Titel: Wege
Autor: Ilkiran


Erinnerungen

Die Dunkelheit zieht über die Bäume und taucht das Land in einen einzigen großen Schatten.
Zusammengekauert sitze ich unter dem Felsen, in dessen Schutz ich die nächsten, schrecklichen Tage verbringen will.
Es hat angefangen.
Schleichend, aber unaufhörlich.

Schon auf dem Ritt bis hierher hat jede einzelne Faser meines Körpers nach den Kräutern geschrien. Nun verstecke ich mich unter einer Decke vor den Nachtgestalten in meiner Vorstellung, schweißgebadet, dabei von Kopf bis Fuß zitternd. Das fahle, dunstige Mondlicht ist nicht zu ertragen, viel zu hell, dringt bis in die letzten Winkel meines Kopfes. Ein Feuer würde mich vielleicht wärmen, aber die Helligkeit der Flammen würde mich erblinden lassen. Zweifellos.
Mühsam zwinge ich mich, die Augen offenzuhalten. Das hält die Bilder, die in meinem Kopf darauf warten, hervorkommen zu können um mich aufzufressen, gerade noch ab, mich zu überfallen.
Das Zittern verstärkt sich. Eiseskälte kriecht die Beine entlang, macht sie gefühllos. Bald weiß ich nicht mehr, ob ich noch auf dem Felsen sitzte oder schon mit dem harten Untergrund verschmolzen bin. Ich bin kaum noch in der Lage, die notdürftige Decke enger um die Schulter zu schließen. Die bebenden Finger, die sich in den Stoff verkrampfen, erscheinen blau. Gehören sie wirklich zu mir?
Das Frieren erreicht mein Eingeweide, Krämpfe folgen. Keine Kampfverletzung war je schlimmer. In regelmäßigen Abständen ziehen sie sich durch den gesamten Körper, lassen keine Stelle aus. Zwingen mich immer näher an die Bewusstlosigkeit heran. Furcht vor dem mit den Vorstellungen gefüllten Dunkel hüllt mich ein. Eine Furcht, die tief im Innersten meiner Seele entstanden ist.
Und Fragen verbirgt.
Dann geschieht es.
Der letzte, mühsam festgehaltene Rest der Wirklichkeit verschwindet.
Ich falle in die Schatten, jeder Versuch, zu greifen, mich festzuhalten, schlägt fehl.

Jetzt bin ich ausgeliefert.
Wieder bedrängen mich die Bilder von Flammen, brennenden Scheiterhaufen, vekohlten, in den verzerrtesten Stellungen verkrampften Gliedmaße. Wie schon früher, als ich zu lange auf den Kräutertee warten musste. Aber diesmal ist es nur der Anfang.

Ich bin wieder mitten in einer Schlacht. Es ist ein erbitterter Kampf um eine der abtrünnigen, Sauron verfallenen Menschenstädte. Überall brennen die Häuser, Flammen schlagen weit in den durch Rauch verdunkelten Himmel hinein. Stickige Hitze behindert das Atmen, läßt den Schweiß in Strömen herabrinnen. Das Straßenpflaster ist glitschig. Stolpernd und über und über mit dem vergossenen Blut der verfeindeten Menschen und ihrer verbündeteten Orks bedeckt, in der Hand den rutschigen Schwertgriff, folge ich der Vorhut von Aragorns Heer.
Eine Allianz der Elben und Menschen.
Für das Gute.
So sollte es doch sein?!

Beißender Gestank nach brennendem Holz und verbranntem Fleisch hängt immer schwerer in der Luft. Die Gebäude stürzen ein, Funken regnen auf uns und die flüchtenden Bewohner herab. Viele werden unter den Balken begraben, können sich nicht mehr befreien. Die verzweifelten Schreie der Eingeschlossenen und Sterbenden gellen in meinen Ohren.
Eine Gruppe von Menschenkriegern, unter ihnen auch Frauen und einige Kinder, versuchen, sich vor dem Feuer und vor uns auf einen freien Platz zu retten. Dort angekommen, bilden die Krieger einen schützenden Ring um die Frauen und die wenigen Verwundeten, die sich mitschleppen konnten. Eines der letzten Gefechte in dieser Schlacht.
Die Männer kämpfen bis zum Äußersten, selbst noch als sich die meisten von ihnen schon nicht mehr fest auf den Beinen halten können, geben sie nicht auf.
Ihre Verteidigungslinie wird von den Elbenkriegern hinweggefegt. Ein Trupp meiner Leute stürzt sich auf sie, kennt keinerlei Erbarmen und überrennt sie einfach. Schwerter und Äxte treffen auf Gliedmaße, trennen Arme und Beine ab. Die so Getroffenen kriechen noch einige Meter, bis der Blutverlust sie sterben läßt.
Eine Gnade.
Schädelknochen brechen unter den Hieben der Schwerter auseinander, das Gehirn bespritzt alle, die sich in der Nähe befinden. Ein kräftiger Mensch spaltet eine der verzweifelt sich wehrenden Frauen in der Mitte. Aus dieser Gruppe überlebt nicht einer.
An anderer Stelle geht das Blutbad weiter. Ich sehe Menschen und auch Elben – aus unserem Heer – die wahllos alle der Flüchtenden erschlagen. Unterschiedslos. Noch kämpfende Männer, verzweifelnde Frauen, wegrennende Kinder. Verstümmelte Körper liegen auf den Straßen übereinander, manche davon bewegen sich noch in stummem Entsetzen.
Obwohl die Stadt schon lange eingenommen ist, weitere Kampfhandlungen unnötig wären, wird weiter getötet. Jeder der auffindbaren, noch lebenden Einwohner, gleichgültig ob Ork oder Mensch, wird in Gruppen zusammengetrieben und hingemetzelt. Das Heer ist einem nahezu unstillbaren Blutdurst verfallen.
Ich sehe mich durch die Straßen irren, hier und dort versuchen, jemanden zu retten, ein Blutbad zu verhindern.
Niemand hört mich.
Das Geschrei der Sterbenden übertönt nun selbst das Kampfgetümmel.

In einem der noch stehenden Gebäude stoße ich auf einen hochgewachsenen Elben. Der Kleidung nach ein Hauptmann eines Trupps. Bewaffnet bis an die Zähne, mit allen erdenklichen Waffen, selbst mit den bei uns unüblichen ist er gerüstet. Er hat in dem zur Straße hin offenen Raum – eine Scheune vielleicht? – eine Menschenfrau in die Ecke gedrängt, ist dabei, ihr die verbliebenen Kleider vom Leib zu reißen. Daneben wimmert ein Kind, versteckt sich hinter einem herabgefallenen Balken.
Vor lauter Empörung rasend, stürze ich auf den Elben zu, will ihn hindern: „Bist du ein Ork? Du Bestie, laß diese Frau gehen, die Stadt hat doch schon längst aufgeben. Das muß aufhören. Sofort!“
Er dreht sich halb um, versetzt der Frau, die sich seinem Griff entwinden will, einen derben Schlag ins Gesicht, der sie auf den Boden schleudert und bemerkt nur: „Was hast du? Sind die mit ihren Orkverbündeten etwa besser mit ihren Gefangenen umgegangen? Ich nehme mir nur was ich mir erkämpft habe!“
Dem Versuch, ihn wegzuziehen folgt ein Gerangel. Die Frau kann weglaufen, aber das Kind schaut mit weit aufgerissenen Augen zu. Als wir uns mit gezogenen Schwertern gegenüber stehen, schon aufeinander losschlagen wollen, rennt das Kind ebenfalls los. Vor Entsetzen blind.
Genau in mein Schwert hinein.
„Das hast du nun davon.“, höhnt der Elb und geht nach draußen.

Fassungslos starre ich das tote Kind an, die Waffe immer noch in Händen.
Lasse das Schwert schließlich fallen.
Stürme auf die Straße.
Nur noch fort hier!
Auf dem freien Feld vor der Stadt kann ich mich ins Gras fallen lassen. Selbst hier ist der Brandgeruch intensiv, läßt mich würgen.
Ich kotze.
Immer wieder, bis nur noch Schleim kommt.
Wühle mich in den Erdboden.
Halte mir die Ohren zu.
Eine Ewigkeit lang.

Die aufgehende Sonne des neuen Tages läßt mich wieder zu mir kommen. Und zeigt mir das ganze Ausmaß der Zerstörung. Die Feuer brennen noch hier und da, der Qualm liegt schwer auf dem Ort der Verwüstung.
Voller Entrüstung eile ich zurück, möchte den verantwortlichen Heerführer für dieses Gemetzel zur Rechenschaft ziehen.
Die Soldaten sind damit beschäftigt die Straßen frei zu machen. Tote werden auf die üblichen Scheiterhaufen geschichtet. An jeder Ecke brennen sie.
Die schwerer Verwundeten erwartet ein Schwerthieb ins Genick. Gefangene Orks sowieso. Ergeben harren sie auf ihr Ende.
Das provisorische Hauptquartier ist leicht zu finden, davor sitzen die gröhlenden, halbbesoffenen Sieger. Meine Leute.
Der Heerführer nimmt kaum Notiz von meinen Vorhaltungen.
Was ich den überhaupt wolle? Die Stadt sei eingenommen, ein strategisch wichtiger Ort. Schnell und sicher sei sie erobert worden. Niemand könne dem Heer von hier aus mehr in den Rücken fallen.
Und all die Toten? Sind doch alles Feinde gewesen. So sei Krieg eben, ob ich das vergessen hätte, als Kronprinz?

Mit einem Stöhnen öffnen sich die Augen.
Der Wirbel aus Toten, schreienden Verletzten, abgerissenen Gliedern und den Augen des Kindes verblasst.
Nach und nach erkenne ich schemenhaft die Umgebung. Bäume, Felsen.
Ruhe.
Aber kaum schließe ich die Augen, fallen diese Bilder wieder über mich her.
Diese Stadt. Und die nächste.
Kein Ende.
Endlose Gräuel eines Krieges, in dem Gut und Böse nicht mehr zu trennen sind.

Es regnet stärker. Die Tropfen beißen sich durch die Haut, ätzen meine Knochen an. Der harte Fels, auf dem ich liege, arbeitet sich zu meinem Rückgrat vor. Bald weiß ich nicht mehr, wo mein Körper aufhört und der Boden anfängt. Die Erde saugt mich auf.
Zeitlosigkeit.
Tage und Nächte ziehen vorüber. Sie sind ohne jede Bedeutung.

Irgendwann erscheint mein Geliebter. Lächelt mir zu.
Überrascht richte ich mich auf, möchte auf ihn zugehen, berühren, umarmen. Wie kommt er hierher?
„Haldir,…“
Bevor ich ihn erreichen kann, verzerrt sich sein Miene zu einer Grimasse. Die Kleidung fällt stückweise von ihm ab. Die weiche Haut seines Gesichtes, die ich so oft liebevoll gestreichelt hatte, verändert sich. Wird grau. Hängt in Fetzen von den Knochen herab. Große Augenhöhlen starren mich an. Überall dicke weiße Maden.
Eine Knochenhand streckt sich in meine Richtung.
Hilfesuchend.
Ich breche zusammen.
Schuld.

Ein heller sonniger Morgen in Düsterwald. Gerade habe ich mich von ihm verabschiedet, gehe beflügelt zu meinen Räumen. Es war eine wunderschöne Nacht gewesen. Voller Harmonie diesmal. Ohne das übliche Spiel um die Vorherrschaft in den Decken. Das niemand von uns beiden auf Dauer gewinnen konnte.
Es gelang mir, zu vergessen.
Heiter schaue ich mich während des Weges in dem herrlichen Garten um. Die Pflanzen spiegeln in ihrer Fülle die Größe der Zuneigung für meinen Geliebten.
In meinen Räumen angekommen, möchte ich noch dem nächtlichen Erlebnis nachhängen. Das Glück verlängern. Nachschwingen.
Ich öffne ein Lied vor mich hin summend die Tür zu meinem Schlafzimmer.
Und bleibe erstaunt stehen.
Der Raum ist mit Elben gefüllt.
Elben aus meines Vaters Leibgarde.
Der König sitzt in der Mitte, bekleidet mit einem offiziellen Gewand. Sieht mich ernst und distanziert an.
„Vater,“, beginne ich, „was führt Euch zu so früher Stunde in meine Räume?“
Keine Antwort. Nur Stirnrunzeln.
„Kann ich Euch mit etwas behilflich sein?“, fahre ich, verwirrt über diese Szene, fort. Ich war zwar in die Regierungsgeschäfte mit eingebunden, aber zur Zeit gab es nichts Wichtiges zu erledigen. Nichts, was eine offizielle Aufmachung erforderte. Und hier in meinen Privaträumen, in meinem Schlafzimmer?!
„Vater, wenn Ihr mir erklären könntet, was soll das bedeuten?“, wage ich einen weiteren Vorstoß.
„Vater nennst du mich? Du bist nicht mehr mein Sohn!“
Gemessen erhebt er sich. Achtungsgebietend.
Die Würdenträger, einige von ihnen gute Freunde von mir, schauen betreten zu Boden.
„Was geht hier vor?“, frage ich mich halblaut.
Seine Würde läßt ihn weit größer erscheinen als alle anderen im Raum. Seine Erhabenheit ist übermächtig.
Die Garde bildet einen Kreis um mich, führt mich ab.

An der Stätte, an der üblicherweise über die seltenen Verbrecher Gericht gehalten wird, hat sich eine große Anzahl meines Volkes versammelt. Es ist ruhig. Niemand redet.


Niemand sieht mich an.

Auf der freien Mitte des Platzes steht Haldir. Mit blutendem, geschwollenem Gesicht. Von zwei seiner eigenen Soldaten bewacht.
Ich werde neben ihn gestellt.
Ich vor Gericht wie ein Verbrecher? Wegen meines Geliebten? Vom eigenen Vater angeklagt und verurteilt? Das konnte nicht sein! Und außerdem, seit wann war die Liebe zwischen Männern sträflich?
Der König trägt die Klage vor.
Ich hätte ihn hintergangen. Mich einem einfachen Hauptmann hingegeben. Meine Pflichten vernachlässigt. Mich einer politischen Heirat entzogen. Meinen Willen über den Willen des Staates gestellt.
Den Gehorsam verweigert.
Mit geneigtem Kopf höre ich die Anklage an. Versuche, Haldir zu schützen. Uns zu rechtfertigen.
Mit hartem Blick verkündet der Herrscher das Urteil über uns beide:

„Legolas Grünblatt, höre meinen Spruch:
Ich, Thranduil, König über dieses Reich, entziehe dir den Namen. Da du deine Vergnügungen höher als das Wohl des Reiches erachtet hast, wirst du nicht mehr zu uns gehören. Wandere ziellos in der Verbannung umher, in den Elbenstädten geächtet, in den Wäldern rechtlos. Nur deinen Verdiensten als Ringgefährte hast du noch dein Leben zu verdanken.“
„Nun zu dir, Hauptmann.“ Gleichgültig wendet er sich zu Haldir. „Du hast den Thronfolger verführt. Er ist dir hörig gewesen. Dafür wirst du sterben.“

Ohne ein weiteres Wort wendet sich der König ab und zieht sich zurück.
Fassungslos wechseln Haldir und ich einen letzten Blick. Dann werden wir abgeführt. Die Wachen verweigern uns den Abschied.
Auch Elben können gnadenlos sein.

Im tiefsten Verlies unter dem Palast meines Vaters finde ich mich wieder.
Eine endlose Zeit des Wartens und Bangens beginnt. Verzweiflung und Hoffnung wechseln sich ab.
Die Wachen öffnen die Tür. Nehmen mich mit.
Der König geht voraus. Wortlos.
Haldir am Ende des Ganges.
Ein leichter Kuß streift meine Lippen.
Meine Augen bitten um Verzeihung.
Der König reicht mir einen Dolch.
Wie von selbst gleitet die scharfe Schneide durch die Kehle meines Geliebten.

Ein heißes Eisen brennt sich in meine Hüfte.
Hinterlässt ein Zeichen
Ich spüre nichts.

Tage später verlasse ich Düsterwald.
Irre ziellos umher.
Erreiche die Menschenstadt.


Fremd

Ausgelaugt wache ich auf.
Es ist hell.
Unzählbare Tage sind vergangen.
Die Schreckgestalten der Träume schieben sich nach und nach in den Untergrund meines Verstandes zurück. Und lauern dort weiter.
Aber noch kann sich mein Selbst durchsetzen.

Ich bin wieder da.

Ich setze meinen Weg fort. Nach Norden. Auf kleinen Pfaden folge ich einer verblassten Spur. Ohne genau zu wissen, warum.
Zögernd kehren meine Kräfte zurück. Die Fähigkeit, in der Wildnis zu überleben ist immer noch vorhanden.
Von Zeit zu Zeit überfällt mich der Drang nach den Kräutern.
Aber der Wille zu widerstehen wächst mit jedem weiteren Tag.
Nur ein Ziel fehlt mir.
Sollte ich auf diese Art endlose Jahrhunderte verbringen?
Ohne Heimat, in Hoffnungslosigkeit, allein mit meinen Erinnerungen durch die Einöde streifen?

Es ist kalt.
Der Weg führt durch eine unfruchtbare Steppe. Sand und Staub machen dem Pferd zu schaffen. Es fehlt an Gras und Wasser. Zudem quält ein scharfer, beständiger Wind mich und mein Tier. Wirbelt den Sand auf. Die hartnäckigen Körner reiben die Haut wund, setzen sich in den Augenwinkeln fest. Mit entzündeten, tränenden Augen suche ich einen Weg durch diese kalte Wüste, in der die Wasserstellen spärlicher werden.
Eine solch unwirtliche, monotone Gegend habe ich noch selten durchquert.

Die Gedanken verselbstständigen sich wieder einmal. Einer dieser unangenehmen Traumzustände, die mich laut nach den Kräutern schreien lassen, stellt sich ein.
Nicht nur Haldir habe ich verraten, ich verließ auch Aragorn. Der unter den Menschen, der mir am meisten bedeutet hat. Der unter seiner Fügsamkeit in meinem Bett beharrlich sein politisches Ziel verfolgt hat. Das Gute erschaffen wollte in dieser Welt. Dafür seine ganze Tatkraft, sein Leben eingesetzt hat. Den ich deswegen bewundert habe.
Dessen Einsatz für eine segensreiche Herrschaft meine Eifersucht heraufbeschworen hat. Neid auf seine Aufgabe und auf seine Hingabe daran fraßen an meinem Herzen. So wurde die Distanz zwischen uns mit jedem Tag größer. Verletzter Stolz, nicht an erster Stelle stehen zu können. Die mit jedem Tag stärker werdende Gewißheit, Aragorn mit seiner Aufgabe, dem Reich und nicht zuletzt mit Arwen teilen zu müssen, ließ den Riß in unserer Freundschaft größer werden. Das Vertrauen zwischen uns schwand. Ich gestattete Aragorn keinen Zutritt zu meiner Seele mehr und ließ ihn schließlich bei seiner ungeheuren Aufgabe, ein zerrissenes, durch jahrzehntelange Kriege zerstörtes Reich zu verwalten, im Stich.
Zog es vor, mich zu betäuben.
Zuerst mit Haldir.
Dann mit den Kräutern.
Den weiteren Niedergang der Wirtschaft konnte ich dann aus dem Schenkenviertel beobachten.
Wenn ich denn noch etwas außerhalb der Kräuter und der Männer, die mir zu ihnen verhalfen, erfassen konnte.
Welches Gefallen hat mir eigentlich dieses elende Leben bereitet?
Die Kräuter sorgten für Vergessen, aber die endlose Reihe der Männer, die sich an mir befriedigt haben, …
An dieser Stelle endet die Offenheit gegenüber mir selbst.

Selbstsüchtig und besitzergreifend sei ich. Nicht bereit, mich dem Wohl von Vielen unterzuordnen. Nach außen der kühle, unnahbare Elb, der überlegene Krieger und umsichtige Staatsmann. Aber nicht fähig, andere wirklich zu lieben, sie an mein Inneres heranzulassen. Furcht vor Nähe würde mich bestimmen. Die Furcht, mich in einem anderen Menschen zu verlieren.
Harte Worte meines Königs.
Im Zorn gesagt und dennoch unwiderruflich.
Ich verließ Aragorn, um nie wieder zurückzukehren.
Dann sollte mich meine Überheblichkeit fast meinen ganzen Stolz kosten.

Die Gegend, durch die ich ziehe, ändert wieder einmal ihren Charakter. Der Sandboden geht in unwirtlichen Fels über. In der Ferne sind die ersten Ausläufer des Gebirges auszumachen und auf den Berghängen liegt bereits früher Schnee.
Es ist spät im Jahr, um nach Norden zu reisen.
Ich überlege, in einer der menschlichen Ansiedlungen, die vereinzelt in den Tälern zu finden sind, zu überwintern. Die Ausrüstung zu vervollständigen. Mich auf den Weg durch die Berge, durch Moria vorzubereiten.
Vereinzelte krumme Bäume wachsen zwischen den Felsbrocken, halten sich mit langen Wurzeln im Gestein fest. Windschief und immer in Gefahr, beim nächsten Sturm entwurzelt zu werden. Mein Pferd nagt das harte Gras ab, um wieder zu Kräften zu kommen.
Ohne Ziel wandert es sich schleppend.

In einer Bergwand entdecke ich einen von Gestrüpp gut geschützten Höhleneingang. Das Pferd unter einem Baum verbergend, steige ich bedächtig nach oben, sorgfältig das Gelände sichernd.
Sich nur nicht von einem Orktrupp überraschen lassen!
Die Öffnung in der Felswand führt zu einer geräumigen Höhle, die sich noch ein Stück weit in den Berg hineinzieht. Ausgedehnt genug, mich für einige Tage aufzunehmen. Und verborgen genug, mich vor Spähern der Orks oder Menschen zu schützen. An diesem Ort werde ich erst einmal bleiben.
Die folgenden Tage sind ausgefüllt mit Jagen, dem Ausbessern meiner dürftigen Ausrüstung und den mich beharrlich verfolgenden Bildern meiner Vergangenheit.


Etwas stört meine Zurückgezogenheit. Eine Veränderung ist eingetreten. Zwar ist niemand zu sehen oder zu hören, aber es scheint, daß jemand hinzugekommen ist. Angespannt trete ich nach draußen, Waffen in der Hand und höre auf die Nachtgeräusche. Versuche, Realität und Trugbilder zu unterscheiden. Denke an Orks. Aber diese schleichen sich gewöhnlich nicht leise an, sondern überfallen in der Übermacht. Aber wer sonst hält sich zu dieser Jahreszeit im Vorgebirge auf?
Lauschen und warten.

Ein leises Hüsteln läßt mich schließlich herumfahren.
In der Ecke, die ich zum Wohnen bestimmt habe, sitzt eine schattenhafte Gestalt vor dem heruntergebrannten Feuer. Ein Rabe pickt an meinem Abendessen herum.
„Sirk’an?“
„Deine Aufmerksamkeit hat nachgelassen, Legolas.“
Diese melodische, sanfte Stimme läßt mich erschauern.
Wie konnte er sich nur herangeschlichen haben, ohne daß ich es bemerkt habe? War ich immer noch so krank?
„Aber ich hätte wirklich nicht gedacht, daß du so schnell vorwärts kommen würdest. Bei den meisten dauert der Abschied von den Kräutern Jahre,… Du bist stärker wie du glaubst, Legolas.“
„Wie?? Jahre???“
Mein Besuch läßt sich Zeit mit der Antwort. Stochert im Feuer, legt Äste nach. Grinst leicht in meine Richtung. „Nun ja, bei den Menschen jedenfalls. Wenn sie es denn überleben. Bei dir als Elb ist diese Zeitspanne nicht so bedeutsam. Oder?“
Sirk’an hält dem Raben ein Stück gebratenes Kaninchen hin.
„Ist dir bei all den Schattenbildern, die deinen Geist umflattern, inzwischen eingefallen, woher wir uns kennen?“, fährt er das Gespräch fort.
Stumm schüttele ich den Kopf. Eine Vermutung steigt auf, sicher, aber keine genaue Erinnerung. Wobei es mir noch anhaltend schwer fällt, mich in dieser Welt zurechtzufinden und zu erkennen, was Sinnestäuschung ist und was nicht.
„Hmm. Wie schade. Eigentlich hätte ich gedacht, ich wäre beeindruckender gewesen.“
Die anziehende Stimme bekommt einen verschmitzten Unterton.
„Jedenfalls habe ich dich nicht vergessen. Obwohl wir vom Alten Volk sonst wenig mit Menschen und Elben zu tun haben. Warum denn auch? Führt ihr nur eure Kriege und überlasst uns der Vergessenheit.
Ich allerdings bin schon immer gerne gewandert. Und da kreuzten sich unsere Wege. Vor einem Jahrtausend.“
„Wirklich? Das ist lange her, Sirk’an.“
„Na? Soll ich dir noch einen Hinweis geben, du vergesslicher Elb mit dem kalten Herzen? Oder sollte ich sagen, mit dem frierenden Herzen?“.

Dieser geheimnisvolle Mann weiß viel über mich. Woher? Vor einem Jahrtausend. Ja, gewiß, da war etwas gewesen. Bruchstückhafte Erinnerungen steigen hoch.
Eine meiner ersten einsamen Wanderungen. Hoch im Norden. Die Flucht vor einem erdrückenden Leben als Kronprinz in der Obhut seiner Lehrer. Flucht vor der überwältigenden Langeweile in Düsterwald.
Die Mauern von Angmar. Die Berührung mit der kalten Magie derer, die den Ringen verfallen sind.
Und Sirk’an? Er war auch zugegen. In welcher Rolle? Unsicher durchforste ich die sich überstürzenden Gedanken. Wärme, ja, aber auch Grausamkeit. Nur, wo war der Zusammenhang?
Das flackernde Feuer wirft weiter seine verbergenden Schatten.
Aber in der Höhle ist es jetzt warm. Und Sirk’ans ruhiges Lächeln tut ein Weiteres dazu. Die Wärme geht von ihm aus. Tut gut. Erfüllt mich.
Ich setze mich neben ihn. Ein Umhang aus ungewöhnlichem Gewebe umhüllt uns, schließt den Frost aus.
Lange starre ich ins Feuer.

Mein frierendes Herz sehnt sich nach dieser wohltuenden Wärme, die von Sirk’an ausgeht. Obwohl ein letztes Misstrauen bleibt.
Suchend dränge ich mich an ihn. Möchte von ihm geschützt sein. Frieden finden.
Und werde gehalten.
Ich lasse mich nach kurzem Zögern in diese schwarzen Augen fallen, vertrauensvoll und unwiederuflich. Sanfte Berührungen huschen über meine Wangen, erkunden die Einzelheiten meines Gesichtes.

Wischen mit meinen Tränen die Spuren der vergangenen Jahre davon.

Die Verschlüsse meiner Tunika werden von geschickten Händen geöffnet. Sie helfen mir, das überflüssig gewordene Kleidungsstück abzustreifen. Dämpfen meine Hast, indem sie mich mit leichtem Druck auf meine Decken zurückpressen. Erwartungsvoll blicke ich in das feingeschnittene Gesicht von Sirk’an, der neben mir liegt, auf einen Ellbogen aufgestützt und seine unergründlichen Augen über meinen halbnackten Körper wandern läßt. Ich hoffe auf weitere Berührungen, fasse fragend seine Hand, um sie zu mir zu ziehen.
Und werde nicht enttäuscht.
Leicht und dennoch bestimmt bewegen sich seine Finger über meinen ungeduldigen Körper. Streicheln sanft über meine Lippen, erkunden Halsbeuge und Oberkörper. Hinterlassen Schauer auf meiner Haut.
Ich beantworte seine Zärtlichkeiten mit einem losgelösten Seufzen. Überlasse mich ganz den zärtlichen Berührungen, die ich so lange ersehnt hatte, ohne es zu wissen.
Ich frage mich nicht mehr, wer er sein könnte. Er ist einfach da.
Ein Traumgebilde?
Aber er scheint mich sehr genau zu kennen.
Seine Lippen ziehen Spuren über mein Gesicht, verharren an meinem Hals. Zähne graben ihre Zeichen in meine empfindsame Haut. Verspielt saugt sein Mund an meinen sensiblen Brustwarzen bis ich nicht mehr ruhig unter seinen Liebkosungen liegen bleiben kann. Mein Körper windet sich unter seinen Küssen und kleinen Bissen, als seine Lippen sich von meinem Oberkörper aus langsam weitertasten. Der Stoff meiner Hose stört ihren Weg. Hastig löse ich mit zittrigen Fingern die Bänder, reiße den Stoff fast auseinander, in dem Versuch, sie von meinem Gesäß abzustreifen.
Nackt und vor Erregung am ganzen Körper zitternd liege ich unter dem verschleierten Blick von Sirk’ans tiefen Augen.
Er läßt sich Zeit.
Eine Fingerspitze streicht über meine Leiste an den Hüftknochen vorbei. Umgeht sorgfältig mein aufgerichtetes Glied, um dann die Innenseite meiner Oberschenkel weiterzustreicheln.
Immer wieder. Federleicht.
Stöhnend winde ich mich unter diesen wissenden Händen. Biete mich an.
Rufe seinen Namen.
Sirk’an erhört mich. Zu einem kleinen Teil.
Mit der ihm eigenen Biegsamkeit drängt er sich zwischen meine weit gespreizten Beine, bezwingt meine sich aufbäumenden Hüften mit seinen Lippen.
Seiner Zunge.
Seinen Zähnen.
Letztendlich erreicht er mein schmerzhaft gefülltes Glied.
Bedächtig leckt sich seine geschickte Zunge höher, bis sie meine Gliedspitze erreicht.
Dort verharrt sie, tastet sich in winzig kleinen Schritten vorwärts. Sucht sich die empfindlichste Stelle meines Körpers. Um zart darüberzustreichen. Um mit der Spitze in die verborgene Öffnung einzudringen, die Zeichen meiner Lust aufnehmend.
Ich verliere mit jedem seiner Zungenschläge mehr von meiner Beherrschung. Sie schmilzt einfach dahin. Alle meine Empfindungen konzentrieren sich nur noch auf diesen Ort zwischen den Beinen, der von Sirk’an so einfühlsam verwöhnt wird.
Kleine Explosionen ziehen sich von meinem Glied ausgehend in den Bauch hinein, wandern die Leisten hinauf. Überziehen meinen gesamten Körper. Steigern die Sehnsucht nach dem Ende immer schmerzhafter.
Aber Sirk’an zögert die Erfüllung meines Wunsches hinaus. Nimmt sich zurück. Genießt den Anblick meines sich aufbäumenden Körpers – und die Auflösung meines Geistes.

Dankbar dränge ich mich in seinen Mund, als er es endlich zulässt.
Zitternd und nach Mehr verlangend liege ich neben ihm, unter ihm.
Möchte ihn ebenfalls umarmen, küssen, besitzen. Und wage es nicht, aus tiefer Scheu vor der Unergründlichkeit in seinen Augen. Darin liegen uralte Welten, Erfahrungen, die ich nicht teilen möchte – und trotz allem Heiterkeit.
Also versenke ich mich in seinen Zärtlichkeiten. Öffne meine Seele für ihn, ohne mich zu fragen, was daraus folgen mag.
Geschmeidig schmiegt sich Sirk’an an mich, gibt mir seinen Körper und steigert mein Verlangen weiterhin schmerzhaft langsam, während ich nachgiebig jeder seiner Bewegungen folge, mit ihm verschmelzen möchte. Ein verzweifeltes Keuchen schleicht sich über meine Lippen, als er sich bereit macht, in mich einzudringen, und ich mich zitternd öffne, mich ihm entgegendränge. Wortlos bitte ich ihn, sein Tempo zu steigern, was er mit einem schalkhaften Lächeln ablehnt.
„Damit du mich wieder die nächsten 1000 Jahre vergisst, mein verwirrter Elb?“, flüstert seine sinnliche Stimme als Antwort nahe meinem Ohr.
Liebevoll aber verhalten streicht er mit seiner Zungenspitze über meine Ohren, läßt sich noch mehr Zeit damit, vollständig in mich einzudringen und zeigt mir damit seine Absicht, mich weiter warten zu lassen, überdeutlich. Aber immerhin beginnt er inzwischen ebenfalls um seine Fassung zu kämpfen, wie mir endlich sein schneller werdender Atem verrät.
Nachdem er mich mit seinen qualvoll behutsamen Stößen nahe an den Rand der Auflösung getrieben hat, wird auch er leidenschaftlicher, drängt sich in schnellem Rhythmus hart in mich hinein, nimmt meinen Körper und meine Seele wiederum in Besitz.
In den Höhlenboden festgekrallt kann ich es nicht mehr ertragen.
Mit einem erlösenden Schrei gebe ich auf.
Mein Geliebter kommt gleich danach.
In der restlichen Nacht finde ich in den beschützenden Armen von Sirk’an Geborgenheit und den Frieden den ich immer ersehnt hatte.

Nach einem wunderbar entspannten Schlaf erwache ich als erster, und habe die Gelegenheit, mich in aller Ruhe in seinen Anblick zu vertiefen.
Nicht von unserer Welt.
Sirk’an wacht schließlich ebenfalls auf, zieht mich an sich. Eine Umarmung, die ich sofort beglückt erwidere. Ein unendlicher Kuß.
Endlich befreie ich mich widerstrebend aus den Armen meines neuen Geliebten, meines wiedergefundenen Geliebten. „Jetzt erinnere ich mich. Du warst mein erster Geliebter. Eigentlich.“ Voller Freude streiche ich über seine dunklen Haare. Gebe sein Lachen zurück. „Damals, in Angmar. Ich hatte dich nicht vergessen. Nur die Furcht vor den kalten Ringträgern legte sich über die Erinnerung. Sie hatten mein Herz zu stark berührt.“
Woher hatte ich nur das Vertrauen, meine Angst so leicht zuzugeben?
Dieser warmherzige Blick.
Zum drinn verlieren.
Alle weiteren Erklärungen werden durch seine Zärtlichkeiten weggewischt.

Später.

„Warum bist du damals gegangen, Prinz der Elben?“.
„Es war zu früh. Ich wollte ungebunden sein.“
„Und jetzt? Denke an das Land. Einmal in deinem Leben. Wann wirst du endlich bereit sein, deine Aufgaben in Mittelerde zu erfüllen? Oder willst du weiter ziellos wandern, dich von dem einen zum nächsten treiben lassen? All die kommenden Jahrhunderte?“
„Welche Aufgabe denn? Die Reiche der Elben sind mir verschlossen, die Menschen habgierig und grausam. Was sollte ich sonst tun als wandern?“

Nachdenklich liegt Sirk’an auf dem Rücken, starrt die dunkle Höhlendecke an.
Redet bedächtig weiter: „Du bist nicht nur Wanderer und Krieger, du wurdest auch in Staatsführung unterrichtet. Du kennst dich mit allem aus, was damit zusammenhängt. Du weißt um die Geschichten und Erzählungen der Elben, Menschen, und Zwerge. Ich frage dich: Warum? Warum bist du nicht bei Aragorn geblieben? Hast ihm beigestanden?“
Abrupt richtet sich Sirk’an auf. Wirkt auf einmal fast bedrohlich. „Ist dir eigentlich bekannt, was in diesem Menschenreich, das der König mit soviel Zuversicht hat einen wollen, geschehen ist? Wie er scheitern musste, nachdem du deinen verletzten Stolz über alles andere gestellt hattest? Wie groß die Verarmung des ganzen Landes ist? Du könntest die nächsten Kriege verhindern!“
„Ich? Wieder in den Menschenstädten leben? Mich vielleicht sogar erkennen lassen und schmierige Bemerkungen über verbannte Elben anhören müssen, die den Kräutern verfallen waren, noch immer sind.
Diplomatie betreiben? Mit meinem Vater etwa noch?
Nein! Also das kann jetzt wirklich niemand von mir verlangen, auch du nicht.
Laß mich mit dir gehen, Sirk’an. Ihr vom alten Volk haltet euch doch auch aus allem heraus, warum wird mir, ausgerechnet mir, die Zurückgezogenheit verweigert? Habe ich denn nicht genug getan?“
Wir sitzen uns gegenüber, funkeln uns an. Die Lautstärke des Wortwechsels steigert sich.
Unser Streit wird von Satz zu Satz erbitterter.
„Weil du der einzige bist, der sich in den Reichen gut genug auskennt. Der alle drei Völker verstehen kann. Wenn du dich bemühst. Der einzige, der auch die Straße kennt.“
Schnell senke ich das Gesicht, um meine Schamröte zu verbergen. Mit derartigen Anspielungen sollte ich tagtäglich unter den Menschen leben?
„Du könntest sogar mit den Orks auskommen. Es gibt genug unter ihnen, die nicht mehr unter der Knechtschaft der Dunklen Macht leben wollen. Wie gesagt, wenn du dich bemühen würdest. Dann wäre das Reich wirklich geeint. Und kein Sauron könnte mehr mächtig werden. Oder glaubst du nach deinen Kriegserlebnissen immer noch an die Trennung von Gut und Böse? Das sollte mich aber wirklich wundern!“
Dieser schöne Mann aus dem Alten Volk erwartet was von mir?
Ich sollte eine Allianz begründen aus Elben, Menschen, Zwergen und Orks??
Ich???

Das Wortgefecht ist damit schnell zu Ende.
Ich raffe meine wenigen Sachen zusammen und wähle wieder einmal den taktischen Rückzug.
Wer ist dieser Sirk’an überhaupt, daß er mir so einfach eine derart ungeheuerliche Bestimmung zuweisen kann?
Sein verhüllter Blick begleitet meine Flucht.
„Ich wünsche dir Erfolg, Legolas. Nehme diese Aufgabe an, Prinz mit dem frierenden Herzen. Denn wenn nicht,…“.
Mein Pferd ist fast schon außer Hörweite, als ich seine letzten Worte vernehme:
„Denke an Angmar zurück. Du wärest ein guter Diener der Dunklen Macht!“


Gefangen

Aufgebracht irre ich durch das von tiefen Tälern durchzogene Vorgebirge.
Wie kann Sirk’an nur solche Forderungen an mich stellen!
Orks als Verbündete!
Als gleichberechtigt Mitbeteiligte in einer Regierung!
Als Vertraute wohl noch?
Undenkbar! Das wäre Verrat.
Ich stutze. Schiebe diese Gedanken hin und her. Kaue darauf herum.
Orks. Verrat. Orks.
An wem eigentlich?
Gut, diese Schwarzen Krieger kämpften seit Ewigkeiten auf der Seite der Ringgeister, auf Saurons Seite. Oder überfielen Menschen und Elben auf eigene Rechnung. Aber, wo kamen sie eigentlich her? Gut, die Uruk-hais sind ursprünglich von Sauron gezüchtet worden. Und zogen seitdem in kleinen Stammesverbänden durch’s Land, plündernd und marodierend wie viele andere der ehemaligen Soldaten. Und, irgendwie mussten ja auch sie überleben, in ihren Höhlen und Verstecken. Wie würden sie sich verhalten, wenn sie nicht von allen gejagt werden würden, sich nicht in die tiefsten Bergtäler zurückziehen müssten?
Und, die gefürchtete Bitterkeit steigt wieder einmal hoch, wer hat in den letzten Jahren eigentlich wen verraten?

Mein Volk ist nicht besser, edler, wie es immer hieß, wie ich selbst zu gern geglaubt hatte. Die Menschen erst recht nicht.

Und ich? Bestimmt nicht.

Diese Gedankengänge riechen wirklich nach Verrat. Und zwar an den Grundsätzen meines Volkes gemessen.
Elben – Orks. Gut – Böse.
Orks – Elben. Falsch – Richtig.
Oder umgekehrt.
Oder weder – noch.
Hat es das überhaupt jemals wirklich gegeben, Weiß und Schwarz?
Auch in der Geschichte der Elben soll es Kriege jeder gegen jeden gegeben haben, …
Worüber die „Alten“ Elben allerdings nie gerne sprachen,…

Erschöpft halte ich inne. Es ist dumm gewesen, Sirk’an auf diese Weise zu verlassen. Selbstvorwürfe überfallen mich.
Verdammte Selbstgefälligkeit.
Schon wieder so ein überstürzter Aufbruch wegen Unstimmigkeiten in der Lebensaufassung. Außerdem hatte er nicht so unrecht.
Als ich mein Lager aufbaue, beschließe ich, am nächsten Tag zurückzukehren.

Der Schlaf ist tief und ruhig.

Ein leichtes Kitzeln unter dem Kinn schreckt mich schließlich auf.
Das Gesicht eines Uruk-hais blickt mich an. Neben der Kreatur stehen weitere. Insgesamt fünf.
Die haben mir gerade noch gefehlt!
„Der Elb hat einen seeligen Schlaf. Will überhaupt nicht aufwachen.“
Der große Ork wendet sich zu seinen Leuten um, die ihre Waffen auf mich gerichtet halten. Sagt etwas in ihrer harten, unverständlichen Sprache. Die anderen lachen, rücken mit ihren Schwertern näher.
„Du sprichst Westron?“ Der Ablenkungsversuch scheitert, natürlich, sie gehen nicht auf meine Worte ein.
Stricke werden hervorgekramt, während drei von ihnen mich im Auge behalten.
Unter der Decke umfasse ich den Dolch, die einzige Waffe, die ich zur Verteidigung einsetzen kann.
Den Überraschungsmoment ausnutzend, werfe ich die Decke von mir und greife den Nächststehenden frontal an. Der Erste taumelt mit durchschnittener Kehle gegen seinen verdutzten Nebenmann. Die übrigen drei sind jedoch sofort kampfbereit, auch der vierte erholt sich schnellstens von seiner Verblüffung.
Ich mit dem Dolch gegen vier Uruk-hais mit Schwertern. Auch bei meiner Wendigkeit ein sehr ungleicher Kampf, denn meine Widersacher sind gut aufeinander eingespielt.
Sie umringen mich von allen Seiten. Mache ich einen Angriff, springt der Bedrohte behände zurück, versucht mich dazu zu reizen, ihm zu folgen, meine Aufmerksamkeit nur auf ihn zu richten. Gleichzeitig stoßen die beiden, die sich hinter mir aufhalten, gezielt vor. Diese Kampftaktik von Orks ausgeführt, verwundert mich. Ansonsten kämpfen sie eher ungeordnet, jeder für sich, behindern sich selbst auch schon mal. Aber nun,… Dieser Stil ist beunruhigend gut durchdacht.
Und effektiv.
Mit schnellen Drehungen und Wendungen um mich selbst gelingt es mir zwar, einen von ihnen zu verletzen, aber letztendlich komme ich an keinen richtig heran. Ich kann weder einen Treffer setzen, noch gelange ich aus der Umkreisung heraus. Und sie sind ausdauernd und geduldig. Keine Fehler in ihrer Deckung. Aufeinander abgestimmte Angriffe.
Sie spielen mit mir.
Als ich mit einem geschickten Manöver überwältigt werde, muß ich ihren Kampfstil anerkennen. Sie haben aus den Kriegen gelernt.

In ein Netz zusammengerollt, werde ich durch die Nacht geschleift. Rücksichtslos über Äste und Felsbrocken, einen Hang hinauf. An einem der Steine schlage ich mich bewusstlos.

Blut sickert mir über die Stirn in die Augen. Es juckt. Ich will es wegwischen, aber meine Hände lassen sich nicht bewegen. Es braucht eine Weile, bis ich mich orientieren kann. Lang auf den Boden ausgestreckt, mit gepreizten Armen und Beinen an Holzpflöcke gefesselt. Sie scheinen tief in die Erde eingeschlagen worden zu sein, jedenfalls kann all mein Rütteln und Zerren sie nicht lockern. In dem dunklen Raum – wieder eine Höhle, schallen die Wortfetzen der Orks herüber. Sie halten sich wohl in einem Nebengang auf.
Ich lausche angetrengt ihrer Sprache, aber es will mir nicht gelingen, ihre Anzahl herauszufinden. Nur eine höhere Stimme fällt mir auf. Hatten sie ein Kind mit auf den Raubzug genommen?

Irgendwann nähern sich schwere Schritte. Die Uruk-hais, die mich gefangengenommen hatten, bauen sich neben mir auf.
In Erwartung von Misshandlung und Folter ziehe ich meinen Geist in mich zurück, suche den Ort in mir auf, von dem ich glaube, daß mich dort kein Feind, zumindest kein Ork erreichen kann. Aber es will mir nicht gelingen, ganz aus der Wirklichkeit zu fliehen. Diese Kreaturen sind immer noch da, vom Sieg über mich beflügelt, hohnlachend, bereit, mich zu quälen.
Harte, schwielige Pranken durchsuchen die Taschen in meiner Kleidung, reißen mir ganze Fetzen vom Leib. Ihre scharfen Krallen hinterlassen überall auf meinem Körper ihre Spuren, aus den tieferen Rissen sickert Blut. Ich bäume mich in dem hilflosen Versuch, diesen zudringlichen Händen zu entgehen, auf, werfe mich auf dem Boden hin und her. Das belustigt die Horde, regt sie gröhlend zu weiteren Übergriffen an.
Das blanke Entsetzen überfällt mich, wenn ich daran denke, was noch alles kommen wird. Hatte ich wirklich jemals den Gedanken, Orks seien fühlende Wesen, zumindest den Menschen gleich?
Ich liege inmitten der zerrissenen Kleiderfetzen. Meine Peiniger legen eine Pause ein. Machen es spannend.
Schließlich hockt sich der Anführer neben mein Gesicht, reißt meine Haare hoch. Wickelt sie um seine Faust. „Hängst du sehr an deinem Haar? Davon kannst du mir doch was abgeben, bei uns wachsen Haare nicht so schnell… Bitte, Bitte.“
Ein lautes Johlen und Gröhlen belohnt seinen Einfall.
„Habt ihr schon mal einen Elben mit Glatze gesehen? Ich noch nicht, …“
Das Gelächter springt an den Wänden entlang, überschlägt sich.
„Oder, Elb, wie viel ist dir deine Haarpracht wert, willst du mit oder ohne sie sterben?“
Er hält ein Messer vor meine Augen, läßt die Haare los.
„Du besitzt noch andere interessante Körperteile, Elb, die sich als Trophäe lohnen …“
Gemächlich wandert sein Blick nach unten.

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