Titel: Herbstwind
Autor: Shiva


Leise wehte der kalte Wind die Blätter von den Bäumen, schenkte einer das letzte Bett. Schon lange war sie gegangen, hatte das Leid nicht mehr ertragen können, die Trostlosigkeit nicht mehr sehen wollen, die sich über die Welt gelegt hatte.
Das letzte Schiff war schon lange gefahren, und mit ihm all jene, die ihr nahe standen, ihre Freunde, und ihre Familie. Doch sie blieb, als letzte ihres Volkes. Sie blieb, weil sie ihn liebte. Ihn, den strahlenden König seines Volkes, den Held des Vergangenen Zeitalters. Nichts schien den schönen Traum ihres Zusammenlebens trüben zu können. Das Volk jubelte ihnen zu, wo immer sie sich auch zeigten, strahlten sie doch eine Schönheit in ihrer unendlichen Liebe aus. Viele Jahre zogen vorbei, Jahre voller Glück und Heiterkeit und Kinderlachen erfüllte bald die Räume, doch all das verblasste mit der Zeit.
Schon schnell war ihr Anblick für die Menschen zur Gewohnheit geworden, es kam kaum noch jemanden, der begeistert in Jubelrufe verfiel. Bei manchen kamen auch Neid und Hass auf, denn sie bleib so wie sie war, eine wunderschöne Frau, ohne ein Zeichen des Alterns, nicht eine einzige Falte zierte ihre seidene Haut.
Fast schmerzhaft wurde es ihr nach Jahrzehnten bewusst, was sie nie wahrhaben wollte: der Unterschied zwischen ihren Völkern. Sie erlebte es bald, Tag für Tag, wie sich ein Schatten auf das Glück hinabsenkte. Fast hatte sie es vergessen, wie zerbrechlich die Zweitgeborenen wurden, wenn sich ihre Lebensspanne dem Ende neigte.
Alleine stand sie nun vor dem alten Mann. Nichts mehr deutete auf seinen übersprühenden Lebensmut hin, nichts erinnerte mehr an seine einstige Stärke und aus den müden Augen blitze ihr keine Fröhlichkeit mehr entgegen. Nicht mehr als eine sterbliche Hülle blieb von ihm, das einst dunkle Haar war dünn und weiß geworden, die Haut eingefallen von Falten. Er war gegangen, und ließ sie zurück in ihrer stillen Trauer.
Nichts vermochte ihren Schmerz über sein Hinscheiden zu lindern. Es gab keinen, bei dem sie Trost hätte finden können, denn all jene, die dies auch nur ansatzweise vermocht hätten, waren schon lange fortgesegelt.
Ihr blieb nichts mehr, was sie noch hätte halten können, nun wo ihr Liebster vergangen war, so dass ihr die Entscheidung leicht fiel, und sie der weißen Stadt den Rücken zukehrte.
Als sie auf den großen kahlen Feldern vor der Stadt ankam, hielt sie inne und blickte sich ein letztes Mal um. Sie erblickte die wehenden Banner der Stadt. Einst leuchteten sie in einem strahlenden Weiß, nun jedoch waren sie verblichen und durch zahlreiche Risse im Laufe der Zeit gekennzeichnet.
Kurz flackerte ihre Erinnerung wieder auf, sie sah deutlich den Tag wieder vor sich, als sie mit ihrem Volk ankam, zu ihrer Hochzeit, am Tag des Sieges der freien Völker.
Den Kopf schüttelnd wandte sie sich ab. Es waren nur Erinnerungen, und nichts würde ihr je die freudigen Momente wieder bringen können, die sie in der Stadt zurückließ, die sie mit ihrem Liebsten zurückließ.
Ihr Weg führte sie weit weg, hin zu einem Vergangenen Reich. Langsam schritt sie unter den großen Bäumen hindurch, jene die einst die mächtigsten ihrer Art waren. Nun verloren auch sie ihren Glanz, starben langsam, nachdem auch die letzten Eldar das Reich verlassen hatten.
Im Herz des Waldes waren die Behausungen verlassen, und im Laufe der Zeit von den Pflanzen überwuchert. Auf einem mit Moos bewachsenem Stein ließ sie sich niedersinken.
Wie aus weiter Ferne hörte sie noch die Worte ihres Vaters, eine ferne Erinnerung aus alter Zeit.
„Hier wirst du dein Dasein fristen, unter den schwindenden Bäumen bis die Welt sich gewandelt und all deine Lebensgeister aufgebraucht …“
Eine Träne fand ihren Weg übers Gesicht hinab. Jetzt, nach all den Jahren verstand sie die Bedeutung dieser Worte. Doch es war zu spät für sie, um umzukehren. Zu spät, um sich ihrer Sippe anzuschließen, denn das letzte Schiff hatte schon vor Jahren an den westlichen Ufern abgelegt.
Nun war auch der Hafen verlassen, und niemals wieder würde ein Schiff von dort aus jemanden in die unsterblichen Lande bringen.
Nochmals stand sie auf und legte sich im Herzen des goldenen Waldes nieder, um ihr Schicksal zu erwarten, doch wusste sie, dass es längst nicht vorbei sein würde.
Und der kalte Herbstwind umwehte ihren Körper und bettete sie in goldene Blätter.

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