Titel: Annaluva - Teil 2
Autor: Naurdolien


Elf Jahre später: 

Die Oktoberwinde rissen heftig an den Blättern Bruchtals und Laietha zog ihren Schal fester um die Schultern. Der Abend dämmerte und die Luft war empfindlich kühl. Sie stand auf dem Balkon, von dem aus man in den Hof sehen konnte und wartete darauf, daß ihr Bruder Aragorn endlich heimkehren würde - wie schon seit vielen Monaten. Und wieder konnte sie keine Spur von ihm entdecken.

„Er wird kommen, meine Tochter. Ich habe bereits einige Männer ausgeschickt, um nach ihm zu suchen. Er ist nah.“ Laietha sah Elrond aus ihren grünen Augen an. Er erahnte, um was sie ihn bitten würde und erhob besänftigend die Hand. „Bald werden wir Kunde von ihm erhalten. Bleibe hier.“ Sie schüttelte den Kopf und hob flehend die Hände. „Vater, ich habe die Männer von Gefahr sprechen hören. Und ist heute nicht der Zauberer gekommen und hat berichtet, daß Aragorn jemanden von großer Wichtigkeit bei sich hat? Ist es daher nicht um so wichtiger, daß wir ihn finden? Laß mich gehen! Du weißt, Ascar ist schnell und stark. Ich werde ihn finden!“
Ein Tumult brach am Tor aus. Einer der Wächter kam eilig gelaufen. „Mein Herr, Glorfindel kommt. Er ist auf dem Weg - und wird verfolgt.“ Gandalf kam aus dem Haus gelaufen. Schnell begriff er, was ihnen die Stunde geschlagen hatte. Elrond eilte sich, mit seinen Männern zum Tor zu gelangen. Dort sahen sie bereits, daß sich ihnen Glorfindel schnell näherte und sie entdeckten auch die neun finsteren Gestalten, die ihm auf dem Fuße folgten. Elrond befahl, den Fluß loszulassen, sobald Glorfindel sein Bett durchquert hatte.

Laietha beobachtet atemlos, wie die mächtigen Wogen des Bruinen die finsteren Reiter davon spülten. Glorfindel kam in den Hof geprescht. In seinen Armen hielt er ein lebloses Bündel. Schnell eilten sie zu ihm hinunter, nur Laietha blieb noch lange auf der Mauer stehen und mit ihren Blicken versuchte sie die Nacht zu durchdringen, wo sie ihren Bruder vermutete. Aber er kam nicht. Auch nicht am folgenden Tag.

****

Zwei Tage waren vergangen, seit der Neffe von Bilbo Beutlin in den Mauern Bruchtals Schutz gefunden hatte und Herr Elrond meinte, der Kleine sei bereits auf dem Weg der Besserung. Laietha half Bilbo auf die Beine und er blickte die junge Frau, die ihn stützte, dankbar an. „Was habe ich euch gesagt, Frau Annaluva, mein Frodo wird es schaffen. Er ist sicher hier eingetroffen und ich zweifle nicht daran, daß er bald schon wieder auf den Beinen sein wird.“ Laietha lachte. Sie mochte den alten Knaben gerne, denn er wußte spannende Geschichten zu erzählen und kannte viele Lieder, die einem noch tagelang im Ohr klangen. „Seid so gut, Herr Beutlin und lest mir noch etwas aus eurem Buch vor.“ Der alte Hobbit grinste diebisch und zog das schwere Buch aus seiner Tasche, als hätte er auf diese Aufforderung nur gewartet. Die Sonne schien mit ihren warmen Strahlen in den Hof. „Nun, zufällig habe ich es dabei. Wo waren wir stehengeblieben?“ Die Kriegerin schmunzelte und lauschte artig, als Bilbo vorlas, wie er und die Zwerge aus den Kerkern Düsterwalds herausgekommen waren. Sie stellte sich vor, wie schrecklich es gewesen sein mußte, in diesen engen Fässern den Fluß hinunterzutreiben. Bilbo war bei der Stelle angelangt, als er und die Zwerge endlich aus den Fässern entkommen konnten, als sie Rufe im Hof vernahm. Schnell sprang sie auf die Beine und lief hinunter. Sie erkannte sofort die Gestalt ihres Bruders, der mit drei weiteren Hobbits eingetroffen war. „Dunai!“ rief sie freudig und ließ sich in seine Arme fallen. Er drückte sie fest an sich und die Hobbits sahen neugierig zu der jungen Frau empor, die sich so über die Ankunft ihres guten Streichers freute. „Wer sie wohl ist?“ fragte Pippin neugierig und Merry zuckte nur mit den Schultern. „Woher soll ich das wissen. Ich bin auch eben erst hier angekommen.“

Groß war die Freude darüber, daß Aragorn endlich eingetroffen war und noch größer war die Erleichterung bei den Hobbits, als sie hörten, daß sich Frodo auf dem Weg der Besserung befand. Sam ließ sich sofort in sein Zimmer führen und war seit dem nur noch zu den wichtigsten sechs Mahlzeiten gesehen.

Die anderen Hobbits wichen nicht von Aragorns Seite und erfuhren nun bald, daß die rothaarige Kriegerin seine Ziehschwester war. Merry mochte sie besonders gerne. Er ließ sich von ihr die schönsten Winkel der Parks zeigen und Pippin lachte laut, immer wenn er mit leuchtenden Augen von seinen Besichtigungen zurückkehrte. Pippin hielt sich eher an Aragorn, denn der schimpfte nicht so streng mit ihm wie Gandalf, wenn er sich aus Versehen in eine brenzlige Situation gebracht hatte.

„Närrischer Tuk!“ hörte man Gandalfs laute ärgerliche Stimme mehr als einmal durch die Gänge schallen, nachdem es in der einen oder anderen Ecke des Palastes verdächtig geklirrt hatte. Und nur kurz darauf sah man einen unglücklich dreinblickenden Hobbit über den Flur schleichen, der sich mit gesenktem Kopf das schmerzende Hinterteil rieb.

Frau Annaluva lachte laut und nahm den Halbling tröstend in den Arm. Sie versicherte ihm mehrmals, daß ihr Vater noch mehr von diesen häßlichen Vasen hätte und Pippin grinste breit.

****

Am Morgen ihres zweiten Tages in Bruchtal vernahmen sie die gute Nachricht, daß Frodo wieder zu sich gekommen wäre. Sam hatte es ihnen als erster berichtet. Am Abend sollte es ein fröhliches Fest geben, um die Genesung des Halblings zu feiern.

Das Fest hatte begonnen und Merry kam nicht umhin, Frau Annaluva immer wieder zu versichern, daß sie in diesem Kleid besonders schön aussehe. Sie lächelte ihn milde an. Frodo trat, immer noch ein wenig blaß um die Nase, aus der Tür und seine Freunde liefen fröhlich zu ihm und es war ein glückliches Wiedersehen. Wie groß war erst Frodos Freude, als er unter den Gästen seinen Onkel Bilbo erblickte! Die nächste Überraschung erwartete die Hobbits, denn als Aragorn den Raum betrat, hätten sie ihren guten Streicher in seinem festlichen Gewand um ein Haar nicht erkannt. Wie stattlich sah er aus! Laietha lächelte, denn nun schien er Isildurs Erbe würdig zu sein.

Laietha selbst unterhielt sich fröhlich mit Legolas, dem Elbenprinzen aus dem Düsterwald. Sie war schon lange nicht mehr in König Thranduils Reich gewesen und freute sich über die Neuigkeiten aus der Ferne. Beunruhigt sah der junge Elb aus, doch so sehr sie sich auch bemühte, konnte sie ihm doch sein Geheimnis nicht entlocken. Das Essen wurde aufgetragen und den Hobbits begann bei seinem Anblick das Wasser im Munde zusammenzulaufen.

Sie erfreuten sich an den herrlichen Speisen, denen fröhlicher Gesang folgte und sogar der alte Spitzbube Bilbo gab ein Liedchen zum besten. Merry faßte sich schließlich ein Herz und forderte Frau Annaluva zum Tanz auf. Pippin fiel fast der Bissen aus dem Mund und Frodo und Sam schmunzelten amüsiert vor sich hin. Die Kriegerin schlug dem Hobbit die Bitte nicht ab und obwohl sie zwischen den eleganten Elben keine gute Figur machten, lachten und scherzten sie viel, während sie das eine oder andere Mal fast über ihre eigenen Füße stolperten. Atemlos kehrten sie auf ihre Plätze zurück und betrachteten das fröhliche Treiben aus sicherer Entfernung.

Lange blieben sie beisammen und die Hobbits konnten sich gar nicht satt sehen an den Elben und der Pracht des Festes. Aber irgendwann konnten sie die Augen vor Müdigkeit nicht mehr offen halten und wurden lachend von den Elben auf ihre Zimmer geführt, wo sie bald in tiefen Schlaf versanken und von den köstlichen Speisen und den wunderschönen Liedern träumten.

Laietha saß noch lange mit ihrem Bruder und ihrem Vater zusammen und der Zauberer Gandalf trat hinzu. Die beiden wechselten einen bedeutungsvollen Blick. Laietha entschied für sich, daß es wohl passender für sie wäre, zu gehen - was sie aber nicht daran hinderte, an der Tür zu lauschen. So erfuhr sie, daß für den nächsten Tag ein Rat angesetzt wurde, bei dem das Schicksal des Einen Ringes besprochen werden sollte. Unruhe erfaßte sie. Es war etwas im Gange. Nicht nur, daß Aragorn in letzter Sekunde einer großen Gefahr entgangen war, auch ihre beiden Brüder Elrohir und Elladan waren noch immer nicht von ihrem Erkundungszug, auf den Elrond sie geschickt hatte, zurück. Laietha mußte erfahren, was dort vor sich ging. Gewiß würde sie am nächsten Tag nicht zu der Versammlung geladen werden. Sie rümpfte die Nase, als sie daran dachte, daß ihr Vater ihr wahrscheinlich sagen würde, das wäre Männersache. Hinter sich hörte sie ein heiseres Kichern und sie drehte sich blitzartig herum. Bilbo Beutlin stand hinter ihr und grinste spitzbübisch zu ihr hinauf. „Hat euch auch der Hunger aus dem Bett getrieben?“ Sie errötete, weil man sie beim Lauschen ertappt hatte. Gerade wollte sie versuchen, eine Erklärung hervorzustammeln, als der Hobbit sich neben sie an die Tür drängte. Er legte den Finger an die Lippen und bedeutete ihr, leise zu sein. „Wir Hobbits haben hervorragende Ohren,“ flüsterte er mit schelmischer Miene und lachte leise. „Aber die Ohren der Elben funktionieren bedeutend besser, Herr Beutlin!“ dröhnte Elronds laute Stimme und eine Sekunde später flog die Tür auf und Laietha und Bilbo stolperten völlig überrumpelt in den großen Raum. Bilbo - alt wie er sein mochte, schaffte es, sein Gleichgewicht zu behalten, aber Laietha fiel der Nase lang hin und sah verdattert zu ihrem Vater hoch. Der Halbelb musterte sie streng. Dann fiel sein Blick auf den Hobbit, der klammheimlich versuchte, sich so unauffällig wie möglich aus dem Staub zu machen. „Wo wollt ihr denn hin, Herr Beutlin?“ fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Oh, ich...ich wollte nur in die Küche, mir ein kleines Nachtmahl holen. Dabei muß ich mich wohl verlaufen haben. Eine gute Nacht wünsche ich euch,“ und flink wie ein Wiesel war er zur Tür hinaus. Laietha hatte sich inzwischen erhoben. Ihr Vater wandte sich nun an sie. „Zeugt das von gutem Benehmen, an der Tür zu horchen wie ein gemeiner Dieb?“ Laietha senkte den Kopf zu Boden. „Nein, adar,“ flüsterte sie beschämt. Aragorn kam auf sie zu und legte den Arm um sie. „Ich bin sicher, sie wollte mich nur daran erinnern, daß es Zeit zum Schlafen ist. Wir sollten alle zu Bett gehen, denn der Morgen ist weiser als der Abend.“ Mit einem Kopfnicken verabschiedete er sich von seinem Vater und Gandalf und führte seine Schwester aus dem Raum. Sie gingen auf ihr Zimmer.

Lange waren sie noch wach. Laietha hatte sich hingelegt und Aragorn saß auf dem Rand ihres Bettes. „Was geht nur in der Welt vor sich, Dunai? Elladan und Elrohir sind noch immer unterwegs und ich kann fühlen, wie das Böse immer mächtiger wird. Sag mir, Bruder, wird es zum Krieg kommen?“ Aragorn dachte sehr lange nach. Er berichtete seiner Schwester von vielen Dingen, die er auf seiner Reise in Erfahrung gebracht hatte - verschwieg ihr aber auch genug, um nicht ihren Wunsch, ihn das nächste Mal zu begleiten, zu wecken.

„Das Böse braut sich zusammen, Laietha. Aber wie ich schon zu Vater sagte, wir sollten jetzt schlafen, denn ich bin müde.“ Er küßte sie auf die Stirn und erhob sich. Laietha zog die Decke hoch und drückte ihren Kopf in die Kissen. Aragorn war schon fast zur Tür hinaus, als sie im Hof Pferdegetrappel hörten. Sofort sprang Laietha auf und eilte ans Fenster und es dauerte keinen Augenblick, da war ihr Bruder an ihrer Seite. Neugierig lugten sie in den Hof. „Was siehst du, Dunai? Sind es unsere Brüder, die gekommen sind?“ Laietha reckte sich, um ihrem Bruder über die Schulter sehen zu können. Wer kam zu so später Stunde noch hierher? Langsam schüttelte Aragorn den Kopf. „Es ist nur einer, ein Mensch.“ Laietha wurde aufmerksam. Sie bekamen in letzter Zeit selten Besuch von den Menschen, aber wenn welche eingetroffen waren, dann war es etwas Wichtiges gewesen. Auch gerade jetzt hielten sich Menschen in Bruchtal auf. Sie waren wegen des Rates am nächsten Tag eingetroffen - alte Männer, die Laietha seltsame Blicke zugeworfen hatten. Ob dieser Besucher auch wegen des Rates gekommen war? „Wir sollten hinuntergehen und rausfinden, wer es ist, meinst du nicht, Dunai?“ Laietha lief schon zu ihren Stiefeln, als Aragorn sie mit einem Lächeln am Ärmel packte und in Richtung Bett zog. „Du wirst es früh genug herausfinden, Laietha.“ Sie öffnete den Mund, um zu protestieren, aber er zog ihren Kopf geschwind an seinen Mund. „Wenn du jetzt schlafen gehst, erzähle ich dir morgen was beim Rat besprochen wurde,“ flüsterte er ihr ins Ohr, und grinste sie an. Sie küßte ihn geschwind auf den Mund. „Du bist der Beste!“ lachte sie und legte sich zurück ins Bett. Aragorn lächelte sie an, warf ihr eine Kußhand zu und verließ den Raum. Laietha wartete, bis er die Tür geschlossen hatte und lief dann leise zum Fenster. Sie versuchte in der Dunkelheit auszumachen, wer der Neuankömmling sein mochte. Ihr Vater und Gandalf traten zu ihm und redeten mit ihm. Einer der Stallburschen führte sein Pferd fort. Laietha schüttelte resigniert den Kopf. Sie war nun mal nur ein Mensch und verfügte nicht über die guten Augen eines Elben. Sie konnte nicht erkennen, wer der Mann war - oder woher er kam. Doch schließlich schlich sich ein Grinsen auf ihr Gesicht. Den Stallburschen hatte sie nämlich genau erkannt.

****

Es war noch sehr früh am nächsten Morgen als Laietha aufstand. Die Sonne streckte gerade neugierig den Kopf über den Bergen hervor. Laietha zog sich ihre Hosen und ihre Stiefel an und schnürte ihr Mieder fest zu. Schmunzelnd dachte sie daran, daß der Stallbursche ihr ja schließlich genau berichten sollte, wer da gestern Nacht so spät eingetroffen war. Sie band ihre langen Haare lose im Nacken zusammen und spähte vorsichtig aus der Tür. Der Flur war verlassen. Mit einem Lächeln im Gesicht stahl sie sich zu den Ställen. Zu ihrer Enttäuschung war der Stallbursche noch nicht da. Sie würde sich also noch ein wenig gedulden müssen. Nun, nichts für ungut, dachte sie sich. Es war ein herrlicher Morgen und wer wußte schon, wie lange das Wetter ihnen noch so wohlgesonnen sein würde. Der Herbst neigte sich dem Ende zu und der Winter stand vor der Tür. Sie griff nach ihrem Schwert und befestigte es an ihrem Gürtel. Dann ging sie zu ihrem Pferd. Sie würde ein wenig ausreiten, dann schmeckte ihr das Frühstück immer doppelt so gut und gestern Abend hatte Merry sie zu einem Pilzwettessen herausgefordert. Da sie den enormen Appetit der Hobbits kannte, hielt sie es für recht und billig, sich einen kleinen Vorteil zu verschaffen.

„Guten Morgen, Ascar. Wie steht es, wollen wir ein wenig ausreiten? Das Wetter ist zu schön, um es nicht zu nutzen.“ Sie strich dem Tier liebevoll über die Flanken. Der Rappe wieherte freudig und sie lachte laut. „Du kannst es auch nicht ertragen, den ganzen Tag über nur untätig auf der Weide zu stehen, nicht wahr?“ Das Pferd schmiegte seinen Kopf gegen ihre Schulter und stöberte mit seinen Nüstern in ihrer Tasche. Der Hengst schnaubte und die junge Frau schmunzelte. „Nein, mein Lieber, auch für dich gibt es erst nachher Frühstück.“

„Ein schönes Tier.“ Laietha wirbelte herum. Sie hatte sich unbeobachtet geglaubt. Hinter ihr stand ein stattlicher Mann, den sie noch nie zuvor gesehen hatte. Er sah weitgereist und ein wenig erschöpft aus. Neugierig musterte er sie von Kopf bis Fuß. Sie erwiderte seinen Blick und versuchte festzustellen, woher er wohl kommen mochte. Ein Lächeln trat auf sein Gesicht. „Ihr seid keine Elbin.“ Laietha schenkte ihm ein schiefes Grinsen. „Oh wirklich! Gut, daß ihr es mir sagt. Ihr seht auch nicht gerade elbisch aus.“ Ein verdutzter Ausdruck trat auf sein Gesicht und sie feixte in sich hinein. Der Fremde schien sich wieder zu fangen. Laietha erkannte ihn als einen Mann aus dem Süden. Er trug einen Mantel, der am Kragen mit Fell verziert war und darunter konnte sie eine Ledertunika erkennen. Vielleicht war er es, der gestern abend so spät eingetroffen war. Sie beschloß, ein wenig freundlicher zu ihm zu sein, denn vielleicht mußte sie gar nicht mehr den Stallburschen befragen. Der würde sowieso Anweisung haben, Stillschweigen zu bewahren. Sie beugte artig den Kopf. „Menschen aus dem Süden sind in Bruchtal willkommen.“ Er wandte seinen Blick noch immer nicht von ihr, als er einen Schritt auf sie zumachte. Der Mann streckte seine Hand nach Ascar aus und gab dem Pferd eine Karotte. Der Hengst schnaubte zufrieden und begann genüßlich zu kauen. Auch er verneigte sich knapp. „Woher kommt ihr, Herrin?“ Sie beschrieb mit ihrer Hand eine knappe Geste. „Ich lebe hier.“ Er sah sie erstaunt an. Ascar stupste ihn mit seiner Schnauze an und warf ihm einen hoffnungsvollen Blick zu. Der Mann zauberte aus seiner Manteltasche noch eine weitere Karotte hervor, die ihm der Rappe freudig abnahm. „Wie heißt ihr, Herrin?“ Er streichelte die Nüstern des Pferdes. Laietha stemmte ihre Hände herausfordernd in die Hüften. „Ihr stellt eine Menge Fragen, mein Herr, ohne selbst etwas über euch preiszugeben.“ Sie erwartete, daß er sich umdrehen und gehen würde, statt dessen verneigte er sich tief und griff nach ihrer Hand. Bevor sie sie wegziehen konnte, hatte er ihr einen Handkuß darauf gehaucht. „Verzeiht, Herrin, mein Name ist Boromir aus Minas Tirith. Zu euren Diensten.“

Laietha wurde rot. Sie wußte sehr wohl wer er war und nun reute es sie, daß sie so respektlos zu ihm gewesen war. „Der zukünftige Statthalter von Gondor!“ wisperte sie beinahe erschrocken und verbeugte sich tief. Er lachte schallend. „Ihr wißt wirklich sehr gut Bescheid. Hat sich meine Ankunft so schnell herumgesprochen?“ Laietha schüttelte den Kopf. „Ich sagte bereits, Menschen aus dem Süden sind hier willkommen. Euer Name ist mir mehr als einmal zu Ohren gekommen. Was führt euch hierher?“ Ascar schubste Laietha, so heftig, daß sie fast gegen Boromir prallte. Er grinste breit. „Euer Pferd scheint ungeduldig auf seinen Ausritt zu warten. Ihr solltet besser aufbrechen, oder ich muß noch ein paar Karotten holen, um ihn zu beruhigen.“ Laietha war eigentlich nicht gewillt, das Gespräch jetzt zu beenden, denn sie hatte gehofft zu erfahren, was einen so hohen Botschafter aus Gondor zu ihnen führte. Dennoch nickte sie und stieg auf ihr Pferd. Sie wollte gerade aus dem Stall reiten, als sie eine Stimme von hinten hörte. „Herrin, nun seid ihr es, die nicht reden will. Verratet mir doch wenigstens euren Namen!“ Sie brachte Ascar zum Stehen und drehte sich um. Der Mann stand neben seinem Pferd und sah ihr nach. Sie lächelte. „Man nennt mich hier Laietha. So sollt auch ihr mich nennen, mein Herr.“ Er nickte mit einem breiten Lächeln. Laietha drehte sich um und ritt aus dem Stall. Die Sonne schien ihr ins Gesicht, und obwohl der Wind kalt war, war es ein schöner Morgen. Sie atmete tief die frische Luft ein. Ascar wieherte vergnügt und als sie in Richtung Tor ritten, verfiel er in einen leichten Trab. Hinter sich hörte Laietha auf einmal das Geräusch von Hufen. Schnell drehte sie sich um, um zu sehen, wer ihr gefolgt war. Sie sah Boromir auf seinem Pferd auf sie zugaloppieren. Mit einem breiten Lächeln kam er neben ihr zum Stehen. „Haltet ein, Frau Laietha, ihr solltet nicht ganz alleine in dieser Gegend ausreiten. Erlaubt, daß ich euch begleite.“

Das Licht fiel durch die letzten verbliebenen Blätter und zauberte ein bewegtes Lichtspiel auf den Waldboden. Sie ritten langsam nebeneinander her. „Wie kommt es, daß ihr den weiten Weg von Gondor auf euch genommen habt, um nach Bruchtal zu kommen? Die Reise ist lang und gefährlich.“ Boromir antwortete nicht sofort, sondern überlegte eine Weile. Wieviel sollte er dem Mädchen erzählen? Schließlich hub er zu sprechen an. „Mein Land befindet sich im Krieg und es steht schlecht. Ich bin gekommen, um Hilfe zu erbitten.“ Laietha nickte gedankenvoll. „Ich habe gehört, daß sich Übel in Mordor regt. Wenn ihr die weite Reise auf euch nehmt, muß es in der Tat schlecht um Gondor bestellt sein.“ Boromir sah sie verdutzt an. Sie schien wirklich sehr gut Bescheid zu wissen. Er hätte nicht so viel von einer Frau erwartet. „Ich kann mich glücklich schätzen. Heute soll ein Rat einberufen werden und Herr Elrond hat mich eingeladen, daran teilzunehmen. Ich hoffe, daß ich mit guten Nachrichten heimkehren werde.“

Sie ritten noch eine Weile nebeneinander her, ohne viel zu sprechen. Boromir konnte seinen Blick nur schwer von ihr wenden. Mochte sie auch keine Elbin sein, so war sie doch hübsch. Das Licht reflektierte in ihrem Haar und er kam nicht umhin, ihre knappe Kleidung zu bemerken. Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht.

Auch Laietha beobachtete ihn von Zeit zu Zeit verstohlen. Einige Male ließ sie sich absichtlich zurückfallen, um einen besseren Blick auf seinen Rücken zu erhaschen. Der Mann hatte die Statur eines Kriegers. Sein Kreuz war breit und unter seinem Hemd konnte sie die starken Arme erahnen. Sie lächelte. Er gefiel ihr. Vielleicht würde sie ihn nach Gondor begleiten. Sie hatte schon viel zu lange herumgesessen und eine Reise mit ihm würde gewiß interessant werden.

Die Sonne war noch höher gestiegen und Laietha bemerkte erst jetzt, wie weit sie schon vom Haus ihres Vaters fort waren. Das Frühstück würden sie gewiß verpassen. Auch Boromir schien es bemerkt zu haben. Er brachte sein Pferd zum Stehen. „Wir sollten umkehren, Frau Laietha. So gerne ich weiter in eurer Gesellschaft reiten würde - ich fürchte es wäre nicht hilfreich zu spät zu Herrn Elronds Rat zu gelangen.“ Laietha nickte. Dann fügte sie mit einem Lächeln hinzu: „Laßt uns sehen, wer zuerst wieder in Bruchtal ist!“ Ohne seine Antwort abzuwarten, trieb sie ihrem Pferd die Fersen in die Flanken und Ascar trug sie in Windeseile davon.

Kurz bevor sie die Mauern Bruchtals erreichten, hatte Boromir sie wieder eingeholt. Gleichzeitig jagten sie durch die geöffneten Tore. Lachend brachten sie die Pferde in den Stall. Ein Bediensteter kam und informierte Boromir, daß man ihn beim Rat erwartete. Er verneigte sich höflich vor Laietha und nahm ihre Hand. Erneut gab er ihr einen Handkuß, aber diesmal machte sie keine Anstalten zurückzuweichen. Er hob den Kopf und sah ihr in die Augen. Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel. „Habt Dank für diesen Morgen, liebe Frau Laietha. Eure Bekanntschaft gemacht zu haben ist mir ein gutes Omen für den Rat. Wenn alle Bewohner Bruchtals so freundlich sind wie ihr, wird man mir gewiß Hilfe nicht verweigern.“ Damit drehte er sich um und ging ins Haus. Laietha sah ihm nach. Sie war gespannt, was Aragorn ihr später über den Rat berichten würde.

****

Als sie auf den Palast zulief, kamen ihr Merry und Pippin entgegen. Merry grinste breit. „Willst du dich vor dem Wettessen drücken, Laietha? Das Frühstück ist längst vorbei. Aber keine Bange - wir haben ein paar Pilze retten können.“ Lachend zog er einen riesigen Korb hinter seinem Rücken vor. Laiethas Magen knurrte laut. Sie brachen in schallendes Gelächter aus. Die Kriegerin bat nur darum, sich ein wenig frisch machen zu dürfen. Nach ein paar Minuten war sie wieder zurück und sie setzten sich an der Tafel nieder. Das Wettessen begann.

Die Hobbits und Laietha lagen auf der Wiese und schnauften entkräftet. Laietha hielt sich mit unglücklicher Miene den Bauch. Pippin betrachtete sie mit großen Augen und Merry japste nach Luft. „Das war unfair - ich hatte vorher immerhin schon Frühstück.“ Die Kriegerin lachte. „Oh, jetzt ist mir schlecht,“ verkündete sie ihren Freunden. Pippin rülpste laut. Die beiden anderen sahen ihn mit großen Augen an und er gab ein verschmitztes Grinsen zurück. „Das tat gut.“ Merry sah seine nächste Chance auf einen Wettstreit. Er fügte mit einem mächtigen Rülpser und einem Grienen hinzu: „Wettrülpsen.“ Laietha schlug sich an die Brust und die Hobbits erblaßten vor Neid. „Gut, du hast gewonnen,“ grummelte Merry.

Hinter ihnen wurde Lachen laut. Geschwind sprangen sie auf die Beine und erblickten einen großen rothaarigen Mann, der über die Wiese schlenderte. „Sagt mir, daß nicht ihr das eben wart, Herrin.“ Laietha errötete. Sie verneigte sich schnell. „Herr Boromir, ich hoffe, ihr habt die Hilfe bekommen, auf die ihr gehofft habt.“ Boromir verzog das Gesicht, lächelte dann aber schnell. „Nicht direkt, aber ich bin fürs erste zufrieden. Ich sagte ja, eure Gesellschaft hat mit Glück gebracht.“ Mit neugierigen Blicken musterte er die Hobbits, die genauso neugierig zurückstarrten. Pippin zupfte Laietha am Ärmel. „Willst du uns denn nicht vorstellen, Laietha? Du scheinst ihn ja zu kennen.“ Die Kriegerin lächelte und tat, was man von ihr erbeten hatte. Boromir verbeugte sich artig. „Es freut mich, eure Bekanntschaft zu machen, meine kleinen Herren.“ Er nahm auf der Erde Platz und die anderen setzten sich zu ihm. Laietha betrachtete ihn interessiert, während er sich mit den Hobbits unterhielt. Er mochte vierzig Sommer zählen. Sein Gesicht war stolz und nicht ganz sorgenfrei. Dennoch leuchteten seine Augen, wenn er über einen von Pippins Scherzen lachte. Der Hobbit griff neugierig nach dem großen Horn an Boromirs Seite. Zuerst sah der Krieger ihn verdutzt an, brach dann aber in Gelächter aus und reichte dem Hobbit das Horn, damit er es aus der Nähe betrachten konnte.

Auch Boromir warf Laietha verstohlene Blicke zu. Sie hatte ihre Reitkleidung gegen ein dunkelgrünes Kleid getauscht und ihre roten Locken umspielten ihr Gesicht. Die Sonne schien auf ihre blasse Haut und er konnte seine Blicke gar nicht von ihren vollen roten Lippen wenden. Mit hochgezogenen Brauen bemerkte er, daß Merry die Menschenfrau mit dem selben Interesse musterte. Er mußte schmunzeln. Er schätzte das Mädchen auf Mitte zwanzig und seufzte. Als er in ihrem Alter gewesen war hatte er auch noch so unbeschwert lachen können, wie sie über Merrys Scherze.

„Nun sagt mir, Herr Boromir, wann werdet ihr in eure Heimat aufbrechen?“ Er kam wieder zu sich und schenkte ihr ein Lächeln. „Ich werde in Gesellschaft reisen. Wann genau wir aufbrechen, kann ich nicht sagen. Ich werde wohl noch eine Weile hier verweilen.“ Laietha lächelte froh, als sie das hörte. „Ihr seht auch aus, als könntet ihr ein wenig Ruhe gebrauchen. Sagt mir, Herr Boromir, wie lange habt ihr für die Reise von Gondor nach Bruchtal gebraucht?“ Boromir rechnete im Stillen. „Etwas mehr als drei Monate. Der Weg war beschwerlich.“ Sie sah, wie sich die Erlebnisse der Reise in seinen Augen spiegelten. Sicher hatte er viele Gefahren bestehen müssen. Pippin war weniger verholen als sie und bat den fremden Krieger, von den Ereignissen auf seiner Reise zu erzählen. Der Weg nach Bruchtal war schon abenteuerlich genug gewesen und sie waren nicht einmal halb so lange gereist. Außerdem war er begierig darauf zu erfahren, wie es in anderen Ländern aussah. Boromir ließ sich nicht lange bitten, sondern erstattete bereitwillig Bericht. Er erzählte von den Weiten Gondors und von den Steppen Rohans, die er durchquert hatte. Und schließlich begann er von seiner Heimatstadt zu erzählen. Seine Augen leuchteten bei der Erinnerung an den weißen Turm Ecthelions, die Banner Gondors, die im Wind von den Türmen wehten... Laietha schloß die Augen und malte sich alles genau aus.

„Wovon träumt ihr, Herrin?“ Laietha schreckte hoch und sah, daß die Hobbits und der Krieger sie angrinsten. Verlegen lächelte sie. „Ich fragte mich, nur, ob ihr schon einmal das Meer gesehen habt, mein Herr.“ Er schmunzelte. „Schon oft. Es würde euch gewiß gefallen. Wart ihr denn noch nie am Meer?“ Sie schüttelte den Kopf. Er blickte sie lange an. „Beschreibt es für mich, Herr Boromir. Ich höre euch gerne zu.“ Auch die Hobbits waren gespannt darauf zu erfahren, wie das Meer aussehe.

„Merry, Pippin! Wo bleibt ihr denn? In Kürze gibt es Mittagessen!“ Sam kam in den Garten gelaufen. Pippins Bauch grummelte verdächtig laut. Schließlich war das zweite Frühstück schon eine ganze Weile her. Merry sprang auf und sah Laietha an. „Willst du nicht mit uns kommen, Laietha? Es gibt bestimmt etwas Köstliches!“ Die Frau schüttelte lachend den Kopf und hielt sich den Bauch. „Ich glaube, ich brauche heute den ganzen Tag lang nichts mehr zu Essen. Ich bin noch so voller Pilze!“ Merry zuckte mit den Schultern und rannte seinem Cousin und Sam hinterher. Als er Pippin eingeholt hatte, fragte er neugierig: „Was meinst du, ob sie mich mag?“ Pippin schüttelte den Kopf. „Ich weiß gar nicht, was du an ihr findest. Sie ist viel zu dürr!“

Boromir sah den Hobbits verwundert hinterher und schüttelte den Kopf. Er hörte ein Kichern neben sich. Laietha schmunzelte. „Sie sind goldig, nicht wahr? Ich habe die beiden sehr gerne.“ Boromir sah sie fragend an. „Sind es Kinder? Ich habe Halblinge noch nie zuvor gesehen.“ Zumindest nicht bis zu diesem Tag, denn bei Elronds Rat waren auch Halblinge gewesen. Er unterdrückte den Ärger, der kurz in ihm aufwellte. Laiethas Stimme riß ihn aus seinen düsteren Gedanken. Sie berichtete ihm von den Hobbits - vom alten Bilbo hatte sie eine Menge gelernt, konnte sich aber noch immer nicht daran gewöhnen, sie als Erwachsene anzusehen. Verwundert sah er wieder in die Richtung, in der die Halblinge verschwunden waren. Plötzlich spürte er eine federleichte Berührung an seiner Hüfte. Er drehte behend den Kopf und erblickte die junge Frau, die gedankenversunken sein Schwert betastete. Er ergriff ihre Hand und sie schreckte hoch - das Blut stieg ihr ins Gesicht und sie lächelte beschämt. Wortlos und mit einem Lachen reichte er ihr die Waffe. Sie stand auf und wog sie sachkundig in ihren Händen. Dann ließ sie das Schwert mit einer Hand durch die Luft sausen. Boromir hob eine Augenbraue. Sie ging geschickt mit der Waffe um. Mit einem Lächeln reichte sie es ihm zurück. „Ein gutes Schwert.“ Er lachte laut. „Ihr habt ein gutes Auge.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Die besten Elbenschmiede haben sich hier in Bruchtal niedergelassen. Ich erkenne die Arbeit eines guten Schmiedes, wenn ich sie sehe.“ Ein Schatten legte sich auf sein Gesicht und hätte er nicht gelächelt als er sprach, hätte sie geglaubt, ihn verärgert zu haben. Er befestigte das Schwert wieder an seinem Gürtel. „Menschenhände schufen dieses Schwert - nicht Elben.“

Laietha beschloß das Thema zu wechseln. „Ihr wolltet mir vom Meer erzählen, mein Herr.“ Der Anflug von Ärger in seinem Gesicht verschwand und er blickte in die Ferne. Er beschrieb ihr den Klang der Wellen, wenn sie gegen das Ufer schlugen, die Schreie der Meersvögel, das Geräusch des Wassers, das kleine Steinchen mit sich in die Weiten des Ozeans riß, die Farbe des Himmels, wenn die Sonne im Meer versank. Laietha hörte ihm zu und ließ die Augen nicht von ihm. Boromir bemerkte ihre Blicke und erwiderte sie. Nachdem sie sich lange so angesehen hatten, brach der Krieger das Schweigen. „Ich kann nicht glauben, daß ihr noch nie am Meer wart. Eure Augen haben die Farbe des Wassers, bevor ein Sturm anbricht.“

Boromirs Magen knurrte laut und Laietha begann zu lachen. „Ihr habt gewiß noch nichts gegessen. Laßt uns hineingehen. Vielleicht haben euch die Hobbits noch etwas übrig gelassen.“ Sie ergriff ihn bei der Hand und zog ihn mit sich ins Haus.

****

Der Abend war gekommen und Laietha schlich zum Zimmer ihres Bruders. Vorsichtig klopfte sie an der Tür. „Herein.“ Laietha öffnete sie schwere Tür und Aragorn erhob sich. Ein Lächeln trat auf sein Gesicht, als die junge Frau den Raum betrat. Das Feuer im Kamin prasselte und spendete angenehme Wärme gegen die Abendkühle. Laietha setze sich in einen bequemen Stuhl und zog ihre Pfeife aus der Tasche. Aragorn lachte und gab ihr ein wenig Tabak. Sie zündeten die Pfeifen an und pafften genüßlich vor sich hin. Nach einer Weile warf Laietha Aragorn einen neugierigen Blick zu. Er grinste schief. „Was gibt es, Schwester?“ Sie sah ihn erwartungsvoll an. „Du wolltest mir doch sagen, was es auf der Versammlung zu besprechen gab. Sprich schon, Dunai!“ Er lachte laut auf. Das war so typisch für sie. Neugierig wie eine Katze! Aragorn rutschte dichter an sie heran und strich ihr übers Haar. „Ich werde bald aufbrechen müssen. Ein Mann aus Gondor kam und bat um Hilfe. Ich werde ihn begleiten.“ Laiethas Augen leuchteten. „Laß mich dieses Mal mit dir kommen! Du weißt, daß ich eine gute Kämpferin bin! Und ich habe es satt, untätig herumzusitzen.“ Er schüttelte den Kopf. „Die Reise ist lang und gefährlich. Ich werde lange fort sein,“ - und vielleicht nicht zurückkehren, setzte er in Gedanken hinzu. Laietha sprang auf und warf den Stuhl dabei um. „Warum?“ Er legte ihr beschwichtigend einen Arm auf die Schulter. „Das ist keine Aufgabe für eine junge Frau wie dich. Und Vater braucht deine Hilfe hier nötiger.“ Er blinzelte ihr zu. „Wer soll sich sonst um Herrn Bilbo kümmern?“ Laietha wurde wütend. Auf einen Hobbit achtgeben war keine Aufgabe für eine Kriegerin! Sie hatte schon viele Schlachten geschlagen und er behandelte sie wie ein Kind! „Aber ich...!“ Aragorns Gesicht wurde ernst. „Du kannst mich nicht begleiten. Nicht dieses Mal, Laietha. Mordors Armeen sammeln sich. Der Ring der Macht ist gefunden worden und er muß zerstört werden. Ich werde den Ringträger begleiten und ihm helfen, wo ich kann.“ Laietha schüttelte erbost den Kopf. „Laß mich dir doch helfen!“ „Nein!“ rief Aragorn zornig. Er schnitt ihr das Wort ab. „Du wirst mich nicht begleiten. Ich verbiete es!“ Angst zerwühlte ihm die Eingeweide - die Angst, daß sie sich nicht davon abbringen lassen würde, ihm zu folgen. Laietha drehte sich auf dem Absatz um und stürmte aus dem Zimmer. Sie schlug die Tür heftig hinter sich zu. Aragorn seufzte. Natürlich wollte sie mitkommen und sie war eine geschickte Kämpferin, aber diese Aufgabe konnte jeden von ihnen das Leben kosten und er wollte nicht, daß sie in Gefahr war.

Laietha stürmte den Gang entlang und sah nicht nach rechts und links. Plötzlich stieß sie gegen jemanden und ein spitzer Schrei wurde ausgestoßen. „Hey, du Tölpel! Paß doch auf!“ Sie sah zu Boden und erblickte einen der Halblinge, den sie wohl aus Versehen umgerannt hatte. Immer noch voller Wut, sagte sie kein Wort und rannte davon.

Sam brummelte verärgert vor sich hin. Was für eine unhöfliche Person! Er klopfte sich den Staub von den Kleidern und ging mürrisch auf sein Zimmer. Sein Unmut verschwand sofort, als er sah, daß Merry und Pippin eingetroffen waren - mit einem festlichen Spätimbiß.

Es war ungerecht! Sie konnte kämpfen! Warum wollte Aragorn sie nicht mitnehmen? Laietha rannte nur noch schneller. Das tat gut - Bewegung tat gut! Sie bog geschwind um die Ecke und stieß zum zweiten Mal gegen ein lebendes Hindernis. Sie stieß einen erschreckten Schrei aus und fand sich auf dem Fußboden wieder. Aber sie war weich gefallen. Schnell rappelte sie sich auf und sah zu Boden. Von dort aus blickten sie zwei erstaunte grüne Augen an. Sie errötete, als sie den zukünftigen Statthalter Gondors erkannte. Boromir kam wieder auf die Beine. Besorgt und zugleich amüsiert sah er sie an. „Ist euch etwas geschehen, Herrin?“ Laietha verneinte und er atmete auf. Er klopfte seine Kleider ab und Laietha wollte beschämt an ihm vorbei gehen. Er hielt sie am Arm fest und sah ihr ins Gesicht. „Warum seid ihr so aufgebracht, Herrin?“ Laietha schüttelte den Kopf. „Es ist nichts, mein Herr. Ich war unachtsam. Entschuldigt bitte, wenn ich euch wehgetan habe. Es lag nicht in meiner Absicht.“ Freundlich lächelte er sie an.

Er bat sie, ihm noch ein wenig Gesellschaft zu leisten und sie akzeptierte die Einladung. Gemeinsam gingen sie in die Empfangshalle des Hauses. Boromir betrachtete beeindruckt die Gemälde an den Wänden und schließlich blieb er vor einer Statue stehen, die eine geborstene Klinge in den Händen hielt. Seine Augen weiteten sich voller Ehrfurcht und er konnte nicht widerstehen und nahm das Schwert in die Hand. „Die Bruchstücke von Narsil.“ Verwundert schüttelte er den Kopf. „Die Klinge, die den Ring von Saurons Hand schnitt.“ Laietha lächelte und er fuhr mit dem Finger an der Klinge entlang. Erschreckt zog er die Hand zurück und betrachtete den Blutstropfen, der sich an der Schnittstelle gebildet hatte. „Sie ist immer noch scharf.“ Laietha nahm seine Hand und sah sich den Schnitt an. Schnell zog sie ein Taschentuch hervor und wickelte es vorsichtig um die Verletzung. Mit einem Lächeln beobachtete er sie. „Das habe ich auch schon herausfinden müssen, Herr Boromir. Warum man der Versuchung, dieses Schwert anzufassen nicht widerstehen kann, ist mir ein Rätsel.“ Sie blickte mit einem schelmischen Grinsen zu ihm auf, ihre Hand noch immer auf seiner ruhend. Boromir lachte. „Habt Dank, Herrin! Ohne euch wäre ich verblutet!“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich bitte euch. Nennt mich nicht Herrin. Mein Name ist Laietha.“ Er nickte und nahm ihre andere Hand fest in seine. „Wie ihr wünscht, Laietha,“ sagte er mit einem Lächeln.

Sie errötete als sie gewahr wurde, wie dicht sie beieinander standen. Der Mond schien durch die großen Fenster und tauchte ihn in silbriges Licht. Er hatte seine Lederweste abgelegt und trug ein Hemd aus festem Stoff. Laietha bemerkte seinen Duft, den der Nachtwind zu ihr trug. Seine Hände waren warm und die Kühle der Nacht ließ sie erzittern. Er trat näher an sie heran und Laietha konnte ein Feuer in seinen Augen erkennen. Ihr Blick blieb an seinen Lippen haften und sie fragte sich, ob sie wohl nach dem Salz des Meeres, von dem er ihr erzählt hatte, schmecken würden. „Ist euch kalt, Her...Laietha?“ fragte er. Seine Stimme klang auf einmal rauh und mühsam kontrolliert. Laietha brachte nur ein Nicken hervor. Ihre Blicke trafen sich und er trat dichter an sie heran. Seine Brust berührte ihre und es ging eine Hitze von ihm aus, die Laietha an ihre Kindheit erinnerte - wenn sie durchnäßt und durchgefroren heimgekehrt war, weil sie beim Spielen im Garten von einem Regenschauer überrascht worden war und ihr Vater sie in die Küche neben den großen Brotofen gesetzt hatte, damit sie nicht frieren und sich einen Schnupfen holen würde. Sie reckte ihren Kopf dichter an ihn heran, halb erwartend, daß er nach frischem Brot riechen würde.

„Laßt euch nicht stören, Kinder!“ Sie fuhren erschreckt auseinander und blickten den alten Bilbo Beutlin an, der grinsend im Gang stand und sie neugierig beobachtete. Laietha riß sich los und eilte auf den Hobbit zu. Er lachte laut. „Ich habe mich wohl verlaufen. Na ja, man wird alt. Erst wollte ich in die Küche und mir einen kleinen Imbiß besorgen und dann habe ich den Weg auf mein Zimmer nicht mehr gefunden.“ Er wackelte mit dem Kopf. Laietha legte ihm freundlich eine Hand auf die Schulter. „Kommt, Herr Beutlin. Ich werde euch begleiten. Euer Zimmer liegt auf meinem Weg.“ Sie führte den Hobbit fort und Boromir sah ihr noch lange nach.

Verwirrt schüttelte er den Kopf. Er begab sich selbst auf den Weg in das Zimmer, das man ihm zugewiesen hatte. Dort angekommen, ließ er die Tür ins Schloß fallen und warf sich auf sein Bett. Er sank tief in die weiche Matratze ein. Sein Blick fiel auf den blassen Mond am Himmel und er ballte die Hände zur Faust. Das Ergebnis des Rates war frustrierend gewesen. Das Rätsel um den Traum, den Faramir und er geteilt hatten, war nicht gelöst worden - eher hatte ihn das alles noch mehr verwirrt. Halblinge und Elbenschmiede, verräterische Zauberer - das alles schienen ihm Traumgespenster des Hausherren zu sein. Aber die Macht des finstereren Fürsten Sauron, die seit seiner Geburt jeden Tag über seiner Heimat schwebte, wie ein bedrohlicher Raubvogel - das war real.

Sein Blick fiel auf das weiße Tuch, das noch immer um seinen Finger gewickelt war. Er roch daran und ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Boromir schloß die Augen und öffnete sie wieder. Sicher - er war verstimmt gewesen, daß er nicht sofort und mit Unterstützung in seine Heimat zurückkehren konnte. Isildurs Todesring war gefunden worden. Die mächtigste Waffe, die Mittelerde zu bieten hatte - und sie sollte zerstört werden. Er zog die Brauen zusammen. Das war Wahnsinn. Ein Halbling sollte nach Mordor gehen und die einzige Hoffnung, die Gondor hatte zerstören. Der Waldläufer, Aragorn, hatte sich als Isildurs Erbe zu erkennen gegeben. Die Nachrichten wurden immer ärger. Gondor würde ohne Unterstützung gegen die Reihen Mordors ankämpfen müssen, aber das Volk der Menschen hatte sich noch nie so einfach seinen Feinden ergeben. Auch dieses Mal nicht. Er würde zu seinem Vater zurückkehren und an der Seite seines Volkes für die Freiheit kämpfen. Die Reise war lang. Vielleicht wandelte sich der Sinn des Halblings noch und sie würden den Ring nach Minas Tirith bringen. Noch war nicht aller Tage Abend. Wieder fiel sein Blick auf das Taschentuch in seiner Hand. Er lächelte. Vielleicht war es gar nicht so schlimm, daß er noch ein wenig in diesem Haus verweilen mußte. Er stand auf und zog sich aus. Die Nachtluft strich ihm über die Haut. Schnell schlüpfte er unter die warme Decke und es dauerte nicht lange, bis er eingeschlafen war.

****

Sam fuhr mit einem Satz hoch. Verschlafen blinzelte er zum Fenster und sah, daß die Sonne gerade erst im Aufgehen begriffen war. Aus dem Hof hörte er Waffengeklirr. Er tapste müde zum Fenster und sah die Frau, die ihn gestern auf dem Flur umgerannt hatte. Er stöhnte gequält auf und schlich wieder ins Bett. Er konnte sich nicht helfen, aber er konnte sie nicht leiden.

Auch Boromir war vom Waffengeklirr aufgewacht und hatte sich angezogen. Neugierig, wer so früh am Morgen schon auf den Beinen war, ging er in den Hof, um es herauszufinden. Er traf im Hof ein und ihm fielen fast die Augen aus dem Kopf.

Laietha ließ das Schwert kraftvoll auf das des Elben treffen. „Dravo angorn, Glorfindel!“ rief die Frau und er Elbe leistete ihrer Bitte Folge. Er ließ das Schwert mit noch größerer Kraft niedersausen. Laietha drehte sich geschickt zur Seite, parierte und ging selbst zum Angriff über. Glorfindel lachte. „Rinc hen maer, Annaluva!” lachte er. „Hennaid evyr!“ Wieder trafen die Klingen aufeinander und die Frau bewegte sich mit großer Geschicklichkeit.

Boromir zog bewundernd die Augenbraue hoch. Die aufgehende Sonne reflektierte auf den Klingen. „Meine Güte, wenn ich nur so kämpfen könnte.“ Boromir sah erstaunt in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Er sah Merry, der mit offenem Mund den Kampf beobachtete. Der Krieger grinste. „Bemerkenswerte Technik,“ nickte der Krieger anerkennend. Merry grinste breit. „Und ganz schön freizügige Kleidung.“ Nun war Boromir wirklich mehr als erstaunt - wenn er auch zugeben mußte, daß der Hobbit Recht hatte.

Sam verdrehte die Augen. Das Geschrei und das Scheppern der Waffen wollte einfach nicht leiser werden - ganz im Gegenteil. Mißmutig erhob er sich und zog sich an. Mit mürrischem Gesicht schlich er in den Hof. Dort hatte der Kampf gerade seinen Höhepunkt erreicht. Glorfindel trieb Laietha mit kräftigen Schlägen zurück. Sie wehrte sich tapfer, aber es sah aus, als würde sie den Kampf verlieren. Sam stellte sich neben Merry und den Mann, den er als Boromir kannte. „Was für ein Krach am Morgen!“ klagte er. Die beiden Männer wandten ihren Blick keine Sekunde vom Geschehen ab. „Wunderbare Technik,“ sagten sie wie aus einem Munde.

Plötzlich wurde ein Schrei laut. „Vorsicht!“

Laietha hatte es geschafft, mit einem mächtigen Hieb Glorfindel das Schwert aus der Hand zu schlagen. Die Waffe sauste durch die Luft und bohrte sich nur wenige Zentimeter neben Sam in die Erde. Der Hobbit schnappte aufgeregt nach Luft. „Habt ihr das gesehen?“ schnaubte Sam aufgebracht. Merry und Boromir nickten eifrig. „Wunderbarer Schlag!“ riefen sie wie mit einer Stimme.

Laietha kam zu ihnen gerannt. Sie atmete heftig. „Ist alles in Ordnung? Jemand verletzt?“ Sam warf ihr einen giftigen Blick zu. „Könnt ihr nicht besser aufpassen? Fast hättet ihr mich umgebracht! Und was soll dieser Lärm am frühen Morgen? Es gibt Leute, die noch schlafen wollen!“ Laietha schob trotzig die Unterlippe vor. „Ihr habt wohl gesehen, daß wir gekämpft haben. Wenn ihr nicht genügend Abstand haltet, ist es eure eigene Schuld.“ Sam wurde puterrot im Gesicht und schnappte hörbar nach Luft. „Man sollte einer Frau sowieso kein Schwert in die Hand geben!“ Laietha verengte ihre Augen zu Schlitzen. „Nur machen Orks keinen Unterschied zwischen Mann und Frau, bevor sie euch den Bauch aufschlitzen und euch an eurem eigenen Blut ersticken lassen!“ Die beiden starrten sich böse an. Merry packte Sam am Arm. „Ich hab Hunger! Laß uns was zum Frühstück suchen.“

Boromir sah amüsiert zu ihr hinüber. „Nun, ihr müßt euch gewiß nicht vor Orks fürchten, Laietha. Ihr seid geschickt mit dem Schwert.“ Herausfordern blickte sie ihn an. „Wenn ihr wollt könnt ihr ja gerne gegen mich antreten.“ Er schüttelte den Kopf. „Um alles in der Welt, nein! Ich will euch nicht wehtun!“ Er zeigte mit den Händen auf die leere Seite, an der sonst sein Schwert zu hängen pflegte. „Und ich bin unbewaffnet. Außerdem werdet ihr sicher erschöpft sein.“ Laietha reckte ihr Kinn in die Höhe. „Habt ihr Angst zu verlieren, Herr?“ Er brach in Gelächter aus. Die Frau drehte sich geschwind um und rief Glorfindel etwas in der Sprache der Elben zu. Der Elb reichte Boromir sein Schwert. Laietha lächelte ihn spöttisch an. „Keine Bange, ich werde euch nicht verletzen, mein Herr.“ Boromir schnaubte. Als ob er Angst hätte, zu verlieren! „Laßt uns um einen Preis kämpfen, Herrin. Der Gewinner hat einen Wunsch frei.“ Sie lachte laut. „So sei es! Gewinne ich, werdet ihr mir heute abend den Wein servieren!“ Er grinste schief. „Ich werde meinen Wunsch erst später äußern, sonst sagt ihr noch, ihr hättet absichtlich verloren!“

Ihre Klingen trafen sich und Boromir mußte zugeben, daß sie wirklich gut war. Ihre Streiche waren bei weitem härter, als er gedacht hätte. Laietha trieb ihn zurück. Dann wurde er wieder Herr seiner Selbst und ging seinerseits zum Angriff über. Erstaunt stellte er fest, daß sie selbst während des Duells noch lachte. Und was für ein Lachen das war! Ihre Wangen glühten, die Augen leuchteten. Boromir sprang im letzten Moment zur Seite, als sie das Schwert auf seine ungedeckte Seite sausen ließ. Er riß erschreckt die Augen auf. Mehr Konzentration, rief er sich zur Ordnung. Laietha lachte laut. „Ist es zu früh für euch, Herr? Stehen die Feinde in Gondor später auf als in Bruchtal?“ Anstelle einer Antwort ließ er ein paar schnelle kräftige Schläge auf sie niederprasseln. Sie führte eine schnelle Drehung durch und traf sein Schwert mit voller Wucht. Ihre Brust hob und senkte sich bei jedem heftigen Atemzug, den sie nahm.

Merry hatte Recht gehabt - sie war sehr knapp bekleidet. Der Träger ihres Oberteils war im Kampf von ihrer Schulter gerutscht und legte ein verlockendes Stück Schulter frei. Einige ihrer Haare hatten sich gelöst und die dichten Locken waren ihr ins Gesicht gefallen. Ihr Mund war leicht geöffnet und ihre blitzenden Augen verfolgten jede seiner Bewegungen aufmerksam. Sie schien seine nächsten Schritte schon im Voraus zu erahnen. Der Stoff rutschte tiefer und Boromir war eine Sekunde lang unachtsam.

Bevor er wußte, wie ihm geschah, fand er sich auf dem Boden liegend wieder. Sie hockte auf seiner Brust und hielt ihm lachend das Schwert vor die Nase. Ihre Knie drückten seine Arme gegen die Erde und er konnte sich nicht rühren, selbst wenn er es gewollt hätte. Sie beugte sich dicht zu seinem Gesicht herunter. Ein Lächeln umspielte ihre Mundwinkel und Boromir bot sich ein einladender Anblick. „Wie schade, daß ich nie erfahren werde, was eure Forderung gewesen wäre, mein Herr,“ flüsterte sie mit einem süffisanten Lächeln. Eine ihrer Haarsträhnen kitzelte ihn im Gesicht. Einen Atemzug lang verharrte sie, wo sie war, dann stand sie auf und streckte ihm eine Hand entgegen, um ihm auf die Beine zu helfen. Er nahm ihre Hilfe an. Sein Blick fiel auf ihre bloße Schulter und er konnte eine sternförmige Narbe darauf erkennen. Boromir widerstand der Verlockung, sie zu berühren. Statt dessen verbeugte er sich knapp. „Ihr seid in der Tat sehr geschickt, Laietha. Habt Dank für diese Kostprobe eurer Kunst.“ Sie lachte herzlich. „Eure Schmeicheleien werden euch nicht helfen, mein Herr. Ihr habt tapfer gekämpft und doch verloren. Heute Abend sollt ihr mein Weinkellner sein. Seid pünktlich, denn ich werde großen Durst haben.“ Er reichte ihr Glorfindels Schwert zurück. Bevor sie sich zum Gehen wandte, kam sie dicht an ihn heran und lächelte kokett. „Tut mir bitte einen Gefallen, mein Herr.“ Er hob eine Augenbraue. „Zu euren Diensten, Herrin.“ Sie klopfte ihm leicht gegen die Brust. Boromir erschauderte unter dieser Berührung. Das Klopfen wurde zu einem federleichten Streicheln, als sie langsam davonging und ihre Hand von seiner Brust glitt. „Nehmt ein Bad!“

Boromir sah sie atemlos entschwinden. Er bewunderte ihren leichtfüßigen Gang und bemerkte, wie sie beim Gehen die Hüften wiegte. Die Sonne verwandelte ihre Haare in ein Meer aus Feuer. Er setzte sich erst einmal hin und schüttelte ungläubig den Kopf. Eine Frau hatte ihn geschlagen. In Gedanken ging er den Kampf noch einmal durch. Wo hatte der Punkt gelegen, daß er verloren hatte? Er fand keinen. Statt dessen kehrten seine Gedanken, warum auch immer, zu ihrem wehendem Haar und ihrem Lachen zurück. „Nehmt ein Bad!“ Boromir sah an sich herab und schnüffelte vorsichtig an seinem Hemd. Er war wirklich schrecklich verschwitzt. Nicht gerade die Art und Weise, wie der Stammhalter des Statthalters auftreten sollte. Er ging zu seinem Zimmer und nahm ein frisches Hemd zur Hand. Dann machte er sich auf den Weg zum Badehaus.

****

Laietha schlenderte pfeifend über den Hof Bruchtals. Merry kam des Weges und hielt sich zufrieden den Bauch. Jetzt war er satt. Die Elben verstanden wirklich etwas vom Essen. „Hallo Laietha!“ Sie blickte sich um und der Hobbit lief schnell auf sie zu. Merry grinste breit. Sie lächelte den Kleinen freundlich an. „Satt geworden?“ Er nickte eifrig. Merry fragte sie, ob sie denn gar nichts essen wollte und sie erwiderte, daß sie sich erst frisch machen wollte. „Hast du mit Boromir gekämpft?“ Sie nickte. Merry sah sie erwartungsvoll an. „Und, wer hat gewonnen?“ „Ich.“ Merry grinste. „Ich wußte es! Tja, da hat Sam wohl seine Wette doch verloren. Er meinte, Boromir würde dir gehörig das Fell über die Ohren ziehen. Hey, jetzt muß er mir die Füße massieren!“ Merry lachte und stürmte fröhlich davon, um seinen Gewinn einzufordern. Laietha kam am Badehaus an. Sie freute sich schon sehr auf ein heißes Bad. Zu ihrer Enttäuschung mußte sie feststellen, daß die Tür geschlossen war. Es war also jemand drin. Sie fluchte leise und wollte gerade zurück zum Palast gehen, als sie die Neugier packte. Wer da wohl grad ein Bad nahm? Sie grinste breit und schlich sich ans Fenster. Laietha stellte sich auf die Zehenspitzen und versuchte einen Blick durchs Fenster zu erhaschen. Aber die Scheibe war viel zu hoch oben. Sie überlegte kurz und ihr Blick fiel auf eine Kiste, die ihr genau die richtige Größe verschaffen würde, um einen Blick in das Innere des Gebäudes werfen zu können. Behend und so leise wie möglich stellte sie die Kiste unter das Fenster und kletterte hinauf. Laietha sog scharf den Atem ein.

Boromir hatte sich die Stiefel mit einem Seufzer der Erleichterung ausgezogen. Er zog das Hemd langsam über seinen Kopf.

Laietha heftete ihre Blicke auf seinen breiten Rücken. Dann begann er, sich die Hosen von den schmalen Hüften zu streifen. Laietha wußte nicht, ob sie erröten sollte. Sie zog bewundernd eine Augenbraue hoch, als er in ganzer Blöße mit dem Rücken zu ihr stand. Ihre Augen ruhten auf seinem Hintern. Sie reckte sich ein wenig mehr nach vorne, um einen besseren Ausblick zu erhaschen. Plötzlich spürte sie, wie die Kiste unter ihren Füßen zu schwanken begann. Sie versuchte verzweifelt, das Gleichgewicht zu halten, aber das Unheil war angerichtet. Mit einem entsetzen Schrei kippte sie nach hinten um und landete unsanft auf ihrem Po. Erschreckt rappelte sie sich auf. Sie hörte Schritte aus dem Inneren des Badehauses und lief schnell davon.

Boromir hatte sich ausgezogen und wollte sich gerade in die Wanne sinken lassen, als er von draußen ein mächtiges Getöse hörte. Er fuhr herum und griff schnell nach einem Handtuch, um seine Blöße zu bedecken. Als er aus dem Haus trat, sah er eine umgefallene Kiste unter dem Fenster liegen. Nachdenklich ging er darauf zu und fand ein Haarband danebenliegend. Er schmunzelte und suchte den Hof mit seinen Blicken ab. Es war nichts zu sehen. Er ging zurück ins Gebäude und hängte ein Handtuch vor das Fenster. Nun, er hatte schon eine Ahnung, wer da am Fenster gewesen war. Zufrieden lächelnd ließ er sich mit einem Seufzer in die Wanne sinken.

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Am späten Nachmittag schien die Sonne noch immer erstaunlich warm auf Bruchtal hernieder. Frodo und Bilbo saßen im Garten und Laietha gesellte sich zu ihnen. Sie zog ihre Pfeife hervor und Frodo beäugte sie sehnsüchtig, als sie den Rauch genüßlich ausstieß. Sie blinzelte ihn an und gab ihm lachend ein wenig Tabak ab. Er bedankte sich und begann ebenfalls seine Pfeife zu stopfen. Laietha blies ein paar Rauchringe in die Luft und Frodo machte ihr bald Konkurrenz. Lachend sahen sie den Abendwolken zu, die das Licht der Sonne aufsogen und Bilbo gab ein paar seiner Lieder zum besten, in die sie gutgelaunt einstimmten. Die Zeit zum Abendessen rückte näher und Laietha verabschiedete sich, denn sie wollte doch noch zu ihrem Bad kommen, bevor das Fest am Abend begann.

Als sie über den Hof spazierte, hörte sie Stimmen, die ärgerlich klangen. Eine davon kannte sie sehr wohl. Das war Aragorn. Mit wem stritt ihr Bruder? Laietha schlich sich leise in die Richtung, aus der die Stimmen kamen. Plötzlich war es still und sie sah gerade noch, wie Boromir und Aragorn wütend auseinander liefen. Laietha zog die Augenbraue hoch. Was hatte das zu bedeuten? Nun, sie würde ihren Bruder in einer ungestörten Minute dazu befragen. Jetzt war erst mal die Zeit für ein Bad gekommen.

Aragorn und Boromir sahen sich während des Essens böse über den Tisch hinweg an. Am frühen Abend war es zu einem Streit zwischen ihnen gekommen, denn Boromir hatte wieder damit angefangen, daß er es für Wahnsinn hielt, den Ring zerstören zu wollen. Ein Wort hatte das andere gegeben und es waren häßliche Dinge gesagt worden. Die Hobbits kümmerten sich herzlich wenig um den Streit der Menschen, sondern erfreuten sich an dem reichlichen Essen, das man ihnen vorgesetzt hatte. Gimli hatte sich zu ihnen gesetzt und bald schon gab es ein Wettessen zwischen den Hobbits und dem Zwerg, bei dem die Auenländer als klare Sieger hervorgingen und Gimli sich kaum noch rühren konnte.

Die Tür öffnete sich und Boromir hielt den Atem an. Laietha betrat den Raum in einem Kleid aus sandfarbenem Leinen. Sie trug ihr Haar offen und die dunklen Locken umschmeichelten ihr Gesicht. Mit einem sanften Lächeln setzte sie sich neben ihn und Aragorn warf ihr einen erstaunten Blick zu. Boromir grüßte sie artig und schenkte ihr ein Glas Wein ein. Als das Essen vorüber war, eröffnete Elrond den Unterhaltungsteil des Abends. Es wurde Musik gespielt, so süß, wie sie Boromir noch nie zuvor vernommen hatte. Laietha beugte sich zu ihm und flüsterte ihm die Bedeutung der elbischen Texte ins Ohr. Dabei berührte ihre Hand beiläufig seine Schulter und sein Knie lehnte wie zufällig an ihrem. Legolas nahm später an ihrer Seite Platz und Boromir lauschte beeindruckt, wie sie sich mit dem Elben auf Sindarin unterhielt. Ihre Stimme veränderte ihre Farbe. Sie wurde dunkler und geheimnisvoller, nur wenn sie lachte klang es hell wie der Ruf der silbernen Trompeten seiner Heimatstadt.

 Merry und Pippin gesellten sich zu dem Mann aus Gondor und baten ihn nun, ihnen vom Meer zu berichten, da sie der Hunger beim letzten Mal abgehalten hatte, seinen Erzählungen zu lauschen. Boromir lächelte und erzählte ihnen, was sie wissen wollten. Von Zeit zu Zeit sah er zu Laietha hinüber und sie fing seinen Blick auf und schenkte ihm ein Lächeln. Schließlich hob sie bedeutsam ihr leeres Glas und er brach in Lachen aus und stand auf, um es erneut zu füllen. Ihre Hände berührten sich unabsichtlich, als er ihr Glas festhielt, um es noch einmal zu füllen und die beiden sahen sich in die Augen. Laietha brach das Schweigen. „Habt Dank, Herr. Eure Pflicht ist erfüllt. Ich entlasse euch aus meinen Diensten.“ Boromir schmunzelte und verbeugte sich vor ihr. „Es war mir ein Vergnügen, Herrin.“ „Laietha.“ Er lachte und ging zurück zu den Hobbits, die ganz gespannt darauf warteten, ob er noch mehr interessante Sachen zu erzählen hatte.

Aragorn trat zu seiner Schwester und zog sie unauffällig in eine abgelegene Ecke des Raumes. Sie sah ihn erwartungsvoll an. „Was ist, Dunai?“ fragte sie, als sie seinen verstimmten Blick bemerkte. Er runzelte die Stirn und warf einen Blick über die Schulter in Boromirs Richtung, der gerade in eine angeregte Diskussion mit Gimli vertieft war. Laietha warf ihm einen bedeutungsvollen Blick zu. „Halte dich fern von ihm, Laietha. Er ist kein guter Umgang.“ Sie brach in schallendes Gelächter aus, aber Aragorns Blick blieb ernst. Sie schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, was du meinst, Dunai. Er ist ein Gast unseres Vaters und ich habe mich nur mit ihm unterhalten. Ist das verboten?“ Er schüttelte ärgerlich den Kopf. „Verkaufe mich nicht für dumm, Laietha. Ich habe gesehen, wie er dich angesehen hat - und du ihn. Ich will nicht, daß du dich mit ihm einläßt. Er ist nicht gut für dich.“ Jetzt wurde auch sie verärgert. „Behandle mich nicht wie ein Kind, Aragorn. Mit wem ich mich unterhalte, entscheide immer noch ich alleine.“ Sie wandte sich zum Gehen um, aber er hielt sie am Handgelenk fest. „Ich bitte dich, dich von ihm fernzuhalten.“ Laietha funkelte ihn an. „Dann laß es das nächste Mal wie eine Bitte klingen, nicht wie einen Befehl, Aragorn.“ Sie entzog sich seinem Griff und kehrte zurück an den Tisch. Aragorn blickte ihr finster hinterher.

Das Fest neigte sich dem Ende zu. Ein gewaltiges Feuer war im Kamin entzündet worden und Bilbo begann einige seiner Geschichten zum besten zu geben. Menschen, Elben, Zwerge und Hobbits lauschten gespannt. Boromir betrachte Laietha im Schein des Feuers. Aragorn durchbohrte ihn mit seinen Blicken, aber der Gondorianer ließ sich davon nicht beeindrucken. Laietha unterdrückte ein Gähnen. Boromir lächelte. „Seid ihr müde, Laietha?“ Sie lächelte ihn verschmitzt an. „Oh nein, aber ich kenne die meisten seiner Geschichten schon. Vielleicht brauche ich nur ein wenig frische Luft.“ Sie erhob sich und er bat darum, sie begleiten zu dürfen.

Sie gingen hinaus in den Park und ihr Atem kondensierte in der kalten Abendluft. An einem kleinen Rondell hielten sie an. Laietha lachte. „Die Kälte hat meine Lebensgeister wieder geweckt!“ Sie schlang ihren Schal fest um ihre Schultern. Boromir beobachtete, wie sich das Mondlicht in ihrem Haar fing. Grinsend griff er in seine Tasche und zog das Haarband hervor, das er vor dem Badehaus gefunden hatte. Er reichte es ihr und sah, wie sie errötete. „Ich dachte, ihr würdet es vielleicht vermissen.“ Verlegen murmelte sie ein Dankeschön und ließ es in ihrer Hand verschwinden. Sie blickte zu den Sternen empor und Boromir tat es ihr gleich. Lange sagte niemand etwas. Laietha begann zu frieren. Boromir bemerkte es. Er legte ihr einen Arm um die Schulter. Sie zog sich nicht zurück und er atmete erleichtert auf. Laietha drängte sich dichter an ihn heran. Seine Wärme tat gut. „Sind es die selben Sterne wie in Gondor, mein Herr?“ Er folgte ihrem Blick und nach einer Weile des Überlegens bejahte er die Frage. Laietha lächelte. „Wie nennen die Elben diesen Stern?“ fragte er und deutete auf einen rötlichen Stern am Himmel. Er streifte dabei ihre Wange. „Carnil.“ Wieder hatte ihre Stimme diesen vollen Ton angenommen, wenn sie die Sprache der Elben benutzte. Sie begann zu zittern. Aus einem Reflex heraus schloß Boromir sie fest in den Arm. „Ihr werdet euch zu Tode frieren, Herrin. Wir sollten hineingehen.“ Zähneklappernd nickte sie.

Als sie auf dem Weg in die Festhalle waren, hielt Laietha ihn am Arm fest. Überrascht sah er sie an. Sie verbeugte sich knapp. „Ich bin müde, mein Herr. Ich werde zu Bett gehen.“ Boromir bat darum, sie zu ihrem Zimmer zu begleiten. Sie erlaubte es ihm. Als sie vor ihrer Tür angekommen waren, sah sie ihn spitzbübisch an. Er legte die Stirn in Falten. „Was habt ihr, Herrin?“ Sie lächelte. „Ich frage mich schon den ganzen Abend über, was euer Preis gewesen wäre, hättet ihr mich besiegt.“ Boromir lächelte. „Mein Wunsch wäre vermessen gewesen. Ich wage nicht, ihn einer so holden Frau wie euch zu nennen.“ Sie sah ihn herausfordernd an. „Nennt ihn mir, denn nun habt ihr meine Neugier geweckt. Ich muß ihn ja nicht einlösen, denn schließlich habe ich gewonnen und nicht ihr.“ Boromir legte die Hand an ihre Wange und lächelte sie an. „Ein Kuß von euren Lippen.“ Laietha runzelte die Stirn. „Ein hoher Preis, in der Tat. Dennoch muß ich gestehen, daß ihr tapfer gekämpft habt. Euer Wunsch sei gewährt.“

Boromir nahm ihr Gesicht in seine Hände und sah ihr lange in die Augen. Dann lächelte er und schüttelte den Kopf. „Ihr seid mehr als gütig, Frau Laietha, aber ich habe ihn mir nicht verdient.“ Es hatte ihn übermenschliche Überwindungskraft gekostet, sie nicht zu küssen. Die Frau lachte. „Dann nehmt das als Dank dafür, daß ihr mich draußen vor dem Kältetod bewahrt habt.“ Sie griff nach seinem Gesicht und hauchte ihm einen sanften Kuß auf die Lippen. Boromir legte seine Arme um ihre Schultern. Sie löste ihre Lippen von seinen und beide sahen sich lange an. Schließlich faßte er sich ein Herz und zog sie fest an sich, um sie noch einmal zu küssen. Sie legte ihm die Hände auf die Hüften und drückte sich gegen ihn, während sie seinen Kuß erwiderte. Sie lösten sich nach einer Weile, nur um sich tief in die Augen zu blicken und sich noch einmal zu küssen. Boromirs Hände glitten durch ihr Haar und sie umschloß seine Hüfte mit ihren Armen. Der Kuß wurde leidenschaftlicher. Ihre Hände wanderten über seinen Rücken und als ihre Lippen sich lösten, glitt sein Mund zu ihrem Hals. Laietha stieß mit einer Hand die Tür zu ihren Gemächern auf und befreite sich aus seiner Umarmung. Verdutzt sah er sie an, aber noch bevor er Fragen stellen konnte, hatte sie ihn mit sich in ihr Reich gezogen. Sie nahm ihn bei der Hand und führte ihn in ihr Schlafzimmer. Ein wenig überrumpelt sah er sie an. Laietha lächelte herausfordernd. „Habt ihr Angst, mein Herr?“ Sein Blick blieb ernst und er nickte. „Um euch, Laietha. Ihr wißt nicht, was ihr tut, fürchte ich.“ Sie schmunzelte und ging langsam auf ihn zu, ohne ihren Blick von seinen Augen abzuwenden. Sie legte ihm die Hände auf die Brust. „Es steht dir frei zu gehen, Boromir.“

Er sollte jetzt gehen! Es war zu verlockend, aber es gehörte sich nicht, jetzt hier alleine mit ihr zu sein. Er hatte wohl bemerkt, daß sie Herrn Elrond wie eine Tochter war. Er durfte nicht in ihrem Zimmer sein. Das würde einen Skandal geben! Der Duft ihres Haares stieg ihm in die Nase, er trank ihr Lächeln mit seinen Blicken, als wäre es süßer Wein. Er sollte gehen!

Boromir beugte sich zu ihr herunter und küßte sie. Es hatte ein Gutenachtkuß werden sollen, aber als er sich von ihr löste und in ihre Augen sah, fand er sie von einem dunklen Feuer erfüllt, das ihn zu verbrennen drohte. Sie drängte ihren Körper gegen seinen und Boromir zog sie in seine Arme, küßte ihre Lippen, ihren Hals. Laietha seufzte leise und er spürte ihre Hände auf seinen Schultern. Er mußte sich jetzt losreißen, wenn er noch gehen wollte. Er mußte gehen!

Nur noch ein letzter Kuß.

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Der Morgen graute und Boromir strich ihr die Haare aus dem Gesicht. Die Sonne streckte vorsichtig ihre Finger durchs Fenster. Sie bedeckte seine Schultern mit vorsichtigen Küssen und ihre Hände glitten über seine Brust. Er preßte sie an sich und konnte die Augen nicht von ihr wenden. Boromir hob ihr Kinn an und hauchte ihr einen Kuß auf den Mund. Seine Hände streichelten ihren Rücken und er ließ seine Lippen über ihren Hals zu ihrer Schulter wandern. Sein Blick fiel wieder auf die sternförmige Narbe und er strich mit seinem Finger sanft darüber. Es war nicht die einzige Narbe an ihrem Körper, wie er in der Nacht entdeckt hatte, aber diese hier, stach durch ihre Form hervor. „Was hast du da gemacht, Laietha?“ Sie drückte ihren Kopf gegen seine Schulter. „Ich war noch sehr klein. Orks überfielen meine Familie und töteten alle bis auf mich. Ich wäre fast gestorben, aber man brachte mich hierher zu den Elben und ich wuchs unter ihnen auf, als Ziehtochter Elronds. Die Narbe ist das einzige, was mich an diesen Tag erinnert.“ Er sah sie lange an. „Ich danke den Elben, daß sie dich gerettet haben.“ Laietha schmunzelte. „Es war ein Mensch, der mich hierher brachte - kein Elb.“ Boromir griente breit, als er seine eigenen Worte erkannte. Bei den Valar, sie war nicht nur schön, sondern auch klug.

Der Krieger gähnte herzhaft und Laietha kicherte. Sie hatten die ganze Nacht über kein Auge zugetan, aus Angst zu erwachen und herauszufinden, daß alles nur ein Traum war. „Ich sollte mich umziehen gehen,“ grinste er und dachte an den langen Tag, den er vor sich hatte. Schließlich wollte er mit Merry und Pippin die Parks erkunden. Oh, beim Turm von Ecthelion, wenn Herr Elrond herausbekam, daß er seine Tochter entehrt hatte...aber er hatte, um ehrlich zu sein, nicht das Gefühl gehabt, daß er Laietha die Unschuld geraubt hatte.

Boromir schwang seine langen Beine aus dem Bett und suchte seine verstreuten Kleider zusammen. Bei der Erinnerung an den letzten Abend mußte er lachen. Laietha beobachtet ihn aufmerksam während er sich anzog. Als Boromir nach seinem Hemd griff, riß er die Augen auf. „Laietha, was hast du nur gemacht?“ fragte er kopfschüttelnd und zeigte ihr den langen Riß im Gewebe. Sie prustete los und betrachtete das ruinierte Kleidungsstück von Nahem. Sie strich ihm über das Haar. „Warte, ich werde es nähen.“ Geschwind stand sie auf und Boromir zog sie für einen Kuß zu sich. „Wenn du mit Nadel und Faden so geschickt wie mit dem Schwert bist, wird man nichts mehr davon erkennen.“ Sie grinste schelmisch. „Nicht annährend, aber es wird reichen, daß man dir auf dem Weg in dein Zimmer keine dummen Fragen stellt.“

Nicht ohne Bedauern beobachtete Boromir, wie sich Laietha anzog und dann Nadel und Faden zur Hand nahm, um sein Hemd zu flicken. Er ließ sich zurück in die weichen Kissen fallen und sah ihr zu, wie sie arbeitete. Laietha begann eine Melodie zu summen und war so versunken in Gedanken, daß sie leise zu singen begann. Boromir lauschte aufmerksam den fremden Worten. „Was für ein Lied ist das? Es ist schön.“ Sie lächelte verlegen. „Es handelt von einer großen Schlacht der Elben gegen Morgoth.“ Er hatte gar nicht gewußt, daß die Elben noch andere Lieder hatten, als Geschichten von Liebe und mußte schmunzeln. „Bitte sing weiter. Ich höre dir gerne zu.“ Mit einem Lächeln stimmte sie das Lied erneut an und er schloß die Augen, bis er nichts mehr als ihre Stimme hörte.

Laietha war fertig und ging zum Bett zurück. Boromir hatte die Augen geschlossen und schlief tief und fest. Die Morgensonne schien ihm warm ins Gesicht und sie brachte es nicht übers Herz, ihn zu wecken. Behutsam küßte sie ihn und schlich sich aus dem Zimmer.

Boromirs Fehlen blieb bis nach dem Frühstück unbemerkt. Merry und Pippin trösteten sich schnell mit Laiethas Gesellschaft und Aragorn war nicht wirklich böse darüber, den Mann Gondors nicht sehen zu müssen. Seine Überheblichkeit ging ihm gegen den Strich. Er war stur, arrogant, patriotisch, machthungrig, rechthaberisch und zu allem Übel interessierte er sich anscheinend für seine Schwester! Aber er mußte sich um Wichtigeres kümmern. Eine lange Reise stand ihnen bevor.

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Elrond hatte überall Kundschafter ausgesandt, die herausfinden sollten, ob ihnen noch Gefahr drohte. Und der Elbenherr suchte noch immer nach den zwei fehlenden Begleitern für die Gemeinschaft des Ringes. Bis jetzt waren es sieben. Der Halbling Frodo und sein Gärtner Sam hatten sich gemeldet, den Ring nach Mordor zu bringen und wohlwollend hatte Elrond zur Kenntnis genommen, daß sein Ziehsohn ihn begleiten würde. Ebenfalls würde Mithrandir mit ihnen gehen. Gloins Sohn Gimli hatte die Gemeinschaft begleiten wollen, nachdem Thranduils Sohn Legolas seine Unterstützung zugesichert hatte. Und zu guter Letzt hatte sich der Sohn des Statthalters von Gondor dem Willen des Rates gebeugt. Elrond war nicht allzu begeistert von der Entscheidung des Mannes, denn er hatte kein gutes Gefühl bei ihm. Denethors Sohn war als Sturkopf bekannt, der nicht gerne Rat annahm und sich keiner Fügung beugte außer seiner eigenen. Es würde große Probleme in der Gruppe geben, wenn er und Aragorn aneinander gerieten. Gandalf würde keine leichte Aufgabe haben. Nun fehlten ihm noch die restlichen beiden Begleiter der Gruppe. Neun Gefährten gegen die neun Ringgeister - so hatte er es sich gedacht. Jetzt waren alle freien Völker Mittelerdes vertreten - mehr oder weniger häufig. Er hatte daran gedacht, seine beiden Söhne mitzuschicken, aber sie waren noch unterwegs, um den Weg auszukundschaften. Und wer weiß, ob der Zwerg es akzeptieren würde, dachte er bei sich. Und was sollte er nur mit den beiden anderen Halblingen anfangen? Er würde Aragorn an diesem Nachmittag bitten, mit den anderen Kundschaftern auszuziehen.

Die Tür öffnete sich und ohne sich umzusehen, erkannte er an den leichten Schritten, wer den Raum betreten hatte. „Was hast du, Vater? Du siehst nachdenklich aus.“ Elrond drehte sich um und sah seine Ziehtochter an, die neugierig zu ihm hinüberschielte. „Ich bin in der Tat ratlos, Laietha.“ Er schilderte ihr seine Gedanken und biß sich im nächsten Moment dafür auf die Zunge. Hoffnung flammte in ihren Augen auf.

„Laß mich mit ihnen gehen, adar. Du weißt, daß ich eine gute Kriegerin bin. Selbst Glorfindel, einen deiner besten Männer, habe ich mehr als einmal geschlagen. Und ich fürchte keine Gefahr! Hast du nicht Männer aus allen freien Völkern ausgewählt? Aragorn der Dunadain und Boromir aus Gondor!“ Elrond sah sie lange an. „Und für welches Volk willst du gehen, meine Tochter?“ Sie senkte den Kopf. Ja, sie wußte nicht woher sie stammte. Von Menschen geboren, von Elben großgezogen. Sie verbeugte sich. „Laß mich als Vermittler zwischen Menschen und Elben gehen. Ich werde dich nicht enttäuschen, adar.“ Er senkte den Kopf, als er an die gefahrvolle Reise dachte. „Ich werde mich jetzt noch nicht entscheiden, aber ich habe deinen Willen gesehen und werde an ihn denken, wenn die Zeit reif ist.“ Enttäuscht nickte sie und verließ den Raum. Elrond seufzte. Sie hatte Recht. Laietha beherrschte das Kriegshandwerk besser als viele Menschenmänner, aber sie war seine Tochter und er hatte Angst um sie. Er mußte jemand anderen finden.

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Die Sonne hatte sich hinter den Wolken versteckt und ein kalter Wind war aufgekommen. Er blies mit aller Kraft und riß die letzten Blätter von den Bäumen. Bald würde der Winter endgültig den Herbst vertreiben. Gandalf und die Hobbits hatten sich verabschiedet und sich zu einem kleinen Schläfchen hingelegt, nur der alte Bilbo saß im großen Festsaal und hatte sein Buch auf dem Tisch zu liegen. Laietha setzte sich neben ihn und grüßte ihn artig. Der alte Hobbit lächelte sie freundlich an. „Hallo Kindchen. Wo habt ihr denn euren Freund gelassen?“ Laietha riß erstaunt die Augen auf und Bilbo kicherte heiser. „Mir könnt ihr nichts vormachen, Mädchen, ich kenne euch nun schon fast euer ganzes Leben lang. Glaubt ihr, ich hätte keine Augen im Kopf? Der junge Krieger gefällt euch, nicht wahr?“ Laietha lächelte. „Ihr habt recht, Herr Beutlin. Erinnert ihr euch noch an den Tag, als ich das Schwert meines Vaters zerbrach, weil ich mit euch spielte und einen Drachen töten wollte?“ Der Hobbit lachte laut. „Wie könnte ich das vergessen? Wir haben es versteckt und nie jemandem davon erzählt. Bis ich von dieser Welt gehe, soll es unser Geheimnis bleiben!“ Laietha lächelte dankbar. „Ihr wart schon immer mein Vertrauter, Bilbo. Darum bitte ich euch nun - behaltet auch für euch, was ihr beobachtet habt.“ Bilbo grinste verschmitzt. „Das werde ich, Kindchen, aber ihr müßt mir sagen, was das mit euch und dem Krieger ist.“ Sie lachte herzlich und begann Bilbo zu berichten.

Laietha wollte vor dem Abendessen noch etwas ausreiten. Sie hatte sich von Bilbo verabschiedet und lief durch die langen Flure, um in den Hof zu gelangen. Dann sah die junge Frau eine vertraute Gestalt in Richtung ihres Zimmers gehen. „Dunai!“ rief sie fröhlich und lief zu Aragorn. Er lächelte sie an. „Dich habe ich gesucht. Ich wollte mich verabschieden.“ Laiethas Herz sank bis in die Zehen. „Du willst schon fort? Nach Gondor?“ Überrascht sah er sie an. Er erzählte ihr, daß Elrond ihn auf Kundschaft schickte. Aber ihr Gesicht hatte zu viel verraten, das sie nicht hatte preisgeben wollen. „Hast du Boromir gesehen?“ fragte er streng. Laietha schüttelte verärgert den Kopf. „Warum sollte ich? Niemand hat mir befohlen, ihn zu beobachten. Er ist Gast und kann gehen wohin er will. Ich weiß nicht, wo er ist.“ Aragorn nahm sie bei den Schultern. „Ich bitte dich erneut, laß dich nicht mit ihm ein. Er ist gefährlich. Wer weiß, was er im Sinn hat.“ Laietha verzog das Gesicht. „Es geht dich nichts an, mit wem ich mich treffe, Aragorn.“ Er lockerte seinen Griff nicht. „Sei vorsichtig.“ Laietha glaubte einen Funken Eifersucht in seinem Gesicht zu sehen. „Ich liebe dich mehr als jeden anderen, Aragorn. Das weißt du!“ Er machte noch immer ein besorgtes Gesicht und sie küßte ihn lachend auf den Mund. Aragorn umarmte sie fest und verabschiedete sich von ihr. Er hatte kein gutes Gefühl, was seine Schwester und Denethors Sohn anging, denn er kannte beide gut. Aber seine Ziehschwester hatte sich noch nie besonders viel sagen lassen. Hoffentlich beging sie keine Dummheit. Schweren Herzens, machte er sich auf den Weg und Laietha winkte ihm nach, als er davonging.

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Boromir erwachte und brauchte einen Moment, bis er sich gewahr wurde, wo er sich befand. Er lächelte vor sich hin, als er an die letzte Nacht dachte. Während er so dasaß, schüttelte er den Kopf. Dieses Mädchen hatte sein Herz erobert, wie noch keine zuvor - obwohl er bei weitem schönere und edlere Frauen gekannt hatte. Er stand auf und streifte sich sein Hemd über den Kopf. Sie hatte es zwar nicht perfekt genäht, aber doch erstaunlich gut. Boromir streckte sich und sein Magen knurrte laut. Als er nach draußen sah, war er erstaunt, wie lange er geschlafen hatte. Zuerst würde er ein Bad nehmen und dann würde es auch schon Zeit für das Abendessen sein. Er trat hinaus in den Flur und hörte Stimmen. Zunächst dachte er sich nichts dabei, aber dann erkannte er erst ihre und dann die Stimme des Waldläufers. Neugierig blickte er um die Ecke. „Ich liebe dich mehr als jeden anderen, Aragorn. Das weißt du!“ Boromir hielt den Atem an. Wie in einem schlimmen Traum sah er, wie sie ihn küßte und er sie an sich drückte. Der Mann fühlte, wie ihm der Boden unter den Füßen wegbrach. Das konnte nicht sein! Der Waldläufer löste sich von ihr und kam in seine Richtung. Schnell drückte er sich in eine Nische und verhielt sich ganz still, als der Mann an ihm vorbei lief. Völlig aufgewühlt wartete er, daß der Gang leer war und lief auf sein Zimmer.

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Laietha vermißte Boromir beim Abendessen. Auch von den anderen hatte ihn niemand gesehen. Sie schmunzelte. Vielleicht war er so erschöpft gewesen, daß er auf sein Zimmer gegangen und eingeschlafen war. Er würde gewiß Hunger haben, wenn er erwachte. Heimlich packte sie etwas frisches Brot und ein paar Früchte zusammen und schlich nach dem Essen zu seinem Raum, um ihn sanft zu wecken.

Vorsichtig klopfte sie an die Tür. Es kam keine Antwort. Sie lächelte. Der Mann schien fest wie ein Toter zu schlafen! Vorsichtig öffnete sie die Tür und sah ihn in einem Stuhl sitzen und zum Fenster hinaus sehen. Bevor sie etwas sagen konnte, hörte sie seine Stimme. Sie klang schroff. „Was willst du. Ich habe dich nicht hinein gebeten.“ Laietha zog die Augenbraue hoch. Sie stellte das Essen auf den kleinen Tisch und ging zu ihm. Er sah sie finster an. „Du bist nicht erwünscht, Herrin.“ Laietha stemmte die Hand in die Hüfte. „Mit welchem Recht redest du so mit mir? Habe ich dir etwas getan?“ Boromir sprang auf und packte sie an der Schulter. „Verschwinde, Laietha, bevor ich meine Manieren vergesse.“

Die Frau funkelte ihn böse an und riß sich los. So, er hatte also nur mit ihr gespielt. Sie kniff die Lippen über diese Kränkung zusammen, denn schließlich war sie gewarnt worden. „Aragorn hatte völlig Recht als er...“

Allein, daß sie die Frechheit hatte, seinen Namen zu erwähnen, brachte ihn in Rage. „Aragorn! Warum hast du mir nichts gesagt?“

Sie sah ihn verstört an. „Dann weißt du es? Ich habe mir nichts dabei gedacht. Ich hielt es nicht für wichtig.“ Boromir schnappte nach Luft. „Nicht wichtig? Du spielst mit mir und wagst es mir zu sagen, du hättest es nicht für wichtig gehalten? Pack dich, Laietha!“ Er erhob drohend seine Hand.

Laietha sah ihn verständnislos an. „Wovon redest du? Hast du den Verstand verloren?“ Boromir schüttelte den Kopf. „Bist du des Wahnsinns, Weib? Du küßt ihn und sagst ihm, daß du ihn liebst und dann kommst du zu mir und...“ Laietha brach in Gelächter aus. Er sah sie an, als wäre sie toll.

„Was hast du gesehen, Boromir?“ lachte sie. Boromir drehte sich wütend um. Wenn sie nicht sofort ging, würde er sich vergessen. Sie wagte es auch noch, ihn zu verhöhnen! Er hörte, wie sie sich wieder beruhigte und fühlte ihre Hand auf seiner Schulter. „Boromir.“ Er reagierte nicht. Sie drehte ihn sanft zu sich um und er sah, daß sie inzwischen ernst geworden war.

„Natürlich liebe ich ihn.“ Er schnappte nach Luft, aber sie legte ihm einen Finger auf die Lippen. „Er war der Mensch, der mich im Wald fand, als ich ein Kind war. Ich liebe ihn wie meinen leiblichen Bruder. Ist es verboten, seinen Bruder zu küssen.“ Boromir starrte sie nur fassungslos an. Er öffnete und schloß den Mund ein paar Mal, ohne etwas sagen zu können. Laietha zog ihn in ihre Arme. „Dummkopf!“ lachte sie und küßte ihn sanft.

Boromir war, als wäre ihm ein Stein vom Herzen gefallen. Er schloß Laietha fest in den Arm. Sein Magen knurrte und sie lachte. „Wußte ich es doch, daß du noch nichts gegessen hast.“ Sie nahm ihn bei der Hand und zog ihn zu dem Korb, aus dem es appetitlich nach frischem Brot roch.


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