Titel: Wege
Autor: Ilkiran


Die Gruft

Mühsam arbeite ich mich vorwärts.
Vermag mein König mir noch zu folgen?
Schürfende Geräusche hinter mir, ein ersticktes Keuchen.
Sich eingraben.
Erschöpfung.
Aussichtslosigkeit.
Liegenbleiben.

Etwas stößt an meine ausgestreckte Füße. Rüttelt daran.
Dringen aufmunternde Worte an mein Ohr? Ich weiß es nicht.
Selbst die Stimmen in meinem Verstand schweigen still.
Zeitlosigkeit.

Eine kurze Strecke will ich mich noch vorwärtsschieben, dann gebe ich auf.

Vor mir erscheint ein Schimmer.
Wird zu einem Licht.
Hell, strahlend, blendend.
Verschlingend.

Mit letzter Kraft befördere ich meinen zerschundenen Körper aus dem Spalt heraus in eine weitere Höhle.
Und bin erschüttert.
Vor mir, in diese gleißende Helligkeit getaucht, liegt ein unterirdischer Spiegelsaal. Unwirklich und erhaben.
Geblendet kneife ich die Augen zusammen, wende den Kopf ab. Taste nach Aragorn, halte mich an ihm fest, ihm, der in sprachlosem Entsetzen den Kopf in seinen Händen birgt.
In diesem Saal werden wir enden.

Die Totengrüfte des Berggeistes für all jene, die zu begehrlich seine Reichtümer erjagen wollten.

Aufgereiht an den glatten, verspiegelten Wänden, nebeneinander auf dem Boden liegen rechteckige, durchsichtige Totenschreine. Schmale Lücken zwischen ihnen lassen gerade noch Platz genug, damit ein Mensch hindurchgehen kann.
Stille umfängt uns.
Hinter uns verschließt sich der Spalt, durch den wir hindurchgekrochen sind lautlos. Der Fels wächst einfach zu. Wie lebendes Gewebe. Jedoch hart und undurchdringlich.

Wir hetzen hintereinander durch die schmalen Durchlässe zwischen den Särgen. Erreichen die gegenüberliegende Wand der Halle. Suchen nach Lücken im Fels, nach Zwischenräumen. Finden nur harten, spiegelnden Stein, das unsere Silhouetten verzerrt zurückwirft.
Kein Ausgang. Kein Eingang mehr.
Kein Loch, kein Riß im Gestein.
Und außer dem Nachhall unserer Schritte und unserem verzweifelten Keuchen kein Laut.
Sozusagen Totenstille.

„Das war’s, mein geliebter Elb. Verzeih mir, daß ich dich mitgenommen habe in dieses Verlies.“, höre ich Aragorns brüchig gewordene Stimme.
Gerne würde ich ihn jetzt trösten.
Aber ich kann nicht auf seine tödliche Niedergeschlagenheit achten.
Denn noch leben wir.

Aufmerksam gehe ich ein zweites Mal durch den Saal. Diesmal in aller Ruhe, gesammelt und entschlossen.
Dies ist Magie. Eine gänzlich andere Form von Magie wie sie Sauron benutzt. Dagegen zu kämpfen wäre zwecklos, würde genau das Gegenteil bewirken, da bin ich mir sicher. Habe ich eine ähnliche Macht nicht schon öfter gespürt? Aber wo nur?
In Angmar? Damals?
Die Steinsärge erscheinen in einem milchigen Weiß. Durchscheinend ist die mir unbekannte Gesteinsart, die verzerrte Körper in sich einschließt. Der Größe nach zu vermuten sind die meisten der Toten Zwerge. Aber ich gehe auch an größeren, massigeren Gestalten vorbei. Menschen, vielleicht sogar Orks?
Schön ist das Gestein, in dem die Toten festgehalten werden. Und abstoßend der Zweck, dem es dienen muß.
Ich streiche über einen der Särge. Eiskalt. Der nächste. Wiederum eiskalt.
„Legolas, was tust du? Wir werden früh genug in einer dieser Kisten liegen, musst du sie jetzt schon streicheln?“
„Ich suche Gimli“, gebe ich zurück, „hier sind die zu finden, die zu unbedacht in die Tiefe gedrungen sind, dem Fels alles entreißen wollten.Ihn entehrt haben. Gimli wird auch dabei sein.“
„Und dann, wenn du ihn gefunden hast? Betten wir uns dann neben ihn?“
Wieder dieser spitze Tonfall. Hat Aragorn sich schon aufgegeben?
Ich gehe weiter durch die Reihen, berühre jeden einzelnen Sarg. Schicke meinen Geist hinein, um zu ergründen, wer, welches Wesen in dem eisigen Gestein eingeschlossen ist. Wie es dort
hereingekommen ist.
Aus reinem Eigennutz, Habgier oder aus anderen Motiven?
Einem guten Stück Abenteuerlust möglicherweise, vermischt mit dem Überdruß vor einem übersichtlichen, berechenbaren Leben in einer strengen Rangordnung? Gimli als Adliger in der strengen Hofetikette eines aufblühenden Zwergenstaates eingebunden? Das war kaum vorstellbar.
In Gedanken bitte ich darum, daß Gimli, mein Gefährte, nicht der den Zwergen eigenen Gier nach den kostbaren Steinen verfallen gewesen ist. Jedenfalls nicht zu sehr. Denn dann konnte ich noch Hoffnung haben. War dieser Ort nicht für die Wesen Mittelerdes gedacht, die das Reich des Berggeistes entwürdigen wollten , mit ihrer unersättlichen Besessenheit nach seinem Gebein?
Aber wenn unser Freund aus Wagemut und auf der Flucht vor der Einförmigkeit eines Lebens als Zwergenfürst in das Reich des Geistes eingedrungen ist? Wäre dann meine Zuversicht so abwegig?
Weiter streife ich an den toten Steinsärgen vorbei, fahre mit meinen Händen über die glatte Oberfläche jedes einzelnen. Dringe zu den Eingeschlossenen vor. Lege meine ganze verbliebene Kraft hinein.
Kalte Herzen. Vereiste Körper.
Die Kälte kriecht über die Finger in die Hände. Mein Handgelenk wird starr.
Trotzdem führe ich mein Vorhaben weiter durch.
Der zusammengesunkene, kleinmütig dasitzende Aragorn bindet meine Gedanken nicht mehr.
Für den Augenblick nicht mehr. Nur noch die Eingeschlossenen sind für mich existent in ihrer Starre.
Wenige der Totenschreine liegen noch vor mir. Was, wenn Gimli überhaupt nicht bis in diese Gruft gelangt wäre? Sondern irgendwo in den Gängen in die Irre gelaufen ist, verdurstet, zusammengebrochen?
Der letzte Sarg fühlt sich nicht ganz so eisig an wie alle vorhergehenden.
„Ich habe ihn gefunden! Endlich! Hier ist er, Gimli liegt hier drin!“ Vor Erleichterung und Freude über meinen Sucherfolg rufe ich aufgeregt durch die Grabesstille. „Aragorn, komm! Wir haben ihn entdeckt. Jetzt hilf mir, allein kann ich nicht befreien, dazu braucht er uns beide.“
Aragorn schaut kaum auf, wirkt selbst schon ziemlich erstarrt. Ich ziehe ihn auf die Beine, bevor er ganz versteinert, dränge ihn zu dem eingeschlossenen Gimli. Suche nach einer Möglichkeit, unseren Freund zu befreien, falls er noch lebt.

Eingehend erkläre ich meinem König, wie wir den Zwerg unter Umständen aus der Steingruft erlösen können. Wenn alles gut geht.
Lange rede ich auf den verwirrt dastehenden Freund ein.
„Du willst mich von Magie überzeugen, Legolas? Wir beide sollen Magie ausüben, gegen diesen Berggeist in seinem ureigensten Bereich? Bist du etwa unter die Zauberer gegangen, mein Elb?“
Nachdem ich all meine Überzeugungskraft aufgeboten habe, willigt er zu guter Letzt ein, es mit mir zu versuchen. Den Berggeist zu bitten, ihn freizulassen, wenn er wirklich der Suche nach den Steinen entsagen will. Aus freiem Willen bereit ist, das unterirdische Reich zu verlassen. Um nie wieder zurückzukehren.
An den langen Seiten des Sarges stehen wir uns gegenüber. Der zweifelnde Aragorn und ich, der Elb. An den Händen gefasst, schicken wir unsere Bitten zu der Wesenheit des Berges.

Dumpfes Gelächter antwortet.
Grollt an- und abschwellend durch die Halle.
Wird von den Wänden zurückgeworfen.
Umwirbelt uns immer enger.

Worte kristallisiere sich heraus.
„Ihr wollt die Zwerge zum Aufgeben bewegen?
Ein Elb, ein Mensch und ein Zwerg wollen aus meiner Herrschaft entweichen?
Dann gebt mir die Ehrerbietung die mir gebührt, ihr Kurzlebigen.
Schwört, Moria zu fliehen. Es für alle Zeiten zu meiden. Nie mehr einen Fuß hineinzusetzen.
Dann geht. Aber geht schnell, sehr schnell.“

Die Worte werden unverständlich, wechseln zu dem schauerlichen Lachen über.

Aber wir dürfen das Reich des Geistes verlassen.

„Wenn ihr könnt,…, sonst behalte ich euch alle drei“, vermeine ich zu hören.

Wie Eis im Frühjahr taut der Sarg unseres Freundes auf. Wir stehen inmitten von geschmolzenem Stein. Schauen auf Gimli herab, der auf dem Boden ausgestreckt liegt, in Bergmannskleidung, mit Seil und Schaufel ausgerüstet.
Graue Haare bedecken Haar und Gesicht.
„Gehen wir? Meine Füße werden naß.“, muß ich bei seinem erstaunten Gesichtsausdruck einfach sticheln, als wir ihn mit vereinten Kräften in die Höhe ziehen.
„Ihr habt lange gebraucht, bis ihr mich gefunden habt, aber was kann ein Zwerg von einem Mensch und einem Elben unter der Erde schon erwarten?“, kommt die schlagfertige Antwort aus dem grauen Gestrüpp um Mund und Nase.
Befreiendes Lachen, wir fallen uns in die Arme wie kleine Kinder.

Ein plötzliches Rumpeln läßt uns aufhorchen. Vor uns öffnet sich ein Loch in der Wand, durch das wir in aller Eile hindurchstürzen, in einen brauenen, verfallenen Stollen, dessen Verschalung halb heruntergebrochen ist. Wieder in der Zwergengrube, schießt es mir erleichtert durch den Kopf.

Aber das Lachen folgt uns noch eine Weile.
„Beeilt euch. Und kommt nie wieder,...“


Flucht

Gimli übernimmt wie selbstverständlich die Führung. Knurrt unwillig unverständliches Zeug in seinen Bart, als ich ihm die Bedingungen schildere, unter denen der Berggeist uns ziehen gelassen hat.
„Sich aus Moria zurückziehen? Der ergiebigsten Zwergenbinge aller Zeiten?“, flucht er unermüdlich vor sich hin, als er sich durch das Labyrinth der halbverschütteten Gänge den Weg nach oben sucht.
Nein, nicht nach oben. Sondern zu dem Korb, der uns nach oben bringen wird, fällt mir ein. Wenn bis dahin nicht längst alles zusammengebrochen ist, …
Sein Ortssinn ist unglaublich. Zielstrebig findet er die Stollen, die in immer besser ausgebaute, gut gestützte Gänge münden. Schnell kommen wir vorwärts. Kaum zu verstehen, wie armselig Aragorn und ich uns in dieser Unterwelt geschlagen haben!
„Gleich sind wir an der Stelle, an der unsere vordersten Männer arbeiten. Sie bauen dort das Erz ab, aus dem das begehrte Mithril geschmolzen wird. Seht ihr die dunkle Ader dort an der Wand, wie sie neben uns herläuft? Das ist eine erzführende Schicht, die von uns mit Meißeln herausgeschlagen und dann durch die Hauptstollen zum Korb transportiert wird, ...“
Sein Redefluß beginnt, strapazierend zu werden.
„Werden alle Zwerge zu Lehrmeistern, wenn sie über ihre Arbeit in den Gruben reden? Wir müssen raus hier, das ist das einzig Wichtige jetzt. Die Grube muß geräumt werden. Sofort. Und ganz. Niemand, egal ob Zwerg, Ork oder sonst wer wird hier mehr irgendetwas abbauen oder suchen. Wir haben uns verbürgt dafür. Gimli, vergiß Moria! Gehe wieder Kohle schaufeln im Einsamen Berg!“
„Daß ihr Elben immer alles besser wissen müsst,…“, kriege ich auf meine Bemühungen brummelnd vorgeworfen.
„Zwerge!!!“
„Elben!!!“

Der Abbaustollen ist schnell erreicht. Er liegt in der äußersten Ecke der Zwergengrube, ohne eine Verbindung zu den anderen Arbeitsplätzen.
Als wir ihn betreten, mit den Arbeitern reden wollen, die in grotesk verklemmten Stellungen mitten in den Rissen des Gesteins liegend draufloshauen, während andere mit Schaufeln die Wagen füllen, stören drei- oder viermal seltsame Geräusche den Arbeitsablauf, schrecken die Zwerge hoch.
„Was war das denn? Als ob jemand eilig durch den Stollen laufen würde?“
Doch der Lärm verliert sich wieder, ist unter dem betäubenden Dröhnen der Hammerschläge nicht mehr auszumachen.
Mit Mühe gelingt es uns, die Zwerge zum Abbrechen ihrer Arbeit zu bewegen. Gimli überzeugt sie schließlich mit der Vorhaltung, die Hauptstrecke sei nicht genügend ausgebaut, man müsse vorerst nach oben ausfahren,…
„Wie willst du es überhaupt erreichen, deine Leute so schnell aus dem Bergwerk alle nach draußen zu bringen, ihr Zwerge hängt doch mehr am Gestein als Blattläuse am Salat?“, wage ich ihn zu fragen.
„Erstens will ich nicht, sondern ich muß, und zweitens, wie bringt man Elben dazu, ihre Wälder zu verlassen? Ich weiß es nicht!“
Aragorn, der vorangegangen war, in Richtung des Hauptstollens, kommt voller Schrecken zurückgelaufen und berichtet, es sei niemand mehr da.
Unsere Bestürzung ist groß, müssten an dieser Stelle doch viele der Zwerge arbeiten. Der Gedanke, so tief unter der Erde ganz allein zurückzubleiben, gerade nun, wo die Rettung so nah schien, will mich um den Verstand bringen.

Selbst die Zwerge verlieren den Kopf und fangen laut an, nach den anderen zu rufen. Was ist nur geschehen, daß uns hier niemand mehr begegnet? Ein Unfall?
Mir fällt die Drohung des Berggeistes wieder ein. „Das darf nicht sein, so kurz vor dem Ziel. Los, Weiter, weiter. Wir lassen alles liegen und schauen, daß wir nach oben kommen.“, treibe ich die herumstehenden und besorgt beratschlagenden Zwerge an. „Bloß raus hier!“
Bevor ich überhaupt keinen klaren Gedanken mehr fassen kann, in diesem Loch.

Kurz vor Erreichen der Anschlagbühne versperrt uns ein reißender Strom den Weg. Uns steht das Wasser bis zu den Knien, die Zwerge werden schon ernsthaft behindert in ihren Bewegungen. Rennen ist unmöglich, mühselig waten wir durch die Flut, jede Verzögerung kann den Tod bedeuten.
„Die Verschalung ist gebrochen. Ihr Zwerge arbeitet doch sonst so sorgfältig. Wie kann das sein?“
„Aragorn, verlierst du etwa das Vertrauen in die Baukunst unter der Erde? Ist doch alles so interessant da unten?“, kann ich mich nicht enthalten zu spotten. Habe ich es mir doch gedacht! Diese ganzen Konstruktionen können einfach nicht halten. Was haben wir unter der Erde auch zu suchen?
„Wenn die Verschalung gebrochen ist, stürzt das ganze Wasser aus der wasserführenden Schicht nach unten. Das bewältigen unsere Pumpen nicht, das ist viel zu viel für sie, diese eindringende Wassermenge wegzuschaffen. Nun ist die Grube wirklich verloren. Zumindest die unteren Stollen.“. Gimli flüstert mit den übrigen Zwergen.
Eine weiter, aufgeregt gestikulierende Gruppe trifft, aus einem Seitenschacht kommend, zu uns. Erzählt laut und aufgewühlt was geschehen ist.
Es sei immer mehr Wasser durch den Schacht hinabgekommen. Die Körbe hätten schon lange Zeit Schwierigkeiten gehabt, durch diesen Sturzregen zu fahren. Das Getöse sei fürchterlich gewesen, man hätte sein eigenes Wort nicht mehr verstanden. Darum hätten die Anführer der Arbeiter darüber beraten, den unteren Stollen vorübergehend zu schließen, um den Schacht neu zu verzimmern. In alle Ecken der Sohle seien Leute ausgeschickt worden, um die arbeitenden Zwerge zurückzurufen. Diese Gruppe sei die letzte gewesen.
„Uns habt ihr dann aber vergessen, auf unserem Aussenposten?“, knurrt Gimli sie so heftig an, daß sie einen Schritt zurückfahren.

Warten auf die Ankunft des Korbes.
Ich werde immer unruhiger, die Zwerge unterhalten sich hektisch in ihrer Sprache, erhalten von Gimli Befehle. Aragorn starrt in den Schachtsumpf, der bis obenhin vollsteht mit Wasser. Als wir vor Tagen? heruntergefahren sind, war da ein tiefes Loch. Ohne Boden und natürlich ohne Wasser. Und auch nicht dieser immer heftiger anschwellende Strom, der sich hinter uns in die Gänge und Stollen ergießt.
Beeilen sollten wir uns, hatte uns der Berggeist angeraten. Ja, gerne, aber wie, wenn der Korb nicht mehr zurückkommt?
Hoffentlich lernen diese so aufdringlich wühlenden Zwerge wenigstens was aus diesem Drama. Hoffentlich gelingt ihnen die Flucht.
„Verdammtes Moria! Du Fluch aller lebenden Wesen!“. Ich trete mit dem Fuß gegen einen Felsen. Kurz davor, in dieser drückenden Ungewissheit die Fassung zu verlieren.
„Verfluchtes Loch! Habe ich mir nicht schon bei unserer Wanderung geschworen, nie wieder solche Höhlen, Gruben oder Ähnliches zu bertreten?“
„Oha, der Elb wird unbeherrscht. Aber keine Sorge, der Korb wird gleich erscheinen. Das wäre das erste Mal, das ein Fahrtenschacht bricht. Mit unserer Technik und unserem Wissen,…“
Gimli hat seinen Satz noch nicht beendet, da löst sich weiter oben in der Mitte des Schachtes einer der Balken mit einem Krachen aus der Verschalung. Stürzt laut polternd an die Wände schlagend in die Tiefe. Uns geling noch der rettende Sprung zur Seite, sodaß niemand von dem Eichenpfosten zerschmettert werden kann. Gleichzeitig rauscht eine weitere Sturzwelle auf uns nieder. Oben scheint die Verschalung ganz zu einzubrechen. Das Holz knickt unter den Wassermassen ein wie dünne Äste und prasselte mit dem Sturzregen zusammen als mörderischer Regen hinunter. Da oben birst alles auseinander. Die herabgebrochene Verzimmerung verstopft den Schacht.
Hier kommt nie wieder ein Korb hinunter, kann ich nur noch denken, als wir das Inferno aus einiger Entfernung beobachten. Von dort oben kann uns niemand mehr helfen.
„Was nun, Gimli?“, wende ich mich an den einzigen, der uns noch raten kann. „Gibt es noch einen Fußweg nach oben, bevor wir ersaufen wie die Ratten?“
Oder bevor alles über uns zusammenbricht, wie der Berggeist es uns verkündet hatte, setzte ich in Gedanken hinzu. Mit Aragorn ist zur Zeit wohl nicht zu rechnen. Starr und fassungslos schaut er dem Geschehen zu, als wäre er nicht davon betroffen. Als ich jedoch einen schützenden Arm um seine Schultern lege, schmiegt er sich hilfesuchend an mich.
Also noch Gimli und die Zwerge.
Die Verschalung bricht immer weiter. Von ganz oben klatschen schon ganze Holzwände ins Wasser. Erdreich rutscht nach, …
Die Zwerge beraten für meinen Geschmack zu lange.
„Es gibt einen alten Ausgang aus der Vorzeit, der neben unserer jetztigen Grube liegt. Wenn wir ihn noch erreichen könnten, bevor uns das Wasser bis zum Hals steigt. Moria ist wirklich der Zwergen Fluch!“. Gimli versucht, Hoffnung zu verbreiten.
Mit wenig Erfolg.


Eingeschlossen

Der Gedanke, sich noch in einen benachbarten ausführenden Schacht retten zu können, reißt uns fort. Selbst Aragorn findet seinen Selbsterhaltungstrieb wieder, geht vor mir am Ende des kleinen Trupps. Wir drängen uns in einer Reihe vorwärts, die Lampen in die Höhe haltend, damit das steigende Wasser sie nicht auslöschen kann. Unser Glück, daß der Stollen leicht ansteigt, denn das Wasser spült und gurgelt um unsere Knie. Die Zwerge haben schon Mühe, zu verhindern, daß ihnen die Füße nicht weggerissen werden. Aragorn und ich hätten größte Schwierigkeiten damit, einem umgerissen Zwerg in dieser trüben, zerrenden Flut auf die Beine zu helfen.

Überhaupt, diese Zwerge! Zuerst durchwühlen sie ganze Gebirge, entreißen der Erde alles, was sie begehrlich macht, sämtliche Reichtümer, und dann, wenn die Katastrophe eingebrochen ist, beten sie zu ihr! Sie solle sich nicht rächen, daß sie ihr in ihrer Besessenheit die Gebeine zerschnitten haben, in ihrem Inneren herumstöbern oder den Fluß ihres Blutes eingedämmt, kanalisiert haben. Als würde eine solche Einsicht noch etwas nützen!

An der ersten Weggreuzung sind unserer Begleiter unsicher, wie wir am besten weitergehen sollen. Rechts oder links? Den langen Weg durch das ansteigende Wasser oder die Abkürzung durch den kleinen, aufstrebenden Gang?
Durch den Streit geht kostbare Zeit verloren, in der die Wassermassen stetig ansteigen. Wir und zwei andere folgen Gimli, der sich hier unten ja eigentlich bestens auskennen müsste. Die Gruppe der Arbeiter wählt den anderen Weg, läßt sich nicht überzeugen.
Doch auch Gimli hat Probleme, die Stollen zu unterscheiden, sich an die richtigen Abzweigungen zu erinnern. Hektisch schlurft er zu jedem Loch, murmelt Unverständliches in seinen Bart, schaut mal hierhin, mal dorthin.
Kopflos.
Aber bei jeder Gabelung müssen wir uns entscheiden. Und das tun wir bald auf’s Geradewohl hin, niemand hat mehr irgendeine Orientierung in diesem verwirrenden, halb überfluteten Stollennetz.
Mein Freund Aragorn versucht, mit den Zwergen mitzuhalten, so gut er kann, sie bei den häufiger werdenden, stark unter Wasser stehenden Stellen zu unterstützen, sie zu tragen, wenn nötig.
Mir selbst ist das nicht mehr möglich. Ermüdet und ausgelaugt falle ich zurück, bemühe mich, dem Schein der letzten Lampe zu folgen, meine Gefährten nicht ganz zu verlieren. Hier unten verlassen mich die Kräfte.

Ich will nicht mehr.

Bilder von grünen Wiesen entstehen vor meinem inneren Auge. Ich rieche den Wald, höre das Hufgetrappel von Pferden.
Verbissen kämpfe ich darum, zu meinen Leidensgenossen aufzuschließen, verfluche dieses Loch, die schwül – warme Luft, die mich am Atmen hindert, sämtliche Trugbilder, die mich zum Aufgeben verführen wollen – und Gimli mitsamt sämtlichen Zwergen Mittelerdes. Nur wegen ihm bin ich schließlich in diese Hölle hinunter!
Wirklich? Formt sich die aufdringliche Frage in meinem Kopf.
Endlich finde ich die Kraft, die Gruppe einholen zu können. Sie haben schon auf mich gewartet.
„Ist der Herr Elb auch schon da?“, findet Gimli noch schwarzen Humor genug, um zu spötteln.
Erschöpft lasse ich mich fallen: „Wißt ihr eigentlich nun genauer, wie der Weg nach draußen verläuft? Oder rennen wir im Kreis herum?“.
Betretenes Schweigen antwortet mir.

Es geht weiter.
Vor mir die Zwerge, hinter mir Aragorn, der mich immer wieder antreibt, nicht stehenzubleiben, mich nicht fallen zu lassen.
In meiner Betäubung schleppe ich mich vorwärts, rede halblaut in meiner Sprache vor mich hin. Gebe die Hoffnung auf, jemals wieder in den Himmel zu schauen.
Wie wollte ich sterben? In den Wäldern oder in der Schlacht, aber doch nicht in diesem verschlammten Dreckloch ersaufen!

Gimli kommt zu uns, unterhält sich mir Aragorn über die schlechter werdende Atemluft. Er spricht von der Gefahr eines „schlagenden Wetters“, wir sollten unsere Lampen nur schön verschlossen halten. Was der Zwerg darunter verstehen mag, will ich gar nicht genauer wissen.
Wir bleiben unterdessen zurück. Die anderen Zwerge untersuchen eine Gabelung ein Stück weit vor uns. Wiederum ein Stollen, der sich verzweigt. Allerdings scheint dessen Decke heruntergebrochen zu sein, wie uns einer der beiden zuruft.
Wir setzten uns in Bewegung.
Urplötzlich wird der Weg vor uns verrammelt.
Ein gewaltiger Felsblock stürzt vor uns nieder, trennt uns von den beiden Zwergen. Wenn er sie nicht unter sich begraben hat. Die Überschwemmung, die übermäßige Nässe dringt von überall her in das Gestein ein und lockert es. Überall ereignen sich Einbrüche.
„Wir müssen zurück, uns abermals einen Weg suchen.“
Noch nie vernahmen meine Ohren eine dermaßen zittrige Zwergenstimme.
Nur noch wir drei sind übriggeblieben. Und in den darüberliegenden Sohlen?
Unvorstellbar, so viele Untergegangene bei diesem Desaster.
Wirklich unvorstellbar? Ich dränge die Schreckensbilder aus den Schlachten des Ringkrieges zurück. Denke zum ersten mal seit unendlicher Zeit an meinen Pflegesohn. Ich habe ihm noch nicht einmal einen Namen gegeben.
„In welche Richtung gehen wir eigentlich?“, wende ich mich an den erschütterten Gimli.
„Geradeaus.“
„Das sehe ich, und dann?“
„Immer weiter. Es müsste irgendwann ein Schacht kommen, in dem wir nach oben klettern können. Ein sehr alter Schacht, aus meiner Väter Zeit.“

Irgendwann. Vielleicht. Oder auch nicht.

Unsere Kleider hängen uns seit langem in nassen Fetzen vom Leib. Bedeckt von Schürfwunden, nach Luft ringend, halten wir krampfhaft unserer Lampen vor uns. Was ist, wenn diese verlöschen?
Das Wasser schlägt uns gegen die Brust. Gimli nehmen wir zwischen uns, damit er nicht weggeschwemmt wird. Sehr langsam kommen wir nur vorwärts, ketten uns an den Glauben, ein aufsteigender Schacht läge vor uns. Ein Schacht, den wir erreichen könnten, der uns in die Sonne führen könnte. Noch nicht ganz abgesoffen wäre.

Könnte, hätte, wäre.

Gerade passieren wir einen neuerlichen Durchbruch, der in die wassergefüllte Tiefe führt, da veranlasst uns ein Geräusch, uns umzuwenden.
Wer war das? Weitere Zwerge, die hier unten umherirrten, verzweifelt einen Ausweg suchen?
Eine schnaufende Gestalt treibt langsam auf uns zu, spritzt weißlichen Schaum um sich. Sie kommt in unsere Richtung, bleibt jedoch auf halbem Wege an der heruntergebrochenen Verzimmerung hängen. Die Öffnung zwischen den geborstenen Balken ist zu klein, um sie hindurchzulassen, so sehr sie sich auch bemüht, sich durchzuzwängen, um zu uns zu gelangen.
Erschreckt erkenne ich den Anführer der Zwerge, die wir auf dem Vorposten im Gestein getroffen haben. Seine Gliedmaße peitschen in verzweifeltem Wahnsinn auf die trübe Flut ein, wirbeln Wellen auf. Er krallt sich an den Balken fest, will sich festhalten, dem Sog nach unten irgendwie entfliehen. Uns drei erreichen, mit seinen zerschmetterten Gliedmaßen. Er bleibt in dem engen Durchlaß zwischen Balkengewirr und Felswand stecken. Die Erde hat ihn umfangen, läßt ihn nicht mehr los. Wir stehen zu weit entfernt, können nicht helfen.
Nur bestürzt zusehen, uns die Ohren zuhalten, vor den gequälten Schreien, die in gurgelndes Keuchen übergehen, als eine Welle über seinen Kopf schlägt. Der Todeskampf des Zwerges ist schauerlich. Mit einem grässlichen Röcheln versinkt er schließlich.
Soll so unser Ende aussehen?

Die Flucht geht weiter.
Der Angstschrei des Zwerges, vor seinem Ertrinken begleitet mich, seine weit aufgerissenen, vorgequollenen Augen lassen mich nicht los.
Kopflos eilen wir den nächstbesten Gang, der in die Höhe zu führen scheint, entlang, wollen nur noch diesem unbezähmbaren Wasser entkommen, das unser Leben als Blutzoll, als Opfer verlangt.
Als wir zusammenbrechen, kauert jeder sich in seiner Ecke an die Wand.
Wie lange wird unser Zusammenhalt noch bestehen?, frage ich mich, als ich zu meinem König hinüberrobbe, der mit glasigen Augen in die Unendlichkeit schaut. Den Kopf auf seinen Bauch gelegt, falle ich in einen ohnmachtsähnlichen Zustand. Ich merke nur noch, daß Aragorn’s Finger sich um meine Unterarmen schließen, dort verkrampfen.

Durchdringende Nässe weckt mich auf. Das Wasser ist abermals gestiegen, umspült bereits Aragorn’s Füße. Wir liegen in einer Pfütze. Zerschlagen quälen wir uns höher, bis wir eine kleine Höhlung erreichen. Hinter uns der Fels, vor uns das Wasser.
Nun werden wir sterben, formt sich die Einsicht in meinem Kopf, findet ihren Weg über die Lippen. „Das ist aussichtslos. Der Kampf ist zuende.“
Eng umschlungen liegen wir auf den harten Steinen.

„Warst du eigentlich glücklich, in der Stadt, als Landesherr,…?“, frage ich meinen König halb im Schlaf.
„Glücklich? Nachdem ihr mich alle verlassen habt? Umgeben von Korruption und geldgierigen Adligen? Legolas, selbst Arwen, die doch eine Elbe ist, hat mich verraten und regiert jetzt zusammen, stell dir vor, gemeinsam, mit dem Klanoberhaupt der Olvar, diesem Verbrecher.“
„Elben können gegenüber den Gefühlen der anderen äußerst unempfänglich sein. Das musste ich ebenfalls spüren, mein König.“
„Nein, das ist es nicht, sie hat sich dem Luxus verschrieben, mit ihrer ganzen Seele. Nie hätte ich das für möglich gehalten, bei einer Tochter Elronds. Legolas, sie hat mich nicht nur mit ihrem Liebhaber zusammen abgesetzt, in den Kerker geworfen. Sie hat auch zugelassen, …, sie muß es gewußt haben! Hat sie mich so gehasst, am Ende? Warum?“
„Wer will nicht besitzen, was er liebt, den Anderen ganz für sich haben, mit Körper und Seele? Oder vernichten, wenn er sich entzieht?“
„Und dann weitersuchen, nach Spielgenossen, nicht wahr, Legolas?“, beißt Aragorn zurück.
„Es tut mir leid, Aragorn. Aufrichtig leid. Aber wir würden uns gegenseitig zerstören. Vielleicht ist es richtiger so, hier zu sterben, wie du schon an dem verzauberten See sagtest.“
Fatalismus breitet sich aus, umfängt uns mit seinen Schatten.

Gimli blickt uns stirnrunzelnd an: „Was ist mit euch geschehen? Wo ist euer Mut, euer Lebenswille geblieben? Seit wann gebt ihr so schnell auf, nach all den Wanderungen und Kämpfen hätte ich das nicht erwartet. Nicht von euch beiden.“
Er fragt weiter: „Aragorn, warum bist du eigentlich nach Moria gekommen, ich dachte, du seiest in deinem Reich beschäftigt? Und du, Freund Legolas, soll ich dir erzählen, was über dich geredet wird? Schande hast du über das Volk der Elben gebracht, auch wenn ich sie nicht leiden kann, deine Zügellosigkeit bricht jede Vorstellung,…“
„Elben? Gimli, laß mich in Ruhe sterben, ohne daß ich an mein Volk denken muß,…, Sie sind nicht besser wie alle anderen Völker auch.“ Müde hebe ich den Blick. „Ich will nicht mehr.“
Im Wegdämmern spüre ich, daß Aragorn mich zu sich zieht.
So sei es.
Keine Qualen mehr, keine lockenden Stimmen mehr, keine endlosen Kämpfe mehr.
Auch eine Form der Erlösung.

Mein Leben zieht an mir vorbei.
Sirk’an läßt mich lächeln in all meiner Trauer.
Deine Erwartungen kann ich nun nicht mehr erfüllen, denke ich mit Wehmut.
Aber ich muß auch nicht mehr gegen die Schwarze Macht ankämpfen, …

Und Aragorn? Hätte ihm die kleinere Hälfte meines Herzens denn viel genutzt?
Ich bezweifle es.
Ich hätte ihn nur mitgenommen in den Abgrund vor mir, bei all meiner Liebe.
Ihn, den Menschen.

Gimli gibt keine Ruhe. Andauernd klopft er den Wänden herum, bricht poröse Brocken aus dem Fels. Rüttelt uns unbarmherzig.
„Aufstehen ihr beiden! Umarmen könnt ihr euch auch noch später. Was soll das eigentlich, als Kampfgefährten ein Liebespaar abgeben?
Ich weiß es genau, hinter dieser Wand verläuft ein weiterer Gang nach oben. Aus meiner Vorväter Zeiten,…, jetzt helft mir mal gefälligst. Oder habt ihr mich aus der Macht dieses Berggeistes befreit, um in diesem Gang einfach so zu ertrinken?“

Unmöglich, in Ruhe zu sterben!!
Zwerge!!!

Hat dieser unmögliche Zwerg es doch tatsächlich geschafft, einen winzigen Schlitz in den Fels zu kratzen, durch den ein kaum merklicher Luftzug in unsere Zuflucht eindringt.
Ungläubig starre ich ihn an, streiche über den Fels, zwänge meine Finger in den Spalt.
Auf einen Schlag wird auch Aragorn, den ich schon halb im Jenseits glaubte, munter. Aufgeregt scharren wir an dem Fels herum, stoßen uns die Hände blutig, in dem Bemühen, den Spalt zu einem Durchgang zu vergrößern. Hatte Gimli recht, und wir haben die ganze Zeit wirklich neben einem aufwärtsführenden Gang gelegen? So nahe?
Ohne Gimlis Beharrlichkeit würden wir in der Tat als Blutopfer für die Erde geendet haben!
Der Zwerg muß uns beide schließlich fast mit Gewalt von der Wand wegziehen. Immer mehr Gestein bricht nach, begräbt unsere Köpfe in einem Haufen aus Sand und kleinen Steinen.
„Das fehlt gerade noch, daß sich dieser verrückte Elb noch im letzten Augenblick verschütten läßt. Dieses Volk gehört auf die Erde, nicht in sie hinein!“
Der barsche Ton bringt uns zur Vernunft. Gimli hat wieder einmal recht. Wenn noch die Decke nachstürzt, haben wir uns mit unserer unbedachten Wühlerei selbst den letzten Ausweg abgeschnitten. Wir treten zur Seite und lassen dem Fachzwerg den Vortritt.
Gimli arbeitet sich bedächtig aber stetig durch den verwitterten, immer mal wieder nachbrechenden Fels. Stützt hier und da mit Steinen die Wand ab, gibt uns den Befehl, herumliegenden Schutt wegzuräumen. Das tun wir gerne.
Endlich hat er es geschafft. Es ist ihm gelungen, eine kleine, schmale Verbindung zu dem Gang herzustellen. Bequem für einen Zwerg, gerade groß genug für einen schmalen Menschen. Beim Hindurchzwängen bleiben größere Hautfetzen an den kantigen Felsbrocken hängen.
„Na, kommt schon, ich hoffe das macht euch etwas ruhiger. Irgendwelche Kopflosigkeiten oder Eifersuchtsdramen können wir nun wirklich nicht gebrauchen, der Herr Elb. Wer hätte das gedacht, daß die bösen Gerüchte der Wahrheit entsprechen? Unbeherrschtes Volk“, grummelt er mich an.
„Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert.“ Diese Antwort muß einfach sein.
Unter den Schlammschichten, die uns alle fingerdick bedecken, fällt mein Erröten nicht auf.
Hoffe ich.

Der Gang ist die Rettung. Gefüllt mit einigermaßen frischer Luft. Ansteigend. Noch einigermaßen gut erhalten, jedenfalls in diesem Teilstück.
Er soll laut Gimli zu einem Schacht führen, den sie früher als Notausgang benutzt haben. Allerdings fährt dort kein Korb, sondern man muß über ein Leitersystem in die Höhe steigen. Und wir sollen uns beeilen, denn der Berg würde anfangen zu beben, er würde es schon spüren, die Erde zittere,…
„Was ist mit den Bewohnern der oberen Ebenen? Der Berg muß vollständig geräumt werden, haben wir für dein Leben versprochen, Gimli.“, erinnert Aragorn ihn an die Begegnung mit der dem Berg innewohnenden Macht.
„Wir haben einen Räumungsplan, für den Fall, daß der Berg bricht. Auch Zwerge lernen aus der Vergangenheit. Bei einer solchen Überflutung der unteren Sohlen bricht auch der Schacht in sich zusammen. Ganz Moira wird es bald nicht mehr geben.
Unserer Werkzeuge!
Unsere Erfindungen, Pumpen, Förderungssysteme!
Alles verschlungen, alles begraben!
Nie hätten wir gedacht, daß eine solche Katastrophe jemals eintreten könnte. Nicht in diesem Ausmaße! Die Überflutung einzelner Gangabschnitte, begrenzte Einbrüche, ja, sicher, das geschieht jeden Tag, aber dies!
Moria verloren!
Für immer und alle Zeiten!
Die Zwerge werden untergehen!“
Gimlis Erschütterung läßt ihn in seinem eiligen Lauf innehalten. Jetzt ist es an uns, ihn weiterzuziehen. Aragorn schlägt ihm alles mögliche vor, damit er nicht vor Kummer die Richtung verliert. Als mein König ihm letztendlich den Plan eines großen, vereinigten Reiches erläutert, vorschwärmt, fängt er an, sich dafür zu begeistern, steigt sofort in die Gedankengespinste mit ein.
Die Erde beginnt zu zittern.
Je höher wir steigen, desto öfter und heftiger spüren wir das Beben, hören das dumpfe Grollen herabstürzender Erdmassen, zusammenbrechender Schächte. Die Zeit drängt.
Gimli läuft schneller, er findet nun den Weg, ohne anhalten zu müssen. Hinter uns brechen die Steine, vor uns rieselt der Sand von der Decke, treibt uns weiter.

Wann kommt dieser verwünschte Schacht mit den Leitern? Wenn er noch nicht längst zerstört ist,… Aber diesen Gedanken schiebe ich weit von mir. Das letzte bisschen Hoffnung ist es wert, gehegt und gepflegt zu werden,…
Wir erreichen den Schacht einigermaßen unverletzt.
Gimli steigt voran, Aragorn, der im besten körperlichen Zustand von uns drei zu sein scheint, als letzter. Damit er Fallende und Stolpernde auffangen kann, wie er sagt, mit Seitenblick auf meine aufgerissenen, blutenden Handflächen.
Woher holt dieser Mensch, der noch vor Kurzem am liebsten sterben wollte, diese Kraft her? Aus dem Nichts?
Oder spornt ihn der Traum seines Lebens an, Frieden zu schaffen?

Glücklicher Mensch mit einer Bestimmung.


Untergang

Die Leitern ziehen sich unzählbar in die Höhe. Schmal, schlecht befestigt, mit rutschigen Sprossen.
Aber sie sind da!
Und führen uns mit jedem Schritt dem Erdboden näher!
Bedächtig und jeden Schritt überlegend, so wie Gimli uns angeraten hat, steigen wir nach oben. Warmer Regen hindert die Sicht, läßt alles noch glitschiger werden. Unser Gepäck, selbst die Stricke, die Gimli noch bei sich hatte, lassen wir nach und nach zurück, sie fallen einfach in die Tiefe. Denn wenn eine der Leitern brechen, einer von uns ausgleiten sollte, wäre keine Hoffnung mehr, ob mit oder ohne Ausrüstung.
Einzig Gimli, der als erster emporklettert, scheint mit dem Aufstieg keine Schwierigkeiten zu haben, ist er doch solches gewohnt. Mir selbst schneidet jede dieser Holzsprossen in die ohnehin schon aufgerissenen Handflächen, bis auf die Knochen. Selbst den Stoff, den ich mir darübergewickelt habe, nutzt schon bald nichts mehr, dringen die Holzsplitter doch mit Leichtigkeit durch das weiche Material.
Aragorn geht es nicht besser.
Blutige Hände, durchgescheuerte Fußsohlen.
„Wie weit ist es noch nach oben, Gimli?“, rufe ich schließlich, fast am Ende meiner Kräfte.
„Das erste Drittel haben wir hinter uns, Herr Elb, aber der schlimmste Teil kommt noch. Zwischen den beiden nächsten Sohlen fließt das Wasser recht heftig. Und außerdem sind die Leitern ziemlich schadhaft.“
Mit der letzten Willensanstrengung stelle ich mir die Wälder meiner Heimat vor.
Die Geräusche in ihnen. Ihren Duft. Weicher Waldboden unter meinen Füßen.
Wie war es noch schnell, über die weite Ebene von Rohan zu reiten? Über sich der Himmel, um sich Wind und frische Luft?
Das muß ich noch einmal erleben, nur jetzt nicht abstürzen, ein Schritt vor den nächsten setzten, langsam und vorsichtig…nicht danebenfassen …
Von Aragorn höre ich auch nur noch sein verzweifeltes Keuchen, durchsetzt mit dem schmerzlichen Zischen, daß er ausstößt, wenn ein neuerlicher Splitter in die Haut gedrungen ist.
Wenn diese Fahrt beendet ist, und wir es überlebt haben, das schwöre ich mir, werde ich kämpfen!
Gegen den Ruf der Kräuter, der mich immer wieder überfällt in meinen freien Momenten, gegen den Ruf der Dunklen Macht, … Wie konnte ich nur mein Leben so leichtsinnig aufs Spiel setzen aus verletztem Stolz, aus Selbstsucht, aus Machtwillen, aus welchen Gründen auch immer,… Ich will bei Aragorn bleiben, ihm helfen, Frieden zu schaffen, allen Wesen Mittelerdes eine Möglichkeit geben, verträglich und gut zusammenzuleben,…
Wenn wir erst hier draußen sind!!

Wiederum bebt die Erde, unser schmaler Schacht scheint sich zu schütteln. Von oben ergießt sich ein Schwall Wasser über uns.

Gelächter bricht sich an den Schachtwänden.
Nimmt kein Ende.

Gimli stößt Flüche aus, die uns die Leitern in doppelter Schnelligkeit hinauftreiben.
Mit der letzten Kraft schreie ich mich hinter dem Zwerg auf eine kleine Plattform hinauf. Aragorn ziehen wir an den Armen nach, zu uns.

Über uns sind die Leitern zerborsten, unter uns bricht das Inferno los. Der gesamte Berg ist in Bewegung, der Caradhras fällt in sich zusammen, so scheint es.
Gimli schlüpft hinter uns durch ein kleines Loch, winkt uns, ihm zu folgen. Ich drücke den zu Tode erschöpften Aragorn vor mir hindurch und folge dann selbst unter größter Anstrengung nach. Schon wieder durch einen Zwergengang kriechen, bis wir den Griff des Felsens im Genick spüren. Was hat dieser Zwerg nur vor? Sich in diesem Kaninchengang begraben lassen?
Aragorn vor mich herschiebend, folge ich Gimli.
Halb besinnungslos robbe ich durch den Gang.
Frage mich überhaupt nichts mehr. Bewege nur noch Arme und Beine, spucke den Dreck aus, der mir zwischen die Zähne gerät.
Jenseits des Sterbenwollens.
Die Welt ist reduziert auf automatische Bewegungen.

Von allen Seiten drückt das Erdreich. Wir wühlen uns durch das immer loser werdenden Gestein, die Felsen sind rarer geworden. Sand herrscht vor, wird durch Erde abgelöst. Droht, uns zu ersticken.

Irgendwann schreit Gimli los. Ich ebenfalls.
Licht!!!
Helles, warmes, schönes Sonnenlicht!!!!!!
Wir haben es geschafft!!!
Es ist uns gelungen, uns allen drei, aus dem Bauch der Erde zu entkommen!!!!!!!
Blinzelnd, unbeschreiblich erleichtert, wie neugeboren stehen wir da, lassen uns von der Sonne bescheinen.
Baden uns in ihrem Licht.
Umarmen die Strahlen.
Tanzen vor Freude weinend in der Helligkeit herum. Nie wieder verlasse ich ihr Reich!

Der Berg bebt.
Vor uns ein steiler, bewaldeter Abhang, über uns der nackte Fels.
Der Berg schüttelt sich wie ein Tier.
Wir eilen zwischen den Bäumen hindurch in dem Versuch, den Fuß von Caradhras zu erreichen. Bevor uns der Berg doch noch bekommt, uns erschlägt.

Ein Steinschlag löst sich.
Der Gipfel zerbricht.
Lawinen lösen sich, donnern zu Tal.
Hausgroße Felsbrocken stürzen die Wände hinunter, schlagen Schneisen in die bewaldeten Bergflanken, jagen uns zwischen den Stämmen hindurch.
Gehetzt rennen wir bis zum Fuß des Berges.
Gimli führt uns zu einer niedrigen Anhöhe, die dem Caradhras gegenüber liegt. Stumm schauen wir dem Todeskampf von Mittelerdes ertragreichstem Zwergenbergwerk zu.

Erdstöße erschüttern den Boden, bis zu unserem Hügel. Durch die Baumreihen läuft ein Zittern, sie fangen an sich zu bewegen, wie Tiere. Der Platz vor dem Haupttor, durch das wir Noria betreten haben, liegt leer und verlassen vor uns, gerade aus der Entfernung noch zu sehen.
„Es ist ihnen gelungen. Meine Zwerge konnten die Grube noch rechtzeitig verlassen. Aber was für ein Verlust an Schätzen und Kunstwerken!“ Gramerfüllt sinkt Gimli auf die Knie, verbirgt sein Gesicht in den Händen.
Sein Fürstentum hat aufgehört zu existieren.
Die Erde schüttelt sich stärker. Ganze Gräben brechen auf, laufen den Hang herunter. Verschlingen Baumreihen.
Unter fürchterlichem Krachen, noch in unserer Entfernung ohrenbetäubend, werden die metallenen, geschlossenen Torflügel des Eingangs aneinandergerieben, neigen sich langsam nach vorne. Wirbeln Staubwolken auf, als sie auf dem Boden aufschlagen.
Ein Stoß folgt dem anderen, unterirdische Einstürze vermitteln uns den Eindruck eines Weltunterganges. Der ganze stolze, übermächtige Caradhras ist von Spalten durchzogen, aus denen das innere Gestein quillt, den Eingang unter sich begräbt.
Sich umkehrt.

Erschüttert wenden wir uns ab.
Niemand wird an diesem Ort jemals wieder schürfen.
Der Geist hat sich sein Reich zurückerobert.


Wir wenden uns in die Richtung der Städte. Gimli hat beschlossen, mit uns zu kommen. Nach dem Schock ist er sehr davon angetan, eine neue Aufgabe in Angriff nehmen zu können. Das Reich noch einmal zu erobern, und die Verwaltung durchgreifend zu erneuern.
Voller Eifer redet er drauflos, macht Vorschläge, berät sich mit Aragorn.
Ich folge den beiden nach.
Ich werde ihnen mit meinen Kenntnissen der Staatskunst unter die Arme greifen. Sicher doch.
Die lockenden Rufe zurückdrängen.
So lang es geht.

Aragorn legt einen Arm um meine Schulter, erklärt irgendetwas.
Aragorn – König – Freund
Ich liebe dich.
Ich brauche dich.

Kannst du mir denn noch helfen?

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