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Titel: Annaluva
- Teil 5 Autor: Naurdolien
Nach
einigen Stunden erwachte sie und weckte Boromir, der
auch eingeschlafen war mit einem zärtlichen Kuß.
Sie spürten beide Hunger in sich aufsteigen und
machten sich auf den Rückweg zu ihrem Zimmer. Als
sie fast dort waren, kam ihnen Haldir entgegen stolziert.
Er hatte seinen Arm in einer Schlinge und der weiße
Verband war das einzige was von seiner Verletzung zeugte.
Die Wunden eines Elben heilten erstaunlich schnell.
Er grüßte sie mit einem breiten Lächeln.
„Hey, Annaluva! Herr Celeborn rüstet die Armee
zum Gegenschlag. Wirst du uns begleiten?“ Laietha sah
sich mit geübten Blick die Wunde an seiner Schulter
an. „Meinst du im Ernst, daß du sie begleiten
wirst, Haldir?“ Der Galadhrim lachte. „Natürlich.
Also, wirst du mit uns kommen?“ Boromir sah sie erwartungsvoll
an. Laietha schüttelte den Kopf. „Nein. Wir werden
uns in einer Woche auf den Weg nach Gondor machen. Ich
werde diesmal nicht an deiner Seite kämpfen. Ein
anderes Mal vielleicht.“ Der Waldelb zuckte mit den
Schultern. „Und, Herr Boromir, seid ihr zu eurer Mahlzeit
gekommen als ich euch das letzte Mal gesehen habe?“
Er grinste spitzbübisch und erhoffte sich, daß
Boromir ihm von einer schallenden Ohrfeige von Laietha
berichten würde, aber der Mann legte seinen Arm
um ihre Hüfte und zog sie mit einem breiten Lächeln
fest an sich. „Ich danke euch für euren Unterricht.
Ja, mein Hunger ist gestillt worden.“ Innerlich kochend,
mit einem gequälten Lächeln verabschiedete
sich Haldir von ihnen und sie begaben sich ins Haus,
um zu frühstücken.
****
Drei Tage später erwachten sie mitten in der
Nacht von einem entsetzlichen Lärm. Schnell sprangen
sie auf und liefen zum Fenster. Der Himmel war so rot,
als hätte man ihn in frisches Blut getaucht. Laietha
riß entsetzt die Augen auf. Boromir nahm sie in
den Arm. „Was ist das?“ brachte sie stockend hervor.
Boromir blickte lange nachdenklich in die Ferne. „Der
Schicksalsberg. Etwas ist dort im Gange.“
Er unterdrückte die aufsteigende Furcht. War
das der Triumph des dunklen Herrschers? War seine Stadt
gefallen und dieses schreckliche Leuchten das Freudenfeuer
Saurons? Er war sein ganzes Leben lang im Schatten dieses
brennenden Berges aufgewachsen. Wie oft war er als Kind
mitten in der Nacht aufgeschreckt und hatte den Berg
in Flammen aufgehen sehen. Wie oft war Faramir weinend
zu ihm ins Bett geklettert, weil ihn das gräßliche
Feuerwerk Saurons geängstigt hatte. Boromir hatte
den Kleinen immer versucht zu beruhigen, obwohl er selbst
vor Angst gezittert hatte. Wie viele seiner Freunde,
Kameraden, Ausbilder hatte er durch die Hände von
Saurons Schergen verloren. Wie viele Leben würde
dieser Krieg noch fordern. Was würde er vorfinden,
wenn er in seine Stadt zurückkehrte. Plötzlich
verspürte er den Drang, sofort aufzubrechen. Er
fühlte sich wieder stark genug. Was würden
vier Tage noch verbessern oder verschlechtern an seiner
Gesundheit. Sein Herz zerriß ihn vor Sorge. Sein
Vater, sein Bruder - was war mit ihnen geschehen, wenn
dies das Triumphgeheul der Finsternis war?
„Boromir?“ Er sah sie an. Laietha schien schon länger
mit ihm gesprochen zu haben, denn ihr Blick war besorgt.
„Boromir, bitte, sag etwas!“ Er strich ihr über
die Wange. „Wir werden morgen früh aufbrechen.“
Schnell legte er ihr den Finger auf die Lippen, als
sie protestieren wollte. „Ich fühle mich wieder
blendend.“ Ihr Blick verriet, daß sie die Lüge
durchschaut hatte. Schnell schenkte er ihr ein Lächeln.
„Oder kam ich dir noch so schwach vor, letztens im Wald
bei unserem...“ er grinste breit, „...Picknick.“ Laietha
senkte den Kopf. Sie machte sich ja selbst Sorgen um
Aragorn. Schließlich wußte sie weder, wohin
ihr Bruder gegangen war, noch ob er an seinem Ziel angekommen
war. „Nein. Du hast völlig Recht. Wir sollten morgen
aufbrechen. Ich werde gleich in der Frühe mit Frau
Galadriel sprechen.“ Es würde lange genug dauern,
bis sie in Gondor angekommen waren.
Der Schicksalsberg tobte bis in die frühen Morgenstunden
und Laietha und Boromir lagen dicht beieinander, keiner
fähig zu schlafen. „Erzähl mir vom Meer, Boromir,“
flüsterte sie gegen seine Schulter als eine weitere
Eruption den Schicksalsberg zu schütteln schien.
Er lächelte und küßte ihre Schulter.
„Ich war einmal mit meinem Bruder am Meer, als er
kaum 14 war. Er hatte es sich so gewünscht und
wir gingen jeden Abend an die selbe Stelle der Klippen,
um die untergehende Sonne zu beobachten.“ Sie hatten
ihren Onkel Imrahil in Dol Amroth besucht und Boromir
mußte an seine Mutter denken. Dol Amroth -das
würde für ihn immer Finduilas bedeuten.
Laietha spielte mit seinem Haar und legte ihren Kopf
auf seine Brust. „Ist das nicht langweilig? Es muß
doch immer gleich ausgesehen haben.“ Er lachte leise,
aus seinen Erinnerungen gerissen. „Nein. Das Meer ist
nie gleich. Der Himmel schimmerte jeden Abend in anderen
Farben, das Wasser war einmal tiefblau, dann smaragdgrün,
dann türkis oder so grün wie deine Augen.
Der Wind strich uns durch die Haare und die Luft roch
nach Salz. Wenn du dir die Lippen lecktest, konntest
du es schmecken. Die Gischt spritzte gegen die Felsen
und uns ins Gesicht. In der Ferne sahst du die Sonne
untergehen - manchmal als feurigen Ball, manchmal als
Widerschein in den Wolken.“ Das Meer - was würde
er dafür geben, noch einmal so jung wie damals
zu sein, ohne all die Sorgen um sein Land zu tragen,
ohne die Grausamkeiten seines Vaters zu bemerken. Laietha
seufzte leise. „Erzähl mir mehr vom Meer,“ bat
sie. Boromir lächelte und schloß die Augen.
„Die Seevögel kreisen über dir und du fühlst
dich so frei, als gäbe es auf einmal nichts anderes
mehr. Wenn du siehst, mit welcher Unermüdlichkeit
das Wasser dem Strand Kieselstein um Kieselstein raubt
und als Gegenleistung wunderbare Sachen ans Ufer schwemmt,
fühlst du dich gleichzeitig unbedeutend, klein,
vergänglich und auf eine andere Art Teil dieser
Unendlichkeit.“ Laietha fuhr mit ihrem Finger seine
Lippen nach und lächelte versonnen. Boromir küßte
ihre Fingerspitzen und sie sah ihn an, als wäre
sie eben erst aus einem Traum erwacht. „Das hört
sich wunderschön an.“ Seine Hand fuhr ihren Rücken
entlang. „Das ist es auch.“ Er sah sie lange an, langsam
begreifend, wie glücklich er war, sie zu haben.
„Kann man das Meer von deiner Stadt aus sehen?“
Seine Stadt, sein Bruder, sein Vater...
„Wenn man auf dem höchsten Turm steht und gute
Sicht hat - ja.“ „Ich will das Meer sehen, Boromir.
Ich will mit dir das Salz riechen und die Schätze
suchen, die das Wasser preisgibt.“ Und Boromir wünschte
sich sehnlichst das Gleiche. Wenn wieder Frieden herrschte.
****
Galadriel war zuerst nicht begeistert davon, daß
die beiden schon so früh aufbrechen wollten. Die
Grenzen wimmelten von Orks und sie hielt Boromir noch
nicht für kräftig genug, die lange Reise zu
überstehen. Aber sie sah ein, daß dieser
Zeitpunkt so gut wie jeder andere sein mochte. Die Herrin
des Waldes ließ ihnen Proviant und Ausrüstung
geben. Sie sollten mit einem Boot den Anduin hinunterfahren,
obwohl diese Strecke gefährlich war, denn sie bildete
die Grenze zwischen den Streitmächten Dol Guldurs
und Lothloriens. Als sie am Flußufer standen,
kam ein Bote herbeigeeilt und flüsterte Galadriel
etwas zu. Sie begann zu lächeln. „Ich fürchte,
ihr werdet nicht auf dem Fluß reisen. Kommt mit
mir.“
Verwundert sahen sie sich an und Boromir konnte sich
gerade einen bissigen Kommentar verkneifen, denn er
war ungeduldig, endlich aufzubrechen. Als sie auf dem
großen Platz unter den Blättern des riesigen
Baumes, der den Palast von Galadriel barg ankamen, rissen
die Menschen erstaunt die Augen auf. Ein schwarzes und
ein braunes Pferd kamen sofort auf sie zugaloppiert.
„Ascar!“ rief Laietha froh. Das Pferd rieb seinen Kopf
an ihrer Schulter und schnaubte zufrieden. Auch Boromir
streichelte glücklich den Hals seines Hengstes.
Die beiden konnten gar nicht fassen, daß die Tiere
ihnen so weit gefolgt waren. Aber das war nicht die
einzige Überraschung, die sie erwartete, denn aus
dem Baum stiegen zwei hochgewachsene dunkelhaarige Männer
in glänzender Rüstung herab.
Laietha stieß einen Freudenschrei aus. „Elrohir!
Elladan!“ Ungeachtet der umstehenden Elben und der Herrin
des Waldes, rannte sie auf die beiden zu, die sie mit
offenen Armen empfingen. „Elrohir, muindor! Le nach
kuila!“ Weinend warf sie sich in seine Arme. Der Elb
schmunzelte und preßte sie an sich. „Ja, ich lebe.
Es geht mir gut, Schwesterchen.“ Laietha ließ
von ihm ab und sah ihn mit großen Augen an. „Aber
die Warge...wie konntest du? Es waren doch so viele!
Ich dachte, du wärst tot! Ich habe mir solche Vorwürfe
gemacht...ich...“ Er verschloß ihre Lippen mit
einem Kuß. „Elladan kam und hat mir geholfen.“
Die Frau sah den anderen Elben überglücklich
an und umarmte ihn heftig. Sie verschoben ihre Abreise
um einen Tag, sehr zu Boromirs Bedauern.
Den ganzen Abend über saßen sie zusammen
und Elladan und Elrohir mußten Laietha erzählen,
was passiert war, nachdem sie in die Berge gelaufen
war. Sie riß erstaunt die Augen auf und lächelte
überglücklich. Immer wieder nahm sie Elrohirs
Hand. Boromir seufzte resigniert, immer, wenn sie sich
in der Sprache der Elben unterhielt. Mit einem Seitenblick
auf Boromir fragte Elrohir: „Was ist mit dir, Schwester,
hast du gefunden, wonach du gesucht hast?“ Lachend ergriff
sie Boromirs Hand und drückte sie fest. Der Elb
sah sie lange an und umschloß schließlich
die Hände der beiden. „Ich sehe, daß deine
Mühen nicht umsonst gewesen sind, Schwesterchen.“
Das Beisammensitzen ging bis in die frühen Morgenstunden.
Elladan hatte nun die Aufmerksamkeit seiner Schwester
für sich gewonnen und erzählte ihr alle Neuigkeiten
aus Bruchtal. Boromir beobachtete sie mit einem Lächeln
in den Mundwinkeln, als Elrohir plötzlich leise
zu ihm sprach. „Wenn ich du wäre, würde ich
gut auf sie achtgeben, oder du wirst meinen und den
Zorn meiner Brüder zu spüren bekommen.“ Boromir
sah ihn ernst an. „Das werde ich nicht, keine Sorge.
Sie bedeutet mir sehr viel. Ich wäre ein Dummkopf,
wenn ich sie nicht hüten würde, wie einen
Schatz.“ Elrohir hob eine Augenbraue und erinnerte Boromir
in diesem Augenblick nur zu sehr an Herrn Elrond. „Wir
werden ja sehen,“ knurrte der Elb.
Als sie zu Bett gingen, achteten die beiden Elben
genau darauf, daß Laietha sich in ihr eigenes
Bett legte. Sie warf Boromir ein entschuldigendes Lächeln
zu. Er mußte grinsen. Die beiden Elben starrten
mit offenen Augen aus dem Fenster. Wurden sie denn nie
müde, fragte sich Boromir im Stillen. Er drehte
sich auf die Seite und sah sehnsüchtig zu Laiethas
Bett hinüber. Ein Seufzer entrang sich seiner Kehle
und er drehte sich mit einem frustrierten Stöhnen
wieder auf die andere Seite. Es dauerte nicht lange
und er hörte nackte Füße über den
Boden schleichen und kurz darauf hob sich seine Decke
und ihr warmer Körper schmiegte sich an seinen
Rücken. Geschwind drehte er sich um. „Bist du des
Wahnsinns? Sie werden mich ausweiden, wenn sie dich
hier sehen,“ zischte er. Laietha versiegelte seine Lippen
mit ihren. „Keine Angst, sie schlafen.“ Boromir schielte
über seine Schulter und blickte in Elrohirs - ?
- geöffnete Augen, die ihn ansahen. Zu seiner Überraschung
unternahm der Elb nichts. Laietha kicherte und dann
fiel es ihm wieder ein - Elbenschlaf. Er schüttelte
den Kopf. Daran würde er sich nie gewöhnen,
auch wenn er es bei Legolas oft genug gesehen hatte.
Er war froh, daß Laietha ein Mensch war. „Sie
werden bald aufwachen, aber einen Moment haben wir für
uns.“ Er lachte leise. Laiethas Finger strichen über
seinen Bart. „Der alte Bilbo läßt dich grüßen.
Er sagt, du sollst mich gut behandeln, weil ich dir
sonst davonlaufe.“ Boromir küßte sie. Das
mußte man ihm wahrlich nicht zweimal sagen. „Niemals,
Herrin. Diesmal höre ich auf ihn und sobald ich
etwas Seil habe, werde ich dich festbinden und dann
läufst du mir nie mehr davon. Ich lasse dich nicht
mehr gehen.“
Sie lagen eine Weile so beisammen und Laietha gähnte,
denn die letzte Nacht ohne Schlaf machte sich bemerkbar.
Boromir gab ihr einen Klaps auf den Po. „Geh in dein
Bett, bevor du hier einschläfst und dein Bruder
mich umbringt.“ Sie gab ihm einen letzten Kuß
und schlich in ihr Bett zurück. Boromir warf ihr
noch eine Kußhand zu und bald waren sie eingeschlafen.
****
Am nächsten Morgen rüsteten sie sich endgültig
zum Aufbruch. Boromirs Verletzungen waren noch einmal
versorgt worden und Galadriel hatte inzwischen kaum
noch Bedenken wegen seiner Reise. Der Mann war erstaunlich
stark.
Boromir hatte sehr gute Laune, denn nun würden
sie sich endlich auf den Weg in seine Heimat machen
- so sehr er die Goldenen Wälder mochte. Als sie
bei den Pferden angekommen waren, kam Ascar sofort auf
Boromir zu und stupste ihn an, so daß der Mann
fast das Gleichgewicht verloren hätte. Der Gondorianer
sah den Hengst fragend an. „Was hast du denn, Ascar?
Ist etwas nicht in Ordnung?“ Das Tier schubste ihn erneut,
diesmal fordernder und vergrub seine Nüstern an
Boromirs Seite. Der Mann begriff plötzlich, was
das Tier von ihm wollte und brach in Gelächter
aus. „Ach so. Du willst etwas haben! Tut mir leid, mein
Guter, aber diesmal habe ich nichts für dich.“
Er zeigte dem Rappen seine leeren Hände. Das Pferd
schnaubte und stieß ihn mit der Schnauze an und
Boromir prallte unsanft gegen Laietha. Ascar ließ
nicht locker. Er fuhr so lange fort, Boromir in den
Rücken zu stoßen, bis er mit einem Seufzer
nach ihren Vorräten griff und die heißbegehrte
Karotte hervorzauberte. „Hier, du gieriges Tier!“ brummelte
er. Laietha lachte laut. „Es ist deine eigene Schuld,
denn er weiß genau, wo es etwas zu holen gibt.“
Boromir küßte sie flüchtig. „Er ist
genauso fordernd wie du.“ Sie grinste breit.
Sie sattelten die Pferde und machten sich auf den
Weg nach Gondor.
Elrohir ritt dicht neben Laietha. „Wenn er dich noch
einmal nachts in sein Bett lockt, bringe ich ihn um.“
Sie lachte und zerzauste ihm das Haar. „Vielleicht interessiert
es dich, daß er um meine Hand angehalten hat.“
Der Elb sah mit hochgezogenen Brauen an. „Er kann vor
dir um deine Hand anhalten, sooft er will, aber ich
würde zu gerne sein Gesicht sehen, wenn er mit
dieser Bitte vor Vater treten muß.“ Laietha seufzte.
Es war nicht einfach, die kleine Schwester von drei
großen Brüdern zu sein.
****
Viele Tage waren sie unterwegs. Wohin sie kamen,
sahen sie Spuren des Krieges und einige Male wurden
sie selbst in kurze Scharmützel mit umherstreifenden
Orks verwickelt. Aber sie trafen keine von Saurons Armeen
an, wie Boromir im Stillen befürchtet hatte.
Auf halben Weg nach Gondor kam ihnen eine Gruppe
Reiter entgegen. Zunächst gingen sie in Deckung,
bis Elladan schließlich flüsterte: „Männer
aus Rohan.“ Geschwind verließen sie ihr Versteck
und warteten darauf, daß die Gruppe näher
kam. Boromir erkannte unter ihnen den Marschall der
Rittermark Eomer. Sein Gesicht war ernst und Boromir
konnte Schmerz darin sehen. Besorgt wandte er sich an
den Mann. „Herr Eomer, kommt ihr aus Gondor? Sagt mir,
gibt es Nachrichten aus der Weißen Stadt?“ Eomer
musterte ihn lange. „Herr Boromir, nicht wahr? Ja, es
gibt Nachrichten. Der Feind ist besiegt, aber euer Vater
ist tot und euer Bruder schwer verletzt. Die letzte
Schlacht auf den Pelennor Feldern hat viele Opfer gefordert.“
Boromir war, als würde sich der Boden auftun
und unter ihm verschwinden. Krampfhaft hielt er sich
an seinem Pferd fest. Laietha eilte an seine Seite und
drückte seine Hand. Er reagierte kaum. Mit gesenktem
Haupt nickte er langsam. Eomer kam zu ihm und legte
ihm die Hand auf die Schulter. „Es tut mir leid, daß
ihr es so erfahren mußtet. Vielleicht ist es nur
ein schwacher Trost, wenn es Trost für euch gibt,
eure Stadt ist schwer zerstört worden, aber sie
ist wieder frei.“ Boromir hob den Blick und ließ
ihn über die Soldaten des Reitervolkes schweifen.
Von ihrem König fand er keine Spur. Er sah Eomer
in die Augen und der Schmerz, der in ihnen wütete
ließ ihn begreifen, daß auch Theoden gefallen
war. Auch er legte dem Krieger die Hand auf die Schulter
und so standen die beiden Männer einige Zeit und
spendeten sich stillen Trost - ohne eine Träne
zu vergießen.
Die Reiter waren weitergezogen und Boromir ritt langsamer
als an den Tagen zuvor, fast als würde er sich
nun fürchten seine geliebte Heimatstadt zu erreichen.
Die meiste Zeit schwieg er, was Laietha mit großem
Unbehagen feststellte. Sie wünschte sich, daß
sie seinen Schmerz lindern könnte, wußte
aber nicht wie. Und was war aus Aragorn geworden? Sie
hatte Eomer nicht gefragt, denn was hätte sie sagen
sollen? Habt ihr einen Waldläufer gesehen?
Sie hatten noch gut zwei Wochen Reise vor sich und
bis dahin würde sie sich wohl gedulden müssen.
Elladan hatte ihr erzählt, daß Elrond sich
bald auf den Weg nach Minas Tirith machen wollte und
sie darauf vorbereitet, daß sie sich eine gehörige
Standpauke für ihr eigenmächtiges Verhalten
abholen können würde. Im Moment interessierte
sie die Schelte, die ihr bevorstand herzlich wenig.
Sie waren an der Grenze zu Gondor angelangt und rasteten
in der Nähe des Firienwaldes. Die Sonne versank
langsam hinter dem Weißen Gebirge und tauchte
das Land in goldenes Licht. Elladan und Elrohir sammelten
Feuerholz und Laietha band die Pferde fest.
Boromir stand unschlüssig herum und starrte
auf die Berge. Sie ging zu ihm und legte ihm den Arm
um die Hüfte. „Es tut mir leid, wegen deinem Vater.“
Die Worte kamen ihr so leer und bedeutungslos vor. Boromir
wandte seinen Blick nicht von den Gipfeln, die schwarz
gegen die sinkende Sonne hervorstachen ab. Laietha streichelte
seinen Arm. Er ließ sich plötzlich in ihre
Arme sinken und preßte seinen Kopf gegen ihre
Schulter. Sie umschloß seinen Körper und
streichelte sanft seine Schultern. Etwas anderes als
beruhigende Laute brachte sie nicht hervor. Nach einer
Weile hub er mit rauher Stimme zu sprechen an. „Er war
ein harter Mann. Manchmal habe ich ihn gehaßt.
Er hat meinen Bruder immer ungerecht behandelt und oft
habe ich geglaubt, er würde uns nicht lieben. Als
ich älter wurde, habe ich ihm mehr als einmal im
Stillen vorgeworfen, daß Mutter nur wegen seiner
Kaltherzigkeit gestorben ist. Aber er war mein Vater
und ich habe ihn geliebt. Ich wünschte mir, ich
hätte noch einmal mit ihm sprechen können.
Und was ist, wenn mein Bruder tot ist, wenn wir in Minas
Tirith eintreffen?“ Er klammerte sich nun fast verzweifelt
an sie. Laietha antwortete nicht, sondern hielt ihn
nur fest im Arm. Schließlich löste er sich
von ihr und seine Wangen färbten sich mit Scham,
daß er sich so hatte gehen lassen. Das war eines
Kriegers nicht würdig. Sie strich ihm übers
Gesicht und zog ihn in die Wärme ihrer Umarmung
zurück, bereit, ihm weiter Trost zu spenden. „Hast
du nicht gesagt, du würdest spüren, wenn deinem
Bruder etwas passiert?“ Er erschauderte, als er sich
an das Gefühl des Verlustes in Lothlorien erinnerte.
Laietha erriet seine Gedanken. „Vielleicht hast du den
Tod deines Vaters gespürt, aber ich bin sicher,
daß du deinen Bruder bald wiedersehen wirst und
er wird leben.“ Boromir wünschte sich, daß
er ihre Zuversicht teilen könnte.
Die Sonne war hinter den Bergen untergegangen und
der Himmel leuchtete in Tönen von rot, blau und
violett. Boromir hob den Kopf und sah sich um. „Ein
schönes Fleckchen Erde ist das hier. So friedlich
und still. Ich würde zu gerne hier leben.“ Er sah
sie an. „Mit dir,“ setzte er hinzu. Laietha strich ihm
die Haare aus dem Gesicht. „Be iest lîn, Boromir,“
lächelte sie.
Elladan und Elrohir kehrten zurück und sie hatten
nicht nur Feuerholz gefunden, sondern auch ein paar
Kaninchen erlegt. Das Abendessen war gesichert.
****
Die Gegend war belebter geworden und sie hatten die
letzten Nächte in kleinen Gasthäusern verbringen
können. Boromir hatte zwar etwas unglücklich
dreingeschaut, weil die Elben darauf bestanden hatten,
mit ihm in einem Raum zu schlafen, während Laietha
ihr eigenes Zimmer bekommen hatte, aber er dachte sich,
daß das vielleicht nicht der geeignete Zeitpunkt
für einen Disput mit seinen zukünftigen Schwägern
wäre. Wenigstens kamen sie zügig voran und
nicht nur Boromir brannte darauf, endlich in der Weißen
Stadt anzukommen.
Die Nachricht von Saurons Fall hatte sich wie ein
Lauffeuer verbreitet und überall waren die Leute
guter Dinge. Und noch etwas erfuhren sie - in der Stadt
liefen die Vorbereitungen für die Krönung
von König Aragorn. Als Laietha das hörte,
machte ihr Herz einen Freudensprung, denn das hieß,
daß es Aragorn gutging. Aber nicht nur die Nachrichten
aus der Stadt verbreiteten sich schnell. Boromir war
wohlbekannt in dieser Gegend und die Nachricht von seiner
Rückkehr in Begleitung einer fremden Frau eilte
ihnen voraus und so wurden sie schon bald in den Dörfern
als Herr Boromir und seine Frau begrüßt.
Laietha und Boromir sahen sich schmunzelnd an, während
Elronds Söhne ihren Ärger nur mühsam
unterdrückten - zumindest Elrohir kochte innerlich.
Noch hatte Boromir nicht bei Elrond vorgesprochen und
nichts war entschieden! Und ob ihr Vater von dieser
Verbindung so angetan sein würde, wagte er zu bezweifeln.
Sie konnten in der Ferne schon den weißen Turm
von Ecthelion aufragen sehen, als sie an diesem Abend
ihre Reise beendeten und ihr Lager am Ende des Steinkarrentals
aufschlugen. Boromir lächelte, als sein Blick auf
Laietha fiel. Mit offenem Mund starrte sie in die Richtung
der Weißen Stadt, die sich in weiter Ferne erhob.
„Ein schöner Anblick, nicht wahr?“ fragte er und
sein eigenes Herz schlug schneller - vor Freude und
Angst zugleich. Laietha nickte nur, wandte ihren Blick
aber nicht von dem schimmernden Turm ab. „Wunderschön,“
brachte sie schließlich leise hervor. Boromir
legte den Arm um sie. Morgen abend würden sie in
den Mauern der Stadt schlafen. Er würde ihr alles
zeigen - die Zitadelle, die Ringe der Stadt mit ihren
verwinkelten Gassen, den Weg zum Fluß und er würde
mit ihr auf den Turm steigen und das Meer betrachten.
Elladan reichte ihnen etwas zu Essen und setzte sich
zu ihnen. Er musterte den Krieger lange und schenkte
seiner Schwester schließlich ein verstohlenes
Lächeln. „Gute Wahl,“ griente er nach einer Weile.
Laietha lächelte und nahm Boromirs Hand.
****
Es war ein wunderschöner Tag. Aragorn hätte
sich keinen besseren wünschen können. Die
Sonne schien warm auf sie herab und kein Wölkchen
verdeckte den Himmel. Draußen hatten sich schon
die Massen versammelt, die sich darauf freuten, ihn
bald schon ihren König nennen zu können. Er
warf einen letzten Blick in den Spiegel und betrachtete
sich in der festlichen Kleidung. Es war ein wenig ungewohnt
und er hatte es nie so gewollt, aber die letzten Monate
hatten ihn verändert. Er fühlte sich nun stark
genug, diese Aufgabe zu übernehmen. Faramir war
ihm eine große Hilfe gewesen. Der jüngste
Sohn des Truchsesses hatte ihn in den vergangenen Tagen
unterstützt, wo er nur gekonnt hatte. Zwar war
seine Trauer noch tief - Aragorn hatte fast den Eindruck,
daß ihn der Tod seines Bruders mehr getroffen
hatte als der seines Vaters - aber ihm war auch nicht
entgangen, daß er und die Nichte von König
Theoden sich gegenseitig Trost spendeten und Aragorn
lächelte. Eowyn war eine wunderbare Frau und er
war sich sicher, daß Faramir keine geringere verdient
hätte. Seine Hand umfaßte den Griff von Anduril
und er straffte sich. In weniger als einer Stunde würde
es losgehen.
„Nervös?“ Die Stimme des Elben ließ ihn
herumfahren und Aragorn lachte. „Ein wenig, ja.“ Legolas
schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter. „Kopf
hoch, mein Freund. Du hast schon so viel durchgestanden,
da wird das hier nicht so schwer sein.“ Aragorn lächelte
unsicher. „Oh, ich weiß nicht. Es ist einfacher,
sich einen Weg durch ein Heer Orks zu bahnen, als zum
König gekrönt zu werden.“ Der Elb schüttete
sich vor Lachen aus. Aragorn setzte sich auf einen Stuhl
und seufzte. „Ich wünschte nur, meine Schwester
wäre jetzt hier. Sie würde mir sicher den
Kopf waschen, wenn ich so schrecklich aufgeregt bin.
Für sie ist immer alles ganz einfach.“ Legolas
kniete sich vor ihn hin. „Sie wird sich bestimmt alles
von Merry und Pippin erzählen lassen und die werden
ihr schamlos jeden Fehler berichten, den du gemacht
hast.“ Aragorn lächelte. Fast fürchtete er
sich ein wenig, Laietha wiederzusehen, denn dann würde
er ihr Boromirs Tod eröffnen müssen. Keine
schöne Aufgabe.
Die Fanfaren erschallten und er stand auf. Legolas
nickte ihm aufmunternd zu. „Eure Zeit ist gekommen,
mein König.“
Die Massen jubelten, als Aragorn vor sein Volk trat.
Die Hobbits strahlten vor lauter Stolz und Gimli und
Legolas klatschten begeistert in die Hände, als
das Volk seinen neuen König hochleben ließ.
Auch Eowyn strahlte glücklich, denn sie gönnte
Aragorn von Herzen, daß er nach so vielen Mühen
seinen Lohn erhalten hatte. Er würde ein weiser
und gütiger König werden.
Auch Faramir rang sich ein Lächeln ab, aber
er war noch immer voller Trauer über den Tod seiner
Familie. Nun war er ganz alleine. Zwar hatte er Eowyn,
aber sie würde den Platz seines Bruders in seinem
Herzen nie einnehmen können und er spürte,
daß die Leere, die Boromir hinterlassen hatte,
nie ausgefüllt werden konnte. Während sich
die anderen zum Fest begaben, entschuldigte er sich
und verließ den Raum. Eowyn sah ihm besorgt nach,
aber Legolas griff nach ihrer Hand und bat sie um einen
Tanz. Mit einem Blick auf Faramir, der gebeugt den Raum
verließ, nickte sie und der Elb begann mit ihr
zu tanzen.
Faramir lief ziellos durch die Straßen der
Stadt und hatte keine Augen für die prachtvollen
Girlanden aus Blumen, die man überall aufgehängt
hatte oder das schöne Wetter, die fröhlichen
Menschen. Er wollte jetzt nur alleine sein. Es zog ihn
auf den weißen Turm hinauf. Wie oft hatte er dort
mit Boromir gestanden und sein Bruder hatte ihn hochgehoben
und ihm das Land gezeigt.
Boromir - sein großer starker Bruder, sein
Vertrauter. Es war so viel geschehen, seit er die Nachricht
von seinem Tod bekommen hatte. Ein Krieg war gewonnen
worden, sie hatten einen neuen König bekommen und
für Trauer war keine Zeit geblieben. Vielleicht
war die Zeit jetzt reif dafür. Faramir atmete tief
durch. Der Wind fuhr ihm durch das Haar und kühlte
seine heiße Stirn. Der Schmerz zerrte an ihm,
als wollte er sein Herz zerreißen. Sein Blick
schweifte in die Ferne, wissend, daß sein Bruder
nie wiederkommen würde, solange er auch wartete.
Als er noch klein war, hatte er Boromir für einen
Gott gehalten - allwissend, mit übermenschlicher
Kraft, grenzenloser Güte, unsterblich. Er hatte
ihm zu jeder Waffe erklären können, wie man
sie führte, hatte die Jungs, die ihn verhauen wollten
durch seine bloße Anwesenheit in die Flucht geschlagen,
hatte jedes seiner Probleme ernst genommen und ihn vor
allem beschützt. Und er hatte nie ein Versprechen
gebrochen, bis auf eins: „Ich werde dich nie verlassen,
Faramir.“ Warum gerade dieses Versprechen, Bruder? Warum
nicht ein anderes, geringeres? Faramirs Hände gruben
sich in den Stein des Turmes, bis seine Fingerkuppen
schmerzten. Ihr Vater hatte seinen Tod nicht verkraftet
und wenn Frau Eowyn nicht gewesen wäre... Vielleicht
würde der Schmerz verblassen, aber er würde
nie verschwinden. Ihm war jetzt nicht nach feiern zu
Mute.
Oft hatte Faramir von diesem Ort Ausschau gehalten,
um der erste zu sein, der seinen siegreich heimkehrenden
Bruder begrüßen konnte. Er hatte immer Zeit
gefunden, zwischen all den Berichten, taktischen Besprechungen,
Kriegsvorbereitungen, um mit seinem Bruder hier hinauf
zu kommen und gemeinsam über das Land zu blicken.
Wie sehr hatte Faramir gehofft, daß sein Traum
ihn getäuscht hatte. Er hatte lange auf Boromir
gewartet, bis Aragorn ihm den Tod seines Bruders bestätigt
hatte.
Es war bereits Nachmittag geworden und Faramir hatte
nicht bemerkt, daß er so lange dort gestanden
hatte. Mit einem Seufzer machte er sich an den Abstieg.
Er sollte wohl besser zu den anderen zurückgehen,
bevor sich jemand um ihn Sorgen machte.
****
Boromir beobachtete sie mit einem Lächeln, als
sie durch die Straßen der Stadt ritten. Sie bekam
den Mund gar nicht mehr zu vor lauter Staunen, als sie
durch die Ringe der Stadt ritten. Die Soldaten sahen
ihn mit großen Augen an und wo sie vorbeikamen,
wurde großes Freudengeschrei laut, daß Denethors
ältester Sohn lebend zurückgekehrt war. Boromir
legte seine Hand stolz auf Laiethas, denn er wußte
sehr wohl, wem er das zu verdanken hatte.
Sie waren schon dicht am Palast, als er eine gebeugte
Gestalt durch die Straßen gehen sah. Sein Herz
machte einen Freudensprung. Er versetzte seinem Pferd
einen Stoß in die Flanken und überholte den
Mann. Schnell sprang er vom Pferd und baute sich vor
ihm auf. Langsam erhob der andere den Kopf und stieß
einen entsetzten Schrei aus.
Faramirs Hände zitterten. Was für einen
üblen Trick gaukelten ihm seine Augen vor? Er brachte
kein Wort hervor und wagte es nicht, die Augen zu schließen,
weil er fürchtete, seinen Bruder dann nie wieder
zu sehen. Boromir sah ihn ernst an. Faramir legte seine
bebende Hand an sein Gesicht und er erschauderte, als
er die warme Haut berührte. Plötzlich verschwand
alles um ihn herum. Es war ein Traum - es mußte
ein Traum sein - und er hoffte, niemals wieder zu erwachen.
„Boromir.“ Der Ältere schloß ihn fest in
den Arm und Faramir stieß den Atem ungläubig
keuchend aus. Er klammerte sich an seinen Bruder, als
würde sein Leben davon abhängen und auch Boromir
tat es ihm gleich. „Du lebst!“ brachten beide im selben
Augenblick hervor. Faramir hob den Kopf und sie starrten
sich einem Moment lang fassungslos an. Endlich fand
Faramir seine Sprache wieder. „Ich dachte, du wärst
tot! Wir fanden dein Horn, wir haben es gehört,
Aragorn sagte...“ Boromir lächelte glücklich.
„Eomer aus Rohan sagte, du wärest verletzt und
ich hatte so ein schlechtes Gefühl...“ Wieder umarmten
sie sich. Als Faramir diesmal den Blick hob, sah er
eine junge Frau und zwei Elben, die auf ihren Pferden
neben ihnen standen und sie beobachteten. Er wandte
sich wieder seinem Bruder zu, immer noch fassungslos
über sein Glück. „Aber ich hatte einen Traum!
Ich sah dich tot und...“ Ihm versagte die Stimme und
Boromir drehte sich plötzlich zu der fremden Frau
um und half ihr vom Pferd. Faramir sah ihn verwundert
an. Die junge Frau trug die Kleidung einer Kriegerin
und er hatte sie noch nie zuvor gesehen. Sie sah aus,
als wäre sie schon lange unterwegs gewesen und
erst jetzt kam Faramir der Gedanke, daß sie mit
seinem Bruder gekommen sein könnte. Dann bemerkte
er den Gesichtsausdruck seines Bruders, als er sie bei
der Hand nahm und zu ihm führte. Faramir lächelte.
Die Frau machte einen wohlerzogenen Knicks vor ihm und
Boromir lachte laut. „Das ist mein Bruder, Laietha!
Heb dir deine Manieren für den König auf!“
Sie schmunzelte und Boromir wandte sich seinem Bruder
zu. „Ich wäre gestorben, wenn sie nicht gekommen
wäre und mir geholfen hätte.“ Faramir ergriff
Laiethas Hand und verbeugte sich tief vor ihr. „Vielen
Dank, Herrin. Ich stehe tief in eurer Schuld.“ Boromir
mußte kichern, als er sah, wie Laietha rot wurde
und sich unbehaglich wand. „Gern geschehen,“ murmelte
sie verlegen.
Faramir küßte ihre Hand und Boromir zog
ihn lachend auf die Beine. „Hey, Brüderchen, das
ist meine Braut! Such dir eine eigene!“ Die beiden Männer
sahen sich noch einmal an und schlossen sich in die
Arme. „Es ist gut, daß du wieder hier bist,“ sagte
Faramir, dessen Stimme immer noch belegt war. Boromir
drückte ihn fest an sich. „Ja, ich bin zu lange
fort gewesen.“ Einer der Elben meldete sich zu Wort.
„Ich denke, die Krönungsfeier ist in vollem Gange.
Wir sollten uns auf den Weg machen. Ich will nicht noch
mehr von Elessars Fest verpassen.“ Die Frau, die mit
Faramirs Bruder gekommen war erwiderte etwas in der
Sprache der Elben, von dem Faramir nur den ungefähren
Wortlaut mitbekam und er fing an zu lachen - das erste
Mal seit Monaten. Laietha und Elrohir blickten ihn erstaunt
an und der Elb meinte trocken: „Ich glaube, du hast
dir den falschen Bruder ausgesucht, Schwesterchen.“
****
Das Fest war in vollem Gange. Die Hobbits machten
sich über die köstlichen Speisen her, Gimli
bewunderte die Arbeit an dem Gebäude und Legolas
tanzte und erfreute sich an der Musik, die gespielt
wurde. Aragorn sah sich suchend im Raum um und fand
Eowyn alleine am Tisch sitzend. Er stand auf und ging
zu ihr. „Was habt ihr, Herrin?“ Sie schreckte aus ihren
Gedanken auf. „Ich habe mich nur gefragt, wo Faramir
ist. Er ist schon seit Stunden fort und ich mache mir
große Sorgen um ihn.“ Aragorn lächelte sie
aufmunternd an. „Gebt ihm Zeit, Herrin. Er hat in kurzer
Zeit seinen Bruder und seinen Vater verloren. Macht
euch keine Sorgen, er wird bald wiederkommen.“ In diesem
Moment öffnete sich die Tür und ein Herold
meldete Besucher an. Aragorn wunderte sich. Wer könnte
jetzt eingetroffen sein? Er bat die Gäste hinein.
„So kann ich nicht gehen! Es ist eine Krönungsfeier
und ich trage Hosen und ein zerschlissenes Hemd!“ Laietha
stampfte mit dem Fuß auf und Elladan zuckte mit
den Schultern. „Wir haben uns doch auch nicht umgezogen!“
Sie schnappte nach Luft und klopfte gegen seine schimmernde
Rüstung. „Ihr seht ja auch anständig aus!“
Dann wedelte sie mit der Hand vor ihrer Kleidung herum.
„Ich könnte schon ein Bad vertragen und“ sie deutete
auf Boromir „er auch!“ Hinter ihnen räusperte sich
jemand. Der Herold sah sie erwartungsvoll an. „Der König
erwartet euch.“ Laietha lief rot an und warf Elladan
einen giftigen Blick zu. Dann straffte sie sich und
betrat zwischen ihren Brüdern laufend, den Raum.
Aragorns Augen weiteten sich, als er seine Schwester
und seine Brüder erblickte. „Aiwe!“ rief er fröhlich
aus und lief ganz und gar nicht königlich auf sie
zu, aber es war ihm in diesem Moment auch egal, ob man
ihn für den König oder einen Landstreicher
hielt. Laietha gab einen Freudenschrei von sich und
warf sich in seine Arme. Er schwenkte sie wild herum
und als er sie wieder auf den Boden ließ, trat
sie schnell einen Schritt zurück. Sie sah ihn bewundernd
an. Wie stolz er auf einmal aussah und wie weise. Dann
dachte sie wieder an ihre eigene Kleidung und strich
ihm sachte über die teuren Stoffe, die er trug.
„Ich habe dich bestimmt ganz schmutzig gemacht, Duna...Elessar.“
Er lachte laut und hob sie auf den Arm. „Und wenn du
ganz und gar voller Matsch wärst! Du ahnst gar
nicht, wie glücklich ich bin, dich zu sehen!“ Er
wollte sie gerade fragen, wo ihr Vater wäre und
blickte an ihr vorbei. Jetzt erst fiel ihm auf, daß
alle im Raum verstummt waren und auf die Tür starrten.
Aragorn blinzelte ungläubig und ließ seine
Schwester wieder runter. Dort stand Boromir mit seinem
Bruder. War es eine Täuschung? Der Krieger machte
ein ernstes Gesicht und kam langsam auf ihn zu. Aragorn
konnte sich nicht rühren, sondern starrte nur fassungslos
auf den Kameraden, den er tot geglaubt hatte. Boromir
kam vor ihm zum Stehen und fiel auf die Knie. Er beugte
seinen Kopf. „Zu euren Diensten, mein König.“
Er hob sein Haupt und lächelte Aragorn an. Der
König sank zu ihm hinunter. „Wie konntest du...“
Seine Frage blieb in der Luft hängen und dann fiel
sein Blick auf seine Schwester. Natürlich. Sie
war ihnen gefolgt. Eigentlich hätte er wütend
auf sie sein müssen, aber nun war sie hier, es
ging ihr gut und Boromir, um den sie alle lange getrauert
hatten, war am Leben.
Merry und Pippin hatten ihre Sprache wiedergefunden.
Sie rannten auf ihren Freund zu und fielen ihm um den
Hals. Was für Vorwürfe hatten sie sich gemacht,
denn sie hatten geglaubt, daß er sich für
sie geopfert hätte. Auch Boromir war überglücklich,
denn lange hatten ihn Albträume gejagt, weil er
versagt hatte, sie zu beschützen.
Es wurde ein so fröhliches Fest, wie es vielleicht
seit Bilbos einhundertundelfzigsten Geburtstag keins
mehr gegeben hatte. Bis in die frühen Morgenstunden
saßen sie bei gutem Essen, Gesang und Tanz beieinander.
Die ganzen Anstrengungen und Mühen der letzten
Monate waren vergessen. Kurz bevor die Sonne aufgehen
wollte, gingen die letzten von ihnen zu Bett und vor
dem Mittag erhoben sich nicht einmal die Hobbits am
nächsten Tag.
****
Laietha machte sich am nächsten Tag gleich nach
dem Aufstehen auf die Suche nach ihrem Bruder. Nur,
wo sollte sie anfangen? Eine Weile lang irrte sie durch
die Gänge des fremden Palastes. Einer der Bediensteten
war so freundlich, ihr zu sagen, daß er sich vielleicht
in seinen Gemächern befand. Sie bedankte sich und
der Mann lief geschäftig davon. Dann fiel Laietha
auf, daß sie nicht wußte, wo Aragorns Gemächer
waren. Sie seufzte. Plötzlich legten sich ihr zwei
Hände um die Hüften und sie wirbelte herum.
Boromir stand lachend hinter ihr. „Hast du dich verlaufen?“
Laietha nickte zögerlich. „Ich fürchte schon.
Ich bin auf der Suche nach meinem Bruder.“ Boromir nahm
sie bei der Hand. „Ich auch. Komm, wir werden ihn schon
finden. Er ist bestimmt in seinem Arbeitszimmer.“
Boromir sollte recht behalten. Vorsichtig klopfte
Laietha und streckte ihren Kopf zur Tür rein. Zu
ihrer Überraschung war Aragorn nicht alleine, sondern
in ein Gespräch mit Faramir vertieft. Laietha kam
hinein. „Störe ich, Majestät?“ fragte sie
mit einem Grinsen und die Männer schenkten ihr
ein Lächeln. Sie baten sie herein und Boromir folgte
ihr. Aragorn erhob sich aus seinem Stuhl. „Es ist gut,
daß du kommst, Boromir. Wir haben gerade über
dich gesprochen und ich wollte schon nach dir schicken
lassen.“ Der Krieger hob skeptisch eine Braue. Das Gesicht
seines Freundes sah ernst aus und Faramir machte den
Eindruck, als wäre er sehr nachdenklich. „Ist etwas
nicht in Ordnung?“ fragte Boromir irritiert. Aragorn
schüttelte den Kopf. „Oh nein. Es ist nur Folgendes
- ich wollte Faramir zum Fürsten von Ithilien ernennen,
aber heute vormittag kam er zu mir und...“ „Ich bitte
um Vergebung, mein König,“ fiel ihm der junge Mann
ins Wort und er trat zu seinem Bruder. „Ich bin der
Meinung, daß du den Posten eher verdient hättest
als ich. Schließlich bist du der Ältere von
uns beiden und hättest ein Anrecht darauf. Du wärst
der nächste Statthalter von Gondor gewesen und
da ist es ja nur recht und billig, daß dir diese
Aufgabe gebührt.“ Aragorn nickte bedächtig.
„Ja, ich möchte dich nicht übervorteilen.
Als ich die Entscheidung, Faramir zu meinem Fürsten
zu machen traf, dachten wir...viele Dinge haben sich
gestern geändert.“
Faramir beobachtete Laietha, die keine Anstalten
machte, den Raum zu verlassen. Zwar war sie zum Fenster
gelaufen und blickte über die Stadt, aber er konnte
auch sehen, daß sie sich nichts von der Unterhaltung
entgehen ließ. Er mußte schmunzeln. Sein
Bruder hatte sich eine Braut mit hellem Köpfchen
ausgesucht.
Boromir lachte erleichtert. „Wenn das alles ist,
was euch Kopfzerbrechen bereitet!“ Er ging zu Aragorn
und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Deine Wahl
war weise, als du meinen Bruder batest. Ja, ich bin
der Ältere und ich hätte unseren Vater abgelöst,
aber ich bin ein einfacher Soldat.“ Faramir wollte protestieren,
aber Boromir brachte ihn mit einer Geste zum Schweigen.
„Faramir ist sehr klug und bei weitem überlegter
als ich. Er hat es sich redlich verdient, den Titel
zu tragen.“ Dann blickte er zu Laietha hinüber
und Aragorn lächelte verstehend. „Aber was ist
mit all den Mühen, die du...“ Boromir lachte seinen
Bruder an. „Hab keine Sorge, Faramir. Ich bin reichlich
entlohnt worden.“
****
Faramir und Laietha verstanden sich prächtig
miteinander und Boromir sah es gerne, daß sein
jüngerer Bruder ihr die Stadt zeigte. Er selbst
hatte sich ein wenig zurückgezogen, um seine Rückkehr
zu begreifen. Die Stadt sah furchtbar aus - obwohl man
ihm versicherte, daß alles noch schlimmer ausgesehen
hatte. Es war ihm kein rechter Trost. Wer hätte
gedacht, daß die festen Mauern der Stadt jemals
fallen würden? Nie wäre es ihm in den Sinn
gekommen. Und sein Vater war tot - dem Wahnsinn verfallen
hatte er versucht, seinen Bruder mit ins Grab zu reißen
und die Zitadelle der Sterne war seiner Brandstifterei
zum Opfer gefallen. Nichts war wie früher in seiner
geliebten Stadt. Vielleicht bin ich diesmal zu lange
fort gewesen. Vielleicht gehöre ich nicht mehr
hier her, dachte er sich.
Boromir schlenderte in den Palastgarten. Hier sah
alles wie früher aus. Die Blumen blühten und
ein kleiner Springbrunnen plätscherte vor sich
hin. Boromir atmete tief durch. Es tat gut, etwas Vertrautes
zu finden. Auf einer Bank sah er eine kleine Gestalt
sitzen und nach einigen Augenblicken erkannte er Frodo.
Sein Herz blieb für einen Moment stehen. Bis jetzt
hatte er sich mit dem Hobbit noch nicht auseinandersetzen
müssen, aber die Schuldgefühle begannen sich
zu regen und Boromir hatte das Bedürfnis, davonzulaufen.
Er machte auf dem Absatz kehrt und wollte sich fortschleichen.
„Boromir!“ Er hielt inne und drehte sich langsam
um. Frodos Gesicht zeigte noch immer die Spuren, die
seine Reise an ihm hinterlassen hatten. Seine Schuldgefühle
verdoppelten sich. Der Arme - er hatte ein schweres
Los zu tragen gehabt und Boromir, der sein Freund hätte
sein und ihm die Last erleichtern hätte sollen,
hatte es ihm noch schwerer gemacht. „Komm zu mir, mein
Freund.“
Boromir tat, wie man ihm geheißen hatte, auch
wenn seine Beine bleischwer schienen. Auf Frodos Gesicht
war keine Spur von Groll. „Setz dich, mein Freund.“
Daß er ihn seinen Freund nannte... Boromir senkte
schuldbewußt den Kopf. „Hör zu, Frodo, es...was
geschehen ist...es tut mir leid. Wenn es etwas gibt,
wie ich es wieder gutmachen kann...“ Er kam sich so
dumm vor - selbst seine Entschuldigung klang in seinen
Ohren nach Lüge und Verrat, aber der Hobbit lächelte
milde. „Wir haben beide für unsere Fehler bezahlt,
Boromir,“ sagte er und bevor der Krieger etwas erwidern
konnte, streckte Frodo ihm seine Hand entgegen. Es fehlte
der Ringfinger. Boromir sog scharf den Atem ein und
langsam begann er zu verstehen. „Ich weiß besser
als jeder andere, welch schreckliche Macht der Ring
hat. Nun, da ich deine Stadt gesehen habe, kann ich
dein Verlangen, das alles zu schützen verstehen.“
Boromir wagte noch immer nicht, ihm in die Augen
zu sehen. „Fast hätte ich durch meine Dummheit
das alles zerstört, Frodo. Schlimmer noch - ich
habe dich verraten, wollte dich töten. Nichts kann
das entschulden!“ Frodo nickte langsam. „Es ist schwer,
sich selbst zu vergeben. Auch ich habe Fehler gemacht.
Fast hätte ich meinen besten Freund nicht mehr
erkannt, aber er hat nie Groll gegen mich gehegt. Versuch
dir zu verzeihen, Boromir. Meine Vergebung hast du.“
Damit stand er auf und ging gebeugt zurück zum
Palast. Boromir saß noch lange stumm im Garten.
Lachen wurde hinter ihm laut - er kannte es genau,
denn es waren Faramir und Laietha, die da scherzend
in den Garten kamen. Die junge Frau küßte
ihn auf die Wange und als er ihre leuchtenden Augen
sah, war auch sein Herz um einiges leichter. „Faramir
sagte, heute sei Markttag! Willst du uns nicht begleiten?“
****
Einige Wochen waren seit Aragorns Krönung vergangen
und schließlich traf auch Herr Elrond in Gondor
ein. Boromir hielt um Laiethas Hand an. Zwar war der
Elbenherr zunächst nicht angetan von dieser Bitte,
aber das Zureden von Elladan und Aragorn erweichte schließlich
sein Gemüt und er stimmte zu.
Als der Tag der Hochzeit vor der Tür stand,
war Boromir aufgeregter als vor seinem ersten Kampf.
Faramir lachte, denn noch nie hatte er seinen Bruder
so erpicht darauf gesehen, daß seine Kleidung
ordentlich war. „Was meinst du, Faramir?“ fragte Boromir
mit einem hilfesuchendem Blick. Denethors jüngerer
Sohn grinste. „Bruder, nach allem was du mir erzählt
hast, hat sie dich schon von Kopf bis Fuß verdreckt,
zerlumpt, verschwitzt und halbtot gesehen! Du wirst
ihr gefallen!“ Boromir lief zum vierten Mal innerhalb
weniger Minuten zum Spiegel, als sich die Tür öffnete
und einer der Bediensteten hineintrat. „Mein Herr, man
erwartet euch.“ Boromir atmete tief durch und Faramir
schlug ihm aufmunternd auf die Schulter. Dann trat er
hinaus in den warmen Sommernachmittag.
Aragorn bedachte seine Schwester mit einem bewundernden
Blick. Nervös zupfte sie an ihrem Kleid herum.
„Es ist zu eng, Dunai. Es wird bestimmt mittendrin reißen!“
Am liebsten wollte sie sich in ihre Hosen und ihr Hemd
werfen und davonlaufen. Aragorn legte ihr die Hände
auf die Schultern. „Du siehst bezaubernd aus, Laietha.“
Lächelnd strich er ihr eine der wilden Locken aus
dem Gesicht. Sie lief aufgeregt zum Fenster und spähte
hinaus. All die Menschen, die sich vor dem Palast versammelt
hatten...ihr wurde ganz schwindelig. Schnell lief sie
zurück ins Zimmer und strich über ihr Kleid.
Es war zu eng! Aragorn zwang sie, sich auf einen Stuhl
zu setzen. Er sah ihr tief in die Augen. „Bist du dir
sicher, daß du das tun willst, Aiwe? Ich meine,
das ist ein großer Schritt...“ Sie errötete
und legte ihm die Hand auf die Lippen. „Wenn es heute
eins gibt über das ich mir im Klaren bin, dann
ist es, daß ich ihn heiraten will. Ich liebe ihn
von ganzem Herzen.“ Aragorn küßte sie auf
die Stirn. „Dann hab keine Angst. Ich werde die ganze
Zeit bei dir sein. Du wirst wunderbar sein, Laietha.“
Sie fiel ihm in den Arm und er drückte sie fest
an sich.
Es klopfte an der Tür und Elrond trat ein. Mit
einem Lächeln streckte er seiner Tochter die Hand
entgegen. „Es wird wohl Zeit, daß ich dich in
seine Obhut übergebe, nicht wahr?“ Laietha lachte
und nahm seine Hand. Dann verließen sie den Raum,
gefolgt von einem mehr als stolzem König.
****
Boromir drehte sich um, als er ihre Schritte in der
großen Zitadelle hörte und hielt den Atem
an. Da kam sie - in einem Kleid aus weißer Seide,
die roten Haare hochgesteckt, mit einem Kranz aus weißen
Blumen im Haar und so schön, wie er sie noch nie
zuvor gesehen hatte. In diesem Augenblick konnte er
sein Glück kaum fassen. An ihrer Seite liefen Herr
Elrond und Aragorn, beide stolz, mit ernsten Gesichtern.
Es war ihm, als träumte er das alles nur und er
fürchtete, jede Sekunde aufwachen zu müssen,
aber als seine Augen vor Anstrengung zu tränen
begannen, wußte er, daß dies die Wirklichkeit
war.
Laiethas Herz schlug ihr fast bis zum Hals. Dort
vorne am Altar stand Boromir - aufrecht und stolz in
seiner Paradeuniform. An seiner Seite hing sein Lieblingsschwert
und seine Stiefel waren so poliert, daß sich die
Sonne in ihnen spiegelte. Sie fürchtete zu stolpern
und der Länge nach hinzufallen, weil ihre Knie
sich plötzlich in warme Butter verwandelt zu haben
schienen. Dann spürte sie den festen Griff ihres
Vaters an ihrem Arm und wußte, daß sie nie
fallen würde, solange er an ihrer Seite war. Endlich
kamen sie an Boromirs Seite an und die Zeremonie begann.
Faramir lächelte glücklich, als er seinen
großen Bruder beobachtete, wie er seinen Treueschwur
ablegte. Er sprach mit feierlicher Stimme und wandte
seine Augen keinen Augenblick von seiner Braut. Die
Hobbits rutschen aufgeregt auf ihren Plätzen hin
und her, denn das war nun das zweite große Ereignis
in Folge, dem sie beiwohnen durften. Davon würden
sie noch ihren Kindern und Enkeln erzählen.
Selbst Elrohir konnte sich ein Lächeln nicht
verkneifen, als seine sonst so kecke Schwester mit fast
brüchiger Stimme ihrem zukünftigen Mann die
Treue schwor.
Laietha verstummte und der Priester weihte sie einander.
Boromir ergriff ihre Hand und strich ihr beruhigend
mit dem Daumen über den Handrücken. Sie sahen
sich tief in die Augen und er zog sie zärtlich
an sie heran. Nun waren sie Mann und Frau. Laietha begann
zu strahlen und er legte seine Hand an ihren Hinterkopf.
Ihre Herzen schlugen im Gleichklang und indem sich ihre
Lippen trafen, brach in der Zitadelle ein lauter Jubel
los. Als sie sich voneinander lösten, fielen ihre
Blicke auf die Gratulanten, die sich an ihrer Seite
eingefunden hatten.
„Ich wußte gar nicht, daß er so lachen
kann,“ sagte Pippin mit einem Blick auf Boromir und
in der Tat befürchteten die Hobbits, daß
das Gesicht ihres Freundes zerbersten müßte
vor lauter Strahlen. Er sah gar nicht mehr wie der besorgte
ernste Mann aus, den sie auf ihrer Reise so oft gesehen
hatten, sondern rundum glücklich.
Das Volk Gondors jubelte ihnen zu, als sie vor die
Zitadelle traten. Laietha drückte seine Hand fest,
aber inzwischen war nichts mehr von Furcht oder Aufregung
in ihrer Miene. Sie sahen sich freudestrahlend an. Mit
lauten Stimmen forderten die Menschen einen Kuß.
Boromir drehte sich zu ihr und legte ihr den Arm um
die Hüfte, sie dicht an sich heranziehend. Er glaubte,
in ihren Augen versinken zu müssen. Laietha legte
ihm die Hand auf die Wange. „Warum zögerst du noch?
Wir sind verheiratet - du mußt dich nicht mehr
vor meinen Brüdern fürchten.“
„Ein Kuß! Ein Kuß!“ johlte die Menge
wie aus einer Stimme. Boromir schüttelte den Kopf
und lachte. Dann fanden sich ihre Lippen und die Menschenmassen
applaudierten und riefen ihnen Glückwünsche
zu. Aragorn sah mit einem breiten Lächeln zu. Er
glaubte schon, daß sich die zwei nie mehr voneinander
lösen würden, aber schließlich wandten
sie sich doch wieder dem Volk zu und machten sich auf
den Weg zum Palast.
Es hatte Stunden gedauert, bis sie den Festsaal erreicht
hatten und das Brautpaar sah erschöpft aber glücklich
aus. Die Hochzeitsgesellschaft geleitete sie an ihren
Platz an der Tafel, neben dem König.
Das Essen wurde aufgetragen und die Feierlichkeiten
begannen. Faramir und Eowyn saßen nebeneinander
und sahen zu den Brautleuten hinüber, die den Tanz
eröffneten. Faramir griff nach ihrer Hand und sie
sahen sich lange an. Er lächelte. Vielleicht würde
er auch einmal so glücklich sein, wie sein Bruder
heute. Eowyn erwiderte seinen Blick und er drückte
ihre Hand.
****
Die Feier war weit vorangeschritten und heimlich
hatte es das Brautpaar geschafft, sich aus dem großen
Saal zu stehlen. Boromir nahm sie bei der Hand und führte
sie durch die langen Gänge. Neugierig sah sie ihn
an. „Wo willst du mit mir hin?“ Er schenkte ihr ein
Lächeln. „Dir etwas zeigen. Komm.“ Sie kicherte,
ein wenig beschwipst vom Wein, und ließ sich weiterführen.
Er hatte ihr in den vergangenen Wochen viel gezeigt
und dennoch fühlte sie sich noch ein wenig fremd
in diesem großen Gebäude. Leise öffnete
Boromir eine Tür und zog sie mit sich hinein. Es
war ein dunkler Raum mit einer schmalen Wendeltreppe
dahinter. Ihre Augen brauchten einen Moment, um sich
an das Licht zu gewöhnen. „Willst du mir endlich
sagen, wo du mit mir hin willst?“ grinste sie. Er drückte
sie sanft gegen die Wand und verschloß ihre Lippen
mit einem zärtlichen Kuß. „Nicht so ungeduldig,
meine liebste Frau.“ Sie lachten beide über den
ungewohnten Gedanken, daß sie nun verheiratet
waren. Liebevoll nahm er sie an die Hand und zog sie
die Treppen hoch.
Nach einigen Minuten waren sie endlich an einer verschlossenen
Tür angekommen und Laietha rang nach Atem. „Ich
hoffe, es war die Mühe wert,“ keuchte sie und Boromir
lächelte als er die Tür öffnete. Wind
blies ihnen entgegen und er führte sie hinaus ins
Abendrot. Laietha hielt den Atem an. Der Ausblick war
unglaublich. Sie konnte über das ganze Land sehen
und am Horizont versank die Sonne. Sie standen auf dem
höchsten Turm der Stadt, die von den letzten Strahlen
der Sonne in glühendem Licht erstrahlte. Boromir
legte den Arm um sie und zeigte auf einen Punkt in weiter
Ferne. „Siehst du das Meer, Laietha?“ Sie strengte ihre
Augen an und konnte unendlich weit entfernt einen dunklen
Streifen am Horizont ausmachen. Sie nickte langsam und
ließ sich in seine Umarmung sinken. Sie sahen
so lange in diese Richtung, bis die Sonne untergegangen
war, froh, ihr Glück in diesem Moment mit niemandem
teilen zu müssen.
Ein Windstoß fegte ihr den Brautkranz aus dem
Haar. Er segelte über die Stadt und Laietha wünschte
sich im Stillen, daß er demjenigen, der ihn fand,
genausoviel Glück bringen mochte, wie sie in diesem
Augenblick empfand.
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Ende
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