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Titel:
Wege Autor: Ilkiran
Regierungsitzung
Zur selben Zeit, in der Regierungsresidenz.
Aragorn stürmt aufgeregt durch den Flur. Gefolgt von zwei Ratsmännern,
die schwere Bündel von Aufzeichnungen unter dem Arm tragen. Eine Besprechung
soll stattfinden.
Das Reich ist immer noch zerrissen. Zu stark war die
Bedrohung durch die böse Macht Saurons gewesen, zu hoch die Verluste. In den
Dörfern leben kaum noch arbeitsfähige Männer. Nur noch Frauen mit zu vielen
Kindern, die halbverhungert vor sich hinvegetieren. Krankheiten breiten sich
unter den geschwächten Bauern aus. Und durch die Schlachten verkrüppelte, um
ihre Hoffnungen betrogene Krieger erliegen ihren trügerischen Träumen. Kaum noch
Vieh, das Saatgut längst aufgegessen. Wer noch kann, versucht die wenigen
Städte zu erreichen, hofft auf etwas weniger Hunger. Und ein leichteres Leben.
Es stimmt, einigen Bewohnern dort geht es nicht schlecht, neuer Reichtum
entsteht. Profiteure des Krieges und der Plünderungen. Gesetzesbrecher haben
sich zu Gruppen zusammengeschlossen, beherrschen die Straßen, ganze Viertel. Gut
bewaffnete Söldner beuten skrupellos die Bewohner aus. Im Auftrag ihrer Herren,
die immer mehr Besitz und Macht anhäufen. Im Verborgenen natürlich.
In den Regierungssitzungen treten sie Aragorn gegenüber als Wohltäter
der Bürger auf. Sprechen von Aufbau, Förderung des Handels, und wie nötig die
Ruhe und der Frieden nun für das gesamte Land sei. Mit einem selbstgefälligen
Grinsen im Gesicht. Besteht Aragorn auf korrekten Abrechnungen, oder will
die Ausgaben genauer nachkontrollieren, zeigt er Entschlossenheit und sein altes
Durchsetzungsvermögen, bekommt er ihre verdeckten Drohungen zu spüren. Ob er
nicht merken würde, dass er im Rat alleine dasitzt? Daß der Befehlshaber
über das Heer nur seinem Clan gegenüber loyal sei? Ob er noch länger Wert
auf die Unversehrtheit seiner beiden Getreuen legen würde? Wie es seiner
Frau denn überhaupt gehe? Bruchtal ist weit und die Wege sind immer noch,
oder vielmehr schon wieder, unsicher.
Aragorn fühlt sich müde,
ausgelaugt. Nach diesen wenigen Jahren schon. Es will ihm einfach nicht
gelingen, in seinem Reich für bessere Lebensbedingungen zu sorgen. Er ist
noch nicht einmal Herr im eigenen Palast, kann seinen nächsten Bediensteten
vertrauen. Anschläge gab es genug. Und grinsende Ratsherren auch. Die sich
hämisch nach seinem Befinden erkundigen. Nach seiner Gesundheit. Während
Arwen sich zurückgezogen hat und ihre Mithilfe verweigert. Nun, sie ist von
ihm enttäuscht worden, er kann es ihr nicht verdenken. Aragorn läßt wieder
einmal seinen Gedanken freien Lauf, während er den verlogenen Ausführungen eines
Kämmerers folgt, der eine dreist gefälschte Steuerrechnung präsentiert.
Wie konnte es nur so weit kommen? Aber die Anführer der Verbündeten
hatten alle genug im eigenen Land zu tun. Die Rohirimm kümmerten sich um
ihre Pferdezucht, bewachen immer noch die Grenzen und führen Grenzkriege mit
versprengten Orkscharen. Die Zwerge zogen sich in ihre Bergwerke zurück. Der
Einsame Berg wurde gänzlich zur Festung ausgebaut, immer seltener wurde ein
Zwerg außerhalb seines Reiches gesehen. Und es gibt Gerüchte. Dass eine Gruppe
nach Moira ging. Wieder einmal. Magisch angelockt durch alte Schätze und den
Zaubern dieses Bergwerkes. Zwergenbegierde. Selbst Gimli folgte ihnen
nach und ließ Aragorn mit seinem halbaufgebauten Staatswesen im Stich. So nahm
Korruption und Verbrechen wieder überhand. Nicht einmal den offenen
Sklavenhandel konnte Aragorn unterbinden. Und die Elben? Zurückgezogen haben
sich auch sie. Einzig Elrond bietet noch seine Hilfe an. Arwen und Aragorn seien
jederzeit eingeladen. Eine letzte Zuflucht in Bruchtal. Aber das würde zu
sehr nach Kapitulation aussehen.
Aragorn versucht, sich Legolas vorzustellen. Den Abschied. Ein aufgebrachter
Elb stürzt zu seinem Pferd und stürmt aus der Stadt. Als wenn Aragorn etwas an
seiner Berufung hätte ändern können. Wer sollte das Reich denn sonst aufbauen,
wenn nicht er? Diese Gesetzlosigkeit eindämmen. Es zumindest versuchen. Er war
doch Isildurs Erbe.
Ein Fluch
Wie hatte Legolas nur denken können, Aragorn könne nach dem
Krieg ganz zu ihm gehören. Ganz zu schweigen von Arwen, die ja auch Ansprüche
auf ihn hatte. Die er allerdings nie vollständig erfüllen konnte. Die
Nachrichten aus Düsterwald nach Legolas’ Fortgang wurden schnell spärlicher,
brachen dann ganz ab. Bis auf ein unglaubliches Gerücht, Thranduil hätte seinen
Sohn aus den Grenzen seines Reiches gejagt. Aber Legolas hatte ihn wohl
völlig zurückweisen wollen. Und einen anderen Gespielen gefunden, der sich
seinen Leidenschaften unterwarf. Aragorn als Mensch war von Anfang an wohl nur
eine Episode gewesen. Dieser Gedanke tat weh. Enttäuschende Zuneigung von
einem Elben, von der er geglaubt hätte, sie sei Liebe und sie würde ihn ein
ganzes Leben begleiten.
Einzig die Hobbits schienen in ein normales
Leben zurückgefunden zu haben, in ihrem kleinen, überschaubaren Auenland. Ein
Schmunzeln zog sich über Aragorns Lippen als er an Sam und seine Rosie dachte.
Wenigstens ihnen ging es gut.
Aber die Gemeinschaft war zerbrochen.
Jeder war auf sich allein gestellt.
Und er, Aragorn, der Waldläufer, als
Regent eines zersplitterten Reiches? Dessen Hauptaufgabe es sein soll,
Verschwörungen aufzudecken, und den korrupten Staatshaushalt zu retten? Ein
Witz. Zumindest dabei hätte Legolas ihm helfen können! Immerhin war er als
Kronprinz beschlagener in Regierungsgeschäften als ein Waldläufer!
Der
endlose Vortrag über fingierte Ausgaben und vor allem Einnahmen wird ihm so
langsam unerträglich. Ungeduld macht sich in Aragorn breit. Kein König muß sich
dies bieten lassen, und sei er noch so sehr Strohpuppe. Und außerdem, was gab es
noch zu verlieren? Das Reich war nicht mehr zu retten, nicht mit den Mitteln der
Unterhandlungskunst, die er sowieso nur sehr unzureichend beherrschte. Und den
einfachen Menschen war auf diese Weise natürlich auch nicht zu helfen. Und
bevor er sich noch den Haß dieser Menschen zuziehen würde, und an der
Misswirtschaft die Alleinschuld tragen sollte – lief alles nicht darauf hinaus?
Das Reich ausgeblutet und er wurde vom korrupten Adel als der Veranwortliche
einer wütenden Menge präsentiert? Ein letzter Versuch!
Aragorn erhebt sich, rafft seine Papiere zusammen. Ein erstauntes Gemurmel
zieht durch den Versammlungsraum. Was hat der König wohl zu den erdichteten
Bilanzen zu sagen? Ist es ihm überhaupt aufgefallen? Oder will er nur einen
seiner üblichen Vorträge über die armselige Lage der einfachen Leute in dieser
Stadt halten? Als wenn diese Hungerleider irgendjemanden interessieren würden.
Jedenfalls nur so lange, bis die letzte Münze aus ihnen herausgepresst worden
ist. Dann können sie sich gerne untereinander zerfleischen. Denn selbst der
Sklavenmarkt wird aus anderen Gegenden beliefert.
Aragorn eilt zum
Rednerpult, stößt den Sprecher unsanft zur Seite. Schaut die unruhig gewordene
Runde an. Sucht Worte. Zwei, drei alte Männer erheben sich, stellen sich hinter
ihn. Sie sind die letzten aus dem alten Stadtrat. „Ich bin der König dieses
Reiches. Mir und meinen Gefährten habt ihr es zu verdanken, dass wir nicht in
Saurons Dunkelheit versunken sind.“, beginnt er, versucht sich Gehör zu
verschaffen. „Wo sind eigentlich Eure Gefährten? Helfen sie Euch immer
noch?“, ertönt ein Zwischenruf. Verhaltenes Gelächter folgt. Sie warten ab, was
kommt nun? „Ich weiß, Ihr interessiert euch mehr für Euren eigenen Gewinn,“
fährt Aragorn mit fester Stimme fort, „jeder hatte es auch schwer genug in den
letzten Jahren. Aber seht Ihr denn nicht, daß das Land bis zum Letzten
ausgeplündert ist? Was wollt Ihr aus den Menschen noch herauspressen? Da ist
nichts mehr!“ „Ja und? Unsere Leute finden immer noch etwas! Und glaubst
Ihr, unser König, denn nicht auch, dass auch halb verhungerte Menschen noch
Paläste bauen können?“ „Wozu wären sie sonst gut?“, amüsiert sich ein
Weiterer. Das Gelächter wird stärker. Die Ratsgesellschaft erhebt sich von ihren
Stühlen, redet lauter. Kopfschütteln über Aragorns Ansinnen, die armselige
wirtschaftliche Lage zu bedenken. Aragorn wird unsicher, als er die
höhnischen Rufe hört. Hier ist wirklich nichts mehr zu retten. Kein Rest von
gutem Willen, Vernunft oder gar Mitempfinden ist auszumachen. Seine
Regierung war eine Farce. „König, weißt du eigentlich, warum wir dich so
lange geduldet haben?“ ruft ihm der stadtbekannte Anführer eines Söldnertrupps
zu. „Du bist unsere Gallionsfigur gewesen, damit uns niemand von diesen
ehrenhafte Elben behelligt. Bis deine Freunde in ihre Heimat zurückgekehrt sind.
Damit du unsere Geschäfte deckst. Oder was hast du denn gedacht?“ Der Redner
nähert sich, unter seinem Umhang bewaffnet. Mehrere Männer scharen sich um ihn,
es sind kampferprobte Gestalten ohne Skrupel. Während sich der Rest der
Versammlung in den Hintergrund der Halle zurückzieht, sieht sich Aragorn von den
Aufrührern umzingelt. Unbewaffnet und nur von zwei Greisen unterstützt. An die
Wand gedrängt. Der Anführer zeigt ihm eine entschlossene Miene. „Es ist
entschieden, König. Wir brauchen dich nicht mehr. Alle deine Gefährten sind weit
weg. Hoffe nicht auf ihre Hilfe.“ Aragorn sieht sich gehetzt um. Wo ist die
Palastwache? Eine Einrichtung, die er immer für überflüssig gehalten hat. Und
die lediglich Repräsentationszwecken zu dienen hatte. Wo war sie? Konnten ihn
diese Leute überhaupt retten? Wenn fast alle Adligen gegen ihn waren? Eine
Seitentür schlägt auf, einige Bewaffnete drängen sich hindurch. Da sind sie
endlich. Einen letzten Rest von Fassung wiedergewinnend, ruft ihnen Aragorn
einen Befehl zu. Niemand reagiert darauf. Ganz im Gegenteil, die Männer stellen
sich hinter den Aufrührer. Schwerter werden gezogen, eine Spitze berührt
aufdringlich Aragorns Hals. Ritzt leicht die Haut. „Was tust du nun, Aragorn
Waldläufer, der Anführer der Gefährten und große Feldherr? Hast du etwa
geglaubt, wenn der Ring vernichtet sei, gebe es kein Streben nach Macht und
Reichtum mehr? Wo das Gold doch auf der Straße liegt! Man muß es nur aufsammeln.
Und sich nicht dabei aufhalten lassen. Der Reichtum wartet nur auf Leute wie
mich. Und so ein gutgläubiger Menschenfreund aus der Wildnis wird mich nicht
daran hindern, den Luxus zu genießen.“
Die Schwertspitze dringt tiefer in Aragorns Haut ein. Das erste Blut drückt sich
nach außen. Seine letzten Begleiter wurden schon vorher zur Seite geschafft,
schnell und ohne Aufhebens. Ihre leblosen Körper liegen an der Wand herum.
„Wie konntest du nur glauben, hier König sein zu können, Mann aus dem Walde.
Wer sollte sich hier schon um Isildur und andere Märchen kümmern?“ Mit einer
wegwerfenden Geste nimmt er das Schwert von Aragorns Hals. Dieser steht immer
noch wie erstarrt da. „Aber da du mir trotzdem von großem Nutzen gewesen
bist – immerhin hast du uns allen diesen Ausbeuter Sauron vom Hals geschafft,
und so können wir unsere Einahmen nun ganz für uns behalten,“, das Grinsen
überzieht allmählich sein gesamtes Gesicht, „bin ich dir doch zu einigem Dank
verpflichtet. Und vielleicht brauche ich dich noch.“ Er geht einige Schritte
zur Seite, winkt seinen Leuten, Aragorn die vorbereiteten Fesseln anzulegen, was
dieser angesichts der Übermacht geschehen lassen muß. Zu groß ist der Schock
darüber, bei allem guten Bemühen nur benutzt worden zu sein. Und dies noch nicht
einmal rechtzeitig bemerkt zu haben. Auf beiden Augen blind. Dem guten
Willen wenigstens einiger der Adligen vertraut zu haben, kommt Aragorn auf
einmal unwahrscheinlich absurd vor. Wie konnte er nur so leichtgläubig gewesen
sein!
Unsanft wird er von den Bewaffneten durch die Gänge gestoßen, in
die Gewölbe hinab. Der Anführer, das Oberhaupt der alten Familie der Olvar,
folgt nach. Vor einem in den Stein gehauenen und mit einem massiven Eisengitter
gesicherten Kammer bleiben sie stehen. Der glücklose König wird unsanft
hereingestoßen, fällt zu Boden. „Wenn ich dich wieder benötige, gestatte ich
dir, wieder aus dem Loch herauszukommen. Einige Wachen dürfen dir Gesellschaft
leisten, damit dir ja nichts zustößt. Damit es dir nicht zu einsam wird.“ Zu
diesen zweideutigen Worten schließt sich die Tür. „Ach ja, nebenbei, weißt
du eigentlich, was aus deinem Freund Legolas geworden ist, nachdem er in die
Verbannung gehen musste?“ „Was ist wahr an diesen Gerüchten?“, überwindet
sich Aragorn zu fragen, „was ist mit ihm?“ „Nun, das erzähle ich dir ein
andermal…, aber denke nicht, dass er dir noch irgendwie helfen könnte… Es war
fast zu leicht, mit ihm fertig zu werden.“ „Und was habt ihr mit Arwen vor?
Laßt sie gehen, wenigstens sie.“ Das hähmische Gesicht zeigt sich wieder vor
dem Eisengitter. „Arwen? Warum sollte sie gehen wollen? Sie liebt die
Annehmlichkeiten eines bequemen Lebens, ohne sich Sorgen machen zu müssen. Hast
du das nicht bemerkt? Sorgen um all diese Hungerleider, oder…“, er wird leiser,
„um alte Liebhaber, die wieder auftauchen könnten. Freilich, sie hat um euer
Leben gebeten, aus welchem Grund auch immer. Und diesen Wunsch gewähre ich ihr
gerne, da sie sich sehr anschmiegsam gezeigt hat. Denn auch Königinnen sind
käuflich. Ich denke, dass wir zusammen gut regieren können. Auf meine Weise
gut. Also, lebe wohl mein König, laß dir die Zeit nicht zu lang werden!“
Die Männer verschwinden in den Gängen. Lange noch hallen die schweren Tritte
ihrer Stiefel nach. Vier Wachen bleiben in einem größeren Raum zurück. In
einer düster erleuchteten Wachstube schräg gegenüber Aragorns Zelle.
Gefangenschaft
Aragorn bleibt wie vor den Kopf geschlagen zurück. Soll
so sein Versuch enden, das Reich zu einen und Zufriedenheit unter die Menschen
zu bringen? Hier, in diesem Verließ eingesperrt, ohne wenigstens ein anderes
Wesen, mit dem er reden könnte? Eingefangen in seinen Grübeleien und
Selbstvorwürfen, jahrelang, bis der Wahn ihn erreicht?
Um nicht von
seinen düsteren Gedanken erdrückt zu werden, schaut er sich um. Sucht seine
Zelle ab. Nach etwas Auffälligem, einer Unregelmäßigkeit. Einem losen Stein,
bröckeligem Mörtel in einer Fuge. Nach irgendwas. Aber da ist nichts.
Seine Finger kratzen noch einmal über die Wand. Nur feste Mauer, dahinter wohl
gewachsener Fels. Passgenau eingefügte Steinquader und ein robustes Eisengitter
als Tür. Ein ziemlich neues Eisengitter. Der Anschlag muß also länger
vorausgeplant worden sein. Und keine Fenster. Zum Ausgleich dafür alles
ziemlich feucht. Unterirdisch, in einem Gangsystem, das weder genau bekannt
ist, noch für amtliche Zwecke benutzt worden ist. Aber bemerkenswert gut instand
gehalten wurde. „Hier also liefen die Schiebereien der Schwarzhändler
durch“, schießt es Aragorn durch den Kopf. „Dann muß es aber auch Ausgänge
geben, nur wo?“
Da sich tagelang außer den Wachen niemand im Blickfeld
des abgesetzten Königs zeigt, beschließt er, die schweigsamen, mürrischen Männer
anzusprechen. Vielleicht kann er von einem von ihnen mehr über sein
Gefängnis erfahren. Und außerdem, es würde ihn wundern, wenn sie nicht
bestechlich wären. Da doch jeder, wirklich jeder, in dieser verfluchten Stadt
nur ans Geld zu denken scheint. Und wer hätte hier unten denn keine Langeweile,
einen Eingesperrten zu bewachen? Dementsprechend oft dringt aus der Wachstube
betrunkenes Gegröhle und erhitzte Worte. Die häufig in derbe Schlägereien
übergehen. Aragorn entschließt sich zu guter Letzt, einen Versuch zu wagen.
Auch wenn er Bestechung eigentlich ablehnt. Aber in dieser Lage? Er wurde
zwar durchsucht, aber einen Anhänger – war’s nicht der, den Arwen ihm einst gab?
– oder einen Ring hätte er noch anzubieten. Für diese groben Gesellen bestimmt
ein Vermögen.
Als eine der Wachen die nächste Essensration durch das
massive Eisengitter reicht, steht Aragorn an der Tür, die Metallstäbe
umklammernd: „Wer bist du? Darfst du mit mir reden? Kannst du mir nicht sagen,
was ihr mit mir vorhabt?“ „Mit dir vorhaben?“, schlägt es ihm entgegen, „Ein
guter Gedanke. He, Kameraden, der König hat wohl auch Langeweile!“ Ein
lautes Johlen antwortet aus der angrenzenden Räumlichkeit. „Langeweile? Dem
können wir abhelfen! Na, dann komm mal her.“ Schnell wird die Tür geöffnet,
drei der grobschlächtigen Männer dringen in den Raum ein, der vierte bleibt
sichernd am Eingang stehen. „So, nun erzähle uns, was du von uns willst! Etwa
dein neues Reich verlassen? Sollen wir dir dabei helfen? Darauf haben wir nur
gewartet!“ Starke Arme greifen nach Aragorn, der an die Wand zurückgewichen
ist in dem Versuch, den Fäusten der Wachen auszuweichen. Der schnell in die Ecke
gedrängt wird. Einer der Bewacher schlägt ihn mit einem harten Hieb auf die
Schläfe zu Boden. Aragorns Verteidigung besteht bald nur noch aus
ungezieltem Treten und Zurückschlagen, denn gegen diese Söldner nutzt die ganze
Kampferfahrung nichts. Von zwei der Bewacher rechts und links festgehalten, baut
sich der Wortführer vor ihm auf. „So, der König möchte wohl diesem gastlichen
Ort entfliehen. Und uns Wachen der Folter aussetzen. Für schöne Worte wohl?“
„Nein, ich kann dir schon etwas anbieten, zeige mir einen Weg und ich werde
an dich denken. Du brauchst nicht weiter in Armut zu leben, von deinen Führern
abhängig zu sein, glaube mir“, stammelt Aragorn, durch die rüde Behandlung arg
mitgenommen. Blut zeigt sich in den Mundwinkeln, das Sprechen fällt ihm schwer.
„Ich gehöre zu den Olvar. Und sonst folge ich niemandem. Und mit dir fangen
wir erst an, nicht wahr?“ Zustimmung suchend schaut er in die Runde, die
beifällig nickt. Der nächste Fauststoß ist auf Aragorns Rippen gezielt. Es
knirscht. Von den beiden anderen Wachen immer noch hochgehalten, ist er
wehrlos den Schlägen und Tritten ausgesetzt. Ein letzter geht zwischen die
Beine. „Bis zum nächsten Mal. Bis du fügsam bist!“ kann er noch verstehen,
bevor er sich Blut hustend auf dem Boden zusammenkrümmt und ohnmächtig wird.
Kalte Nässe breitet sich in den Knochen aus. Zwingt Aragorn zitternd hoch.
Sofort steht eine Wache vor den Gittern, ruft die anderen herbei: „Unser
König ist wieder auf den Beinen. Laßt uns weiter machen, die Kälte vertreiben!“
Diesmal wird der Waldläufer quer über den Flur in die Wachstube gezerrt. Die
Hände auf den Rücken gefesselt. Der Mann von Clan der Olvar steht breitbeinig
da. Aragorn kann es nicht fassen. Wozu läßt er sich von diesen
Verbrechern zwingen? Warum wählt er nicht den Tod? Wegen eines kleinen
Fünkchens Hoffnung? Oder ist es reine Resignation? Die Pranken drücken
ihn nieder. Vor dem Hauptmann der Wache auf den Boden. Vom Messer im Nacken
nähergezwungen, berührt Aragorns Gesicht fast den Hosenschlitz des
grobschlächtigen Mannes. Der von hastigen Händen geöffnet wird. Das erregte
Glied springt an seinen zusammengepressten Mund. Die Klinge schneidet tiefer
in seine Haut ein. Harte Steine unter seinen Knien. „Bemühe dich, ich
habe gehört, du magst das doch! Auch wenn ich kein Elb bin. Vielleicht lasse ich
dich dann noch eine kleine Weile leben. Und wer weiß, du siehst auch deinen
Legolas wieder?“
War Legolas etwa ebenfalls in der Gewalt dieser
Unmenschen? Seit langer Zeit? Von ihm, dem ehemaligen König unbemerkt? Nicht
dieser unnahbare, stolze Elb!
„Was ist mit Legolas?“, flüstert Aragorn
erstickt. „Das erzählen wir dir später, fang schon an!“, kommt die barsche
Antwort. Und Aragorn gehorcht. Mit aller Überwindung. Bis zum Ende.
Entkräftet und gedemütigt bricht er vor dem Hauptmann vollständig zusammen.
Erbricht. „Na, das wird schon noch besser. Spätestens in einigen Wochen
hast du dich daran gewöhnt. Wie alle anderen.“ Wieder in seiner Zelle, läßt
Aragorn sich von der Dunkelheit forttragen.
Aber der Hauptmann sollte
recht behalten.
Die Unterredung
Wieder einmal das Knirschen im Schloß. Wachen, die einen
kraftlosen Aragorn forwärtsschleifen. Aber diesmal an der Wachstube vorbei,
einige Gänge weiter. Wo geht es diesmal hin? Nach einer Biegung bleiben
die Soldaten plötzlich stehen. Vor ihnen befindet sich eine Frau, ohne
Begleitung.
Blendend. Reich gekleidet. Behängt mit Schmuck, mit
dem man hätte eine gesamte Ernte kaufen können. Strahlend selbst hier.
Mit einem Ausdruck von heiterer Gelassenheit, fast Entrücktheit auf dem
bezaubernden Gesicht. Sie nähert sich langsam, anmutig der Gruppe. Bleibt
vor Aragorn stehen. Ihre prüfenden Blicke gleiten über dessen zerlumpte Gestalt.
Die einst hochwertigen Kleider verdreckt, blutverkrustet und fadenscheinig.
Ein verschwollenes Gesicht. Gezeichnet von Schlägen. Flackernde Augen,
die von Misshandlung und Demütigung sprechen. „Mein Gemahl“, beginnt eine
zarte Stimme. „Arwen“, Aragorn’s Stimme zittert, „geht es dir gut? Was tust
du hier? Und, was geschieht in der Stadt?“ „Aragorn, höre zu. Ich kann nicht
lange bleiben.“ Die Frau streicht sich mit der Hand die kunstvoll frisierten
Haare zurück, zögert. „Du bist nicht mehr König in dieser Stadt.“ Der
Waldläufer geht einen Schritt nach hinten. Als wenn er das nicht schon längst
eindringlichst gemerkt hätte! Aber warum sah seine Frau so prächtig aus? War so
prunkvoll gekleidet? „Ich habe mich für einen anderen Mann entschieden. Wir
teilen uns die Regierung. Das Volk – es wird natürlich einverstanden sein. Und
Elrond, die Elben - sie werden diese Welt ohnehin bald verlassen. Ich aber
bleibe hier. Denn hier bin ich Herrin!“ Aragorn hört den Worten zu. Versteht
nicht ganz. Hat Arwen – die einst so großzügige, edle Arwen dies alles etwa
gewusst, sogar mit vorbereitet? Und warum? Doch nicht wegen Legolas, der schon
so lange verschollen war? Aus Eifersucht? „Die Menschen wissen
angenehmer zu leben. Und es gibt wahrhaftig Unterschiede zwischen den Bettlern
auf den Straßen und den Wohlhabenden.“ Versonnen streicht sie über den teuren
bestickten Stoff an ihrem Ärmel. „Unterschiede zwischen den Armen und uns
reichen Adligen.“ „Ich möchte, dass du gehst. Ich biete dir die Freiheit,
weil du mich hierhergebracht hast und mir dieses Leben in den Menschenstädten
gezeigt hast. Jenseits aller Bedenken, die die Elben gewöhnlich dem Überfluss
gegenüber hegen. Deshalb gebe ich dir das Leben zurück. Die Wachen werden
dir den Ausgang zeigen. Dort steht ein Pferd mit etwas Verpflegung, und“, ihr
Blick gleitet nochmals über Aragorn, „Verbandszeug. Du hast einen halben Tag
Zeit, bis du die Grenze überschritten haben musst. Verlasse dieses Land und
kehre nie mehr zurück!“ Aragorn starrt Arwen an. Die Welt scheint sich zu
drehen. Nein, das war alles ein schlechter Traum. Und nicht mehr. Gleich
würde er aufwachen. Ganz bestimmt. So ein Betrug!!!
Die Wachen
schleppen ihn durch die Gänge bis zu einer kleinen Öffnung, die ins Freie führt.
Ein natürlicher Zugang zu einem Höhlensystem außerhalb der Stadtmauern, das von
Menschenhand erweitert worden ist und bis unter den Regierungspalast reicht.
Stolpernd läuft Aragorn den Abhang hinunter. Nach der langen erzwungenen
Bewegungslosigkeit, ganz zu schweigen von den Prellungen und anderen
Verletzungen, eine mühselige Angelegenheit. Mehr als einmal gerät er ins
Rutschen und fällt auf das Geröll, was wieder einige Abschürfungen mehr bringt.
Endlich ist das Pferd erreicht. Aragorn kann sich erst einmal erschöpft auf die
Steine fallen lassen. Und vorsichtig seine Rippen abtasten.
Einen halben Tag Zeit? Sei ihm gegeben, bis er über die Grenzen reiten solle?
Und Arwen – eine Verräterin? An dem König – nun ja, aber an allen notleidenden
Menschen, an der Menschlichkeit an sich? Sie konnte doch nicht einfach so mit
einer Handbewegung alle Ideale der Elben und achtbaren Menschen beiseitewischen!
Wie konnte sie sich so ändern! Verbittert untersucht Aragorn das Tier –
nicht gerade eines der robustesten, eher schon etwas älter und verbraucht – und
sichtet die Ausrüstung. Wenig aber zweckmäßig. Das könnte schon gehen. Aber
wohin? Diese Frage stellt ihn vor große Probleme. Von Legolas ist schon
lange keine Nachricht mehr gekommen, nur diese unglaublichen Gerüchte und
Andeutungen. Zu Elrond? Aber die Elben haben sich auch zurückgezogen und
denken eher an die Grauen Anfurten als an die Schwierigkeiten der Menschen.
Gimli in Moira suchen? Diesen Ort wollte Aragorn eigentlich für den Rest
seines Lebens meiden. Unter solchen Überlegungen säubert er seine Beine und
Handflächen von den kleinen Steinen, die sich in die Haut eingefressen haben und
macht sich langsam auf den Weg.
Zuerst einmal nordwärts, den
Landesgrenzen zu. Und dann vielleicht den Anduin hinauf, um in Düsterwald um
Nachrichten zu bitten. Wenn er dort gut aufgenommen werden würde. Aragorn
zweifelt am guten Willen von Thranduil, zu seltsam kommen ihm die Gerüchte über
seinen Sohn vor. Aber wem ist überhaupt noch zu trauen? Wenn der Elbenkönig von
Düsterwald Ablehnung zeigt, wäre er immer noch bei Elrond gerne gesehen. Als
sein Ziehsohn gehörte er zur Familie, auch wenn er an seiner letzten Aufgabe,
eine menschenwürdige Herrschaft in dem vom Krieg gebeutelten Gondor
einzurichten, schmählich gescheitert war. Und das vornehmlich aus
Vertrauensseligkeit und zu wenig Diplomatie. Das Pferd stapft ausdauernd vor
sich hin. Wenigstens dieses Tier schien zäher zu sein, als es auf den ersten
Blick aussah. So kann Aragorn in aller Ruhe seinen trüben Gedanken nachhängen,
das Pferd sich seinen Pfad durch die immer einsamer werdende Gegend suchen
lassen, und Ausschau nach versprengten Orks oder mutmaßlichen Räubern halten.
Ein sehr unsicherer Weg, durch das weiße Gebirge zum Anduin. Vor allem, wenn man
abseits der Hauptstraßen zieht, weil man nicht erkannt und nicht nach
Geleitbriefen gefragt werden will. Ein Geächteter im ehemals eigenen Land.
Allein im Spätsommer auf dem Weg in die braunen Lande. Ohne zu wissen
wohin. Und ohne zu wissen, ob man überhaupt irgendwohin will. Ankommen will…
Die Wanderung geht mühevoll vor sich. Schleppend und zögerlich zieht
Aragorn vorwärts. Wohin auch ohne klares Ziel? Halbverfallene Dörfer, in
denen oft genug verkohlte Ruinen von vergangenen Überfällen zeugen, ziehen in
Abständen an ihm vorrüber. Die Bauern scheinen nicht zahlreich genug zu sein, um
ihre Gehöfte wiederaufbauen zu können. So sieht es wohl noch überall im Land
aus.
Das Dorf
Aragorn scheut sich, in den stadtnah gelegenen Orten Rast zu
machen. Das Elend der Bewohner ist auch aus der Entfernung deutlich genug zu
erkennen. Und das unter seiner Herrschaft! Nichts gedieh oder konnte
auch nur halbwegs wieder aufgebaut werden. Anscheinend musste jeder noch so
kleine Überschuß in die Stadt abgeliefert werden. Damit sich eine gierige Elite
ein Leben in Überfluß und Bequemlichkeit leisten konnte. Auf den Kosten einer
halbverhungerten, kriegsgeschädigten Landbevölkerung. Und er hat diesem
Treiben keinen Einhalt gebieten können! Alle guten Vorsätze und Hoffnungen, er
könne eine fruchtbare Regentschaft errichten, waren wohl reine Illusion gewesen.
Das Scheitern tat weh. Aragorn fühlte tiefes Mitleid mit den Bauern, an
deren Weilern er vorbeizog. Und Scham. Auf seine Worte folgten keine Taten. Er
hatte seine Leute im Stich gelassen. Menschen, die auf einen König gehofft
hatten, der alles tat, das kriegsverwüstete Land wieder aufblühen zu lassen. Der
dies auch wirklich gewollt hatte. Zumindest hat er es versprochen. Und dann?
Ein König, der sich einer geldgierigen Elite und ihren Söhnen gegenüber nicht
behaupten konnte, der sich verzettelt hatte, dem es einfach an
Durchsetzungsvermögen in Staatsgeschäften fehlte. Ein König, der sich von
hohnlachenden Kriegsgewinnlern einfach in die Verbannung schicken ließ. Ein
König, dem der Rat fehlte. Und seine Gefährten.
Hinter dem weißem
Gebirge häufen sich die Anzeichen auf herumstreunende Orkhorden. Die Gehöfte
waren befestigt, oft von behelfsmäßigen Palisaden umgeben. Dazu wurde es
allmählich Herbst und gerade hier in dieser Gegend wurde das Wetter früh im Jahr
schlecht. Nieselregen und kalte Nächte bringen Aragorn an seine körperliche
Grenze. Das Pferd magert auch immer weiter ab und zottelt lustlos hinter dem
glücklosen König her, der zu Fuß weiter den Weg sucht. Schließlich wird die
Gefahr, in dieser entvölkerten Gegend von den Wölfen oder auch den Orks
angegriffen zu werden zu groß. Und in Aragorn wächst das Bedürfnis, endlich
einmal wieder mit Menschen zu reden. Diese ziellose Wanderung für eine Weile
zu beenden. Vielleicht könnte er im Kleinen anfangen? In einem der Dörfer
für ein besseres Dasein arbeiten? Wenn er schon im Großen so schmählich versagt
hatte? Nach einer weitern durchzitterten, regenklammen Nacht in der die
Wölfe ziemlich nah heulen und das Feuer überhaupt nicht brennen will, steht sein
Entschluß fest. Sein Pferd braucht einen Stall. Und er selbst wieder ein Dach
über dem Kopf. Er würde einen neuen Versuch wagen, im nächsten Dorf. Den
Menschen dort wenigstens etwas helfen. Sie beschützen. Aufbauen.
Die
nächste Siedlung liegt im Hügelland, in denen das Weiße Gebirge ausläuft,
zwischen Wiesen, die etwas Viehaltung erlauben. In der Ferne sind Wälder zu
sehen. Der Ort besteht aus drei baufälligen Gehöften, die eng beieinander
stehen, von einem Bretterzaun umschlossen. Die Mauern der Häuser sind
ausgeflickt, die Dächer schadhaft. Ställe und kleinere Hütten notdürftig aus
Stämmen und Steinen zusammengezimmert. Deutlich ist zu sehen, dass der Weiler
einst viel größer gewesen ist, mit vielen Anbauten und Stallungen. Aber davon
ist nichts mehr übrig. Nur noch Ruinen, verfallenes Mauerwerk, dazwischen
verkohlte Balken. Verwertbares Holz und viele Steine sind anscheinend dazu
verwendet worden, die noch bewohnten Häuser wiederaufzubauen.
Langsam
führt Aragorn sein erschöpftes Pferd auf den Weg zum Dorfeingang. Einige
zerlumpte Frauen, die wohl gerade vom Holzsammeln zurückgekehrt sind, bemerken
den Ankömmling schon von Weitem. Sie lassen schleunigst ihre Lasten fallen und
eilen zum Lattentor, das sich auch auf der Stelle schließt.
Diese
Wachsamkeit der Dorfbewohner, oder ist es Misstrauen, erstaunt ihn. Der
Krieg ist doch vorüber! Und wie ein Ork sah er doch trotz allem nicht aus!
Mit schon etwas geschrumpftem Selbstvertrauen klopft er an das Tor.
Niemand rührt sich. „Ist dort jemand? Ich bin auf der Durchreise. Ich
möchte einige Tage bleiben, mein Pferd braucht eine Pause. Ich bitte um
Gastfreundschaft.“ „Und was kannst du uns dafür bieten?“, fragt eine raue
Stimme. „Herumlaufendes Gesindel gibt es hier genug, du willst hier doch nur den
Ort auskundschaften, verschwinde!“, geht es in schroffem Tonfall weiter. „Wir
haben nichts mehr. Außer einigen Schwertern und Äxten! Die wir auch gerne
benutzen können. Willst du sie spüren, Fremder? Geh, such dir ein anderes Dorf!“
„Nein, wie kommt Ihr darauf? Ich will Euch nichts Böses,…“ Gelächter
folgt:“Was willst du sonst in dieser Gegend?“
Aragorn wartet. Längere
Zeit.
Irgendwann öffnet sich das Tor, ein älterer Mann tritt hervor. Sein faltiges
Gesicht ist von Bartstoppeln übersäht. Beim Reden zeigt sich ein lückenhaftes
Gebiß. Abgebrochene Zähne, einige von ihnen schwarz. Hinter ihm stehen Frauen
und Halbwüchsige, alle haben Knüppel und Mistgabeln in den schwieligen Händen.
Aragorn wird schweigend gemustert. Der Argwohn gegen ihn ist mit Händen zu
greifen. „Wieso bist du hier ohne Waffen unterwegs?“, entschließt sich eine
der Frauen zu fragen. Sie streicht sich das strähnige Haar aus dem Gesicht.
„Kannst du arbeiten? Wir brauchen hier noch Männer, die anpacken können.“. Sie
tritt vor und nimmt Aragorns Hände auf. „Ein Bauer bist du nicht! Eine Haut auf
den Handflächen wie ein Babypo! Und du willst hierbleiben? Sollen wir dich etwa
noch durchfüttern?“ Verlegen schaut er zu Boden. „Ich war lange in der
Stadt, aber dort kann ich nicht mehr bleiben. Wenn ich hier den Winter abwarten
kann, ich werde mir Mühe geben. Früher war ich Jäger und Kämpfer, aber jetzt?
Ich muß etwas ausruhen, auf meinem Weg. Ich möchte ins Bruchtal, aber erst nach
dem Winter. Die Wege…“. „Nach Bruchtal zu den Elben? Die haben uns ebenfalls
im Stich gelassen. Große Worte – und dann werden wir von allen geplündert. Einer
wie der andere!“ Sie schaut Aragorn noch einmal prüfend an: „Aber ohne Waffen…
Ich mache dir einen Vorschlag: Du kannst solange bleiben, wie wir Arbeit haben;
für Essen und einen Schlafplatz. Dein Pferd ist doch das Pfluggeschirr gewöhnt?
Wenn du schon kein Bauer bist. Und wenn nicht, kannst du dich ja vor den Wagen
spannen, denn hier leben sonst keine kräftigen Männer mehr, nur noch Alte,
Krüppel und Frauen. Ansonsten… ich biete die einen Platz in meinem Haus,
arbeiten kannst du für das ganze Dorf.“ Beifälliges Gemurmel macht sich
breit. „Gut Fremder“ Solange du verträglich bist und uns hier hilfst. Komm
mit, ich zeige dir das Nötigste!“ So findet Aragorn Aufnahme in einem der
Dörfer.
Uma
Die Frau zieht ihn am Arm durch die Tür. „Ich bin Uma. Vier meiner
Kinder leben noch. Und können schon gut mit angreifen. Hilf mir, sie durch den
Winter zu bringen!“ So schlimm hatte sich Aragorn die Not in den Dörfern
nicht vorgestellt. Und natürlich würde er sein Bestes geben! Auch wenn er mit
Landwirtschaft bis jetzt eher weniger zu tun gehabt hatte. Schließlich war er ja
Waldläufer und Krieger gewesen, kein Bauer… „Kann ich hier jagen? Darin bin
ich gut, und etwas zusätzliches Fleisch,..“, wagt er zu fragen. „Jagen?! Was
denn? Die vorbeiziehenden Heere haben fast alles Wild vertrieben, und die Orks
das letzte Karnickel erlegt. Jetzt wollen sie uns, diese Bestien. Und unsere
letzten Tiere. Nein, du kannst anderes tun, die schwere Männerarbeit auf dem
Feld machen, uns verteidigen. Wie heißt du eigentlich, wenn du schon bei mir
wohnst?“ Die Frau – Uma – gönnt dem Fremden von der Seite einen nicht mehr
allzu unfreundlichen Blick. „Nun sag schon, du kannst wirklich erst mal bei uns
bleiben.“ „Ich bin Arag.“, kann sich Aragorn gerade noch bremsen. „Also
Arak. Der Name ist schön kurz. Weil – viel reden tut hier eigentlich niemand
mehr. Außer vielleicht noch die Kleinen. Wir brauchen noch Holz für den
Winter.Viel Holz, denn hier in dieser Gegend ist es kalt und der Eiswind kommt
von den Bergen herunter. Und wegen der herumstreunenden Orks ist es unmöglich,
noch im Schnee Brennholz zu suchen. Das müssen wir alles vorher tun. Wenn erst
alles vereist ist, können wir das Dorf nicht mehr verlassen.“ Sie führt ihn
zu einem hohen Holzhaufen. Dicke Stämme und kleinere Äste liegen durcheinander.
„Wenn du hier schon mal anfangen kannst, bis zum Essen ist noch Zeit. Meine
Kinder werden dir helfen und die Scheite aufstapeln“. Kurze Pause und ein
spöttisches Lächeln: „Na, deine Hände werden nicht lange so weich bleiben.“.
Wieder diese schelmische Blick, der Aragorn so auffällt und ihm so langsam zu
denken gibt.
Aber das Holz. Daneben vier halbwüchsige Kinder, die ihn erwartungsvoll
anschauen, eine schartige Axt, deren Blatt recht locker auf ihrem Stiel sitzt
und dieser Holzstoß. Dicke Stämme mit Astansätzen. Aragorn sucht sich erst
einmal einen geeigneten Hackklotz. Die Kinder schauen zu. Er nimmt sich
ein erstes, kleineres Stück. Die Kinder tuscheln, kichern. Aragorn fasst
die Axt, holt aus, schwingt sie in hohem Bogen kraftvoll in Richtung Holz.
Die Axt trifft in die Mitte. Ein dumpfes Geräusch ertönt. In dem Holz
öffnet sich ein kleiner Spalt. Aragorn schwingt die Axt ein zweites Mal.
Der Spalt wird etwas größer. Und noch einmal. Die Axt senkt sich in
das äußerst zähe, faserige Stück Holz. Und verkantet. Läßt sich nicht mehr auf
Anhieb herausziehen. Die Kinder kichern stärker. „Besseres Holz haben wir
hier nicht mehr. Und schon dafür müssen wir weit laufen. Aber das wird schon!
Bestimmt.“ Sich jetzt nur keine Blöße geben, vor diesen halbverhungerten
armen Bauernkindern! Immerhin ist man ja ein großer Krieger, hat Schlachten
geschlagen und fast – nun ja, ein bisschen vielleicht – Mittelerde gerettet?
Diesen Holzstapel wird man dann auch noch kleinkriegen! Muß einfach! Mit
Eifer fasst er den abgegriffenen Axtstil, hebelt ihn aus dem störrischen
Material und hackt weiter. Mit Schwung und Ausdauer. Schließlich gibt das Stück
Stamm auf und zerbricht in zwei Teile. Diese werden noch einmal zerteilt. Die
Stücke sammeln die Kinder auf, legen sie beiseite. Und warten auf neue.
Das wird mühselig. Ein neuer Stamm. Und wieder von vorne. Axt.
Holz. Ziemlich schnell während dieser ungewohnt gewordenen Tätigkeit
bildet sich auf Aragorn’s Rücken ein leichter Schweißfilm. In seinem früheren
Leben als König wurden ihm solche Anstrengungen fremd. Aber hier war er der
Helfer – also weiter machen. Langsam arbeitet sich Aragorn in einen Rhythmus
hinein. Und das Holz läßt sich dann auch besser spalten, er musste nur
vermeiden, direkt auf ein Aststück zu zielen. Wann hatte er das letzte Mal
soviel Holz hacken müssen? Vor Jahrzehnten. Er war Waldläufer gewesen, kein
Köhler. Nach einiger Zeit wird der Haufen mit dem gespaltenen Holz größer.
Bei ihm macht sich langsam aber sicher das erste Ziehen im Rücken bemerkbar.
Verspannung. Und nasse Stellen auf den Handflächen. Aufgeplatzte Blasen.
In Anbetracht der letzten Jahre, die er in der Schreibstube oder bei
endlosen Diskussionen über diversen Banketten oder Empfängen verbracht hatte,
sehr ungewohnt. Aber zu verkraften. Natürlich.
Denoch spürt er eine gewisse Erleichterung, als Uma ihre Familie und auch ihn
zum Essen ruft. In einem kleinen, mit bescheidenem Mobiliar vollgestellten Raum,
in dem wohl auch die Wäsche getrocknet wird, steht die kräftige Bäuerin an einem
wackeligen Herd und rührt in einem großen, dampfenden Topf. Die Decke über
der Kochstelle ist rußgeschwärzt, wie Aragorn auffällt. Also sollte er sicher
als nächstes den Herd reparieren. Aber erst mal etwas essen! Die Kinder
drängen sich laut an den Tisch, suchen sich Sitzgelegenheiten und Teller.
Aragorn hält sich da lieber im Hintergrund, sieht er doch, dass für alle eher
wenig an Nahrung vorhanden ist. Es gibt einen Getreidebrei mit etwas
undefinierbarem Grünzeug darin, nicht gerade das, was er aus seiner
Regierungszeit kannte, aber er hatte sich früher oft nicht viel anders ernährt.
Plötzlich steht ihm seine Waldläuferzeit wieder vor Augen. Das ist doch schon
eine Zeitlang hergewesen. Hatte er wirklich so viel verdrängt oder vergessen?
Und sich der Bequemlichkeit in seiner Regierungsresidenz ergeben? Während der
Rest der Menschen froh sein konnte, wenn sie Haferbrei essen konnten? Sein
schlechtes Gewissen meldet sich wieder, wird aber glücklicherweise von Uma, die
ihm auch einen Napf vor die Nase hält, im Hintergrund gehalten. Aragorn
schnuppert an dem Brei. Und hört seinen Magen knurren. „Holz hacken macht
hungrig, nicht wahr? Und so gut ist es dir in den letzten Wochen auch nicht
gegangen, Fremder?“, fängt Uma ein Gespräch an. „Mehr haben wir leider nicht,
aber wenn du uns hier hilfst, kannst du gerne bleiben. Ich, das ganze Dorf
braucht noch achtbare Männer. Wie sollen wir sonst die Felder bestellen und uns
verteidigen?“ Über seinem Schüsselchen nickt Aragorn zustimmend. Das hat er
jetzt auch begriffen. Keine erwachsenen Männer heißt keine gute Ernte und keinen
Schutz. „Sieht das in jedem Ort so aus? Ich habe nur Frauen, Kinder und einige
Alte gesehen…“ „Und davon ist noch die Hälfte krank!“, unterbricht Uma
wieder einmal. Ihre Bitterkeit erschreckt ihn. Und lockt sein schlechtes
Gewissen wieder aus seiner Ecke hervor, in der es nur auf seinen Auftritt
gewartet hatte. „Und wie lange wirst du es hier aushalten, Wanderer?“
„Ich helfe euch, so lang ich kann, aber, ich muß meine Gefährten suchen.“.
Erschreckt hält er inne. Was hat er gerade gesagt? Die Gefährten suchen?
Etwa den Kampf von Neuem beginnen, diesmal um das Land neu aufzubauen? Wo er
doch gerade so umfassend gescheitert war? Das ganze Selbstmitleid abwerfen,
wieder fest und energisch eine Aufgabe verfolgen? Diese Idee überfällt ihn. Noch
einmal ganz von vorne anfangen. Den Mut dazu finden. Müde schaut Aragorn
die Frau an: „Lange kann ich nicht bleiben. Leider. Ein paar Tage. Vor dem
Winter muß ich in Moria sein.“ Uma läßt vor Bestürzung fast ihr Essen
fallen. Die Kinder sind plötzlich sehr still. „Moira? Dorthin gehen, wo die
die bösen Sagen herkommen? Von dort, woher die Orks und anderes Unheil uns
überfallen? Selbst die Zwerge, unter der Führung eines der Ringgefährten,
konnten sich dort nicht halten. Mit all ihrer Macht nicht, heißt es.“ „Woher
weißt du das?“ „Vor Wochen kam ein Wanderer vorbei. Ähnlich wie ihr. Er
arbeitete mit uns, aß mit uns und erzählte von den Gefährten. Schauerliche
Dinge.“ Aragorn ist die Anspannung anzusehen. Diese Bäuerin in ihrem
abgelegenen Dorf hatte Nachricht über seine Freunde erhalten, die ihn nicht, bei
aller Nachforschung nicht, erreichen konnten? „Uma, bitte, erzähle mir
alles,“, beinahe wäre er vor ihr auf die Knie gefallen, „ich muß das wissen, ich
kann dir aber nicht sagen warum, bitte, nimm dir die Zeit und sage mir, wer der
Wanderer war, was ist mit mei… den anderen Ringgefährten?“ Umas altes
Misstrauen gegen ihn flackert über ihr aufmerksames Gesicht. Allerdings nur
kurz. Und macht einem halben Lächeln Platz: „Du bist sehr geheimnisvoll,
Fremder. Zuerst kommst du ohne Waffen hier in diese Einöde, willst von uns etwas
zu essen gegen Arbeit, und dann,…, stellst du dich beim Holzhacken an wie ein
junges Mädchen aus der Stadt.“ Unterdrücktes Kichern der Kinderschar läßt
Aragorn seine weitere Rede verschlucken. Jetzt nicht noch mehr auffallen!
„Aber du kannst nur noch besser werden, kümmere dich in den nächsten Tagen
um die Felder des Dorfes, abgemacht?“, sie schaut aufmunternd in seine Richtung
und bekommt ein Nicken, begleitet von einem gemurmelten „Natürlich, dazu bin ich
doch hier“. „Und dann, …“ ihr Lächeln wird breiter, „wenn du schon nicht für
immer bleibst,…“ Sie schickt ihm einen anzüglichen Blick zu. Aragorn beginnt
zu verstehen. Na gut, sich auf den Feldern abrackern, das ist seine Buße für
seine misslungene Regierungszeit, und außerdem irgendwie selbstverständlich.
Aber dann noch der Bäurin ins Bett folgen zu sollen!
„Für meine Geschichte über die Ringgefährten, meine ich, kann ich durchaus eine
Gefälligkeit von dir erwarten, Arak. Oder wie auch immer. Vielleicht wissen die
anderen Frauen hier auch noch Interessantes zu berichten?“ Umas Grinsen
überzieht nun das ganze Gesicht und läßt ihre Augen funkeln vor unterdrücktem
Schalk. „Nun was ist? Heute abend erzähle ich dir unter der Decke eine
Geschichte, und die nächsten Tage arbeitest du für uns Bewohnerinen des Dorfes?
Ist das ein Angebot?“ Das wurde ja immer schlimmer! „Nun gut, ich sehe,
das du dich vor dieser Aufgabe fürchtest, tapferer Krieger. Das war ja nur eine
Überlegung.“ Die Frau hatte Probleme, ihr Lachen mit dem notwendigen Luftholen
in Einklang zu bringen. „Unsere Scherze sind oft etwas rauer, das macht das
Leben hier. Bleibt es dabei?“ „Nichts zu machen?“ wagt sich der ehemalige
König hervor, „ich arbeite etwas mehr oder länger und du erzählst mir doch
alles? Nein?“ Von neuem belustigt schüttelt Uma nur den Kopf. „Kein
Verhandeln möglich, Uma?“ Aragorn weiß um sein mangelhaftes diplomatisches
Geschick. Und inzwischen hat er auch gelernt, wann er verloren hat. Also
wird es bei der Abmachung bleiben. Heute nacht. Naja. Hoffentlich ist die
Nachricht über seine Gefährten wenigstens ausführlich. Besonders über den
verschollenen Legolas. Sein Blick wandert zu der immer noch grinsenden Uma
hin. Und löst weiteres Schmunzeln aus, das er mit der Bemerkung „solange es noch
hell ist, werd ich nach dem Brennholz sehen,…“, quittiert und nach draußen
verschwindet.
Bei Einbruch der Dämmerung ist der Holzhaufen tatsächlich
ein gutes Stück kleiner geworden. Sauber aufgestapelt liegen die Scheite unter
einem behelfsmäßigen Dach. Wenigstens etwas, denkt sich Aragorn, als er den
schmerzenden Rücken streckt und sich seine blutenden Hände ansieht. „Wo ist nur
meine Ausdauer geblieben?“, schüttelt er über sich selbst den Kopf. „So kann ich
nicht im Winter wandern, zuerst muß ich meine alte Form wieder erreichen.
Belastbarer werden. Das mich das Stadtleben so verweichlicht hat,… Da kann ich
genauso gut hier noch mithelfen. Aufbauen, na ja, unvorstellbar anstrengend, auf
diese Art überleben zu müssen. Bei all den Kindern.“ Von Neuem geht ihm der
Gedanke an die alten Gefährten durch den Kopf. Sie zusammensuchen um dann einen
zweiten Versuch zu wagen. Noch einmal das Reich erobern und all die korrupten
Nutznießer des Krieges die sich unter seiner schwachen Herrschaft halten
konnten, zur Rechenschaft ziehen. Den Clan der Olvar am besten in irgendwelche
Steinbrüche schicken, für diese Demütigungen! Haß steigt hoch, vermischt sich
mit Abscheu. Diese Bäuerin weiß eventuell wirklich etwas. Aber wer dieser
Reisende gewesen sein mag?
Gedankenversunken betritt er die Wohn- und Schlafstube neben der Küche. Uma ist
als einzige noch wach, erwartet ihn unter ihren fadenscheinigen Decken.
Aragorn betrachtet im schummrigen Kerzenlicht ihre Umrisse, als er sich
zögernd auskleidet. Eine stämmige, hart arbeitende Frau mit einem respektlos -
direkten Sinn für Humor. Warum auch nicht? Sie hat ihn ohne lang zu
fragen aufgenommen. Sie hat ihn sich verdient. Aus dieser Sicht kann er sich
für diese „Abmachung“ sogar etwas erwärmen. Und außerdem, was bleibt ihm anderes
übrig, wenn er Nachricht über seine Freunde erhalten will? Zudem findet er sie
auf einmal sogar sympathisch in ihrer verschmitzten Freimütigkeit. Ihn mit
mutmaßlichen Geschichten ködern und ins Bett locken! Und er folgt wie ein braver
Stallbursche ohne viel zu diskutieren! Halbherzig schmunzelnd über sich
selbst schlüpft er unter die Decke. „Hast du Angst vor mir, Fremder?“, fragt
ihre leise Stimme an seinem Ohr. „Oder warum zögerst du?“ „Nein, natürlich
nicht“, beeilt sich Aragorn ihr zu versichern. Jetzt bloß keinen Verdacht
aufkommen lassen! „Das ist mir nur so ungewohnt. Ist es bei euch üblich,
Wanderer direkt ins Bett zu drängen?“ „Zu drängen?“ kommt die Gegenfrage,
„Normalerweise geschieht das umgekehrt. Weißt du, was in den Kriegen hier
überall in den Dörfern geschehen ist? Du warst doch sicher auch dabei und hast
gekämpft, und auch geplündert und dir die Frauen genommen, die du haben
wolltest. Wie alle anderen. Und meine Aufforderung, eine Gegenleistung zu
bringen, für das, was ich dir berichten könnte, findest du jetzt also
ehrenrührig?“ Uma hat sich während ihrer Rede halb aufgerichtet und gerät
mittlerweile in Eifer. „Und jetzt sind alle Männer tot oder haben uns verlassen.
Lieber weiter Plündern und sonst wo das Glück versuchen, wie sie sagen. Bloß
nicht arbeiten, immer da sein und sich um Felder und Vieh kümmern! Das scheint
euch ja zu mühsam zu sein!“ Sie schnappt nach Luft.
Ihre Empörung wirkt
sehr eindringlich auf Aragorn. Waren seine Heere wirklich so rüde und grob mit
der Bevölkerung umgegangen? Und wieso hatte er das als Feldherr nicht
verhindert? Warum hatte er noch nicht einmal daran gedacht, daß solche
Unmenschlichkeiten überhaupt alltäglich geschehen könnten?
„Aber ich
doch nicht…“, fällt ihm nur ein, zusammengeschrumpft in die Decken zu stammeln.
„Nein, du natürlich nicht, du bist selbstverständlich die große Ausnahme.
Immer edel und zuvorkommend zu Frauen und Kindern, ein edler Kämpfer für das
Gute, nicht wahr?“
Die Pause, die auf diese sarkastische Bemerkung
folgt, zieht sich so lange hin, daß er doch einen sprachlosen, schuldbewussten
Blick auf seine Bettgenossin wagt. Und erstaunt registriert, dass ihn diese
nicht mehr anklagend, sondern mit ruhiger Aufmerksamkeit ansieht. „Das ist
hoffentlich alles vorbei. Wir haben überlebt und du scheinst wenigstens hier
redlich zu sein. Abgesehen davon, deine Beschämung ehrt dich, Arak. Und
außerdem, du gefällst mir, und ich will dich jetzt haben!“
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