Titel: Wege
Autor: Ilkiran


Im Innern

Unserer Führer betritt mit uns den kleinsten, und – für uns schon zu anfangs sehr niedrigen – Stollen.
„Hier müssen wir hergehen. Dies ist der Beginn zu einem recht unbekannten Areal. Alte Stollen und Gänge aus neuerer Zeit liegen eng nebeneinander, oft verbinden sie sich durch enge Durchlässe. Wir sind leider noch nicht dazu gekommen, diese Wege zu kartographieren. Und die alten Aufzeichnungen sind alle bei den Kriegen um den Berg verlorengegangen. Aber wir vermuten, das dieser Gang zu den tiefsten Stellen führt, die meine Vorfahren jemals erreicht haben. Aber niemand kann es so genau sagen,… Die Alten, die sich noch genau an die Überlieferungen erinnern können, munkeln von ungeahnten Lagerstätten dort unten.“

„Hier traf Gimli diesen rätselhaften Erdgeist, dem er in beständig größere Tiefen folgte, sich locken ließ von der Aussicht, dieses Lager zu finden?“, hakt Aragorn nach.

„Nein, das ist weiter vorne gewesen, wie mir gesagt wurde. Verzeiht, Herr, Gimlis Begleiter bemerkten diesen Geist nicht, sie haben das alles für ein Gehirngespinst gehalten. Sie hörten auch seine Worte nicht. Bald darauf verbrachte Gimli ganze Monde allein im Fels, wurde mit jedem Tag schweigsamer – und verklärter. Er verlor an allem das Interesse, sogar an seiner Verlobten, der Tochter unseres Fürsten. Sie glaubte ihm ebenfalls nicht. Da hat er sich abgewendet, kam überhaupt nicht mehr herauf zu uns, …“

„So, so, Gimli wollte eine Familie gründen. Wie schön. Und diese Macht hielt ihn davon ab. Verklärt sah er aus? Kann ich mir gar nicht vorstellen!“. Kopfschüttelnd drängt mein König den Zwerg weiter. So eilig, als würde die Zeit davonlaufen.

Mir wird von Schritt zu Schritt mulmiger zumute. Der Zwerg kennt sich in diesem Gangsystem noch aus, und wird sowieso bald umkehren. Aber wir? Aragorn denkt anscheinend nur an die Rettung unseres Gefährten, von dem aber niemand auch nur annäherungsweise weiß, wo er sich in diesem Labyrinth befinden mag, ganz abgesehen davon, daß es äußerst unwahrscheinlich ist, ihn noch lebendig anzutreffen – er soll seit Monaten verschollen sein in dieser Gruft!
Was soll das alles?
Gewiß, Gimli war mein Freund, aber eine derartig unvorbereitete Suche in diesem unbekannten Gewirr von Gängen nach so langer Zeit?
Obwohl, in Moria ist alles möglich. Der Schauder vor diesem Ort ergreift mich wieder einmal. Alles in mir will zurück an die Oberfläche, in die Wälder. Immerhin gibt es keinen Balrog mehr. Dafür ominöse Berggeister.
Auch nicht viel besser.

Da Aragorn weiter vorwärtshastet ohne daran zu denken, daß wir vielleicht auch wieder einen Rückweg finden müssen, mit oder ohne Gimli, übernehme ich die Aufgabe, mir die Richtungen der Gänge, ihre Anzahl und die Art der Verzweigungen einzuprägen. Ein unterirdisches Verwirrspiel, nicht zu vergleichen mit den Irrgärten der undurchdringlichsten Wälder die ich je durchwandert habe.
Und dabei so steinkalt.
Bedrückend.
Noch ist der Stollen verzimmert. Stempel aus hartem Eichenholz stützen die Decke und bilden um das bröckelige Gestein eine Gebälkverkleidung. Dahinter sehe ich Schieferplatten und die ungefüge, raue und glanzlose Masse der Sandsteinblöcke. Vollgesogen mit Wasser. Je weiter wir kommen, um so enger werden die Gänge, desto niedriger die Decke. Hätten wir nicht unsere Lederhelme, würden wir uns an der unebenen Decke häufiger die Köpfe aufschrammen. Diese Stollen wurden für Zwerge in die Erde getrieben, nicht für Menschen oder gar Elben!

An einer Kreuzung hält der Zwerg inne.

„Dies ist die Stelle, an der Gimli das das letzte Mal gesehen wurde. Geht geradeaus weiter. Und viel Glück!“

Ein Stück weiter drehe ich mich um. Seine Lampe verbreitet einen dämmerigen Schein. Nun sind wir auf uns allein gestellt.
Aragorn folgt verbissen dem Gang, der mit jedem Schritt enger und schlechter ausgebaut wird. Die Verzimmerung ist stellenweise zusammengedrückt unter der Masse des darüberliegenden Gesteins. Herabgebrochene Felsbrocken liegen auf dem Boden, versperren uns den Weg. Sich Durchgänge zu graben, ist beschwerlich und zeitraubend. Sowohl Aragorn als auch ich müssen in der staubigen, feuchtheißen Luft öfter innehalten. Unser angestrengtes Keuchen wird von dem Platschen herabfallender Tropfen begleitet.
Durch die gemeinsame Wühlerei kommen wir uns näher. Zumindest körperlich. Mit Genugtuung bemerke ich, daß es ihm nicht mehr möglich ist, mir auf dem engen Raum ganz aus dem Weg zu gehen. Es möglicherweise auch gar nicht mehr anstrebt.
Nachdem wir uns durch einen größeren Gesteinsabbruch gearbeitet haben, lassen wir uns schnaufend auf einen Geröllhaufen fallen. Der Gang hat sich zu einer kleinen Höhlung verbreitert, von der mal wieder mehrere Stollen abzweigen. Stollen, denen deutlich anzusehen ist, daß sie seit Generationen verfallen.

„Aragorn, langsam fällt es mir schwer, hier unten die Orientierung nicht ganz zu verlieren.“,
fange ich ein Gespräch an. Eigentlich zuversichtlich, trotz allem. „Weißt du überhaupt, wo du suchen willst? Wenn schon die Zwerge diese Gänge meiden, sich nicht in diese Tiefen trauen. Aragorn, ich möchte Gimli auch helfen, aber ohne jeden Anhaltspunkt? Er war mein Freund! Aber er ist seit Frühjahr hier unten verschollen! Und jetzt haben wir fast Winter!“ Schlagartig weicht all meine Hoffnung tiefer Unsicherheit. Meine Stimme wird lauter, fast schreie ich Aragorn an vor Ratlosigkeit. „Das ist hoffnungslos! Niemandem ist geholfen, wenn wir hier unten ebenfalls krepieren! Denke an dein Reich. Willst du es aufgeben bei dieser Suche? Wenn du scheiterst?“

Weiter komme ich nicht, denn Aragorn zerrt mich unsanft aus der Hocke hoch, presst meine Schultern an den spitzen Fels. Mit vor Wut funkelnden Augen fährt er mich an: „ Elb, zuerst läßt du mich in meinen Regierungsgeschäften allein, hurst mit sonstwem herum; und als dein Vater deine Ausschweifungen nicht mehr mitansieht, wirst du zum Kräutertrinker. Voller Selbstmitleid, weil sich nicht alles deinem Willen und deiner Maßlosigkeit unterworfen hat. Weil du einmal nicht mehr die Kontrolle hattest. Über dein Leben, über deine Liebhaber. War Haldir eigentlich auch so fügsam wie ich? Oder konnte er sich die besser widersetzen? Hat er den Spieß auch mal umgedreht, ist nicht widerstandslos deinem unterkühlten Elbencharme erlegen?“
Heftig werde ich gerüttelt, schlage mit dem Hinterkopf an den harten Fels.
Ich stoße den König mit aller Kraft von mir, komme jedoch nicht mehr zu einer Entgegnung, da er mich voller Empörung weiter anfaucht: „Ich hoffe, du hast in der Stadt gezeigt bekommen, was es heißt, keine Macht mehr zu besitzen, weder über dich selbst, noch über Andere! Und kaum hast du dich etwas aufgerafft, kommst du zu mir geschlichen, jammerst mich an, ich solle dich wieder als Geliebten aufnehmen. Als wäre nichts geschehen. Bis du wohl wiederum Lust verspürst, zu verschwinden und mich sitzen läßt mit meinen Pflichten! Was bildest du dir eigentlich ein? Folge mir oder lasse es bleiben!“
Als er sich bereit macht, weiterzugehen, bekomme ich noch ein herablassendes „konnten dich all die Männer in dem Schenkenviertel, dieser Abschaum, eigentlich befriedigen? Oder war das einfach nur mal was anderes?“ hingeworfen.

Unter seinem zornigen Wortschwall zitternd, mit gesenktem Kopf und über und über mit Schamröte bedeckt, höre ich zu. Zu einer Antwort fähig bin ich nicht. Was sollte ich darauf auch sagen? Außer daß er recht hat.

Aber ich brauche ihn! Aragorn ist noch der einzige, der mir helfen könnte, den ich - lieben? – könnte?
Wo ist mein Herz? Wollte ich es ihm nicht einmal schenken, vor so endlos langen Jahren? Oder war das alles nur der Trug eines überschwänglichen Gefühls?
„Natürlich folge ich dir weiter. Mein König“, denke ich nur. „Was sollte ich auch sonst tun?“

Solche Überlegungen ziehen weiter ihre Kreise, nehmen immer düstere Farben an, als wir durch die Hohlräume kriechen, oft auf allen Vieren. Immer bergab, tiefer in den Bauch der Erde hinein.
Verschwitzt, durchnässt, mit aufgescheuerten Händen und geschundenen Gliedmaßen. In dem Bewusstsein, daß uns jederzeit herabfallendes Gestein erschlagen kann, denn die Decke des Ganges ist längst nicht mehr durch die Verschalungen sicher gestützt. Auf dem unebenen, mit tückischen Gruben durchsetzten Boden finden sich immer häufiger Wasserpfützen, ganze Lachen, durch die wir knietief durchwaten müssen, im Zweifelsfall sogar bäuchlings hindurchrutschen. Jederzeit in der Erwartung, ein tieferes Loch wird uns verschlingen. Alles ist glitschig, der Fels tropft, schmiert unter unseren Schritten, läßt uns eher stolpern und rutschen als gehen; oder eben kriechen.
Überall Schlamm. Unter der Kleidung, zwischen den Zehen, sogar im Mund knirscht es. Dabei wird es von Schritt zu Schritt wärmer. Die feuchtheiße, stickige Luft erschwert unser Vorwärtskommen zusätzlich.
Aber Aragorn arbeitet sich unermüdlich vorwärts. Durch alle Hindernisse hindurch. Er achtet weder auf die zunehmende Nässe um uns herum, noch auf das Knirschen und Ächzen des Felses. Als würde sich der Berg bewegen, uns zerquetschen wollen. Uns ungebetene Eindringlinge. Orientierung ist selbst für mich schon lange nicht mehr möglich. Ich weiß nur noch, daß wir stetig nach unten gestiegen, gerutscht, gekrochen sind. Daß uns aber dabei weder Gimli noch ein Berggeist begegnet waren.

Vor uns, im dunstigen Schein der Lampe vorher nur zu erahnen, öffnet sich ein kleiner Durchgang. Gerade groß genug für einen schmalen Mann, Aragorn hätte da schon seine Schwierigkeiten. Der Durchgang führt steil nach unten, soweit es im Schummerlicht erkennbar ist. Unser Weg dagegen will ansteigen.
Mein König zögert. Wendet seine Lampe zweifelnd in beide Richtungen, versucht zu erahnen, wohin die Gänge sich wenden könnten.
Und sieht mich unerwartet an. Graue Augen blitzen aus dem dunkelbraun verschlammten Gesicht, gleiten prüfend über meine hockende Gestalt.

„Du willst mir also folgen, Elb? Dann komm mit mir!“

Eine unvermittelte Bewegung, schon beugt er sich in den Durchlaß hinein, zieht seinen Beutel an den Körper und stößt sich ab. Der Untergrund ist dermaßen glitschig, der Spalt im Fels so steil nach unten geneigt, daß er fast augenblicklich außer Sichtweite rutscht. Es poltert, Steine rollen nach, ich höre ein Platschen. Dann Stille.
Ich lausche, strenge mein von den Menschen beneidetes Gehör an.
Nichts.
Außer den üblichen Geräuschen im Fels. Leises Knarren, unregelmäßiges Tropfen. Das Fallen von Steinbrocken.

Soll ich ihm folgen? Und was dann? Aus welchem Grund? Um noch mehr Abweisungen, Vorwürfe aushalten zu müssen? Wie viel leichter wäre es, … Nässe läuft mir die verdreckten Wangen hinunter. Dieser Fels ist wie eine Gruft. Die stickige Luft verhilft meinen Vorstellungen wieder ins Bewusstsein, läßt mich müde, kraftlos werden.

Hier an dieser Stelle ausruhen. Mich in den Stein kauern und vergessen. Nichts mehr denken, nichts mehr fühlen, nur Ruhe finden.
Schlafen.
Was soll mich daran noch hindern?
Wer soll mich daran hindern?
Niemanden mehr enttäuschen müssen.
Nie mehr zurückgestoßen werden.
Keine Kontrolle über andere mehr haben zu müssen, oder um die Vorherrschaft kämpfen zu müssen. Mich nur noch fallen lassen können, jetzt, in den warmen, angenehmen, weichen Felsen.
Das Gestein umarmt mich, wie zuvor die Kräuter. Fließt in mich hinein, will sich mit mir verbinden.
Sirk’an?
Leise Wehmut zaubert mir ein Lächeln um den Mund. Nie werde ich das Alte Volk kennenlernen? Nun gut, es sei so.
Zufrieden lasse ich mich von der Dunkelheit umfassen. Warte auf den Schlaf.

Eine grelle hohnlachende Fratze kreischt mich an.
Springt aus dem Nichts auf mich zu.
„Keine Flucht sei dir gegönnt, Legolas du Elbenprinz. Du gehörst zu uns. Wir sind das, was du wirklich willst. Und wir warten,…“

Das schiere Entsetzen reißt mich hoch, treibt mich mit einem Satz in den Schacht. Endlos gleite ich hinunter. Voller Furcht, allein diesem Grauen ausgeliefert zu sein, lande ich in einem unterirdischen See. „Aragorn!!“

Dieser sitzt ein gutes Stück entfernt auf einer Sandbank und macht Rast. Mit seinen gereinigten Kleidern fast schon wieder als Mensch zu erkennen.
Vollständig aufgelöst haste ich durch das knietiefe Wasser zu ihm, stolpere, falle hin. Raffe mich überstürzt wieder auf, renne weiter.
Bis ich bei ihm bin.
Unverständliches Gestammel bricht über meine Lippen, als ich mich vor ihm auf den Boden werfe. Ihn um Rettung anflehe, um ein Zeichen, ein einziges nur, daß er mir helfen wird, mich wieder annerkennen kann. Als was auch immer. Bereit bin, mich allem zu unterwerfen, wenn er mich nur annimmt.
„Dir ist eben wohl dieser Berggeist begegnet, Elb ohne Herz?“ ist seine kalte Reaktion. „Hat er dir nicht gefallen?“, seine schneidende Stimme überbietet noch seinen Blick.
Am ganzen Körper bebend, mit in den Boden gekrallten Fingern krümme ich mich zusammen.
Keine Hoffnung mehr, es ist vorbei. Soll mich doch holen wer will. Mein Geist ist aufgelöst, meine Seele schon längst verdorrt. Alles ist gleichgültig.

Ewigkeiten kauere ich vor den Füßen meines Königs. Irgendwann gewinne ich etwas von meiner Fassung zurück, bin wieder fähig, zu sprechen. Ohne ihn anschauen zu können.
Mit leisen Worten berichte ich von dem ausgestreckten Arm der bösen Macht. Der nur darauf wartet, daß ich mich greifen lasse. Daß ich mich endlich aufgebe, mein Widerstand schwächer wird. Daß ich meinem Bedürfnis nach Macht, der Begierde, Kontrolle auszuüben zu erliegen drohe.
„Aragorn, sie kennen mich seit tausend Jahren. Sie rufen mich!! Es wird mit jedem Tag stärker! Sauron ist nicht vernichtet, die Ringgeister gibt es immer noch. Sie lachen über mich, sie lauern auf mich, bald werden sich mich in ihre Reihen gezogen haben. Warum glaubst du mir nicht?“. Ein dürres Schluchzen dringt aus meiner Kehle. „Ich kann nicht mehr!“
Stockend wage ich es, meinen Kopf zu heben, ich suche seinen Blick, eine Reaktion, eine Antwort. „Du bist der letzte, der noch da ist, mein König – Aragorn – Freund?“

Hoffen kann zerreißen.


Die Halle unter der Erde

Gleichmäßiges Tropfen von Wasser erzeugt Zeitlosigkeit.

„Du siehst immer noch furchtbar aus, Legolas.“
Geflüsterte, zarte Worte in dieser dunklen Unterwelt, die ich zunächst für eine meiner Sinnestäuschungen halte. „Du nennst meinen Namen, Aragorn?“
Eine bekannte, denoch so fremd gewordenen Hand fährt über den Schlamm, der meine Haare bedeckt.
Ich schaue auf. Sehe den freundlichen Blick meines Gefährten. Ernst, fast feierlich beugt er sich zu mir herab, nimmt mein Gesicht behutsam in beide Hände.
„Ich freue mich, daß du mir gefolgt bist, Legolas. Nach Moria, in diese Tiefe, durch den Schacht bis an diesen Ort. Dieser Weg muß dir als Elb schwer gefallen sein, ungeheuer schwer. Ich hätte nicht geglaubt, daß du ihn mit mir zuende gehen würdest. Es wäre jederzeit leichter für dich gewesen, umzukehren, weiter bei den Menschen zu leben. Ich habe deine Bitten gehört, jede einzelne. Ich wollte dich erproben“
Aragorn hält inne, schaut versonnen in der Steinhalle herum, mustert den See, in dem er vor meinem Auftauchen wohl gerade gebadet hat.
Flüstert mir liebevolle Worte zu. Worte, die ich nie mehr zu hören gehofft habe.
Worte, die mir Schauer über den Rücken jagen.
„Aragorn, mein König, ich brauche dich,…“, ist das einzige, was ich entgegnen kann.
„Ich weiß es. Aber dir ist dies recht spät eingefallen, scheint mir. Einzeln wird jeder von uns scheitern an den Kräften der dunklen Macht, jedoch zusammen?“
Seine Finger fangen an, meine verkrusteten Haare zu entwirren. Behutsam lösen sie die Knoten, streichen die ineinander verfilzten Strähnen aus meinem Gesicht.
„Dir ist es wirklich elend ergangen, melarnin, musstest du denn auch so selbstherrlich zu allen sein, die dich lieben wollten?“
Die Schnallen meines Beutels öffnen sich, die nassen, schweren Ledersäcke schiebe ich achtlos beiseite. Ich möchte nur noch seiner anziehenden Stimme zuhören. Harre auf weitere Berührungen, die ich so lange vermisst hatte. Ich führe seine Hände zu den Verschlüssen meines Lederüberwurfes, helfe nach, die Haken zu lösen.
Voller Erwartung.
Und Furcht.
Furcht, mein König könnte es sich wieder anders überlegen, mich reizen, nur um mich dann zurückstoßen. War das nicht das Spiel, das ich so gerne mit allen anderen gespielt hatte?
„Aragorn, du mordest mich, wenn du mich jemals wieder so lange abweisen wirst. Noch nie bin ich irgendjemandem so lange hinterhergefolgt wie dir. Mein ganzes langes Leben nicht. Ist das nicht Beweis genug für meine Liebe?“
Behutsam werde ich Stück für Stück entkleidet. Mit leichten, unmerklichen Handbewegungen zieht er mir die schlammstarrenden Kleider vom Leib.
„Und wie oft hast du auf diese Weise getötet, mein Prinz?“ höre ich nahe an meinem Ohr. Unmerklich fahren die Lippen über meine empfindlichen Ohrläppchen, saugen sanft an den Spitzen. Stellen fast unhörbar die Frage: „Wirst du jemals wieder versuchen, mich zu verlassen?“
Meine Antwort ist ein gehauchtes: „Nie. Nie mehr. Ich gehöre zu dir. Ich brauche dich, mein König.“, während mein gesamter Körper unter dem lang entbehrten Streicheln erschauert. Alle mir verbliebene Zärtlichkeit lege ich in meine Umarmung als ich ihn zu mir ziehe, beglückt darüber, daß er sich mir nicht mehr entzieht, meinen Kuß uneingeschränkt erwidert. Daß er mich wieder angenommen hat.
„Zwischen deinen Zähnen knirscht der Sand, Legolas,“, werde ich aus meiner Versunkenheit in unser Zungenspiel geholt, „komm mit ins Wasser, damit ich dich wieder als Elb erkennen kann. Es ist angenehm warm. Ich war eben auch schon baden.“
Dem Angebot ist nicht zu widerstehen. Die restlichen Kleider fliegen auf den nächstliegenden Steinhaufen, dann lasse ich mich in den unterirdischen See gleiten.
Aragorn hat recht, das Wasser ist hautwarm, glasklar und spült leicht den lästigen braunen Dreck von meinen Gliedern. Während ich mich behaglich reinige, meine schon empfindsame Haut sowie die Haare von den letzten Schlammflecken befreie, schaue ich Aragorn zu, der sich entschlossen hat, ein zweites Bad zu nehmen und sich gemächlich auszieht.

Wie lange hatte ich nicht mehr die Gelegenheit, meinem König zuzuschauen, wenn er sich bereit macht, mich zu lieben? Seinen muskulösen und dennoch so biegsamen Körper bei jedem Kleidungsstück, das er sich herunterzieht, mehr zur Schau stellt. Beleuchtet von dem gedämpften Licht unserer Lampen, das seine braune Haut geheimnisvoll und so begehrenswert aussehen läßt. Vor dem Hintergrund einer Höhle aus hellem Gestein, das sich an mehreren Stellen in Säulen vom Boden bis zur Decke hinzieht. Ein unwirklicher, aber äußerst fesselnder Anblick, der mich aufwühlt, meine Begierde immer stärker entflammt. Lässig, sich seiner voll Stärke bewusst, steigt er schließlich ins Wasser, spritzt sich mit natürlichen Gesten naß, bis er schließlich mit einem Sprung in meine Richtung untertaucht. Seine Erregung ist nicht zu übersehen, fest und groß ist sein Glied bereits aufgerichtet, die Pobacken zusammengepresst.

Aragorn, ich will dich. Jetzt. Für dein ganzes kurzes Menschenleben lang. Ja, ich werde dich auf deinem Weg in dein Reich zurück begleiten. Ich werde dir helfen.
Aber ich werde dich nicht mehr teilen.

Sämtliche Gedanken an die dunkle Bedrohung, die auf mich lauert, sind abgedrängt in die undurchsichtigen Ebenen meines Geistes. Ich will nur noch meinen Gefährten.
Ihn lieben. Ihn besitzen.
So wie früher.

Um mein Verlangen nach ihm aufzuschieben, hechte ich ihm mit einem Sprung durchs Wasser entgegen. Ich will meinen König noch in der Bewegung erreichen, ihn umfassen und festhalten. Seine Hitze spüren, noch mehr steigern. Sein Begehren in die Höhe treiben, von der er ohne meine Hilfe nicht mehr herunterfindet. Ihn flehen hören, ich solle ihn befreien aus seiner Leidenschaft. Seinen Schwur hören, mich immer zu begleiten. Ich will ihn an mich binden, um nie wieder von ihm zurückgestoßen werden zu können.

Wir treffen uns in der Mitte des kleinen Sees in fast hüfthohem Wasser.

Erregt und unbeherrscht ist unserer Begegnung. Ein kleiner Rest der vorhergegangenen Zärtlichkeit ist noch geblieben und bewahrt uns vor einem ernsthaften, verletzenden Kampf.
Jeder von uns möchte die Dominanz über den anderen erlangen. Seinen Körper besitzen, seine Seele beherrschen.
Unsere Lippen treffen heiß und hart aufeinander, meine Zähne graben sich in sein Fleisch. Unser Blut vermischt sich, läuft warm das Kinn herunter. Die roten Tropfen im Wasser breiten sich aus.
Aus der Umarmung wird rasch eine Umklammerung, die uns vor Anstrengung schwitzen läßt, nicht nur vor Erregung. Genährt aus der Angst vor Verlassenwerden, vor der Verlassenheit. Keuchend ringen wir miteinander in dem wellenschlagenden Wasser, jeder bemüht, den anderen zu Fall zu bringen, ihn dann umso erfolgreicher verführen, enflammen zu können. Lust und Machtwille verbinden sich unlösbar.
An unserer Umklammerung festhaltend, rollen wir prustend und spucken durch den See, tauchen uns gegenseitig unter, schnappen heftig nach Luft. Bis zum Äußersten angespannt, diesen Kampf gewinnen zu wollen und gleichzeitig bemüht, unsere Erregung nicht überschießen zu lassen, erreichen wir schließlich seichteres Wasser am sandigen Ufer.
Meine feuchte glatte Haut rutscht über die etwas rauere Haut meines Geliebten, meines Widersachers. Irgendwann glitschen seine Arme durch den Griff meiner Hände, ich verliere den direkten Körperkontakt zu ihm. Mit einer unvorhersehbaren, ungestümen Drehung bringt Aragorn mich zum Stolpern. Als ich versuche, mein Gleichgewicht in diesem Kampf, diesem Liebesspiel, durch einen kleinen schnellen Ausfallschritt wieder zu erlangen, ist Aragorn schon blitzschnell vor mir, zieht mit der einen Hand meine Hüfte zu sich, und beugt sich über meinen zurückgelehnten Oberkörper.

Ein unerwarteter Blickkontakt, in den ich ungewollt meine ganzen Wünsche hineinlege.

Diese Unaufmerksamkeit wird auf der Stelle ausgenutzt, ich sehe nur noch ein erleichtertes Lächeln über das Gesicht meines Königs huschen und merke erstaunt, daß ich jegliche Standfestigkeit verloren habe. Der kurze Flug durch die Luft läßt mir Zeit genug, um mir bewusst zu werden, daß er der Überlegene ist. Es wohl auch zu allen Zeiten gewesen war.
Wie konnte ich jemals nur das Gegenteil glauben?
Unsanft lande ich mit dem Rücken auf dem harten Sand, noch halb im Wasser. Die nassen Körner schürfen mir den Rücken auf, als ich darüber rutsche.
Der Versuch aufzustehen, mißlingt, denn Aragorn ist direkt über mir, presst mir beide Arme in den nachgiebigen Untergrund. Sein gesamtes Gewicht lastet auf meinem Oberkörper. In der Stellung ist Bewegung fast unmöglich.
„Na, Legolas, ist es nun endlich entschieden? Ich liebe dich, du verbohrter Elb, aber,“
Seine Hüfte beginnt, sich aufreizend über meinen Bauch zu bewegen, kreist hin und her. Stöhnend schaue ich zur Seite, suche mir eine Steinsäule, um meinen Blick daran zu ketten. Nur nicht mehr in seine Augen schauen!
„…, aber du wirst mich immer mit meinem Reich teilen müssen. Und ich erwarte von dir Loyalität. Mir gegenüber, und meiner Arbeit gegenüber. Und ich fordere deine Hilfe ein.“
Der Druck gegen meinen Unterkörper wird stärker. Sein Glied bettet sich in meinen hartgewordenen Bauch ein, reibt sich an meiner Haut. Wellen der Erregung breiten sich aus, lassen sich durch keine Gedanken mehr zurückdrängen.
Ich will ihn.
Egal wie.
Er hält inne, richtet sich, auf mir sitzend, auf. Seine Finger streichen zart, aber denoch besitzergreifend über meine Brust, umfahren die harten, aufgerichteten Brustwarzen. Widerwillig suche ich sein Gesicht, weiß ich doch, daß ich nun meine Niederlage zugeben muß. Ich berühre ihn ebenfalls, möchte sein Verlangen ebefalls so anfachen, daß er seine Aufgabe darüber vergisst, jedenfalls für jetzt, diesen Augenblick. Sofort sind meine Handgelenke in einem harten Griff umfasst.
Die Stärke dieses Menschen ist außergewöhnlich.
Und seine Zielstrebigkeit ebenfalls.
„Aragorn, laß uns später darüber reden, komm zu mir, liebe mich. Ich habe so lange darauf gewartet,…“
Meine gestammelten Worte beeindrucken ihn nicht im Geringsten. Immer noch meine Hände festhaltend, beugt er sich über mich, läßt seine Zunge über meinen Hals spielen, über die Brust, sie gleitet tiefer, saugt sich zärtlich in der Leiste fest. Mein ganzes Ich sehnt sich nach dem wilden, ungezügelten Rausch der Bewegungen, der kurz vor der Erlösung einsetzt. „Beende das, Aragorn, mein König.“, flüstere ich heiser, während mein Körper sich ihm entgegenbäumt, „nimm mich auf, laß mich in dich hinein“.
Seine Zunge umkreist geruhsam meine Gliedspitze, leckt mal hier mal da, ungeachtet meiner krampfhaften Versuche, das Geschehen zu beschleunigen. Er denkt ganz und gar nicht daran, mich in meiner Erregung zu begleiten, sondern steigert meine Lust weiter ins Unermeßliche.
Gezügelt, gekonnt und mit Genuß.
„Eigentlich warte ich noch auf deine Antwort, mein Prinz. Oder soll ich mich zurückziehen?“
Mein Körper drückt ein einziges „Nein!“ aus.
Ich flehe ihn an, fortzufahren, mich jetzt nicht allein zu lassen.
„Siehst du nun, wie es ist, ausgeliefert zu sein, angewiesen auf den guten
Willen eines Partners?“
„Aragorn, was willst du noch? Du hast mich. Mit allem!“
„Das dachte ich auch früher schon einmal, … mein Prinz. Bin ich dir zu folgsam gewesen? Habe ich dich gelangweilt, daß du gegangen bist?“
Aragorn wirft sich wiederum behende und kraftvoll über mich, saugt sich mit einem weiteren, unendlichen und doch so besitzergreifenden Kuß in mein Wesen. Nie hätte ich ihm diese Entschiedenheit zugetraut, nach unserer ganzen gemeinsamen Wanderung nicht. Verzweifelt presse ich ihn an mich, verfluche in Gedanken mich und meine Sehnsüchte.
Gebe meinen Eigenwillen auf.
Überlasse mich seiner Führung und erwiedere seinen Kuß auf eine mir bei meinem König ungewohnte, nachgiebige Art.
Soll er mich haben wie er möchte. Mein Körper sehnt sich nach seinen Berührungen. Mein Geist möchte sich an ihm reiben. Und meine Seele?
Meine Seele braucht ihn.
„Ich folge dir, mein König. Nimm mich, nimm mein Herz. Wenn du es noch willst?“
Eine plötzliche Unsicherheit überkommt mich. Wenn er mein Angebot nun doch noch ablehnt, sich nicht die giftige Spinne in meinem Herzen ins Haus holen will? Warum zögert er?
„Dreh dich um, mein Prinz. Bitte. Fordern will ich nur deine Loyalität. Ansonsten bitte ich dich.“

Ungeduldig folge ich seinem Wunsch, erlebe seine festen Muskeln, als er mich von hinten umschlingt. An sich presst. Sich zwischen meine Pobacken drängt. Auch er kann sein Temperament nun nicht mehr zurückhalten, heftig erzwingt er sich Einlaß in meine noch enge Öffnung. Der altbekannte Schmerz zieht sich durch die Eingeweide, läßt mich innehalten. Warten, bis die Welle abgeebbt ist und meinem übermäßigen Verlangen Platz macht, unter dem ich mich im feuchten Sand winde, nichts mehr wahrnehme außer meinem König neben mir, über mir, in mir.
Inzwischen ist er ebenso leidenschaftlich berauscht wie ich. In seiner Umklammerung, unter seinen Stößen jagen wir untrennbar vereint unserem Höhepunkt zu.
Befreiend, rettend, verschlingend.
Als wir danach eng umschlungen auf dem feuchten Sand liegen, den Nachhall unserer wiedergewonnenen Einigkeit genießen, bohren sich Aragorns geflüsterte Worte in meinen Verstand: „Dein Herz nehme ich gern, mein Prinz, jedenfalls das, was davon noch übrig ist.“

Ich schließe die Augen, kauere mich in seinen Armen zusammen und lausche mit wachsendem Entsetzen den wiedererwachten Stimmen.
Verlassen an der Seite meines letzten Geliebten.

Zarte Finger streichen mir wiederholt die verschwitzten, klebenden Haare aus der Stirn.
„Sorge dich nicht mehr über die Rufe der dunklen Macht, mein Prinz. Die Nazgul werden dich an diesem Ort nicht erreichen können. Hier haben sie keine Macht. Schau dich nur um, wir sind im Reich des Berggeistes, im Inneren der Erde. Und an die Oberfläche werden wir nie wieder zurückkehren. In dieser Halle werden wir Sterben. In Frieden.“


Irrgarten

Diese Worte habe ich nicht gehört. Oder doch?
Das kann doch nicht wahr sein!!
„Aragorn, was hast du gerade gesagt? Los, das wiederholst du!“. Das Befremden muß mir ins Gesicht geschrieben sein, denn Aragorn verliert sein abwesend – verklärtes Aussehen ein wenig.
„Legolas, mein Prinz,“, seine Finger gleiten wiederum so unendlich liebevoll über meine Haare, „…, was sollen wir noch in der korrupten Welt der Menschen und Orks. Nichts als Leid, Geldgier und Betrug. Und wenn du wirklich von den Nazgul gerufen wirst,…, Legolas, dann kann ich dich nicht schützen. Niemand kann das. Aber gehen lasse ich dich ebenfalls nicht. Versteh doch. So schlimm ist der Tod nicht. Alle Menschen sterben. Irgendwann. Und warum nicht jetzt? Bevor größeres Unheil über Mittelerde hereinbricht?“.
Er drückt mir einen trägen Kuß auf die Wange, will mich zu sich herabziehen.
„Bevor ich, ich Legolas, größeres Unheil über Mittelerde bringe, wolltest du wohl sagen?!“, rutscht es mir aufgebracht über die Lippen. „Du hast mich unter dem Vorwandt, Gimli suchen zu gehen, hergelockt, um mit mir zu sterben? Du willst mich nicht einmal mehr kämpfen lassen gegen diese, diese Geister. Diese Untoten? Hat dir dieser Berggeist ins Gehirn gespuckt?
Wir gehen. Steh auf, Los, hoch mit dir. Jetzt wird noch nicht gestorben!“
Mit wachsendem Eifer rede ich auf meinen lethargisch daliegenden Geliebten ein. Ohne großen Erfolg, mit einer abwehrenden Handbewegung wischt er meine Aufforderungen, sich aufzurappeln, beiseite.
„Und ich habe allen Ernstes gedacht, du würdest mich lieben. Mit mir in die Menschenwelt zurückkehren, um von Neuem zu beginnen. Du, du bist der Verräter, nicht ich. Verräter aus Schwäche!“.
Während dieses Ausbruchs kann ich mich nicht mehr beherrschen und schlage Aragorn zweimal heftig ins Gesicht, während ich ihn hochzerre und die Kleider zuwerfe.
Noch nie hatte ich eine stärkere Sehnsucht danach, im Freien zu sein, frische Luft zu atmen und über weichen Waldboden zu laufen.
Diese verfluchte Höhle! Kein Wunder, daß bizarre Gedanken, eigenartige Wünsche den Willen umformen, bis nur noch Sterben und Auflösung die Gedanken beherrschen. In dieser dumpfen, brütenden Luft die bewegungslos in der Halle steht.
Trotz der Eile beim Anziehen und den Befehlen an den sich sträubenden Aragorn, sich doch endlich ebenfalls für den Weitermarsch bereit zu machen, gönne ich mir einen Augenblick Zeit, um mich in dem Hohlraum, in dem wir uns befinden, umzusehen.

Zur Orientierung, sicher, aber auch aus Bewunderung für die Formen des hellgrauen Gesteins. Die Höhle, deren Boden die ungefähr zur Hälfte von dem kleinen See bedeckt ist, bietet einen wahrhaftig märchenhaften, unwirklichen Anblick. Säulen aus dem hellen Stein säumen die Wände, reichen vom Boden bis zur gewölbten Decke. Sie erinnern an Eiszapfen, die in langen Wintern von den Dächern kalter Gegenden wachsen. Nur etwas grauer, nicht so durchsichtig. Im Schein der Lampen glitzern die Wände, werfen ab und an auch das Licht zurück. Farbige Bänder laufen rötlich schimmernd an der Wand entlang. Ein aus natürlichem Stein gewachsener Säulenpalast. Der Hintergrund der Halle verschwindet im Dunkel, sodaß ich ihre Ausdehnung nur erahnen kann. Und nirgendwo sehe ich herumliegendes Gestein, das von der Decke heruntergebrochen ist, wie sonst überall in den Gängen, durch die wir hierher gelangt sind. Auch der Fels ist vollkommen unterschiedlich von dem der Zwergengrube, hellgrau, hart und fest, nicht schwarzbraun und bröckelig, sodaß er überall abgestützt werden muß, damit die Gänge nicht zusammenbrechen,… Wo sind wir angekommen, nach unserer Fahrt durch den schmalen Stollen? Das ist nicht das Zwergenbergwerk, das ist nicht von Zwergenhand geschaffen.

Das ist älter, viel älter.

Ich treibe Aragorn weiter zur Eile an, denn mit wachsendem Grausen fallen mir Bruchstücke uralter Erzählungen, Sagen über die Berge, natürliche Höhlensysteme und deren Bewohner ein. Die Elben waren wesentlich älter als die Zwerge und bei weitem nicht so stark mit edlen Metallen oder glänzenden Steinen zu blenden. Nicht so unbeherrscht mit der Gier danach geschlagen. Aber was beruht bei Erzählungen aus den Vorzeiten auf Tatsachen, was ist Ausschmückung? Wie könnte ich das auseinanderhalten?
„Sirk’an, hilf mir, ich bin doch nur Krieger, kein Gelehrter, und du kommst doch aus dem
Alten Volk, du weißt soviel mehr als ich,…“ murmele ich halblaut vor mich hin, als ich Aragorn die letzten Ausrüstungsgegenstände überhänge, ihn endlich auf die Füße getrieben habe.
Menschen! Zuerst besiegt er mich im Kampf und in der Liebe, dann nimmt er mein Herz – oder den Teil meines Herzens, über den ich noch frei verfügen konnte, wie ich mich schaudernd berichtigen muß – und dann will er sich einfach fallen lassen und sterben.
Wie ein abbrennendes Feuer!
Und ich muß den Retter spielen. Wer soll das verstehen?
Aber die Zwerge schienen von diesem Höhlensystem nichts zu wissen, sie hätten diesen geheimnisvollen Gängen niemals widerstehen können. Und die Nachricht davon wäre auch zu uns Elben gedrungen, in den Zeiten, als Moria jahrhundertelang besiedelt gewesen war um ausgebeutet zu werden. Lauerte in diesen Gängen der vielbeschworene Fluch von Moria? Älter als der Balrog, als jedes lebende Kreatur in Mittelerde? Außer vielleicht die Wesen vom Alten Volk mit ihrer Magie,…

Jäh werden in meinen verwickelten Überlegungen durch die harsche Frage meines Geliebten „Was soll das mit dem alten Volk, wer ist Sirk’an?“ unterbrochen.
Erleichtert grinsend sehe ich ihn an, froh über die Lebenswillen versprechende Eifersucht in seiner Stimme. „Sirk’an? Hmm, da muß ich überlegen, soll ich euch beide mal vergleichen? Zumindest würde er sich nicht so hängen lassen!“, fahre ich ihn schließlich an.
Die Betroffenheit in seinen Augen, stimmt mich milder, während wir nun unter meiner Führung das unbekannte Ende der Halle erkunden.
„Sirk’an ist ein Vertreter des rätselhaften Alten Volkes, uralt und den Göttern gleich. Bis auf wenige haben sie sich zurückgezogen, gehen mit Magie um. Ihn habe ich kennengelernt – vor tausend Jahren“, betone ich rasch mit einem Seitenblick auf den mit jedem Wort finsterer werdenden Aragorn, „auf meiner ersten Wanderung. Im Norden. Dort wurde ich gefangen, nun ja, ich war noch recht unerfahren, und bin unbedacht dort oben herumgelaufen. Ich wurde also gefangen. Meine erste Erfahrung mit Folter und Tod – und den dunklen Mächten.“
Aragorn zuckt merklich zusammen bei meinem äüßerst lückenhaften Bericht.
„Dieser Mann aus dem Alten Volk war auch dabei. Wir sind zusammen geflohen, haben uns dann irgendwann getrennt. Ich ging wieder in den Düsterwald zurück. Und Sirk’an? Ich weiß nicht, jedenfalls, er suchte mich einmal in der Stadt auf, ..“
„Als was?“, eifersüchtelt mich Aragorn weiter an, als wir gerade daran gehen, zwei weiterführende Gänge am Ende der Halle zu untersuchen. „War er gut? Bestimmt besser als ich gewöhnlicher Mensch. Mit wem hast du eigentlich nicht im Bett gelegen?“
Beruhigend nehme ich ihn in den Arm, flüstere ihm meine Liebe ins Ohr.
„Ja, du hast mir dein Herz gegeben, Legolas, aber nicht aus Liebe, nicht mit aller Freiwilligkeit. Sondern weil du mich brauchst, wie du denkst. Das macht mich traurig. Verstehst du, das nagt an mir! Wir Menschen leben nicht ewig! Ich kann nicht Jahrhunderte auf dich warten, du Elb, bis du dich wieder an mich erinnerst, mich haben willst! Begreife endlich, daß ich ein Mensch bin. Jemand der nur noch eine kurze Zeitspanne leben wird, nach Elbenbegriffen gemessen. Und du redest von Jahrtausenden! Was willst du eigentlich mit mir?“

Betroffen ziehe ich den schwer atmenden Aragorn zu mir. „Jetzt verstehe ich deinen Wunsch, mit mir zusammen hier zu sterben. Aber es ist noch nicht Zeit, wir haben unser Schicksal noch nicht erfüllt. Du, mein König noch nicht, und ich, ich ebenfalls nicht.“
Wie empfindsam und zerbrechlich ein Mensch sein kann!
„Und ich hoffe, ich kann meinem Geschick entgegentreten, wenn ich ihm schon nicht entfliehen kann.“, füge ich leise hinzu. Voller Zuneigung und Kummer.
Dann erzähle ich Aragorn das Wesentliche von Sirk’ans Idee, ein Reich zu gründen, in dem alle Wesen Mittelerdes ihren friedlichen Platz haben können.
„Ein guter Gedanke, aber wie soll das aussehen? Schon die Völker, aus denen die Verbündeten kamen, vertragen sich nicht mehr miteinander, nicht auf Dauer. Und dann mit Orks zusammen leben? Jeder Mann, sei es Mensch, Zwerg oder Elb, gerade die Elben, würde die Idee als Hochverrat anprangern. Wie willst du das erreichen? Elb, du träumst.“
Bedenkliches Kopfschütteln begleitet seinen Einwand.
Aragorn hat recht, es wird die schwierigste Aufgabe meines Lebens werden. Nein, die zweitschwerste. Und erst müssen wir raus aus dieser verfluchten Unterwelt!

Zwei Gänge gähnen uns dunkel an. Ein kleinerer, der noch weiter in die Tiefe zu führen scheint. Der eindeutig nicht für die Größe von Elben und Zwergen geeignet ist. Und vom blinden Kriechen in höchstends hüfthohen Stollen haben wir beide genug.
Übergenug, wie Aragorn mir mit einem Stirnrunzeln bestätigt.
Also den anderen Gang.
Der sieht zumindest anfangs bequemer zu durchgehen aus. Immerhin müssen wir uns nur bücken und uns nicht mit der Nase auf dem Boden hindurchquälen,…
Dafür verzweigt sich dieser Gang an jeder Biegung. Nach rechts, links, in die Höhe, selbst treppenähnliche Stufen locken zum Herabsteigen. Die Pracht der Steinsäulen, das Schimmern an den Wänden nimmt zu. Hin und wieder fällt mir ein besonders schöner, farbiger Stein auf, oder mächtige Kristalle, die halb aus dem Stein herausgewachsen sind.
„Wenn Gimli hiergewesen ist, diese Schönheit, diese Wunder gesehen hat. Einfach nicht zu glauben, dieses Pracht, hier. Legolas, berührt dich dieser Glanz unter der Erde denn gar nicht? Ich kann verstehen, daß Gimli dem nicht widerstehen konnte, sich verirrt hat.“
„Nicht mehr losgekommen ist, an diese Steine gekettet worden ist, wolltest du wohl sagen! Das ist zu unwirklich, zu trügerisch. Aragorn, um wahr zu sein. Ist dir noch nicht aufgefallen, das die Zwerge hiervon nichts wussten? Daß noch nie jemand über eine solche Höhle in Moria berichtet hat? Selbst die Zwerge hätten das nicht geheim halten können, nicht über Jahrhunderte! Und wo sollen wir Gimli eigentlich suchen? Ist dir inzwischen etwas dazu eingefallen?“
Ich muß den staunenden Menschen wieder einmal von einem zugegebenermaßen besonders strahlend funkelnden Kristall wegziehen, fast mit Gewalt: „Los, weiter, weiter. Unser Licht wird nicht lange halten. Oder willst du auch als Steinsäule enden? Wir gehören noch oben, in die Sonne, unter den Mondschein. Und den Weg nach draußen suchen wir jetzt. Und Gimli werden wir schon noch finden. In diesem Labyrinth,…“
Ohne Orientierung stolpern wir weiter. Die Gänge nehmen kein Ende, höhnen uns mit ihren Verzweigungen nach.
Wie oft sind wir schon an dieser Kristallgruppe vorbeigekommen? Nach rechts oder eher nach links? Diese Fragen stelle ich mir schon gar nicht mehr. Als würden die Steine näher rücken, uns einschließen wollen in unserem planlosen Umherstolpern. Beklemmung stellt sich ein. Auch Aragorn verliert letztendlich die Faszination über die Farben und Formen,…
Plötzlich öffnet sich vor uns die Säulenhalle mit dem See. Wie kommt die dahin? Gut, in solchen Höhlen läuft man leicht im Kreis, aber der Gang, durch den wir die Halle betreten,… Der war doch vorhin noch nicht dagewesen?
Das Reich des Berggeistes. Ein greifbarer Balrog wäre mir jetzt lieber als diese Trugbilder, diese sich veränderten Irrgärten. Erschöpft lasse ich mich auf den nächstliegenden Stein fallen. „Was nun?“

Aragorn antwortet nicht, läßt sich stattdessen ebefalls ziemlich verzagt neben mir nieder. „Im Kreis gelaufen wie zwei Narren.“, stellt er treffend fest. „Wie lange reicht unser Licht noch?“
„Halbvoll sind sie noch, unsere Lampen. Aber Zeitgefühl habe ich keines mehr. Und Orientierung? Was war das noch schnell?“
„Spar dir deine Ironie, Legolas. Denk lieber nach. Da wir uns entschieden haben, nun doch nicht zu sterben. So langsam möchte ich raus aus diesem Loch!“
„Hmm, wer ist hier ironisch? Ist dir schon aufgefallen, daß sich die Gänge verändern, das Gestein mit jeder Biegung neue Möglichkeiten ausformt, sich zu verlaufen? Das ist keine Höhle, Aragorn, das ist Magie. Und wir sind mitten drin, mit uns wird gespielt.“
„Und was sagt die tausenjährige Weisheit deines Volkes dazu?“
„Aragorn, laß das endlich! Ich bin zwar Elb, aber nicht weise. Weder Magier noch Gelehrter. Woher soll ich den Weg zum Ausgang wissen?“, schnaube ich zurück. „Noch einen Versuch? Zum Sterben kommen wir wieder hierher zurück, Aragorn, da es dir vorhin an diesem Platz so gut gefallen hat,…“
Stöhnend rappeln wir uns wieder einmal auf, gelangen zum Höhlenende. Die beiden weiterführenden Gänge sind überraschenderweise noch vorhanden, sie haben sich auch nicht vermehrt, wie ich zuerst befürchtet hatte. In diesem Kristallgrab halte ich inzwischen alles, wirklich alles für möglich.
Wir schauen uns an.
„Denn größeren Gang hatten wir eben, nehmen wir jetzt den kleineren?“
Ergeben nicke ich meine Zustimmung. Also doch mit der Nase auf dem Boden durch die Felsspalten zwängen, bis wir uns nicht mehr umdrehen können, stecken bleiben, der Berggeist uns frißt,…
Ich mache den Anfang und robbe mich die ersten hundert Schritte weit durch die Lücke.
Habe ich nicht eben ein dumpfes Lachen gehört oder beginnen meine Trugbilder von Neuem, mich zu narren?

hier geht´s weiter

~~~~~