Titel: Der Adler ruft (Kap. 10 - 12)
Autor: Leonel



10. Schatten nähern sich

Sie saßen am Frühstückstisch und warteten.
Denethor, Boromir, Gandalf und Aragorn. Sie warteten auf Faramir.
Denethor konnte es nicht fassen. Er glaubte es einfach nicht! Wie konnte der Junge es wagen?
Seine Wut drohte ihn zu übermannen. Er beherrschte sich nicht selber aufzuspringen und ihn in seinen Zimmern aufzusuchen.
Die anderen schauten sich unbehaglich gegenseitig an.
Denethor rief mit der Tischglocke einen Dienstboten. „Geht. Holt Lord Faramir.“
Mit einer wedelnden Handbewegung scheuchte er den Dienstboten weg.
Nach ein paar Minuten kam der Bote alleine zurück. Er sah recht unglücklich aus.
Boromir schaute ihn alarmiert an, sowie auch Gandalf.
„Wo bleibt mein Sohn?“ Schnaubte Denethor.
Der Dienstbote schaute zu Boden. „Mein Lord. Euer Sohn weilt nicht in seinen Räumen. Mir wurde soeben berichtet, dass er heute in den frühen Morgenstunden die Stadt zu Pferd verlassen hat. Er ritt in Richtung Belfalas, Sir.“
Boromir sprang auf.
„Setz Dich wieder hin.“ Die scharfe Stimme seines Vaters ließ ihn gehorchen.
Denethor sah seinen Sohn an während er sprach. „Geht zum Richter. Er soll es amtlich verkünden lassen. Ist Lord Faramir ab jetzt an, Morgen um diese Stunde nicht in der Stadt, ist er als Deserteur zu betrachten.“
„Vater.“ Es war ein verzweifelter Aufschrei.
Der Dienstbote verließ so schnell er konnte den Raum und schloss die Tür.
Auch Gandalf und Aragorn trauten ihren Ohren nicht. Die Strafe eines Deserteurs war der Tod auf dem Scheiterhaufen!
Jetzt war es Gandalf der aufstand und sich auf den Tisch abstützte. „Denethor. Ihr habt gerade Euren Sohn offiziell zum Tode verurteilt!“
Der Hass auf Aragorn hatte ihn überwältigt. Denethor stand auch auf, verließ seinen Platz und ging ein paar Schritte. Dann drehte er sich um und suchte den Blick Aragorns. Denethors Augen funkelten. „Habe ich das wirklich? Habe ich soeben meinen Sohn zum Tode verurteilt?“ Die Betonung lag bei `meinen`.
Jetzt war es an der Zeit!
Aragorn stand auch auf, er umrundete den Tisch und ging auf Denethor zu. Vor ihm blieb er stehen und sah ihm fest in die Augen. „Was soll dieses Versteckspiel noch? Seit gestern weiß ich es. Faramir ist mein leiblicher Sohn. Wenn Ihr Rache wollt, nehmt mein Leben.“
Damit kniete er vor Denethor nieder und beugte sein Haupt.
Gandalf und Boromir nahmen es ungläubig zur Kenntnis!
Es war wirklich ausgesprochen und Aragorn würde sein Leben für einen Sohn geben, den er nur kurz kennen gelernt hatte.

Denethor schaute auf das vor ihm geneigte Haupt Aragorns. Nein, so einfach würde er es ihm nicht machen
Seine Stimme zitterte vor unterdrückter Verachtung. „ Erst schwängert Ihr meine Frau und dann macht Ihr Euch aus dem Staube. Ihr habt mich gezwungen Euren Bastard großzuziehen. Er trägt meinen Namen, nicht den Euren. Und dann habt Ihr die Frechheit nach zwanzig Jahren zurück zu kehren, um mir großzügig Eure Dienste anzubieten. Glaubtet Ihr, ich habe keine Ehre?“
Aragorn hob sein Gesicht zu Denethor. „Mein Lord. Ich hatte keine Ahnung, dass Faramir mein Sohn ist. Es tut mir alles sehr leid.“
Denethor sah in die gleichen bittenden Augen seines Zweitgeborenen. Er verspürte den Drang zu zuschlagen.
Die Tür öffnete sich und der Dienstbote trat ein.
Denethor fuhr herum. „Was wollt Ihr?“
„Mein Lord, ein Späher hat die Stadt erreicht. Er berichtet, dass große Orkverbände sich der Stadt Osgiliath von Osten nähern.“
„Wie viele?“
„Der Späher berichtete es wären ungefähr Viertausend.“
„Wann werden sie die Stadt erreichen?“
„Wenn sie in dem Tempo weitermarschieren in drei Tagen.“
Denethor war aus dem Konzept. „Geht.“ Und der Dienstbote verschwand.
Er drehte sich wieder zu Aragorn. „Jetzt könnt ihr beweisen, was Ihr wert seid. Reitet nach Osgiliath.“
Aragorn starrte Denethor an.

Er ritt den ganzen Tag.
Gegen Abend lenkte er Nimloth in einen kleinen Wald. Der würde ihnen Schutz für die Nacht bieten. Dort fand er auch einen Bach. So konnte er zumindest etwas trinken.
Auch Nimloth senkte ihre Nase in das kühle Wasser, dann fing sie an zu grasen.
Faramir tat es zwar leid, aber er nahm ihr nicht die Zäumung ab. Schutz fand er an dem Stamm eines gefallenen Baumes.
Er fühlte sich erheblich besser seit er unterwegs war. Er genoss immer den Aufenthalt in der Natur. Er war zum Waldläufer geboren. Er liebte die Wälder von Ithilien und fühlte sich Eins mit ihnen.
Sein Vater hatte gut daran getan, ihn in die Kompanie der Waldläufer zu schicken. Das war aber auch das einzig Gute, was ihm je von seinem Vater gewahr wurde.
Dass sein Leben verwirkt war, wusste er nicht.

An diesem Tag verbrachte Boromir viel Zeit an der Außenmauer des siebten Zirkels. Er starrte immer wieder nach rechts über den Pelennor, in Richtung Belfalas.
Er hatte seinen Vater förmlich angefleht seinem Bruder folgen zu dürfen. Aber Denethor blieb eisern und verbat es ihm.
Jetzt war es Abend.
„Euer Bruder wird nicht zurückkommen.“ Es war die sanfte Stimme Aragorns, der stand jetzt neben ihm und schaute in die gleiche Richtung.
„Ich kenne ihn zu gut, ich wusste, dass er nicht zurückkommt, aber gehofft habe ich trotzdem.“
Es war für Boromir ein befremdendes Gefühl mit dem leiblichen Vater seines Bruders, Halbbruders, zu reden.
Er wendete sich zu Aragorn und redete in Bitterkeit weiter. „Warum seid Ihr gekommen? Mein Bruder hat bitter leiden müssen. Wir hätten ihn fast verloren. Aber dadurch hatte Vater seine Liebe für ihn gefunden. Als Ihr kamt, gab er sich wieder seinem Hass hin.“
Aragorn schaute in die ernsten Augen des jungen, blonden Mannes. „Boromir, es tut mir leid, ich hatte keine Ahnung. Ich wusste weder von meiner Vaterschaft, noch von den Gefühlen Eures Vaters gegenüber Faramir. Hätte ich auch nur den Schimmer einer Ahnung gehabt, ich wäre nicht gekommen.“
Dann lächelte er leicht. „Ich kann mich noch an Euch erinnern.“
Boromir lächelte nicht, als er antwortete: „Auch ich erinnere mich ein wenig an Euch.“ Dann schaute er wieder über den Pelennor.

An diesem Abend erschien Boromir nicht zum Abendessen.
Denethor ließ ihn auch nicht rufen.
Er stand in dem Arbeitszimmer seines Bruders. Seine Hand griff die kleine Holzbox und er holte die Muschel hervor.
Onkel Imrahil kam damals zur Totenfeier ihrer Mutter. Er brachte dem kleinen Faramir diese Muschel mit.
Boromir konnte sich noch genau daran erinnern, wie sein kleiner Bruder sie das erste Mal in die Hand nahm und staunend betrachtete.
Seine Hände waren damals so groß wie die Muschel.
Dann entdeckte er, dass die Farben sich immer wieder wechselten. Faramir schaute dann zu seinem Bruder auf und streckte ihm die Muschel entgegen, damit auch er sie sehen konnte.
Es war das erste Mal seit Tagen, dass der kleine Junge lächelte und seine Augen strahlten. Dann flüsterte Faramir den Namen seines Bruders. Seit dem Todestag ihrer Mutter hatte er kein Wort gesprochen.
Er fing erst wieder damit an als er die Muschel hatte.
Boromir sah es noch genau vor sich, als Faramir sich zu seinem Onkel wendete und seine Arme zu ihm hochstreckte.
Onkel Imrahil ging in die Hocke um den kleinen und schmalen Körper zu umarmen.
Als er Boromir dabei ansah, konnte er die Tränen in den Augen seines Onkels sehen.
Er legte die Muschel zurück in die Holzbox. Seine Hand streichelte noch einmal über die Box, dann stellte er sie zurück.
Mit einem letzten Blick auf das Zimmer seines Bruders verließ er es um seine Eigenen aufzusuchen.
Ja, er liebte seinen Bruder mit jeder Faser seines Herzens.

Faramir hatte soeben den Fluss Erui überquert. Es war noch früh am Morgen.
Jetzt musste seine Stute einen recht hohen Hügel hinaufklettern. Er gab ihr die Zügel und lehnte sich nach vorn. Wollte ihr alle Freiheiten geben, die sie bräuchte.
Als er oben angekommen war, konnte er auf die vor ihm liegende Ebene sehen. Und dann sah er es!
Armeen der Haradrim! Sie marschierten in seine Richtung. Er schätzte sie auf zweitausend Mann.
Einen Moment überlegte er. Würde er ihnen entgegen reiten, bedeutete das eine schnellen Tod.
Aber wäre das nicht feige?
Müsste Gondor nicht gewarnt sein?
Sollte Gondor nicht die Chance haben, um sich auf die Verteidigung vorzubereiten?
Er hielt die Zügel seiner Stute in der rechten Hand und sah hinab. Sie waren noch recht weit weg.
Ihn konnten sie nicht sehen. Er stand auch im Schutze eines übermannsgroßen Felsen.
In seinem Gesicht arbeitete es. Der Wind fuhr durch seine Haare, während er hinabschaute. Entschlossenheit trat in seinen Augen.
Er wusste jetzt was er tun musste. Faramir wendete sein Pferd und ritt zurück. Er verlangte alles von Nimloth.
In seinem Herzen war er Gondor treu.

Die genannte Stunde brach an. Aber Faramir war nicht gekommen.
Boromir hatte den ganzen Morgen an der Außenmauer gestanden. Aber sein Bruder kam nicht. Sein Herz sank.
Er fühlte, dass seines Vaters Herz von Hass zerfressen war. Sein Vater würde es wahr machen.
Länger konnte er es auch nicht mehr aufschieben, er musste mit den Kommandanten seiner Heere sprechen. Sie mussten sich vorbereiten.
Er wendete sich ab und ging seinen Weg.

Am Abend waren sie in Denethors Studio und erarbeiteten die Strategie, wie sie vorgehen wollten.
Der persönliche Kampf stand jetzt im Hintergrund. Gondor musste sich bereit machen. Bereit für den Krieg.
Sie beugten sich alle über dem Schreibtisch. Dort lag eine Landkarte.

Faramir hatte die Stadt fast erreicht. Die Wächter des Tores erkannten ihn und öffneten es sofort. Er galoppierte herein, parierte durch und sprang vom Pferd. Ein Soldat nahm ihm die verschwitzte, schwer atmende Stute ab. Ohne große Erklärungen rannte er los. Er musste zu seinem Vater.
Er registrierte die Bewegung in der Stadt. Die Soldaten, die an ihm vorbei eilten waren bewaffnet.
Wusste sein Vater bereits von den Haradrim?
Er kam gerade im sechsten Zirkel an als eine Garde seines Vaters ihm entgegen kam. Es war Hauptmann Laval.
Er blieb vor Faramir stehen, verbeugte sich und sagte: „Lord Faramir. Euer Vater befahl Euch festzunehmen. Es tut mir leid.“
Faramir war so verdutzt, dass er nicht reagieren konnte. Zwei Männer kamen an seine Seiten und hielten ihn an den Armen fest. Sie führten ihn ab.

Die Tür ging auf und Denethor fuhr herum. „Was gibt es denn jetzt noch?“ Er schrie es nur so heraus.
Dem Dienstboten war der Tag eh schon viel zu lang. „Mein Lord. Mir wurde soeben berichtet, dass Euer Sohn, Lord Faramir, die Stadt erreicht hat. Er wurde von der Garde festgenommen. Wie Ihr es befiehlt habt.“
Denethor drehte sich ganz zu ihm um und lächelte. „Bringt ihn her.“
Der Bote verbeugte sich und verschwand.
„Vater.“ Boromir konnte es nicht glauben.
Mit einer Handbewegung brachte er ihn zum Schweigen. Er sah Aragorn in die Augen, in seinem Gesicht war ein grausames Lächeln.
Aragorn schauderte es.

Sie brachten Faramir vor der Tür zum Arbeitszimmer seines Vaters.
Er wusste, wer dort anwesend sein würde. Tief atmete er ein bevor er die Tür öffnete um einzutreten.
Ja, sie alle waren da. Sein Vater, sein Bruder, Mithrandir und ….Thorongil. Sie alle schauten ihn an.
Er trat ein und ging zu seinem Vater.
Mit gesenktem Kopf blieb er vor seinem Vater stehen. Er wollte ihm von der Bedrohung der anmarschierenden Haradrim in Kenntnis setzen. Aber sein Mund fand keine Wörter. Er sah auf, zu seinem Vater. „Vater.“
Denethor sah Faramir an. Mit der Rückseite seiner rechten Hand schlug er ihm quer durch sein Gesicht.
Der Schlag wurde mit aller Kraft Denethors ausgeführt.
Es warf seinen Sohn rückwärts an einen Tisch an der Wand. Er versuchte sich dort festzuhalten.
Aber der Schlag war so heftig, dass er den Tisch mit sich riss. Er blieb auf dem Rücken liegen. Dann rollte er sich auf die Seite und kam auf seine Knie.
Seine rechte Gesichtshälfte brannte. Er sah, dass Blut zur Erde tropfte und legte seine Hand auf die schmerzende Wange.
Der Siegelring seines Vaters hatte die Haut auf dem rechten Jochbein aufgeschlitzt.
„Steh auf.“ Es war die Stimme seines Vaters.
Faramir hob sein Gesicht. Sie konnten das Blut sehen, dass zwischen seinen Fingern hervorquoll.
Gandalf hatte eine Hand auf Boromirs Schulter gelegt, um ihn zurückzuhalten.
Faramir stand langsam auf. Sein Kopf war gesenkt. Seine Hand lag immer noch auf seinem Gesicht.
Aragorn trat vor. Er sah von Faramir auf Denethor. „Mein Lord, das reicht.“ Seine Stimme war leise, aber fest.
Denethor fuhr herum. „Was wollt Ihr mir sagen? Wollt Ihr mir sagen wie ich meine Söhne zu erziehen habe?“ Er genoss die Situation.
„Vater!“ Es war ein Aufschrei Faramirs.
Wieder fuhr Denethor herum um ihn zu fixieren. Faramir sah ihn an und suchte nach Wörtern.
„Vater…..Haradrim.“
„Was ist mit den Haradrim?“ Er verstand nicht was Faramir ihm sagen wollte.
Aber eine Ahnung beschlich ihn und er wurde ganz ruhig.
Er wollte, dass Faramir ihm mehr sagte, aber er wusste auch, dass er ihn nicht zwingen konnte zu reden.
Diese Blockade konnte mit keiner Prügel durchbrochen werden. Es war nicht das erste Mal, dass Faramirs Seele diese Blockade aufbaute.
„Bleib ruhig. Faramir. Lass mich erst nach Deinem Gesicht schauen.“
Er ging auf ihn zu und nahm das Handgelenk seines Sohnes, um seine Hand zu lösen. Er besah sich die Wunde.
Sie war nicht groß. Es würde nur eine kleine Narbe bleiben.
Mit dem Ärmel seines schwarzen Mantels wischte er das Blut ab.
Denethors grüne Augen schauten in die seines Sohnes. „Was ist mit den Haradrim?“
Faramir suchte nach den Wörtern. Er schloss kurz seine Augen und schluckte. Dann sah er seinen Vater fest an und flüsterte: „Sie kommen.“
Denethors Augen weiteten sich. „Wie viele?“
„Ungefähr zweitausend Mann stark.“
„Zweitausend, sagst Du?“
Faramir nickte nur.
„Wann werden sie hier sein?“
„Morgen, bei Einbruch der Nacht.“
Denethor war innerlich erstarrt. Alle verfügbaren Kämpfer von Minas Tirith wären eine Armee von vielleicht viertausend Mann.
Viertausend Orks würden Osgiliath vom Ostufer aus angreifen.
Aus dem Süden würden zweitausend Haradrim vom Westufer aus angreifen.
Gondor musste an beiden Fronten kämpfen.
Ohne Faramir hätten sie es nicht gewusst und die Haradrim wären ihnen in den Rücken gefallen.
Es war keine Zeit mehr Verstärkung aus Cair Andros zu ordern. Auch die Schwanenreiter Prinz Imrahils aus Dol Amroth waren für sie unerreichbar.
Sollte er die Leuchtfeuer erzünden, wäre Rohan mit seinen Mannen erst in einer Woche in Gondor.
Nein, sie standen alleine.
Viertausend gegen Sechstausend.
Dass Denethor seinen Sohn als Deserteur verurteilt hatte, stellte er für sich erst einmal in den Hintergrund. Aber vergessen war es nicht.
Er drehte sich zu den anderen um. „Macht euch kampfbereit.“

Der nächste Tag brach an.
Die Soldaten machten sich kampfbereit. Sie gingen zur Waffenkammer, um anschließend ihre Pferde zu satteln. Frauen und Kinder wurden bereits sicherheitshalber in die oberen Zirkel der Stadt evakuiert.
Da die Stadt Osgiliath nur fünfzehn Meilen vor den Toren der weißen Stadt lag ging die Evakuierung der Bevölkerung recht schnell.
Die Straße zwischen den beiden Städten war überfüllt mit Menschen und Wagen, teils von Pferden gezogen, teils von Menschenhand. Viele waren zu Pferd unterwegs.
Die Menschen hatten nur das Nötigste an Hab und Gut mitgenommen.
Es herrschte Aufregung in der weißen Stadt. Aber die Kommandanten hielten alles unter Kontrolle, so dass keine Panik aufkommen konnte.
Nach der Evakuierung wurden die großen Flügel des Tores wieder verschlossen.


Die Beinpaare von viertausend Orks bewegten sich fast im Gleichschritt. Der Boden erschütterte sich und dröhnte bei jedem Schritt den sie machten.
Ihre Körper waren geschützt mit dicken, ledernden Panzern.
Mordlust leuchtete in ihren gelben, kalten Augen.
Sie waren gezüchtet um einen einzigen Zweck zu dienen: Die Menschen zu töten.
Sie waren kurz vor ihrem Ziel, die Stadt Osgiliath am großen Fluss Anduin, vor den Toren Minas Tirith.
Sie mussten sie einnehmen. Sie brauchten die Brücke über den Fluss.
Nur so könnten sie ihre großen Kriegstürme auf die andere Seite bringen, um die weiße Stadt angreifen zu können.

Die Haradrim hatten eine Rast gemacht. Sie wollten Kraft haben für die bevorstehende Schlacht. Kein Späher aus Gondor hatte sie erreicht.
Keiner in Osgiliath würde sie erwarten.


11. Es beginnt

Sie waren jetzt in den Ställen, um ihre Pferde fertig zu machen.
Aragorn sattelte Heru auf. Er sprach leise in einer fremden Sprache auf ihn ein.
Faramirs Stute Nimloth stand neben Heru. Als Faramir sie zäumte, hörte er die Worte. Sie waren in elbischer Sprache. Er verstand die Wörter, konnte aber nichts damit anfangen.
Ah, Heru hieß der braune Wallach. Heru war das elbische Wort für Herr.
Aragorn sprach davon, dass er einen Sohn hatte. Er erzählte dem Wallach über seinen Sohn!
Faramir überlegte, ob dieser Sohn vielleicht die bessere Wahl eines Vaters getroffen hatte.
Boromir hatte seine Schimmelstute Simbelmyne bereits fertig gemacht. Er ging zu Faramir, um ihm mit dem Sattel zu helfen.
„Pass auf Dich auf, kleiner Bruder.“
„Es ist wieder typisch für Vater! An den Wettbewerben wollte er mich nicht teilhaben lassen. Aber ich darf in den Krieg ziehen.“ Seine Stimme klang bitter.
„Bruder, es gibt noch etwas, was Du wissen musst.“
„Was? Was muss ich wissen?“
„Vater hat Dich offiziell als Deserteur erklären lassen!“
Faramir sah seinen Bruder ruhig an. „Dann soll es so sein. Ich werde trotzdem jetzt für mein Land kämpfen.“
Die Brüder sahen sich ernst an und Boromir schlug seinem Bruder auf die Schulter.
Er war froh, dass Faramir seine Sprache wiedergefunden hatte.
Dann führten sie ihre Pferde hinaus.
Bewaffnet waren sie jeweils mit Schwert und Bogen.
Boromir trug einen eisernen Wams mit dem Wappen Gondors, der weiße Baum und darüber sieben Sterne.
Faramir trug seine Kleider des Waldläufers. Auf dem Lederharnisch war ebenfalls das Wappen Gondors zu sehen.
Aragorns Blick fand den Boromirs. Dieser sah kurz zu seinem Bruder und nickte ihm zu. Er verstand. Boromir wusste es, aber er sollte es seinem Bruder noch nicht sagen.
Sie hatten erst eine Schlacht zu führen.

Die Waldläufer Aragorns standen bereits wartend vor dem Tor.
In dem gesamten ersten Zirkel wurden in allen Ställen die Pferde fertig gemacht.

Sie saßen auf und passierten das geöffnete Tor. Hinter sich wussten sie ungefähr viertausend Mann.
Fünfhundert Mann zu Pferd, dreitausendfünfhundert Mann zu Fuß.
Einige Wagen mit Heilern begleiteten sie.
Sie marschierten Richtung Osgiliath. Sie wussten, dort würde bald eine entscheidende Schlacht geführt werden.
Der Feind durfte die Brücke nicht einnehmen.

Denethor und Gandalf standen im siebten Zirkel an der Außenmauer. Sie beobachteten den Abmarsch.
Gandalf blieb in der Stadt. Sollte es dem Feind gelingen die Brücke einzunehmen, wurde er hier in dringender gebraucht.

Zwei Meilen vor der Stadt ließen sie ihre Pferde und die Wagen mit den Heilern zurück.
Als sie sich dem Westufer von Osgiliath näherten konnten sie auf der anderen Seite des Flusses die Armee der Orks sehen. Sie hatten fast das Ostufer erreicht.

Aragorn winkte seinen Männern. Sie eilten in die Stadt, um die Brücke zu erreichen.

Boromir ließ einen Kommandanten mit seinem Heer außerhalb der Stadt zurück. Sie mussten die Haradrim zurückschlagen, wenn sie früher als erwartet eintreffen würden.

Die Soldaten Gondors liefen in die Stadt ein.

Die ersten Orks hatten die andere Seite der Stadt erreicht.

Boromir hatte das Gefühl für die Zeit verloren.
Immer wieder führte sein rechter Arm das Schwert. Bei jedem Hieb fühlte er den Widerstand eines Körpers.
Er war bespritzt mit dem schwarzen Blut der Orks. Um sich herum sah er seine Leute.
Er sah sie kämpfen und fallen, hörte ihre Schreie vor Schmerz und das Gebrüll der Orks.

Schwerter klirrten aneinander, Schilde brachen, Speere fanden ihre Ziele.
Seinen Bruder und Aragorn hatte er aus den Augen verloren, als sie über die Brücke zum Ostufer gelaufen sind.
An dem Westufer standen die Bogenschützen Gondors. Sie waren dort relativ geschützt, da Orks keine Bogenschützen hatten.
Boromir sah, dass sie die Brücke nicht halten konnten!
Schnell warf er einen wilden Blick zurück zur Brücke.
Er konnte hinüber, der Weg war frei. Dann lief er los.
Unterwegs rief er nach einigen seiner Leute.
Faramir konnte er in der kämpfenden Masse nicht sehen.
Als er mit seinen Leuten auf dem Westufer war, sagte er ihnen was sie zu tun hatten. Sie schauten ihn ungläubig an. Aber es war ein Befehl!
Sie gingen zum Ufer und von dort unter die Brücke. Sie würden Stunden brauchen.

Die Brücke hatte Schwachstellen! Diese waren beim Bau beabsichtigt, für das was jetzt passieren sollte.
Diese Schwachstellen konnte die Brücke zum Einsturz bringen.

Boromir lief über die Brücke zurück zur Ostseite wo der Kampf tobte.

Sie kämpften Seite an Seite. Faramir und Aragorn.
Aragorn kämpfte beidhändig. Rechts führte er das Schwert, links hatte er immer einen Pfeil.
Faramirs Arm wurde immer schwerer. Er war schnell und wendig. Aber seine Kraft ließ nach.
Seine Haare klebten vor Blut und Dreck, so wie seine Kleider auch.
Er hatte den Eindruck als suchte Aragorn seine Nähe. Ihn beschlich fast das Gefühl, er wollte ihn beschützen.
Auch Faramir sah, dass sie die Brücke nicht halten konnten. Der Ansturm ihrer Feinde war zu stark.
Sein Blick suchte immer wieder nach seinem Bruder. Er konnte ihn nirgends sehen.

Unter der Brücke arbeiteten die Männer fieberhaft im eisigen Wasser des Anduin. Es dauerte so lange. Aber dann hatten sie es geschafft.
Einer der Männer kletterte aus dem Wasser und rannte über die Brücke. Er konnte Boromir sehen.
Er schrie: „Lord Boromir. Es ist getan. Ruft unsere Männer zurück.“
Boromir sah kurz zurück. Auch sein langes Haar klebte vor Blut, Schweiß und Dreck.
Dann schrie er: „Rückzug. Rückzug. Über die Brücke. Lauft.“
Die Soldaten hörten ihn. Kämpfend zogen sie sich zurück. Sie flohen über die Brücke zum Westufer.
Es war weithin zu hören. „Rückzug. Über die Brücke.“

Aragorn und Faramir hörten es. Auch sie wichen zurück.
Aragorn schrie nach seinen Männern. Es hatten nicht alle den Rückzug gehört. Dann wichen auch sie zurück.

Faramir hörte Aragorn schreien. „ Faramir. Zieht Euch zurück. Lauft.“
Der wehrte einen großen Ork mit langem Schwert ab. Er hatte fast keine Kraft mehr. Aber einige seiner Männer waren noch nicht an ihm vorbei.
Boromir stand am Ende der Brücke zum Ostufer. Jetzt sah er seinen Bruder und war erleichtert. Aber er bemerkte auch, dass sein Bruder schwer bedrängt wurde. Boromir flüsterte: „Lauf, kleiner Bruder, lauf endlich los.“

Die Soldaten Gondors die noch auf dem Ostufer waren rannten über die Brücke.
Faramir sah seinen Bruder jetzt ebenfalls. Er hatte ein wildes Grinsen im Gesicht. Dann wendete er sich wieder an die Feinde. Mehre Orks stürmten auf ihn zu.

Aragorn war mit seinen Männern jetzt auch fast über die Brücke.
Boromir lief auch zur Westseite.
Die ersten Orks kamen zur Brücke.
Die letzten Soldaten hielten sie kämpfend zurück.
Boromir gab ein Handzeichen für die Männer unter der Brücke.
Es war soweit.

„Faramir. Komm, lauf über die Brücke. Sie stürzt gleich ein.“
Sein Bruder gehörte zu den letzten Kämpfenden am Ostufer!
„Faramir.“
Boromir lief wieder zurück.
Er fühlte die Erschütterung unter sich.
In Sekunden würde sie einstürzen.
„Faramir.“ Seine Stimme überschlug sich.
Endlich lief sein Bruder los.
Orks waren ihm und den letzten Soldaten auf den Fersen.
Es krachte und knirschte im Gestein der Brücke.
Sein Bruder hatte ihn fast erreicht!

Boromir fühlte, dass ihm der Boden unter den Füßen weggerissen wurde. Er stürzte zusammen mit großen Gesteinbrocken in den eisigen Fluss.

Aragorn stoppte und starrte zurück zur Brücke. Sein Gesicht spiegelte sein Entsetzen wider.
Er sah wie sie zerfiel. Die Brücke zerbröckelte in der Mitte.
Die großen Brückenteile fielen zusammen mit den letzten Soldaten und Orks in den Anduin.
Menschen, sowie Orks wurden von den Steinbrocken erschlagen.
Die Brücke war verloren.
Aber der Feind konnte nicht zum Westufer gelangen.

Die Kälte des Wassers war wie ein Schock.
Boromir sah im trüben Wasser wie ein Steinbrocken an ihm vorbeisauste.
Er selber sank auch wie ein Stein, er konnte nicht nach oben kommen.
Das eiserne Wams! Dann war er am Grund des Flusses.
Fieberhaft versuchte er die Verschnürungen an beiden Seiten zu lösen.
Drei an jeder Seite. Aber das kalte Wasser lähmte seine Finger.
Eine Seite hatte er jetzt auf. Jetzt merkte er auch die Atemnot.
Seine Lungen wollten platzen und er versuchte nicht panisch zu werden.
Dann hatte er es geschafft!
Er ließ es fallen und stieß sich mit den Füßen ab.
Endlich erreichte er die Oberfläche.
Er durchbrach sie und riss seinen Mund auf, um Luft zu bekommen.
Zum Westufer schwimmend schaute er sich um. Er sah die Orks auf der anderen Seite.
Sie brüllten in Erfahrung ihrer Niederlage.
Dann fiel ihm sein Bruder ein.
Er hatte ihn fallen sehen und hoffte, dass er es geschafft hatte.
Am Ufer angekommnen erreichte ihn Aragorn.

Faramir hörte seinen Bruder nach ihm schreien und sah kurz zur Brücke.
Aber er konnte nicht weg.
Er dachte, für jeden gefallenen Ork kamen drei Neue.
Dann sah er seine Chance und floh zur Brücke.
Hinter sich hörte er das Gebrüll und die Schritte des Feindes.
Er hatte fast seinen Bruder erreicht der zu ihm zurück rannte, als er es spürte.
Die Brücke bewegte sich. Er hörte es krachen.
Der Ork hinter ihm hob gerade den großen Speer an, als der Boden wegsackte und ihn mitriss.
Ihn und auch die anderen, Soldaten sowie Orks.
Faramir sah, dass sein Bruder Richtung Flussaufwärts fiel.
Er fiel in die andere Richtung. Das eisige Wasser umschloss ihn.
Hier war die Strömung sehr stark.
Er kämpfte sich zur Oberfläche, wurde aber von der Strömung mitgerissen.
Obwohl er ein guter Schwimmer war, hatte er Mühe über Wasser zu bleiben.
Der wütende Fluss riss ihn immer wieder herunter.
Er wusste nicht wie weit der Fluss ihn weggetragen hatte, als er endlich das Westufer erreichen konnte.
Auf der Uferbank ließ er sich auf die Knie fallen und stützte sich mit der rechten Hand ab, um wieder zu Kraft zu kommen
Die Stadt musste bestimmt eine halbe Meile entfernt sein.
Ihm war eiskalt als er sich in Richtung der Stadt bewegte.
Er hoffte, dass Boromir es auch geschafft hatte.

Boromir sah Aragorn an. „Habt Ihr meinen Bruder gesehen?“
Aragorn schloss kurz die Augen. „Ich habe ihn fallen sehen, aber ich habe ihn nicht das Ufer erreichen sehen.“
„Wie viele haben das Ufer erreicht?“ „Mit Euch, nur drei Männer.“
Boromir war entsetzt. „Nur Drei?“ Er wandte sich an die Männer die in der Nähe standen.
„Hat jemand meinen Bruder gesehen?“ Keiner hatte ihn gesehen.
Boromir gab nicht auf. Er ließ Aragorn stehen und ging zu seinen Männern.
„Ihr geht zu zweit. Sucht das Ufer ab. Flussabwärts.“
Er sprach einen anderen Mann an.
„Ihr sorgt dafür, dass die Verletzten zu den Wagen transportiert werden. Die zwei Männer die das Ufer erreicht haben sollen trockene Kleidung bekommen. Und sendet einen Boten zu meinem Vater.“
Der Mann nickte und entfernte sich.
Aragorn hielt Boromir am Ärmel fest.
„Ihr müsst Euch auch umziehen. Euer Bruder hat nichts davon, wenn Ihr an einer Lungenentzündung sterbt.“
Boromir fuhr herum und herrschte ihn an.
„Was wisst Ihr denn davon? Es ist mein Bruder.“
Aragorn schaute ihm in die Augen. „Und mein Sohn!“
Boromir wusste, er hatte Recht. Er musste sich was Trockenes anziehen.
Jemand brachte ihm eine Decke und eine Tunica, sowie eine andere Hose.
Dankbar nahm er es an.
Dann suchte er den Blick Aragorns. „Es tut mir leid.“
Dieser erwiderte nichts.
Dann hörten sie laute Stimmen.
Jemand rief nach Boromir. Ein Mann lief auf ihn zu. „Wir haben ihn gefunden!“
Der Mann war aus der Puste, als er vor ihm stand. „Lord Faramir ist unverletzt, Sir. Die Strömung hatte ihn ein ganzes Stück flussabwärts getrieben. Er ist schon auf dem Weg zu Euch.“
Boromir war erleichtert und grinste Aragorn an. „Ist doch mein Reden! Mein kleiner Bruder kann verdammt zäh sein.“
Aragorn grinste ebenfalls, auch er war erleichtert. „Das muss er von mir haben.“
Dann schaute er zur Sonne. „Faramir sprach von den Haradrim. Bis zum Einbruch der Nacht sind es noch ein paar Stunden.“
„Ihr habt Recht. Die Männer sollten sich ausruhen.“ Dann zog er sich in einer Nische um.
Boromir erfuhr, dass dieser Kampf fast fünfhundert Soldaten Gondors das Leben gekostet hatte.
Jetzt wären sie eine Übermacht von dreitausendfünfhundert Gondorianer gegen zweitausend Haradrim.
Die meisten Männer lagen oder saßen im Schatten der Gebäude. Sie sammelten Kraft.
Kraft die sie auch brauchen würden.

Der Bote ritt die fünfzehn Meilen als wäre der Feind auf seinen Fersen.
Ein Flügel des Tores öffnete sich für ihn. Er galoppierte in die Stadt, parierte sein Pferd heftig durch und sprang ab.
Jemand nahm sein Pferd und er rannte los. Er musste nur bis in den dritten Zirkel laufen. Da wurde er von einem anderen Mann abgelöst.
Der wurde wiederum von einem Mann im fünften Zirkel ersetzt. So erreichte die Nachricht Denethor recht schnell.
Er saß in seinem Arbeitszimmer als es klopfte und ließ den Boten eintreten.
„Was gibt es zu berichten, Mann? Sprecht.“ Denethor war ungeduldig.
Der Bote schluckte. „Mein Lord, die Orks konnten zurückgeschlagen werden. Aber wir haben die Brücke verloren. Sie ist zerstört.“
Denethor sah dem Mann starr ins Gesicht, er lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Wie viele Tote?“
Der Bote schaute unglücklich zu Boden. „Ungefähr Fünfhundert.“
Jetzt schluckte Denethor.
Fünfhundert Familien waren in der Stadt die auf ihre Ehemänner, Brüder, Väter oder Freunde vergeblich warten würden.
„Was ist mit meinen Söhnen?“
Der Bote fühlte sich noch unbehaglicher. „Sir. Lord Boromir hat den Boten aus Osgiliath persönlich entsendet.“
Denethors Magen zog sich zusammen.
„Was ist mit Faramir?“
„Mir wurde berichtet, dass Eure Söhne auf der Brücke waren als sie einstürzte. Sir, Lord Faramir hat das Westufer nicht erreicht.“
Denethor starrte den Mann an und sein Mund klappte auf. Schnell besann er sich und wedelte den Mann mit einer Hand weg.
Der ging erleichtert zur Tür und verschwand.
Denethor stand auf und ging im Zimmer umher. War es wirklich so? War Faramir tot? Im Krieg gefallen?
Im Kampf für sein Land? Für ihn, für seinen Vater?
Denethor spürte die Tränen, aber er fühlte keine Trauer.
Er fühlte Schmerz. Er fühlte den Schmerz eines Vaters, der seinen Sohn verloren hatte!

Aragorn und Boromir setzten sich ebenfalls in eine Nische auf eine steinerne Bank.
Boromir sah jetzt seinen Bruder.
Er beobachtete, dass er bei einem Mann stehen blieb. Sie sprachen kurz, dann wies der Mann mit einem Arm in seine Richtung. Faramirs Blick folgte der Richtung. Er ging dann weiter und drängelte sich zwischen Gruppen von Männern, um zu ihm zu gelangen.
Er sah auch, dass Faramir breit grinste.
Boromir stand auf und ging ihm ebenfalls grinsend entgegen.
Dann umarmten sie sich kurz. Boromir sah auf seinen Bruder hinab und schlug ihm auf die Schulter. „Ich habe gewusst, dass Du es schaffst!“
„Dafür brauchst Du mich nicht zu erschlagen.“ Er kräuselte seine Nase. „Ich entschied, dass dieser Tod ein wenig zu kalt und nass wäre.“
Sie beide lachten. Beide waren erleichtert und froh wieder beisammen zu sein.
Boromir registrierte, dass er recht guter Laune war.
„Bruder, Du bist wirklich ganz kalt und nass. Du musst was Trockenes anziehen.“ Damit winkte er nach einem Soldaten und rief nach Kleidung für seinen Bruder.
Er schaute ihn wieder an. „Hoffentlich finden sie Kleider die Dir passen könnten.“
Faramir boxte ihn leicht an die Schulter. „Es kann nicht jeder so eine Bärenfigur wie Du haben,“ lachte er. Dann fiel sein Blick hinter seinem Bruder, auf Aragorn. Sein Lachen erstarb.
Boromir flüsterte zu ihm. „Faramir, er kann nichts dafür. Er hat heute tapfer gekämpft. Er hat für Gondor gekämpft, für uns. Du weißt das.“
Faramir schaute ihm wieder ins Gesicht und nickte.
Boromir sah den merkwürdigen Blick in dem Gesicht seines Bruders.
Dann kam ein Soldat mit trockener Kleidung. Faramir nahm sie dankbar an und verzog sich in einem Hauseingang, um sich umzuziehen.

Aragorn beobachtete Faramir. Er bemerkte auch die körperliche Ähnlichkeit. Dass er so mager war, schockierte ihn ein wenig.
Ihn beschlich das Gefühl, dass Faramir etwas ahnte. Er musste doch die Ähnlichkeit zwischen ihnen erkannt haben!
Aragorn konnte sich an seinem Sohn nicht satt sehen.
Wie gerne würde er ihn in die Arme nehmen! Ihn fühlen, ihm sagen, dass er sein Vater war. Und er war stolz auf ihn!
Er hatte gesehen, dass sein Sohn ein guter und beherzter Kämpfer war.
Aragorn sah belustigt, dass die Kleidung ein wenig weit war.
Faramir musste die Hose oben am Bund verknoten. Um die Tunica schlang er als Gürtel ein Haarband. So musste es eben gehen.
Boromir setzte sich wieder zu Aragorn.
Er brach in Gelächter aus als Faramir zurückkam. Er schüttelte den Kopf als er sprach. „Kleiner Bruder. Du siehst aus wie eine Vogelscheuche.“
Faramir blieb stehen, sah an sich herunter, sah Boromir an und brach ebenfalls in Gelächter aus.
Als sein Blick den Aragorns traf, erstarb sein Lachen und er setzte sich neben seinem Bruder auf die Bank.
Boromir in der Mitte zwischen den Beiden, fühlte sich sehr unwohl.
Bisher war zwischen Faramir und Aragorn noch kein Wort gewechselt worden.
Faramir fühlte die Anstrengungen der vergangenen Schlacht und sein rechter Arm schmerzte, aber er war rastlos.
Er sprach leise. „Auf eine Schlacht zu warten, der man nicht entgehen kann ist schlimmer als eine Schlacht, der man entgegen gehen kann.“
Erst verstand Boromir nicht. Dann sah er Faramir überrascht an. „Eigentlich sollten die Männer etwas ruhen. Aber ich denke Du hast Recht. Ja, wir gehen ihnen entgegen.“
Er stand auf um zu dem nächsten Kommandanten zu gehen.

Und so passierte es auch.
Statt auf die Gegner zu warten marschierten die Soldaten Gondors geschlossen in Richtung Belfalas über den Pelennor.
Sie verließen den Pelennor und gingen jetzt über das offene Land.

Irgendwann stimmte ein Soldat ein Kriegslied an.
Es dauerte nicht lange und andere fielen mit ein.
Dann waren es dreitausendfünfhundert Stimmen.
Das schwere Geräusch der Schritte und der Gesang von dreitausendfünfhundert Kehlen hallte ihnen weit voraus.

In einigem Abstand folgten ein paar Wagen der Heiler.

Die Sonne stand über dem Mindolluin. Nicht mehr lange und sie würde hinter dem Berg verschwinden und das Land würde in Dunkelheit versinken.


12. Teuer erkauft

Die Haradrim hörten es, aber sie sahen nichts. Erst war es sehr leise. Dann verstanden sie. Als es lauter wurde, wussten sie was es war!
Und dann sahen sie sie!
Das Heer Gondors marschierte ihnen entgegen!
Und sie sangen dabei!
Einige Krieger der Haradrim wurden unruhig. Das war nicht das, was sie erwartet hatten.
Ihre Anführer stockten ebenfalls.
Woher wusste Gondor, dass sie kamen?
Hatte ihr Späher doch Einen von Gondor übersehen?
Die Anführer der verschiedenen Heere bemerkten die aufkeimende Unsicherheit ihrer Leute. Aber sie marschierten weiter.
Sie wollten Blut. Das Blut Gondors.

Die ersten Reihen von Gondor sahen jetzt auch die Haradrim.
Sie gaben es nach hinten weiter.

Beide Armeen, Harad und Gondor marschierten aufeinander zu.
Die ersten Reihen konnten sich bereits in die Augen schauen.

Dann erstarb das Lied und die Soldaten Gondors erhoben ihre Schwerter und rannten mit einem Schlachtruf auf die Haradrim zu.

Die Soldaten beider Länder vermischten sich.
Und wieder klirrten Schwerter gegeneinander oder fanden das Ziel weicher Menschenkörper. Schilde wehrten Schläge ab! Messer verursachten Wunden.
Äxte, sowie Speere wurden geschleudert.
Die Soldaten beider Länder schrieen vor Schmerz oder Kampfeswut!

Doch bald schon war es klar.
Die Haradrim waren schwächer.
Viele Krieger zogen sich zurück.
Viele drehten sich um und liefen weg. Sie liefen einfach weg!
Gondor hatten gesiegt.
Die Schlacht löste sich auf.
Die Haradrim flohen.
Die Soldaten Gondors rissen ihre rechte Hand hoch. „Sieg!“
Überall war es zu hören: „Sieg!“

Boromir ließ sein Schwert sinken und sah sich um.
Überall sah er seine Soldaten stehen.
Er sah die toten Haradrim und auch seine eigenen Toten.
Es war ein schneller Sieg. Aber mit Verlusten errungen.
Sein Blick suchte seinen Bruder. Dieser war nicht auszumachen.

Das Tagelicht schwand auch. Er besann sich auf seine Pflichten und rief einen Kommandanten.
„Es soll sofort angefangen werden. Die Suche nach Verletzten und das Aufbahren und Abdecken unserer Toten.“
Er überlegte kurz ob er an alles gedacht hatte!
Dann sagte er noch: „Und sendet einen Boten zu meinem Vater.“
Der Kommandant nickte und rief nach seinen Leuten.
Boromir suchte seinen Bruder. Die Soldaten in seiner Nähe befragte er nach ihm.
Er ging über das Schlachtfeld und rief: „Faramir?“

Dann sah er einen Mann auf dem Bauch liegen. Er hatte eine Axt tief im Rücken.
Der Mann war schmal und hatte lange, blonde Haare.
Boromir schloss kurz seine Augen. „Nein, Faramir. Das darf nicht wahr sein.“
Er sank auf die Knie und strich dem Mann die Haare weg. Das Gesicht war ihm zugewandt. Dann sah er es: es war nicht sein Bruder.
Es war auch ein sehr schmaler und junger Mann, mit dem seltenen, hellen Haaren in Gondor. Aber es war nicht sein Bruder.
Als er aufstand hatte er Tränen der Erleichterung in den Augen. Er durchschritt das Schlachtfeld weiter.
„Boromir?“ Boromir sah nach links. „Thorongil!“
Die Männer kamen aufeinander zu. „Habt Ihr meinen Bruder gesehen?“
Aragorn lächelte traurig und nickte.
Er deutete in eine Richtung. „Dort werdet Ihr ihn finden.“

Boromir folgte der Richtung.
Er hörte, dass jemand schrie. Es waren Schreie des Schmerzens!
Dann fand er seinen Bruder!

Faramir saß im Staub des Bodens und hatte den Kopf eines Soldaten auf seinem Schoss.
Seine Hände waren an dem Kopf des Soldaten.
Boromir blieb stehen.

Der Soldat sprach zu Faramir.
Boromir sah die Wunden des Soldaten. Sein Bauch war aufgerissen.
Der Mann hielt seine eigenen Eingeweide mit seinen Händen zusammen.
Er musste schreckliche Schmerzen haben.
Sein Bruder hob seinen Kopf zum Nachthimmel und schloss seine Augen.
Tränen glitzerten in seinem Gesicht.
Mit einem Ruck brach Faramir dem Soldaten das Genick.
Boromir wusste, er hatte ihn erlöst.
Er hatte nicht gewusst, wie viel Stärke sein kleiner Bruder hatte. Er hätte es nicht gekonnt.
Dann kam er näher heran.
Boromir beobachtete, dass Faramir den Mann beiseite legte und mit einer Hand die Augen des toten Soldaten schloss.
Jetzt beugte er sich zu ihm hinab und küsste seine Stirn.
„Möge Eure Seele die Hallen Eurer Väter finden. Sohn Gondors.“
Dann stand er langsam auf.
„Faramir?“

Der drehte sich zu ihm um. In seinem Gesicht war so viel Leid und Traurigkeit zu lesen.
Boromir kam auf ihn zu.
Die Brüder umarmten sich fest. Faramir legte seinen Kopf an seines Bruders Schulter.
Viele Soldaten konnten es sehen.
Da standen in einer langen Umarmung die Söhne ihres Truchsess.
Sie konnten die Liebe und Verbundenheit zwischen den Beiden fast körperlich spüren.

Fackeln waren entzündet. Der Nachthimmel war schwarz geworden.
Und die traurige Aufgabe war fast beendet.
Knapp hundert Männer hatten sie verloren. Sie lagen jetzt alle zusammen, aufgebahrt. Morgen sollten sie abgeholt werden.
Es war ein langer und kriegsreicher Tag gewesen.
Sie hatten viele Männer verloren. Aber zwei Siege errungen.
Der Preis waren Menschenleben.

Sie saßen um ein kleines Feuer. Boromir, sein Bruder und Aragorn. Sie alle starrten ins Feuer.
Faramir dachte wieder darüber nach:
Was war der Sinn eines Krieges? Für wen und für was kämpfte er?
Er kämpfte für Gondor und für seinen Bruder!

Er sah nicht, dass Aragorn in die ganze Zeit anstarrte.
Der körperliche Zustand seines Sohnes war mehr als über beansprucht. Er erwartete einen Zusammenbruch.
Aber der blieb aus. Denethors Schule war hart gewesen.
Doch dies wusste Aragorn nicht.

Als die Sonne ihre ersten Strahlen über das Land schickte waren sie schon auf ihrem Weg. Sie marschierten zurück nach Minas Tirith.
Die Wagen mit den Verletzten waren schon in der Nacht aufgebrochen.
Endlich erreichten sie die Stelle wo die Pferde waren.
Boromir nahm seinen Bruder an den Schultern und führte ihn zu seinem Pferd.
Er half ihm beim Aufsitzen und gab ihm die Zügel in die Hand.
„Faramir, es ist nicht mehr weit. Wir haben schon genug Männer verloren.“
Die Kraft seines Bruders war am Ende.
Sein schwacher Körper forderte seinen Tribut.

Er selber war auch am Ende seiner Kräfte, so wie die meisten anderen auch. Er wunderte sich, dass Faramir so lange ausgehalten hatte.
Faramir nickte ihm zu. Seinen Blick wandte er dann der weißen Stadt zu.
Boromir wollte sich abwenden und zu seinem Pferd gehen als er registrierte, dass sein Bruder langsam seitlich vom Pferd kippte.
Er konnte ihn eben noch auffangen.
„Gebt ihn mir.“
Boromir sah auf und sah Aragorn ins Gesicht. Er saß bereits auf Heru.
Einen Moment überlegte er, aber dann nickte er ihm zu. Aragorn beugte sich ein wenig herunter und nahm seinen Sohn auf.
Er setzte ihn mit Boromirs Hilfe vor sich aufs Pferd. Seinen linken Arm schlang er um Faramirs Körper.

Es war das erste Mal, dass er seinen Sohn berührte. Er hatte ihn im Arm! Seinen Sohn! Sein eigen Fleisch und Blut!
Das Herz Aragorns war erfüllt von Liebe und Stolz für ihn. Einen Moment drückte er ihn fest an sich und küsste die Stirn seines Sohnes.
Er ließ Heru in einem langsamen Schritt angehen.

Boromir sah ihm einen Moment hinterher. Eigentlich wollte er seinen Bruder nehmen, aber er wusste auch, dass er den Lauf des Schicksals nicht ändern konnte.
Er nahm Nimloths Zügel und ging zu Simbelmyne und strich über die weichen Nüstern der großen, starken Schimmelstute. „Sollte Faramir aufwachen, bekommt er den Schock seines Lebens.“
Auf seinem Gesicht war ein leichtes aber trauriges Lächeln als er Simbelmyne erklomm.

Das Volk jubelte ihnen zu. Die Menschen säumten die Straßen als das Heer einzog.
Viele zu Pferd, aber die meisten zu Fuß.
Irgendwo zwischen den berittenen Soldaten waren auch die Söhne des Truchsess. Aber die meisten vom Volk kannten sie nicht.

Faramir wachte nicht auf. Er lag in den Armen seines leiblichen Vaters und schlief tief und fest den Schlaf der Erschöpfung.
Boromir und Aragorn hielten nicht bei den Ställen. Sie ritten weiter die Zirkel der Stadt hinauf. Das Geräusch der Hufe hallte in den Straßen wider.
Am Tor zum siebten Zirkel hielten sie die Pferde an. Pferde waren in diesem Zirkel verboten. Auch für die Söhne des Truchsess.
Boromir saß ab und winkte einem Wachposten. Der kam und nahm die Zügel der Pferde. Jetzt nahm Boromir seinen Bruder.
Zusammen betraten sie das Wohnhaus und steuerten Faramirs Räume an. Dort legte Boromir ihn auf sein Bett.
Jetzt war es soweit! Er musste zu seinem Vater um Bericht zu erstatten.
Aragorn folgte ihm.
Sie verließen das Gebäude, überquerten den Platz und gingen auf die Halle der Könige zu. Dort, wo sein Vater auf dem Stuhl der Truchsesse sitzen würde.

Denethor saß in der Tat auf dem Stuhl der Truchsesse. Gandalf stand rechts neben ihm. Sie warteten auf Boromir. Sie wussten, er hatte die Stadt erreicht.
Beide hatten Kunde von zwei Boten, dass die Schlachten für Gondor siegreich geführt worden.
Aber für was für einen Preis? Sie hatten viele Soldaten verloren. Und sie hatten Faramir verloren!

Gandalf schloss im Schmerz an die Erinnerung an ihm seine Augen. Er kannte Faramir seit kleines Kind.
Wenn Gandalf in Minas Tirith verweilte war der Junge immer sein Schatten gewesen. Gandalf brachte ihm die Sprache der Elben bei. Er lernte ungewöhnlich schnell und was er einmal wusste, vergaß er nicht wieder. Im Gegensatz zu seinem Bruder hatte Faramir auch großes Interesse an die Geschichte Gondors.
Stundenlang hockten die Beiden in den großen Archiven der Stadt und lasen in alten Schriften.
Auch Gandalf gab es zu, er hatte ihn geliebt, fast wie einen Sohn!

Die große doppelflügelige Tür aus schwarzem Holz öffnete sich.
Beide Männer sahen, dass Boromir und Aragorn durch die Türe traten und auf sie zukamen.

--> die letzten Kapitel folgen noch


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