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Titel: Süßer
als Wein Autor: Naurdolien
Süß. Süß wie Wein, wie die Lippen eines schönen
Weibes, so süß schmeckte der Sieg an diesem Tag! Der erste Sieg als Heerführer
Gondors, der erste Sieg, bei dem er den Titel „Schwertarm des Weißen Turmes“
trug. Oh, wie hatte er diesen Sieg genossen, wie ihn gefeiert!
Trunken von Wein taumelte er durch die Gänge des
Palastes, noch immer das Kriegslied brummend, das sie bei ihrem finalen Schlag
gegen die Orks begleitet hatte.
Mit welchem Jubel man sie in der Stadt empfangen
hatte, war nicht in Büchern zu beschreiben. Die ganze Stadt hatte seinen Namen
geschrien. Boromir! Boromir!, hatte es aus allen Ecken geschallt. Er war
der jüngste Heerführer des Landes, dem jemals ein solcher Sieg gelungen war.
500 Orks waren der Stadt entgegen gezogen, aber
sein Vater hatte es geahnt, so wie er oft die Gedanken des Feindes zu lesen
schien. Und Denethor hatte seinen Sohn mit einer kleinen Streitmacht entsandt.
200 Reiter waren sie gewesen und dennoch war kein einziger Feind entkommen.
Er war nun der gefragteste Mann der Stadt. Boromir
hatte noch nicht einmal seine Rüstung abgelegt, als die ersten Grüße,
Glückwünsche und Einladungen einflussreicher Familien bei ihm eingingen.
Boromir hatte gelacht und sie alle ignoriert. Er
hatte sich lieber der Siegesfeier mit seinen Männern hingegeben – und mehr als
nur Wein in rauen Mengen genossen...
„Isabella aus Ithilien hat zwei Schenkel, weiß
wie Lilien....“
Boromir wankte durch die Tür seines
Schlafgemaches, strauchelte fast, als er seine Stiefel abstreifte und achtlos
zur Seite warf. Halbherzig unternahm er einen Versuch, sein Hemd auszuziehen und
schleuderte es in Richtung seines Schreibtisches, auf dem sich mehr Waffen als
Schriftstücke stapelten.
Boromir liebte nicht viele Lieder und Geschichten.
Nur die der tapfersten Krieger Gondors und die wenigen, die er liebte, hatte er
fest in seinem Herzen und musste sie nicht auf Papier geschrieben
aufbewahren.
Mit einem Grunzen ließ er sich in das blütenweiß
bezogene Bett fallen
„Und dazwischen, dem zum Trotze, eine
rabenschwarze....“
Der Schlaf überwältigte ihn, noch bevor er eine
Decke über sich breiten konnte.
Lange konnte er nicht geschlafen haben – zumindest
fühlte er sich wie erschlagen und in seinem Kopf tanzte eine Herde Olifanten –
als er von etwas Kaltem und Nassen aus dem Schlaf gerissen wurde.
Mit einem unanständigen Fluch warf er den Lappen
in die Richtung, aus der er gekommen zu sein schien, mit dem Erfolg, dass ein
kräftiger Schlag auf seiner entblößten Hinterbacke landete. Wütend riss er die
Augen auf und funkelte sein Gegenüber, das ihn mit verschränkten Armen tadelnd
musterte, böse an.
„Gönnt man einem siegreichen Krieger in dieser
Stadt keine Ruhe?“
Die dralle, ältliche Dame lachte laut. „Einem
Krieger bestimmt, Herr Boromir, aber ein Trunkenbold wie ihr es seid, darf mit
keiner Gnade rechnen. Himmel, der ganze Palast muss gestern Nacht von euren
lästerlichen Liedern aus dem Schlaf gerissen worden sein! Euer Vater ist
jedenfalls alles andere als erfreut und schickt mich, euch zu wecken, bevor er
sich selber auf den Weg macht!“ Mit diesen Worten riss die Frau ihm die
Bettdecke wieder fort und schwenkte drohend den nassen Lappen.
„Verflucht sollst du sein, Nana“, knurrte Boromir
verärgert und wurde sich seiner bis zu den Knien heruntergerutschten Beinlinge
bewusst. „Hast du keinen Anstand?“, fragte er sein früheres Kindermädchen, das
nicht die geringsten Bemühungen machte, beschämt den Blick abzuwenden. Die Frau
schnaufte verächtlich.
„Ich kenne euren nackten Hintern seit dem Tag
eurer Geburt, Herr Boromir. Ich habe ihn öfter angefasst, als sämtliche Huren
dieser Stadt und das will bei euch ja leider etwas heißen...“ Bei den letzten
Worten hatte sie tadelnd den Kopf geschüttelt und trotz seines Brummschädels
musste Boromir lachen.
Er schwang seine langen Beine aus dem Bett, zog
die Beinlinge hoch und drückte seiner ehemaligen Kinderfrau einen dicken Kuss
auf den Mund. „Ich weiß ja, dass du es nicht gerne siehst, Nana, aber was soll
ich tun? Mir eine Frau suchen? Sesshaft werden? In Zeiten wie diesen?“
Nana schob ihn verärgert von sich und drückte ihm
den Waschlappen in die Hand. „Wascht euch erst mal den Bier- und Duftölgestank
ab, bevor ihr mir zu nahe kommt! Ihr wollt doch nicht wie ein Straßenräuber vor
die feinen Damen treten? Soviel Anstand habe ich euch doch wohl beigebracht,
oder?“
Auf einen Schlag war das Lächeln von Boromirs
Gesicht verschwunden. Ärgerlich warf er den Waschlappen in Richtung seines
Schreibtisches, wo er klatschend gegen ein Schwert prallte. „Vater hat also
meinen Sieg gleich dazu genutzt, ein paar Interessentinnen einzuladen, ist es
nicht so?“ Nana zuckte mit den Schultern.
„Ein Frauenzimmer würde euch vielleicht dazu
bringen, weniger Zeit in Schänken und bei Dirnen zu verbringen.“ Sie deutete auf
die gespannten Muskeln an seinen Oberarmen, die von den langen und harten
Übungen an der Waffe zeugten. „Und etwas weniger Zeit auf dem Übungsplatz wäre
vielleicht auch nicht verkehrt. Vielleicht könnte euer Bruder euch ein wenig
Kultur näher bringen. Ihr wollt doch nicht als ungebildeter Klotz gelten,
oder?“
„Genug“, donnerte Boromir und schritt mit
missmutiger Miene zum Fenster. Sein Blick blieb am Orodruin hängen, über dessen
Gipfel unheilschwangere Wolken schwebten, wie fast jeden Tag, seitdem er denken
konnte.
„Bei Eru, Nana, ich habe keine Zeit, mich um die
Weiberröcke zu kümmern, die Vater mir ständig vorstellt. Ich habe ein Land zu
verteidigen, da kann ich mich nicht darum kümmern, ob die neuste Mode bei
Handschuhen Leinen oder Seide ist.“ Als er sich zu ihr umdrehte, trug sein
Gesicht den Ausdruck eines bockigen Jungen.
„Außerdem habe ich das Gefühl, sie können so wenig
mit mir anfangen, wie ich mit ihnen. Wenn sie schöne Worte wollen, sollen sie zu
Faramir gehen. Soll Vater ihm eine Braut verschaffen, wenn er um unsere Linie
fürchtet. Mir schmeckt kein Weib so köstlich wie der Sieg nach einer harten
Schlacht!“
Seine Amme schüttelte den Kopf. „Es ist nicht
richtig, dass ihr so sprecht, Herr Boromir. Ihr seid kein Knabe mehr, der tun
und lassen kann, was er will und nur tut, was ihm gefällt. Ihr seid ein Mann,
ihr habt Pflichten, ihr solltet daran denken, eine Frau zu nehmen. Wisst ihr,
was das Volk dazu denkt?“
Boromir schüttelte den Kopf und trat dicht an Nana
heran. Er beugte sich zu ihr herunter und sah ihr tief in die grauen Augen.
Diesmal lag kein Schalk in seinen Augen. „Ich möchte wissen, was du denkst,
Nana. Vater ist sehr klug, er weiß, dass ich eher auf dich als auf ihn hören
werde, also sprich, was meinst du?“
Die Kinderfrau schürzte ihre Lippen und
verschränkte die Arme vor ihrer Brust. Sie trat einen Schritt zurück, musterte
Boromir lange und sah ihm dann fest in die Augen. „Ich denke, es ist ein Jammer,
wenn ein Mann wie ihr einen solchen Körper an die Huren verschwendet. Aber wir
sind im Krieg und Gondor hat einen Sieg gegen den Feind nötiger als eine
Hochzeit.“
Boromir küsste ihre Wange. „Danke, Nana“, hauchte
er und schenkte ihr ein ehrliches Lächeln. „Ich verspreche dir, wenn Gondor in
Sicherheit ist, werde ich heiraten, eine wunderschöne Frau, für die ich dann all
die langweiligen Lieder von Faramir lernen werde. Wir werden sechs bis acht
Kinderchen haben, um die du dich dann kümmern wirst – und wage es dann ja nicht,
dich darüber zu beschweren. Ich werde dich an deine eigenen Worte erinnern.“
Er trat an sein Bett und machte sich auf die Suche
nach einem sauberen Hemd. Boromir stieß einen halb gegessenen Apfel von dem
Buch, das Faramir ihm dringend empfohlen hatte – vor etlichen Monaten – und
schließlich wollte er gerade wütend fluchen, als Nana ihm ein sauberes Hemd vor
die Nase hielt. „Jetzt geht schon zu eurem Vater, ihr wollt die Damen doch nicht
warten lassen! Himmel, und ich werde hier etwas Ordnung schaffen, es sieht ja so
aus, als hättet ihr die 500 Orks in euren Zimmern besiegt!“
Boromir streifte das Hemd grinsend über seinen
Kopf und griff nach seinem Bogen und den Pfeilen. Als er auch noch einen Speer
aus einer Ecke ergriff, straffte sich seine Amme. „Oh nein“, plusterte sie sich
auf. „Untersteht euch! Ihr werdet zu eurem Vater gehen und euch die Frauen
wenigstens ansehen! Was soll ich Herrn Denethor sonst sagen?“
Boromir drückte die Frau fest an sich und gab ihr
einen kräftigen Klapps auf den Hintern. „Sag ihm, ich war schon fort, als du hier
angekommen bist. Ich gehe jetzt mit Faramir auf die Jagd. Vielleicht bringe ich
dir ein Kaninchen mit!“ Damit war er auch schon aus der Tür. Nana schnaufte
verächtlich.
„Das hätte ich mir doch denken sollen.
Wahrscheinlich wäre es das Beste gewesen, wenn ich ihm gesagt hätte, Herr
Denethor will ihm einen Orden verleihen...“ Wütend stapfte sie aus dem Zimmer
und machte sich innerlich schon auf den Unmut ihres Herrn gefasst, der
sicherlich nicht erfreut sein würde, dass sein Erstgeborener ihn vor den
geladenen Damen so in Verlegenheit brachte...
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