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Titel:
Wege Autor: Ilkiran
Hilfe
Schweißgebadet warte ich auf seine Entscheidung. Haare, oder –
was? Die Zeit zieht sich. Alle anderen sind in Schweigen verfallen, erwarten
begierig den Fortgang der Quälerei.
Ein hoher dünner Schrei hallt durch
den höhlenartigen Raum. Gefolgt von Wimmern, Stöhnen, unverständlichen Worten.
Noch ein Gefangener unter der Folter? Aber die Orks erheben sich hastig,
stürzen zu dem Geräusch. Worte und hingeworfene Sätze steigern sich zu
Streit. Messer klirren. Dann verlassen schwere aber denoch eilige Schritte die
Höhle. Bis auf das unheimliche, hohe Stöhnen ist es nun ruhig. Endlich
gelingt es mir, Beine und Hände zu befreien. Immer noch blutend suche ich mir
einige schützende Kleidungsstücke aus den Resten zusammen. Eine nur
halbzerschnittene Hose, darüber eine herumliegende Decke gebunden. Gelingt mir
die Flucht, muß ich durch die Kälte. Sogar einen Dolch kann ich entdecken.
Seit wann lassen Uruk-hais ihre Waffen in der Reichweite ihrer Gefangenen
zurück? Warum sind sie überhaupt so übereilt abgezogen? Was ist geschehen?
Das Stöhnen geht in Gewimmer über. Ein wenig leiser, aber irgendwie mit
regelmäßigen Pausen, denen wieder diese peinigenden Töne folgen. Was mussten
das für Schmerzen sein!
Vorsichtig luge ich in den angrenzenden Gang der
kleinen Höhle. Ansonsten keine weiteren Abzweigungen, nur noch die größere
Halle, aus der die Öffnung nach draußen führt. Die beginnende Dämmerung wirft
das erste Licht. Schummrig und voller Schatten. Ich sehe einen hastig
verlassenen Raum. Gegenstände liegen herum. Einige Waffen. Der von mir
erschlagenen Ork liegt in einer Ecke aufgebahrt, daneben achtlos hingeworfen ein
zweiter. Als hätten nach einem handfesten Streit die Sieger die Wohnstätte eilig
geräumt. Aber warum? Als aufeinander angewiesener Kampftrupp bringen selbst die
wildesten Uruk-hais sich nicht gegenseitig um. Und wo ist der andere Gefangene?
Vorsichtig trete ich in den halbdunklen Raum hinein. Durchsuche die Höhle
genauer. Durcheinanderliegendes Gerümpel, ein Deckenhaufen. Die zwei Toten.
Wieder dieser langanhaltende hohe Laut, der dann abbricht. Unter dem
Deckenhaufen bewegt sich etwas. Bedächtig, wachsam um mich blickend, nähere
ich mich. Sehe eine Orkhand den Stoff wegziehen. Ein dunkles, in Schmerzen
verzerrtes Gesicht erscheint, weicht schluchzend vor mit zurück, sucht Schutz an
der Felswand. Worte in ihrer harten Sprache, die ich nicht verstehen kann,
stürzen auf mich ein, haben einen fast flehenden Klang. Wieder dieser Schrei,
unter dem sich der durch den Stoff verhüllte Körper aufbäumt. Die Hände des
Uruk-hais suchen an den Steinen Halt. Was soll das nun? Alle anderen in
überstürzter Eile gegangen, nach einem tödlichen Streit. Und einen ihrer Leute
lassen sie dem Sterben nahe zurück. Oder hatte dieser Ork eine geheimnisvolle
schmerzhafte Krankheit? Behutsam entferne ich die Stoffschichten, immer
beruhigend auf dieses Wesen einsprechend. Ich ernte wilde Blicke, es erfolgt
aber keine Gegenwehr. Nur dieses seltsame regelmäßige Krampfen, das von
Schmerzschreien begleitet ist. Zusammenkrümmen, Aufbäumen.
In einem dieser Anfälle greift der Uruk mein Handgelenk, drückt so fest zu, daß
ich es schon fast knirschen höre. Endlich sind die Decken entfernt, ich kann
mit der Untersuchung dieser rätselhaften Erkrankung beginnen. Dünne,
ausgezehrte Gliedmaßen, die zittern, obwohl sie über und über mit Schweiß
bedeckt sind. Und – ein befremdlich aufgeblähter Bauch. Nach der folgenden
Verkrampfung, die länger andauert als die vorherigen, und noch schmerzhafter zu
sein scheint, stürzt eine klare Flüssigkeit zwischen den Beinen des Uruk-hais
hervor, bildet eine Lache. Der Ork ist eindeutig eine Orkfrau. Und liegt
mitten in den Wehen.
Was waren das für Rohlinge die eine Frau in diesem
Zustand alleine ließen, einfach davonliefen? Sich mit ihren Gefangenen
vergnügten? Und daß diese Wesen Kinder bekommen können wie alle anderen Völker
Mittelerdes habe ich bis dahin auch nicht gewusst.
Und ich, was soll
ich jetzt tun?? Mich einfach abwenden und fliehen, für den Fall, daß die
restlichen Uruks zurückkommen? Aber ich kann diese Frau doch nicht einfach
hier liegen lassen!
Gewiß, ich besaß Grundkenntnisse in der Heilkunst,
aber eine Geburt… Und dazu noch bei einer Frau aus einer Orkstamm, mit der ich
nicht verständigen kann. Und die schon so lange andauert. Die Frau sieht
wirklich erschöpft aus.Und wurde zwischen ihren Wehen immer schwächer. Redet
nichts mehr, trüber Blick. Fortwährend auf sie einsprechend, in hoffentlich
beruhigendem Tone, ordne ich das Lager um sie herum. Suche Gefäße mit Wasser.
Wechsele die nassen Decken, auf denen sie liegt. Wieso kann ich mich nicht
an die Unterweisungen des Heilers erinneren, der mir seine Kunst nahebringen
wollte? Wieso hatten mich damals nur die Behandlung von Kampfverletzungen
interessiert, und nicht was bei einer Geburt so alles geschehen könnte? Bei den
Elben war das alles Frauensache, ein besonderer Bereich. Bei dem nur die engsten
männlichen Angehörigen dabeisein durften. Wenn denn die Elbe das so wollte. Aber
das geschah selten, die Frauen wollten bei einem solch wichtigen Ereignis unter
sich sein. Ohne aufgewühlte Väter, die nur im Wege herumstanden und störende
Fragen stellten. Die Frau verliert rasch ihre Kräfte. Es will einfach nicht
vorwärtsgehen. Endlose Krämpfe, die in immer kürzeren Zeitabständen
aufeinander folgen, Stöhnen und Wimmern. Selbst zum Schreien schon zu erschöpft.
Zwischen den Wehen liegt sie apathisch auf dem Boden, will nicht mal mehr
meine tröstenden Hand abwehren. Was, hat der Heiler gesagt, soll man in
einer solchen Situation tun? Bestimmte Kräuter eingeben. Wenn das Kind sich
über Gebühr Zeit läßt, aber schon fast geboren ist, besondere Werkzeuge
benutzen. Wenn es zu lange dauert, schneiden, damit niemand stirbt. Das
alles ist hier unmöglich. Aber mir fällt ein, wie ich die Frau untersuchen
könnte, um zu erfahren, wie lange es noch dauern könnte. Sollte ich wirklich?
Scheu bitte ich im ihre Einverständnis. Fühle nach. Sie zuckt, seufzt
wieder einmal unter Schmerzen auf. Aber die Öffnung ist schon weit
fortgeschritten. So lange kann es, darf es nicht mehr dauern. Wenn sie beide
überleben wollen. Und ich – ich kann fast nur zusehen und das Kind auffangen,
sonst sind mir die Hände gebunden. Seit wann mache ich mir Gedanken um das
Überleben von Orks???
Endlich passiert etwas. Die Kontraktionen folgen schneller aufeinander,
übernehmen die Kontrolle über den Leib der Frau. Zwischen weit gespreizten
blutbefleckten Beinen bahnt sich ein kleines Köpfchen seinen Weg. Noch zwei,
drei Wehen, und ein kleiner, neugeborener Uruk-hai liegt vor mir. Ein Junge.
Klein, verrunzelt, dunkel und irgendwie faszinierend. Behutsam nehme ich
ihn auf. Schneide die Schnur durch, die ihn immer noch mit seiner Mutter
verbindet. Wickle ihn eilig in zerrissene Decken, damit er nicht kalt bekommt.
Sehe nach seiner Mutter, die benommen daliegt. Will sie ihr Kind sehen? Ich lege
es ihr an die Brust. Zum ersten Mal in meinem Leben lächelt mich ein Ork an.
Ich kümmere mich um die Nachgeburt. Versorge die stark blutende Mutter und
das Kind. Ein warmes Feuer verbreitet Behaglichkeit. Die Mutter blutet
lange und stärker als sie dürfte. Ein hohes Fieber kommt hinzu, läßt ihre Milch
versiegen. Alle meine hilflosen Bemühungen bringen keinen Erfolg. Von Stunde zu
Stunde wird die Frau schwächer. Wann immer sie möchte, lege ich ihr den Jungen
in die Arme, bis sie ihn nicht mehr halten kann. Dann sitze ich mit dem Kleinen
neben ihr, so daß sie ihn sehen kann. Ich habe noch nicht einmal ihren Namen
erfahren, als sie stirbt.
Neben der Stelle, an der ich die beiden
anderen Uruk-hais verscharrt habe, baue ich ihr aus den herumliegenden Steinen
ein Hügelgrab. Das sollte sie vor den Wölfen schützen.
Den Säugling
berge ich sorgsam an meinem Körper. Wärme ihn. Streichle ihm liebevoll über
den Kopf und werde mit dem versonnen Lächeln eines Neugeborenen belohnt.
Dann fängt das Gebrüll an. Das Kerlchen hat Hunger. Was essen
neugeborene Orkkinder? Milch ist nicht aufzutreiben und für vorgekaute
Nahrung ist er wirklich noch zu klein. Ich kann ihn doch nicht verhungern
lassen. Ich habe doch geholfen, ihn auf die Welt zu bringen!
Es bleibt
mir nichts anderes übrig, als ihm eine Nährmutter zu suchen, wenn er überleben
sollte. Eilig packe ich ein Bündel mit dem Notwendigsten zusammen und hoffe
darauf, in der Nähe auf ein Dorf zu stoßen, das ihn aufnehmen wird. Ein Elb
sorgt sich um ein Orkkind ?! Unter dem anhaltendem Hungergebrüll mache ich
mich auf den Weg, fiebrige Gedanken schwärmen in meinem Kopf herum.
Zurück in den Düsterwald gehen. Thranduil das Kind als meinen Ziehsohn
vorstellen, seinen Enkel. Damit das Selbstverständnis sämtlicher Elben auf den
Kopf stellen. Oder zu den Uruk-hais gehen mit dem Kind. Einfach mal sehen,
was passiert.
Hat die sterbende Frau mich mit ihrem Fieber angesteckt?
Wiedersehen
Mit einem stiller werdenden Kind erreiche ich die nächste
Ansiedlung. Sie ist von einem palisadenähnlichen Zaun umgeben und zeigt noch
deutliche Spuren aus den Kriegszeiten. Einige der Gehöfte werden anscheinend
noch bewirtschaftet, anderer verfallen. Gut geht es diesen Menschen bestimmt
nicht. Ich poche an das Tor, warte auf Einlaß. Das Baby habe ich
vorsorglich von Kopf bis Fuß eingewickelt, damit es zunächst nicht als
Abkömmling eines Orkstammes zu erkennen ist. Ob ich in diesem Ort eine Amme
finden kann? Eine Frau, die bereit ist, ein Uruksäugling aufzunehmen, zu stillen
und gut zu behandeln? Das wird schwierig werden. Hastig überschlage ich,
was ich noch als Gegenleistung anzubieten habe. Viel will mir da nicht
einfallen. Endlich werde ich hereingelassen. Einige Frauen umringen mich.
Derbe, resolut aussehende Bäuerinnen mit behelfsmäßigen Waffen in den
Händen. Ein alter Mann, der mich anspricht. Wer ich sei und was ich wolle.
Weitere Menschen treten hinzu.
Unter ihnen befindet sich – da traue
ich meinen Augen kaum – Aragorn.
Mein König in der Kleidung eines
Bauern. Mit einer Mistgabel in der Hand! Neben sich eine dieser handfesten
Frauen. Aragorn baut sich vor mir auf. „Du siehst grauenhaft aus.“ „Ich
weiß.“ „Nimm mal ein Bad, wer soll dich denn so erkennen?“ „Niemand.“
Wir fallen uns in die Arme. Erleichtert, bestürzt und mit vielen Fragen.
Ein Wimmern zieht uns wieder auseinander. Die Frau neben meinem König
mischt sich sofort ein. „Elb, hat du etwa ein Kind bei dir? Das hört sich doch
gerade so an. Reitet ohne Frau mit einem Säugling durch die Wildnis, das kann
wirklich nur einem Mann einfallen. Alles Hohlköpfe, nur ans Kämpfen denken
können sie,…“ Das schreiende Bündel hat sie mir schnell entwunden, die
Tücher auseinandergeschlagen. Das dunkle, jetzt eingefallene Gesichtchen
meines Pfleglings läßt einige der Umstehenden erschreckt zurückfahren. „Das ist
ja ein Uruk!“ Unsicher versuche ich zu erklären. „… Und deshalb bräuchte
mein Kind eine Pflegemutter, jedenfalls für die erste Zeit, bis ich weiß, wohin
ich mich mit ihm wenden soll.“ Der argwöhnische Blick von Aragorn klebt an
meiner Seite: „Und der Kleine ist wirklich nicht von dir, … Elb? Gerüchte über
dich sind genug im Umlauf, warum auch nicht eine Liaison mit einer Orkfrau?“
„Was traust du mir eigentlich nicht zu, mein …?“ „Inzwischen kann ich
mir da alles vorstellen. Fast alles.“, kommt die prompte Antwort auf meine
geflüsterte Frage.
„So, die Herrschaften, kümmert euch mal um das
Wichtige, anstatt hier rumzustreiten. Kommt mit. Und das Kind kriegen wir auch
noch unter.“, unterbricht die Bäuerin, zieht eine andere hinter sich her. „Meine
Freundin kann so einen kleinen Kerl jederzeit mitstillen, Säugling ist Säugling,
egal ob Uruk-Hai oder nicht. Ich bin übrigens Uma. Arak hat mich nicht
vorgestellt, höflich wie er ist, also tue ich es selbst. Und wer bist du, Elb?
Ein Bekannter von Arak, das sehe ich doch. Also, wie heißt du?“
Wir erreichen eine Behausung, die der Frau – und Aragorn?! – als Wohnung dient.
Zusammen mit einigen lärmenden Kindern. Aragorn, den ich in seiner Residenz
glaubte, lebt hier als Bauer an der Seite einer Frau? Betreten setze ich mich in
eine Ecke. Überlege mir eine Antwort auf die Frage nach meinem Namen. Soll ich
mich nun weiter verstecken oder nicht? „Ich bin Legolas.“ ,gebe ich mich
nach einigem Ringen der verdutzten Frau zu erkennen. „Und ich danke dir dafür,
daß du meinen Sohn aufnimmst. Auch wenn ich dir nichts dafür geben kann.“
So, nun ist es gesagt. „Wer willst du sein? Legolas, etwa der Legolas
aus dem Düsterwald, der Elbenprinz?“, kichert sie ihrer Freundin zu, die
belustigt in meine Richtung sieht, den kleinen, behaglich schmatzenden Uruk an
der Brust. „Warte mal, eigentlich gar nicht so schlecht. Wir kämmen dir die
Haare aus, schrubben den Dreck von der Nase und stecken dich dann in normale
Kleider. Meinst du, er sieht dann aus wie ein Prinz?“ „Nein, so viel
schrubben will ich nicht! Mir würde es vollauf reichen, wenn er wieder
einigermaßen nach Elb aussehen würde. Das macht bestimmt schon Mühe genug.“,
prustet die Andere los. „Aber mir soll’s recht sein, wenn er sich gerne für
einen Adligen hält. He, was willst du mir eigentlich geben, dafür daß ich deinen
Sohn,“ Ein Lachanfall unterbricht ihre Rede. „Daß ich deinen Sohn
ernähre? Wenn du sonst nichts hast? Außer einer verissenen Hose und dieser
Decke? Als Prinz brauchst du dich mir nicht gleich vorzustellen, ich will ja
auch keine Prinzessin sein. Oder entlohnt mich ein Elbenkönig und lädt mich in
seinen Palast ein?? Mit dem kleinen Ork etwa???“ Die beiden Frauen kugeln
sich fast auf dem Boden.
Weitere Bäurinnen kommen hinzu, machen es sich
gemütlich und schauen sich den kleinen, nun zufrieden schlafenden Uruk an. Eine
Flasche mit scharfem, ziemlich alkoholischem Inhalt macht die Runde. Die
Stimmung wird zunehmend gelöster. „Was denkst du, Sanii, wer von den beiden
lernt schneller pflügen, Arak oder der Elb? Sollen wir eine Wette abschließen,
wer von ihnen eher zusammenbricht?“. Die Heiterkeitsausbrüche wollen kein
Ende nehmen. Weitere ziemlich derben Spötteleien über mich und auch Aragorn
fachen fortwährend neue Lachanfälle an. Als sie mich schließlich nächteweise
meistbietend unter der weiblichen Einwohnerschaft versteigern wollen, setzt sich
Aragorn, der sich zunächst grinsend zurückgehalten hatte, neben mich. Reicht mir
ein Abendessen. Grinst noch stärker über meine Verlegenheit. „Arak, wie du
dich jetzt nennst, also, daß der Kleine versorgt ist, verpflichtet mich zu
tiefem Dank, aber,…, sind die eigentlich immer so??“ „Wer soll immer so
sein, hmm, Elb?“ Seine Mimik wird richtiggehend anzüglich. „Meinen die
Frauen das ernst? Arak, wo bin ich hier gelandet?“ Meine Verunsicherung steigt
bei jedem der Scherze weiter an. Waren das wirklich nur ruppige Reden oder
was war hier los? „Nun ja, sämtliche Männer des Dorfes sind tot, oder
weggegangen, das sind hart arbeitende Frauen, die kämpfen um ihr Überleben. Und
wenn dann einer der seltenen Wanderer im Ort einkehrt,…“. Erleichtert
registriere ich, daß auch Aragorn in Lachen ausbricht. Also doch nur Scherze von
Bauersfrauen.
Spät in der Nach treffen wir uns in der Scheune.
Suchen nach Worten. Aragorn schildert zögernd seine Fehlschläge als
König. Die Olvar. Arwens Verrat. Daß er schließlich die Stadt verlassen durfte.
Nun eben hier sei, den Frauen half und darauf wartete, Gimli suchen zu können.
Unausgesprochene Vorwürfe über meinen Weggang schwingen bei jedem Wort mit.
Schließlich die Frage, warum ich so dermaßen ausgezehrt aussehen würde.
Schlimmer als bei jeder Strapaze zuvor. „Elben und Menschen können
gleichermaßen grausam sein. Auf welche Weise sollen wir besser sein als die Orks
sein?“, frage ich nur. Weitere Erklärungen kann ich nicht geben.
Stattdessen lege ich einen Arm um ihn, ziehe ihn zu mir. Bitte leise um
Verzeihung. Suche nach einem Zeichen der Versöhnung in seiner Miene. Aber erst,
als er seine körperliche Reaktion auf meine Zärtlichkeiten nicht mehr verbergen
kann, beginnt er, sie halbherzig zu erwidern. Er entkleidet mich langsam.
Streicht über meine Brust. Spielt mit mit den hartgewordenen Brustwarzen.
Zögernd und unentschlossen. Wie konnte ich auch nur erwarten, daß mein
König mich sofort wieder achten oder gar annehmen würde. Seine Finger fahren
über die herausstehenden Rippen. Nicht zärtlich, sondern forschend. Finden die
vernarbte Stelle an meiner Hüfte. „Also doch. Legolas, sag, wo bist du
die ganze Zeit gewesen, was hast du getan? Böse Gerüchte sind im Umlauf über
dich. Warum bist du verbannt worden, von deinem Volk? Ich habe es nicht glauben
wollen, …“ Diese Frage habe ich mit Schrecken erwartet. Aber meine Antwort
sollte ehrlich sein. „Ich musste mich betäuben. Der Krieg, weißt du
eigentlich, was in den Kämpfen alles geschehen ist? Wie unsere Leute, unsere
Verbündeten gewütet haben? Selbst die ungezügelteste Orkhorde hätte nicht
hemmungsloser töten und plündern können.“ „Und vergewaltigen.“, gibt Aragorn
zurück. „Ich habe es auch erfahren. Zu spät.“ „Ich wollte das alles
vergessen. Zuerst mit einem Geliebten.“ Aragorn zieht sich zurück, mein
hoffender Blick folgt ihm. Ich möchte die Wahrheit sagen. „Haldir. Er
ist jetzt tot. Getötet, ermordet von meiner Hand. Auf Geheiß des Elbenkönigs.“
Aragorn rückt ein weiteres Stück beiseite. Seine Betroffenheit wird stärker.
Ein kaltes „Erzähl weiter, Legolas“, raubt mir die winzige Hoffnung auf sein
Verständnis. Eigentlich gibt es auch nichts mehr zu verstehen oder gar zu
verzeihen. „Dann, ich ging in eine Menschenstadt. Wohin auch sonst?“ Ich
winde mich um jedes einzelne Wort herum. Aragorn richtet inzwischen seine
verrutschte Kleidung. Macht sich bereit, ins Haus zurückzukehren. Zu Uma.
„Dort bin ich untergegangen. Ich konnte dir einfach nicht zur Seite stehen.
Hör zu!“, hastig springe ich auf, halte ihn zurück. Schroff schlägt mir
seine Ablehnung entgegen. „Dort hast du bestimmt den nächsten Liebhaber
getroffen. Und den übernächsten. Das Reich war dir ja schon immer egal gewesen.
Nur an dir selbst interessiert, dem Menschengeschick gegenüber gleichgültig und
kalt. Ihr Elben mit eurem überlangen Leben. Und ich war dir auch nur für dein
Vergnügen gut genug gewesen. Auf unserer Wanderschaft. Als Spielzeug. Anstelle
eines anderen Elben. Du wolltest mal zur Abwechselung einen Menschen
beherrschen, das ist einfacher. Gib es nur zu. Legolas, du warst meine
Achtung und meine, meine Liebe nicht wert.“ Unter seinen zornigen,
herablassenden Worten gelangt er fast bis an das Scheunentor.
Wenn ich
ihn jetzt ohne seine Verzeihung erhalten zu haben gehen lasse, werde ich
nirgends mehr hinkönnen. Für immer verlassen sein. Mich nie wieder selbst achten
können. Die Mahnung von Sirk’an hallt in meinem Innern.
Ich stelle
mich in meiner Nacktheit vor ihn, halte ihn verzweifelt fest: „Laß mich noch
eines sagen, Aragorn. König.“ „Freund“, füge ich hinzu. Unwillig läßt er
sich zurückhalten. „Ich kenne meine Schuld. Ich wünschte, es wäre alles
anders gekommen. Aragorn, ich, ich habe mich nicht nur mit Haldir betäubt.
Ich konnte das alles nicht mehr aushalten. Auch daß ich dich in meiner
Überheblichkeit allein gelassen hatte. In der Stadt, ich bin dort zum
Kräutertrinker geworden. Im Schenkenviertel. Das ist es.“. Blaß und zitternd
erwarte ich sein Urteil.
Ich warte lange.
Der Ton seiner Antwort
zeigt den Abgrund zwischen uns. „Komme mit nach Moria. Wir befreien Gimli
aus seiner Falle. Und meinem Reich fühle ich mich verpflichtet. Den Menschen
darin. Nicht der Macht über sie.“ Seine Worte befreien. Und treffen ins
Innerste. Ich ziehe mich an und folge ihm in das stille Haus. In der Küche
lege ich mich in einer Ecke nieder. Laut, deutlich und in allen Einzelheiten
bekomme ich in dieser Nacht mit, wie Aragorn mit Uma schläft, während ich vor
grenzenloser Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit lautlos weine.
Der Weg nach Moria
Zum Abschied küsse ich den kleinen Uruk.
Wünsche ihm alles Gute. Und Zufriedenheit in seinem Leben.
Lange
folge ich Aragorn durch die Einöden. Der Weg wird von Tag zu Tag
beschwerlicher. Enkräftet wanke ich hinter ihm her. Er schweigt
unerbittlich, beachtet mich nicht.
Mein Verstand leert sich, die
Landschaft verschwimmt.
Bis eine Stimme sich einschleicht.
Widerhallt. Betört.
Nazgul, Nazgul, Nazgul
Tagelang.
Nachts falle ich Aragorn zu Füßen. Vergrabe mein Gesicht in seinen
Umhang. Bitte. Flehe ihn an. Schreie meine unendliche Verlassenheit
in seine unbewegte Miene. Breche schluchzend zusammen.
Nichts.
Denoch folge ich meinem König weiter. Dränge die lockende
Stimme, die mich unaufhörlich ruft, zurück.
Dann erreichen wir
die Tore von Moria.
Der Einlaß
Die Zwergenfestung ist gut bewacht. Schon seit einer
guten Strecke werden wir beobachtet, ein Spähtrupp folgt uns in einiger
Entfernung. Vor dem Haupeingang, dessen Vorplatz stark befestigt und mit
kriegerisch gerüsteten Zwergen bevölkert ist, warten wir. Auf einen offiziellen
Abgesandten des Herrschers dieses Berges, diese Zwergenreiches.
Gegen
Abend sucht uns endlich eine Delegation des Zwergenherrschers auf, geleitet uns
ins Innere des Berges in eine Vorhalle. Dort dürfen wir abermals warten unter
den abschätzenden Blicken der Wachen.
Zeit genug, die künstlerischen
Steinmetzarbeiten dieses Volkes genauer zu betrachten. Angesichts der kurzen
Zeitspanne und den Schwierigkeiten, die bei der Neubesiedlung der Hallen
entstanden waren, eine Meisterleistung. Selbst ich als Elb, der doch Höhlen,
dunkle Gänge, unterirdische Bauwerke kaum mit Wohlwollen als Wohnort billigen
konnte, muß mich zutiefst beeindruckt zeigen. In so kurzen Jahren so viel
steinerne Pracht hervorzubringen, das schien fast unglaublich. Die große
Eingangshalle ist bis zur hoch gewölbten Kuppel mit poliertem Marmor ausgelegt.
Nahtlos aneinandergelegte Steinplatten sind sorgfältig in Farbe und Maserung auf
die vielen mächtigen Säulen abgestimmt, die das Gewölbe tragen, aber teilweise
auch nur zur Verzierung und Raumaufteilung dienen. Ein Wald aus Säulen.
Verwirrend und erhaben. Dazwischen künstliche Wasserbecken, in deren
Umrandungen durchsichtige Steine eingelassen sind. Große klare Scheiben spiegeln
das wenige Licht, das durch die Lichtschächte in die Halle hineinfällt so wider,
daß der Stein selbst in der verborgensten Ecke noch glänzt. Wir werden durch
mehrere, sich verzweigende Säulenreihen zu einer kleinen Sitzgruppe geführt.
Einer der Steinsitze erhebt sich thronartig über die anderen. Hinter ihm sind
halb verborgene Durchlässe in der Wand zu sehen. Ein unauffällig gekleideter
Diener bringt uns eine einfache Mahlzeit und etwas Wein. Prunk zeigen die Zwerge
in ihren Bauwerken, nicht in ihrem Lebenswandel. Hungrig greifen wir zu.
Ich beschließe, während wir essen, Aragorn die Gesprächsführung zu
überlassen. Als Mensch wird er besser mit dem schweigsamen und verschrobenen
Volk der Zwerge auskommen. Den Grund unseres Hierseins erklären können.
Obwohl ich mit Gimli befreundet war, erwarte ich nicht, in dieser Festung
als erwünschter Gast behandelt zu werden. Und schon gar nicht, mich frei bewegen
zu können, in den gut behüteten Tiefen des Zwergenbergwerks.
Als uns
endlich ein Fürst des Zwergenvolkes begrüßt – Heimlin, Sohn von Hurin, stellt er
sich vor – übernimmt Aragorn mit all seiner Überzeugungskraft die Aufgabe, ihn
für unser Vorhaben für sich gewinnen. Wortreich erzählt er von den
Gefährten, zu denen auch Gimli gehört hat. Rühmt mich als dessen Freund. Wir
hätten davon gehört, Gimli sei unter der Erde gefangen worden und wollten nun
Genaueres wissen, ihm womöglich helfen. Dazwischen lobt er die kalte
Zwergenarchitektur, würdigt die ungeheure Arbeit, die in dieser Leistung steckt.
Der ganzen langen Rede kann ich nur verwundert lauschen. So kenne ich
Aragorn nun wirklich nicht. Das war nicht mehr der eher wortkarge, direkte
Waldläufer, sondern ein Staatsmann, der zu überzeugen weiß. Letztendlich hat
er sogar Erfolg.
Heimlin berichtet über die letzten Tage von Gimli unter seinem Volk:
„Nachdem Gimli als Führer des Zwergenstammes mit großer Anstrengung und
allem Einsatz die verbliebenen Orks vertrieben hatte, begannen wir mit der
Einnahme unserer Festung. Wir befestigten die zerfallenen Hallen im
Eingangsbereich und gruben uns zu den unteren Ebenen vor. Bis zur Großen Brücke,
auf der der Kampf mit dem Balrog stattfand. Dort hielten wir inne. In einem
wiederentdeckten Seitenstollen fanden wir einen weiteren mühsamen Weg in die
Tiefe. Wir bahnten uns kleine Pfade und Gänge bis zur der Stelle, wo uns das
Wasser den Weg versperrte. Aber einer unserer Baumeister erinnerte sich an
uraltes, verlorengeglaubtes Wissen unserer Ahnen. Und entwarf ein System von
Pumpen und Leitungen, das es uns erlaubte, bis in nie erreichte Tiefen
vorzustoßen. Dort fanden wir nicht nur Mithril, das uns Reichtum brachte,
sondern auch die glänzenden Steine, die uns so sehr anzogen. Gimli brach die
schönsten und größten dieser Kristalle aus dem Fels. Er kam nach einiger Zeit
nicht mehr zu uns in die Hallen, sondern zog es vor, Tag und Nacht nach neuen
Kristallen zu suchen, in immer verwegeneren Tiefen und kleineren Spalten. Er
achtete nicht mehr auf herabstürzendes Gestein, noch auf hereinbrechendes
Wasser, wenn unsere Pumpen überlastet waren. Er jagte der Erde unerbittlich
ihre Schätze ab. Bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen er noch unter uns
in den Hallen weilte, vertraute er meiner Tochter an, daß er die Lockungen des
Berggeistes vernommen hatte. Der Dämon des Berges würde ihm die stattlichsten
Lagerstätten der Kristalle zu eigen geben. Danach ging er wieder in die Tiefe,
diesmal allein. Niemandem erlaubte er, mitzugehen. Das war vor dem Sommer
gewesen. Seitdem ist er im Innern des Berges verschollen. Seltsame,
beunruhigende Geräusche dringen seit dieser Zeit aus der Tiefe zu uns. Die Erde
bebt. Der Berg bewegt sich. Und unsere Fundstätten haben sich erschöpft. Wir
fördern noch Kohle, etwas Mithril, sicher, aber wir schürfen keine Reichtümer
mehr. Ist das der ewige Fluch von Moria?“
Der Zwergenfürst endet.
Aragorn stellt Fragen nach den Orks, anderen noch dunkleren Gestalten
der unterirdischen Welt. Heimlin jedoch kann - oder will? - darauf nicht
antworten. Auch über den Berggeist gibt er keine Auskünfte. Nie seien Berichte
oder Sagen über ihn bekanntgeworden. Ich wechsele mit meinem König einen
erstaunten Blick. Das erste Mal, seit dieser denkwürdigen Nacht in Umas Scheune,
schaue ich wieder in seine grauen Augen! Und möchte mich in seinem Schoß bergen.
Ihm meine ganze Liebe schenken.
Meine ganze Liebe? Was ist das
überhaupt?
Sofort überfällt mich das bekannte Dunkel meiner Gedanken wie
ein Mantel. Aragorn hat mich von sich weggestoßen, er hatte allen Grund dazu.
Wirklich jeden Grund. Seine Vorhaltungen entsprechen der Wahrheit. Der
Verrat an Haldir. Von mir. Ausgeführt mit leichter Hand. Schuld, Schuld,
Schuld dröhnt es in meinem Kopf. Das Echo schwingt lange nach, wird endlich
leiser. Verändert den Klang. Kalt, klirrend und nadelspitz. Lockend.
Der Zwergenfürst erhebt sich zeremoniell, Aragorn dankt mit einer tiefen
Verbeugung für die hilfreiche Auskunft. Ist es ihm doch wahrhaftig gelungen, mit
seiner Überzeugungskraft die Erlaubnis erlangt zu haben, sich jegliche Hilfe
eines jeden Zwerges einfordern zu können und sich vollkommen frei auf jeder
Ebene des Bergwerkes bewegen zu können. Ein diplomatisches Meisterwerk, bei
diesem spröden Volk, das seine Geheimnisse derart eifersüchtig bewacht.
Wir werden nach unten geleitet. Durch gläserne Hallen, über marmorne Treppen.
Polierter Fels, in den Kristalle und farbige Steine eingelassen sind, Mosaike
bilden, die auch die Szenen von Gandalfs Kampf mit dem Balrog zeigen. Mein
König geht, in Begleitung eines Führers, vorneweg, ich halte mich hinten.
Muß ich doch zuerst meine Gedanken ordnen, diese verfluchte, mit jedem Mal
mich stärker bestrickende Stimme bezwingen. Selbst die Erklärungen der Zwerge
rauschen an mir vorbei.
Aragorn, König – Freund – hilf mir!
Als
ich endlich meine Aufmerksamkeit wieder soweit gesammelt habe, daß ich meine
Umgebung genauer wahrnehmen kann, sind wir bereits in den unteren Hallen
angekommen. So prächtig und erhaben die Zwergenarchitektur in der Empfangshalle
gewesen ist – hier wird gearbeitet. Im Bauch der Erde. Um sie zu
durchdringen. Sie auszubeuten.
Eine riesige Höhle nimmt uns auf,
ausgefüllt mit Werkstätten, Hebekränen, Seilwinden. Überall glühen heiße
Schmiedefeuer, an denen zwergische Arbeiter Metall formen. Über den offenen
Feuern hängen schwarze Dunstabzüge, deren Rohre in eine undurchsichtige, in
Nebel gehüllte Höhe führen. Dunkle, verschwitzte Gestalten bedienen
unermüdlich die riesigen Blasebälge, die die Feuer anfachen. Auf
Führungsschienen laufen aneinander gekoppelte Wagen von einem düsteren Gang
durch die gesamte Halle zu einer gewaltigen Kohlehalde. Dort wird die Ladung der
Wagen auf den Boden gekippt, den kleinen Ponys, die diese schweren Lasten
vorwärtsziehen gönnen die Wagenlenker kaum eine kleine Verschaufpause.
Ich muß an mich halten, der Anblick der armselig gehaltenen Tiere,
bringt mich in Wut. Unvorstellbar, auf eine solche Art mit Tieren umzugehen!
Wandelnde Rippengestelle, die mühselig einen Huf vor den nächsten setzen,
umzukippen drohen, wenn die Peitsche sie einmal nicht weitertreiben will. Kleine
Stummel an der Stelle, wo sonst Schwänze schlagen. Blutige, vom Geschirr
wundgescheuerte Stellen, vereiterte, alte Wunden am Fell, das meistenteils seine
Haare schon längst verloren hat, lassen mich an Folter denken. Wie können diese
Zwerge zu hilfreichen Tieren nur so roh sein! Mühsam zügele ich meine immer
stärker werdenden Emotionen, als mir der Führer mit scheinheiliger Miene
erklärt, diese Ponys kämen sowieso nie wieder ans Tageslicht, wären meistens in
kürzester Zeit blind geworden. Aber Karren ziehen würden sie bis zum Umfallen.
Um dann umgehend durch die nächsten ersetzt zu werden.
Das Getöse ist
schlichtweg unerträglich. Das monotone Klopfen der Dampfhämmer wird übertönt von
unregelmäßigem Zischen, Kreischen und Sägen irgendwelcher Geräte oder großen
Werkzeuge, deren Zweck ich nicht erraten kann. Heiße Luft strömt durch die
Höhle, der Gestank der Feuer und des glühenden Metalls beißt in Nase und Lunge.
Giftig und zersetzend.
Die ganze Werkhalle erinnert mich an die
Alpträume von Saumans Turm. Aber dort wurden Orks gezwungen, zu arbeiten. Und
diese Zwerge waren freiwillig hier! Zudem voller Stolz über ihr Handwerk und
ihre Gruben! Sehnsucht nach frischer Luft und dem Rauschen der Waldbäume
erfasst mich bei dem Gedanken, daß ich dieses unterirdische Inferno
möglicherweise nie wieder verlassen werde. Aragorn bemerkt mein
Zurückbleiben nicht, er ist viel zu sehr beschäftigt damit, sich die einzelnen
Geräte und deren Funktionen genau erläutern zu lassen.
Es sei das erste Mal, daß die Zwerge einem Fremden, sogar einem Elben die
Geheimnisse ihrer Werkstätten und der Gruben so genau und so bedenkenlos zeigen
würden, wirft er mir mit einem Seitenblick vor die Füße, als er wegen meiner
Langsamkeit den Führer unterbrechen muß, um mich nicht zwischen all dem
Durcheinander zu verlieren. „Und wahrscheinlich für uns auch das letzte Mal,
überhaupt etwas erklärt bekommen zu können“, setze ich halblaut hinzu. „Moria
wird uns nicht mehr freilassen, nicht ein zweites Mal. Nicht wenn wir diesen
Frevel an der Erde gutheißen.“ Ich weiß nicht, ob Aragorn mich überhaupt
gehört hat, so eifrig hat er sich wieder unserem Führer zugewandt.
Nachdem wir die gesamte Halle durchquert haben, bringt der Zwerg uns an
eine weite Schachtöffnung. Darüber schwingt ein korbähnlicher, geschlossener
Käfig, der mit starken Seilen aus gedrehtem Eisen in der Luft gehalten wird. Aus
den Gerüchten, die über die Technik der Zwerge bei den Elben in Umlauf waren,
vorgewarnt, blicke ich angestrengt nach oben, zur Hallendecke. In dem dichten
Dunst kann ich gerade noch das riesenhafte Rad ausmachen, über das die Seile
laufen. Ein seltsames, aber gewaltiges Gestell hält das Rad direkt über dem
gähnenden Loch.
„Bitte einsteigen. Ich bin geehrt, die Gäste des Fürsten
bis zur unteren Sohle geleiten zu dürfen. In diesem Aufzug, einer unserer
nützlichsten Schöpfungen, können sowohl wir Zwerge, als auch Lasten, d.h. das
geförderte Gestein schnell und sicher herauf oder herunter bewegt werden. Stellt
Euch vor, früher wurde alles, jeder Eimer Stein oder Kohle über ein Leitersystem
heraufgetragen. Und die Zwerge tief unten mussten ebenfalls nach ihrer Arbeit
wieder die vielen hundert, ja tausend Stufen wieder nach oben in den Wohnbereich
steigen, …“
Gebannt unserem Führer lauschend, hin und wieder eine
vertiefende Frage stellend, steigt Aragorn wie selbstverständlich in den
schwankenden Korb. Als hätte er die Schrecken dieses Ortes vergessen, unsere
ungewisse Suche nach Gimli und vor allem – jedes Bedürfnis, wieder nach draußen
zu gelangen, frische Luft zu atmen oder die Sonne zu sehen. (*)
Tiefer
Die Kabine ist innen geräumiger, als sie von außen aussieht.
Mindestens zwanzig Zwerge hätten Platz darin. Aragorn hält sich immer noch an
unseren Führer, der sich in weiteren technischen Erklärungen ergeht, während ich
mich unauffällig in eine entferntere Ecke zurückziehe, und Halt an der Wand
suche.
Mit einem anschwellenden Fauchen und Zischen setzt sich das große
Rad in Bewegung. Das Metallseil rasselt und quietscht, als der Korb, in dem wir
sitzen, anfängt, sich langsam nach unten zu bewegen. Unsere Anfahrt ist von
grellem Geklingel begleitet, es ist, als beherrschten unaufhörliche
Keulenschläge die Vorrichtung. Die Zwerge, die das Gerät bedienen, verstärken
den Lärm noch, indem sie sich in ihrer Sprache Anweisungen und Befehle zurufen.
Durch die Sprachrohre dringt dumpfes, undeutliches Brüllen.
Nach
einer kurzen Strecke des langsamen Dahinsinkens fällt der Korb wie ein Stein in
die Tiefe und läßt nichts hinter sich als den vibrierenden Lauf des Metallseils.
„Wie tief fahren wir?“, fragt mein König den unermüdlich redenden Zwerg.
„Und wenn das Seil reißt?“ „Na dann, wenn es reißt,…“, entgegnet dieser
wegwerfend, bevor er wieder mit dem Loblied auf die Erfindungskunst der
zwergischen Handwerker fortfährt.
Ich kauere mich in der Ecke auf dem
schwankenden Boden zusammen, schließe die Augen. Der Versuch, die rasende Fahrt
aus meinem Bewusstsein zu verbannen, mich in mich zurückzuziehen schlägt fehl,
viel zu laut ist das Rauschen in meinen Ohren, viel zu groß der Schwindel. Eine
unangenehme Betäubung stellt sich ein. Wie konnte der Mensch diese Fahrt nur
interessant finden, ja sogar genießen? Eine plötzliche Erschütterung reißt
mir die Augen auf. Links und rechts schlägt der Korb an Balken an, schüttelt
sich in seinem Fall.
„Hier ist der Schacht etwas zu eng geworden, das
Gestein hat sich verworfen. So schleudert der Korb ab und an gegen die näher
gedrückten Spurlatten. …“
Ein Tröpfeln und anschwellendes Rauschen läßt
mich aufmerken. Einordnen kann ich diese Geräusche nicht. Zuerst schlagen einige
dicke Wassertropfen auf das Dach des Korbes auf, verstärken sich zu einem
heftigen Regen, einer wahren Sintflut. Wasserstrahlen schießen durch das
undichte Dach, durchnässen uns alle drei bis auf die Haut. Es wird eisig kalt.
Eine frostige feuchte Finsternis, die unseren Fall gierig erwartete.
„Der Regen eben, muß ich Euch wohl erklären, kommt von großen
unterirdischen Wassereinlagerungen im Gestein. Nach unten hin ist der See im
Berg durch eine fast wasserundurchlässige Schicht Ton abgedichtet. Die
Wasseradern jedoch, die den See speisen führen auf unvorhersehbaren Wegen
durch’s Gestein, treten an den sonderbarsten Stellen aus und überfluten auch
schon mal eine Abbaustrecke. Die Strömung des Wassers durch den Fels ist nicht
abzuschätzen, als wäre es lebendig. Aber wir bemühen uns, den Wasserspiegel in
unserer Grube möglichst niedrig zu halten. Unsere Pumpen sind sehr
leistungsfähig, und werden gut gewartet. Unser Volk jedoch hat in dieser Grube,
bedingt durch unsere Sicherheitsmaßnahmen, erst wenige Zwerge in den
Abbaustrecken verloren….“
Ich unterdrücke weiter den hartnäckigen Brechreiz, indem ich mich beiläufig auf
die roten Punkte konzentriere, die vor meinen Augen tanzen.
Im
Plauderton entlockt Aragorn dem gut informierten Zwerg weitere Geheimnisse des
zwergischen Bergbaus. „Und nun erreichen wir unsere erste Anschlagbühne.
Achtet auf die Geschwindigkeit!“ Er hebt seine Lampe und beleuchtet einen
Balken der Schachtführung, der geschwind dahineilt. Dann geht es mit der
rasenden Geschwindigkeit durch eine blendende Helle. In dem Licht des Blitzes
bewegen sich bizarre Gestalten einen Augenblick lang. Dann fallen wir auch schon
wieder tiefer. Fünf weitere Anschlagbühnen gleiten in der rasch
verfliegenden Helligkeit an uns vorbei. In der Finsternis tönte das betäubende
Geprassel des Platzregens. Dieser Fall dauert schon Stunden! Ich sehe
Schattenbilder vor mir. Je tiefer der Fall, desto deutlicher die Formen, desto
eindringlicher das Rufen.
„Wieso zögerst du noch? Komm zu uns. Wir
erwarten dich. Du weißt es, weißt es, weißt es.“
Angstschweiß bricht
aus, kriecht mir über den Rücken. Ein hilfesuchender Blick zu Aragorn. Wiederum
vergeblich, er unterhält sich dermaßen angeregt, als wolle er demnächst sein
eigenes Bergwerg gründen.
Mit einem jähen Ruck steht der Korb still. Der
Aufprall schleudert uns etwas durcheinander, ich bekomme die Schulter Aragorns
zu fassen, halte mich an ihr fest. Unsicher, aber auch beglückt über die
unerwartete Möglichkeit, seine Nähe zu spüren. Bei der ersten Gelegenheit
schüttelt er meinen Griff widerwillig ab. Der Zwerg ist irgendwo zwischen
uns gefallen, rappelt sich aber schleunigst wieder auf, um sich wortreich für
das Missgeschick des Korbführers zu entschuldigen. Unter den Beteuerungen,
normalerweise würde der Korb sanft wie auf Watte gebettet aufsetzten, hilft er
uns auf die Beine.
Wir betreten festen Boden. Verlassen die Bühne in
eine große, ausgemauerte Halle hinein, die von rauchenden Lampen erlauchtet
wird. Es riecht nach Keller, Moder, Feuchtigkeit. Und Pferden. Wieder diese
bemitleidenswerten Tiere, die die überschweren Karren durch die Stollen
schleppen müssen! Von den Wagenlenkern erbarmungslos geschunden, keuchend und
blind. Die Ponies hier unten sehen noch fürchterlicher aus als ihre Gefährten in
der Werkhalle. Sie sind kaum noch als lebendige Wesen zu erkennen. Vor uns
öffnen sich mehrere hohe Gänge, die in unterschiedliche Richtungen führen. Aus
einer Nebenkammer holt unser Zwerg einige Beutel und besondere Lampen, erklärt
uns, wir seien mit Wasser und Verpflegung für mehrere Tage versorgt. Danach
sucht er noch passende Lederkappen hervor, die er uns aufsetzt, um den Kopf vor
spitzen Steinen zu schützen, die von den Decke herabhängen. Er wolle uns nun
dorthin führen, wo Gimli das letzte Mal gesehen wurde, sich von seinen Freunden
verabschiedet hätte, um dem Ruf des Bergeistes zu folgen. „Noch jemand, der
von düsteren Wesen gelockt wird und seinen Willen verliert“, murmele ich vor
mich hin, als wir mit den Beuteln beladen dem ortskundigen Zwerg stolpernd
folgen.
(*) Teile des Bergwerkes und hin und wieder auch ein kleines Stück Handlung habe ich
entliehen aus: Emile Zola: „Germinal“
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