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Titel:
Wege Autor: Ilkiran
Die Gruft
Mühsam arbeite ich mich vorwärts. Vermag mein König mir
noch zu folgen? Schürfende Geräusche hinter mir, ein ersticktes Keuchen.
Sich eingraben. Erschöpfung. Aussichtslosigkeit. Liegenbleiben.
Etwas stößt an meine ausgestreckte Füße. Rüttelt daran. Dringen
aufmunternde Worte an mein Ohr? Ich weiß es nicht. Selbst die Stimmen in
meinem Verstand schweigen still. Zeitlosigkeit.
Eine kurze Strecke
will ich mich noch vorwärtsschieben, dann gebe ich auf.
Vor mir
erscheint ein Schimmer. Wird zu einem Licht. Hell, strahlend, blendend.
Verschlingend.
Mit letzter Kraft befördere ich meinen zerschundenen
Körper aus dem Spalt heraus in eine weitere Höhle. Und bin erschüttert.
Vor mir, in diese gleißende Helligkeit getaucht, liegt ein unterirdischer
Spiegelsaal. Unwirklich und erhaben. Geblendet kneife ich die Augen
zusammen, wende den Kopf ab. Taste nach Aragorn, halte mich an ihm fest, ihm,
der in sprachlosem Entsetzen den Kopf in seinen Händen birgt. In diesem Saal
werden wir enden.
Die Totengrüfte des Berggeistes für all jene, die zu
begehrlich seine Reichtümer erjagen wollten.
Aufgereiht an den glatten,
verspiegelten Wänden, nebeneinander auf dem Boden liegen rechteckige,
durchsichtige Totenschreine. Schmale Lücken zwischen ihnen lassen gerade noch
Platz genug, damit ein Mensch hindurchgehen kann. Stille umfängt uns.
Hinter uns verschließt sich der Spalt, durch den wir hindurchgekrochen sind
lautlos. Der Fels wächst einfach zu. Wie lebendes Gewebe. Jedoch hart und
undurchdringlich.
Wir hetzen hintereinander durch die schmalen
Durchlässe zwischen den Särgen. Erreichen die gegenüberliegende Wand der Halle.
Suchen nach Lücken im Fels, nach Zwischenräumen. Finden nur harten, spiegelnden
Stein, das unsere Silhouetten verzerrt zurückwirft. Kein Ausgang. Kein
Eingang mehr. Kein Loch, kein Riß im Gestein. Und außer dem Nachhall
unserer Schritte und unserem verzweifelten Keuchen kein Laut. Sozusagen
Totenstille.
„Das war’s, mein geliebter Elb. Verzeih mir, daß ich dich
mitgenommen habe in dieses Verlies.“, höre ich Aragorns brüchig gewordene
Stimme. Gerne würde ich ihn jetzt trösten. Aber ich kann nicht auf seine
tödliche Niedergeschlagenheit achten. Denn noch leben wir.
Aufmerksam gehe ich ein zweites Mal durch den Saal. Diesmal in aller Ruhe,
gesammelt und entschlossen. Dies ist Magie. Eine gänzlich andere Form von
Magie wie sie Sauron benutzt. Dagegen zu kämpfen wäre zwecklos, würde genau das
Gegenteil bewirken, da bin ich mir sicher. Habe ich eine ähnliche Macht nicht
schon öfter gespürt? Aber wo nur? In Angmar? Damals? Die Steinsärge
erscheinen in einem milchigen Weiß. Durchscheinend ist die mir unbekannte
Gesteinsart, die verzerrte Körper in sich einschließt. Der Größe nach zu
vermuten sind die meisten der Toten Zwerge. Aber ich gehe auch an größeren,
massigeren Gestalten vorbei. Menschen, vielleicht sogar Orks? Schön ist das
Gestein, in dem die Toten festgehalten werden. Und abstoßend der Zweck, dem es
dienen muß. Ich streiche über einen der Särge. Eiskalt. Der nächste.
Wiederum eiskalt. „Legolas, was tust du? Wir werden früh genug in einer
dieser Kisten liegen, musst du sie jetzt schon streicheln?“ „Ich suche
Gimli“, gebe ich zurück, „hier sind die zu finden, die zu unbedacht in die Tiefe
gedrungen sind, dem Fels alles entreißen wollten.Ihn entehrt haben. Gimli wird
auch dabei sein.“ „Und dann, wenn du ihn gefunden hast? Betten wir uns dann
neben ihn?“ Wieder dieser spitze Tonfall. Hat Aragorn sich schon aufgegeben?
Ich gehe weiter durch die Reihen, berühre jeden einzelnen Sarg. Schicke
meinen Geist hinein, um zu ergründen, wer, welches Wesen in dem eisigen Gestein
eingeschlossen ist. Wie es dort hereingekommen ist. Aus reinem
Eigennutz, Habgier oder aus anderen Motiven? Einem guten Stück Abenteuerlust
möglicherweise, vermischt mit dem Überdruß vor einem übersichtlichen,
berechenbaren Leben in einer strengen Rangordnung? Gimli als Adliger in der
strengen Hofetikette eines aufblühenden Zwergenstaates eingebunden? Das war kaum
vorstellbar. In Gedanken bitte ich darum, daß Gimli, mein Gefährte, nicht
der den Zwergen eigenen Gier nach den kostbaren Steinen verfallen gewesen ist.
Jedenfalls nicht zu sehr. Denn dann konnte ich noch Hoffnung haben. War dieser
Ort nicht für die Wesen Mittelerdes gedacht, die das Reich des Berggeistes
entwürdigen wollten , mit ihrer unersättlichen Besessenheit nach seinem Gebein?
Aber wenn unser Freund aus Wagemut und auf der Flucht vor der Einförmigkeit
eines Lebens als Zwergenfürst in das Reich des Geistes eingedrungen ist? Wäre
dann meine Zuversicht so abwegig? Weiter streife ich an den toten
Steinsärgen vorbei, fahre mit meinen Händen über die glatte Oberfläche jedes
einzelnen. Dringe zu den Eingeschlossenen vor. Lege meine ganze verbliebene
Kraft hinein. Kalte Herzen. Vereiste Körper. Die Kälte kriecht über die
Finger in die Hände. Mein Handgelenk wird starr. Trotzdem führe ich mein
Vorhaben weiter durch. Der zusammengesunkene, kleinmütig dasitzende Aragorn
bindet meine Gedanken nicht mehr. Für den Augenblick nicht mehr. Nur noch
die Eingeschlossenen sind für mich existent in ihrer Starre. Wenige der
Totenschreine liegen noch vor mir. Was, wenn Gimli überhaupt nicht bis in diese
Gruft gelangt wäre? Sondern irgendwo in den Gängen in die Irre gelaufen ist,
verdurstet, zusammengebrochen? Der letzte Sarg fühlt sich nicht ganz so
eisig an wie alle vorhergehenden. „Ich habe ihn gefunden! Endlich! Hier ist
er, Gimli liegt hier drin!“ Vor Erleichterung und Freude über meinen Sucherfolg
rufe ich aufgeregt durch die Grabesstille. „Aragorn, komm! Wir haben ihn
entdeckt. Jetzt hilf mir, allein kann ich nicht befreien, dazu braucht er uns
beide.“ Aragorn schaut kaum auf, wirkt selbst schon ziemlich erstarrt. Ich
ziehe ihn auf die Beine, bevor er ganz versteinert, dränge ihn zu dem
eingeschlossenen Gimli. Suche nach einer Möglichkeit, unseren Freund zu
befreien, falls er noch lebt.
Eingehend erkläre ich meinem König, wie
wir den Zwerg unter Umständen aus der Steingruft erlösen können. Wenn alles gut
geht. Lange rede ich auf den verwirrt dastehenden Freund ein. „Du willst
mich von Magie überzeugen, Legolas? Wir beide sollen Magie ausüben, gegen diesen
Berggeist in seinem ureigensten Bereich? Bist du etwa unter die Zauberer
gegangen, mein Elb?“ Nachdem ich all meine Überzeugungskraft aufgeboten
habe, willigt er zu guter Letzt ein, es mit mir zu versuchen. Den Berggeist zu
bitten, ihn freizulassen, wenn er wirklich der Suche nach den Steinen entsagen
will. Aus freiem Willen bereit ist, das unterirdische Reich zu verlassen. Um nie
wieder zurückzukehren. An den langen Seiten des Sarges stehen wir uns
gegenüber. Der zweifelnde Aragorn und ich, der Elb. An den Händen gefasst,
schicken wir unsere Bitten zu der Wesenheit des Berges.
Dumpfes Gelächter antwortet. Grollt an- und abschwellend durch die Halle.
Wird von den Wänden zurückgeworfen. Umwirbelt uns immer enger.
Worte kristallisiere sich heraus. „Ihr wollt die Zwerge zum Aufgeben
bewegen? Ein Elb, ein Mensch und ein Zwerg wollen aus meiner Herrschaft
entweichen? Dann gebt mir die Ehrerbietung die mir gebührt, ihr Kurzlebigen.
Schwört, Moria zu fliehen. Es für alle Zeiten zu meiden. Nie mehr einen Fuß
hineinzusetzen. Dann geht. Aber geht schnell, sehr schnell.“
Die
Worte werden unverständlich, wechseln zu dem schauerlichen Lachen über.
Aber wir dürfen das Reich des Geistes verlassen.
„Wenn ihr
könnt,…, sonst behalte ich euch alle drei“, vermeine ich zu hören.
Wie
Eis im Frühjahr taut der Sarg unseres Freundes auf. Wir stehen inmitten von
geschmolzenem Stein. Schauen auf Gimli herab, der auf dem Boden ausgestreckt
liegt, in Bergmannskleidung, mit Seil und Schaufel ausgerüstet. Graue Haare
bedecken Haar und Gesicht. „Gehen wir? Meine Füße werden naß.“, muß ich bei
seinem erstaunten Gesichtsausdruck einfach sticheln, als wir ihn mit vereinten
Kräften in die Höhe ziehen. „Ihr habt lange gebraucht, bis ihr mich gefunden
habt, aber was kann ein Zwerg von einem Mensch und einem Elben unter der Erde
schon erwarten?“, kommt die schlagfertige Antwort aus dem grauen Gestrüpp um
Mund und Nase. Befreiendes Lachen, wir fallen uns in die Arme wie kleine
Kinder.
Ein plötzliches Rumpeln läßt uns aufhorchen. Vor uns öffnet sich
ein Loch in der Wand, durch das wir in aller Eile hindurchstürzen, in einen
brauenen, verfallenen Stollen, dessen Verschalung halb heruntergebrochen ist.
Wieder in der Zwergengrube, schießt es mir erleichtert durch den Kopf.
Aber das Lachen folgt uns noch eine Weile. „Beeilt euch. Und kommt
nie wieder,...“
Flucht
Gimli übernimmt wie selbstverständlich die Führung. Knurrt
unwillig unverständliches Zeug in seinen Bart, als ich ihm die Bedingungen
schildere, unter denen der Berggeist uns ziehen gelassen hat. „Sich aus
Moria zurückziehen? Der ergiebigsten Zwergenbinge aller Zeiten?“, flucht er
unermüdlich vor sich hin, als er sich durch das Labyrinth der halbverschütteten
Gänge den Weg nach oben sucht. Nein, nicht nach oben. Sondern zu dem Korb,
der uns nach oben bringen wird, fällt mir ein. Wenn bis dahin nicht längst alles
zusammengebrochen ist, … Sein Ortssinn ist unglaublich. Zielstrebig findet
er die Stollen, die in immer besser ausgebaute, gut gestützte Gänge münden.
Schnell kommen wir vorwärts. Kaum zu verstehen, wie armselig Aragorn und ich uns
in dieser Unterwelt geschlagen haben! „Gleich sind wir an der Stelle, an der
unsere vordersten Männer arbeiten. Sie bauen dort das Erz ab, aus dem das
begehrte Mithril geschmolzen wird. Seht ihr die dunkle Ader dort an der Wand,
wie sie neben uns herläuft? Das ist eine erzführende Schicht, die von uns mit
Meißeln herausgeschlagen und dann durch die Hauptstollen zum Korb transportiert
wird, ...“ Sein Redefluß beginnt, strapazierend zu werden. „Werden alle
Zwerge zu Lehrmeistern, wenn sie über ihre Arbeit in den Gruben reden? Wir
müssen raus hier, das ist das einzig Wichtige jetzt. Die Grube muß geräumt
werden. Sofort. Und ganz. Niemand, egal ob Zwerg, Ork oder sonst wer wird hier
mehr irgendetwas abbauen oder suchen. Wir haben uns verbürgt dafür. Gimli,
vergiß Moria! Gehe wieder Kohle schaufeln im Einsamen Berg!“ „Daß ihr Elben
immer alles besser wissen müsst,…“, kriege ich auf meine Bemühungen brummelnd
vorgeworfen. „Zwerge!!!“ „Elben!!!“
Der Abbaustollen ist schnell
erreicht. Er liegt in der äußersten Ecke der Zwergengrube, ohne eine Verbindung
zu den anderen Arbeitsplätzen. Als wir ihn betreten, mit den Arbeitern reden
wollen, die in grotesk verklemmten Stellungen mitten in den Rissen des Gesteins
liegend draufloshauen, während andere mit Schaufeln die Wagen füllen, stören
drei- oder viermal seltsame Geräusche den Arbeitsablauf, schrecken die Zwerge
hoch. „Was war das denn? Als ob jemand eilig durch den Stollen laufen
würde?“ Doch der Lärm verliert sich wieder, ist unter dem betäubenden
Dröhnen der Hammerschläge nicht mehr auszumachen. Mit Mühe gelingt es uns,
die Zwerge zum Abbrechen ihrer Arbeit zu bewegen. Gimli überzeugt sie
schließlich mit der Vorhaltung, die Hauptstrecke sei nicht genügend ausgebaut,
man müsse vorerst nach oben ausfahren,… „Wie willst du es überhaupt
erreichen, deine Leute so schnell aus dem Bergwerk alle nach draußen zu bringen,
ihr Zwerge hängt doch mehr am Gestein als Blattläuse am Salat?“, wage ich ihn zu
fragen. „Erstens will ich nicht, sondern ich muß, und zweitens, wie bringt
man Elben dazu, ihre Wälder zu verlassen? Ich weiß es nicht!“ Aragorn, der
vorangegangen war, in Richtung des Hauptstollens, kommt voller Schrecken
zurückgelaufen und berichtet, es sei niemand mehr da. Unsere Bestürzung ist
groß, müssten an dieser Stelle doch viele der Zwerge arbeiten. Der Gedanke, so
tief unter der Erde ganz allein zurückzubleiben, gerade nun, wo die Rettung so
nah schien, will mich um den Verstand bringen.
Selbst die Zwerge verlieren den Kopf und fangen laut an, nach den anderen zu
rufen. Was ist nur geschehen, daß uns hier niemand mehr begegnet? Ein Unfall?
Mir fällt die Drohung des Berggeistes wieder ein. „Das darf nicht sein, so
kurz vor dem Ziel. Los, Weiter, weiter. Wir lassen alles liegen und schauen, daß
wir nach oben kommen.“, treibe ich die herumstehenden und besorgt
beratschlagenden Zwerge an. „Bloß raus hier!“ Bevor ich überhaupt keinen
klaren Gedanken mehr fassen kann, in diesem Loch.
Kurz vor Erreichen der
Anschlagbühne versperrt uns ein reißender Strom den Weg. Uns steht das Wasser
bis zu den Knien, die Zwerge werden schon ernsthaft behindert in ihren
Bewegungen. Rennen ist unmöglich, mühselig waten wir durch die Flut, jede
Verzögerung kann den Tod bedeuten. „Die Verschalung ist gebrochen. Ihr
Zwerge arbeitet doch sonst so sorgfältig. Wie kann das sein?“ „Aragorn,
verlierst du etwa das Vertrauen in die Baukunst unter der Erde? Ist doch alles
so interessant da unten?“, kann ich mich nicht enthalten zu spotten. Habe ich es
mir doch gedacht! Diese ganzen Konstruktionen können einfach nicht halten. Was
haben wir unter der Erde auch zu suchen? „Wenn die Verschalung gebrochen
ist, stürzt das ganze Wasser aus der wasserführenden Schicht nach unten. Das
bewältigen unsere Pumpen nicht, das ist viel zu viel für sie, diese eindringende
Wassermenge wegzuschaffen. Nun ist die Grube wirklich verloren. Zumindest die
unteren Stollen.“. Gimli flüstert mit den übrigen Zwergen. Eine weiter,
aufgeregt gestikulierende Gruppe trifft, aus einem Seitenschacht kommend, zu
uns. Erzählt laut und aufgewühlt was geschehen ist. Es sei immer mehr Wasser
durch den Schacht hinabgekommen. Die Körbe hätten schon lange Zeit
Schwierigkeiten gehabt, durch diesen Sturzregen zu fahren. Das Getöse sei
fürchterlich gewesen, man hätte sein eigenes Wort nicht mehr verstanden. Darum
hätten die Anführer der Arbeiter darüber beraten, den unteren Stollen
vorübergehend zu schließen, um den Schacht neu zu verzimmern. In alle Ecken der
Sohle seien Leute ausgeschickt worden, um die arbeitenden Zwerge zurückzurufen.
Diese Gruppe sei die letzte gewesen. „Uns habt ihr dann aber vergessen, auf
unserem Aussenposten?“, knurrt Gimli sie so heftig an, daß sie einen Schritt
zurückfahren.
Warten auf die Ankunft des Korbes. Ich werde immer unruhiger, die Zwerge
unterhalten sich hektisch in ihrer Sprache, erhalten von Gimli Befehle. Aragorn
starrt in den Schachtsumpf, der bis obenhin vollsteht mit Wasser. Als wir vor
Tagen? heruntergefahren sind, war da ein tiefes Loch. Ohne Boden und natürlich
ohne Wasser. Und auch nicht dieser immer heftiger anschwellende Strom, der sich
hinter uns in die Gänge und Stollen ergießt. Beeilen sollten wir uns, hatte
uns der Berggeist angeraten. Ja, gerne, aber wie, wenn der Korb nicht mehr
zurückkommt? Hoffentlich lernen diese so aufdringlich wühlenden Zwerge
wenigstens was aus diesem Drama. Hoffentlich gelingt ihnen die Flucht.
„Verdammtes Moria! Du Fluch aller lebenden Wesen!“. Ich trete mit dem Fuß
gegen einen Felsen. Kurz davor, in dieser drückenden Ungewissheit die Fassung zu
verlieren. „Verfluchtes Loch! Habe ich mir nicht schon bei unserer Wanderung
geschworen, nie wieder solche Höhlen, Gruben oder Ähnliches zu bertreten?“
„Oha, der Elb wird unbeherrscht. Aber keine Sorge, der Korb wird gleich
erscheinen. Das wäre das erste Mal, das ein Fahrtenschacht bricht. Mit unserer
Technik und unserem Wissen,…“ Gimli hat seinen Satz noch nicht beendet, da
löst sich weiter oben in der Mitte des Schachtes einer der Balken mit einem
Krachen aus der Verschalung. Stürzt laut polternd an die Wände schlagend in die
Tiefe. Uns geling noch der rettende Sprung zur Seite, sodaß niemand von dem
Eichenpfosten zerschmettert werden kann. Gleichzeitig rauscht eine weitere
Sturzwelle auf uns nieder. Oben scheint die Verschalung ganz zu einzubrechen.
Das Holz knickt unter den Wassermassen ein wie dünne Äste und prasselte mit dem
Sturzregen zusammen als mörderischer Regen hinunter. Da oben birst alles
auseinander. Die herabgebrochene Verzimmerung verstopft den Schacht. Hier
kommt nie wieder ein Korb hinunter, kann ich nur noch denken, als wir das
Inferno aus einiger Entfernung beobachten. Von dort oben kann uns niemand mehr
helfen. „Was nun, Gimli?“, wende ich mich an den einzigen, der uns noch
raten kann. „Gibt es noch einen Fußweg nach oben, bevor wir ersaufen wie die
Ratten?“ Oder bevor alles über uns zusammenbricht, wie der Berggeist es uns
verkündet hatte, setzte ich in Gedanken hinzu. Mit Aragorn ist zur Zeit wohl
nicht zu rechnen. Starr und fassungslos schaut er dem Geschehen zu, als wäre er
nicht davon betroffen. Als ich jedoch einen schützenden Arm um seine Schultern
lege, schmiegt er sich hilfesuchend an mich. Also noch Gimli und die Zwerge.
Die Verschalung bricht immer weiter. Von ganz oben klatschen schon ganze
Holzwände ins Wasser. Erdreich rutscht nach, … Die Zwerge beraten für meinen
Geschmack zu lange. „Es gibt einen alten Ausgang aus der Vorzeit, der neben
unserer jetztigen Grube liegt. Wenn wir ihn noch erreichen könnten, bevor uns
das Wasser bis zum Hals steigt. Moria ist wirklich der Zwergen Fluch!“. Gimli
versucht, Hoffnung zu verbreiten. Mit wenig Erfolg.
Eingeschlossen
Der Gedanke, sich noch in einen benachbarten
ausführenden Schacht retten zu können, reißt uns fort. Selbst Aragorn findet
seinen Selbsterhaltungstrieb wieder, geht vor mir am Ende des kleinen Trupps.
Wir drängen uns in einer Reihe vorwärts, die Lampen in die Höhe haltend, damit
das steigende Wasser sie nicht auslöschen kann. Unser Glück, daß der Stollen
leicht ansteigt, denn das Wasser spült und gurgelt um unsere Knie. Die Zwerge
haben schon Mühe, zu verhindern, daß ihnen die Füße nicht weggerissen werden.
Aragorn und ich hätten größte Schwierigkeiten damit, einem umgerissen Zwerg in
dieser trüben, zerrenden Flut auf die Beine zu helfen.
Überhaupt, diese
Zwerge! Zuerst durchwühlen sie ganze Gebirge, entreißen der Erde alles, was sie
begehrlich macht, sämtliche Reichtümer, und dann, wenn die Katastrophe
eingebrochen ist, beten sie zu ihr! Sie solle sich nicht rächen, daß sie ihr in
ihrer Besessenheit die Gebeine zerschnitten haben, in ihrem Inneren herumstöbern
oder den Fluß ihres Blutes eingedämmt, kanalisiert haben. Als würde eine solche
Einsicht noch etwas nützen!
An der ersten Weggreuzung sind unserer
Begleiter unsicher, wie wir am besten weitergehen sollen. Rechts oder links? Den
langen Weg durch das ansteigende Wasser oder die Abkürzung durch den kleinen,
aufstrebenden Gang? Durch den Streit geht kostbare Zeit verloren, in der die
Wassermassen stetig ansteigen. Wir und zwei andere folgen Gimli, der sich hier
unten ja eigentlich bestens auskennen müsste. Die Gruppe der Arbeiter wählt den
anderen Weg, läßt sich nicht überzeugen. Doch auch Gimli hat Probleme, die
Stollen zu unterscheiden, sich an die richtigen Abzweigungen zu erinnern.
Hektisch schlurft er zu jedem Loch, murmelt Unverständliches in seinen Bart,
schaut mal hierhin, mal dorthin. Kopflos. Aber bei jeder Gabelung müssen
wir uns entscheiden. Und das tun wir bald auf’s Geradewohl hin, niemand hat mehr
irgendeine Orientierung in diesem verwirrenden, halb überfluteten Stollennetz.
Mein Freund Aragorn versucht, mit den Zwergen mitzuhalten, so gut er kann,
sie bei den häufiger werdenden, stark unter Wasser stehenden Stellen zu
unterstützen, sie zu tragen, wenn nötig. Mir selbst ist das nicht mehr
möglich. Ermüdet und ausgelaugt falle ich zurück, bemühe mich, dem Schein der
letzten Lampe zu folgen, meine Gefährten nicht ganz zu verlieren. Hier unten
verlassen mich die Kräfte.
Ich will nicht mehr.
Bilder von
grünen Wiesen entstehen vor meinem inneren Auge. Ich rieche den Wald, höre das
Hufgetrappel von Pferden. Verbissen kämpfe ich darum, zu meinen
Leidensgenossen aufzuschließen, verfluche dieses Loch, die schwül – warme Luft,
die mich am Atmen hindert, sämtliche Trugbilder, die mich zum Aufgeben verführen
wollen – und Gimli mitsamt sämtlichen Zwergen Mittelerdes. Nur wegen ihm bin ich
schließlich in diese Hölle hinunter! Wirklich? Formt sich die aufdringliche
Frage in meinem Kopf. Endlich finde ich die Kraft, die Gruppe einholen zu
können. Sie haben schon auf mich gewartet. „Ist der Herr Elb auch schon
da?“, findet Gimli noch schwarzen Humor genug, um zu spötteln. Erschöpft
lasse ich mich fallen: „Wißt ihr eigentlich nun genauer, wie der Weg nach
draußen verläuft? Oder rennen wir im Kreis herum?“. Betretenes Schweigen
antwortet mir.
Es geht weiter. Vor mir die Zwerge, hinter mir Aragorn, der mich immer
wieder antreibt, nicht stehenzubleiben, mich nicht fallen zu lassen. In
meiner Betäubung schleppe ich mich vorwärts, rede halblaut in meiner Sprache vor
mich hin. Gebe die Hoffnung auf, jemals wieder in den Himmel zu schauen. Wie
wollte ich sterben? In den Wäldern oder in der Schlacht, aber doch nicht in
diesem verschlammten Dreckloch ersaufen!
Gimli kommt zu uns, unterhält
sich mir Aragorn über die schlechter werdende Atemluft. Er spricht von der
Gefahr eines „schlagenden Wetters“, wir sollten unsere Lampen nur schön
verschlossen halten. Was der Zwerg darunter verstehen mag, will ich gar nicht
genauer wissen. Wir bleiben unterdessen zurück. Die anderen Zwerge
untersuchen eine Gabelung ein Stück weit vor uns. Wiederum ein Stollen, der sich
verzweigt. Allerdings scheint dessen Decke heruntergebrochen zu sein, wie uns
einer der beiden zuruft. Wir setzten uns in Bewegung. Urplötzlich wird
der Weg vor uns verrammelt. Ein gewaltiger Felsblock stürzt vor uns nieder,
trennt uns von den beiden Zwergen. Wenn er sie nicht unter sich begraben hat.
Die Überschwemmung, die übermäßige Nässe dringt von überall her in das Gestein
ein und lockert es. Überall ereignen sich Einbrüche. „Wir müssen zurück, uns
abermals einen Weg suchen.“ Noch nie vernahmen meine Ohren eine dermaßen
zittrige Zwergenstimme. Nur noch wir drei sind übriggeblieben. Und in den
darüberliegenden Sohlen? Unvorstellbar, so viele Untergegangene bei diesem
Desaster. Wirklich unvorstellbar? Ich dränge die Schreckensbilder aus den
Schlachten des Ringkrieges zurück. Denke zum ersten mal seit unendlicher Zeit an
meinen Pflegesohn. Ich habe ihm noch nicht einmal einen Namen gegeben. „In
welche Richtung gehen wir eigentlich?“, wende ich mich an den erschütterten
Gimli. „Geradeaus.“ „Das sehe ich, und dann?“ „Immer weiter. Es
müsste irgendwann ein Schacht kommen, in dem wir nach oben klettern können. Ein
sehr alter Schacht, aus meiner Väter Zeit.“
Irgendwann. Vielleicht. Oder
auch nicht.
Unsere Kleider hängen uns seit langem in nassen Fetzen vom
Leib. Bedeckt von Schürfwunden, nach Luft ringend, halten wir krampfhaft unserer
Lampen vor uns. Was ist, wenn diese verlöschen? Das Wasser schlägt uns gegen
die Brust. Gimli nehmen wir zwischen uns, damit er nicht weggeschwemmt wird.
Sehr langsam kommen wir nur vorwärts, ketten uns an den Glauben, ein
aufsteigender Schacht läge vor uns. Ein Schacht, den wir erreichen könnten, der
uns in die Sonne führen könnte. Noch nicht ganz abgesoffen wäre.
Könnte,
hätte, wäre.
Gerade passieren wir einen neuerlichen Durchbruch, der in
die wassergefüllte Tiefe führt, da veranlasst uns ein Geräusch, uns umzuwenden.
Wer war das? Weitere Zwerge, die hier unten umherirrten, verzweifelt einen
Ausweg suchen? Eine schnaufende Gestalt treibt langsam auf uns zu, spritzt
weißlichen Schaum um sich. Sie kommt in unsere Richtung, bleibt jedoch auf
halbem Wege an der heruntergebrochenen Verzimmerung hängen. Die Öffnung zwischen
den geborstenen Balken ist zu klein, um sie hindurchzulassen, so sehr sie sich
auch bemüht, sich durchzuzwängen, um zu uns zu gelangen. Erschreckt erkenne
ich den Anführer der Zwerge, die wir auf dem Vorposten im Gestein getroffen
haben. Seine Gliedmaße peitschen in verzweifeltem Wahnsinn auf die trübe Flut
ein, wirbeln Wellen auf. Er krallt sich an den Balken fest, will sich
festhalten, dem Sog nach unten irgendwie entfliehen. Uns drei erreichen, mit
seinen zerschmetterten Gliedmaßen. Er bleibt in dem engen Durchlaß zwischen
Balkengewirr und Felswand stecken. Die Erde hat ihn umfangen, läßt ihn nicht
mehr los. Wir stehen zu weit entfernt, können nicht helfen. Nur bestürzt
zusehen, uns die Ohren zuhalten, vor den gequälten Schreien, die in gurgelndes
Keuchen übergehen, als eine Welle über seinen Kopf schlägt. Der Todeskampf des
Zwerges ist schauerlich. Mit einem grässlichen Röcheln versinkt er schließlich.
Soll so unser Ende aussehen?
Die Flucht geht weiter. Der Angstschrei des Zwerges, vor seinem Ertrinken
begleitet mich, seine weit aufgerissenen, vorgequollenen Augen lassen mich nicht
los. Kopflos eilen wir den nächstbesten Gang, der in die Höhe zu führen
scheint, entlang, wollen nur noch diesem unbezähmbaren Wasser entkommen, das
unser Leben als Blutzoll, als Opfer verlangt. Als wir zusammenbrechen,
kauert jeder sich in seiner Ecke an die Wand. Wie lange wird unser
Zusammenhalt noch bestehen?, frage ich mich, als ich zu meinem König
hinüberrobbe, der mit glasigen Augen in die Unendlichkeit schaut. Den Kopf auf
seinen Bauch gelegt, falle ich in einen ohnmachtsähnlichen Zustand. Ich merke
nur noch, daß Aragorn’s Finger sich um meine Unterarmen schließen, dort
verkrampfen.
Durchdringende Nässe weckt mich auf. Das Wasser ist
abermals gestiegen, umspült bereits Aragorn’s Füße. Wir liegen in einer Pfütze.
Zerschlagen quälen wir uns höher, bis wir eine kleine Höhlung erreichen. Hinter
uns der Fels, vor uns das Wasser. Nun werden wir sterben, formt sich die
Einsicht in meinem Kopf, findet ihren Weg über die Lippen. „Das ist
aussichtslos. Der Kampf ist zuende.“ Eng umschlungen liegen wir auf den
harten Steinen.
„Warst du eigentlich glücklich, in der Stadt, als
Landesherr,…?“, frage ich meinen König halb im Schlaf. „Glücklich? Nachdem
ihr mich alle verlassen habt? Umgeben von Korruption und geldgierigen Adligen?
Legolas, selbst Arwen, die doch eine Elbe ist, hat mich verraten und regiert
jetzt zusammen, stell dir vor, gemeinsam, mit dem Klanoberhaupt der Olvar,
diesem Verbrecher.“ „Elben können gegenüber den Gefühlen der anderen äußerst
unempfänglich sein. Das musste ich ebenfalls spüren, mein König.“ „Nein, das
ist es nicht, sie hat sich dem Luxus verschrieben, mit ihrer ganzen Seele. Nie
hätte ich das für möglich gehalten, bei einer Tochter Elronds. Legolas, sie hat
mich nicht nur mit ihrem Liebhaber zusammen abgesetzt, in den Kerker geworfen.
Sie hat auch zugelassen, …, sie muß es gewußt haben! Hat sie mich so gehasst, am
Ende? Warum?“ „Wer will nicht besitzen, was er liebt, den Anderen ganz für
sich haben, mit Körper und Seele? Oder vernichten, wenn er sich entzieht?“
„Und dann weitersuchen, nach Spielgenossen, nicht wahr, Legolas?“, beißt
Aragorn zurück. „Es tut mir leid, Aragorn. Aufrichtig leid. Aber wir würden
uns gegenseitig zerstören. Vielleicht ist es richtiger so, hier zu sterben, wie
du schon an dem verzauberten See sagtest.“ Fatalismus breitet sich aus,
umfängt uns mit seinen Schatten.
Gimli blickt uns stirnrunzelnd an: „Was
ist mit euch geschehen? Wo ist euer Mut, euer Lebenswille geblieben? Seit wann
gebt ihr so schnell auf, nach all den Wanderungen und Kämpfen hätte ich das
nicht erwartet. Nicht von euch beiden.“ Er fragt weiter: „Aragorn, warum
bist du eigentlich nach Moria gekommen, ich dachte, du seiest in deinem Reich
beschäftigt? Und du, Freund Legolas, soll ich dir erzählen, was über dich
geredet wird? Schande hast du über das Volk der Elben gebracht, auch wenn ich
sie nicht leiden kann, deine Zügellosigkeit bricht jede Vorstellung,…“
„Elben? Gimli, laß mich in Ruhe sterben, ohne daß ich an mein Volk denken
muß,…, Sie sind nicht besser wie alle anderen Völker auch.“ Müde hebe ich den
Blick. „Ich will nicht mehr.“ Im Wegdämmern spüre ich, daß Aragorn mich zu
sich zieht. So sei es. Keine Qualen mehr, keine lockenden Stimmen mehr,
keine endlosen Kämpfe mehr. Auch eine Form der Erlösung.
Mein Leben
zieht an mir vorbei. Sirk’an läßt mich lächeln in all meiner Trauer.
Deine Erwartungen kann ich nun nicht mehr erfüllen, denke ich mit Wehmut.
Aber ich muß auch nicht mehr gegen die Schwarze Macht ankämpfen, …
Und Aragorn? Hätte ihm die kleinere Hälfte meines Herzens denn viel
genutzt? Ich bezweifle es. Ich hätte ihn nur mitgenommen in den Abgrund
vor mir, bei all meiner Liebe. Ihn, den Menschen.
Gimli gibt keine
Ruhe. Andauernd klopft er den Wänden herum, bricht poröse Brocken aus dem Fels.
Rüttelt uns unbarmherzig. „Aufstehen ihr beiden! Umarmen könnt ihr euch auch
noch später. Was soll das eigentlich, als Kampfgefährten ein Liebespaar abgeben?
Ich weiß es genau, hinter dieser Wand verläuft ein weiterer Gang nach oben.
Aus meiner Vorväter Zeiten,…, jetzt helft mir mal gefälligst. Oder habt ihr mich
aus der Macht dieses Berggeistes befreit, um in diesem Gang einfach so zu
ertrinken?“
Unmöglich, in Ruhe zu sterben!! Zwerge!!!
Hat dieser unmögliche Zwerg es doch tatsächlich geschafft, einen winzigen
Schlitz in den Fels zu kratzen, durch den ein kaum merklicher Luftzug in unsere
Zuflucht eindringt. Ungläubig starre ich ihn an, streiche über den Fels,
zwänge meine Finger in den Spalt. Auf einen Schlag wird auch Aragorn, den
ich schon halb im Jenseits glaubte, munter. Aufgeregt scharren wir an dem Fels
herum, stoßen uns die Hände blutig, in dem Bemühen, den Spalt zu einem Durchgang
zu vergrößern. Hatte Gimli recht, und wir haben die ganze Zeit wirklich neben
einem aufwärtsführenden Gang gelegen? So nahe? Ohne Gimlis Beharrlichkeit
würden wir in der Tat als Blutopfer für die Erde geendet haben! Der Zwerg
muß uns beide schließlich fast mit Gewalt von der Wand wegziehen. Immer mehr
Gestein bricht nach, begräbt unsere Köpfe in einem Haufen aus Sand und kleinen
Steinen. „Das fehlt gerade noch, daß sich dieser verrückte Elb noch im
letzten Augenblick verschütten läßt. Dieses Volk gehört auf die Erde, nicht in
sie hinein!“ Der barsche Ton bringt uns zur Vernunft. Gimli hat wieder
einmal recht. Wenn noch die Decke nachstürzt, haben wir uns mit unserer
unbedachten Wühlerei selbst den letzten Ausweg abgeschnitten. Wir treten zur
Seite und lassen dem Fachzwerg den Vortritt. Gimli arbeitet sich bedächtig
aber stetig durch den verwitterten, immer mal wieder nachbrechenden Fels. Stützt
hier und da mit Steinen die Wand ab, gibt uns den Befehl, herumliegenden Schutt
wegzuräumen. Das tun wir gerne. Endlich hat er es geschafft. Es ist ihm
gelungen, eine kleine, schmale Verbindung zu dem Gang herzustellen. Bequem für
einen Zwerg, gerade groß genug für einen schmalen Menschen. Beim Hindurchzwängen
bleiben größere Hautfetzen an den kantigen Felsbrocken hängen. „Na, kommt
schon, ich hoffe das macht euch etwas ruhiger. Irgendwelche Kopflosigkeiten oder
Eifersuchtsdramen können wir nun wirklich nicht gebrauchen, der Herr Elb. Wer
hätte das gedacht, daß die bösen Gerüchte der Wahrheit entsprechen?
Unbeherrschtes Volk“, grummelt er mich an. „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt
es sich ganz ungeniert.“ Diese Antwort muß einfach sein. Unter den
Schlammschichten, die uns alle fingerdick bedecken, fällt mein Erröten nicht
auf. Hoffe ich.
Der Gang ist die Rettung. Gefüllt mit einigermaßen
frischer Luft. Ansteigend. Noch einigermaßen gut erhalten, jedenfalls in diesem
Teilstück. Er soll laut Gimli zu einem Schacht führen, den sie früher als
Notausgang benutzt haben. Allerdings fährt dort kein Korb, sondern man muß über
ein Leitersystem in die Höhe steigen. Und wir sollen uns beeilen, denn der Berg
würde anfangen zu beben, er würde es schon spüren, die Erde zittere,… „Was
ist mit den Bewohnern der oberen Ebenen? Der Berg muß vollständig geräumt
werden, haben wir für dein Leben versprochen, Gimli.“, erinnert Aragorn ihn an
die Begegnung mit der dem Berg innewohnenden Macht. „Wir haben einen
Räumungsplan, für den Fall, daß der Berg bricht. Auch Zwerge lernen aus der
Vergangenheit. Bei einer solchen Überflutung der unteren Sohlen bricht auch der
Schacht in sich zusammen. Ganz Moira wird es bald nicht mehr geben. Unserer
Werkzeuge! Unsere Erfindungen, Pumpen, Förderungssysteme! Alles
verschlungen, alles begraben! Nie hätten wir gedacht, daß eine solche
Katastrophe jemals eintreten könnte. Nicht in diesem Ausmaße! Die Überflutung
einzelner Gangabschnitte, begrenzte Einbrüche, ja, sicher, das geschieht jeden
Tag, aber dies! Moria verloren! Für immer und alle Zeiten! Die
Zwerge werden untergehen!“ Gimlis Erschütterung läßt ihn in seinem eiligen
Lauf innehalten. Jetzt ist es an uns, ihn weiterzuziehen. Aragorn schlägt ihm
alles mögliche vor, damit er nicht vor Kummer die Richtung verliert. Als mein
König ihm letztendlich den Plan eines großen, vereinigten Reiches erläutert,
vorschwärmt, fängt er an, sich dafür zu begeistern, steigt sofort in die
Gedankengespinste mit ein. Die Erde beginnt zu zittern. Je höher wir
steigen, desto öfter und heftiger spüren wir das Beben, hören das dumpfe Grollen
herabstürzender Erdmassen, zusammenbrechender Schächte. Die Zeit drängt.
Gimli läuft schneller, er findet nun den Weg, ohne anhalten zu müssen.
Hinter uns brechen die Steine, vor uns rieselt der Sand von der Decke, treibt
uns weiter.
Wann kommt dieser verwünschte Schacht mit den Leitern? Wenn er noch nicht längst
zerstört ist,… Aber diesen Gedanken schiebe ich weit von mir. Das letzte
bisschen Hoffnung ist es wert, gehegt und gepflegt zu werden,… Wir erreichen
den Schacht einigermaßen unverletzt. Gimli steigt voran, Aragorn, der im
besten körperlichen Zustand von uns drei zu sein scheint, als letzter. Damit er
Fallende und Stolpernde auffangen kann, wie er sagt, mit Seitenblick auf meine
aufgerissenen, blutenden Handflächen. Woher holt dieser Mensch, der noch vor
Kurzem am liebsten sterben wollte, diese Kraft her? Aus dem Nichts? Oder
spornt ihn der Traum seines Lebens an, Frieden zu schaffen?
Glücklicher
Mensch mit einer Bestimmung.
Untergang
Die Leitern ziehen sich unzählbar in die Höhe. Schmal,
schlecht befestigt, mit rutschigen Sprossen. Aber sie sind da! Und
führen uns mit jedem Schritt dem Erdboden näher! Bedächtig und jeden Schritt
überlegend, so wie Gimli uns angeraten hat, steigen wir nach oben. Warmer Regen
hindert die Sicht, läßt alles noch glitschiger werden. Unser Gepäck, selbst die
Stricke, die Gimli noch bei sich hatte, lassen wir nach und nach zurück, sie
fallen einfach in die Tiefe. Denn wenn eine der Leitern brechen, einer von uns
ausgleiten sollte, wäre keine Hoffnung mehr, ob mit oder ohne Ausrüstung.
Einzig Gimli, der als erster emporklettert, scheint mit dem Aufstieg keine
Schwierigkeiten zu haben, ist er doch solches gewohnt. Mir selbst schneidet jede
dieser Holzsprossen in die ohnehin schon aufgerissenen Handflächen, bis auf die
Knochen. Selbst den Stoff, den ich mir darübergewickelt habe, nutzt schon bald
nichts mehr, dringen die Holzsplitter doch mit Leichtigkeit durch das weiche
Material. Aragorn geht es nicht besser. Blutige Hände, durchgescheuerte
Fußsohlen. „Wie weit ist es noch nach oben, Gimli?“, rufe ich schließlich,
fast am Ende meiner Kräfte. „Das erste Drittel haben wir hinter uns, Herr
Elb, aber der schlimmste Teil kommt noch. Zwischen den beiden nächsten Sohlen
fließt das Wasser recht heftig. Und außerdem sind die Leitern ziemlich
schadhaft.“ Mit der letzten Willensanstrengung stelle ich mir die Wälder
meiner Heimat vor. Die Geräusche in ihnen. Ihren Duft. Weicher Waldboden
unter meinen Füßen. Wie war es noch schnell, über die weite Ebene von Rohan
zu reiten? Über sich der Himmel, um sich Wind und frische Luft? Das muß ich
noch einmal erleben, nur jetzt nicht abstürzen, ein Schritt vor den nächsten
setzten, langsam und vorsichtig…nicht danebenfassen … Von Aragorn höre ich
auch nur noch sein verzweifeltes Keuchen, durchsetzt mit dem schmerzlichen
Zischen, daß er ausstößt, wenn ein neuerlicher Splitter in die Haut gedrungen
ist. Wenn diese Fahrt beendet ist, und wir es überlebt haben, das schwöre
ich mir, werde ich kämpfen! Gegen den Ruf der Kräuter, der mich immer wieder
überfällt in meinen freien Momenten, gegen den Ruf der Dunklen Macht, … Wie
konnte ich nur mein Leben so leichtsinnig aufs Spiel setzen aus verletztem
Stolz, aus Selbstsucht, aus Machtwillen, aus welchen Gründen auch immer,… Ich
will bei Aragorn bleiben, ihm helfen, Frieden zu schaffen, allen Wesen
Mittelerdes eine Möglichkeit geben, verträglich und gut zusammenzuleben,…
Wenn wir erst hier draußen sind!!
Wiederum bebt die Erde, unser
schmaler Schacht scheint sich zu schütteln. Von oben ergießt sich ein Schwall
Wasser über uns.
Gelächter bricht sich an den Schachtwänden. Nimmt
kein Ende.
Gimli stößt Flüche aus, die uns die Leitern in doppelter
Schnelligkeit hinauftreiben. Mit der letzten Kraft schreie ich mich hinter
dem Zwerg auf eine kleine Plattform hinauf. Aragorn ziehen wir an den Armen
nach, zu uns.
Über uns sind die Leitern zerborsten, unter uns bricht das Inferno los. Der
gesamte Berg ist in Bewegung, der Caradhras fällt in sich zusammen, so scheint
es. Gimli schlüpft hinter uns durch ein kleines Loch, winkt uns, ihm zu
folgen. Ich drücke den zu Tode erschöpften Aragorn vor mir hindurch und folge
dann selbst unter größter Anstrengung nach. Schon wieder durch einen Zwergengang
kriechen, bis wir den Griff des Felsens im Genick spüren. Was hat dieser Zwerg
nur vor? Sich in diesem Kaninchengang begraben lassen? Aragorn vor mich
herschiebend, folge ich Gimli. Halb besinnungslos robbe ich durch den Gang.
Frage mich überhaupt nichts mehr. Bewege nur noch Arme und Beine, spucke den
Dreck aus, der mir zwischen die Zähne gerät. Jenseits des Sterbenwollens.
Die Welt ist reduziert auf automatische Bewegungen.
Von allen Seiten
drückt das Erdreich. Wir wühlen uns durch das immer loser werdenden Gestein, die
Felsen sind rarer geworden. Sand herrscht vor, wird durch Erde abgelöst. Droht,
uns zu ersticken.
Irgendwann schreit Gimli los. Ich ebenfalls.
Licht!!! Helles, warmes, schönes Sonnenlicht!!!!!! Wir haben es
geschafft!!! Es ist uns gelungen, uns allen drei, aus dem Bauch der Erde zu
entkommen!!!!!!! Blinzelnd, unbeschreiblich erleichtert, wie neugeboren
stehen wir da, lassen uns von der Sonne bescheinen. Baden uns in ihrem
Licht. Umarmen die Strahlen. Tanzen vor Freude weinend in der Helligkeit
herum. Nie wieder verlasse ich ihr Reich!
Der Berg bebt. Vor uns ein
steiler, bewaldeter Abhang, über uns der nackte Fels. Der Berg schüttelt
sich wie ein Tier. Wir eilen zwischen den Bäumen hindurch in dem Versuch,
den Fuß von Caradhras zu erreichen. Bevor uns der Berg doch noch bekommt, uns
erschlägt.
Ein Steinschlag löst sich. Der Gipfel zerbricht.
Lawinen lösen sich, donnern zu Tal. Hausgroße Felsbrocken stürzen die
Wände hinunter, schlagen Schneisen in die bewaldeten Bergflanken, jagen uns
zwischen den Stämmen hindurch. Gehetzt rennen wir bis zum Fuß des Berges.
Gimli führt uns zu einer niedrigen Anhöhe, die dem Caradhras gegenüber
liegt. Stumm schauen wir dem Todeskampf von Mittelerdes ertragreichstem
Zwergenbergwerk zu.
Erdstöße erschüttern den Boden, bis zu unserem
Hügel. Durch die Baumreihen läuft ein Zittern, sie fangen an sich zu bewegen,
wie Tiere. Der Platz vor dem Haupttor, durch das wir Noria betreten haben, liegt
leer und verlassen vor uns, gerade aus der Entfernung noch zu sehen. „Es ist
ihnen gelungen. Meine Zwerge konnten die Grube noch rechtzeitig verlassen. Aber
was für ein Verlust an Schätzen und Kunstwerken!“ Gramerfüllt sinkt Gimli auf
die Knie, verbirgt sein Gesicht in den Händen. Sein Fürstentum hat aufgehört
zu existieren. Die Erde schüttelt sich stärker. Ganze Gräben brechen auf,
laufen den Hang herunter. Verschlingen Baumreihen. Unter fürchterlichem
Krachen, noch in unserer Entfernung ohrenbetäubend, werden die metallenen,
geschlossenen Torflügel des Eingangs aneinandergerieben, neigen sich langsam
nach vorne. Wirbeln Staubwolken auf, als sie auf dem Boden aufschlagen. Ein
Stoß folgt dem anderen, unterirdische Einstürze vermitteln uns den Eindruck
eines Weltunterganges. Der ganze stolze, übermächtige Caradhras ist von Spalten
durchzogen, aus denen das innere Gestein quillt, den Eingang unter sich begräbt.
Sich umkehrt.
Erschüttert wenden wir uns ab. Niemand wird an
diesem Ort jemals wieder schürfen. Der Geist hat sich sein Reich
zurückerobert.
Wir wenden uns in die Richtung der Städte. Gimli hat
beschlossen, mit uns zu kommen. Nach dem Schock ist er sehr davon angetan, eine
neue Aufgabe in Angriff nehmen zu können. Das Reich noch einmal zu erobern, und
die Verwaltung durchgreifend zu erneuern. Voller Eifer redet er drauflos,
macht Vorschläge, berät sich mit Aragorn. Ich folge den beiden nach. Ich
werde ihnen mit meinen Kenntnissen der Staatskunst unter die Arme greifen.
Sicher doch. Die lockenden Rufe zurückdrängen. So lang es geht.
Aragorn legt einen Arm um meine Schulter, erklärt irgendetwas.
Aragorn – König – Freund Ich liebe dich. Ich brauche dich.
Kannst du mir denn noch helfen?
hier geht´s weiter
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