auge tauchte jetzt wieder Thorongil auf. Er diente schon unter
seinem Vater, Ecthelion. Kurz nach der Bekanntgabe der zweiten
Schwangerschaft seiner Frau verschwand er aus Gondor. Er sah ihn noch vor
sich. Groß und hager, blaue Augen und äußerst geschickt mit Pfeil und Bogen.
So wie Faramir auch…….. War es wirklich so? Seine Finduilas und
Thorongil? Er hatte sie einmal danach befragt. Sie weinte nur und gab keine
Antwort. Aber Denethor wusste es.
Faramir weckten die sanften
Berührungen, fast wie Liebkosungen. `Boromir` dachte er. Als er die Hand
an seiner Wange fühlte, öffnete er die Augen. Das was er sah, entsetzte ihn.
Seine Augen weiteten sich in Angst. Es war sein Vater. Aber dann
erkannte er den Blick seines Vaters! So hatte er ihn noch nie angesehen.
Er sah Schmerz und Liebe in den Augen seines Vaters und Tränen. „Vater,
es tut mir leid.“ Faramirs Stimme war nur ein Flüstern.
Denethor sah auf
seinen Sohn herab, es war wie ein Stich in sein Herz als er das Entsetzen und
die Angst in dem Gesicht seines Sohnes las. „Es ist gut. Faramir, Du
brauchst Dich für nichts zu entschuldigen. Schlafe jetzt. Ruhe Dich aus.“
Denethor strich noch einmal sanft über das Gesicht seines Sohnes, um dann
aufzustehen und den Raum zu verlassen. Als er hinter sich die Tür schloss
war sein Sohn schon fest am schlafen.
Als Caranthir zu Boromir sagte,
das Denethor darauf bestand seinen Sohn alleine zu sehen wollte er zur Tür
heraus stürmen. Doch der Heiler konnte ihn gerade noch am Ärmel seiner
Tunica festhalten. „Boromir. Glaube mir, ihm wird nichts geschehen. Ich habe
etwas im Gesicht Deines Vaters gesehen, dass ich nie zuvor gesehen habe. Dein
Bruder war nach den Schikanen eures Vaters oft genug bei mir. Ich bin nicht
leichtfertig gegangen!“ Die Stimme des Heilers war eindringlich. Boromir
sah dem Heiler ins Gesicht. Er forschte nach etwas, dass wie Lügen oder
Beschwichtigung aussehen würde oder Feigheit. Er konnte nur reine
Ehrlichkeit und Vertrauen finden. Er seufzte schwer, ließ sich wieder in
seinen Sessel fallen und fuhr sich mit beiden Händen durch das blonde, lange
Haar. Gandalf entkorkte eine Flasche Wein und Caranthir holte vier Gläser
aus dem Regal. Die Männer warteten darauf, dass Denethor erscheinen würde.
Denethor durchwanderte den langen Korridor zu seinem Arbeitszimmer. Die
Säume seines schwarzen Mantels glitten lautlos über den dunklen Boden. Die
Tränen in seinen Augen fühlten sich so fremd an. Die letzten Tränen vergoss er
für Finduilas und das war vor 15 Jahren. Er blieb stehen, um seine Tränen
aus den Augen zu wischen. Gleich würde er sein dieses Zimmer betreten.
Keiner sollte Tränen in den Augen des 26. Stadthalters von Minas Tirith
sehen. Keiner sollte Tränen in den Augen Denethors, Ecthelions Sohn, aus dem
Hause Hurin sehen. Tränen für seinen Bastard-Sohn Faramir.
3. Bittere Wahrheit
Als die Türe sich öffnete und Denethor sein
Arbeitszimmer betrat, sahen ihn drei Augenpaare fragend an.
Denethor
sah, dass die drei Männer sich in großen und bequemen Sesseln um den Kamin herum
gesetzt hatten. Es waren vier Sessel und in der Mitte war ein kleiner Tisch.
Dort stand eine Flasche Wein aus Dol Amroth und vier Gläser, wovon drei
gefüllt waren. „Faramir schläft“, mehr brachte Denethor nicht heraus. Er
fühlte den Blick seines anderen Sohnes auf sich.
Caranthir räusperte
sich. „Denethor, mein Freund. Wir sollten uns trotzdem über Faramirs Zustand
unterhalten.“
Gandalf blickte von Caranthir zu Denethor um dann einen
kurzen Blick auf Boromir zu werfen. Gandalf wusste was jetzt zur Sprache
kommen würde und er wusste auch, dass es Boromir sehr schmerzen würde.
Denethor blickte ärgerlich auf den Heiler. „Ich weiß was Ihr mir
vorwerfen wollt. Aber Faramir ist alt genug, um auf sich selber aufzupassen. Es
ist nicht meine Schuld.“
„Ich will nicht von Schuld oder Schuldigern
reden. Denethor, Euer Sohn liegt mit einer schweren Gehirnerschütterung in
seinem Zimmer. Untergewichtig und mit Flüssigkeitsmangel. Jedes noch so harmlose
Fieber oder Virus kann für ihn tödlich sein. Sein Körper hat keinerlei
Kraftreserven.“
„Was sollte ich denn Eurer Meinung nach getan haben? Ihn
Zwangsernähren, ihn mit vorgehaltenem Dolch zwingen zu trinken?“ Denethors
Stimme wurde immer lauter. Jeder im Raum wusste, dass Denethor in der Küche
den Befehl erließ, auch auf Bitten Faramirs, ihm nichts an Essen oder Trinken zu
geben.
Caranthir schüttelte ungläubig den Kopf. „Gebt Euren Sohn die
Möglichkeit zu essen, wann und wo er will.“
Boromir sah zum geöffneten
Fenster. Es war in doppelter Hinsicht eine schwarze Nacht. Er hörte in der
Ferne ein Donnergrollen. Ein Gewitter zog auf! „Faramir hatte immer Furcht
vor Gewittern,“ murmelte er. Die anderen schauten ihn überrascht an. Hatte er
das Gespräch nicht mitangehört? „Als kleiner Junge kam er immer zu mir ins
Bett gekrochen. Ich habe ihm dann Geschichten erzählt. Bis er endlich
einschlief.“
Denethor sah die Liebe Boromirs zu seinem Bruder. Er
stand auf und ging zum Fenster. Das Donnergrollen war jetzt schon näher. Ein
Blitz zuckte durch die Dunkelheit der Nacht. Die Stille zwischen den Männern
war unbehaglich. War es nicht auch ein Gewitter gewesen, dass seine Frau
zwang ihre Reise zu unterbrechen und mit dem kleinen Boromir, er war damals vier
Jahre, ein Zimmer in diesem kleinen Gasthof zu nehmen? Und war nicht
zufällig an diesem Abend auch Thorongil in diesem Gasthof? Was für ein
merkwürdiges Geschick! Denethor erinnerte sich zu genau. Auch damals
stand er am Fenster und beobachtete das fürchterliche Gewitter. Er hatte sich
große Sorgen um seine Frau gemacht. Und was für ein merkwürdiges Geschick,
dass Faramir solch eine panische Angst vor Gewittern hatte. Thorongil! Er
ballte seine Fäuste.
Gandalf stand auf. „Ich denke, wir sollten alle
jetzt zu Bett gehen. Wir sind alle emotional aufgewühlt. Wir laufen Gefahr etwas
zu sagen oder zu tun was wir vielleicht bereuen würden.“
Caranthir
nickte, er nahm sein Glas um den Rest Wein zu trinken. Dann stand er auf, um
sich zu verabschieden. „Faramir wird bis morgen Nachmittag oder frühen Abend
schlafen. Wenn er wach ist, lasst es mich wissen.“ Er wandte sich an
Boromir. „Er sollte immer etwas zu trinken oder zu essen zur Verfügung haben. Er
kann auch mal kurz erwachen.“ Er klopfte Boromir auf die Schultern, nickte
den anderen zu und verschwand.
Boromir erhob sich von seinem Sessel.
„Vater, gehe Du schlafen. Ich hole etwas aus der Küche und bleibe bei Faramir.“
Denethor drehte sich zu seinem Sohn. „Ist es nicht mehr Deine Angst er
könnte vom Gewitter aufwachen? Ist es nicht mehr Deine Angst, er liegt in seinem
Zimmer und fürchtet sich und keiner ist da der den armen Faramir tröstet und
Geschichten erzählt?“ Denethors Gesicht verzog sich vor Verachtung.
„Vater“, Boromir schrie seinen Vater vor Verzweiflung an. „Du hast
Caranthir gehört. Wenn Du deinen Pflichten als guter Vater nicht nachkommen
willst, werde ich mich um meinen Bruder kümmern. So, wie ich es in all den
Jahren getan habe.“
Denethor war entsetzt. Er ging rasch auf seinen Sohn
zu und schlug ihn mit dem Handrücken quer durchs Gesicht.
Gandalf eilte
zwischen Vater und Sohn. Seine Stimme war scharf. „Denethor. Vergesst Euch
nicht.“
Denethor starrte den Zauberer an und zischte „Was geht Euch das
an, Mithrandir?“ Er spukte den Namen förmlich aus. „Es sind meine Söhne. Meine
und nicht Eure.“ Dann drehte er sich um und fegte aus dem Zimmer, die Tür
hinter sich zukrachend.
Boromir ließ sich wieder in seinem Sessel fallen
und füllte sein Glas. „Mithrandir, wollt Ihr auch noch ein Glas?“
Gandalf seufzte nickend und ließ sich auch noch mal nieder. „Im Kopf
Deines Vaters geht mehr herum als nur der Unfall Deines Bruders.“ Er schaute
Boromir fest ins Gesicht.
Boromir verstand nicht. „Was, Mithrandir?
Was geht im Kopf meines Vaters noch vor? Wenn Ihr es wisst, sagt es mir. Erst
Recht wenn es meinen Bruder betrifft.“
„Ja, es betrifft Deinen Bruder.
Aber in einer Art und Weise die Dir nicht gefallen wird. Und Dein Vater trägt
dieses Wissen seit zwanzig Jahren verschlossen in seinem Herzen mit sich.“
Gandalf musterte Boromir und überlegte, ob die Zeit wirklich reif war diesem
jungen Mann eine Illusion zu nehmen. Ihm etwas zu offenbaren dass sein Leben
verändern würde. Vielleicht auch das innige und liebevolle Verhältnis zu seinem
Bruder. Gandalf wusste genau, wie Boromirs Gefühle gegenüber seines Bruders
waren. Es waren neue Gefühle, die der junge Mann noch nicht so richtig
verstanden hatte. Aber das war ein anderes Thema und damit konnte er die
Brüder alleine lassen.
Boromir wurde ungeduldig unter der Musterung des
Zauberers. Er fuhr sich noch mal durch das Haar um dann einen Schluck Wein
zu nehmen.
Auch Gandalf hob sein Glas um zu trinken. Dann begann
Gandalf zu erzählen was damals im Jahre 2982 passiert war. Er erzählte ihm
von der Reise die seine Mutter mit ihm machte. Sie wollte ihre Heimat
besuchen. Sie wollte ihren Bruder, Prinz Imrahil, in Dol Amroth besuchen.
Denethor wollte sie nicht gehen lassen. Aber diesen Wunsch setzte sie durch.
Gandalf erzählte von der Rückreise, von dem Gewitter und dem Gasthof.
Und dann erwähnte er das erste Mal Thorongil. „Erinnerst Du Dich an
ihn?“
Boromir schüttelte den Kopf. „Kaum. Ich war damals vier Jahre
alt. Ich weiß noch, dass er groß und sehr schlank war. Er war ein guter
Bogenschütze.Und ich kann mich auch an seinen Bogen erinnern.“ Die letzten
Worte kamen sehr langsam. Jetzt erst verstand er! Faramir war ebenfalls ein
exzellenter Bogenschütze. Vielleicht der beste in Minas Tirith! Seine
Augen wurden groß und ungläubig als er Gandalf ins Gesicht sah. „Nein. Das
ist nicht möglich. Meine Mutter?“ Er stand auf und fing an auf und ab zu
gehen. Gandalf gab ihm die Zeit. Dann blieb er vor dem Zauberer stehen.
Er fixierte dessen Gesicht und sagte gefährlich leise: „Ich hoffe, Ihr wisst
was Ihr da gesagt habt. Ihr habt meine Mutter entehrt.“
Gandalf stand
auf und legte beide Hände schwer auf Boromirs Schultern. Er sah ihm in die
Augen. Der Zauberer wirkte in diesem Moment alt und unglücklich.
„Boromir. Es liegt mir fern Deine Mutter zu entehren. Bitte, ruf Dir die
Gestalt Deines Bruders in Erinnerung und dann Thorongils. Beide sind in der
Figur sehr schmal. Beide sind überragend gute Bogenschützen. Beide haben die
langen, geschmeidigen Finger dafür. Dein Bruder war nie ein Schwertkämpfer. Du
weißt das. Und Dein Bruder hat die blauen Augen Thorongils.“
Boromir
starrte den Zauberer nur an. Denethor war nicht der Vater seines Bruders?
Seines Halbbruders! Denethor hatte es gewusst und hatte ihm trotzdem den
Namen Hurin gegeben? Hat ihn dem Volk Gondors als seinen Sohn vorstellt?
„Wer weiß es noch?“
"Es wissen nur wenige Personen. Dein Vater,
Caranthir und ich. Deine Mutter hat es nie ausgesprochen. Thorongil weiß es
nicht genau. Er nahm es damals an. Aber als er in Rohan davon erfuhr, dass
Denethor dem Volk von Gondor die glückliche Geburt seines zweiten Sohnes
verkündete verwarf er diesen Gedanken. Es war auch besser so.“ Gandalf
senkte seine Hände und ging zum Fenster. Das Gewitter war noch nicht über
Minas Tirith. Er drehte sich wieder zu Boromir.
„Das ist der Grund
warum Vater ihn so hasst? Das ist der Grund seiner Schikanen? Seiner Wut,
Ungerechtigkeit und Kälte gegenüber Faramir,“ hörte Boromir sich flüstern.
Die Gedanken in seinem Kopf überschlugen sich.
Nein. Er hasst ihn
nicht. Er hasst das, was er verkörpert. Er ist Finduilas, seine geliebte Frau,
und Thorongil.“ Gandalf ging auf Boromir zu und drückte ihn in seinen
Sessel. Auch er setzte sich wieder. „Wenn ich mich recht erinnere bekam
Dein Bruder zu seinem 18. Geburtstag ein sehr wertvolles Pferd von Deinem Vater
geschenkt. Er ist selber nach Rohan geritten um es auszusuchen. Rein zufällig
war ich auch dort. Ich beriet Deinen Vater damals. Er wollte für Faramir einen
großen, starken Hengst kaufen. Aber ich wusste, dass Dein Bruder damals noch
kein sehr sicherer Reiter war. Daher riet ich zum Kauf einer ausgebildeten und
zuverlässigen Stute. Er hat sie auch gekauft.“
„Ja, die große Fuchsstute
Nimloth. Aber ich wusste nicht, dass Vater extra deswegen nach Rohan geritten
ist,“ sagte Boromir erstaunt.
"Zu seinem 16. Geburtstag bekam Dein
Bruder ein ganz besonderes Schwert. Es sollte genau so gut wie die Herkömmlichen
sein, aber um ein vielfaches leichter. Damals war Faramir noch recht schmächtig.
Dein Vater hatte alle ihm bekannten Schmiede zitiert. Er wollte das Beste. Für
seinen Sohn!“ Gandalf gönnte sich noch einen Schluck Wein. „Dein Vater
bestraft sich selbst. In all den Jahren hat Faramir Deinen Vater daran erinnert,
was passiert ist.“ Gandalf sah Boromir ernst ins Gesicht. „ Es ist
schlimm genug, wenn ein Mann durch seine Frau entehrt wurde. Aber Dein Vater
wusste mit wem und er wusste den Zeitpunkt, fast auf die Stunden genau. Und er
wusste den Ort.“ Gandalf nahm noch ein Schluck Wein, während Boromir wie
versteinert in seinem Sessel saß. „Als es Deinem Vater und Caranthir bekannt
wurde, dass Deine Mutter schwanger ist hätte Faramir ein 8 Monatskind werden
müssen, wenn es von Denethor gezeugt worden wäre. Aber er kam pünktlich nach 9
Monaten. So wussten sie, es war nicht von Denethor. Als Deine Mutter von der
Reise zurückkam kränkelte sie und sie hatte über Wochen ein eigenes Schlafgemach
und keinen Kontakt mit ihrem Ehemann.“
Boromir schaute den Zauberer
resigniert an. „Woher wisst Ihr es?“ Diese Frage brannte in seiner Seele.
„Viel brauchte man mir nicht sagen. Und teilweise von Thorongil. Er
vermutete es damals bloß. Er erzählte mir alles. Er liebte Deine Mutter. Hätte
sie geheiratet. Aber Denethor hätte sie nie gehen lassen und sie hätte Dir nie
den rechtmäßigen Vater genommen und Dein Erbrecht als 27. Truchsess von Gondor.“
„Aber hat sie denn nie an Faramir gedacht?“ Tränen stiegen in seinen
Augen auf. „An das was er durchmachen müsse wenn er es erfährt.“
„Boromir“! Die Stimme Gandalfs war sanft, er beugte sich vor. „Was
hätte sie tun können? Nichts. Dein Vater hat es getan. Er hat Faramir als seinen
Sohn anerkannt, hat ihm seinen Namen gegeben. Er hat ihm den mächtigen Namen
Hurin gegeben!“
„Er hätte ihn nach der Geburt nach Rohan, zu seinem
leiblichen Vater bringen lassen können. Vielleicht mit einem weniger mächtigen
Namen, aber vielleicht zu einem Vater der ihn liebt.“
„Es hätte Deiner
Mutter das Herz gebrochen. Es war ihr Sohn, ihr Fleisch und Blut. Mit Schmerzen
geboren. Sie liebte Faramir.“
„Als Mutter tot war hätte Vater ihn
weggeben können. Warum hat er es nicht getan?“ Boromirs Stimme wurde immer
verzweifelter. Er fühlte die Tränen, die über sein Gesicht liefen. Aber er
schämte sich ihrer nicht.
„Wie hätte Dein Vater vor seinem Volk
dagestanden? Wenn er, der Truchsess, seinen fünf jährigen Sohn weggegeben hätte?
Nein. Dein Vater hatte nur vier Möglichkeiten! Entweder Faramir starb durch
Krankheit oder Unfall, oder,“ Gandalf stockte, „er würde diesem nachhelfen. Die
vierte Alternative war ihn als seinen Sohn groß zu ziehen.“ Gandalf war das
Gespräch sehr unangenehm. „Boromir, ich will damit nicht entschuldigen, dass
er Deinen Bruder so quält. Das, was er ihm angetan hat und täglich antut ist
nicht zu verzeihen. Er hat Deinen Bruder fast zerbrochen.“
Boromir
schloss seine Augen. Es war jetzt fünf Jahre her als er den geschundenen
Körper seines Bruders im Arm hielt. Er öffnete die Augen und suchte Gandalfs
Blick. „Mithrandir. Vor fast genau fünf Jahren kam ein einfacher Dienstbote
zu mir geeilt. Ich machte gerade Schwertkampf-Übungen. Dieser Dienstbote war
völlig aufgelöst. Ich solle sofort zum Amtszimmer meines Vaters gehen. Es
ginge um Faramir.“ Boromir schloss nochmals die Augen und holte tief Luft
bevor er fortfuhr. „Ich rannte den Weg zu diesem Raum. Als ich dort ankam,
waren Caranthir und ein Wachposten bereits dort. Mein Vater stand am Fenster.
Faramir lag auf dem Boden.“ Boromir schluckte. „Er hätte ihn fast
totgeprügelt. Sie haben meinen Vater zu zweit von ihm weggezogen. Er hatte
mehrere Knochenbrüche, ein Auge war fast vollständig zugeschwollen, seine Lippen
aufgeplatzt, sein ganzer Körper war blau und schwarz. Und wisst Ihr warum?“
Boromir fixierte Gandalfs Augen. „Er hatte unten in den Ställen einen
alten Mann getroffen der ihm ein wenig aus der Vergangenheit erzählte. Unter
anderem von einem tapferen Soldaten. Faramir ging dann arglos zu seinem Vater,
um ihn zu fragen wer das war und ob er ihn kennen würde. Er befragte ihn nach
Thorongil.“
Ein lautes Donnern, mehr ein Krachen erfüllte die Luft.
Das Gewitter hatte die Stadt erreicht. Der Regen fing an. Er prasselte
auf Dächern und Straßen. Und immer wieder Blitzen und krachendes Donnern vom
Himmel. Es war als ob die Götter erzürnt wären. Boromir fühlte sich als
wenn er aus einem Traum erwachen würde. Ihm fiel sein Bruder ein, die Worte
Caranthirs. „Gandalf, mein Bruder“, mehr vermochte er nicht zu sagen. Er
stand schnell auf um zur Tür zu gehen. Bevor er sie öffnete, drehte er sich noch
einmal um. Der Zauberer saß noch immer an seinem Platz. „Danke.
Mithrandir.“ Nach diesen Worten ging er durch die Tür in Richtung Küche.
Gandalf seufzte schwer, er stand auf um sich auf den Weg zu seinem
Quartier zu machen. Jetzt fühlte er sich wirklich alt und müde.
-->
zu
Kapitel 4 - 6
~~~~~
|
|
|