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Titel:
Der Adler ruft (Kap. 7 - 9) Autor: Leonel
7. Gebrochene Seelen
Boromir hatte sich wieder gefangen. Er verließ
den Salon und schaute in beide Richtungen des Ganges. Wenn sein Bruder in seine
Räume gegangen war, ist er entgegengesetzt von Gandalf gelaufen. Dafür
entschied er sich. Er klopfte an der Tür seines Bruders. Es rührte sich
nichts. Er beschloss einzutreten. Im Arbeitszimmer war er nicht. Vorsichtig
schaute er ins Schlafzimmer. Dort war er auch nicht. Eilig verließ er die
Räume und rannte den Gang herunter, zum Ausgang und dann die paar Stufen hinab.
Er steuerte auf die Wachposten des weißen Baumes zu. Sie verbeugten sich
in seine Richtung. „Ist mein Bruder hier entlang gekommen?“ Fragte er
ungeduldig. Ein Wachposten trat vor. „Lord Faramir ist vor ein paar Minuten
sehr eilig zum Tor des sechsten Zirkels gegangen.“ Boromir nahm sich keine
Zeit eines höflichen Dankes sondern rannte los. Am Tor angekommen blieb er
stehen und schaute nach links und rechts. Nichts zu sehen. Er überlegte, wo
würde sein Bruder wohl hingegangen sein? Vielleicht zu den Ställen? Die
waren unten im ersten Zirkel. Oder in eine Taverne? In den letzten oberen
drei Zirkeln gab es keine. Ställe oder Taverne, beides bedeutete links
herunter. Wieder rannte er los. Jetzt durchquerte er den fünften Ring. Die
Straßen von Minas Tirith waren menschenleer. Boromir war ein ausdauernder
Läufer. Aber die Tore der Stadt lagen immer versetzt. Er musste im Zickzack die
Zirkel durchlaufen. Im vierten Zirkel blieb er keuchend stehen. Erst einmal
Luft holen! Er stand nach vorn gebeugt, seine Hände auf die Knie und rang
nach Luft. Ab hier gab es Tavernen. Als er wieder zu Atem gekommen war ging
er auf die nächste Taverne zu. Stimmengewirr und Qualm empfingen ihn. Die
Taverne war gut besucht. Zurzeit beherbergte die Stadt viele Gäste aufgrund
der bevorstehenden Wettkämpfe. In den Gesprächfetzen war zu hören, dass dies ein
beliebtes Thema war. Ungeduldig schob er sich durch das Gedrängel und
versuchte seinen Bruder auszumachen. Bald war klar, hier war er nicht. Er
verließ die Taverne wieder. Draußen atmete er erst mal tief ein. Hier traf
er auch Menschen auf den Straßen an. Auch in der nächsten Taverne hatte er
kein Glück. Dann fiel ihm ein, dass im zweiten Zirkel die Behausungen seiner
Männer waren. Er wusste auch das Mablung und Damrod, zwei seiner Männer, Urlaub
hatten. Sein Bruder verstand sich gut mit den Beiden. Wieder rannte er los.
Dann passierte er den Torbogen zum dritten Zirkel. Als er um eine Ecke
rannte konnte er einigen aufgestapelten Kisten nicht schnell genug ausweichen.
Er stürzte mit den Kisten zu Boden und schlug sich dabei das rechte Knie
auf. Fluchend stand er wieder auf und kickte ärgerlich eine Kiste mit dem Fuß
weg. Er ging weiter. Es wurden hier schon mehr Leute auf den Straßen. Da
vorn konnte er jetzt eine schmale Gestalt mit blonden, langen Haaren ausmachen.
Das Volk von Gondor war überwiegend dunkelhaarig. Sein Bruder und er
gehörten zu den wenigen mit hellen Haaren und hellen Augen. Er rannte los,
kam immer näher. Dann sah er, es war wirklich Faramir! Sein Bruder
steuerte eine Taverne an die sie beide gern besuchten. Dort gab es gutes
Bier und auch gute, hausgemachte Eintöpfe. Hier kannte man sie nur als normale
Personen. Keiner, der dort bisher verkehrte wusste, dass sie die Söhne des
Statthalters waren.
Faramir war nur noch ein paar Meter von der Taverne
entfernt, als Boromir ihn erreichte und am Ärmel fest hielt. Faramir fuhr
herum. Seine Augen staunend. „Bruder, warum hast Du nicht gesagt, dass Du
hierher gehst? Ich wäre mit Dir gekommen,“ keuchte Boromir. Der riss sich
von seinem Bruder los. „Ich brauche kein Kindermädchen. Ich bin durchaus
imstande, auch alleine etwas trinken zu gehen.“ Boromir hob beschwichtigend
seine Hände. „So habe ich das nicht gemeint. Das weißt Du.“ „Dann geh,
lasse mich zufrieden.“ Er wendete sich ab, in Richtung Taverne. Boromir
blieb stehen. „Es ist Vater, richtig? Es ist das, was zwischen Euch vorgefallen
ist.“ Sein Bruder blieb auch stehen. „Es war nichts von Bedeutung.“
„Deine Reaktion sagt mir aber was ganz anderes.“ Faramir fuhr herum und
packte seinen Bruder an den Schultern, um ihn an die rückwärtige Wand zu stoßen.
Er entwickelte mehr Kraft, als man ihm zugetraut hätte. Sein Gesicht war
wutverzerrt. Boromir war nicht auf diesen Angriff gefasst und fühlte unsanft
die Wand im Rücken. Dann packte er die Unterarme und drückte sie herunter.
Faramir versuchte frei zu kommen. Boromir wusste, das sein Bruder im Moment
nicht Herr seiner Sinne war. Er wehrte ihn heftig ab. Faramir trat gegen das
Schienbein seines Bruders. Boromir gelang es die Arme seines Bruders hinter
seinem Rücken zu halten. Sie verloren die Balance und stürzten zu Boden. Dort
rangen sie weiter. Jetzt wurde es ernst. Die ersten Leute blieben
stehen. Für sie sah es nach einem Kampf. Der junge, schmale Mann hatte einen
größeren, wesentlich kräftigeren Mann angegriffen. Ein Besucher aus Rohan,
ein großer, kräftiger Mann mit blonden Haaren dachte es wären Leute aus seinem
Land. Beherzt trat er hinzu um die Beiden zu trennen. Das machte einem
dunkelhaarigen Gondorianer ebenfalls Mut zuzugreifen. Faramir bekam einen
Arm frei und schlug seinem Bruder die Faust unters Kinn. In Boromirs Kopf
explodierte etwas und er blieb benommen liegen. In dem Moment griffen die
beiden anderen Männer zu. Sie packten Faramir, der sich heftig wehrte. Jetzt
kam auch die Zivil-Garde. Sie bahnten sich einen Weg durch die Gaffer. „Was
geht hier vor?“ Fragte der Hauptmann streng, mit einem Blick auf Boromir am
Boden und dann auf Faramir. „Das geht Euch nichts an,“ stieß Faramir aus. Er
atmete heftig, sein Haar hing ihm wirr ins Gesicht und die linke Wange war von
dem rauen Boden aufgeschrammt. „Er hat den anderen Mann grundlos angegriffen
und niedergeschlagen.“ Der Gondorianer war stolz der Garde diese Auskunft geben
zu können. Faramir fing wieder an sich zu wehren um frei zu kommen, während
zwei aus der Garde sich um Boromir kümmerten. „Lasst mich los,“ schrie er.
Der Hauptmann nickte zur Garde. Zwei traten vor und nahmen Faramir in Empfang.
Sie hatten Mühe in zu halten. „Lasst mich los.“ Er schrie und trat nach der
Garde, als sie ihn wegschleppten. Der Hauptmann bückte sich zu Boromir, der
jetzt wieder mit Bewusstsein am Boden saß. Er kannte die Söhne des Statthalters
nicht von Sehen und hielt Boromir auch für einen Gast aus Rohan. Er legte
ihm eine Hand auf die Schulter. “Alles in Ordnung, Mann? Seid ihr verletzt?“
Boromir war benommen. „Es ist alles in Ordnung.“ Der Hauptmann wandte
sich an seine Leute. Er sah ihre Blicke zu der Taverne. Es waren gute
Männer. Er nickte ihnen zu. Ein oder zwei Bier könnten sie sich genehmigen.
Zumal sie fast am Ende ihrer Dienstzeit waren.
Bevor er etwas sagen
konnte sprach ihn der Mann aus Rohan an. „Der andere wurde von der Zivil-Garde
festgenommen. Schätze, sie werden ihn jetzt erst einmal einlochen.“ Boromir
starrte ihn fassungslos an. „Was haben sie?“ Er konnte es nicht glauben. Ein
Sohn des Truchsess festgenommen auf offener Straße wegen Schlägerei! Es
würde nicht lange dauern bis die ganze Stadt es wüsste. Das wäre ein Skandal!
Das musste er verhindern! Er wandte sich an den Gondorianer der noch immer
hier stand. „Wisst Ihr den Weg zur Garde?“ Der Mann antwortete: „Ich weiß es
nur ungefähr. Aber ich kann es versuchen.“ „Ich wäre Euch dankbar dafür.“
Der Mann dachte er wolle seinen Angreifer anzeigen. „Folgt mir.“
Den ganzen Weg über schrie Faramir und er wehrte sich.
Schließlich packte einer der Männer, zusammen mit seinen Armen, Faramirs
Oberkörper und der andere die Beine. So ging es besser. Der Mann der
Faramirs Beine hielt schaute ein paar Mal in das Gesicht des jungen, blonden
Mannes. `Der Junge sieht verdammt gut aus` dachte er bei sich. Er hatte eine
Schwäche für junge Männer. Ja, er liebte sie…
Sie betraten das
Gebäude der Garde, durchquerten den Vorraum und steuerten auf die Zellen zu. In
einer Zelle lag ein Betrunkener zum Ausnüchtern. Faramir warfen sie in die
Nächste. Sofort sprang er auf die Füße, stieß einen der beiden Männer um und
wollte flüchten. Der andere Mann konnte ihn noch von hinten packen und
umschlang Faramirs Brust. Dieser versuchte nach hinten zu langen, um ihn zu
kratzen. Jetzt stand der zweite Mann wieder auf. „Dir werde ich zeigen,
wo Du hingehörst.“
Der Schlag in dem Magen riss Faramir die Beine weg.
Er wurde fallengelassen und krümmte sich zusammen, seine Arme um seinen
Leib. Der Garde war das noch nicht genug. Sie wollten ihn schreien
hören, aber diesmal vor Schmerzen. Einer der Beiden trat ihm in die Niere.
Und Faramir schrie. Er fühlte Tritte in seinem Rücken, in seine Brust.
Gegen seine Arme, die seinen Magen schützten. Er fühlte, wie seine Knochen
brachen und schrie seinen Schmerz heraus.
Der Betrunkene in der
nächsten Zelle erwachte von dem Schreien. Er rappelte sich hoch, rülpste und
beobachtete das Geschehen. Irgendwie kam ihm der junge, blonde Mann bekannt
vor! Er hatte ihn schon einmal gesehen! Aber wo? Der Nebel des Alkohols
ließ keine Erinnerung mehr zu. Sonst hätte er gewusst, wer dieser junge Mann
war und hätte dem Unglück vielleicht Einhalt geben können.
Der
Gondorianer blieb stehen. Er hatte die Orientierung verloren. Boromir war
ungeduldig. “Ihr sagtet, Ihr kennt den Weg.“ Der andere sah ihn an. „Mein
Herr, ich sagte, ich wüsste ungefähr die Richtung. Lasst mich einen Augenblick
überlegen.“ Er sah sich um und deutete in eine Nebenstraße. Beide gingen
weiter. Sie wussten nicht, dass es der falsche Weg war.
Faramir
schwanden schon die Sinne als zwei Hände seine Tunica packten und seinen
Oberkörper hochzogen. Er schaute hoch. In dem Moment traf ihn die Faust ins
Gesicht.
Die Männer betrachteten den am Boden liegenden Mann. Obwohl das
Gesicht Faramirs zerschlagen war, fielen ihnen die edlen und schönen
Gesichtszüge auf. Die sinnlichen Lippen und der schmale Körperbau. Jetzt
sahen sich die Männer grinsend an. „Ob er sich auch so gut anfühlt, wie er
aussieht?“ „Das lässt sich doch feststellen!“ Einer von ihnen hatte
Bedenken. „Wenn das jemand erfährt…“ Der andere lachte auf. „Der ist aus
Rohan. Nach dem kräht hier kein Hahn. Ich möchte gerne meinen Spaß haben. Der
Hautmann ist doch in die Taverne gegangen. Ein wenig Zeit haben wir.“ Dann
verließ dieser die Zelle und schloss die Tür zum Vorzimmer. Dann kam er zurück.
Die Männer der Zivil-Garde wollten schon die Taverne verlassen, als sie
einige Freunde trafen. Sie nahmen ihre Bierkrüge und setzten sich zu ihnen an
dem Tisch. Sie blieben länger als sie eigentlich vorhatten. Sie wussten nicht,
dass das der Tod ihres Hauptmannes bedeuteten sollte.
Faramir fühlte,
das sich Hände an seiner Hose und seiner Tunica zu schaffen machten. Er
versuchte sie abzuwehren, war aber zu schwach. Sein Körper schmerzte und er
spürte den gebrochenen Arm. Dann wurden ihm Hose und Tunica vom Leib
gerissen. Das Zerreisen des Stoffes schellte überlaut in seinen Ohren.
Jetzt fühlte er die kühle Luft an seiner nackten Haut, hörte raues
Männerlachen.
Der Betrunkene in der Nachbarzelle sah dem Geschehen mit
offenem Mund zu. Er sah das widerlich, lüsterne Grinsen der beiden Männer.
Er war sich, trotz des Alkohols bewusst, dass er einer brutalen Handlung
zusah. Der junge Mann wehrte sich verzweifelt. Sie drehten ihn auf den
Bauch. Sein Kopf lag im Schmutz des Bodens in seine Richtung. Die blauen,
aufgerissenen Augen schauten ihn an. Sie waren voller Qual und Angst. Er
konnte eine Träne erkennen, wie sie aus dem Auge, entlang der Linie der Nase
lief, um dann in den Staub des Bodens zu fallen. Mehr konnte er nicht
ertragen. Er wandte seinen Kopf ab und hielt sich die Ohren zu.
Faramirs
verletzte Gesichtshälfte schrammte über dem Boden. Panik stieg in ihm hoch.
Er ahnte, was sie vorhatten. Jetzt spürte er, dass einer der Männer hinter
ihm war. Seine Beine wurden auseinander gedrückt. Dann schlossen sich große
und starke Hände um seine Hüften. Als Muskeln in seinem Körper brutal
zerrissen wurden, schrie er auf.
Der Mann im Vorraum hob seinen Kopf in
Richtung der geschlossenen Türe. Der Schrei durchdrang das ganze Gebäude. Er
fröstelte, dies war kein menschlicher Schrei mehr.
Der Hauptmann betrat
mit dem Rest der Garde das Gebäude. Er sah in der Zelle den Gefangenen
liegen, während seine Leute sie gerade verließen und zusperrten. Er kam
näher. „Was ist passiert?“ „Er wollte flüchten und griff uns an, Sir.“
„Und deswegen habt ihr ihn entkleidet?“ Antwort bekam er nicht. Der
Hauptmann sah durch die Gitter auf Faramir. Er glaubte zu wissen, was passiert
war. Doch er ließ es auf sich beruhen. „Wir brauchen seinen Namen. Wo er her
ist und was er hier in der Stadt treibt. Und ob er schon einmal unangenehm
aufgefallen ist.“ Er deutete auf zwei seiner Leute. „Ihr geht dahin zurück,
wo wir ihn aufgegriffen haben. Vielleicht kennt ihn dort jemand.“ Beide
Männer deuteten eine Verbeugung an und gingen. Der Hauptmann sah noch einmal
durch die Gitter. Der Gefangene rührte sich. Jetzt schämte er sich für seine
Männer, für das, was sie getan hatten. Er beobachtete, dass der Gefangene
sich auf die Rückwand zu bewegte. Eigentlich war es mehr ein Kriechen. Und er
sah die Blutspur, die er hinter sich herzog. Mit dem Gesicht zur Wand blieb er
dort liegen, eingewickelt in einer schmutzigen Decke. Die Beine an den Leib
gezogen. Der junge Mann hatte Schmerzen hatte. Er tat ihm leid.
Das
erste, was er fühlte, waren Schmerzen. Sein ganzer Körper schmerzte. Sein
Unterleib brannte. In seiner rechten Niere war ein dumpfer, pochender
Schmerz. Und in seinem Mund war ein rostiger Geschmack. Sein eigenes Blut.
Der linke Unterarm war gebrochen. Es war sein Instinkt, der ihn
veranlasste zu der Wand zu kriechen. Jede Bewegung war wie ein weiterer
Schlag in seine Niere und in seinem Unterleib. In seinen Ohren war ein
Brummen. Er hörte sonst nichts anderes. Er schloss seine Augen und ließ sich
in die Dunkelheit treiben.
Der Gondorianer blieb stehen und streckte
seine Hand aus. „Da vorne, das beleuchtete Gebäude. Da ist die Zivil-Garde.“
Boromir dankte ihm und eilte darauf zu. Der Gondorianer ging seines Weges.
Dann stand er vor der Tür. Er klopfte an. Es dauerte einen Moment, bis sie
geöffnet wurde. Vor ihm stand der Hauptmann. Dieser sah ihn erstaunt an. „Kann
ich etwas für Euch tun? Hat der Kerl Euch beraubt?“ „Der Kerl, wie Ihr ihn
nennt, ist mein Bruder.“ Seine Stimme klang bitter. „Euer Bruder? Was für
eine Überraschung. Dann kennt Ihr ja seinen Namen. Wir brauchen Namen und
Wohnort von ihm.“ Boromirs Stimme war kalt. „Sein Name ist Faramir, Sohn von
Denethor, aus dem Hause Hurin. Wo er wohnt, könnt Ihr Euch wohl denken.“ Der
Hauptmann erstarrte. Jetzt wusste er, sein Leben und das seiner Leute war
verwirkt. Boromir sprach weiter. „Mein Name ist Boromir, Sohn von Denethor,
aus dem Hause Hurin.“ Er wartete einen Moment, aber der Hauptmann starrte
ihn nur an. Boromir ahnte Schlimmes. „Lasst mich zu meinem Bruder.“ Der
Hauptmann wusste, er hatte keine Chance es zu vertuschen. Er gab die Tür frei.
Die Angst kroch in seinen Gliedern hoch.
Boromir erstürmte das Gebäude.
Im Vorraum saßen drei weitere Männer die ihn anstarrten. Sie wollten
aufstehen, aber ihr Hauptmann bedeutete ihnen sitzen zu bleiben. Boromir
ging durch das Zimmer zum Zellentrakt. Er sah seinen Bruder sofort. Dieser
lag zusammengerollt an der rückwärtigen Mauer seiner Zelle, gekleidet in eine
Decke. Jetzt sah er die feine Blutspur auf dem Boden. Boromir umfasste mit
seinen Händen die Gitterstäbe und starrte in die Zelle. `Was haben sie mit Dir
gemacht?` Er musste Fassung bewahren, sagte er zu sich selbst. „Öffnet die
Zelle, sofort.“ Seine Stimme klang beherrscht und kalt. Boromir hörte
Schlüsselgeklapper hinter sich. Der Hauptmann fummelte mit den Schlüsseln herum.
Er fand nicht auf Anhieb den Richtigen. Boromirs Geduld schwand dahin. „Ein
Hauptmann der Zivil-Garde müsste zumindest die Schlüssel zu seinen Zellen
kennen.“ Der Hauptmann zuckte zusammen und warf einen unterwürfigen Blick
auf den blonden Mann. Dann suchte er weiter. Endlich, jetzt hatte er den
richtigen Schlüssel. Schnell schloss er auf und stieß die Tür der Zelle auf.
Boromir eilte in die Zelle und kniete sich zu seinem Bruder. Er sah,
dass er schrecklich misshandelt worden ist. Jetzt beugte er sich zu ihm
hinunter und flüsterte. „Faramir. Bruder. Ich bringe Dich nach Hause. Hörst Du
mich?“ Es kam keine Antwort. Er wollte ihn umdrehen, sah aber im letzten Moment
das Blut auf dem Boden, in Kopfhöhe. Er verharrte und suchte die Quelle des
Blutes. Sein Magen verkrampfte sich als er sah, dass sein Bruder aus dem Mund
blutete. Er wusste den Grund nicht. Aber er wusste, würde er ihn umdrehen,
könnte er an seinem eigenen Blut ersticken. „Hauptmann. Kommt her. Sofort.“
Seine Stimme klang ruhig und befehlend. Er hörte die Schritte, sie näherten
sich. Dann war der Hauptmann hinter ihm. „Lord Boromir. Es tut uns
schrecklich leid, meine Männer wussten doch nicht wer er ist.“ Boromir fuhr
herum. „Es macht keinen Unterschied wer er ist. Hört genau zu, was ich Euch
sage.“ Er sagte es fest und bestimmt. “Schickt sofort nach dem Heiler Caranthir
aus den Häusern der Heilung im sechsten Zirkel und sendet einen Wagen.“ Es
kam keine Antwort. Er schrie. „Habt Ihr mich verstanden?“ „Natürlich.
Sofort, Lord Boromir.“ Die Schritte entfernten sich schnell. Er hörte, dass der
Mann Befehle erteilte. Aber was er sagte, konnte er nicht zu verstehen.
Wieder beugte er sich zu Faramir. War es erst ein paar Stunden her, als
sie zusammen im Bett lagen? War es erst ein paar Stunden her, als er seinen
Bruder in den Armen hielt? War es erst ein paar Stunden her, als sie am Tisch
mit Mithrandir so viel Spaß hatten? Und jetzt lag er hier, im dritten Zirkel
der Stadt, sein Körper war so geschunden wie damals, vor fünf Jahren.
Der alarmierte Wachposten eilte zur Tür des Schlafgemaches von
Caranthir. Er war ganz verwirrt, von dem was er gehört hatte. Aber das war nicht
seine Angelegenheit. Seine Pflicht war es Caranthir zu alarmieren. Er klopfte an
der Tür. Nichts rührte sich. So klopfte er beharrlich weiter.
Es klopfte
jemand beharrlich an seiner Tür. Er drehte sich im Bett um und wünschte den
ungebeten Besucher in die Tiefen Mordors. Dann stand er auf und ging zur Tür. Es
klopfte wieder. „Ja, ja. Ich komme ja schon.“ Er öffnete die Tür.
Jetzt
konnte er etwas hören. Die Tür wurde geöffnet und der Heiler steckte seinen Kopf
heraus. Er sah verschlafen aus. „Was wollt Ihr von einem arbeitsamen Mann mitten
in der Nacht?“ Der Wachtposten straffte sich. „Sir, ich habe Anweisung Euch
mitzuteilen, dass Lord Faramir schwer verletzt im dritten Zirkel der Stadt im
Gebäude der Zivil-Garde liegt. Lord Boromir hat eine Wagen zum Transport
geordert.“ Der Wachtposten verbeugte sich und verschwand. Er wollte seine
Neuigkeit loswerden. Die Worte drangen erst langsam in Caranthirs
Bewusstsein. Dann war er hellwach. Jetzt musste er schnell handeln.
Es
dauerte so lange. Viel zu lange. Er saß bei seinem Bruder und konnte nichts
tun. Faramir rührte sich nicht. Er beugte sich wieder zu ihm herunter und sprach
zu ihm. Aber nichts drang zu ihm vor. Auch traute er sich nicht ihn zu bewegen.
Die Männer der Garde verharrten außerhalb der Zelle. Es war für sie
unglaublich. Dort in der Zelle waren die Söhne ihres Truchsess. Sie hatten sie
nie zuvor gesehen. Das blonde Haar kam ihnen so fremd vor. Aber es gab keine
Zweifel, dass sie es waren. Ihnen war nicht bewusst, dass das, was sie getan
hatten ihr Leben fordern würde. Einzig der Hauptmann, er wusste es. Dann
stieß jemand die Tür auf. Sie alle sahen sich um. Ein großer Mann, mittleren
Alters, gekleidet wie ein Heiler erklomm den Raum mit wehenden Haaren. „Wo sind
sie?“ Seine Stimme war atemlos. Sie deuteten auf den Zellentrakt. Caranthir
stürmte weiter. Er durchschritt die Zelle und ging neben Boromir auf die Knie.
„Was haben sie mit ihm gemacht?“ „Ich weiß es nicht. Er blutet aus dem Mund.
Ich weiß nicht, was sie alles mit ihm gemacht haben.“ Er klang verzweifelt.
Caranthir öffnete Faramirs Mund. Er wollte wissen, woher das Blut stammt. Zu
seiner Erleichterung stellte er die Ursache fest. „Boromir, es ist nichts
Schlimmes. Er hat sich auf das Fleisch seiner Wangen gebissen. Das wird heilen.“
Beide sahen in das misshandelte Gesicht. Eine Wange war aufgeschrammt und
Spuren von Schlägen waren zu erkennen. Die Männer der Garde zogen sich
zurück. Sie alle fühlten sich schuldig. Caranthir untersuchte Faramir so gut
es ging. „Der linke Arm ist gebrochen.“ Dann zog er vorsichtig die Decke
auseinander. Das was er sah, erschütterte ihn zutiefst. Er sah Boromir
an. „Euer Bruder wurde geschändet.“ Die Stimme des Heilers war nur ein Flüstern.
Der blonde Mann neben ihm schrie in Qual auf. Von hinten näherten sich
Schritte. Dann eine Stimme. „Sir. Lord Boromir. Der Wagen ist da.“ Langsam
ging diese Nacht zuende. Es dämmerte schon. Bis sie im sechsten Zirkel ankommen
würden wäre der Morgen vorbei. Das gescheckte Pony vor dem Wagen zog an.
Die Stadt Minas Tirith erwachte aus ihrem Schlaf. Bäcker heizten ihre
Öfen und die Schmiede erzündeten ihre Feuer. Sie bewegten den Wagen nur sehr
langsam, um Erschütterungen zu vermeiden.
Der Wachtposten im sechsten
Zirkel ging von Caranthirs Gemächern aus direkt zu der Baracke in der seine
Kollegen waren. Er erzählte Ihnen, was er wusste. Bald war Wachablösung.
So ging diese Neuigkeit wie ein Feuer in trockenem Holz durch die Stadt.
In nur kurzer Zeit war es bis in dem ersten Zirkel der Stadt bekannt.
Der jüngere Sohn des Truchsess wurde auf offener Straße wegen einer
Schlägerei festgenommen und wurde anschließend von der Zivil-Garde
zusammengeschlagen. Das er auch geschändet wurde blieb vorerst ein Geheimnis.
Faramir fühlte wieder Hände an seinem nackten Körper, viele Hände. Sie
hielten ihn fest. Hände an den Innenseiten seiner Oberschenkel. Er hörte
Stimmen, konnte aber nichts verstehen. Und er hatte Angst sie würden ihm
wieder so wehtun. Als er seine Augen öffnete, sah er nur verschwommen
Menschen um sich herum. Er wusste nicht wie viele und wehrte die Hände ab.
Sein linker Arm war fest verbunden. In seiner Angst und Hilflosigkeit
fing er an zu schreien. Er musste weg und versuchte von dem Bett, indem er jetzt
lag, aufzustehen. Der Schmerz in seinem Körper war wie ein glühendes Schwert.
Sie drückten ihn wieder herunter. Jemand wollte ihm etwas zu trinken geben.
Das stoppte sein Schreien, verschloss seinen Mund. Er wollte das nicht trinken
und schlug der Hand das Gefäß weg. Er hörte es auf dem Boden scheppern. Dann
hielt ihm jemand die Nase zu, im Affekt öffnete er seinen Mund und er schmeckte
die bittere Flüssigkeit. Er verschluckte sich und hustete. Dann wurden seine
Glieder lahm. Sie hatten ihn vergiftet, das war das Letzte, was er dachte.
Denethor saß mit Gandalf und einigen Ratsmitgliedern am Frühstückstisch.
Er war müde. Die Sitzung gestern, ging bis spät in die Nacht. Aber mit Gandalfs
Hilfe war es ihm gelungen, auch die anderen zu überzeugen, dass die Armeen der
Außenposten verstärkt werden mussten. Er lehnte sich zurück und nahm seine
Tasse mit Tee, als ein Wachposten des weißen Baumes in den Raum trat. Vor
Denethor blieb er stehen und verbeugte sich. „Ich bringe Nachricht von
Caranthir. Er bittet Eure Lordschaft dringend in die Häuser der Heilung.“ Der
Mann sah unbehaglich zu Boden. Denethor sah ihn scharf an. „Was gibt es in
den Häusern der Heilung, was nicht bis nach dem Frühstück warten kann?“ Er war
unwillig den Tisch zu verlassen. „Sir, Euer Sohn….Lord Faramir.“ Die Stimme
war bedrückt. „Was ist mit meinem Sohn?“ Denethor spürte ein seltsames
ziehen im Magen. Gandalf sah den Wachposten alarmiert an. „Sir, es tut
mir leid. Aber Caranthir möchte es Euch selbst sagen.“ Der Wachposten wusste um
Faramirs Zustand. Denethor stand auf, während er Gandalf ansah. Der Zauberer
nickte. Auch er erhob sich.
Es wurde schon von Mund zu Mund durch die
Stadt getragen. Der Sohn des Truchsess wurde von der Zivil-Garde geschändet.
Was für eine Sensation!
Die Bürger der Stadt wussten auch, es würde
Hinrichtungen geben. Jeder Schänder, der überführt werden konnte wurde
hingerichtet. Es war ein von Denethor erlassenes Gesetz.
Boromir bestand
darauf während der Behandlung dabei zu sein. Caranthir sah ihm in die Augen.
„Es wird kein schöner Anblick sein. Erspare Dir das.“ Boromir schüttelte
seinen Kopf. „Er ist mein Bruder. Ich bleibe bei ihm.“ Sie hatten Faramir
auf ein Bett gelegt. Er hatte sich noch nicht gerührt. Boromir sah zu,
wie die Heiler ihn untersuchten. Er hörte, dass sie zwei gebrochene Rippen
fanden. Seine Lippen waren aufgeplatzt, das Gesicht zerschlagen, sein Körper
zeigte überall die Spuren der brutalen Tritte. Sein gebrochener Arm wurde soeben
geschient und verbunden. Faramir rührte sich. Er kam näher um ihn
anzusprechen, merkte aber, dass seine Stimme ihn nicht erreichte. Jetzt
nahmen die Heiler seine Beine, sie winkelten sie an. Sie suchten nach
Verletzungen, Brüchen. Er sah, dass sein Bruder seine Augen öffnete. Er sah
die Panik darin. Sein Bruder fing an zu schreien. Es waren Schreie der
Angst. Dann schlug Faramir die Hände weg, um dann zu versuchen aus dem Bett zu
gelangen. Sie hielten ihn fest, drückten ihn wieder herunter. Sie mussten
wirklich kämpfen, um ihn fest zu halten. Ein Heiler nahm schnell ein Gefäß und
befüllte es mit einem Kräutertee. Das Schreien stoppte und das Gefäß flog durch
die Luft. Jetzt wusste Boromir, was er tun konnte. Schnell nahm er ein
weiteres Gefäß und befüllte es. Dann drehte er sich zu seinem Bruder um. Er
hielt ihm die Nase zu. Als Faramir seinen Mund öffnete, schüttete er die
Flüssigkeit hinein. Es tat ihm leid, dass er sich so verschluckte. Aber dann
wurde er endlich ruhig. Er sah, dass er dagegen ankämpfte, aber der Tee zeigte
seine Wirkung. Faramir schlief ein. Caranthir wischte sich Schweiß von der
Stirn. „Er hat gekämpft wie ein Tiger.“ Boromir sah den Heiler traurig an.
„Er hat um sein Leben gekämpft, um diesen Schmerzen zu entgehen.“
Denethor und Gandalf waren jetzt im sechsten Zirkel. Sie steuerten auf
die Häuser der Heilung zu. Sie hörten das Schreien. Beide erkannten Faramirs
Stimme. Sie wurden schon am Eingang erwartet. Der Page führte sie stumm
durch das Gebäude, zu einer bewachten Tür. Der Wachposten verbeugte sich, als
Denethor den Raum betreten wollte. Der Zauberer war auf seinen Fersen.
Als Denethor mit Gandalf das Zimmer betrat sah er auf die Rücken
mehrerer Heiler, die an einem Bett standen. Auf dem Boden lagen blutige Tücher
und ein Trinkgefäß. Dann sah er seinen ältesten Sohn. „Boromir!“ Der
drehte sich um. „Vater!“ Denethor ging zu seinem Sohn. Was auf dem Bett
vorging, konnte er noch nicht erkennen. Boromir kam ihm entgegen und hielt
seinen Vater an, indem er ihm seine Hände auf die Arme legte. „Vater. Es ist
besser, Du siehst es nicht. Bitte, lass uns gehen.“ Denethor schüttelte die
Hände ab. „Was soll ich nicht sehen?“ Einige der Heiler schauten unbehaglich
auf ihren Truchsess. Der Aufruhr störte sie. Denethor sah Caranthir am Bett
stehen. Er ging an seinem Sohn vorbei, der ihm unglücklich nachschaute. Als er
das Bett umrundete, sah er, was dort vorging. Seine Augen weiteten sich vor
Schock. Er wollte nicht glauben, was er dort sah. Auch Gandalf sah es jetzt.
Dort lag der gebrochene Körper seines Zweitgeborenen. Er war überzogen
mit Spuren von Misshandlungen. Zwei Heiler säuberten gerade die Beine von Blut.
Andere versorgten weitere Verletzungen. Er sah auch das viele Blut auf dem
weißen Laken. Denethor schloss kurz seine Augen und wendete sich ab. Er
fühlte den Blick seines Erstgeborenen auf sich und ging auf ihn zu. „Wer war
das? Wer hat ihn so zugerichtet? Wo ist das passiert?“ Boromir fuhr sich mit
einer Hand über die Augen. „Die Zivil-Garde im dritten Zirkel unter der Leitung
von Hauptmann Cirion.“ „Die Garde?“ flüsterte Denethor ungläubig. „Ja,
Vater, zwei Männer der Garde. Sie machten es…. in einer der Zellen.“ „Was
hat Dein Bruder mitten in der Nacht im dritten Zirkel zu schaffen? Und warum war
er in einer Zelle?“ Caranthir kam auf die Männer zu. „Es ist besser, wenn
ihr alle jetzt das Zimmer verlasst.“ Denethor sah ihn an, als wenn er soeben
erwacht wäre. „Ja, alter Freund. Ihr habt Recht.“ Damit ließen Denethor,
Boromir und Gandalf die Heiler allein. Boromir wusste, er würde seinem Vater
jetzt Rede und Antwort stehen müssen. Er fühlte sich unwohl in seiner Haut.
8. Liebe und Hass
Sie waren in Denethors Arbeitszimmer und Boromir war
mit dem Bericht fertig. Er schaute seinen Vater erwartungsvoll an. Denethor
stand auf, ging zum Fenster und sah hinaus. Draußen schien die Sonne und es war
warm. „Hauptmann Cirion! Ich kann mich an ihn erinnern. Er ist vor Jahren wegen
Tapferkeit geehrt worden.“ „Vater, es war nicht er. Es waren zwei seiner
Leute.“ Denethor drehte sich wieder zu seinem Sohn um. „Das ist wohl
richtig. Aber wäre er bei ihnen geblieben, wäre dieses Verbrechen nicht
passiert!“ Seine Stimme klang entschlossen. „Rufe Hauptmann Laval unserer
Garde. Er soll die drei Männer abführen. Sie werden bekommen was sie verdient
haben.“
Während Faramir in einem Zimmer in den Häusern der Heilung lag
und langsam aus der Dunkelheit erwachte, wurden Hauptmann Cirion und seine
beiden Männer von der Garde Denethors abgeführt. Menschen säumten die
Straßen und auch in vielen Fenstern konnte man ebenfalls Gesichter sehen. Alle
wussten warum die Männer abgeführt wurden und sie wussten, dass der Tod sie
ereilen würde. Einige spuckten ihnen vor die Füße, andere bewarfen sie mit
Steine oder faules Obst.
Boromir hatte sich hingelegt. Er war müde, aber
Schlaf wollte nicht kommen. Es klopfte an seiner Tür. Schnell sprang er
aus dem Bett um sie zu öffnen. Es war ein Bote Caranthirs. „Lord Boromir,
Caranthir schickt mich. Euer Bruder….“ Boromir ließ ihn nicht ausreden.
Er rannte aus der Tür zum Ausgang, sprang die Stufen herunter und rannte in
Richtung sechster Zirkel. Die Wachposten des weißen Baumes sahen einen
ungekämmten Lord Boromir, nur mit einen grauen Nachthemd bekleidet an sich
vorbei fliegen. Sie ahnten, es musste mit seinem Bruder zu tun haben.
Er rannte wie um sein Leben. Dann hörte er es schon. Sein Bruder
schrie. Er rannte in das Gebäude, stieß einen Stuhl um, rannte fast in einen
Heiler und war dann bei ihm. Caranthir sah ihm hilflos entgegen. Sein
Bruder lag auf dem Bett und schrie. Er wehrte unsichtbare Dinge ab. Seine Augen
spiegelten Qual und Schmerz wider und er war verschwitzt. Boromir setzte
sich auf das Bett und wollte ihn in den Arm nehmen, aber er kämpfte auch gegen
ihn an. „Boromir, es hat keinen Zweck, wir müssen ihn ruhig stellen. Er
verletzt sich nur selber.“ Der Heiler füllte einen Becher mit Tee. Es war
nicht einfach ihn zu halten. Aber zu zweit schafften sie es. Caranthir hielt
ihn fest, während Boromir ihm den Tee einflößte. Viel ging daneben und er
spuckte die Flüssigkeit immer wieder aus. Aber Caranthir hatte hoch dosiert. Das
Wenige, dass er schluckte reichte schon. Das Schreien hörte auf und seine
Bewegungen wurden schwächer. Dann fielen ihm die Augen zu. Sie atmeten auf.
„Was ist mit meinem Bruder? Er war wach. Aber er hat mich nicht erkannt.“
Seine Stimme klang sorgenvoll, während er seinen Bruders ansah. Selbst im
Schlaf war in seinem Gesicht Schmerz zu lesen. „Er ist traumatisiert. Sobald
er wach wird, erlebt er es aufs Neue. Ich hatte die Hoffnung, dass er seinen
Bruder erkennt.“ Caranthir wirkte resigniert. „Sein Zustand war vor dieser
Schändung schon sehr kritisch. Es hätte nicht passieren dürfen. Es könnte Deinen
Bruder ganz gebrochen haben.“ Boromir sah den Heiler an. „ Am liebsten würde
ich sie mit meinen eigenen Händen zerquetschen.“ Caranthir wusste, wen er
meinte. Jetzt wurde Boromir erst bewusst, dass er nur ein Nachthemd trug. So
war er durch den sechsten Zirkel gerannt! „Habt Ihr etwas, was ich überziehen
kann?“ Der Heiler lächelte schwach und nickte
Und so blieb es ganze
zwei Tage. Boromir schlief bei ihm im Zimmer. Er ließ ihn nicht aus den Augen.
Sein Vater hatte ihn für diese Zeit von seinen Pflichten entbunden Sie
mussten dazu übergehen ihn nicht vollständig zu betäuben. Faramir pendelte
zwischen zwei Zuständen. Schlaf oder unter Drogen gesetzt im wachen Zustand. So
konnten sie ihm aber auch Wasser geben. Einmal kam auch Denethor. Er
stand am Bett und schaute auf seine Söhne. Faramir schien wach. Seine Augen
waren durch die Drogen völlig schwarz. Tiefe Schatten waren unter ihnen. Aber er
starrte nur ins Nichts. Sein ehemals kupfer-glänzendes Haar war stumpf. Sein
Bruder setzte ihn auf und legte noch ein Kissen hinter ihm, so dass er im Bett
saß. Faramir machte es marionettenhaft mit. Sie hatten es auch geschafft ihm
kräftige Brühe zu geben. Essen wollte er nicht. Denethor beugte sich zu
Faramir und strich ihm sanft über die Wange. Es tat ihm weh, ihn so zu sehen. Es
war so menschenunwürdig. Es war das erste Mal, dass Boromir sah wie sein
Vater seinen Bruder so berührte. Tränen stiegen in seinen Augen auf. Er hielt
sie zurück. Denethor richtete sich wieder auf, lächelte Boromir traurig an
und verließ das Zimmer. In zwei Tagen sollte die Hinrichtung stattfinden.
Die Galgen standen schon.
Es war der zweite Tag. Boromir erwachte
und sein erster Blick suchte seinen Bruder. Erst konnte er es nicht glauben,
aber Faramir sah ihn an. Sein Blick war auf ihn gerichtet! Er stand langsam
auf und ging zum Bett seines Bruders. Faramirs Augen folgten ihm. „Faramir!“
Er setzte sich auf das Bett und schaute ihn an Und sein Bruder schaute ihn
an. „Faramir. Hörst Du mich?“ Er sah ihm in die Augen. Dann sah er das leichte
Nicken. Er spürte die Tränen in seinen Augen. Er beugte sich zu seinem Bruder,
um ihn zu umarmen. Dann konnte er die Arme seines Bruders fühlen, die sich
langsam um ihn schlossen. Boromir weinte. „Ich bin so froh. Ich bin so
glücklich. Gehe nicht wieder.“ Er löste sich von ihm um zu schauen ob es auch
kein Traum war. Nein. War es nicht. Die blauen Augen seines Bruders waren immer
noch auf ihn gerichtet. „Hast du Durst? Möchtest du etwas essen?“ Er wusste
nicht was er sonst machen sollte. Faramir schüttelte den Kopf auf seine
Fragen. „Rede mit mir. Sag, was Dich bedrückt. Bitte!“ Auf diese Bitte
Boromirs schloss er seine Augen. „Faramir, bleib bei mir. Komm zurück.“ Er
wollte ihn nicht wieder ins Dunkel abdriften lassen. Aber er schien wieder zu
schlafen. Boromir stürmte aus dem Zimmer. „Caranthir.“ Der Schrei schallte durch
das ganze Gebäude. „Caranthir.“ Einige Heiler kamen auf den Gang und sahen
einen Lord Boromir, wieder mal im Nachthemd im Gang stehen der nach Caranthir
brüllte.
Caranthir war gerade bei einem Mann dem am Vorabend ein Bein
abgenommen wurde, als er den Schrei vernahm. Er gab den anderen Heilern noch
schnell Anweisungen und trat auf den Gang, wo er auf Boromir traf. „Boromir.
Dein Schreien weckt mir alle Patienten auf.“ Er war ärgerlich. „Faramir! Er
ist wach gewesen. Er hat mich angeschaut. Hat auf meine Fragen reagiert.“
Boromir war aufgelöst! Caranthir spürte Hoffnung! „Komm.“
Zusammen
gingen sie in Faramirs Zimmer. Es war wirklich so. Er sah ihnen beide entgegen.
Sein Blick war völlig klar. Caranthir versuchte mit Faramir zu sprechen. Er
reagierte auf alles, aber er sprach nicht. Sie orderten Essen für ihn. Es war
nicht viel, aber ein wenig aß er. Gleich würde die Hinrichtung seiner
Schänder sein. Die Kampfwettbewerbe wurden abgesagt. Jeder Bewohner der
Stadt und auch die Gäste von außerhalb hatten auch nicht mehr das Bedürfnis
danach.
Die Hinrichtung war öffentlich und viele Bewohner der Stadt
waren anwesend. Das Urteil wurde verlesen. Tod durch den Strang! Hauptmann
Cirion wirkte gefasst, aber seine beiden Männer schrieen und weinten, baten um
Gnade ihres Herrn. Denethor fand keine Gnade für sie. Sie wurden gehängt.
Faramir war wach und interessiert und ging mit Boromir in den Gärten
spazieren, aber er sprach kein einziges Wort. Auch Denethor und Gandalf
besuchten ihn regelmäßig. Sie sprachen zu ihm. Gandalf las ihm Geschichten vor.
Denethor musste es endlich vor sich selber zugeben, er machte sich große
Sorgen um Faramir. Sein Herz sagte ihm, dass er ihn liebte. Wie einen Sohn!
Fünfzehn Tage später. Jetzt konnten sie die weiße Stadt sehen.
Aragorn hob seine Hand um seinen Männern das Zeichen zu geben ihre Pferde
durchzuparieren. Sie fielen vom Galopp in den Schritt. Die Pferde hatten
diese Pause nötig. Lange Zeit waren sie scharf vorwärts geritten. Sie waren
schon einige Tage unterwegs.
In Rohan erhielt Aragorn die Nachricht,
dass Orkverbände sich Ithilien nähern würden. Er hatte vor langer Zeit unter
Ecthelion in Gondor gedient bevor er nach Rohan kam, um unter Thengel, König von
Rohan, zu dienen. Als er von der Bedrohung Gondors hörte, hielt er es für
seine Pflicht zu Hilfe zu eilen. Er hielt es für seine Pflicht auch Denethor zu
dienen! Er hatte fünfzig seiner Dunedain zur Unterstützung bei sich. Es war
eine kleine Armee. Aber was sie an Hilfe leisten konnten, wollten sie tun.
Kurz vor der Stadt hielt er seine Männer an. Er wendete seinen
braunen Wallach Heru in ihre Richtung. Er sah seine Männer an. Sie alle, die
letzten aus ihrem Geschlecht der Dunedain, Waldläufer des Nordens, würden ihm,
Aragorn, Arathorns Sohn, blind in den Tod folgen. Die meisten dieser Männer
dienten schon vor vielen Jahren mit ihm unter Ecthelion in Gondor. Er rief
sie an: „Meine Männer, meine Brüder. Schon einmal haben wir für Gondor
gekämpft als die Schatten Mordors den Osten verließen. Wir alle wissen, Sauron,
der dunkle Herrscher ist erstarkt. Er hat eine Armee des Todes erschaffen. Und
ihr wisst, sein erstes Ziel wird Gondor sein. Das letzte freie Königreich der
Menschen. Er wird versuchen Osgiliath zu belagern. Er braucht die Brücke über
den Fluss um auf die weiße Stadt Minas Tirith zu marschieren.“ Er ritt die
Linie seiner Männer auf und ab. „Unter Ecthelions Herrschaft diente ich als
Thorongil. Diesen Namen kennt auch der jetzige Herrscher. Denethor, Ecthelions
Sohn.“ Er wusste, es war unnötig ihnen das zu sagen. Und keiner seiner Leute
würde ihn verraten. Er sah den Vordersten in die Augen. Er sah ihre
Entschlossenheit, ihren Mut und ihre Bereitwilligkeit ihm zu folgen. Er hob
seine Stimme laut an. „Meine Brüder. Die Zeit ist gekommen Eide zu erfüllen
die gesprochen wurden. Für Herr und Land.“ Er riss in einer Siegesgeste
seinen rechten Arm hoch während er die Linie seiner Männer entlang galoppierte.
„Für Gondor!“ Seine Männer taten es ihm gleich und riefen. „Für Gondor!“
Dann wendete er sein Pferd zu der weißen Stadt. Seine Männer gaben ihren
Pferden die Sporen und galoppierten ebenfalls an. So galoppierten sie,
Aragorn an der Spitze, über den Pelennor zum Tor der Stadt.
Der Wächter
des Tores der Stadt sah über die Zinnen des ersten Zirkels die kleine Armee
ankommen. Erst kurz vor dem Tor erkannte er, wer es war. Es war Thorongil!
Thorongil mit seinen Männern. Sie hatten Hilfe bekommen. Er schrie herunter
das Tor zu öffnen. Die Männer zogen die langen Verriegelungen des Tores zurück
um es zu öffnen. Die zwei Flügel des Tores öffneten sich und die Männer ritten
in die Stadt. Aragornl parierte sein Pferd durch und sprang ab. Er sah sich um.
Jemand nahm die Zügel von Heru um ihn zu den Ställen zu führen. Es kam schon
ein Soldat auf ihn zu. „Thorongil, Ihr kommt keine Stunde zu spät. Orks
marschieren gen Ithilien. Und in der Stadt ist große Unruhe.“ Aragorns Blick
fand den des anderen Mannes. „ Was geht hier vor? Sagt es mir, Mann.“ Der
Soldat schaute ihn an. „Es ist nicht nur der kommende Krieg, Herr. Hier in der
Stadt ist auch Unruhe. Die Bürger können sich nicht mehr auf die Zivil-Garde
verlassen. Wir hatten eine Hinrichtung von drei Leuten der Garde.“
Aragorn sah ihn nur erstaunt an. „Ich muss zu Eurem Herrn, Lord
Denethor.“ Der Soldat deutete eine Verbeugung an und deutete ihm zu folgen.
Während Aragorn ihm folgte holte ihn die Macht der Erinnerung ein!
Denethor saß in dem Herrscher-Stuhl der Truchsesse. Der weiße Stab vor
sich, in seinem Schoß. Ein Bote verkündete wer kommen würde. Thorongil!
Seine Kiefer mahlten und seine Hände waren zu Fäusten geballt.
Aragorn stand vor der großen Tür zum Thronsaal. Er versuchte sich
Denethor in sein Gedächtnis zu rufen. Er war groß und dunkel. Seine langen,
dunklen Haare fielen über die kräftigen Schultern und er hatte kalte, grüne
Augen. Ein edles, aber scharf geschnittenes Gesicht. Er atmete tief durch
bevor er diese Tür öffnete und eintrat.
Vor sich sah er die große Halle
der Könige! Er betrat den Thronsaal und ging entlang, den weiten Weg zum Thron.
Mit jedem dritten Schritt passierte er eine steinerne Figur eines
vergangenen Königs aus der alten Welt. Jeder dieser Könige hielt in der
ausgestreckten rechten Hand einen Apfel. Aber Aragorn wusste, Denethor war
nicht der König. Er war nur der Truchsess! Ein Hüter des Throns, bis der
rechtmäßige König seinen Platz einnehmen würde. Seine Schritte hallten durch
den Raum. Dann stand er vor dem Truchsess.
Denethor sah ihm entgegen. Er
sah den aufrechten Gang und seinen Stolz. Und er blickte in die Augen seines
zweitgeborenen Sohnes! Der Schmerz der Erinnerung holte auch ihn ein.
Aragorn stoppte vor dem Truchsess. Er sah ihm kurz in die Augen. Dann
schlug er sie nieder und ging in die Knie. „Mein Lord. Schon früher diente
ich für Euer Land. Für Gondor. Mein Herz hat mich in dieser Stunde hergeführt.
Ich und auch meine Männer wollen Euch in dieser Lage beistehen. Bitte, erlaubt
mir und meinen Männern für Euch, für Gondor, zu kämpfen.“
Denethor sah
auf das gebeugte Haupt des Mannes, den er am meisten hasste. „Euer Angebot
ist sehr edel. Wie kommt Gondor zu solch einer Ehre?“
Aragorn hob
erstaunt seinen Kopf und sah Denethor an. „Mein Lord, Euer Vater Lord Ecthelion
hat mir den Eid abgenommen Gondor zu dienen!“
„Jetzt herrscht Denethor
über Gondor, nicht Ecthelion!“ Die kalte Stimme erfüllte die Luft.
Aragorn sah ihm fest in die Augen. „Das ist richtig, mein Lord. Aber
mein Eid lautete, Gondor zu dienen und nicht dem Herrscher.“
Beide sahen
sich fest in die Augen. Kalte, grüne Augen und beherrschte, stolze blaue Augen.
Denethor hob seinen Blick über den Kopf Thorongils. „Eure Männer können im
zweiten Zirkel die Baracken der Soldaten Ithiliens einnehmen. Ihr bekommt in der
Zitadelle ein Quartier.“ „Ich danke Euch, mein Lord, aber ich möchte bei
meinen Männern bleiben.“ „Nein, Ihr bezieht hier Euer Quartier. Es ist an
der Zeit, dass Ihr jemanden kennen lernt. Und der Euch wohlbekannte Mithrandir
weilt ebenfalls hier.“ Die Stimme Denethors ließ keinen Widerspruch zu.
Mithrandir war in Minas Tirith? Aragorns Herz machte einen Sprung. Er
freute sich. Er und Mithrandir waren gute Freunde. Sie sind lange zusammen
gewandert und hatten gemeinsam viele Abenteuer gemeistert. „Das Abendessen
erfolgt in der achten Stunde des Abends.“ Damit stand Denethor auf und winkte
einem Dienstboten. Er wies ihn an Aragorn in eines der Gästezimmer zu führen.
Gandalf eilte zu den Häusern der Heilung. Die Kunde über die Ankunft
Thorongils und seine Männer hatte ihn erreicht. Er musste mit Boromir sprechen!
Da Boromir nicht im Wohnhaus war konnte er nur bei seinem Bruder weilen. Er
enterte das Gebäude, strebte auf Faramirs Zimmer zu und fegte durch die Türe.
Boromir saß bei seinem Bruder und erzählte ihm was in der Stadt passiert
war. Er erzählte ihm von seinem gestrigen Besuch der Taverne im vierten Zirkel
und wen er dort getroffen hatte. Faramir hörte ihm gut zu. Er wirkte erholt. Die
Spuren der Schläge in seinem Gesicht und auf seinem Körper begannen zu
verblassen. Seine Niere tat nicht mehr weh und die Brüche seines Armes, den er
in einer Schlinge trug, heilten. Auch die anderen Schmerzen waren
zurückgegangen. Es klopfte einmal und Caranthir betrat den Raum. Sie sahen
ihm Beide entgegen. Der Heiler lächelte Faramir an und wandte sich dann an
Boromir. „Ich glaube es ist der Zeitpunkt gekommen. Du kannst Faramir nach Hause
bringen. Hier können wir für ihn nicht mehr tun als Du für ihn tun kannst.“
Boromir lächelte zu seinem Bruder und nahm seine Hände. „Bruder. Hast Du
gehört? Ich kann Dich mitnehmen. Es geht nach Hause.“ Faramir erwiderte sein
Lächeln und nickte leicht. Caranthir legte eine Hand auf Boromirs Schulter.
„Ich möchte Dich noch kurz sprechen.“ Damit deutete er Boromir das Zimmer mit
ihm zu verlassen. Sie verließen das Zimmer, durchquerten den Gang und
betraten Caranthirs Schreibzimmer. Der Heiler schloss die Tür und sah
Boromir an. „Nimm ihn mit nach Hause. Lasse ihn am Leben teilhaben. Versuche ihn
zu einer eigenen Entscheidung in irgendeiner Sache zu bewegen. Nimm ihn mit in
die Taverne. Du weißt schon was ich meine.“ Boromir sah ihn ernst an. „Ihr
sorgt Euch. Richtig? Ihr wollt mir nicht alles sagen.“ Der Heiler nahm
Boromir kurz in den Arm. „Es tut mir leid. Jetzt hilft keine Heilkunst mehr.
Nicht mal die der Elben. Faramir muss es selber wollen.“ Caranthir gab ihm
noch einige Anweisungen und stellte einen Vorrat an Heilkräuter zusammen.
Faramir sah erstaunt auf Gandalf, der in das Zimmer stürmte. Der
Zauberer sah, dass Boromir nicht hier war und wandte sich an Faramir der in
seinem Bett saß. Er setzte sich auf die Bettkante. „Eigentlich hatte ich Deinen
ewigen Schatten hier erwartet. Weißt Du wo Dein Bruder sich aufhält?“
„Caranthir.“ Gandalf hatte keine Antwort erwartet. Aber als er das
Flüstern hörte, ging sein Mund auf. Schnell besann er sich und tat als wäre es
nichts Besonderes. „Du meinst, er ist mit Caranthir unterwegs?“ Er hoffte auf
eine weitere Antwort. Faramir sah ihn angestrengt an. Seine Augen hingen an
den des Zauberers, sein Mund öffnete sich ein wenig um Wörter zu formen. Er
wollte zu Gandalf sprechen, aber die Wörter wollten nicht kommen. Er sah, dass
Gandalf ihn erwartungsvoll anschaute, er wollte es ihm sagen. „Mithrandir….“
Mehr brachte er nicht heraus. Der Zauberer nahm ihn in den Arm, er drückte
ihn sanft an seine Brust und strich ihm durch das blonde Haar. „Es ist gut,
Faramir, es ist gut. Lasse Dir Zeit.“ Gandalf hatte seine Augen geschlossen, er
fühlte den inneren Kampf des jungen Mannes. Dann stürmte ein Lord Boromir
lachend ins Zimmer. Erstaunt sah er auf die Beiden hinab. „Mithrandir, was
für eine Freude Euch zu sehen. Faramir kann mit nach Hause. Caranthir hat ihn
entlassen.“ Gandalf ließ von Faramir ab, sah ihn an und sagte: „Das ist
wahrlich eine gute Nachricht.“ Boromir ging zum Schrank, um Kleider für
seinen Bruder zu holen. Gandalf erhob sich und Boromir brachte die Kleider zu
seinem Bruder. Er half ihm beim Anziehen. Zusammen gingen sie durch den
sechsten Zirkel zur Zitadelle um das Wohngebäude zu erreichen. Die Menschen,
die ihnen begegneten verbeugten sich vor ihnen und registrierten, dass es
Faramir wohl besser ging. Gandalf wollte Boromir alleine sprechen.
„Vielleicht möchte Dein Bruder in die Bibliothek?“ „Was ist Bruder, möchtest
Du?“ Faramir sah ihn an. „Danke…….Bruder.“ Boromirs Mund klappte auf,
aber Gandalf stieß ihn an. Boromir besann sich. Sprechen war doch ganz normal!
„Gut, kleiner Bruder. Es geht zur Bibliothek.“
Boromir schloss die
Türe der Bibliothek hinter sich und schaute Gandalf an. „Gandalf. Er hat
gesprochen.“ „Ja. Das hat er. Es waren nicht die einzigen Wörter. Er sprach
auch zu mir bevor Du kamst.“ „Er wird sich erholen!“ Boromir fuhr sich durch
die Haare. Gandalf sah ihn eindringlich an. „Boromir. Jemand, den Du kennst
hat die Stadt erreicht. Und Dein Vater gab ihm Quartier in der Zitadelle.“
„Dann muss es ein ehrenwerter Gast von Rang sein.“ Boromir interessierte
sich jetzt wenig für Gäste seines Vaters. Gandalf legte ihm die Hände auf
die Schultern und sah ihm in die Augen. „Thorongil ist gekommen.“ Boromir
fühlte sich ins Gesicht geschlagen. „Thorongil!“
9. Schatten der Erinnerung
Gandalf ging in seinem Zimmer erregt auf und
ab. Er überlegte fieberhaft was er tun sollte! Aragorn alias Thorongil, wie er
hier im Süden genannt wurde, war hier. Er wusste nicht, dass Faramir sein
leiblicher Sohn war! Denethor wusste es, sowie Boromir. Denethor wusste aber
nicht, dass Boromir es wusste. Und Faramir glaubte auch, dass Denethor sein
Vater wäre. Was für eine verflixte Situation!
Die achte Stunde des
Abends rückte nah. Aragorn hatte sich gewaschen und umgezogen. Die grünen und
braunen Gewänder des Waldläufers hatte er eingetauscht gegen eine dunkelgrüne
Tunica und eine schwarze Hose. Sein langes, braunes Haar war noch nicht ganz
getrocknet. Er war auf den Weg zum Speisesaal. Er hatte die Wege in dem
großen Gebäude nicht vergessen. Auf Anhieb fand er die große Treppe die ihn zum
Speisesaal führte. Als er den Raum betrat, fand er Gandalf vor!
Gandalf,
in seinen langen grauen Gewändern. Seine grauen, fast weißen Haare waren länger
geworden, so wie auch sein Bart. „Gandalf. Ich hörte, das ich Dich hier
treffen würde.“ Gandalf ging ihm lächelnd entgegen. „Mein lieber Freund.
Mein lieber Thorongil.“ Er zwinkerte ihm zu und die Männer umarmten sich zur
Begrüßung. Er wusste, dass Aragorn im Süden als Thorongil bekannt war. So wie
Gandalf im Süden als Mithrandir bekannt war. Aragorn lachte. „Natürlich
Mithrandir.“ Sie beide lachten. Mehr Zeit blieb ihnen nicht, da die Gestalt
Denethors den Raum betrat. Er sah auf seine Gäste und sagte: „Meine Herren, ich
bitte Platz zu nehmen.“ Sie steuerten zu dritt den großen Tisch an.
Denethor ärgerte sich, dass seine Söhne noch nicht da waren. Seine alten
Gefühle waren zurückgekehrt.
Boromir trug eine dunkelblaue Tunica und
ebenfalls eine schwarze Hose. Er betrat Faramirs Raum. Er wollte ihn zum Essen
abholen. Aber er war nicht hier. Natürlich, sein Bruder hatte mal wieder die
Zeit vergessen. Wie immer, wenn er las! Schnell eilte er zu Bibliothek. Als
er sie erstürmte, fand er seinen Bruder in einem Sessel mit der Nase in einem
Buch. „Faramir. Vater erwartet uns zum Essen. Wir haben einen weiteren Gast.
Komm, wir müssen eilen.“
Faramir sah zu ihm auf. Seit er wieder zuhause
war, fühlte er sich so, wie vorher auch. Die ihm wohlbekannte Angst vor seinem
Vater war erwacht. Boromir ging vor seinem Bruder in die Hocke, so war er
auf einer Ebene mit ihm. Er nahm ihm das Buch aus der Hand und schaute ihm
eindringlich in die Augen. “Faramir. Kleiner Bruder. Wir haben einen Gast. Du
musst keine Angst haben. Bitte.“ Er wollte ihn vorwarnen. Es war fünf Jahre her,
aber es war nicht vergessen. „Thorongil ist hier!“
Er sah, dass die
Augen seines Bruders sich weiteten. Er sah in ihnen die Erinnerung an das, was
gewesen war. Faramir war wie gelähmt. Boromir erkannte, dass sein Bruder
nicht in der Lage war sich diesem auszusetzen. Er überlegte schnell. „Es ist
gut, Bruder. Bleib hier. Ich werde es Vater erklären. Er muss es verstehen.“
Denethor sah auf als sein Erstgeborener den Raum betrat. Boromir
verbeugte sich erst vor seinem Vater. Dann legte er die rechte Hand auf seine
Brust und verbeugte sich vor Aragorn. „Mein Herr, ich begrüße Euch in der Stadt
Minas Tirith.“ Dann nahm er seinen Platz ein. Denethors Stimme schallte
scharf durch den Raum. „Wo ist Dein Bruder? Ich hörte, dass er wieder zuhause
ist.“ Boromir sah zu seinem Vater. „Vater. Es geht ihm nicht gut……“
Denethor unterbrach ihn. „Wenn es ihm nicht gut ginge, hätte Caranthir ihn
nicht nach Hause geschickt.“ Er nahm die Tischglocke und ein Dienstbote eilte
herbei. „Wo befindet sich Dein Bruder?“ „Vater. Bitte.“ Denethor
schrie. „Wo befindet sich Dein Bruder?“ Boromir schloss in Resignation kurz
die Augen. „In der Bibliothek.“ „Ihr habt gehört, wo Lord Faramir ist. Und
wenn Ihr ihn an den Haaren herbei zieht. Holt ihn.“ Der Dienstbote schaute
mit großen Augen und rannte davon. Aragorn und Gandalf nahmen das Geschehen
wortlos zur Kenntnis.
Es dauerte nicht lange. Der Dienstbote blieb an
der Tür stehen und Faramir ging langsam zum Tisch. Seine Schritte waren so
unsicher wie die, eines gerade geborenen Fohlens. Er blieb vor seinem Vater
stehen und verbeugte sich. Dann wendete er sich an Aragorn um ihn zu begrüßen.
Er tat es Boromir gleich, aber er sprach nicht und schaute zu Boden. Jeder
bemerkte die unsicheren Bewegungen und das Zittern seines Körpers. Als er
saß, schaute er Aragorn kurz an.
Dieser erstarrte! Das Blut wich aus
seinem Gesicht. Er starrte in seine blauen Augen! Er starrte in einen Spiegel.
Das Essen verlief schweigsam.
Denethors Lippen umspielte ein
grausames Lächeln. Er war zufrieden. Diese Nacht würde er gut schlafen. Er
würde Thorongil zeigen, was es hieß, ein Bastard von Denethor zu sein. Und
Thorongil würde es hinnehmen müssen.
Gandalf verschloss hinter ihnen die
Türe. Sie waren in Aragorns Zimmer. Der ging zum geöffneten Fenster und
starrte hinaus, während Gandalf es sich in einem Sessel bequem machte. Er wollte
dem Mann die Zeit geben, die er brauchte.
Nach einigen Minuten drehte
Aragorn sich um und starrte Gandalf an. „Gandalf?“ „Ja, mein Freund. Du hast
richtig gesehen. Du hast in Dein Spiegelbild geschaut. Du hast in das Gesicht
Finduilas und in Dein eigenes geschaut.“ Es war für ihn unfassbar!. Er hatte
einen Sohn! Einen zwanzigjährigen Sohn! Und er hatte keine Ahnung gehabt. „Warum
hast Du es mir nicht gesagt?“ „Was hätte es geändert?“ „Ich hätte ihn zu
mir geholt.“ „Denethor hätte es nie zugelassen. Dein Sohn trägt den Namen
Hurin. Er ist bekannt als Sohn des Truchsess.“ „Wer weiß es noch?“ „Der
Heiler Caranthir, Denethor und Boromir.“ Aragorn flüsterte. „Denethor wusste
es und Finduilas auch. Woher weiß sein Bruder es?“ „Ich habe es ihm gesagt.
Es war an der Zeit. Boromir musste wissen, warum sein Vater seinen Bruder so
ablehnt.“ „Ihn ablehnt?“ Aragorn sah den Zauberer überrascht an. „Dann war
das bei Tisch keine Ausnahme?“ Gandalf lächelte traurig und schüttelte den
Kopf. „Nein, mein Freund. War es nicht.“ „Erzähle mir von meinem Sohn.“
Sie saßen die ganze Nacht zusammen und Gandalf erzählte ihm alles was er
wusste. Auch von den letzten Ereignissen, was sein Sohn hatte durchmachen
müssen. Aragorn war geschockt. „Daher spricht er nicht? Und das erklärt die
Spuren in seinem Gesicht.“ Gandalf lächelte. „Er wird seine Sprache
wiederfinden. Aber er braucht Zeit. Und Liebe. Aber die Narben in seiner Seele
wird er sein ganzes Leben mit sich tragen.“ Aragorn überlegte. „Warum hat
Denethor mir Faramir vorgestellt? Welche Absicht steckt dahinter?“ „Er weiß
jetzt, dass Du es weißt. Er will Dich quälen, so wie er sich in all den Jahren
gequält hat. Er genießt seinen Triumph über Dich.“
Die Armee der
Haradrim, grausame und dunkelhäutige Südländer, hatte bereits den Fluss Anduin
überquert. Sie kamen aus dem Süden. Aus dem Steppenland Harad. Bewaffnet mit
Pfeil und Bogen und mit langen Schwertern, deren Klingen gebogen waren. Sie
marschierten in Richtung Osgiliath. Sauron hatte es mit vielen
Versprechungen, von Reichtum und Länder, geschafft, sie auf seine Seite zu
bekommen. Jetzt waren Hundertschaften entfesselt.
Aus dem Osten war
die Armee Saurons in Bewegung. Große Orkverbände mit schweren Schilden und
langen, vergifteten Speeren oder Schwertern. Nicht mehr weit und sie würden
die Stadt erreichen. Osgiliath, eine Hafenstadt Gondors lag auf beiden Ufern
des Anduin. Wenn es gelänge die Stadt zu erobern, könnten sie die Brücke über
den Anduin benutzen um ihre großen Kriegsmaschinen auf die Westseite zu
bekommen. Dann konnten sie Minas Tirith angreifen.
Boromir
begleitete seinen Bruder zu seinen Räumen. Er überlegte, ob Faramir ahnte wer
Thorongil war. Er traute sich nicht darüber zu sprechen. Als sie in seinem
Arbeitszimmer waren, drückte er Faramir in einen Sessel und hockte sich vor ihm.
„Bruder, es tut mir leid. Wir werden schon eine Lösung finden wie Du diesem Mann
aus dem Weg gehen kannst.“ Faramir schaute ihn nur an. „Ich gehe jetzt
in meine Zimmer, lasse Dich jetzt alleine. Oder soll ich bei Dir bleiben? Ich
kann Dir auch helfen Dich umzuziehen. Mit deinem verletzten Arm ist das doch
nicht so einfach.“ Faramir schüttelte den Kopf. Sein Bruder umarmte ihn
sanft, küsste seine Stirn und ging.
Faramir wartete. Er wartete bis kurz
vor dem Morgengrauen. Er wusste jetzt, was er machen würde! Er zog seine
Kleidung des Waldläufers an. Sonst trug er sie nur, wenn er mit seinen Männern
in den Wäldern von Ithilien war. Er verließ sein Zimmer und ging leise und
unbemerkt aus dem Gebäude. Die Wachtposten des weißen Baumes verbeugten sich und
er nickte ihnen zu. Die Wachtposten wunderten sich über die frühe Stunde.
Aber das ging sie ja nichts an. Faramir durchquerte eilig alle Zirkel der
Stadt. Dann war er im ersten Zirkel. Zielstrebig ging er auf die Ställe zu.
Schnell schlüpfte er hinein. Er sah, dass seine Stute Nimloth gut gepflegt
worden war. Da sein Pferd auch im Krieg dienen musste, ging er davon aus, dass
sie regelmäßig konditioniert wurde. Er streichelte ihren Kopf und drückte
kurz sein Gesicht an ihren Hals. Er fühlte ihr seidiges Fell. Dann sah er
hilflos den Sattel an. Es musste eben ohne Sattel gehen, denn sein linker Arm
war noch immer geschient und verbunden. Die Schlinge hatte er abgenommen.
Das Aufzäumen ging ihm nicht schnell genug. Dann war er soweit. Er
führte die Stute aus dem Stall in Richtung Tor. Die Wächter des Tores sahen
ihn kommen. Sie kannten die Söhne des Truchsess. Sie hatten das Gefühl, ihn
besser nicht gehen zu lassen, aber wenn er es forderte, mussten sie ihn gehen
lassen. Vor dem Tor sprang Faramir auf sein Pferd. Seine rechte Hand deutete
auf das Tor. Er wartete, bis ein Flügel geöffnet wurde. Dann ließ er die
Stute im Schritt passieren und der weite Pelennor lag vor ihm. Nach ein paar
Minuten leitete er die Stute in einen ruhigen Galopp. Er ritt Richtung
Belfalas. Er wollte zur Küste, sein Onkel Prinz Imrahil von Dol Amroth, würde
ihn aufnehmen. Er spürte die laue Nachtluft und beugte sich tief über
Nimloths Hals. Nimloth kannte das Zeichen und streckte ihren Galopp vorwärts.
Als der Morgen sich neigte hatte er schon ein weites Stück hinter sich. Er
wusste nicht, dass er genau auf die marschierenden Haradrim zuritt.
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zu Kapitel 10 - 12
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