|
Titel:
Annûn -
Sonnensterben Autor: Linwé
-Prolog-
Seit
heute morgen vermochte mir nichts die Laune zu trüben.
Kein plötzlicher Regenschauer, der die Landschaft
rund um meine Heimat aufweichen ließ und den Himmel
in ein dunkles Grau tauchte. Keine Unterredung mit so
manchem unzufriedenen Bürger, der seine Probleme
mit seiner Stute -die nicht trächtig werden wollte-
dem ebenso unfruchtbaren Dasein der königlichen
Nichten zuschob. Auch kein höchst unerfreulicher
Streit mit meiner Schwester und unserem Bruder. Ich
bin einfach glücklich. Innerlich sehr zufrieden.
Dieser Zustand vermag bei mir nie länger als einen
Tag zu verweilen, jedoch pflege ich ihn zu genießen,
wenn er da ist. Wie heute also. Ich reite auf
der Stute Ana, die eigentlich meiner Schwester Éowyn
gehört über die Weiten Rohan‘s. Der Regenbogen
scheint immer mehr in die Ferne zu rücken, dennoch
versuche ich Ana anzutreiben, damit wir zusammen sein
Ende ausfinding machen. Zu spät, er verblasst
immer weiter, bis nur das Licht der wärmenden Sonne
unseren Wegbegleiter darstellt. „Hooo..“, flüstere
ich sanft und warte ab, bis mein Pferd gehorcht. Es
dauert etwas länger, ich bin einfach nicht groß
und schwer genug, um zu Ana’s Sinnen durchzudringen.
Meine Stimme wird vom scharfen, starken Wind einfach
hinfort getragen. Schnaubend fängt sie an zu
grasen. Ich steige ab und berühre die Rinde
eines jungen Baumes. Er steht völlig allein, hat
keine Gesellschaft seinesgleichen. Es macht für
mich keinen Sinn zu fragen, ob es diesem Geschöpf
gut geht. Das ist offensichtlich nicht meine Aufgabe
mich darum zu sorgen. Ich bin weder Waldgeist, noch
glaube ich an solch wundersame Dinge, wie mit Tieren
zu sprechen; doch dort, wo ich noch niemals war -dort
soll es all das gegeben haben und immernoch herrschen. Und
ich werde es niemals erleben dürfen. Wehmütig
beobachte ich das müßige Schaffen in Edoras.
Von hier habe ich einen Ausblick, der einem Menschen,
der es noch niemals sah, die Luft zum Atmen nehmen würde. Für
mich ist es wie ein kleines, gar winziges Stück
auf einer Karte, die die Welt beschreibt. Mittelerde. So
viele Geheimnisse, verborgene Orte, Abenteuer, andere
Menschen. Ich sehne mich nach Erfahrungen, nach einem
Anspruch, dem ich gewachsen sein will! Doch vorerst
bin ich zu jung, zu naiv und für nichts anderes
zu gebrauchen als eine Familie zu gründen und Thronerben
zu gebären. Eine grässliche Vorstellung
eines Tages in diesen engen, goldenen Käfig gesperrt
zu werden. Lieber will ich verstoßen werden und
ein gefährliches, doch spannendes Leben führen
als für immer hier zu bleiben. Liebe sterbe
ich, als mein Leben lang in Rohan zu verweilen. Gefesselt
an meinen Onkel und seine Vorstellungen von meinem späteren
Leben. Auch wenn es noch so bezaubernd hier ist und
ich Tage wie diesen so sehr liebe -ich möchte meinen
Kindern mal mehr berichten, als: „Das Land um Edoras
besteht aus Wiesen und innerhalb unserer Tore herrschen
Gesetze, die sehr gerecht sind, da Menschen nichts mehr
lieben als Harmonie und ein gleiches Recht.“ Was
soll ich lügen? Was soll ich vorgeben dumm zu
sein, wenn ich es doch nicht bin.
1. Kapitel
- Rûth a gell [Zorn und Freude]
Die goldene
Stadt liegt friedlich gebettet auf dem Gipfel eines
Berges; von dem Platz vor der goldenen Halle aus kann
ich jeden Tag den herrlichen Sonnenauf- und Untergang
beobachten und sehnsüchtig in die Ferne blicken.
Jede noch so kleine Veränderung in der Stadt sticht
mir sofort in die Augen. Wie langweilig kann es sein
die Nichte König Théoden’s zu sein.. wirklich,
ich bin mir sicher, dass viele Frauen meines Alters
nicht mit mir tauschen mögen. Oh bitte, ich
wünschte, es wäre möglich. Doch vorerst
reite ich geschwind zurück, bin schon den ganzen
Tag unterwegs und habe großen Hunger. Onkel
sagte, er wolle Éowyn und mir heute beim Abendmahl
etwas wichtiges mitteilen. Vielleicht bringt es meine
Veränderung? Vielleicht bringt es auch nichts,
doch es wird etwas sein, das mich von dem Wunschdenken
ablenkt, mir einfach ein Pferd zu stehlen und zu fliehen. Denn
das wäre nicht ehrenvoll, das wäre nicht die
Nichte König Théoden’s. Das wäre
nicht die kleine, naive Éowán, die sich
sonst hinter Éowyn und Éomer zu verstecken
pflegt. Seufzend steige ich wieder auf Ana und treibe
sie -innerlich unwillig- an, mich geschwind an
mein Ziel zu tragen. Der Wind ist unser ständiger
Begleiter in und rund um die goldene Stadt. Manchmal
scheint es, als versuche die Natur, die störenden
Vierecke aus seiner Landschaft vertreiben zu wollen,
aber soweit ich die Menschen kenne, ist nicht einmal
die Natur stark genug, um so etwas zu vollbringen. Rohan
wird bestehen bleiben, aber ich möchte nicht mitansehen,
wie. Oben auf dem kleinen, steinernen Vorplatz der
goldenen Halle steht Éomer und nickt mit einem
ausdruckslosen Lächeln. Er ist sehr müde in
letzter Zeit und der lange Winter hat an seinen Kräften
gezehrt. Indes er niemals zugeben würde, dass er
es hasst jeden Morgen auf’s Neue loszureiten, um die
Gegend zu überprüfen. Da er der Einzige aus
unserer Familie ist, dem diese zweifelhafte Ehre zuteil
wird, muss er tun, was König Théoden von
ihm verlangt. Seine Stärke spüre ich in
meinen Adern fließen, aber zeigen darf ich sie
nicht. Seine Sehnsucht die Welt zu sehen und das
zu tun, woran mein Bruder glaubt; das darf er ausleben. Unbewusst
schicke ich ihm einen bewundernden Blick entgegen, den
er als Ironie auffasst. „Du kommst spät.“, lautet
seine knappe Begrüßung. Ich stehe ein
wenig unschlüssig vor ihm. Offensichtlich ist er
verärgert. „Erwarten wir Besuch?“ Blaue Augen
starren mir eine Antwort entgegen. Er betritt mir
voran die Halle. Etwas zögerlich folge ich und
bin sehr darauf bedacht, meinen Kopf zwischen die Schultern
zu ziehen. Éowyn’s Stimme hallt in meinen Ohren:
„Ich hätte ein wenig mehr Klugheit von dir erwartet,
Éowán!“ Entschuldigend und zugleich
trotzig blicke ich sie an. Das Kleid, das sie trägt,
gehörte einst unserer Mutter. Ihre schlanke, jedoch
sehr weibliche Figur schmiegt sich in dem Stoff und
erweckt ihn zum Leben. Ihre rot-blonden, langen Haare
fallen leicht gewellt darum herum, um an ihren Hüften
zu enden. Geschmeidig, doch Stärke ausstrahlend
sehe ich sie auf mich zukommen, mich strafend ansehen.
Die blauen Augen, das schön geschnittene Gesicht
und der geschwunge Mund.. alles das, was ich an mir
nicht sehen kann. Obwohl wir Geschwister sind. Nichten
König Théoden’s, adligen Blutes. „Warum
gibst du mir jeden Tag erneut zu spüren, dass du
dich mir gerne wiedersetzt?“ „Ich habe nichts getan,
das deine Ehre verletzen würde, Éowyn. Ich
habe-..“ „Du hast lange nicht die Erfahrung um die
Ländereien um Edoras einschätzen zu können!
Du bist schon einmal fast nicht wiedergekehrt und noch
dazu mit meinem Pferd.“ Ich verschränke die
Arme vor der Brust, auch weil ich weiß, warum
sie diesen Streit vor Onkel austrägt. Sie will
mir verständlich machen, dass ich nicht selbst
entscheiden kann, was richtig und was falsch ist. Noch
dazu bin ich allein gewesen. Nicht einmal Éomer
reitet völlig auf sich gestellt aus den Toren. „Wer
hat dich hinausgelassen?“, dröhnt eine Stimme plötzlich
hinter Éowyn und wir beide erschrecken. „Onkel..
ich.. es..“, stottere ich unsicher. Ich möchte
nicht, dass er mich genauso verletzlich sieht. In seinen
Augen will ich selbstsicher auftreten, eine richtige
Maid von Rohan, eine Frau, die sich nicht unterkriegen
lässt. Doch Éowyn untergräbt meine
Ehre ganz bewusst. „Éowán, ich dachte
nicht, dass du meine Anweisung noch einmal missachten
würdest. Du wusstest, was passiert, wenn ich ein
weiteres Mal höre, du seist geflohen.“ Mir ist,
als würde ich mich fragen, weshalb er nicht bemerkt,
was er gerade sagte. Ja, ich bin geflohen. Ja, bin ich!
Aus gutem Grund.. Er rückt sich in seinem Thron
zurecht und seufzt laut. Ich möchte auch nicht
mehr darüber reden; hoffe, dass er das Thema fallen
lässt.. ich habe Glück. „Deine Strafe wirst
du noch bekommen.. -aber vorerst habe ich euch nicht
umsonst zu mir bestellt.“ Éomer, Éowyn
und ich warten geduldig, bis er die richigen Worte gewählt
hat. Es ist etwas Wichtiges, denn seine Stirn runzelt
sich nachdenklich. Die blauen, blassen Augen strahlen
wieder -etwas wichtiges, erfreuliches. „Nun, nach
den langen Jahren, in denen ihr hier aufwuchset, war
ich stets besorgt um eure Zukunft. König Aratorn,
Truchseß Denethor und ich beschlossen deshalb
vor sehr vielen Jahren einen Pakt, der es mir zur Aufgabe
machte, euch darauf vorzubereiten, in einem gewissen
Alter vermählt zu werden, um den Thron Rohan’s
und auch vor allen Dingen Gondor’s zu erhalten. Das
ist ein sehr ehrenvoller Auftrag für mich gewesen,
doch nun, da meine Jahre sich geschwinder mehren, meine
Luft zum Atmen immer knapper wird und ich eine gewisse
Müdigkeit verspüre, die es mir unmöglich
macht, meine Aufgabe weiterhin zu erfüllen, endet
dieser Teil des Paktes nun.“ Misstrauisch kneife
ich die Augen zusammen. Ich spüre, mir gefällt
nicht, was mein Onkel im Begriff ist, uns mitzuteilen.
Überrascht sehe ich zu meiner Schwester, als sie
meine Hand ergreift und sie fest umklammert. Wusste
sie schon davon? Erfüllt sich ihr Traum? Erfüllt
sich mein Traum? Wohl kaum.. „Morgen schon werde
ich euch, Éowyn und Éowán, nun
denn mit eurem zukünftigen Gemahl bekannt machen
und das Schicksal wird sich endlich wieder zum Gutem
wenden für Rohan, für Gondor -für Mittelerde.“ Ich
denke, ich schwebe mit den Füßen über
dem Boden oder verlasse meinen Körper. Alles in
mir drängt mich zur Flucht oder zu einer anderen
Verzweiflungstat. Mein Herz schlägt schnell und
fest gegen meinen Brustkorb. Ich möchte schreien,
aber drücke hingegen nur Éowyn’s Hand. König
Théoden fährt unbeirrt fort: „Ich erfreue
mich an dem Gedanken, euch endlich vermählt zu
sehen, meine lieben Nichten. König Aragorn, Sohn
Arathorn‘s und Erbe Idildur‘s wird dir ein guter Mann
sein, Éowyn. Du wirst Königin und ihm viele
Erben gebähren.“ Mir wird übel, ich traue
meinen eigenen Ohren nicht. Éowyn -Königin
Gondors? Ich kann nicht glauben, was ich höre. „Éowán..“
Théoden erhebt sich von seinem Thron macht einige
Schritte auf mich zu; lächelt milde. In seinen
Augen flackert der alte Glanz, die vergessen geglaubte
Lebensfreude. „..Faramir, Sohn Denethor’s und Heeresführer
der königlichen Armee ist dir bestimmt. Ich bitte
dich, mache mir keine Schande und behandele ihn mit
gebührendem Respekt. Er ist ein tapferer Krieger,
hat so manche verloren geglaubte Schlacht gewonnen.
Sein Ruf ist ihm voraus geeilt. Man sagt, er sei wie
du.“ Wie ich? Wie kann sich jemand erlauben zu behaupten,
jemand, den ich nicht kenne sei so wie ich? Zitternd
ziehe ich meine Hand aus Éowyn’s. Théoden
blickt zufrieden und hoffnungsvoll zu Éomer und
wartet ab, bis dieser zustimmend nickt. Aha, daher wusste
meine Schwester von diesem Pakt, dieser beschlossenen
Sache. Éomer hat es ihr gesagt, mir nicht. Mich
haben sie alle im Ungewissen aufwachsen lassen, bis
heute. Als ich noch nicht einmal sprechen konnte,
wurde mir schon die Entscheidung genommen, mir selbst
einen Gemahl zu erwählen -ich bin aufgebracht,
doch zu froh Onkel lächeln zu sehen, als es ihm
zu zeigen. Nein, ich bin ganz ruhig, nicke und nicke
nochmals. So lange, bis Éowyn ungläubig
fragt: „Und der König wird mich heiraten?“ Théoden
lacht eine Nuance zu laut. „Ja, mein Kind, das wird
er. Gondor will es so.“ Gondor will es so. Gondor
will was? Mich ersticken? Ratlos blicke ich auf
meinen gefüllten Teller. Ich kann nichts essen,
ich kann nicht einmal mehr denken. Alles was ich wieder
und wieder vor mir sehe bin ich, wie ich eingesperrt
in irgendein Kämmerlein da sitze und in das schwarze
Nichts starre, als schwirrte dort etwas Erfreuliches
-ein heller, tanzender Lichtpunkt der es wert wäre,
beobachtet zu werden. Doch nichts. Mein Inneres
leert sich Stunde um Stunde und wartet darauf, mit Neuem
angefüllt zu werden -was nicht passieren wird. „Éowán,
wieso bleibt dein Teller unberührt? Ist dir nicht
wohl?“ Nein. „Doch, es geht mir gut. Ich bin nur
ein wenig müde.“ „Dann geh‘ zu Bett.“ Nickend
stehe ich auf und verabschiede mich zur Nacht von Théoden
und meinen Geschwistern, die in ein reges Gespräch
über die Zukunft in Minas Tirith -Hauptstadt Gondors-
vertieft sind. Éowyn hat das gleiche Schicksal
-vielleicht sogar schlimmer- aber sie schafft es zu
lachen und zu scherzen. In ihrer natürlichen Schönheit
übertrifft sie sogar die Erzählungen über
Elben in Bruchtal; wo hingegen ich mit meiner viel zu
zierlichen und mageren Statur, den pechschwarzen, glatten
Haaren und dunkelblauen -fast schwarzen- Augen aussehe,
wie ein unwirklicher, schmaler, dunkler Streifen. Einzig
das weiße Gewand, das ich immer zu tragen pflege,
verleiht mir meine Existenz.
Der helle, kreisrunde
Mond zeichnet Muster in die schnell vorbeiziehenden
Wolken. Die Natur gibt wieder ihre Geheimnisse preis.
Im fahlen Licht wiegt sich das lange Gras außerhalb
Edoras’ Mauern im Wind und leise Stimmen summen eine
unbekannte Melodie. Ich bette meinen Kopf auf dem
weißen Kissen und betrachte meine Haarflut, die
sich nun darüber ausbreitet. Sacht berühre
ich einzelne Strähnen und entwirre sie sorgsam. Was
soll werden? Was wird kommen? Was soll ich tun,
wenn ich Faramir morgen gegenüber treten muss?
Werde ich Haltung bewahren? Wie wird er sein? Wirklich
wie ich? Wird er mich behandeln, wie alle Menschen
mich behandelt haben? Mit welchen Augen wird er seine
zukünftige Frau sehen? Kann ich denn sein, was
sein Rang verlangt? Wieso musste ich ein Teil dieses
Paktes werden? Mein Geist schickt mich in den Schlaf.
Die fremden Gesänge bleiben in meinem Kopf und
geleiten mich hinüber in meine Traumwelt. Eine
Welt, in der ich so sein kann, wie ich wirklich bin;
wie ich sein will. Frei.
2. Kapitel -
Aragorn
Warme Sonnenstrahlen wecken mich in den
seltensten Fällen, doch dieses Mal erhebt sich
der glühende, runde Fleck am Horizont in gleißendem
Blutrot über die Gräser. Das Fenster meines
Gemaches steht weit offen und lässt die angenehme
Morgenfrische herein. Mein Kleid ist klamm, ich kann
es heute nicht tragen. Hätte ich es nur gestern
Abend nicht vergessen auszuziehen! Manchmal vergesse
ich sogar mich aus meinen ledernen Stiefeln zu schnüren,
die Onkel so ungern an mir sieht, aber dem ist nicht
heute nicht so. Statt ein anderes weißes Kleid
anzuziehen, wähle ich ein Schwarzes aus Baumwolle. Es
ist mir nicht fremd, mich eigenständig an- und
auszukleiden und mich auch selbst um alles andere zu
kümmern, was Körperpflege betrifft. Auch glaube
ich kaum, dass ich mich daran gewöhnen könnte. Hoffentlich
wird nicht von mir verlangt, mich vor einer Zofe auszuziehen
und mich von ihr baden zu lassen! Auf derartigen
Luxus kann ich gern verzichten.. Das Spiegelbild
spricht „Schwärze, Schwärze..“, aber ich kümmere
mich nicht darum. Ja, vielleicht trauere ich auch. Meine
Haare fallen über meine Schultern, an meiner Gestalt
herab und enden letztlich an meinen Ellenbogen, als
ich die Schultern hängen lasse. Trostlosigkeit
in dem Dunkel meiner Augen, eine dünne, blasse
Linie, die meinen Mund darstellen soll. Entschlossen
trete ich aus meinem Gemach, atme einmal tief durch
und gehe dann hinaus aus der goldenen Halle auf den
Vorplatz, Éowyn’s und meinen liebsten Aussichtspunkt. Niemand
scheint hier zu wohnen in den frühen Stunden, in
denen ich mich schon bewege. Die Menschen, die hier
hausen sind alle schon wach, aber sie verlassen ihre
privaten Räume ungern vor der morgendlichen Essenszeit. In
der Ferne steht die Sonne schon mehr als halb über
dem roten Horizont. Rüsselwolken kringeln sich
über den Himmel und erstrahlen in einem zarten
Rosa, um dann in helles Blau auszuufern. Es ist nicht
kalt, aber ich bekomme trotzdem eine Gänsehaut.
Hier herrscht niemals Windstille. Meine Haare werden
von einer Böe erfasst und fliegen um mein Gesicht,
legen sich um meinen Hals, wie ein schwarzes Tuch. Wenn
ich nur in die Zukunft sehen könnte.. ich wünsche
es mir so! „Was machst du hier zu dieser frühen
Stunde, Eowán?“, fragt Éomer plötzlich
hinter mir. Erschrocken wirbele ich herum und schaue
in sein amüsiertes Gesicht. Er hat mich früher
schon gern ersckreckt, weil er weiß, dass es bei
mir leichter ist, als sich an Éowyn die Zähne
auszubeißen. Sie hat, soviel ich weiß, vor
gar nichts Angst. Ich möchte manchmal sein, wie
sie. Und manchmal nicht. Ich möchte nicht
so alt sein und immernoch nicht mehr von Gondor gesehen
haben, als Edoras und seine nähere, unmittelbare
Umgebung. „Sieh‘ selbst!“, antworte ich und zeige
auf den Sonnenaufgang. Éomer schüttelt
den Kopf und seine blauen Augen scheinen mich wieder
vorwurfsvoll anzublicken. „Ich dachte eigentlich, dass
du dich auf die Ankunft Aragorn’s und Faramir’s vorbereitest,
meine Schwester.“ Ich sehe auf den steinernen Boden.
„Was soll ich mich vorbereiten? Worauf?“ Er sieht
mich kurz streng an, dann erweicht seine Miene. „Warum
bist du so in Trauer gekleidet? Du sollst dich glücklich
schätzen, Éowán!“ Sein glückloser
Ton hilft mir mit Mitgefühl. Er weiß, was
ich denke, kennt seine jüngste Schwester genau. „All
das ist mir bewusst, Éomer, du mutigster aller
Krieger.“ Ein geschmeicheltes Lächeln spielt
um seine Mundwinkel. „Du weißt nicht um alles.“ „Aber
ich weiß um genug.“, erwidere ich gemächlich.
Das Farbenspiel am Himmel hält meine Blicke gefangen. „Faramir
ist ein ehrbarer Mann. Er wird dich glücklich machen
und du solltest wirklich dankbar sein. Wahrlich, er
hörte schon genug Dinge, die ihm dich nicht hätten
wohlwollend gesonnen werden lassen können.“ Ich
sehe erstaunt auf. „Was sagst du?“ Éomer stützt
sich an einen Fahnenmast, der sich gefährlich nach
rechts in den Abgrund biegt. „Dein Wesen ist gerühmt
im weißen Palast; war doch Legolas, der Elbenprinz
Düsterwald’s in Begleitung seines Hauptmannes Haldir
vor vielen Jahren hier.“ Um meine große Neugier
zu verstecken, nestele ich an dem Verschluss meines
Kleidärmels, aber Éomer weiß um meinen
unerhörten Wissensdurst. Ich verlange immer zu
wissen, was ich nicht wissen darf als Lady von Rohan. „Was
sagt man dort?“, frage ich schließlich so uninteressiert
wie möglich. „Man erzählt von deinem kindlichen
Charakter, von deiner Sturheit und deiner Gabe, etwas
zu sagen, das sich nicht gehört.“ .. „Um es milde
auszudrücken.“ Ich bin enttäuscht. Ich
dachte, ich könne stolz darauf sein, weil gesagt
wird, ich wäre selbstbewusst oder-.. „Aber ich
konnte diese Sagen zerstreuen, indem ich Faramir berichtete,
wie du wirklich bist.“ „Wie kannst du, der du nicht
ich bist, jemandem sagen, wie ich bin?“, entfährt
es mir brüsk. Éomer legt die Hand auf
meine Schulter. „Du vermagst nicht zu sagen, wie du
scheinst; du vermagst nur zu sagen, wie du wirklich
bist und diese Aufgabe konnte und kann ich dir nicht
abnehmen. Du selbst wirst es sein, der Faramir von der
Richtig- oder Falschheit meiner Erzählung überzeugt.
Er ist dir sehr ähnlich, Éowán, glaube
mir!“ Wieder diese Behauptung, von der ich nicht
glauben kann, dass sie Wahrheit enthält. „Und
Aragorn, dem König Gondor’s? Bist du ihm jemals
begegnet, Éomer?“ Mein Bruder kämpft
gegen den Wind an, der seine Haare vor sein Gesicht
schlägt. „So wahr ich hier vor dir stehe.“ „Und
erzähl‘ mir, wie ist er? Ist er so weise und so
großmütig, wie mir Reisende erzählten?“ Mein
Interesse ist geweckt. Der König ist sonst ein
Thema, von dem nicht viel gesprochen wird, weil König
Théoden selbst ihn niemals zu Gesicht bekam. „Für
wahr, das ist er.“ Es ärgert mich, dass Éomer
mir nicht von sich aus mehr sagen will. „Warum denke
ich, dass es dir nicht behagt, von ihm zu sprechen,
Éomer?“ „Weil du mich kennst. Ich sage dir,
du wirst es früh genug erfahren, Éowán.
Lerne, mit deiner unbändigen Neugier umzugehen,
oder es wird dir eines Tages schaden, alles unablässig
zu hinterfragen.“ Er denkt, ich bin gekränkt,
aber ich wusste, dass er nicht weiterreden würde.
Wenn Éomer etwas nicht preisgeben will, dann
tut er es um keinen Preis. „Ich denke, wir sollten
wieder hereingehen, das morgendliche Mahl müsste
bald aufgetischt sein, Éowán.“ Einladend
hält er mir die Tür auf, aber ich schüttele
sacht den Kopf. „Nein, danke. Ich bleibe noch ein
bisschen hier und genieße die Sonne. In ein paar
Minuten wird sie von den Wolken verdeckt sein.“ Mein
Bruder akzeptiert meine Bitte und geht. Nachdenklich
schaue ich einer Schar Enten nach, die von einer älteren
Bürgerin die Straße hinabgetrieben wird.
Ich nicke zum Gruß und sie lächelt zurück.
Ich mag die Menschen in Edoras, sie sind so unbeholfen
und gleichzeitig geschickte Handwerker. Nach einer
Weile, als die Sonne unter einer jetzt grauen Wattewand
verschwunden ist, gehe auch ich zurück in die wärmere
Halle, um meinem Magenknurren Abhilfe zu schaffen.
Mittagsstunde.
Éomer
und Éowyn sind unterwegs um etwas weiter unten
in der Stadt jemanden zu besuchen, der ihre Hilfe braucht.
Mir hat man nicht mitgeteilt, worum es geht, aber es
interessiert mich auch nicht. Ich bin das erste Mal
in meinem Leben aufgeregt und muss erst einmal lernen,
was es heißt, wenn einem die Hände beginnen
zu schwitzen und das Herz mir zu schlagen aufhört,
wenn ich an heute Abend denke. Ich muss ruhig bleiben.
Das wird von mir verlangt. Also sitze ich bei
Théoden und erzähle ihm von einer Idee,
eine neue Zuchtlinie zu entwickeln. Er scheint begeistert,
aber nur mit einem Ohr hinzuhören. Seine Gedanken
sind dort, wo meine weilen. Faramir. Aragorn. Talem,
ein Bediensteter eilt zu uns und flüstert dem König
etwas ins Ohr. Onkel’s Mine erhellt sich mit einem
Mal und ein breites Lächeln schaut mich schräg
von oben an. Verwundert schaue ich von Talem zu Onkel
und wieder zurück. „Mein Herr, ist etwas geschehen?“ Er
steht auf und zieht mich mit sich. Feierlich ruft
er: „Lasst den König eintreten!“ Meine Augen
weiten sich, ich merke, wie ich zur Seite drifte und
nicht umfalle, weil Talem neben mir steht -der sich
jetzt verneigt. Alle die in der Halle standen, neigen
jetzt ihr Haupt und knien sich auf den Boden. König
Théoden sieht mich streng an und im nächsten
Augenblick knie ich auch auf dem kalten Marmor. Das
Geräusch, das die Tür macht, als sie aufgestoßen
wird, rauscht durch meine Sinne. Ich fühle schwere
Schritte auf dem Boden, wage aber nicht mein Gesicht
zu heben. Wie wird er aussehen? Was wird er sagen? Seine
Verlobte ist nicht einmal hier. Wird er erzürnt
sein? Ich denke zurück an Éomer’s Worte:
„..weise und großmütig.“ „König Aragorn!
Welch eine Ehre!“, ruft Théoden laut und bestimmt
und ich sehe kurz nach rechts. Braun-schwarze Lederstiefel
und alles andere als gepflegt und unbefleckt. „Éowán!
Willst du nicht den König willkommen heißen?“,
wispert mir Talem, der neben mir bereits wieder steht,
zu. Beim Teufel, ich hoffe die gemeinte Person hat
dies nicht gehört. Zögernd hebe ich den
Kopf und danke meinen schwarzen Haaren, dass sie mir
Zeit geben aufzustehen, bevor ich geradeaus schauen
muss. Was meine Augen schließlich sehen, scheint
nicht das zu sein, was sie sich dachten, zu sehen. Ich
erwartete einen alten, zurechtgemachten Mann mit Krone
und blinkender Rüstung. So habe ich mir den König
Gondor’s immer heimlich vorgestellt.. Doch er sieht
völlig anders aus!, schießt es mir wie ein
Pfeil durch den Kopf. Vor mir steht ein Mann, der
nicht viel größer ist, als König Théoden.
Schwarze, gewellte Haare fließen an seinem quadratischen,
charakteristisch geformten Gesicht herunter und enden
auf den breiten, von einem grauen Baumwollumhang bedeckten,
Schultern. Das schwarze, lederne Wams strahlt die Worte
‚benutzt‘ und ‚Schlacht‘ aus und die gesamte dunkle
Tunika ist der Inbegriff der Unauffälligkeit. Kein
Prunk, kein königlicher Schmuck oder ein Wappen;
einfach nichts, das darauf hinweist, dass dies der sagenumwobene
König Aragorn, Erbe Isildur’s ist, der in diesem
Augenblick vor mir steht. Blaue Augen mustern mich
genau, ich halte dem Blickkontakt nicht stand, weil
ich es für unhöflich halte, dem König
Gondor’s provokativ in das Gesicht zu starren. Aber
wie auch immer seine Aufmachung auf mich wirken mag,
er strahlt etwas Ungewöhnliches -für mich
nicht deutbares- aus, das mich in seinen Bann zieht. „Willkommen
in Edoras, König von Gondor.“, begrüße
ich ihn mit meiner freundlichsten Stimme. Wenn Éowyn
nur schon anwesend wäre.. Untertänig vollführe
ich nochmals meinen elegantesten und langsamsten Hofknicks
und sehe ihn dann erwartungsvoll an. „Ich habe schon
viel von euch gehört, Lady Éowán.“
Ein verstohlenes Lächeln steckt hinter seinem
Gesichtsausdruck. Ich fühle mich auf eine gewisse
Art geschmeichelt, auch wenn seine Worte mich beunruhigen
sollten. „Ist das so? Dann, mein König, hoffe
ich euch demnächst vom Gegenteil überzeugen
zu können.“ Was habe ich eben gesagt? Kamen
diese fremdartigen Worte aus meinem eigenen Mund? König
Théoden unterbricht unsere Begrüßung.
Ich weiß, er fürchtet ich könne etwas
Unhöfliches sagen und er hat Recht, ich war im
Begriff es zu tun. „Kommt, König Aragorn, ihr
seid sicher müde von der Reise. Ich habe das Beste
auftischen lassen und ihr könnt‘ mir erzählen,
wie es um das Reich steht. Ich bekomme gar nichts mehr-..“ Die
Stimmen verschwinden in der Unkenntnis, in einem anderen
Zimmer. Ich stehe wie versteinert an meinem Platz
und frage mich insgeheim, warum ich plötzlich so
sprachlos bin. Sogar Talem, der sich sonst für
nichts außer für König Théoden
interessiert, bemerkt zögernd: „Ihr seid so still,
Milady. Ist alles in Ordnung? Ihr steht nun schon weit
mehr als eine kleine Weile hier neben dem Thron. Soll
ich euch zu eurem Gemach begleiten und nach dem Arzt
schicken lassen?“ „Nein, es geht mir gut, Talem.
Geht!“ Er tut wie ihm befohlen und verschwindet.
Ich schüttele den Kopf, aber werde den Gedanken
nicht los. Welchen Gedanken? Ich weiß es
nicht, aber er beschäftigt mich allzu sehr. Mein
Kopf schmerzt und mein Herz schlägt noch immer
nicht im normalen Rhythmus. Ich muss wirklich etwas
mehr essen oder schlafen. Oder die Ursache für
meine Seelenpein sofort ersuchen.
3.
Kapitel - Dartha [Warten]
Nach einigem Zögern
entschließe auch ich mich, dem König Gondor’s
und dem König Rohan’s Gesellschaft zu leisten.
Nicht zuletzt wegen meinem knurrenden Magen, aber auch,
weil ich mit anhören will, was Aragorn über
die Welt zu erzählen hat. Als ich den Speisesaal
jedoch betrete, schweigt Onkel augenblicklich und zwei
blaue Augenpaare sehen mich an, als würden sie
verbergen wollen, dass ich gestört habe. „Verzeiht,
ich bin hungrig.“, antworte ich leise auf die ungestellte
Frage. König Théoden gewährt mir
mit einer ausladenden Geste den Platz an seiner Seite.
Ich setze mich also und wage nicht, den Kopf zu heben. „Nun,
Éowán..“, beginnt Onkel nachdenklich.
Ich blinzele nach links, um abzuschätzen, was er
sagen wird, jedoch verhindert seine feste Mine einen
Einblick. „.. dir wurde noch nicht der gesamte Plan
erklärt, auf den deine Zukunft gebaut werden wird,
meine geliebte Nichte.“ Ich dachte mir schon, dass
ich noch nicht die ganze Wahrheit weiß. „Ist
das so..“, erwidere ich unschlüssig. Was soll ich
stattdessen sagen? Was soll ich tun, wenn es mir
nicht gefällt, was er sagt. So, wie heute morgen. „Faramir,
dein zukünftiger Gemahl, ist Heerführer in
Minas Tirith. Er wird seinen hohen Rang dort nicht aufgeben,
also reist du am dritten Tag nach seiner Ankunft bei
Sonnenaufgang mit dem König und Éowyn zur
weißen Stadt, um dort deinen Wohnsitz einzunehmen.“
... „Ich weiß, dieser Wechsel der Umgebung wird
nicht leicht für dich werden -hast du doch dein
gesamtes Leben hier in Rohan verbracht- aber es gibt
keine andere Möglichkeit für mich, dich in
diese Ehe zu übergeben, wo deine Eltern diese Entscheidung
nicht mehr zu treffen vermögen.“ Ein mitleidiger
Blick kreuzt den meinen. Onkel ist sehr betroffen und
ich erahne den Grund, doch welch Freude durch meinen
Körper fließt! „Es sei euch versichert,
König Théoden, eure Jüngste wird bei
uns in Sicherheit leben.“ Mir ist, als werde ich
immer weniger sichtbar. Ich bin froh über die Nachricht
der Reise, doch gleichzeitig verwirrt. „Ich habe
keinerlei Zweifel an eurem Wort, König über
Gondor.“ Wohlwollend nickend erhebt König Aragorn
seinen Kelch mit Wein und führt ihn an die Lippen
-natürlich nicht ohne König Théoden
und mir zuzuprosten. Ich trinke gern, schmeckt es
mir doch sehr. Éowyn warnte mich vor einiger
Zeit vor der Wirkung solch wundersamer und geheimnisvoller
Tränke, meinte, es wäre „tückisches Gesöff“,
doch ich verstehe nicht wirklich, was sie damit zu sagen
versuchte. „Ich bete, es mögen bessere Zeiten
für unsere Lande kommen..“, denkt Onkel laut. Ich
fülle meinen Teller mit reichlich Fleisch. Das
letzte Mal, als ich es mir schmecken lassen konnte,
ist schon eine Zeit lang her. Ich wundere mich wirklich,
warum. „Die Allianz der Elben- und Menschenvölker,
wieder vereinigt, ist weit stärker als verstreute
und unkoordinierte Orks. Ihre Herrschaft ist seit vielen
Jahren vorüber. Man kann sie nicht ausrotten, aber
man kann sie kontrollieren und genau das haben wir vor.“ König
Théoden blickt respektzollend zu seinem Gegenüber
und auch ich halte kurz in meiner Bewegung inne. „Wovon
genau sprecht ihr hier, mein König?“, frage ich
schneller, als es meine Gedanken zu lenken vermögen. Amüsierte
Überraschtheit blitzt in hellem Blau auf. Wieder
sehe ich nicht direkt hinein. Ich fühle seine Neugier
auf meine Seele -ein Blick aus diesen Augen würde
genügen, um mich bloßzustellen. „Ich denke
nicht, dass du dich darum sorgen musst, Éowán!“
König Théoden’s unterdrückter Zorn
schwingt in mein Ohr. Meine schwarzen Haare stellen
für mich eine Wand dar, die mich vor seinen aufgebrachten
Blicken schützt. Vor dem König würde
er mir niemals direkt den Mund verbieten, aber sein
Ton sendet schmerzende Stiche in meinen Stolz. Gerade
als König Aragorn das Wort ergreifen möchte,
tritt Talem in den Saal und verkündet die Rückkehr
Lady Éwoyn’s und Éomer’s. König
Aragorn und Théoden erheben sich umgehend. Stuhlbeine
scharren auf dem gekachelten Boden und verursachen ein
unangenehmes Schrappen in meinem Ohr. Gerade wollte
ich noch in meine Hühnerkeule beißen, als
König Théoden mir auf die Schulter fasst
und mich zum Aufstehen bewegt.. Ich weiß
nicht, warum ich mitansehen soll, was vor sich geht.
Zu anderen Zeiten wird doch auch alles vor mir verheimlicht.. Außerdem
hat mich König Aragorn’s Blick verunsichert. Ich
kann einfach nicht einschätzen ob er mir gut gesonnen
ist, oder nicht. Wahrlich, ich bin beunruhigt. Sehr
fragwürdig ist das doch. Ich habe
ein Gefühl, das mich plagt, aber ich kann nicht
sagen, was es ist. Vor mir
bewegen sich zwei Männer, die mir den Blick auf
das Geschehen versperren. Einzig kann ich Éomer
ausmachen, der niederkniet und leise „Mein König.“
mit den Lippen formt. „Éowyn,
wir haben dich bereits erwartet. Der König traf
bereits vor einiger Zeit hier ein.“ Onkel
schleicht hoheitsvoll um Éowyn herum und beobachtet
abwartend, wie sich meine Schwester -in einem silber-seidenen
Kleid und mit einem langen geflochtenen Zopf- in all
ihrer Schönheit verneigt und ihren Zukünftigen
begrüßt: „Willkommen in Edoras; willkommen
in Rohan, mein König. Ich hoffe, ihr hattet eine
angenehme Reise durch unsere Lande.“ Unsere
Lande? Gehört mir denn auch etwas davon oder wird
das nur erzählt? Aragorn
ergreift sacht ihre Hand und gibt ihr einen Kuss darauf.
Ich stehe fasziniert daneben. So eine schöne Geste
habe ich einen Mann noch niemals tun sehen. Éowyn
hat in diesem Moment meine volle Aufmerksamkeit. Ihre
Wangen erröten, sie lächelt geschmeichelt
und sieht mich kurz an, um mir zu sagen, dass sie diesen
Mann jetzt schon in ihr großes Herz geschlossen
hat. Ich beneide
sie. Zum ersten
Mal spüre ich, was es heißt etwas mitzuerleben,
wovon man weiß, dass man es auch durchleben muss
und es ungewiss ist, ob es gleich ablaufen wird. In meinen
Augenwinkeln betrachte ich mir König Aragorn’s
Gesichtszüge. Er sieht ihr gerade in die Seele
und sie gewährt ihm den Zutritt. Ich wünsche
mir zu einer winzigen Kreatur werden zu können,
damit ich weiß, worüber sie reden werden. Es scheinen
viele Sätze zu entstehen, die unbedingt gesagt
werden müssen. Jedoch nicht mir. Ich kenne das,
aber verabscheue diese Unwissenheit jeden Tag mehr.
Es muss doch jemanden geben, der mir nicht nur die halbe
Wahrheit erzählt. „Vielen
Dank, Lady Éowyn. Die Reise war sehr angenehm
für meine Gefolgschaft und mich.“ Gefolgschaft?
Der König hatte doch höchstens zwei weitere
Soldaten an seiner Seite! „So sei
es denn; erfülle sich nun das Schicksal! Die Zukunft
Gondor’s liegt von nun an in euren Händen!“ Sie sind
noch nichteinmal verheiratet und Onkel spricht von einer
Zukunft Gondor’s.. ich schüttele den Kopf und wundere
mich über seine Dramaturgie. Er kann sich wirklich
in Ekstase reden! „Lasst
uns nun festlich speisen und auf eine baldige Ankunft
Armeeführer’s Faramir hoffen.“ Onkel
wirft einen Seitenblick zu König Aragorn, der sofort
das Wort ergreift: „Ihr habt Recht, er wird vorraussichtlich
erst morgen bei Sonnenaufgang in Edoras eintreffen.
Ein von mir erteilter Auftrag ließ ihn mir erst
einen Tag später folgen.“ Ich atme
innerlich auf und erschrecke mich im nächsten Moment
schon wieder. Vielleicht benötige ich einfach eine
weitere Nacht Gedenkzeit.
4. Kapitel
- Aes [Mahlzeit] Am Tisch
habe ich das Recht verloren, neben Onkel zu sitzen.
Ich habe also neben Éomer Platz genommen, der
dort sitzt, wo ich vorher den Stuhl in Beschlag nahm. „Prost,
meine Freunde!“, lacht Théoden erfreut und wirft
wieder einen vergnügten Blick hinüber zu König
Aragorn und Éowyn -welche zweitgenannte mich
ansieht, als wolle sie mich um einen Rat bitten. Was für
einen Rat vermag ich ihr zu geben? Ich kenne
nur manierliche Sitten und die Etikette, aber ich war
nie wirklich bemüht sie anzuwenden. Zu steif und
zu gezwungen scheint es mir. Mutter nannte die Liebe
leidenschaftlich und wunderschön.. Éowyn
und der König wirken weder das Eine noch das Andere..
wenn ich sie mir heimlich ansehe, stelle ich mir zwei
scheue Rehe vor, die umeinander herum tänzeln,
bevor-.. „Éowán,
meine Liebe, erzähl‘ uns von deiner Idee!“, ruft
Onkel und sieht mich wohlwollend an. Verwundert
blicke ich einmal in die Runde, muss mich ersteinmal
fassen, bevor ich zugebe, dass ich nicht weiß,
was er meint: „Verzeiht, mein Herr, ich muss wohl in
Gedanken gewesen sein.“ König
Théoden verzagt nicht an meiner Unaufmerksamkeit
-diesmal nicht. Zu gut ist seine Stimmung und zu verzaubert
ist er von der scheinbaren trauten Zusammenkunft seiner
Schachfiguren der Zukunft. Was bin
ich? Bin ich
der Springer? Bin ich
ein Turm? Kann ich nur in eine einzige bestimmte Richtung
gehen? Oder
werde ich eingekeilt sein, wie der König und die
Königin? Nein! Lieber
bin ich ein Bauer und kann gehen wohin ich will.. „Die
Idee von der neuen Zuchtlinie, von der du mir erzähltest.
Alle sollen wissen, dass du dich um das Weiterbestehen
und Verbessern unserer tapferen Kriegerpferde bemühst.“ Geschmeichelt
von dem Kompliment lächele ich und neige verlegen
den Kopf zur Seite. Im nächsten Moment merke ich
jedoch, dass ich nur etwas erzählen soll, damit
ich nicht wieder etwas hinterfrage, was mich nichts
angeht. Mich etwas erklären zu lassen ist auch
ein Weg, mein Schweigen zu erzwingen. Angesäuert
beiße ich auf meine Unterlippe und atme einmal
tief durch, bevor meine Lippen die Antwort formen: „Nun
ja, die Idee ist noch nicht ausgereift genug, aber wenn
sie vollendet ist, werde ich euch unterrichten können.“ Punkt. König
Théoden schaut ungläubig, nimmt hastig einen
Schluck Wein und spült seinen erneuten Groll damit
hinunter. Dann hängt sein Blick wieder an dem König
und Éowyn. Ich nicke
ohne es zu wissen und lächele erneut. So hat er
nicht gewettet, aber bei seiner jüngsten Nichte
hätte er damit rechnen müssen. Ich lasse mir
nicht den Mund verbieten, ich habe von anderen Gedanken
zu berichten. Es ist mir nicht verborgen geblieben,
dass Onkel sich Sorgen macht. Um mich. Um Faramir. Um
mich und Faramir. Er hat Angst. Angst, dass Faramir
mich nicht ehelichen will, wenn er mich sieht. Irgendwie
beschleicht mich aber das sichere Gefühl, dass
es stimmt, was jeder sagt. Faramir kann wie ich sein. Doch
dem werde ich noch früh genug ins Auge sehen. Ersteinmal
kann ich endlich essen und das nicht zu knapp.. „Éowán,
dein Hunger erstaunt mich. Seit wann isst du mit solch
großem Appetit?“ Warum
fragt Éomer mich immer die falschen Sachen zum
falschen Zeitpunkt? Ich verspüre keine große
Lust ihm eine Erklärung zu geben. Wieso muss ich
auch? Es ist eine völlig belanglose Frage.. wie
üblich. Ich bekomme nur belanglose Fragen von jedem
in diesem Raum, weil absolut niemand da ist, der sich
ernsthaft für mich interessiert. Nicht, dass es
mich stört -nein, ich bin gern unauffällig-,
aber ich vermag auch ernsthafte Fragen zu beantworten,
die nicht -wie fast alle Fragen, die ich bekomme- nur
auf eine spöttische und vorlaute Antwort spekulieren.
Vielleicht
kann ich auch zeigen, wie ich denke? Vielleicht
darf ich auch irgendwann mal sagen, was ich wirklich
fühle. Vielleicht
Faramir.. Abwartend
sieht mir mein Bruder entgegen. Seine sonst gerunzelte
Stirn liegt nicht in Falten und der strenge Ausdruck
ist aus seinen blauen Augen verschwunden. Mir ist nach
einer witzigen Antwort. „Seitdem
ich ein Kind erwarte.“, grinse ich. Besteck
knallt mit lautem Geschepper auf den Teller. Das Schmatzen
hört auf. Niemand
scheint zu atmen. Stille. Erstaunt
sehe ich auf. Das habe ich doch schon oft geantwor-.. „Éowán!
Du kommst sofort mit!“, presst König Théoden
zwischen den Lippen hervor. Er muss sich sehr anstrengen
nicht laut zu werden. Schreck
fährt in meine Glieder und lässt mich meine
Gabel umklammern. Ängstlich schaue ich in das Gesicht
meines Onkels. Wut und Zorn sprüht mir aus dem
Blau entgegen, seine Fäuste sind geballt und seine
Schläfen pochen heftig. Mein Herz zerspringt mir
in der Brust, ich habe nicht nachgedacht, bevor ich
meinen Mund aufmachte. Wieder
einmal. Gott,
er will mich köpfen! Er wird mich vierteilen! „Sofort!“,
tönt er harsch und ergreift nicht gerade sanft
meine Handgelenk, um mich hochzuziehen und mit mir aus
dem Saal zu eilen. Die massive
Holztür schließt sich mit einem dumpfen Knall.
Indes ich nicht zusammenzucke, erschreckt mich trotzdem
etwas. Ich gebe zu, ich musste eben schmunzeln und ein
Lachen stark zurückhalten, aber der König
Gondor’s darf so eine von grundauf unerhörte Antwort
nicht witzig finden, sondern unhöflich und unangebracht.
König Théoden’s Worte hallen durch die gesamte
goldene Halle und auch in mein Ohr. Seine Zurechtweisung
ist von Nöten, aber ich habe Mitleid. Ihr Ruf
scheint nicht nur eine fiktive Erzählung zu sein,
die sich ein Reisender aus Rohan ausdachte -sie stimmt.
Éowán ist für ihren Stand und für
ihr Alter zu vorlaut und viel zu unvorsichtig. Es kann
gefährlich sein, mit den falschen Leuten zu scherzen.
Offensichtlich weiß sie es nicht oder es schert
sie nicht. Und das ist das Einzige, das mich jetzt ebenfalls
erzürnt. Ihre leichtfertige Art kann ihr das Leben
kosten und ich möchte keinen um mich herum durch
so eine Unart fallen sehen. Éomer,
der mir gegenüber sitzt, entschuldigt seine Schwester
sofort: „Verzeiht das furchtbare Verhalten meiner Schwester,
mein König. Sie weiß sich einfach nicht zu
benehmen. Ich war mir sicher, sie würde sich zusammennehmen,
aber an ihr ist wohl alles Hoffen nur noch ein Trugschluss.“ Meine
Geste ist gebieterisch -eine neue Angewohnheit von mir.
„Es ist
nicht eure Schuld, Éomer, Sohn Éomund’s.
Es ist nicht immer unpassend, was unhöflich erscheint.“ Er nickt
zustimmend und hebt den Becher an seine Lippen. Ich
erwidere seine Geste und schaue zu Éwoyn neben
mich. Sie lächelt und erfreut sich meiner Aufmerksamkeit.
Ich schenke
sie ihr gerne. „Was
fällt dir ein, mir gegenüber so eine Unhöflichkeit
an den Tag zu legen, Éowán?! Und dann
auch noch in Gegenwart des Königs von Gondor! Hast
du denn gar kein Ehrgefühl? Hast du denn gar keinen
Stolz? Musst du mein Haus so erniedrigen?!“, herrscht
mich Onkel ungehalten an. Ich stehe peinlich berührt
vor ihm, denn ich weiß, dass alle in der goldenen
Halle hören können, wie er mich zurechtweist.
König
Théoden setzt sich schnaufend auf seinen Thron
und massiert seine Schläfen, als schmerzten sie
ihn allzu sehr. „Ich
wollte dich damit nicht bloßstellen, Onkel, glaub
mir!“ „Was
wolltest du dann damit bezwecken, Éowan? Warum
sagst du nur so einen Unfug? Hast du irgendwelche Sorgen?“ Mit dieser
Frage habe ich nicht gerechnet, deshalb schaue ich ihn
verwundert an. In seinem fragenden Blick liegt große
Sorge. Ich wünschte, sie würde sich wirklich
um mich drehen. Ich wünschte, ich könnte ihm
erklären, wie ich mich fühle. „Ich..“,
beginne ich, doch meine Worte verschluckt die Unsicherheit.
Onkel würde mich nicht verstehen und ich weiß,
er will es auch nicht wirklich. Vielleicht nicht beabsichtigt,
jedoch sind ihm andere Dinge einfach wichtiger. „Du weißt,
ich habe stets geduldet, dass du dich nicht erziehen
lässt. Du weißt, ich liebe dich trotz deiner
ungestümen Art und den vielen Fehlern, die du in
deiner Vergangenheit gemacht hast, Éowán..
aber du musst lernen, dass Zeiten kommen werden, in
denen du nicht von Sätzen und dummen Witzen Gebrauch
machen darfst, die dein Ansehen und deinen Ruf zerstören
können. Es vermag dein zukünftiger Mann dich
zu lehren, was es heißt, verantwortungsbewusst
zu sein -ich habe wohl was dies angeht, versagt.“ Ich schweige
einfach nur noch. Meine Hände spielen mit der silbernen
Kette, die ich um den Hals trage. „Faramir
wird nach mir der König von Rohan werden und ich
weiß, er wird diese schwere Bürde tragen
können, aber mich plagt die Angst um dich und was
aus dir wird, wenn du dein Verhalten nicht änderst.
Eine Königin hat nicht das Recht auf eine ungezügelte
Zunge und eine Königin wirst du nicht lange bleiben,
wenn sich das außerhalb der Mauern Edoras‘ herumspricht.
Die Leute schweigen nicht und die Augen der Feinde sind
stets wachsam. Meine geliebte Nichte, nimm‘ meinen Rat
an und denke nach, bevor du sprichst. Wähle deine
Worte sorgsam und sei Faramir eine gute Frau. Wenn du
es schon nicht aus Liebe tust, tue es für Rohan
-tue es für mich und deine Familie.“ Der Drang,
das zu tun, was Onkel von mir verlangt ist stark, aber
er verändert mich nicht. Ich weiß um alles,
was mir zustoßen kann, aber ich kenne mich selbst
und Onkel kennt mich keinesfalls besser. Ich kann eine
Königin sein! Stumm
nicke ich und falte meine Hände ineinander. Eine
Geste, die ich Éowyn als kleines Mädchen
nachmachte, weil sie damit signalisierte, dass sie sich
unterordnete. Folglich ist das eine Geste, von der ich
nicht sehr oft Gebrauch mache. Grummelnd
und murrend erhebt sich König Théoden und
nimmt mich in den Arm. Nun bin ich vollends überrumpelt.
Zögernd lege ich meine Arme um seine Schultern
und schließe die Augen. „Ich
will doch nur vermeiden, dass dir ein Leid geschieht,
meine Jüngste.“ Vor lauter
Verblüffheit weiß ich nichts zu antworten,
außer ein gekrächztes „Ja.“, und einem ungehörten
Schnaufen. Schon
nach ein paar Sekunden lässt Onkel wieder von mir
ab und lächelt mich milde an. „Und
jetzt gehst du wieder hinein und bittest den König,
dir zu verzeihen!“, sagt er bestimmt. Das gefällt
mir wieder gar nicht, doch wenn ich jetzt widerreden
würde, dann möchte ich nicht wissen, wozu
Onkel fähig ist. Die Tür
öffnet sich und König Théoden tritt
mitsamt seiner Nichte wieder herein, die in ihrem schwarzen
Baumwollkleid, mit den pechschwarzen Haaren und den
dunklen Augen in gesenktem Blick einhergeht wie eine
trauernde Witwe -wie es mir schon das fünfte Mal
auffällt. Sie verneigt
sich und spricht sehr leise, als sie sich entschuldigt. Wieder
meine gebieterische, abwinkende Geste. Ich überlege,
sie mir abzugewöhnen. Sie gefällt mir nicht,
aber ist gleichzeitig wie eine uralte Angewohnheit. Anschließend
setzt sie sich wieder neben ihren Bruder und es scheint
mir, als sei nie etwas geschehen -obwohl etwas außerhalb
meines Wissens geschehen sein muss. Éowán
isst sittlicher, sieht nur auf ihren Teller und ergreift
ihren Weinkelch nicht mehr wie eine halbverdurstete
Bauersfrau, die nach der schnellen Berauschtheit trachtet. Haben
mich meine Sinne doch getäuscht? Bevor
ich weiter darüber nachdenken kann, ist das Mittagsmahl
beendet und Éowán erhebt sich, verneigt
sich erneut vor mir und geht. Mit ihr geht niemand sonst. „Nun
denn, lasst uns in das Jagdzimmer gehen. Dort prasselt
immer ein Feuer im Kamin und es sitzt sich weit besser,
als hier.“, schlägt Éomer vor und deutet
mit dem Kopf zur Tür. Unentschlossen
bleibe ich sitzen. König Théoden sieht mich
an und möchte sich offensichtlich am liebsten selbst
gegen den Kopf schlagen. „Wenn
ihr euch natürlich von der langen, anstrengenden
Reise erholen möchtet: euer Gemach ist selbstverständlich
hergerichtet, König Aragorn.“ Dankend
nicke ich, erhebe mich und küsse nochmals Éowyn’s
Hand. Sie lächelt und zufrieden bemerke ich, dass
es auch ihre bemerkenswert ozeanblauen Augen erreicht.
5. Kapitel
- Dúwath [Nachtschatten] Gedankenverloren
starre ich mich im Spiegel an, kurz bevor ich mein Gemach
verlasse. Was ich
sehe, ist nichts weiter als ein Schatten mit schwarzen
Haaren. In der
goldenen Halle ist alles ruhig. Das einzige Geräusch,
das ich vernehme ist ein dumpfes Schnarchen und ich
vermag zu erkennen, zu wem es gehört.. Onkel. Der Mond
scheint rund und sonnenhell am schwarzen Nachthimmel.
Große und kleine Sterne zeigen den Weg auf zum
Horizont. Éowyn sagte mir einmal vor vielen Jahren,
der Mond würde von den Elben „Sternenjäger“
genannt werden. Wenn dem so ist, dann haben die Elben
herrliche Beschreibungen für Dinge, die wunderschön
sind. Ich frage mich plötzlich, ob ich schon einmal
einem Elben begegnet bin. Noch
als ich im Stall angekommen bin, schwebt mein Bewusstsein
mit dem Wort „Elben“ in einer anderen Welt. Deofir
begrüßt mich mit einem müden, gequälten
Wiehern und schnaubt mir in meine Hand, als ich ihn
am weichen Maul streichele. „Guten
Abend mein Herr Deofir.“, beginne ich hoheitsvoll und
lache leise, als er den Hals immer wieder hoch und runter
wirft und mit dem unbeschlagenen Huf auf dem Boden scharrt.
Als ich
die Box betrete, betrachte ich kurz seine eingefallenen
Flanken und die alten Narben an seiner Brust, seinen
Flanken, seinem Widerrist und allen vier Fesseln. Zwischen
dem Pechschwarz sticht das weiße Fell jedem sofort
ins Auge. Es ist ein Leid, mein altes Pferd bei Licht
anzuschauen, denn es berichtet nur von Schlachten und
unzähligen Kämpfen. Mit geschlossenen
Augen lehne ich mich an seinen Hals und vergrabe mein
Gesicht in seiner dünnen Mähne. „Ab heute,
mein treuer Freund, ist alles anders.“ Ich habe
jemanden hereinkommen hören, jedoch war ich mir
nicht sicher, dass es wirklich eine Frau zu sein vermag,
die so stapft und auftritt wie ein Soldat. Nein, ein
Krieger ist sie wirklich nicht, aber eine Lady bei weitem
auch nicht. Ich stehe
bei Brego, habe keine Nachtruhe gefunden. Er stand ruhig
da und döste mit geschlossenen Augen -bis sie den
Stall betrat. Sie mit ihrem Heeresschritt. Jetzt
tritt er unruhig von links nach rechts und somit finde
ich keine Entspannung mehr. Zu allem
Überfluss fängt sie auch noch an zu reden
und das in keinem Flüsterton.. Das Bild
eines Heeres klärt sich auf. Jetzt spricht sie
auch noch laut, wie ein Anführer einer Armee. Neben
mir im Schatten tritt jemand an die Box. Erschrocken
bleibt mir das Wort im Halse stecken und ich traue mich
nicht umzudrehen. „Ihr
sprecht so laut, als wolltet ihr in den Kampf ziehen,
Lady Éowán! Wollt‘ ihr, dass man euch
hier findet? So mitten in der Nacht?“ Mein
Herz verlangsamt den Takt. Es ist nur König Aragorn.
Nur? „Verzeiht,
mein König.“, sage ich jetzt sehr leise und bedächtig
und verneige mich. Deofir
schubst mich mit seinem Kopf ein Stück beiseite.
Beinah falle ich um. Laut
auflachend schubse ich ihn wieder weg. „Du alter Neider!
Wenn man dir nicht die ganze Aufmerksamkeit schenkt..“ Erst,
als ich bemerke, dass der König mich verwundert
betrachtet, fange ich mich wieder und sammele meine
Selbstbeherrschung. „Verzeiht, mein König, mein
Pferd ist sehr eifersüchtig.“ „Ich
sehe keinen Grund.“, antwortet er fest. Für mich
ist es unhöflich, aber ich würde mich in die
Hölle bringen, strafte ich den König ungehobelt. Als ich
nichts erwidere, fügt er nachdenklich hinzu: „Euer
Pferd? Was wollt ihr mit einem alten Tier, das weder
zu gehen noch zu sehen vermag?“ „Ihr
habt es bemerkt, mein König?“ Er zieht
die dunklen Augenbrauen in die Höhe. „Ich kann
schon ein gesundes von einem blinden Tier unterscheiden,
Milady.“ „Oh!
Ja, entschul-..“ „Es sei
euch verziehen, ich denke nicht, dass es weiteren Formalitäten
obliegt. Nennt‘ mich bei meinem Namen, Lady Éowán.
Ich bin nicht hier als König, sondern als zukünftiger
Gemahl Lady Éowyn’s.“ Nickend
lächele ich kurz und beginne Deofir aufzuhalftern,
um ihn für unseren nächtlichen Spaziergang
zu rüsten. „Was
habt ihr vor?“, fragt seine Stimme nach einer Weile,
in der ich vergebens versuchte in der Dunkelheit den
Verschluss zu schließen. Nichts zu machen, ich
sehe nichts. „Ich..“
Noch ein Versuch. „Ich..“ Noch ein Versuch. „Ich gehe
mit Deofir spazieren, mein Herr.“ „Würdet
ihr mir verraten, weshalb ihr das nicht am Tage macht,
wenn ihr nicht über Stock und Stein stolpern werdet?!“
Die leichte Ungläubigkeit geht deutlich aus seiner
Stimme hervor. „Weil
Onkel mir.. äh, weil Onkel dieses Pferd schon vor
Jahren töten lassen wollte und ich seitdem die
Einzige bin, die sich um ihn kümmert. Außerdem
ist es mein Pferd und ich gedenke es zu bewegen, wann
es mir beliebt.“ Die Bitterkeit in meiner Stimme ist
ebenfalls nicht zu überhören gewesen, doch
das bemerke ich wieder zu spät. „Natürlich.
Das sei euch gewährt.“, erwidert er und starrt
geradeaus in die Dunkelheit. Ich bereue meine scharfe
Zunge, doch ich will mich nicht erneut entschuldigen.
Es klänge geheuchelt und unehrlich. Endlich
schaffe ich es, das lederne, zerschlissene Halfter zu
schließen und streiche Deofir aufmunternd über
den Hals. „Ich
hoffe ihr habt nichts gegen meine Gesellschaft, Milady.
Ich möchte nicht erfahren, dass man euch irgendwo
mit einem Pfeil in der Brust gefunden hat und ich habe
um euren Nachtgang gewusst.“ Ein wenig
erstaunt sehe ich den König kurz an. Seine Augen
sehen an mir vorbei in die Ferne Rohan’s. Er ahnt nicht,
wie unangenehm mir das ist, denn ich pflege Deofir von
meinen Gefühlen zu erzählen, wenn ich gehe.
Heute wird dies dann sicher nicht der Fall sein. Lautlos
nicke ich ihm zu und neige kurz untertänig mein
Haupt. Es gefällt ihm nicht, aber er ist mein König
-daran kann ich nichts ändern. Er kann nicht leugnen,
dass es ihm zusagt, dass sich einjeder vor ihm verbeugt.
Ich bin mir sicher, er hat es verdient, dass man ihm
als König den größten Respekt zollt
-habe ich doch schon vielen Erzählungen Théoden’s
über Aragorn’s Heldentaten beigewohnt- und dem
will ich in nichts nachstehen. Ja, ich achte ihn sehr. „So,
mein Freund, auf zum Streifzug.“, flüstere ich
in die schwarzen, seidig schimmernden Ohren meines alten
Pferdes. Er lauscht mir -ich weiß es. Ich kann
es nicht nur sehen, ich kann es fühlen. Irgendwie. Bedächtig
setze ich mich in Bewegung, geleite Deofir behutsam
aus dem Stall und schlage die Richtung ein, die ich
immer mit ihm gehe. Meine
Augen -längst an die Dunkelheit gewöhnt- huschen
hin und her um jeden noch so kleinen Stein auf dem Weg
zu entdecken, über den mein Rappe stolpern könnte.
Wenn er erstmal am Boden läge, gäbe es keine
Hoffnung mehr, dass er sich jemals wieder erheben würde. Seufzend
lausche ich den Nachtgeräuschen, darunter auch
ein regelmäßiges Atmen neben mir. Es ist
so ungewohnt nicht allein zu sein. Nein, das ist es
nicht. Ein Mann an meiner Seite ist so seltsam. Wie
wird es erst mit Faramir? Nicht einmal Éomer
begleitet mich oft. Er ist zu beschäftigt und das
haben Éowyn und ich immer verstanden. Er ist
zwar nur ein wenig älter als meine große
Schwester, doch sein Kriegerstolz und seine Fähigkeiten
als Hauptmann sind beeindruckend. Ein wenig
Wehmut schleicht sich in mein Gewissen, wenn ich daran
denke, dass er sich vielleicht für mich schämt. „Ihr
seht bedrückt aus, Lady Éowán. Was
bereitet euch Kummer?“ Deofir
schnaubt zufrieden -mir direkt auf die Hand, die gerade
sein Maul streichelte. Dieses Geschehen raubt mir meine
Aufmerksamkeit und ich vergesse zu antworten und wische
mir stattdessen die Hand an meinem Gewand ab. „Es wundert
mich keineswegs, dass König Théoden an euch
seine Verzweiflung findet.“, raunt er mehr zum Spaß. Lächelnd
entgegne ich in frohem Ton: „Nun, ich hoffe trotzdem
er weiß tief in seinem Herzen, dass ich ihn liebe
wie meinen eigenen Vater.“ „Dessen
bin ich mir sicher.“ Dieser
König erstaunt mich mit jeder Minute mehr. „Sagt
mir, mein Herr. Wie weit reicht eure Freundschaft mit
meinem Onkel?“ „Er ist
mir über viele Jahre selbst wie ein Mitglied meiner
Familie gewesen. Jahre, in denen ihr, Milady, das Licht
der Welt noch nicht erblicktet.“ Beinah
rutscht mir ein „Warum?“, heraus, aber mir ist klar,
dass der König mein Alter schon lange überschritten
hat. Prüfend
begutachte ich von der Seite sein Gesicht. Das lange,
schwarze-gewellte Haar wankt bei jedem Schritt ein wenig
und wird vom Wind hin- und hergeweht. Éomer trägt
deswegen immer eine Haarspange, denn im Kampf kann ihn
eine Blickhinderung das Leben kosten. Der König
kämpft -soweit ich weiß- schon lange nicht
mehr selbst. Die großen Kriege sind vorbei, er
hat.. Meine
Lippen pressen sich aufeinander, ich habe ein ganz ungutes
Gefühl im Bauch, als ich meine Gedanken zuende
führe. „Und
Faramir..“, beginne ich. „..er ist euer Armeeführer.“ „In der
Tat. Ein Hervorragender noch dazu.“ „Das
hörte ich bisweilen von vielen.“ „Glaubt
ihr es nicht?“ „Doch,
natürlich. Ich habe keinen Anlass zum Bedenken.
Nur..“, ich räuspere mich, „..ich kenne ihn nicht.“
.. „Doch das meine ich nicht.“, füge ich schnell
hinzu. „Ihr
habt Angst um ihn?“, fragt König Aragorn und sieht
mich vielsagend an. Beinahe amüsiert. „Was
ist so witzig daran?“ Toll Éowán, wie
taktvoll! „Seid
nicht besorgt, Milady. Ihr habt nichts zu befürchten.“ „Wie
könnt ihr das sagen, mein Herr?“ Deofir
bleibt stehen. Besorgt sehe ich ihn mir an, er schwitzt
schon leicht. Meine Hände massieren seine Schulter. Dem König
scheint die Zwangspause nichts auszumachen. Er tritt
neben mich und streicht dem Rappen leicht ryhthmisch
über die Ohren und drückt an den Ohrspitzen
ein klein wenig zu. Ich muss nicht fragen, er erklärt
es bereits: „Auch eine Art der Massage. Es entspannt
das Pferd gleichermaßen wie den Menschen.“ „Ich
habe niemals davon gehört, dass Menschen sich an
den Ohren massieren.“, grinse ich verschmitzt. Er fährt
konzentriert fort und murmelt dabei unverständliche
Worte. Ich werde immer neugieriger und rutschte ein
Stück näher -massiere dabei Deofir’s Schultergelenk
ein wenig schwächer. Nichts
zu machen, ich verstehe es nicht. Das rauhe Flüstern
jagt mir eine Gänsehaut über den Rücken.
Kälte kriecht in meine Glieder. Eine Kälte,
die ich bis eben noch nicht empfunden habe. „Was
sprecht ihr zu meinem Pferd, mein Herr?“ Eine dümmere
Frage ist mir nicht in den Sinn gekommen. Offensichtlich. „Die
Sprache der Elben ist der Sprache der Tiere sehr ähnlich.
Vergleichbar, könnte man sagen.“ Elben?
Woher..? „Wahrlich,
wie ein Elb seht ihr aber nicht aus.“, stelle ich fest
und lasse von Deofir’s Schultergelenk ab, um auf die
andere Seite zu wechseln. Da er
ein großes Tier ist, sehe ich König Aragorn
nur mehr als eine Figur mit Beinen. „Würde
ich der König von Gondor sein, wäre ich ein
Elb, Milady?“, fragt er in einem Ton, der einem Klaps
an den Hinterkopf gleichkommt. „Ich
danke euch.“, flüstere ich zu mir selbst, bevor
ich laut antworte: „Nein, mein Heer.“ „Legolas,
sagt euch der Name etwas, Lady Éowán?“ Ich stöbere
in Erinnerungen, doch kann kein Gesicht zuordnen. „Ich
vernahm‘ den Namen ein einziges Mal von Onkel, indes
ich weiß, dass es ein Elb sein muss.“ „Ihr
seid ihm schon einmal begegnet.“, höre ich es wieder
mit diesem vielsagenden Ton. Lauernd. Abwartend. Doch
ich antworte nicht sofort, sondern überprüfe
schnell noch einmal eine alte Wunde, die von Zeit zu
Zeit wieder aufreißt. König
Aragorn tritt zu mir auf die Seite, doch ich bemerke
es zu spät und stoße mit dem Kopf gegen seinen
Bauch, als ich wieder hochkommen will. „Oh,
verzeiht mein König, äh, mein Herr.“, stammele
ich und reibe mir kurz den Kopf. Pah,
als hätte es wehgetan.. Ich habe nichts gespürt,
sein Wams hat alles abgefangen. Als ich
ihn entschuldigend ansehe, schüttelt er nur den
Kopf und streicht Deofir noch einmal über die geblähten
Nüstern. Mein
Pferd hat schon wieder Schnupfen. Und ich habe eben
etwas bemerkt. Noch etwas Beunruhigendes.. „Ich
kann Deofir nicht nach Minas Tirith mitnehmen, nicht
wahr, mein Herr?“, frage ich, als wir wieder nebeneinander
gehen. „Nein.“,
lautet die knappe Antwort. Ein bisschen mehr Mitgefühl
hätte ich erwartet, aber dazu hat der König
von Gondor eigentlich wirklich keinen Grund. „Dann
werde ich..“ Den Satz kann ich nicht beenden. „Ich
verstehe euch gut.“ Ich sehe
ihn an. Das Blau seiner Augen stielt die Dunkelheit,
doch das Glitzern darin -das Mitgefühl- schimmert
klar und hell wie die Sterne, die über uns am Himmel
strahlen. Ohne, dass ich es weiß, öffnen
sich meine Lippen ein Stück. König
Aragorn neigt wohlwollend den Kopf und lächelt,
schließt die Augen. Meine
Finger suchen automatisch ihren Weg zu Deofir’s Schulter
und massieren erneut ein wenig. „Viel,
Lady Éowán, werdet ihr zurücklassen
um nochmal soviel neu zu gewinnen.“ Seine rauhe, leise
Stimme hallt in meinem Ohr wider. Ich denke an diese
Worte werde ich mich noch oft erinnern wenn die Zukunft
den Platz der Gegenwart eingenommen hat. „Auch,
wenn ungewiss ist, was davon meine Liebe bedeutet?“ „Ja,
auch dann.“ Ich seufze
und gehe an ihm vorbei, um den Strick zu fassen. Deofir
niest laut. Meine Hand säubert sich wie von selbst
an meinem wollenen Kleid. Wir gehen
schweigend weiter. Der pfeifende Wind reißt an
meinen Haaren, als wir an eine Biegung kommen. Genau
dieses Gefühl, das mich in diesem Moment durchströmt,
ist es, das mich mich frei fühlen lässt. Das
selten klarer werdende Wissen von der Macht, der mich
in der Nacht umwehenden Freiheit. Ich könnte mir
ein Pferd nehmen und fliehen. Mein zukünftiges
Volk im Stich lassen und sein, was ich immer sein wollte.
Unabhängig und auf mich allein gestellt. Doch
würde ich auch nur eine Nacht in der Riddermark
überleben? Oder würde ich auf der Speerspitze
eines hungrigen Orks enden? Eine
Gänsehaut durchschüttelt meinen Körper.
Deofir reibt vertrauensvoll seine Nase an meiner kalten
Hand. „Friert
euch, Milady?“ „Nein,
mein Herr. Ich.. ich dachte gerade an die Reise in die
weiße Stadt.“, lüge ich. „Seid‘
ihr um euer Wohl besorgt?“ „Nein,
nicht um das Meinige.“ ... „Ich habe nie Angst.“, füge
ich geschwind trotzig hinzu. „Natürlich
nicht. Ihr seid eine Maid Rohan’s.“ Es klingt nicht
belächelnd, indes ich fühle, dass ich sowieso
alles glaube, das aus seinem Munde kommt. „Ich
habe Angst um.. Éowyn.“ „Auch
sie ist eine Maid Rohan’s und wird sich zu verteidigen
wissen. Wieso sagt ihr mir nicht die Wahrheit?“ Ich wage
es nicht, zur Seite zu sehen. Sein Blick durchdränge
meine stolzen Schilde. Ich seufze
und verweile kurz, um meinen Rappen ein paar Büschel
Gras zupfen zu lassen. „Mein Herr, ihr kennt das Gefühl
nicht..“ Mein
Blick fährt über den kunstvoll verzierten
Griff seines Schwertes. Ich würde es nur zu gern
mal berühren. Es ist nicht allzu prunkvoll, aber
trotzdem in meinen Augen wunderschön. „Welches
Gefühl kenne ich nicht?“ Oh, ich
habe schon wieder vergessen, weiterzureden. „Dieses
Sehnen nach Freiheit, dieses Verlangen danach, etwas
anderes zu tun, als man tun soll.“ Seine
tiefschwarzen Haare werden im Wind hin- und herweht.
König Aragorn scheint es nicht wahrzunehmen. „Wahrlich,
sodenn denkt ihr falsch von mir, Lady Éowán.
Zu manchen Zeiten vermisse ich dieses Gefühl selbst.“ Deofir
trottet neben mir weiter. Ich bin erleichtert, dass
ich dem König nicht mehr in die Augen sehen muss. „Aber
ihr habt als König alle Freiheiten Mittelerde’s.
Ihr könnt reisen wohin es euch beliebt und habt
gesehen, was so mancher noch niemals sah.“ Sein
schwerer Schritt ist auf dem erdigen Boden der Nebenstraße
kaum zu hören. Für einen einstigen Krieger
höchst ungewöhnlich. „Als
König lebt man nicht freier als ihr es tut, Milady.“ „Aber
als Krieger lebtet ihr aus, wovon ich heute träume.“
Ich spreche leise; weiß ich nicht um die Offenheit
mir gegenüber. Vielleicht darf ich auch nicht fragen,
aber ich habe meinen Ruf und kann ihn auch nutzen. König
Aragorn hat sein Urteil über mich schon gefällt.
Das tut einjeder Mensch, der mich zu Gesicht bekommt. „Ich
war nie ein Krieger.“, antwortet er bedächtig.
Nachdenklich. Verwundert
sehe ich zu ihm auf. „Kein Krieger?“ Mein
König ist überrascht, was mich widerrum überrascht.
„Wird das in den Landen Rohan’s so erzählt, Milady?“ „Oh ja,
mein König. Ich meine, Aragorn. Ich meine, mein
Herr Aragorn.“ Beim Sauron, wie kann ich mich noch mehr
vor seinen Augen blamieren? Vielleicht stolpere ich
über einen Grashalm.. Er lacht
leicht anstatt mich strafend anzusehen und dafür
danke ich ihm im Stillen. Offensichtlich kann ich meinem
Stolz bald eine Pause gönnen und mir einen Beruf
als Hofnarr suchen. „Verzeiht,
ich wollte nicht unhöflich sein. Manchmal denke
ich nicht, bevor die Worte meinen Mund verlassen.“ Er geht
nicht mehr darauf ein. „Auch ein König kann eine
glanzlose Vergangenheit besitzen, es tut mir nicht leid
mein Amt so lange nicht ausgeübt zu haben.“ „Das
erstaunt mich nicht, mein Herr.“ Erfreut
sieht mich ein blaues Augenpaar an, aber ich gehe nicht
darauf ein, bin mit einem Mal zu sehr in meine Gedanken
versunken. „Ich meine..“ Ich bin mir nicht sicher ob
ich vermag weiterzusprechen. Als die
Redepause zu lang wird, fragt der König vorsichtig
nach: „Was meint ihr?“ „Verzeiht,
ich.. ich denke nur, den Grund zu kennen.“ „Dann
sagt mir, was ihr denkt, ich möchte es wissen.“
Seine Worte hallen angenehm in meinem Kopf. Endlich
ein Mensch auf Mittelerden, der mir wirklich zuhören
will. Welch Seltenheit. „Es ist
unglaublich schwer, König zu sein. All die Entscheidungen
über Leben und Tod; die Entscheidungen um Dinge,
die unwiderruflich sind. Nicht jeder vermag ein König
zu sein. Der schmale Grad zwischen falsch und richtig,
Vertrauen und Misstrauen. Hinter jedem Gesicht kann
eine Missgunst liegen; hinter jedem Freund ein Feind
und manchmal wird aus Liebe Hass.“ Habe
ich jetzt auf seine Frage geantwortet oder eben nur
meine Gefühlslage beschrieben? Prächtig,
Éowán! König
Aragorn schaut zu den Sternen, die sich am Himmelszelt
vor uns über den Weiten Rohan’s verteilen. Wie
eine Versammlung von kleinen Lebenslichtern, die den
Weg ins Nirgendwo aufzeigen. Wieder
eine kleine Pause bevor wir umkehren. Deofir ist ermüdet. „Ihr
seht die Dinge ungewöhnlich klar für euer
Alter, Lady Éowán.“ „Dann
seid ihr der Einzige, der das denkt. Aber ich danke
euch.“ „Faramir
wird euch bestätigen in allem was ihr tut. Er hat
einen wachen Geist.“ Will
der König damit andeuten, dass er alt ist? Beim
Sauron, wieso sagt er das gerade mir? „Wenn
er nur halb so eine Güte und Weisheit besitzt wie
ihr, mein Herr, dann wird er mir ein guter Gesprächspartner
sein.“ „Sehnt
ihr euch danach?“ „Ja.“,
antworte ich, ohne genau zu wissen, was er meint. „Seid
nicht betrübt, weil ihr euer Land verlassen müsst,
eine Veränderung kann auch Gutes bewirken. In eurem
Fall, Milady, sehe ich noch Hoffnung für euer Glück.“ Ich nicht.,
denke ich bei mir. Mein Blick senkt sich, ich werde
traurig. „Das
Verlassen meines Landes begrüße ich, mein
Herr. Zu lang schon verweile ich hier in diesem Käfig
-der Sicherheit meines Bruders. Ich vermute mein Glück
nicht in der Zukunft.“ „Habt
ihr je geliebt, Milady?“ Erstaunt
hebe ich meine Augen und richte sie auf König Aragorn.
Er sieht einfach so ernst aus, er scheint mir irgendwie
helfen zu wollen. Ich frage mich nur wie. „Ich
liebe meine Familie, mein Herr.“ „Nein,
ich meine einen Mann.“ „Nein,
nie, mein Herr.“ Er macht
eine Pause und sieht mich an. „Dann war es nie wirkliches,
echtes Glück, das ihr kennenlerntet.“ Dieser
Mann wundert mich mit jeder Sekunde mehr, aber dies
sage ich ihm nicht. Wie auch? Ich könnte es nicht
einmal begründen. Ich weiß
auch nicht, was ich auf seine Worte erwidern soll, deshalb
legt sich Stille über uns. Nur das gelegentliche
Schnaufen und Husten Deofir’s durchbricht die Nacht.
An einer Kreuzung fegt der Wind scharf über die
Straße. Der Geruch des weit entfernten Waldes
steigt mir in die Nase. Deofir hebt den Kopf, als wir
den Stallungen näher kommen. Der König
sieht mir anschließend schweigend zu, wie ich
mein Pferd verabschiede und mich ihm wieder zuwende.
„Nun denn, mein Herr. Vielen Dank für eure Begleitung.
Es hat mich gefreut. Gute Nacht.“ Nach einer kleinen
Verbeugung wende ich mich ab und gehe mit schnellen
Schritten zur goldenen Halle. Alles
ist still. Ich frage mich, wann der König schlafen
geht. Er sah nicht danach aus, als würde er heute
Nacht noch Ruhe finden. Mir wird es wohl auch nicht
besser ergehen. Zu aufgewühlt bin ich von dem eben
gesagten und: was wird morgen?
~~~~~
|
|
|