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Titel: Annaluva
- Teil 2 Autor: Naurdolien
Elf
Jahre später:
Die Oktoberwinde rissen heftig an den Blättern
Bruchtals und Laietha zog ihren Schal fester um die
Schultern. Der Abend dämmerte und die Luft war
empfindlich kühl. Sie stand auf dem Balkon, von
dem aus man in den Hof sehen konnte und wartete darauf,
daß ihr Bruder Aragorn endlich heimkehren würde
- wie schon seit vielen Monaten. Und wieder konnte sie
keine Spur von ihm entdecken.
„Er wird kommen, meine Tochter. Ich habe bereits
einige Männer ausgeschickt, um nach ihm zu suchen.
Er ist nah.“ Laietha sah Elrond aus ihren grünen
Augen an. Er erahnte, um was sie ihn bitten würde
und erhob besänftigend die Hand. „Bald werden wir
Kunde von ihm erhalten. Bleibe hier.“ Sie schüttelte
den Kopf und hob flehend die Hände. „Vater, ich
habe die Männer von Gefahr sprechen hören.
Und ist heute nicht der Zauberer gekommen und hat berichtet,
daß Aragorn jemanden von großer Wichtigkeit
bei sich hat? Ist es daher nicht um so wichtiger, daß
wir ihn finden? Laß mich gehen! Du weißt,
Ascar ist schnell und stark. Ich werde ihn finden!“ Ein Tumult brach am Tor aus. Einer der Wächter
kam eilig gelaufen. „Mein Herr, Glorfindel kommt. Er
ist auf dem Weg - und wird verfolgt.“ Gandalf kam aus
dem Haus gelaufen. Schnell begriff er, was ihnen die
Stunde geschlagen hatte. Elrond eilte sich, mit seinen
Männern zum Tor zu gelangen. Dort sahen sie bereits,
daß sich ihnen Glorfindel schnell näherte
und sie entdeckten auch die neun finsteren Gestalten,
die ihm auf dem Fuße folgten. Elrond befahl, den
Fluß loszulassen, sobald Glorfindel sein Bett
durchquert hatte.
Laietha beobachtet atemlos, wie die mächtigen
Wogen des Bruinen die finsteren Reiter davon spülten.
Glorfindel kam in den Hof geprescht. In seinen Armen
hielt er ein lebloses Bündel. Schnell eilten sie
zu ihm hinunter, nur Laietha blieb noch lange auf der
Mauer stehen und mit ihren Blicken versuchte sie die
Nacht zu durchdringen, wo sie ihren Bruder vermutete.
Aber er kam nicht. Auch nicht am folgenden Tag.
****
Zwei Tage waren vergangen, seit der Neffe von Bilbo
Beutlin in den Mauern Bruchtals Schutz gefunden hatte
und Herr Elrond meinte, der Kleine sei bereits auf dem
Weg der Besserung. Laietha half Bilbo auf die Beine
und er blickte die junge Frau, die ihn stützte,
dankbar an. „Was habe ich euch gesagt, Frau Annaluva,
mein Frodo wird es schaffen. Er ist sicher hier eingetroffen
und ich zweifle nicht daran, daß er bald schon
wieder auf den Beinen sein wird.“ Laietha lachte. Sie
mochte den alten Knaben gerne, denn er wußte spannende
Geschichten zu erzählen und kannte viele Lieder,
die einem noch tagelang im Ohr klangen. „Seid so gut,
Herr Beutlin und lest mir noch etwas aus eurem Buch
vor.“ Der alte Hobbit grinste diebisch und zog das schwere
Buch aus seiner Tasche, als hätte er auf diese
Aufforderung nur gewartet. Die Sonne schien mit ihren
warmen Strahlen in den Hof. „Nun, zufällig habe
ich es dabei. Wo waren wir stehengeblieben?“ Die Kriegerin
schmunzelte und lauschte artig, als Bilbo vorlas, wie
er und die Zwerge aus den Kerkern Düsterwalds herausgekommen
waren. Sie stellte sich vor, wie schrecklich es gewesen
sein mußte, in diesen engen Fässern den Fluß
hinunterzutreiben. Bilbo war bei der Stelle angelangt,
als er und die Zwerge endlich aus den Fässern entkommen
konnten, als sie Rufe im Hof vernahm. Schnell sprang
sie auf die Beine und lief hinunter. Sie erkannte sofort
die Gestalt ihres Bruders, der mit drei weiteren Hobbits
eingetroffen war. „Dunai!“ rief sie freudig und ließ
sich in seine Arme fallen. Er drückte sie fest
an sich und die Hobbits sahen neugierig zu der jungen
Frau empor, die sich so über die Ankunft ihres
guten Streichers freute. „Wer sie wohl ist?“ fragte
Pippin neugierig und Merry zuckte nur mit den Schultern.
„Woher soll ich das wissen. Ich bin auch eben erst hier
angekommen.“
Groß war die Freude darüber, daß
Aragorn endlich eingetroffen war und noch größer
war die Erleichterung bei den Hobbits, als sie hörten,
daß sich Frodo auf dem Weg der Besserung befand.
Sam ließ sich sofort in sein Zimmer führen
und war seit dem nur noch zu den wichtigsten sechs Mahlzeiten
gesehen.
Die anderen Hobbits wichen nicht von Aragorns Seite
und erfuhren nun bald, daß die rothaarige Kriegerin
seine Ziehschwester war. Merry mochte sie besonders
gerne. Er ließ sich von ihr die schönsten
Winkel der Parks zeigen und Pippin lachte laut, immer
wenn er mit leuchtenden Augen von seinen Besichtigungen
zurückkehrte. Pippin hielt sich eher an Aragorn,
denn der schimpfte nicht so streng mit ihm wie Gandalf,
wenn er sich aus Versehen in eine brenzlige Situation
gebracht hatte.
„Närrischer Tuk!“ hörte man Gandalfs laute
ärgerliche Stimme mehr als einmal durch die Gänge
schallen, nachdem es in der einen oder anderen Ecke
des Palastes verdächtig geklirrt hatte. Und nur
kurz darauf sah man einen unglücklich dreinblickenden
Hobbit über den Flur schleichen, der sich mit gesenktem
Kopf das schmerzende Hinterteil rieb.
Frau Annaluva lachte laut und nahm den Halbling tröstend
in den Arm. Sie versicherte ihm mehrmals, daß
ihr Vater noch mehr von diesen häßlichen
Vasen hätte und Pippin grinste breit.
****
Am Morgen ihres zweiten Tages in Bruchtal vernahmen
sie die gute Nachricht, daß Frodo wieder zu sich
gekommen wäre. Sam hatte es ihnen als erster berichtet.
Am Abend sollte es ein fröhliches Fest geben, um
die Genesung des Halblings zu feiern.
Das Fest hatte begonnen und Merry kam nicht umhin,
Frau Annaluva immer wieder zu versichern, daß
sie in diesem Kleid besonders schön aussehe. Sie
lächelte ihn milde an. Frodo trat, immer noch ein
wenig blaß um die Nase, aus der Tür und seine
Freunde liefen fröhlich zu ihm und es war ein glückliches
Wiedersehen. Wie groß war erst Frodos Freude,
als er unter den Gästen seinen Onkel Bilbo erblickte!
Die nächste Überraschung erwartete die Hobbits,
denn als Aragorn den Raum betrat, hätten sie ihren
guten Streicher in seinem festlichen Gewand um ein Haar
nicht erkannt. Wie stattlich sah er aus! Laietha lächelte,
denn nun schien er Isildurs Erbe würdig zu sein.
Laietha selbst unterhielt sich fröhlich mit
Legolas, dem Elbenprinzen aus dem Düsterwald. Sie
war schon lange nicht mehr in König Thranduils
Reich gewesen und freute sich über die Neuigkeiten
aus der Ferne. Beunruhigt sah der junge Elb aus, doch
so sehr sie sich auch bemühte, konnte sie ihm doch
sein Geheimnis nicht entlocken. Das Essen wurde aufgetragen
und den Hobbits begann bei seinem Anblick das Wasser
im Munde zusammenzulaufen.
Sie erfreuten sich an den herrlichen Speisen, denen
fröhlicher Gesang folgte und sogar der alte Spitzbube
Bilbo gab ein Liedchen zum besten. Merry faßte
sich schließlich ein Herz und forderte Frau Annaluva
zum Tanz auf. Pippin fiel fast der Bissen aus dem Mund
und Frodo und Sam schmunzelten amüsiert vor sich
hin. Die Kriegerin schlug dem Hobbit die Bitte nicht
ab und obwohl sie zwischen den eleganten Elben keine
gute Figur machten, lachten und scherzten sie viel,
während sie das eine oder andere Mal fast über
ihre eigenen Füße stolperten. Atemlos kehrten
sie auf ihre Plätze zurück und betrachteten
das fröhliche Treiben aus sicherer Entfernung.
Lange blieben sie beisammen und die Hobbits konnten
sich gar nicht satt sehen an den Elben und der Pracht
des Festes. Aber irgendwann konnten sie die Augen vor
Müdigkeit nicht mehr offen halten und wurden lachend
von den Elben auf ihre Zimmer geführt, wo sie bald
in tiefen Schlaf versanken und von den köstlichen
Speisen und den wunderschönen Liedern träumten.
Laietha saß noch lange mit ihrem Bruder und
ihrem Vater zusammen und der Zauberer Gandalf trat hinzu.
Die beiden wechselten einen bedeutungsvollen Blick.
Laietha entschied für sich, daß es wohl passender
für sie wäre, zu gehen - was sie aber nicht
daran hinderte, an der Tür zu lauschen. So erfuhr
sie, daß für den nächsten Tag ein Rat
angesetzt wurde, bei dem das Schicksal des Einen Ringes
besprochen werden sollte. Unruhe erfaßte sie.
Es war etwas im Gange. Nicht nur, daß Aragorn
in letzter Sekunde einer großen Gefahr entgangen
war, auch ihre beiden Brüder Elrohir und Elladan
waren noch immer nicht von ihrem Erkundungszug, auf
den Elrond sie geschickt hatte, zurück. Laietha
mußte erfahren, was dort vor sich ging. Gewiß
würde sie am nächsten Tag nicht zu der Versammlung
geladen werden. Sie rümpfte die Nase, als sie daran
dachte, daß ihr Vater ihr wahrscheinlich sagen
würde, das wäre Männersache. Hinter sich
hörte sie ein heiseres Kichern und sie drehte sich
blitzartig herum. Bilbo Beutlin stand hinter ihr und
grinste spitzbübisch zu ihr hinauf. „Hat euch auch
der Hunger aus dem Bett getrieben?“ Sie errötete,
weil man sie beim Lauschen ertappt hatte. Gerade wollte
sie versuchen, eine Erklärung hervorzustammeln,
als der Hobbit sich neben sie an die Tür drängte.
Er legte den Finger an die Lippen und bedeutete ihr,
leise zu sein. „Wir Hobbits haben hervorragende Ohren,“
flüsterte er mit schelmischer Miene und lachte
leise. „Aber die Ohren der Elben funktionieren bedeutend
besser, Herr Beutlin!“ dröhnte Elronds laute Stimme
und eine Sekunde später flog die Tür auf und
Laietha und Bilbo stolperten völlig überrumpelt
in den großen Raum. Bilbo - alt wie er sein mochte,
schaffte es, sein Gleichgewicht zu behalten, aber Laietha
fiel der Nase lang hin und sah verdattert zu ihrem Vater
hoch. Der Halbelb musterte sie streng. Dann fiel sein
Blick auf den Hobbit, der klammheimlich versuchte, sich
so unauffällig wie möglich aus dem Staub zu
machen. „Wo wollt ihr denn hin, Herr Beutlin?“ fragte
er mit hochgezogenen Augenbrauen.
„Oh, ich...ich wollte nur in die Küche, mir
ein kleines Nachtmahl holen. Dabei muß ich mich
wohl verlaufen haben. Eine gute Nacht wünsche ich
euch,“ und flink wie ein Wiesel war er zur Tür
hinaus. Laietha hatte sich inzwischen erhoben. Ihr Vater
wandte sich nun an sie. „Zeugt das von gutem Benehmen,
an der Tür zu horchen wie ein gemeiner Dieb?“ Laietha
senkte den Kopf zu Boden. „Nein, adar,“ flüsterte
sie beschämt. Aragorn kam auf sie zu und legte
den Arm um sie. „Ich bin sicher, sie wollte mich nur
daran erinnern, daß es Zeit zum Schlafen ist.
Wir sollten alle zu Bett gehen, denn der Morgen ist
weiser als der Abend.“ Mit einem Kopfnicken verabschiedete
er sich von seinem Vater und Gandalf und führte
seine Schwester aus dem Raum. Sie gingen auf ihr Zimmer.
Lange waren sie noch wach. Laietha hatte sich hingelegt
und Aragorn saß auf dem Rand ihres Bettes. „Was
geht nur in der Welt vor sich, Dunai? Elladan und Elrohir
sind noch immer unterwegs und ich kann fühlen,
wie das Böse immer mächtiger wird. Sag mir,
Bruder, wird es zum Krieg kommen?“ Aragorn dachte sehr
lange nach. Er berichtete seiner Schwester von vielen
Dingen, die er auf seiner Reise in Erfahrung gebracht
hatte - verschwieg ihr aber auch genug, um nicht ihren
Wunsch, ihn das nächste Mal zu begleiten, zu wecken.
„Das Böse braut sich zusammen, Laietha. Aber
wie ich schon zu Vater sagte, wir sollten jetzt schlafen,
denn ich bin müde.“ Er küßte sie auf
die Stirn und erhob sich. Laietha zog die Decke hoch
und drückte ihren Kopf in die Kissen. Aragorn war
schon fast zur Tür hinaus, als sie im Hof Pferdegetrappel
hörten. Sofort sprang Laietha auf und eilte ans
Fenster und es dauerte keinen Augenblick, da war ihr
Bruder an ihrer Seite. Neugierig lugten sie in den Hof.
„Was siehst du, Dunai? Sind es unsere Brüder, die
gekommen sind?“ Laietha reckte sich, um ihrem Bruder
über die Schulter sehen zu können. Wer kam
zu so später Stunde noch hierher? Langsam schüttelte
Aragorn den Kopf. „Es ist nur einer, ein Mensch.“ Laietha
wurde aufmerksam. Sie bekamen in letzter Zeit selten
Besuch von den Menschen, aber wenn welche eingetroffen
waren, dann war es etwas Wichtiges gewesen. Auch gerade
jetzt hielten sich Menschen in Bruchtal auf. Sie waren
wegen des Rates am nächsten Tag eingetroffen -
alte Männer, die Laietha seltsame Blicke zugeworfen
hatten. Ob dieser Besucher auch wegen des Rates gekommen
war? „Wir sollten hinuntergehen und rausfinden, wer
es ist, meinst du nicht, Dunai?“ Laietha lief schon
zu ihren Stiefeln, als Aragorn sie mit einem Lächeln
am Ärmel packte und in Richtung Bett zog. „Du wirst
es früh genug herausfinden, Laietha.“ Sie öffnete
den Mund, um zu protestieren, aber er zog ihren Kopf
geschwind an seinen Mund. „Wenn du jetzt schlafen gehst,
erzähle ich dir morgen was beim Rat besprochen
wurde,“ flüsterte er ihr ins Ohr, und grinste sie
an. Sie küßte ihn geschwind auf den Mund.
„Du bist der Beste!“ lachte sie und legte sich zurück
ins Bett. Aragorn lächelte sie an, warf ihr eine
Kußhand zu und verließ den Raum. Laietha
wartete, bis er die Tür geschlossen hatte und lief
dann leise zum Fenster. Sie versuchte in der Dunkelheit
auszumachen, wer der Neuankömmling sein mochte.
Ihr Vater und Gandalf traten zu ihm und redeten mit
ihm. Einer der Stallburschen führte sein Pferd
fort. Laietha schüttelte resigniert den Kopf. Sie
war nun mal nur ein Mensch und verfügte nicht über
die guten Augen eines Elben. Sie konnte nicht erkennen,
wer der Mann war - oder woher er kam. Doch schließlich
schlich sich ein Grinsen auf ihr Gesicht. Den Stallburschen
hatte sie nämlich genau erkannt.
****
Es war noch sehr früh am nächsten Morgen
als Laietha aufstand. Die Sonne streckte gerade neugierig
den Kopf über den Bergen hervor. Laietha zog sich
ihre Hosen und ihre Stiefel an und schnürte ihr
Mieder fest zu. Schmunzelnd dachte sie daran, daß
der Stallbursche ihr ja schließlich genau berichten
sollte, wer da gestern Nacht so spät eingetroffen
war. Sie band ihre langen Haare lose im Nacken zusammen
und spähte vorsichtig aus der Tür. Der Flur
war verlassen. Mit einem Lächeln im Gesicht stahl
sie sich zu den Ställen. Zu ihrer Enttäuschung
war der Stallbursche noch nicht da. Sie würde sich
also noch ein wenig gedulden müssen. Nun, nichts
für ungut, dachte sie sich. Es war ein herrlicher
Morgen und wer wußte schon, wie lange das Wetter
ihnen noch so wohlgesonnen sein würde. Der Herbst
neigte sich dem Ende zu und der Winter stand vor der
Tür. Sie griff nach ihrem Schwert und befestigte
es an ihrem Gürtel. Dann ging sie zu ihrem Pferd.
Sie würde ein wenig ausreiten, dann schmeckte ihr
das Frühstück immer doppelt so gut und gestern
Abend hatte Merry sie zu einem Pilzwettessen herausgefordert.
Da sie den enormen Appetit der Hobbits kannte, hielt
sie es für recht und billig, sich einen kleinen
Vorteil zu verschaffen.
„Guten Morgen, Ascar. Wie steht es, wollen wir ein
wenig ausreiten? Das Wetter ist zu schön, um es
nicht zu nutzen.“ Sie strich dem Tier liebevoll über
die Flanken. Der Rappe wieherte freudig und sie lachte
laut. „Du kannst es auch nicht ertragen, den ganzen
Tag über nur untätig auf der Weide zu stehen,
nicht wahr?“ Das Pferd schmiegte seinen Kopf gegen ihre
Schulter und stöberte mit seinen Nüstern in
ihrer Tasche. Der Hengst schnaubte und die junge Frau
schmunzelte. „Nein, mein Lieber, auch für dich
gibt es erst nachher Frühstück.“
„Ein schönes Tier.“ Laietha wirbelte herum.
Sie hatte sich unbeobachtet geglaubt. Hinter ihr stand
ein stattlicher Mann, den sie noch nie zuvor gesehen
hatte. Er sah weitgereist und ein wenig erschöpft
aus. Neugierig musterte er sie von Kopf bis Fuß.
Sie erwiderte seinen Blick und versuchte festzustellen,
woher er wohl kommen mochte. Ein Lächeln trat auf
sein Gesicht. „Ihr seid keine Elbin.“ Laietha schenkte
ihm ein schiefes Grinsen. „Oh wirklich! Gut, daß
ihr es mir sagt. Ihr seht auch nicht gerade elbisch
aus.“ Ein verdutzter Ausdruck trat auf sein Gesicht
und sie feixte in sich hinein. Der Fremde schien sich
wieder zu fangen. Laietha erkannte ihn als einen Mann
aus dem Süden. Er trug einen Mantel, der am Kragen
mit Fell verziert war und darunter konnte sie eine Ledertunika
erkennen. Vielleicht war er es, der gestern abend so
spät eingetroffen war. Sie beschloß, ein
wenig freundlicher zu ihm zu sein, denn vielleicht mußte
sie gar nicht mehr den Stallburschen befragen. Der würde
sowieso Anweisung haben, Stillschweigen zu bewahren.
Sie beugte artig den Kopf. „Menschen aus dem Süden
sind in Bruchtal willkommen.“ Er wandte seinen Blick
noch immer nicht von ihr, als er einen Schritt auf sie
zumachte. Der Mann streckte seine Hand nach Ascar aus
und gab dem Pferd eine Karotte. Der Hengst schnaubte
zufrieden und begann genüßlich zu kauen.
Auch er verneigte sich knapp. „Woher kommt ihr, Herrin?“
Sie beschrieb mit ihrer Hand eine knappe Geste. „Ich
lebe hier.“ Er sah sie erstaunt an. Ascar stupste ihn
mit seiner Schnauze an und warf ihm einen hoffnungsvollen
Blick zu. Der Mann zauberte aus seiner Manteltasche
noch eine weitere Karotte hervor, die ihm der Rappe
freudig abnahm. „Wie heißt ihr, Herrin?“ Er streichelte
die Nüstern des Pferdes. Laietha stemmte ihre Hände
herausfordernd in die Hüften. „Ihr stellt eine
Menge Fragen, mein Herr, ohne selbst etwas über
euch preiszugeben.“ Sie erwartete, daß er sich
umdrehen und gehen würde, statt dessen verneigte
er sich tief und griff nach ihrer Hand. Bevor sie sie
wegziehen konnte, hatte er ihr einen Handkuß darauf
gehaucht. „Verzeiht, Herrin, mein Name ist Boromir aus
Minas Tirith. Zu euren Diensten.“
Laietha wurde rot. Sie wußte sehr wohl wer
er war und nun reute es sie, daß sie so respektlos
zu ihm gewesen war. „Der zukünftige Statthalter
von Gondor!“ wisperte sie beinahe erschrocken und verbeugte
sich tief. Er lachte schallend. „Ihr wißt wirklich
sehr gut Bescheid. Hat sich meine Ankunft so schnell
herumgesprochen?“ Laietha schüttelte den Kopf.
„Ich sagte bereits, Menschen aus dem Süden sind
hier willkommen. Euer Name ist mir mehr als einmal zu
Ohren gekommen. Was führt euch hierher?“ Ascar
schubste Laietha, so heftig, daß sie fast gegen
Boromir prallte. Er grinste breit. „Euer Pferd scheint
ungeduldig auf seinen Ausritt zu warten. Ihr solltet
besser aufbrechen, oder ich muß noch ein paar
Karotten holen, um ihn zu beruhigen.“ Laietha war eigentlich
nicht gewillt, das Gespräch jetzt zu beenden, denn
sie hatte gehofft zu erfahren, was einen so hohen Botschafter
aus Gondor zu ihnen führte. Dennoch nickte sie
und stieg auf ihr Pferd. Sie wollte gerade aus dem Stall
reiten, als sie eine Stimme von hinten hörte. „Herrin,
nun seid ihr es, die nicht reden will. Verratet mir
doch wenigstens euren Namen!“ Sie brachte Ascar zum
Stehen und drehte sich um. Der Mann stand neben seinem
Pferd und sah ihr nach. Sie lächelte. „Man nennt
mich hier Laietha. So sollt auch ihr mich nennen, mein
Herr.“ Er nickte mit einem breiten Lächeln. Laietha
drehte sich um und ritt aus dem Stall. Die Sonne schien
ihr ins Gesicht, und obwohl der Wind kalt war, war es
ein schöner Morgen. Sie atmete tief die frische
Luft ein. Ascar wieherte vergnügt und als sie in
Richtung Tor ritten, verfiel er in einen leichten Trab.
Hinter sich hörte Laietha auf einmal das Geräusch
von Hufen. Schnell drehte sie sich um, um zu sehen,
wer ihr gefolgt war. Sie sah Boromir auf seinem Pferd
auf sie zugaloppieren. Mit einem breiten Lächeln
kam er neben ihr zum Stehen. „Haltet ein, Frau Laietha,
ihr solltet nicht ganz alleine in dieser Gegend ausreiten.
Erlaubt, daß ich euch begleite.“
Das Licht fiel durch die letzten verbliebenen Blätter
und zauberte ein bewegtes Lichtspiel auf den Waldboden.
Sie ritten langsam nebeneinander her. „Wie kommt es,
daß ihr den weiten Weg von Gondor auf euch genommen
habt, um nach Bruchtal zu kommen? Die Reise ist lang
und gefährlich.“ Boromir antwortete nicht sofort,
sondern überlegte eine Weile. Wieviel sollte er
dem Mädchen erzählen? Schließlich hub
er zu sprechen an. „Mein Land befindet sich im Krieg
und es steht schlecht. Ich bin gekommen, um Hilfe zu
erbitten.“ Laietha nickte gedankenvoll. „Ich habe gehört,
daß sich Übel in Mordor regt. Wenn ihr die
weite Reise auf euch nehmt, muß es in der Tat
schlecht um Gondor bestellt sein.“ Boromir sah sie verdutzt
an. Sie schien wirklich sehr gut Bescheid zu wissen.
Er hätte nicht so viel von einer Frau erwartet.
„Ich kann mich glücklich schätzen. Heute soll
ein Rat einberufen werden und Herr Elrond hat mich eingeladen,
daran teilzunehmen. Ich hoffe, daß ich mit guten
Nachrichten heimkehren werde.“
Sie ritten noch eine Weile nebeneinander her, ohne
viel zu sprechen. Boromir konnte seinen Blick nur schwer
von ihr wenden. Mochte sie auch keine Elbin sein, so
war sie doch hübsch. Das Licht reflektierte in
ihrem Haar und er kam nicht umhin, ihre knappe Kleidung
zu bemerken. Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht.
Auch Laietha beobachtete ihn von Zeit zu Zeit verstohlen.
Einige Male ließ sie sich absichtlich zurückfallen,
um einen besseren Blick auf seinen Rücken zu erhaschen.
Der Mann hatte die Statur eines Kriegers. Sein Kreuz
war breit und unter seinem Hemd konnte sie die starken
Arme erahnen. Sie lächelte. Er gefiel ihr. Vielleicht
würde sie ihn nach Gondor begleiten. Sie hatte
schon viel zu lange herumgesessen und eine Reise mit
ihm würde gewiß interessant werden.
Die Sonne war noch höher gestiegen und Laietha
bemerkte erst jetzt, wie weit sie schon vom Haus ihres
Vaters fort waren. Das Frühstück würden
sie gewiß verpassen. Auch Boromir schien es bemerkt
zu haben. Er brachte sein Pferd zum Stehen. „Wir sollten
umkehren, Frau Laietha. So gerne ich weiter in eurer
Gesellschaft reiten würde - ich fürchte es
wäre nicht hilfreich zu spät zu Herrn Elronds
Rat zu gelangen.“ Laietha nickte. Dann fügte sie
mit einem Lächeln hinzu: „Laßt uns sehen,
wer zuerst wieder in Bruchtal ist!“ Ohne seine Antwort
abzuwarten, trieb sie ihrem Pferd die Fersen in die
Flanken und Ascar trug sie in Windeseile davon.
Kurz bevor sie die Mauern Bruchtals erreichten, hatte
Boromir sie wieder eingeholt. Gleichzeitig jagten sie
durch die geöffneten Tore. Lachend brachten sie
die Pferde in den Stall. Ein Bediensteter kam und informierte
Boromir, daß man ihn beim Rat erwartete. Er verneigte
sich höflich vor Laietha und nahm ihre Hand. Erneut
gab er ihr einen Handkuß, aber diesmal machte
sie keine Anstalten zurückzuweichen. Er hob den
Kopf und sah ihr in die Augen. Ein Lächeln umspielte
seine Mundwinkel. „Habt Dank für diesen Morgen,
liebe Frau Laietha. Eure Bekanntschaft gemacht zu haben
ist mir ein gutes Omen für den Rat. Wenn alle Bewohner
Bruchtals so freundlich sind wie ihr, wird man mir gewiß
Hilfe nicht verweigern.“ Damit drehte er sich um und
ging ins Haus. Laietha sah ihm nach. Sie war gespannt,
was Aragorn ihr später über den Rat berichten
würde.
****
Als sie auf den Palast zulief, kamen ihr Merry und
Pippin entgegen. Merry grinste breit. „Willst du dich
vor dem Wettessen drücken, Laietha? Das Frühstück
ist längst vorbei. Aber keine Bange - wir haben
ein paar Pilze retten können.“ Lachend zog er einen
riesigen Korb hinter seinem Rücken vor. Laiethas
Magen knurrte laut. Sie brachen in schallendes Gelächter
aus. Die Kriegerin bat nur darum, sich ein wenig frisch
machen zu dürfen. Nach ein paar Minuten war sie
wieder zurück und sie setzten sich an der Tafel
nieder. Das Wettessen begann.
Die Hobbits und Laietha lagen auf der Wiese und schnauften
entkräftet. Laietha hielt sich mit unglücklicher
Miene den Bauch. Pippin betrachtete sie mit großen
Augen und Merry japste nach Luft. „Das war unfair -
ich hatte vorher immerhin schon Frühstück.“
Die Kriegerin lachte. „Oh, jetzt ist mir schlecht,“
verkündete sie ihren Freunden. Pippin rülpste
laut. Die beiden anderen sahen ihn mit großen
Augen an und er gab ein verschmitztes Grinsen zurück.
„Das tat gut.“ Merry sah seine nächste Chance auf
einen Wettstreit. Er fügte mit einem mächtigen
Rülpser und einem Grienen hinzu: „Wettrülpsen.“
Laietha schlug sich an die Brust und die Hobbits erblaßten
vor Neid. „Gut, du hast gewonnen,“ grummelte Merry.
Hinter ihnen wurde Lachen laut. Geschwind sprangen
sie auf die Beine und erblickten einen großen
rothaarigen Mann, der über die Wiese schlenderte.
„Sagt mir, daß nicht ihr das eben wart, Herrin.“
Laietha errötete. Sie verneigte sich schnell. „Herr
Boromir, ich hoffe, ihr habt die Hilfe bekommen, auf
die ihr gehofft habt.“ Boromir verzog das Gesicht, lächelte
dann aber schnell. „Nicht direkt, aber ich bin fürs
erste zufrieden. Ich sagte ja, eure Gesellschaft hat
mit Glück gebracht.“ Mit neugierigen Blicken musterte
er die Hobbits, die genauso neugierig zurückstarrten.
Pippin zupfte Laietha am Ärmel. „Willst du uns
denn nicht vorstellen, Laietha? Du scheinst ihn ja zu
kennen.“ Die Kriegerin lächelte und tat, was man
von ihr erbeten hatte. Boromir verbeugte sich artig.
„Es freut mich, eure Bekanntschaft zu machen, meine
kleinen Herren.“ Er nahm auf der Erde Platz und die
anderen setzten sich zu ihm. Laietha betrachtete ihn
interessiert, während er sich mit den Hobbits unterhielt.
Er mochte vierzig Sommer zählen. Sein Gesicht war
stolz und nicht ganz sorgenfrei. Dennoch leuchteten
seine Augen, wenn er über einen von Pippins Scherzen
lachte. Der Hobbit griff neugierig nach dem großen
Horn an Boromirs Seite. Zuerst sah der Krieger ihn verdutzt
an, brach dann aber in Gelächter aus und reichte
dem Hobbit das Horn, damit er es aus der Nähe betrachten
konnte.
Auch Boromir warf Laietha verstohlene Blicke zu.
Sie hatte ihre Reitkleidung gegen ein dunkelgrünes
Kleid getauscht und ihre roten Locken umspielten ihr
Gesicht. Die Sonne schien auf ihre blasse Haut und er
konnte seine Blicke gar nicht von ihren vollen roten
Lippen wenden. Mit hochgezogenen Brauen bemerkte er,
daß Merry die Menschenfrau mit dem selben Interesse
musterte. Er mußte schmunzeln. Er schätzte
das Mädchen auf Mitte zwanzig und seufzte. Als
er in ihrem Alter gewesen war hatte er auch noch so
unbeschwert lachen können, wie sie über Merrys
Scherze.
„Nun sagt mir, Herr Boromir, wann werdet ihr in eure
Heimat aufbrechen?“ Er kam wieder zu sich und schenkte
ihr ein Lächeln. „Ich werde in Gesellschaft reisen.
Wann genau wir aufbrechen, kann ich nicht sagen. Ich
werde wohl noch eine Weile hier verweilen.“ Laietha
lächelte froh, als sie das hörte. „Ihr seht
auch aus, als könntet ihr ein wenig Ruhe gebrauchen.
Sagt mir, Herr Boromir, wie lange habt ihr für
die Reise von Gondor nach Bruchtal gebraucht?“ Boromir
rechnete im Stillen. „Etwas mehr als drei Monate. Der
Weg war beschwerlich.“ Sie sah, wie sich die Erlebnisse
der Reise in seinen Augen spiegelten. Sicher hatte er
viele Gefahren bestehen müssen. Pippin war weniger
verholen als sie und bat den fremden Krieger, von den
Ereignissen auf seiner Reise zu erzählen. Der Weg
nach Bruchtal war schon abenteuerlich genug gewesen
und sie waren nicht einmal halb so lange gereist. Außerdem
war er begierig darauf zu erfahren, wie es in anderen
Ländern aussah. Boromir ließ sich nicht lange
bitten, sondern erstattete bereitwillig Bericht. Er
erzählte von den Weiten Gondors und von den Steppen
Rohans, die er durchquert hatte. Und schließlich
begann er von seiner Heimatstadt zu erzählen. Seine
Augen leuchteten bei der Erinnerung an den weißen
Turm Ecthelions, die Banner Gondors, die im Wind von
den Türmen wehten... Laietha schloß die Augen
und malte sich alles genau aus.
„Wovon träumt ihr, Herrin?“ Laietha schreckte
hoch und sah, daß die Hobbits und der Krieger
sie angrinsten. Verlegen lächelte sie. „Ich fragte
mich, nur, ob ihr schon einmal das Meer gesehen habt,
mein Herr.“ Er schmunzelte. „Schon oft. Es würde
euch gewiß gefallen. Wart ihr denn noch nie am
Meer?“ Sie schüttelte den Kopf. Er blickte sie
lange an. „Beschreibt es für mich, Herr Boromir.
Ich höre euch gerne zu.“ Auch die Hobbits waren
gespannt darauf zu erfahren, wie das Meer aussehe.
„Merry, Pippin! Wo bleibt ihr denn? In Kürze
gibt es Mittagessen!“ Sam kam in den Garten gelaufen.
Pippins Bauch grummelte verdächtig laut. Schließlich
war das zweite Frühstück schon eine ganze
Weile her. Merry sprang auf und sah Laietha an. „Willst
du nicht mit uns kommen, Laietha? Es gibt bestimmt etwas
Köstliches!“ Die Frau schüttelte lachend den
Kopf und hielt sich den Bauch. „Ich glaube, ich brauche
heute den ganzen Tag lang nichts mehr zu Essen. Ich
bin noch so voller Pilze!“ Merry zuckte mit den Schultern
und rannte seinem Cousin und Sam hinterher. Als er Pippin
eingeholt hatte, fragte er neugierig: „Was meinst du,
ob sie mich mag?“ Pippin schüttelte den Kopf. „Ich
weiß gar nicht, was du an ihr findest. Sie ist
viel zu dürr!“
Boromir sah den Hobbits verwundert hinterher und
schüttelte den Kopf. Er hörte ein Kichern
neben sich. Laietha schmunzelte. „Sie sind goldig, nicht
wahr? Ich habe die beiden sehr gerne.“ Boromir sah sie
fragend an. „Sind es Kinder? Ich habe Halblinge noch
nie zuvor gesehen.“ Zumindest nicht bis zu diesem Tag,
denn bei Elronds Rat waren auch Halblinge gewesen. Er
unterdrückte den Ärger, der kurz in ihm aufwellte.
Laiethas Stimme riß ihn aus seinen düsteren
Gedanken. Sie berichtete ihm von den Hobbits - vom alten
Bilbo hatte sie eine Menge gelernt, konnte sich aber
noch immer nicht daran gewöhnen, sie als Erwachsene
anzusehen. Verwundert sah er wieder in die Richtung,
in der die Halblinge verschwunden waren. Plötzlich
spürte er eine federleichte Berührung an seiner
Hüfte. Er drehte behend den Kopf und erblickte
die junge Frau, die gedankenversunken sein Schwert betastete.
Er ergriff ihre Hand und sie schreckte hoch - das Blut
stieg ihr ins Gesicht und sie lächelte beschämt.
Wortlos und mit einem Lachen reichte er ihr die Waffe.
Sie stand auf und wog sie sachkundig in ihren Händen.
Dann ließ sie das Schwert mit einer Hand durch
die Luft sausen. Boromir hob eine Augenbraue. Sie ging
geschickt mit der Waffe um. Mit einem Lächeln reichte
sie es ihm zurück. „Ein gutes Schwert.“ Er lachte
laut. „Ihr habt ein gutes Auge.“ Sie zuckte mit den
Schultern. „Die besten Elbenschmiede haben sich hier
in Bruchtal niedergelassen. Ich erkenne die Arbeit eines
guten Schmiedes, wenn ich sie sehe.“ Ein Schatten legte
sich auf sein Gesicht und hätte er nicht gelächelt
als er sprach, hätte sie geglaubt, ihn verärgert
zu haben. Er befestigte das Schwert wieder an seinem
Gürtel. „Menschenhände schufen dieses Schwert
- nicht Elben.“
Laietha beschloß das Thema zu wechseln. „Ihr
wolltet mir vom Meer erzählen, mein Herr.“ Der
Anflug von Ärger in seinem Gesicht verschwand und
er blickte in die Ferne. Er beschrieb ihr den Klang
der Wellen, wenn sie gegen das Ufer schlugen, die Schreie
der Meersvögel, das Geräusch des Wassers,
das kleine Steinchen mit sich in die Weiten des Ozeans
riß, die Farbe des Himmels, wenn die Sonne im
Meer versank. Laietha hörte ihm zu und ließ
die Augen nicht von ihm. Boromir bemerkte ihre Blicke
und erwiderte sie. Nachdem sie sich lange so angesehen
hatten, brach der Krieger das Schweigen. „Ich kann nicht
glauben, daß ihr noch nie am Meer wart. Eure Augen
haben die Farbe des Wassers, bevor ein Sturm anbricht.“
Boromirs Magen knurrte laut und Laietha begann zu
lachen. „Ihr habt gewiß noch nichts gegessen.
Laßt uns hineingehen. Vielleicht haben euch die
Hobbits noch etwas übrig gelassen.“ Sie ergriff
ihn bei der Hand und zog ihn mit sich ins Haus.
****
Der Abend war gekommen und Laietha schlich zum Zimmer
ihres Bruders. Vorsichtig klopfte sie an der Tür.
„Herein.“ Laietha öffnete sie schwere Tür
und Aragorn erhob sich. Ein Lächeln trat auf sein
Gesicht, als die junge Frau den Raum betrat. Das Feuer
im Kamin prasselte und spendete angenehme Wärme
gegen die Abendkühle. Laietha setze sich in einen
bequemen Stuhl und zog ihre Pfeife aus der Tasche. Aragorn
lachte und gab ihr ein wenig Tabak. Sie zündeten
die Pfeifen an und pafften genüßlich vor
sich hin. Nach einer Weile warf Laietha Aragorn einen
neugierigen Blick zu. Er grinste schief. „Was gibt es,
Schwester?“ Sie sah ihn erwartungsvoll an. „Du wolltest
mir doch sagen, was es auf der Versammlung zu besprechen
gab. Sprich schon, Dunai!“ Er lachte laut auf. Das war
so typisch für sie. Neugierig wie eine Katze! Aragorn
rutschte dichter an sie heran und strich ihr übers
Haar. „Ich werde bald aufbrechen müssen. Ein Mann
aus Gondor kam und bat um Hilfe. Ich werde ihn begleiten.“
Laiethas Augen leuchteten. „Laß mich dieses Mal
mit dir kommen! Du weißt, daß ich eine gute
Kämpferin bin! Und ich habe es satt, untätig
herumzusitzen.“ Er schüttelte den Kopf. „Die Reise
ist lang und gefährlich. Ich werde lange fort sein,“
- und vielleicht nicht zurückkehren, setzte er
in Gedanken hinzu. Laietha sprang auf und warf den Stuhl
dabei um. „Warum?“ Er legte ihr beschwichtigend einen
Arm auf die Schulter. „Das ist keine Aufgabe für
eine junge Frau wie dich. Und Vater braucht deine Hilfe
hier nötiger.“ Er blinzelte ihr zu. „Wer soll sich
sonst um Herrn Bilbo kümmern?“ Laietha wurde wütend.
Auf einen Hobbit achtgeben war keine Aufgabe für
eine Kriegerin! Sie hatte schon viele Schlachten geschlagen
und er behandelte sie wie ein Kind! „Aber ich...!“ Aragorns
Gesicht wurde ernst. „Du kannst mich nicht begleiten.
Nicht dieses Mal, Laietha. Mordors Armeen sammeln sich.
Der Ring der Macht ist gefunden worden und er muß
zerstört werden. Ich werde den Ringträger
begleiten und ihm helfen, wo ich kann.“ Laietha schüttelte
erbost den Kopf. „Laß mich dir doch helfen!“ „Nein!“
rief Aragorn zornig. Er schnitt ihr das Wort ab. „Du
wirst mich nicht begleiten. Ich verbiete es!“ Angst
zerwühlte ihm die Eingeweide - die Angst, daß
sie sich nicht davon abbringen lassen würde, ihm
zu folgen. Laietha drehte sich auf dem Absatz um und
stürmte aus dem Zimmer. Sie schlug die Tür
heftig hinter sich zu. Aragorn seufzte. Natürlich
wollte sie mitkommen und sie war eine geschickte Kämpferin,
aber diese Aufgabe konnte jeden von ihnen das Leben
kosten und er wollte nicht, daß sie in Gefahr
war.
Laietha stürmte den Gang entlang und sah nicht
nach rechts und links. Plötzlich stieß sie
gegen jemanden und ein spitzer Schrei wurde ausgestoßen.
„Hey, du Tölpel! Paß doch auf!“ Sie sah zu
Boden und erblickte einen der Halblinge, den sie wohl
aus Versehen umgerannt hatte. Immer noch voller Wut,
sagte sie kein Wort und rannte davon.
Sam brummelte verärgert vor sich hin. Was für
eine unhöfliche Person! Er klopfte sich den Staub
von den Kleidern und ging mürrisch auf sein Zimmer.
Sein Unmut verschwand sofort, als er sah, daß
Merry und Pippin eingetroffen waren - mit einem festlichen
Spätimbiß.
Es war ungerecht! Sie konnte kämpfen! Warum
wollte Aragorn sie nicht mitnehmen? Laietha rannte nur
noch schneller. Das tat gut - Bewegung tat gut! Sie
bog geschwind um die Ecke und stieß zum zweiten
Mal gegen ein lebendes Hindernis. Sie stieß einen
erschreckten Schrei aus und fand sich auf dem Fußboden
wieder. Aber sie war weich gefallen. Schnell rappelte
sie sich auf und sah zu Boden. Von dort aus blickten
sie zwei erstaunte grüne Augen an. Sie errötete,
als sie den zukünftigen Statthalter Gondors erkannte.
Boromir kam wieder auf die Beine. Besorgt und zugleich
amüsiert sah er sie an. „Ist euch etwas geschehen,
Herrin?“ Laietha verneinte und er atmete auf. Er klopfte
seine Kleider ab und Laietha wollte beschämt an
ihm vorbei gehen. Er hielt sie am Arm fest und sah ihr
ins Gesicht. „Warum seid ihr so aufgebracht, Herrin?“
Laietha schüttelte den Kopf. „Es ist nichts, mein
Herr. Ich war unachtsam. Entschuldigt bitte, wenn ich
euch wehgetan habe. Es lag nicht in meiner Absicht.“
Freundlich lächelte er sie an.
Er bat sie, ihm noch ein wenig Gesellschaft zu leisten
und sie akzeptierte die Einladung. Gemeinsam gingen
sie in die Empfangshalle des Hauses. Boromir betrachtete
beeindruckt die Gemälde an den Wänden und
schließlich blieb er vor einer Statue stehen,
die eine geborstene Klinge in den Händen hielt.
Seine Augen weiteten sich voller Ehrfurcht und er konnte
nicht widerstehen und nahm das Schwert in die Hand.
„Die Bruchstücke von Narsil.“ Verwundert schüttelte
er den Kopf. „Die Klinge, die den Ring von Saurons Hand
schnitt.“ Laietha lächelte und er fuhr mit dem
Finger an der Klinge entlang. Erschreckt zog er die
Hand zurück und betrachtete den Blutstropfen, der
sich an der Schnittstelle gebildet hatte. „Sie ist immer
noch scharf.“ Laietha nahm seine Hand und sah sich den
Schnitt an. Schnell zog sie ein Taschentuch hervor und
wickelte es vorsichtig um die Verletzung. Mit einem
Lächeln beobachtete er sie. „Das habe ich auch
schon herausfinden müssen, Herr Boromir. Warum
man der Versuchung, dieses Schwert anzufassen nicht
widerstehen kann, ist mir ein Rätsel.“ Sie blickte
mit einem schelmischen Grinsen zu ihm auf, ihre Hand
noch immer auf seiner ruhend. Boromir lachte. „Habt
Dank, Herrin! Ohne euch wäre ich verblutet!“ Sie
schüttelte den Kopf. „Ich bitte euch. Nennt mich
nicht Herrin. Mein Name ist Laietha.“ Er nickte und
nahm ihre andere Hand fest in seine. „Wie ihr wünscht,
Laietha,“ sagte er mit einem Lächeln.
Sie errötete als sie gewahr wurde, wie dicht
sie beieinander standen. Der Mond schien durch die großen
Fenster und tauchte ihn in silbriges Licht. Er hatte
seine Lederweste abgelegt und trug ein Hemd aus festem
Stoff. Laietha bemerkte seinen Duft, den der Nachtwind
zu ihr trug. Seine Hände waren warm und die Kühle
der Nacht ließ sie erzittern. Er trat näher
an sie heran und Laietha konnte ein Feuer in seinen
Augen erkennen. Ihr Blick blieb an seinen Lippen haften
und sie fragte sich, ob sie wohl nach dem Salz des Meeres,
von dem er ihr erzählt hatte, schmecken würden.
„Ist euch kalt, Her...Laietha?“ fragte er. Seine Stimme
klang auf einmal rauh und mühsam kontrolliert.
Laietha brachte nur ein Nicken hervor. Ihre Blicke trafen
sich und er trat dichter an sie heran. Seine Brust berührte
ihre und es ging eine Hitze von ihm aus, die Laietha
an ihre Kindheit erinnerte - wenn sie durchnäßt
und durchgefroren heimgekehrt war, weil sie beim Spielen
im Garten von einem Regenschauer überrascht worden
war und ihr Vater sie in die Küche neben den großen
Brotofen gesetzt hatte, damit sie nicht frieren und
sich einen Schnupfen holen würde. Sie reckte ihren
Kopf dichter an ihn heran, halb erwartend, daß
er nach frischem Brot riechen würde.
„Laßt euch nicht stören, Kinder!“ Sie
fuhren erschreckt auseinander und blickten den alten
Bilbo Beutlin an, der grinsend im Gang stand und sie
neugierig beobachtete. Laietha riß sich los und
eilte auf den Hobbit zu. Er lachte laut. „Ich habe mich
wohl verlaufen. Na ja, man wird alt. Erst wollte ich
in die Küche und mir einen kleinen Imbiß
besorgen und dann habe ich den Weg auf mein Zimmer nicht
mehr gefunden.“ Er wackelte mit dem Kopf. Laietha legte
ihm freundlich eine Hand auf die Schulter. „Kommt, Herr
Beutlin. Ich werde euch begleiten. Euer Zimmer liegt
auf meinem Weg.“ Sie führte den Hobbit fort und
Boromir sah ihr noch lange nach.
Verwirrt schüttelte er den Kopf. Er begab sich
selbst auf den Weg in das Zimmer, das man ihm zugewiesen
hatte. Dort angekommen, ließ er die Tür ins
Schloß fallen und warf sich auf sein Bett. Er
sank tief in die weiche Matratze ein. Sein Blick fiel
auf den blassen Mond am Himmel und er ballte die Hände
zur Faust. Das Ergebnis des Rates war frustrierend gewesen.
Das Rätsel um den Traum, den Faramir und er geteilt
hatten, war nicht gelöst worden - eher hatte ihn
das alles noch mehr verwirrt. Halblinge und Elbenschmiede,
verräterische Zauberer - das alles schienen ihm
Traumgespenster des Hausherren zu sein. Aber die Macht
des finstereren Fürsten Sauron, die seit seiner
Geburt jeden Tag über seiner Heimat schwebte, wie
ein bedrohlicher Raubvogel - das war real.
Sein Blick fiel auf das weiße Tuch, das noch
immer um seinen Finger gewickelt war. Er roch daran
und ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Boromir
schloß die Augen und öffnete sie wieder.
Sicher - er war verstimmt gewesen, daß er nicht
sofort und mit Unterstützung in seine Heimat zurückkehren
konnte. Isildurs Todesring war gefunden worden. Die
mächtigste Waffe, die Mittelerde zu bieten hatte
- und sie sollte zerstört werden. Er zog die Brauen
zusammen. Das war Wahnsinn. Ein Halbling sollte nach
Mordor gehen und die einzige Hoffnung, die Gondor hatte
zerstören. Der Waldläufer, Aragorn, hatte
sich als Isildurs Erbe zu erkennen gegeben. Die Nachrichten
wurden immer ärger. Gondor würde ohne Unterstützung
gegen die Reihen Mordors ankämpfen müssen,
aber das Volk der Menschen hatte sich noch nie so einfach
seinen Feinden ergeben. Auch dieses Mal nicht. Er würde
zu seinem Vater zurückkehren und an der Seite seines
Volkes für die Freiheit kämpfen. Die Reise
war lang. Vielleicht wandelte sich der Sinn des Halblings
noch und sie würden den Ring nach Minas Tirith
bringen. Noch war nicht aller Tage Abend. Wieder fiel
sein Blick auf das Taschentuch in seiner Hand. Er lächelte.
Vielleicht war es gar nicht so schlimm, daß er
noch ein wenig in diesem Haus verweilen mußte.
Er stand auf und zog sich aus. Die Nachtluft strich
ihm über die Haut. Schnell schlüpfte er unter
die warme Decke und es dauerte nicht lange, bis er eingeschlafen
war.
****
Sam fuhr mit einem Satz hoch. Verschlafen blinzelte
er zum Fenster und sah, daß die Sonne gerade erst
im Aufgehen begriffen war. Aus dem Hof hörte er
Waffengeklirr. Er tapste müde zum Fenster und sah
die Frau, die ihn gestern auf dem Flur umgerannt hatte.
Er stöhnte gequält auf und schlich wieder
ins Bett. Er konnte sich nicht helfen, aber er konnte
sie nicht leiden.
Auch Boromir war vom Waffengeklirr aufgewacht und
hatte sich angezogen. Neugierig, wer so früh am
Morgen schon auf den Beinen war, ging er in den Hof,
um es herauszufinden. Er traf im Hof ein und ihm fielen
fast die Augen aus dem Kopf.
Laietha ließ das Schwert kraftvoll auf das
des Elben treffen. „Dravo angorn, Glorfindel!“ rief
die Frau und er Elbe leistete ihrer Bitte Folge. Er
ließ das Schwert mit noch größerer
Kraft niedersausen. Laietha drehte sich geschickt zur
Seite, parierte und ging selbst zum Angriff über.
Glorfindel lachte. „Rinc hen maer, Annaluva!” lachte
er. „Hennaid evyr!“ Wieder trafen die Klingen aufeinander
und die Frau bewegte sich mit großer Geschicklichkeit.
Boromir zog bewundernd die Augenbraue hoch. Die aufgehende
Sonne reflektierte auf den Klingen. „Meine Güte,
wenn ich nur so kämpfen könnte.“ Boromir sah
erstaunt in die Richtung, aus der die Stimme gekommen
war. Er sah Merry, der mit offenem Mund den Kampf beobachtete.
Der Krieger grinste. „Bemerkenswerte Technik,“ nickte
der Krieger anerkennend. Merry grinste breit. „Und ganz
schön freizügige Kleidung.“ Nun war Boromir
wirklich mehr als erstaunt - wenn er auch zugeben mußte,
daß der Hobbit Recht hatte.
Sam verdrehte die Augen. Das Geschrei und das Scheppern
der Waffen wollte einfach nicht leiser werden - ganz
im Gegenteil. Mißmutig erhob er sich und zog sich
an. Mit mürrischem Gesicht schlich er in den Hof.
Dort hatte der Kampf gerade seinen Höhepunkt erreicht.
Glorfindel trieb Laietha mit kräftigen Schlägen
zurück. Sie wehrte sich tapfer, aber es sah aus,
als würde sie den Kampf verlieren. Sam stellte
sich neben Merry und den Mann, den er als Boromir kannte.
„Was für ein Krach am Morgen!“ klagte er. Die beiden
Männer wandten ihren Blick keine Sekunde vom Geschehen
ab. „Wunderbare Technik,“ sagten sie wie aus einem Munde.
Plötzlich wurde ein Schrei laut. „Vorsicht!“
Laietha hatte es geschafft, mit einem mächtigen
Hieb Glorfindel das Schwert aus der Hand zu schlagen.
Die Waffe sauste durch die Luft und bohrte sich nur
wenige Zentimeter neben Sam in die Erde. Der Hobbit
schnappte aufgeregt nach Luft. „Habt ihr das gesehen?“
schnaubte Sam aufgebracht. Merry und Boromir nickten
eifrig. „Wunderbarer Schlag!“ riefen sie wie mit einer
Stimme.
Laietha kam zu ihnen gerannt. Sie atmete heftig.
„Ist alles in Ordnung? Jemand verletzt?“ Sam warf ihr
einen giftigen Blick zu. „Könnt ihr nicht besser
aufpassen? Fast hättet ihr mich umgebracht! Und
was soll dieser Lärm am frühen Morgen? Es
gibt Leute, die noch schlafen wollen!“ Laietha schob
trotzig die Unterlippe vor. „Ihr habt wohl gesehen,
daß wir gekämpft haben. Wenn ihr nicht genügend
Abstand haltet, ist es eure eigene Schuld.“ Sam wurde
puterrot im Gesicht und schnappte hörbar nach Luft.
„Man sollte einer Frau sowieso kein Schwert in die Hand
geben!“ Laietha verengte ihre Augen zu Schlitzen. „Nur
machen Orks keinen Unterschied zwischen Mann und Frau,
bevor sie euch den Bauch aufschlitzen und euch an eurem
eigenen Blut ersticken lassen!“ Die beiden starrten
sich böse an. Merry packte Sam am Arm. „Ich hab
Hunger! Laß uns was zum Frühstück suchen.“
Boromir sah amüsiert zu ihr hinüber. „Nun,
ihr müßt euch gewiß nicht vor Orks
fürchten, Laietha. Ihr seid geschickt mit dem Schwert.“
Herausfordern blickte sie ihn an. „Wenn ihr wollt könnt
ihr ja gerne gegen mich antreten.“ Er schüttelte
den Kopf. „Um alles in der Welt, nein! Ich will euch
nicht wehtun!“ Er zeigte mit den Händen auf die
leere Seite, an der sonst sein Schwert zu hängen
pflegte. „Und ich bin unbewaffnet. Außerdem werdet
ihr sicher erschöpft sein.“ Laietha reckte ihr
Kinn in die Höhe. „Habt ihr Angst zu verlieren,
Herr?“ Er brach in Gelächter aus. Die Frau drehte
sich geschwind um und rief Glorfindel etwas in der Sprache
der Elben zu. Der Elb reichte Boromir sein Schwert.
Laietha lächelte ihn spöttisch an. „Keine
Bange, ich werde euch nicht verletzen, mein Herr.“ Boromir
schnaubte. Als ob er Angst hätte, zu verlieren!
„Laßt uns um einen Preis kämpfen, Herrin.
Der Gewinner hat einen Wunsch frei.“ Sie lachte laut.
„So sei es! Gewinne ich, werdet ihr mir heute abend
den Wein servieren!“ Er grinste schief. „Ich werde meinen
Wunsch erst später äußern, sonst sagt
ihr noch, ihr hättet absichtlich verloren!“
Ihre Klingen trafen sich und Boromir mußte
zugeben, daß sie wirklich gut war. Ihre Streiche
waren bei weitem härter, als er gedacht hätte.
Laietha trieb ihn zurück. Dann wurde er wieder
Herr seiner Selbst und ging seinerseits zum Angriff
über. Erstaunt stellte er fest, daß sie selbst
während des Duells noch lachte. Und was für
ein Lachen das war! Ihre Wangen glühten, die Augen
leuchteten. Boromir sprang im letzten Moment zur Seite,
als sie das Schwert auf seine ungedeckte Seite sausen
ließ. Er riß erschreckt die Augen auf. Mehr
Konzentration, rief er sich zur Ordnung. Laietha lachte
laut. „Ist es zu früh für euch, Herr? Stehen
die Feinde in Gondor später auf als in Bruchtal?“
Anstelle einer Antwort ließ er ein paar schnelle
kräftige Schläge auf sie niederprasseln. Sie
führte eine schnelle Drehung durch und traf sein
Schwert mit voller Wucht. Ihre Brust hob und senkte
sich bei jedem heftigen Atemzug, den sie nahm.
Merry hatte Recht gehabt - sie war sehr knapp bekleidet.
Der Träger ihres Oberteils war im Kampf von ihrer
Schulter gerutscht und legte ein verlockendes Stück
Schulter frei. Einige ihrer Haare hatten sich gelöst
und die dichten Locken waren ihr ins Gesicht gefallen.
Ihr Mund war leicht geöffnet und ihre blitzenden
Augen verfolgten jede seiner Bewegungen aufmerksam.
Sie schien seine nächsten Schritte schon im Voraus
zu erahnen. Der Stoff rutschte tiefer und Boromir war
eine Sekunde lang unachtsam.
Bevor er wußte, wie ihm geschah, fand er sich
auf dem Boden liegend wieder. Sie hockte auf seiner
Brust und hielt ihm lachend das Schwert vor die Nase.
Ihre Knie drückten seine Arme gegen die Erde und
er konnte sich nicht rühren, selbst wenn er es
gewollt hätte. Sie beugte sich dicht zu seinem
Gesicht herunter. Ein Lächeln umspielte ihre Mundwinkel
und Boromir bot sich ein einladender Anblick. „Wie schade,
daß ich nie erfahren werde, was eure Forderung
gewesen wäre, mein Herr,“ flüsterte sie mit
einem süffisanten Lächeln. Eine ihrer Haarsträhnen
kitzelte ihn im Gesicht. Einen Atemzug lang verharrte
sie, wo sie war, dann stand sie auf und streckte ihm
eine Hand entgegen, um ihm auf die Beine zu helfen.
Er nahm ihre Hilfe an. Sein Blick fiel auf ihre bloße
Schulter und er konnte eine sternförmige Narbe
darauf erkennen. Boromir widerstand der Verlockung,
sie zu berühren. Statt dessen verbeugte er sich
knapp. „Ihr seid in der Tat sehr geschickt, Laietha.
Habt Dank für diese Kostprobe eurer Kunst.“ Sie
lachte herzlich. „Eure Schmeicheleien werden euch nicht
helfen, mein Herr. Ihr habt tapfer gekämpft und
doch verloren. Heute Abend sollt ihr mein Weinkellner
sein. Seid pünktlich, denn ich werde großen
Durst haben.“ Er reichte ihr Glorfindels Schwert zurück.
Bevor sie sich zum Gehen wandte, kam sie dicht an ihn
heran und lächelte kokett. „Tut mir bitte einen
Gefallen, mein Herr.“ Er hob eine Augenbraue. „Zu euren
Diensten, Herrin.“ Sie klopfte ihm leicht gegen die
Brust. Boromir erschauderte unter dieser Berührung.
Das Klopfen wurde zu einem federleichten Streicheln,
als sie langsam davonging und ihre Hand von seiner Brust
glitt. „Nehmt ein Bad!“
Boromir sah sie atemlos entschwinden. Er bewunderte
ihren leichtfüßigen Gang und bemerkte, wie
sie beim Gehen die Hüften wiegte. Die Sonne verwandelte
ihre Haare in ein Meer aus Feuer. Er setzte sich erst
einmal hin und schüttelte ungläubig den Kopf.
Eine Frau hatte ihn geschlagen. In Gedanken ging er
den Kampf noch einmal durch. Wo hatte der Punkt gelegen,
daß er verloren hatte? Er fand keinen. Statt dessen
kehrten seine Gedanken, warum auch immer, zu ihrem wehendem
Haar und ihrem Lachen zurück. „Nehmt ein Bad!“
Boromir sah an sich herab und schnüffelte vorsichtig
an seinem Hemd. Er war wirklich schrecklich verschwitzt.
Nicht gerade die Art und Weise, wie der Stammhalter
des Statthalters auftreten sollte. Er ging zu seinem
Zimmer und nahm ein frisches Hemd zur Hand. Dann machte
er sich auf den Weg zum Badehaus.
****
Laietha schlenderte pfeifend über den Hof Bruchtals.
Merry kam des Weges und hielt sich zufrieden den Bauch.
Jetzt war er satt. Die Elben verstanden wirklich etwas
vom Essen. „Hallo Laietha!“ Sie blickte sich um und
der Hobbit lief schnell auf sie zu. Merry grinste breit.
Sie lächelte den Kleinen freundlich an. „Satt geworden?“
Er nickte eifrig. Merry fragte sie, ob sie denn gar
nichts essen wollte und sie erwiderte, daß sie
sich erst frisch machen wollte. „Hast du mit Boromir
gekämpft?“ Sie nickte. Merry sah sie erwartungsvoll
an. „Und, wer hat gewonnen?“ „Ich.“ Merry grinste. „Ich
wußte es! Tja, da hat Sam wohl seine Wette doch
verloren. Er meinte, Boromir würde dir gehörig
das Fell über die Ohren ziehen. Hey, jetzt muß
er mir die Füße massieren!“ Merry lachte
und stürmte fröhlich davon, um seinen Gewinn
einzufordern. Laietha kam am Badehaus an. Sie freute
sich schon sehr auf ein heißes Bad. Zu ihrer Enttäuschung
mußte sie feststellen, daß die Tür
geschlossen war. Es war also jemand drin. Sie fluchte
leise und wollte gerade zurück zum Palast gehen,
als sie die Neugier packte. Wer da wohl grad ein Bad
nahm? Sie grinste breit und schlich sich ans Fenster.
Laietha stellte sich auf die Zehenspitzen und versuchte
einen Blick durchs Fenster zu erhaschen. Aber die Scheibe
war viel zu hoch oben. Sie überlegte kurz und ihr
Blick fiel auf eine Kiste, die ihr genau die richtige
Größe verschaffen würde, um einen Blick
in das Innere des Gebäudes werfen zu können.
Behend und so leise wie möglich stellte sie die
Kiste unter das Fenster und kletterte hinauf. Laietha
sog scharf den Atem ein.
Boromir hatte sich die Stiefel mit einem Seufzer
der Erleichterung ausgezogen. Er zog das Hemd langsam
über seinen Kopf.
Laietha heftete ihre Blicke auf seinen breiten Rücken.
Dann begann er, sich die Hosen von den schmalen Hüften
zu streifen. Laietha wußte nicht, ob sie erröten
sollte. Sie zog bewundernd eine Augenbraue hoch, als
er in ganzer Blöße mit dem Rücken zu
ihr stand. Ihre Augen ruhten auf seinem Hintern. Sie
reckte sich ein wenig mehr nach vorne, um einen besseren
Ausblick zu erhaschen. Plötzlich spürte sie,
wie die Kiste unter ihren Füßen zu schwanken
begann. Sie versuchte verzweifelt, das Gleichgewicht
zu halten, aber das Unheil war angerichtet. Mit einem
entsetzen Schrei kippte sie nach hinten um und landete
unsanft auf ihrem Po. Erschreckt rappelte sie sich auf.
Sie hörte Schritte aus dem Inneren des Badehauses
und lief schnell davon.
Boromir hatte sich ausgezogen und wollte sich gerade
in die Wanne sinken lassen, als er von draußen
ein mächtiges Getöse hörte. Er fuhr herum
und griff schnell nach einem Handtuch, um seine Blöße
zu bedecken. Als er aus dem Haus trat, sah er eine umgefallene
Kiste unter dem Fenster liegen. Nachdenklich ging er
darauf zu und fand ein Haarband danebenliegend. Er schmunzelte
und suchte den Hof mit seinen Blicken ab. Es war nichts
zu sehen. Er ging zurück ins Gebäude und hängte
ein Handtuch vor das Fenster. Nun, er hatte schon eine
Ahnung, wer da am Fenster gewesen war. Zufrieden lächelnd
ließ er sich mit einem Seufzer in die Wanne sinken.
****
Am späten Nachmittag schien die Sonne noch immer
erstaunlich warm auf Bruchtal hernieder. Frodo und Bilbo
saßen im Garten und Laietha gesellte sich zu ihnen.
Sie zog ihre Pfeife hervor und Frodo beäugte sie
sehnsüchtig, als sie den Rauch genüßlich
ausstieß. Sie blinzelte ihn an und gab ihm lachend
ein wenig Tabak ab. Er bedankte sich und begann ebenfalls
seine Pfeife zu stopfen. Laietha blies ein paar Rauchringe
in die Luft und Frodo machte ihr bald Konkurrenz. Lachend
sahen sie den Abendwolken zu, die das Licht der Sonne
aufsogen und Bilbo gab ein paar seiner Lieder zum besten,
in die sie gutgelaunt einstimmten. Die Zeit zum Abendessen
rückte näher und Laietha verabschiedete sich,
denn sie wollte doch noch zu ihrem Bad kommen, bevor
das Fest am Abend begann.
Als sie über den Hof spazierte, hörte sie
Stimmen, die ärgerlich klangen. Eine davon kannte
sie sehr wohl. Das war Aragorn. Mit wem stritt ihr Bruder?
Laietha schlich sich leise in die Richtung, aus der
die Stimmen kamen. Plötzlich war es still und sie
sah gerade noch, wie Boromir und Aragorn wütend
auseinander liefen. Laietha zog die Augenbraue hoch.
Was hatte das zu bedeuten? Nun, sie würde ihren
Bruder in einer ungestörten Minute dazu befragen.
Jetzt war erst mal die Zeit für ein Bad gekommen.
Aragorn und Boromir sahen sich während des Essens
böse über den Tisch hinweg an. Am frühen
Abend war es zu einem Streit zwischen ihnen gekommen,
denn Boromir hatte wieder damit angefangen, daß
er es für Wahnsinn hielt, den Ring zerstören
zu wollen. Ein Wort hatte das andere gegeben und es
waren häßliche Dinge gesagt worden. Die Hobbits
kümmerten sich herzlich wenig um den Streit der
Menschen, sondern erfreuten sich an dem reichlichen
Essen, das man ihnen vorgesetzt hatte. Gimli hatte sich
zu ihnen gesetzt und bald schon gab es ein Wettessen
zwischen den Hobbits und dem Zwerg, bei dem die Auenländer
als klare Sieger hervorgingen und Gimli sich kaum noch
rühren konnte.
Die Tür öffnete sich und Boromir hielt
den Atem an. Laietha betrat den Raum in einem Kleid
aus sandfarbenem Leinen. Sie trug ihr Haar offen und
die dunklen Locken umschmeichelten ihr Gesicht. Mit
einem sanften Lächeln setzte sie sich neben ihn
und Aragorn warf ihr einen erstaunten Blick zu. Boromir
grüßte sie artig und schenkte ihr ein Glas
Wein ein. Als das Essen vorüber war, eröffnete
Elrond den Unterhaltungsteil des Abends. Es wurde Musik
gespielt, so süß, wie sie Boromir noch nie
zuvor vernommen hatte. Laietha beugte sich zu ihm und
flüsterte ihm die Bedeutung der elbischen Texte
ins Ohr. Dabei berührte ihre Hand beiläufig
seine Schulter und sein Knie lehnte wie zufällig
an ihrem. Legolas nahm später an ihrer Seite Platz
und Boromir lauschte beeindruckt, wie sie sich mit dem
Elben auf Sindarin unterhielt. Ihre Stimme veränderte
ihre Farbe. Sie wurde dunkler und geheimnisvoller, nur
wenn sie lachte klang es hell wie der Ruf der silbernen
Trompeten seiner Heimatstadt.
Merry und Pippin gesellten sich zu dem Mann
aus Gondor und baten ihn nun, ihnen vom Meer zu berichten,
da sie der Hunger beim letzten Mal abgehalten hatte,
seinen Erzählungen zu lauschen. Boromir lächelte
und erzählte ihnen, was sie wissen wollten. Von
Zeit zu Zeit sah er zu Laietha hinüber und sie
fing seinen Blick auf und schenkte ihm ein Lächeln.
Schließlich hob sie bedeutsam ihr leeres Glas
und er brach in Lachen aus und stand auf, um es erneut
zu füllen. Ihre Hände berührten sich
unabsichtlich, als er ihr Glas festhielt, um es noch
einmal zu füllen und die beiden sahen sich in die
Augen. Laietha brach das Schweigen. „Habt Dank, Herr.
Eure Pflicht ist erfüllt. Ich entlasse euch aus
meinen Diensten.“ Boromir schmunzelte und verbeugte
sich vor ihr. „Es war mir ein Vergnügen, Herrin.“
„Laietha.“ Er lachte und ging zurück zu den Hobbits,
die ganz gespannt darauf warteten, ob er noch mehr interessante
Sachen zu erzählen hatte.
Aragorn trat zu seiner Schwester und zog sie unauffällig
in eine abgelegene Ecke des Raumes. Sie sah ihn erwartungsvoll
an. „Was ist, Dunai?“ fragte sie, als sie seinen verstimmten
Blick bemerkte. Er runzelte die Stirn und warf einen
Blick über die Schulter in Boromirs Richtung, der
gerade in eine angeregte Diskussion mit Gimli vertieft
war. Laietha warf ihm einen bedeutungsvollen Blick zu.
„Halte dich fern von ihm, Laietha. Er ist kein guter
Umgang.“ Sie brach in schallendes Gelächter aus,
aber Aragorns Blick blieb ernst. Sie schüttelte
den Kopf. „Ich weiß nicht, was du meinst, Dunai.
Er ist ein Gast unseres Vaters und ich habe mich nur
mit ihm unterhalten. Ist das verboten?“ Er schüttelte
ärgerlich den Kopf. „Verkaufe mich nicht für
dumm, Laietha. Ich habe gesehen, wie er dich angesehen
hat - und du ihn. Ich will nicht, daß du dich
mit ihm einläßt. Er ist nicht gut für
dich.“ Jetzt wurde auch sie verärgert. „Behandle
mich nicht wie ein Kind, Aragorn. Mit wem ich mich unterhalte,
entscheide immer noch ich alleine.“ Sie wandte sich
zum Gehen um, aber er hielt sie am Handgelenk fest.
„Ich bitte dich, dich von ihm fernzuhalten.“ Laietha
funkelte ihn an. „Dann laß es das nächste
Mal wie eine Bitte klingen, nicht wie einen Befehl,
Aragorn.“ Sie entzog sich seinem Griff und kehrte zurück
an den Tisch. Aragorn blickte ihr finster hinterher.
Das Fest neigte sich dem Ende zu. Ein gewaltiges
Feuer war im Kamin entzündet worden und Bilbo begann
einige seiner Geschichten zum besten zu geben. Menschen,
Elben, Zwerge und Hobbits lauschten gespannt. Boromir
betrachte Laietha im Schein des Feuers. Aragorn durchbohrte
ihn mit seinen Blicken, aber der Gondorianer ließ
sich davon nicht beeindrucken. Laietha unterdrückte
ein Gähnen. Boromir lächelte. „Seid ihr müde,
Laietha?“ Sie lächelte ihn verschmitzt an. „Oh
nein, aber ich kenne die meisten seiner Geschichten
schon. Vielleicht brauche ich nur ein wenig frische
Luft.“ Sie erhob sich und er bat darum, sie begleiten
zu dürfen.
Sie gingen hinaus in den Park und ihr Atem kondensierte
in der kalten Abendluft. An einem kleinen Rondell hielten
sie an. Laietha lachte. „Die Kälte hat meine Lebensgeister
wieder geweckt!“ Sie schlang ihren Schal fest um ihre
Schultern. Boromir beobachtete, wie sich das Mondlicht
in ihrem Haar fing. Grinsend griff er in seine Tasche
und zog das Haarband hervor, das er vor dem Badehaus
gefunden hatte. Er reichte es ihr und sah, wie sie errötete.
„Ich dachte, ihr würdet es vielleicht vermissen.“
Verlegen murmelte sie ein Dankeschön und ließ
es in ihrer Hand verschwinden. Sie blickte zu den Sternen
empor und Boromir tat es ihr gleich. Lange sagte niemand
etwas. Laietha begann zu frieren. Boromir bemerkte es.
Er legte ihr einen Arm um die Schulter. Sie zog sich
nicht zurück und er atmete erleichtert auf. Laietha
drängte sich dichter an ihn heran. Seine Wärme
tat gut. „Sind es die selben Sterne wie in Gondor, mein
Herr?“ Er folgte ihrem Blick und nach einer Weile des
Überlegens bejahte er die Frage. Laietha lächelte.
„Wie nennen die Elben diesen Stern?“ fragte er und deutete
auf einen rötlichen Stern am Himmel. Er streifte
dabei ihre Wange. „Carnil.“ Wieder hatte ihre Stimme
diesen vollen Ton angenommen, wenn sie die Sprache der
Elben benutzte. Sie begann zu zittern. Aus einem Reflex
heraus schloß Boromir sie fest in den Arm. „Ihr
werdet euch zu Tode frieren, Herrin. Wir sollten hineingehen.“
Zähneklappernd nickte sie.
Als sie auf dem Weg in die Festhalle waren, hielt
Laietha ihn am Arm fest. Überrascht sah er sie
an. Sie verbeugte sich knapp. „Ich bin müde, mein
Herr. Ich werde zu Bett gehen.“ Boromir bat darum, sie
zu ihrem Zimmer zu begleiten. Sie erlaubte es ihm. Als
sie vor ihrer Tür angekommen waren, sah sie ihn
spitzbübisch an. Er legte die Stirn in Falten.
„Was habt ihr, Herrin?“ Sie lächelte. „Ich frage
mich schon den ganzen Abend über, was euer Preis
gewesen wäre, hättet ihr mich besiegt.“ Boromir
lächelte. „Mein Wunsch wäre vermessen gewesen.
Ich wage nicht, ihn einer so holden Frau wie euch zu
nennen.“ Sie sah ihn herausfordernd an. „Nennt ihn mir,
denn nun habt ihr meine Neugier geweckt. Ich muß
ihn ja nicht einlösen, denn schließlich habe
ich gewonnen und nicht ihr.“ Boromir legte die Hand
an ihre Wange und lächelte sie an. „Ein Kuß
von euren Lippen.“ Laietha runzelte die Stirn. „Ein
hoher Preis, in der Tat. Dennoch muß ich gestehen,
daß ihr tapfer gekämpft habt. Euer Wunsch
sei gewährt.“
Boromir nahm ihr Gesicht in seine Hände und
sah ihr lange in die Augen. Dann lächelte er und
schüttelte den Kopf. „Ihr seid mehr als gütig,
Frau Laietha, aber ich habe ihn mir nicht verdient.“
Es hatte ihn übermenschliche Überwindungskraft
gekostet, sie nicht zu küssen. Die Frau lachte.
„Dann nehmt das als Dank dafür, daß ihr mich
draußen vor dem Kältetod bewahrt habt.“ Sie
griff nach seinem Gesicht und hauchte ihm einen sanften
Kuß auf die Lippen. Boromir legte seine Arme um
ihre Schultern. Sie löste ihre Lippen von seinen
und beide sahen sich lange an. Schließlich faßte
er sich ein Herz und zog sie fest an sich, um sie noch
einmal zu küssen. Sie legte ihm die Hände
auf die Hüften und drückte sich gegen ihn,
während sie seinen Kuß erwiderte. Sie lösten
sich nach einer Weile, nur um sich tief in die Augen
zu blicken und sich noch einmal zu küssen. Boromirs
Hände glitten durch ihr Haar und sie umschloß
seine Hüfte mit ihren Armen. Der Kuß wurde
leidenschaftlicher. Ihre Hände wanderten über
seinen Rücken und als ihre Lippen sich lösten,
glitt sein Mund zu ihrem Hals. Laietha stieß mit
einer Hand die Tür zu ihren Gemächern auf
und befreite sich aus seiner Umarmung. Verdutzt sah
er sie an, aber noch bevor er Fragen stellen konnte,
hatte sie ihn mit sich in ihr Reich gezogen. Sie nahm
ihn bei der Hand und führte ihn in ihr Schlafzimmer.
Ein wenig überrumpelt sah er sie an. Laietha lächelte
herausfordernd. „Habt ihr Angst, mein Herr?“ Sein Blick
blieb ernst und er nickte. „Um euch, Laietha. Ihr wißt
nicht, was ihr tut, fürchte ich.“ Sie schmunzelte
und ging langsam auf ihn zu, ohne ihren Blick von seinen
Augen abzuwenden. Sie legte ihm die Hände auf die
Brust. „Es steht dir frei zu gehen, Boromir.“
Er sollte jetzt gehen! Es war zu verlockend, aber
es gehörte sich nicht, jetzt hier alleine mit ihr
zu sein. Er hatte wohl bemerkt, daß sie Herrn
Elrond wie eine Tochter war. Er durfte nicht in ihrem
Zimmer sein. Das würde einen Skandal geben! Der
Duft ihres Haares stieg ihm in die Nase, er trank ihr
Lächeln mit seinen Blicken, als wäre es süßer
Wein. Er sollte gehen!
Boromir beugte sich zu ihr herunter und küßte
sie. Es hatte ein Gutenachtkuß werden sollen,
aber als er sich von ihr löste und in ihre Augen
sah, fand er sie von einem dunklen Feuer erfüllt,
das ihn zu verbrennen drohte. Sie drängte ihren
Körper gegen seinen und Boromir zog sie in seine
Arme, küßte ihre Lippen, ihren Hals. Laietha
seufzte leise und er spürte ihre Hände auf
seinen Schultern. Er mußte sich jetzt losreißen,
wenn er noch gehen wollte. Er mußte gehen!
Nur noch ein letzter Kuß.
****
Der Morgen graute und Boromir strich ihr die Haare
aus dem Gesicht. Die Sonne streckte vorsichtig ihre
Finger durchs Fenster. Sie bedeckte seine Schultern
mit vorsichtigen Küssen und ihre Hände glitten
über seine Brust. Er preßte sie an sich und
konnte die Augen nicht von ihr wenden. Boromir hob ihr
Kinn an und hauchte ihr einen Kuß auf den Mund.
Seine Hände streichelten ihren Rücken und
er ließ seine Lippen über ihren Hals zu ihrer
Schulter wandern. Sein Blick fiel wieder auf die sternförmige
Narbe und er strich mit seinem Finger sanft darüber.
Es war nicht die einzige Narbe an ihrem Körper,
wie er in der Nacht entdeckt hatte, aber diese hier,
stach durch ihre Form hervor. „Was hast du da gemacht,
Laietha?“ Sie drückte ihren Kopf gegen seine Schulter.
„Ich war noch sehr klein. Orks überfielen meine
Familie und töteten alle bis auf mich. Ich wäre
fast gestorben, aber man brachte mich hierher zu den
Elben und ich wuchs unter ihnen auf, als Ziehtochter
Elronds. Die Narbe ist das einzige, was mich an diesen
Tag erinnert.“ Er sah sie lange an. „Ich danke den Elben,
daß sie dich gerettet haben.“ Laietha schmunzelte.
„Es war ein Mensch, der mich hierher brachte - kein
Elb.“ Boromir griente breit, als er seine eigenen Worte
erkannte. Bei den Valar, sie war nicht nur schön,
sondern auch klug.
Der Krieger gähnte herzhaft und Laietha kicherte.
Sie hatten die ganze Nacht über kein Auge zugetan,
aus Angst zu erwachen und herauszufinden, daß
alles nur ein Traum war. „Ich sollte mich umziehen gehen,“
grinste er und dachte an den langen Tag, den er vor
sich hatte. Schließlich wollte er mit Merry und
Pippin die Parks erkunden. Oh, beim Turm von Ecthelion,
wenn Herr Elrond herausbekam, daß er seine Tochter
entehrt hatte...aber er hatte, um ehrlich zu sein, nicht
das Gefühl gehabt, daß er Laietha die Unschuld
geraubt hatte.
Boromir schwang seine langen Beine aus dem Bett und
suchte seine verstreuten Kleider zusammen. Bei der Erinnerung
an den letzten Abend mußte er lachen. Laietha
beobachtet ihn aufmerksam während er sich anzog.
Als Boromir nach seinem Hemd griff, riß er die
Augen auf. „Laietha, was hast du nur gemacht?“ fragte
er kopfschüttelnd und zeigte ihr den langen Riß
im Gewebe. Sie prustete los und betrachtete das ruinierte
Kleidungsstück von Nahem. Sie strich ihm über
das Haar. „Warte, ich werde es nähen.“ Geschwind
stand sie auf und Boromir zog sie für einen Kuß
zu sich. „Wenn du mit Nadel und Faden so geschickt wie
mit dem Schwert bist, wird man nichts mehr davon erkennen.“
Sie grinste schelmisch. „Nicht annährend, aber
es wird reichen, daß man dir auf dem Weg in dein
Zimmer keine dummen Fragen stellt.“
Nicht ohne Bedauern beobachtete Boromir, wie sich
Laietha anzog und dann Nadel und Faden zur Hand nahm,
um sein Hemd zu flicken. Er ließ sich zurück
in die weichen Kissen fallen und sah ihr zu, wie sie
arbeitete. Laietha begann eine Melodie zu summen und
war so versunken in Gedanken, daß sie leise zu
singen begann. Boromir lauschte aufmerksam den fremden
Worten. „Was für ein Lied ist das? Es ist schön.“
Sie lächelte verlegen. „Es handelt von einer großen
Schlacht der Elben gegen Morgoth.“ Er hatte gar nicht
gewußt, daß die Elben noch andere Lieder
hatten, als Geschichten von Liebe und mußte schmunzeln.
„Bitte sing weiter. Ich höre dir gerne zu.“ Mit
einem Lächeln stimmte sie das Lied erneut an und
er schloß die Augen, bis er nichts mehr als ihre
Stimme hörte.
Laietha war fertig und ging zum Bett zurück.
Boromir hatte die Augen geschlossen und schlief tief
und fest. Die Morgensonne schien ihm warm ins Gesicht
und sie brachte es nicht übers Herz, ihn zu wecken.
Behutsam küßte sie ihn und schlich sich aus
dem Zimmer.
Boromirs Fehlen blieb bis nach dem Frühstück
unbemerkt. Merry und Pippin trösteten sich schnell
mit Laiethas Gesellschaft und Aragorn war nicht wirklich
böse darüber, den Mann Gondors nicht sehen
zu müssen. Seine Überheblichkeit ging ihm
gegen den Strich. Er war stur, arrogant, patriotisch,
machthungrig, rechthaberisch und zu allem Übel
interessierte er sich anscheinend für seine Schwester!
Aber er mußte sich um Wichtigeres kümmern.
Eine lange Reise stand ihnen bevor.
****
Elrond hatte überall Kundschafter ausgesandt,
die herausfinden sollten, ob ihnen noch Gefahr drohte.
Und der Elbenherr suchte noch immer nach den zwei fehlenden
Begleitern für die Gemeinschaft des Ringes. Bis
jetzt waren es sieben. Der Halbling Frodo und sein Gärtner
Sam hatten sich gemeldet, den Ring nach Mordor zu bringen
und wohlwollend hatte Elrond zur Kenntnis genommen,
daß sein Ziehsohn ihn begleiten würde. Ebenfalls
würde Mithrandir mit ihnen gehen. Gloins Sohn Gimli
hatte die Gemeinschaft begleiten wollen, nachdem Thranduils
Sohn Legolas seine Unterstützung zugesichert hatte.
Und zu guter Letzt hatte sich der Sohn des Statthalters
von Gondor dem Willen des Rates gebeugt. Elrond war
nicht allzu begeistert von der Entscheidung des Mannes,
denn er hatte kein gutes Gefühl bei ihm. Denethors
Sohn war als Sturkopf bekannt, der nicht gerne Rat annahm
und sich keiner Fügung beugte außer seiner
eigenen. Es würde große Probleme in der Gruppe
geben, wenn er und Aragorn aneinander gerieten. Gandalf
würde keine leichte Aufgabe haben. Nun fehlten
ihm noch die restlichen beiden Begleiter der Gruppe.
Neun Gefährten gegen die neun Ringgeister - so
hatte er es sich gedacht. Jetzt waren alle freien Völker
Mittelerdes vertreten - mehr oder weniger häufig.
Er hatte daran gedacht, seine beiden Söhne mitzuschicken,
aber sie waren noch unterwegs, um den Weg auszukundschaften.
Und wer weiß, ob der Zwerg es akzeptieren würde,
dachte er bei sich. Und was sollte er nur mit den beiden
anderen Halblingen anfangen? Er würde Aragorn an
diesem Nachmittag bitten, mit den anderen Kundschaftern
auszuziehen.
Die Tür öffnete sich und ohne sich umzusehen,
erkannte er an den leichten Schritten, wer den Raum
betreten hatte. „Was hast du, Vater? Du siehst nachdenklich
aus.“ Elrond drehte sich um und sah seine Ziehtochter
an, die neugierig zu ihm hinüberschielte. „Ich
bin in der Tat ratlos, Laietha.“ Er schilderte ihr seine
Gedanken und biß sich im nächsten Moment
dafür auf die Zunge. Hoffnung flammte in ihren
Augen auf.
„Laß mich mit ihnen gehen, adar. Du weißt,
daß ich eine gute Kriegerin bin. Selbst Glorfindel,
einen deiner besten Männer, habe ich mehr als einmal
geschlagen. Und ich fürchte keine Gefahr! Hast
du nicht Männer aus allen freien Völkern ausgewählt?
Aragorn der Dunadain und Boromir aus Gondor!“ Elrond
sah sie lange an. „Und für welches Volk willst
du gehen, meine Tochter?“ Sie senkte den Kopf. Ja, sie
wußte nicht woher sie stammte. Von Menschen geboren,
von Elben großgezogen. Sie verbeugte sich. „Laß
mich als Vermittler zwischen Menschen und Elben gehen.
Ich werde dich nicht enttäuschen, adar.“ Er senkte
den Kopf, als er an die gefahrvolle Reise dachte. „Ich
werde mich jetzt noch nicht entscheiden, aber ich habe
deinen Willen gesehen und werde an ihn denken, wenn
die Zeit reif ist.“ Enttäuscht nickte sie und verließ
den Raum. Elrond seufzte. Sie hatte Recht. Laietha beherrschte
das Kriegshandwerk besser als viele Menschenmänner,
aber sie war seine Tochter und er hatte Angst um sie.
Er mußte jemand anderen finden.
****
Die Sonne hatte sich hinter den Wolken versteckt
und ein kalter Wind war aufgekommen. Er blies mit aller
Kraft und riß die letzten Blätter von den
Bäumen. Bald würde der Winter endgültig
den Herbst vertreiben. Gandalf und die Hobbits hatten
sich verabschiedet und sich zu einem kleinen Schläfchen
hingelegt, nur der alte Bilbo saß im großen
Festsaal und hatte sein Buch auf dem Tisch zu liegen.
Laietha setzte sich neben ihn und grüßte
ihn artig. Der alte Hobbit lächelte sie freundlich
an. „Hallo Kindchen. Wo habt ihr denn euren Freund gelassen?“
Laietha riß erstaunt die Augen auf und Bilbo kicherte
heiser. „Mir könnt ihr nichts vormachen, Mädchen,
ich kenne euch nun schon fast euer ganzes Leben lang.
Glaubt ihr, ich hätte keine Augen im Kopf? Der
junge Krieger gefällt euch, nicht wahr?“ Laietha
lächelte. „Ihr habt recht, Herr Beutlin. Erinnert
ihr euch noch an den Tag, als ich das Schwert meines
Vaters zerbrach, weil ich mit euch spielte und einen
Drachen töten wollte?“ Der Hobbit lachte laut.
„Wie könnte ich das vergessen? Wir haben es versteckt
und nie jemandem davon erzählt. Bis ich von dieser
Welt gehe, soll es unser Geheimnis bleiben!“ Laietha
lächelte dankbar. „Ihr wart schon immer mein Vertrauter,
Bilbo. Darum bitte ich euch nun - behaltet auch für
euch, was ihr beobachtet habt.“ Bilbo grinste verschmitzt.
„Das werde ich, Kindchen, aber ihr müßt mir
sagen, was das mit euch und dem Krieger ist.“ Sie lachte
herzlich und begann Bilbo zu berichten.
Laietha wollte vor dem Abendessen noch etwas ausreiten.
Sie hatte sich von Bilbo verabschiedet und lief durch
die langen Flure, um in den Hof zu gelangen. Dann sah
die junge Frau eine vertraute Gestalt in Richtung ihres
Zimmers gehen. „Dunai!“ rief sie fröhlich und lief
zu Aragorn. Er lächelte sie an. „Dich habe ich
gesucht. Ich wollte mich verabschieden.“ Laiethas Herz
sank bis in die Zehen. „Du willst schon fort? Nach Gondor?“
Überrascht sah er sie an. Er erzählte ihr,
daß Elrond ihn auf Kundschaft schickte. Aber ihr
Gesicht hatte zu viel verraten, das sie nicht hatte
preisgeben wollen. „Hast du Boromir gesehen?“ fragte
er streng. Laietha schüttelte verärgert den
Kopf. „Warum sollte ich? Niemand hat mir befohlen, ihn
zu beobachten. Er ist Gast und kann gehen wohin er will.
Ich weiß nicht, wo er ist.“ Aragorn nahm sie bei
den Schultern. „Ich bitte dich erneut, laß dich
nicht mit ihm ein. Er ist gefährlich. Wer weiß,
was er im Sinn hat.“ Laietha verzog das Gesicht. „Es
geht dich nichts an, mit wem ich mich treffe, Aragorn.“
Er lockerte seinen Griff nicht. „Sei vorsichtig.“ Laietha
glaubte einen Funken Eifersucht in seinem Gesicht zu
sehen. „Ich liebe dich mehr als jeden anderen, Aragorn.
Das weißt du!“ Er machte noch immer ein besorgtes
Gesicht und sie küßte ihn lachend auf den
Mund. Aragorn umarmte sie fest und verabschiedete sich
von ihr. Er hatte kein gutes Gefühl, was seine
Schwester und Denethors Sohn anging, denn er kannte
beide gut. Aber seine Ziehschwester hatte sich noch
nie besonders viel sagen lassen. Hoffentlich beging
sie keine Dummheit. Schweren Herzens, machte er sich
auf den Weg und Laietha winkte ihm nach, als er davonging.
****
Boromir erwachte und brauchte einen Moment, bis er
sich gewahr wurde, wo er sich befand. Er lächelte
vor sich hin, als er an die letzte Nacht dachte. Während
er so dasaß, schüttelte er den Kopf. Dieses
Mädchen hatte sein Herz erobert, wie noch keine
zuvor - obwohl er bei weitem schönere und edlere
Frauen gekannt hatte. Er stand auf und streifte sich
sein Hemd über den Kopf. Sie hatte es zwar nicht
perfekt genäht, aber doch erstaunlich gut. Boromir
streckte sich und sein Magen knurrte laut. Als er nach
draußen sah, war er erstaunt, wie lange er geschlafen
hatte. Zuerst würde er ein Bad nehmen und dann
würde es auch schon Zeit für das Abendessen
sein. Er trat hinaus in den Flur und hörte Stimmen.
Zunächst dachte er sich nichts dabei, aber dann
erkannte er erst ihre und dann die Stimme des Waldläufers.
Neugierig blickte er um die Ecke. „Ich liebe dich mehr
als jeden anderen, Aragorn. Das weißt du!“ Boromir
hielt den Atem an. Wie in einem schlimmen Traum sah
er, wie sie ihn küßte und er sie an sich
drückte. Der Mann fühlte, wie ihm der Boden
unter den Füßen wegbrach. Das konnte nicht
sein! Der Waldläufer löste sich von ihr und
kam in seine Richtung. Schnell drückte er sich
in eine Nische und verhielt sich ganz still, als der
Mann an ihm vorbei lief. Völlig aufgewühlt
wartete er, daß der Gang leer war und lief auf
sein Zimmer.
****
Laietha vermißte Boromir beim Abendessen. Auch
von den anderen hatte ihn niemand gesehen. Sie schmunzelte.
Vielleicht war er so erschöpft gewesen, daß
er auf sein Zimmer gegangen und eingeschlafen war. Er
würde gewiß Hunger haben, wenn er erwachte.
Heimlich packte sie etwas frisches Brot und ein paar
Früchte zusammen und schlich nach dem Essen zu
seinem Raum, um ihn sanft zu wecken.
Vorsichtig klopfte sie an die Tür. Es kam keine
Antwort. Sie lächelte. Der Mann schien fest wie
ein Toter zu schlafen! Vorsichtig öffnete sie die
Tür und sah ihn in einem Stuhl sitzen und zum Fenster
hinaus sehen. Bevor sie etwas sagen konnte, hörte
sie seine Stimme. Sie klang schroff. „Was willst du.
Ich habe dich nicht hinein gebeten.“ Laietha zog die
Augenbraue hoch. Sie stellte das Essen auf den kleinen
Tisch und ging zu ihm. Er sah sie finster an. „Du bist
nicht erwünscht, Herrin.“ Laietha stemmte die Hand
in die Hüfte. „Mit welchem Recht redest du so mit
mir? Habe ich dir etwas getan?“ Boromir sprang auf und
packte sie an der Schulter. „Verschwinde, Laietha, bevor
ich meine Manieren vergesse.“
Die Frau funkelte ihn böse an und riß
sich los. So, er hatte also nur mit ihr gespielt. Sie
kniff die Lippen über diese Kränkung zusammen,
denn schließlich war sie gewarnt worden. „Aragorn
hatte völlig Recht als er...“
Allein, daß sie die Frechheit hatte, seinen
Namen zu erwähnen, brachte ihn in Rage. „Aragorn!
Warum hast du mir nichts gesagt?“
Sie sah ihn verstört an. „Dann weißt du
es? Ich habe mir nichts dabei gedacht. Ich hielt es
nicht für wichtig.“ Boromir schnappte nach Luft.
„Nicht wichtig? Du spielst mit mir und wagst es mir
zu sagen, du hättest es nicht für wichtig
gehalten? Pack dich, Laietha!“ Er erhob drohend seine
Hand.
Laietha sah ihn verständnislos an. „Wovon redest
du? Hast du den Verstand verloren?“ Boromir schüttelte
den Kopf. „Bist du des Wahnsinns, Weib? Du küßt
ihn und sagst ihm, daß du ihn liebst und dann
kommst du zu mir und...“ Laietha brach in Gelächter
aus. Er sah sie an, als wäre sie toll.
„Was hast du gesehen, Boromir?“ lachte sie. Boromir
drehte sich wütend um. Wenn sie nicht sofort ging,
würde er sich vergessen. Sie wagte es auch noch,
ihn zu verhöhnen! Er hörte, wie sie sich wieder
beruhigte und fühlte ihre Hand auf seiner Schulter.
„Boromir.“ Er reagierte nicht. Sie drehte ihn sanft
zu sich um und er sah, daß sie inzwischen ernst
geworden war.
„Natürlich liebe ich ihn.“ Er schnappte nach
Luft, aber sie legte ihm einen Finger auf die Lippen.
„Er war der Mensch, der mich im Wald fand, als ich ein
Kind war. Ich liebe ihn wie meinen leiblichen Bruder.
Ist es verboten, seinen Bruder zu küssen.“ Boromir
starrte sie nur fassungslos an. Er öffnete und
schloß den Mund ein paar Mal, ohne etwas sagen
zu können. Laietha zog ihn in ihre Arme. „Dummkopf!“
lachte sie und küßte ihn sanft.
Boromir war, als wäre ihm ein Stein vom Herzen
gefallen. Er schloß Laietha fest in den Arm. Sein
Magen knurrte und sie lachte. „Wußte ich es doch,
daß du noch nichts gegessen hast.“ Sie nahm ihn
bei der Hand und zog ihn zu dem Korb, aus dem es appetitlich
nach frischem Brot roch.
~~~~~
zum
3. Teil --->
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