Titel: Annaluva - Teil 3
Autor: Naurdolien


Tage und Wochen waren ins Land gegangen und der November neigte sich dem Ende zu. Die ersten Kundschafter waren zurückgekehrt, aber Elladan, Elrohir und Aragorn waren nicht unter ihnen gewesen.

Boromir hatte sich mit Merry und Pippin angefreundet. Die drei unternahmen oft lange Spaziergänge durch Bruchtals Gärten und oft war Laietha bei ihnen, was Boromirs und Merrys Augen zum leuchten brachte.

Laietha und Boromir hielten ihre Liebe geheim. Wenn sie mit den Hobbits unterwegs waren, nutzten sie unbeobachtete Momente für einen heimlichen Kuß oder eine versteckte Berührung. Laietha wußte, daß ihr Vater nicht von dieser Verbindung begeistert sein würde. Sie hatte ihn oft gehört, wenn er sich zu Gandalf verärgert über sein Auftreten geäußert hatte. Von Aragorn ganz zu schweigen.

Der Halbling Frodo hatte sich schon wieder ganz gut erholt und verbrachte viel Zeit mit seinem Onkel Bilbo. Laietha konnte sehen, daß er seine Entscheidung zu bereuen schien und in der Tat vertrat sie Boromirs Meinung, daß man einem anderen diese wichtige Aufgabe hätte übertragen sollen.

Es war inzwischen bitterkalt geworden. Die Elben und Zwerge waren abgereist. Laietha stand auf dem Hof und sah, wie Boromir Abschied von den Menschen nahm. Auch sie wollten in ihre Heimat zurückkehren. Mehr als einmal hatte Laietha bemerkt, daß auch Boromir ungeduldig wurde. Er sprach nicht zu ihr davon, aber sie hatte gesehen, daß er oft am Fenster stand und in die Richtung sah, in der seine Heimat lag. Natürlich machte er sich Sorgen, denn sein Volk befand sich im Krieg und die wenigen Nachrichten, die sie aus Gondor erhalten hatten, waren schlecht gewesen. Die Sonne ging unter, obwohl es kaum später Nachmittag war.

„Sieh nur, Pippin, da ist Laietha!“ rief Merry fröhlich. Pippin schüttelte verständnislos den Kopf. „Sie ist doch viel zu groß für dich.“ Merry warf ihm einen giftigen Blick zu. „Und viel zu ungehobelt,“ setzte Sam hinzu, der dieser Menschenfrau keine Liebe entgegenbrachte. Merry ließ sich nicht aus der Fassung bringen. Er lief zu Laietha und grüßte sie freundlich. Die Frau begann sich sofort angeregt mit ihm zu unterhalten. Sam schüttelte den Kopf. Er wollte jetzt lieber etwas ordentliches essen gehen. Pippin schloß sich ihm an.

Merry starrte unsicher auf seine Füße. „Was hast du denn, Merry?“ fragte Laietha besorgt. Der Hobbit fühlte sich plötzlich wie ein kleiner Junge. Vielleicht hatten Pippin und Sam ja doch recht. Aber er mußte es jetzt einfach loswerden. Wer konnte denn schon sagen, wie lange sie noch dort verweilen würden!

„Hm, ich will dir etwas sagen...aber ich weiß nicht wie.“ Laietha hob neugierig eine Braue. Was hatte der Hobbit wohl vor? Sie ermutigte ihn, zu sprechen. „Hm, Laietha, ich habe dich sehr gern und ich habe mich gefragt...“ Er unterbrach sich, als Boromir an ihre Seite trat und ihr den Arm um die Hüfte legte. Merry wurde rot und kam sich unendlich dumm vor, aber Laietha lächelte ihn milde an. „Mein lieber Merry. Ich mag dich auch sehr gerne, aber...“ Sie schenkte dem Hobbit ein Lächeln und warf dann einen Blick auf Boromir. „...ich mag Männer mit Bärten,“ flüsterte sie ihm ins Ohr.

Merry sah sie kurz traurig an, aber dann huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Sie paßte wirklich gut zu Boromir und weil er den Krieger mochte, gönnte er ihm sein Glück. Gegen einen so stolzen Mann aus dem Süden zu verlieren, war ja auch keine Schande. „Egal! Vielleicht kannst du mir aber kämpfen beibringen.“ Freudig stimmte sie zu und sie wollten gleich am nächsten Tag damit beginnen. Jetzt war es aber Zeit für den fünf Uhr Tee.

Sie saßen alle zusammen und tranken Tee. Die Hobbits schaufelten ein paar Kekse in sich hinein. Laietha unterhielt sich mit Bilbo und Boromir hatte in Gimli einen Gesprächspartner gefunden. Ihre Hände fanden sich heimlich unter dem Tisch.

Herr Elrond beobachtete die beiden genau. Eins stand fest, er würde seine Tochter nun auf keinen Fall mitgehen lassen, auch wenn er noch keine zwei weiteren Gefährten gefunden hatte. Zu seinem Kummer hatten die zwei anderen Hobbits schon Interesse angemeldet. Besonders unglücklich war Elrond darüber, daß der junge Pippin sich ihnen anschließen wollte.

Bis jetzt hatten die Kundschafter ihm von keinerlei Gefahr berichtet, wenn auch die Nachrichten aus Gondor schlimm gewesen waren. Saurons Macht wuchs und wie Gandalf ihm berichtet hatte, rüstete auch Isengard sich zum Vernichtungsschlag. Harte Zeiten standen ihnen bevor. Es wurde spät und die Hobbits gingen zu Bett. Auch der Zwerg war aufgestanden und hatte zusammen mit dem Mann Gondors den Raum verlassen. Laietha unterhielt sich noch mit Legolas und Gandalf starrte gedankenverloren vor sich hin. Dann erhob sich auch Elronds Tochter und ging zu Bett.

****

Boromir hatte das Feuer im Kamin entfacht und die Flammen tauchten das Zimmer in ein gemütliches Licht. Er nahm zwei Gläser hervor und goß den Wein ein, den er am Tage besorgt hatte. Schnell warf er noch einen Blick auf das Bett, das frisch gemacht war. Er lächelte und setzte sich in einen Stuhl, um zu warten. Einige Zeit später klopfte es und Laietha streckte den Kopf zur Tür hinein. Boromir sprang auf und sie fielen sich in die Arme und küßten sich. Den ganzen Abend hatten sie schon darauf gewartet, endlich für sich zu sein. Sie wollten gar nicht voneinander lassen. Atemlos sahen sie sich nach ein paar Minuten an und fingen an zu lachen.

Sie setzten sich hin und Boromir reichte ihr das Glas. Laietha rutschte dichter an den Kamin, um sich zu wärmen. Die Nächte waren frostig geworden und am Nachmittag waren dicke graue Wolken aufgezogen. Er trat von hinten an sie heran und legte ihr die Arme um die Schultern. Mit einem Seufzer lehnte sie sich zurück. Seine Finger glitten durch ihr Haar und dann ihren Oberkörper hinab. Laietha sah ihn an und lächelte. „Woran denkst du?“ Er rang sich ein Lächeln ab. „An meinen Vater. Ich habe versucht mir auszumalen, was er wohl zu dir sagen würde.“ Sie hob eine Augenbraue. Boromir begann zu sprechen. „Er ist ein strenger Mann.“

Sie würde in seinen Augen keine Geltung vor ihm finden. Laietha hatte keine Abstammung. Denethor würde mit allen Mitteln versuchen zu verhindern, daß Boromir sie zu seiner Frau machte. „Nun, hat er dir denn noch keine passende Frau ausgesucht?“ neckte sie ihn. Boromir grinste breit. „Oh doch, schon viele. Sie waren wunderschön, einige sehr klug und alle gut erzogen, sittsam, brav.“ Laietha forderte ihn auf, fortzufahren. „Warum hast du keine von ihnen genommen?“ Er seufzte. „Sie haben mich gelangweilt. Ich konnte nichts mit ihnen anfangen.“ Laietha sprang auf. „Aber ich gefalle dir.“ Boromir strahlte. „Natürlich! Wie kannst du so etwas fragen!“ Sie stemmte die Hände in die Hüften und tat so, als wäre sie beleidigt. „Weil ich häßlich und dumm bin?“ Er lief schnell zu ihr, packte sie, hob sie hoch und trug sie aufs Bett. Laietha stieß einen entsetzen Schrei aus und er legte sich auf sie, so daß sie sich nicht mehr rühren konnte. Er sah ihr in die Augen. „Weil du wild bist, ungestüm, launisch, störrisch, eigensinnig - kurz ein rechtes Biest.“ Er küßte sie, bevor sie antworten konnte und sie biß ihm in die Zunge. Mit einem Schmerzensschrei rollte er sich von ihr herunter. Nun war es Laietha, die sich auf ihn setzte. Sie biß ihm in die Schulter. „Da hast du dein Biest!“

Sie fingen an zu lachen. Laietha küßte ihn und er küßte sie. Bald schon gab es für sie nichts auf der Welt mehr als den anderen und Boromir vergaß die Sorgen, die ihn bis eben noch gequält hatten. Das Feuer brannte nieder, aber sie merkten es nicht und es war schon tiefe Nacht, als sie endlich erschöpft einschliefen.

Der Morgen graute und im Zimmer neben ihnen hörten sie die Hobbits, die sich schon auf das Frühstück freuten.

Frodo war bester Dinge, nur Sam sah mürrisch vor sich hin. „Was hast du, lieber Sam?“ fragte Frodo und gähnte herzhaft. Der Hobbit zog ein Gesicht, als hätte er saure Milch getrunken. „Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugetan. Ständig dieser Lärm von nebenan. Ich frage mich, was dort vor sich geht?“ Frodo zuckte mit den Schultern. „Nun, ich habe nichts gehört. Vielleicht hat Boromir geschnarcht.“ Sam schüttelte den Kopf. „Eins sag ich dir, Herr Frodo, er war bestimmt nicht allein.“ Frodo ging zu ihm und legte ihm besänftigend die Hand auf die Schulter. „Und wenn schon, Sam. Es sollte uns nichts angehen.“ Damit machten sie sich auf den Weg zum Frühstück.

Boromir öffnete verschlafen ein Auge und sah, daß Laietha ans Fenster gelaufen war. Bewundernd musterte er sie, denn sie hatte sich nicht die Mühe gemacht, etwas anzuziehen. „Guten Morgen, Königin aller Biester,“ scherzte er, als sein Blick auf seine nackte Schulter und den Gebißandruck darauf fiel. Sie wirbelte herum und strahlte ihn an. Mit einem Grinsen schwang sie sich ins Bett und er gab einen erschreckten Schrei von sich, denn sie war eiskalt. Schnell zog er sie in seine Arme und rieb sie warm. „Du wirst dir noch den Tod holen, mein liebstes Ungeheuer.“ Sie zerzauste ihm das Haar. „Es hat geschneit, Boromir. Der erste Schnee des Jahres.“ Er verzog das Gesicht. Das würde ihnen die Reise nicht erleichtern oder eine lange Verzögerung des Aufbruchs bedeuten. Aber dann sah er die Freude in ihrem Gesicht und mußte loslachen. „Vielleicht habe ich bei Schnee eine Chance gegen dich zu gewinnen.“ Laietha prustete vor Lachen. „Nie im Leben, Boromir!“

****

„Nimm das! Du bekommst mich nie!“ Merry duckte sich unter einem Schneeball weg, den Laietha auf ihn geworfen hatte. Boromir hatte sein Schwert gezogen und war gegen Legolas angetreten. Pippin sah bewundernd zu. Er wünschte sich, daß er auch so geschickt mit der Waffe umgehen könnte, wie die beiden Krieger.

Boromir hatte währenddessen arge Probleme mit Legolas. Obwohl er sehr viel kräftiger gebaut war als der Elb, hatte Legolas doch den Vorteil, daß er sich schnell und geschickt wie eine Katze bewegte und ihm der Schnee nichts auszumachen schien. Er bückte sich flink unter Boromirs Schlägen hinweg, um zwischen seinen Beinen durchzuschlüpfen und mit seinem Langmesser einen neuen Angriff zu starten. Bald schon war Boromir außer Puste.

Laietha und Merry flüsterten verschwörerisch und plötzlich knallte ein Schneeball gegen Boromirs Rücken. Der Mann drehte sich um, rutschte aus und fiel der Länge nach hin. Laietha und die Hobbits lachten laut. „Oh, mein stolzer Krieger! Ich glaube, ihr seid gefallen!“ grinste Laietha. Das Lächeln erstarb auf ihren Lippen, als sie das Grinsen auf Boromirs Gesicht bemerkte. Langsam kam er auf sie zu und ihr schwante nichts gutes. Der Mann begann zu laufen und Laietha ergriff die Flucht. Sie war nicht achtsam genug und rutschte aus und in dem Moment war Boromir auch schon über ihr und preßte sie zu Boden. „Was hast du gesagt, Schneemonsterchen?“ flüsterte er drohend und hielt einen Schneeball in der Hand. Laietha versuchte sich, seinem Griff zu entwinden, aber er ließ sie nicht los. „Merry, Pippin, helft mir!“ rief sie, aber Boromir seifte sie tüchtig ein. Laietha trat heftig nach ihm und mit einem spitzen Schrei sprang er von ihr runter und hielt sich sein schmerzendes Schienbein. Er lachte und Laietha ergriff die Flucht. Schnell rannte sie um eine Ecke, gewahr, daß sie verfolgt wurde. Boromir sprintete hinter ihr her, in seiner Hand einen dicken Schneeball. „Wartet nur, Herrin, ihr werdet triefen vor Nässe, wenn ich mit euch fertig bin!“

Boromir holte aus, bog um die Ecke und dann geschah alles ganz schnell. Er warf den Ball, Laietha, die ihn erwartet hatte, duckte sich, die Kugel sauste über ihren Kopf hinweg. Boromir riß die Augen auf und wollte eine Warnung ausstoßen, aber da war es auch schon passiert - der Schneeball traf Aragorn mitten ins Gesicht.

„Was zum Balrog geht hier vor?“ donnerte er wütend und wischte sich den Schnee aus dem Gesicht. Laietha wirbelte herum und grüßte ihren Bruder freudig. Während Aragorn sie in den Arm nahm, durchbohrte er Boromir mit finsteren Blicken. Die Hobbits waren von dem Spektakel angelockt worden und sie wollten auf keinen Fall verpassen, ob Laietha oder Boromir die Schlacht für sich entscheiden würde. „Streicher!“ riefen sie fröhlich und rannten auf den Waldläufer zu. Boromir nutzte die Gelegenheit, um sich aus dem Staub zu machen.

Nachdenklich durchschritt er die Korridore Bruchtals und schließlich setzte er sich in der großen Halle neben das Feuer und versank in Gedanken. Der Winter war gekommen und die Kundschafter kehrten zurück. Sie würden bald aufbrechen. Auf eine Art hatte er diesen Tag lange herbeigesehnt, denn er wollte in sein Land zurück. Aber das bedeutete, daß er Abschied von Laietha nehmen müßte. Er stützte den Kopf in die Hände. Er wollte zurückkehren, wenn seine Stadt sicher war, aber das konnte sehr lange dauern. Und die Reise war lang und gefährlich...

„Ihr habt sie sehr gerne, nicht wahr?“ Boromir schreckte hoch und der alte Hobbit - Bilbo - stand neben ihm und sah ihn nachdenklich an. Bilbo nahm neben ihm Platz. Er gab ein erleichtertes Stöhnen von sich und deutete auf seinen Rücken. „Der Schnee - es reißt mich immer in den Knochen.“ Boromir lächelte ihn freundlich an. Laietha mochte den alten Knaben sehr und sie hatte Boromir vor ihm gewarnt. „Er ist ein rechtes Schlitzohr und bekommt alles heraus, was er wissen will.“ Der Mann nickte. „Ja, es ist kalt geworden. Ihr solltet besser hier im Warmen bleiben.“ Bilbo sah ihn vorwurfsvoll an. „Ich bin alt, aber nicht blind. Ihr habt Laietha ordentlich den Kopf verdreht und wenn ihr meinen Rat wollt, dann bindet sie bei eurer Abreise fest, oder sie wird euch hinterherlaufen, wie ein Hund seinem Herren.“ Das waren auch schon Boromirs stille Befürchtungen gewesen. Laietha hatte öfter schon den Wunsch geäußert, ihn zu begleiten. Sie war furchtlos - er dachte an die Narben auf ihrer blassen Haut, die von gewonnenen und verlorenen Schlachten zeugten. „Na, es wird wohl bald losgehen. Herr Elrond ist sich zwar immer noch nicht sicher, wer die letzten beiden Begleiter sein sollen, aber ich denke, daß Merry und Pippin mit euch gehen werden, Herr Boromir.“ Der Krieger lachte. Laietha hatte völlig Recht gehabt - der alte Knabe schien seine Ohren überall zu haben. Er verabschiedete sich von dem Hobbit und ging auf sein Zimmer.

****

Die Tage verstrichen und Mitte Dezember waren auch die letzten Kundschafter eingetroffen - unter ihnen auch die Söhne Elronds. Sie hatten eine weite Reise hinter sich. Viele Länder hatten sie durchquert und es wurde immer klarer, daß sie bald aufbrechen mußten, denn die Zeit drängte.

Boromir hatte sich heimlich zu ihrem Zimmer geschlichen. Er öffnete die Tür vorsichtig einen Spalt weit und spähte hinein. Laietha stand in der Mitte des Raumes und hielt nachdenklich ihr Schwert in der Hand. Sie führte einen Streich durch und die Klinge zerschnitt die Luft mit einem Zischen. Boromir klopfte und sie ließ die Waffe sinken. „Darf ich eintreten, Herrin?“ Er lächelte spitzbübisch. Laietha nickte und legte die Waffe zur Seite. Boromir schloß sie in seine Arme. Es gab ein Fest an diesem Abend, aber sie wollten lieber für sich alleine sein und bei der Vielzahl der Gäste hofften sie, daß ihr Fehlen unbemerkt bleiben würde. Laietha hatte ihnen etwas zu Essen aus der Küche geholt und Boromir entfachte ein Feuer im Kamin. Es war bitterkalt, wenn auch der Schnee aufgehört hatte zu fallen. Sie aßen zusammen und beide waren recht schweigsam.

„Ihr werdet bald aufbrechen.“ Boromir nahm ihre Hand. „Ich werde zurückkommen, Laietha.“ Sie lächelte traurig. „Du hast es mir versprochen.“ Er erhob sich und ging zu ihr hinüber. „Zweifelst du an meinen Worten?“ Laietha schüttelte den Kopf. „Ich glaube wohl, daß du zurückkehren willst...“ „Niemand wird mich davon abhalten. Mein Vater wird einsehen müssen, daß du meine Braut bist. Und wenn er dich einmal gesehen hat, wird er dich in sein Herz schließen. Wen könntest du nicht bezaubern, Laietha?“ Sie sah ihn lange stumm an. Einige Bilder kamen zurück in ihr Gedächtnis - ein geborstenes Horn, Boromir der dalag als schliefe er...Bilder aus einem Traum.

„Ich sprach nicht von deinem Vater. Es gibt Mächte, die stärker sind als er.“ Boromir lachte ihr ins Gesicht und küßte sie. Dann hob er sie plötzlich in seine Arme und schwang sie herum. „Glaubst du, daß ich dich fallen lasse?“ Sie schüttelte den Kopf. „Wer hat Gimli im Armdrücken besiegt?“ „Du, Boromir.“ Er lachte. „Wer hat Legolas beim Wettlauf geschlagen, als der Preis ein Kuß von dir war?“ Sie sah ihn traurig an und antwortete mit leiser Stimme. „Du, Boromir.“ Er drückte sie fest an sich und strich ihr über die Wange. „Wer außer dir hat es geschafft, auf Ascar zu reiten.“ Laietha schluchzte. „Du, Boromir.“ Er ließ sie hinunter und strich ihr über das Haar. „Ich werde zurückkommen. Keine Kraft kann mich davon abhalten. Zweifelst du an meinen Worten?“ Laietha vergoß bittere Tränen. „Laß mich mit dir gehen!“ Boromir zog sie fest an sich. „Liebst du mich, Laietha?“ Ihre Tränen durchnäßten sein Hemd. „Ja,“ flüsterte sie. Er hob ihr Kinn an und sah ihr in die Augen. „Bleib hier. Warte hier auf mich. Wenn meine Stadt sicher ist, werde ich kommen.“

Sie beendeten das Essen schweigend und begaben sich zu Bett. Bald schliefen sie ein. Das Feuer brannte nieder und der Raum wurde kühl.

Feuer. Überall war Feuer. Die Felsen selbst schienen zu brennen und plötzlich wurde ein Schrei laut. Asche und Staub. Und wieder Feuer. Dann wurde es still und eisig kalt. Ein Beben ging durch die Welt und Laietha hörte ein Zischen. Ein Pfeil sauste an ihr vorbei und das Horn barst. Sie sah Boromirs Gesicht, als wäre er in tiefem Schlummer und um sie herum erhob sich ein Getöse wie von den Fluten des Bruinen nach einer heftigen Schneeschmelze. Boromir entschwand ihren Blicken und es wurde kalt - so bitterkalt, als wollte der Frost alles Leben auslöschen. Laietha schrie.

Mit einem Satz sprang sie aus dem Bett und sah sich gehetzt im Raum um. Alles war dunkel und ihr Blick fiel auf Boromir, der im Bett lag und friedlich schlief. Ein Traum. Sie blickte auf ihre Hand und sah, daß sie zitterte. Boromir öffnete die Augen. Besorgt sah er zu ihr hinüber. „Was hast du?“ murmelte er verschlafen. Laietha konnte nicht antworten. Schnell stand er auf und nahm sie in den Arm. Er spürte ihr Zittern und schob sie geschwind zurück ins Bett. „Du wirst dir noch den Tod holen.“ Er schüttelte den Kopf. Laietha versank in seiner Wärme. Ein Traum. Boromir hatte recht. Er war stark. Er würde in seine Stadt gehen und zurückkehren. „Paß auf meinen Bruder auf, Boromir.“ Er küßte sie auf die Stirn und lächelte. „Wie ihr es befehlt, Herrin.“ Dann schliefen sie wieder ein.

****

Herr Elrond hatte beschlossen, daß Merry und Pippin die letzten der neun Gefährten sein sollten. Boromir hatte Laietha den Rest des Tages über nicht mehr gesehen. Er war erleichtert, denn er hatte die Hoffnung, daß sie sich dem Willen ihres Vaters beugen würde und in Sicherheit blieb - falls es etwas wie Sicherheit gab, wenn sie versagen sollten. Wenn der Ringträger versagte. Er schüttelte den Kopf, um diesen Gedanken zu verdrängen. Aragorn sah ihn düster an. Er schien etwas zu ahnen. Boromir teilte Laiethas Meinung, ihm nicht zu sagen, daß er sie liebte. Der Waldläufer schien ihm ohnehin nicht gewogen zu sein und auch Boromir brachte ihm keine Liebe entgegen. Er hatte so lange Jahre gekämpft, um Gondor vor seinen Feinden zu schützen und nun sollte ein Waldläufer kommen und seinem Vater den Platz stehlen...wenn Gondor den Feinden standhalten konnte.

Elladan und Elrohir hatten mit niemandem als ihrem Vater gesprochen, aber der alte Bilbo hatte erstaunlich gute Ohren für sein Alter. Die Legionen Mordors waren zahlreich und Gondors Armeen schmolzen zusammen. Boromir würde erst wieder ruhig schlafen können, wenn er Nachricht von seinem Bruder erhalten hätte. Der Krieger ging zum Übungsplatz und fand dort Merry und Pippin, die in einen Kampf vertieft waren. Boromir mußte lachen. Die beiden sahen aus, als würden sie tanzen, nicht kämpfen. Erschreckt sahen sie hoch. Boromir lächelte freundlich. „Wenn ihr nichts dagegen habt, werde ich euch ein paar Tricks beibringen, denn ich fürchte, daß ihr sie auf unserer Reise wohl noch gebrauchen werdet.“ Die Hobbits stimmten freudig zu.

***

Die letzte Woche vor ihrem Aufbruch war wie im Flug vergangen. Der Schnee war getaut und die Welt sah grau und unfreundlich aus. Herr Elrond hatte für den Abend ein Fest zu Ehren der Gefährten ausrichten lassen. Die Vorbereitungen waren in vollem Gange. Die Hobbits schlichen den ganzen Tag über an der Küche entlang uns hielten ihre Nasen in die Wohlgerüche, die aus den Türspalten schwebten. Aragorn hatte sich zu einer langen Beratung mit Gandalf, seinem Vater und seinen Brüdern zurückgezogen und Legolas war in den Garten gegangen, um einen letzten Blick auf die wunderschönen Parkanlagen zu werfen. Boromir hatte nach Laietha gesucht, aber man hatte ihm gesagt, sie wäre am frühen Morgen schon ausgeritten und bis jetzt noch nicht wieder heimgekommen. Er begann sich langsam Sorgen zu machen. Als er im Stall nachsah, stellte er fest, daß Ascar tatsächlich nicht da war. Gimli kam auf ihn zu. „Herr Boromir, wenn ihr nichts dagegen habt, würde ich euch vor dem Essen gerne noch zu einem kleinen Kampf herausfordern. Die Hobbits haben mich zu einem Wettessen beschwatzt und ich glaube ein kleiner Kampf vor dem Essen könnte meine Chancen ein wenig anheben.“ Der Krieger konnte sich nicht helfen und grinste. Er schlug dem Zwerg die Bitte nicht ab und sie gingen auf den Übungsplatz.

Der Kampf hatte weitaus länger gedauert, als Boromir für möglich gehalten hätte und nachdem Gimli gegangen war, trainierte er selbst noch eine Weile. Es half ihm, daß er nicht ständig über all die Dinge nachdenken mußte, die ihm durch den Kopf gingen. Als er schon ziemlich erschöpft war, hörte er Pferdegetrappel. Er drehte sich um und sah einen Reiter schnell näher kommen. Das Pferd erkannte er selbst auf diese Entfernung. Das war Ascar. Der stolze Rappe schien auch ihn zu erkennen und beschleunigte freudig seinen Schritt. Laietha kam neben ihm zum Stehen. Ascar stupste Boromir mit seiner Schnauze an und der Krieger enttäuschte das Pferd auch diesmal nicht und zog eine Karotte aus seiner Tasche hervor. Laietha schwang sich vom Pferd. An ihrer Seite hing ihr Schwert.

„Wie steht es mit einem Kampf, mein Herr?“ Er lachte laut. Schon zuvor hatte er ihre Geschicklichkeit bewundern können - an jenem Tag, als sie ihn im Kampf besiegt und sein Herz als Preis gewonnen hatte. Sie trat zu ihm und er ergriff sie bei der Hüfte und grüßte sie mit einem liebevollen Kuß. Bald schon würde er keine Zärtlichkeiten mehr genießen können und ihm würde nur noch die Erinnerung an ihre gemeinsamen Stunden bleiben. Jede Sekunde mit ihr sog er begierig in sein Herz auf und hielt sie fest. Laietha berührte seine Wange und lächelte. Er strich ihr sanft übers Haar. „Laß uns jetzt nicht kämpfen, Herrin. Morgen werden wir aufbrechen und ich will die letzten Stunden mit dir nicht auf dem Übungsplatz verbringen.“ Sie sah auf einmal sehr entschlossen aus. „Ich werde dich begleiten.“

Erschreckt stieß er sie von sich. Die Reise war beschwerlich, gefährlich und man würde es ihr sowieso nicht gestatten, sie zu begleiten. Bilbo hatte Recht gehabt. „Nein, Laietha. Das ist unmöglich!“ Trotzig schüttelte sie den Kopf. „Laietha, die Reise ist gefährlich. Du kannst nicht mitkommen! Wir haben doch schon darüber gesprochen!“ „Ich bin eine gute Kämpferin! Ihr braucht jeden, der ein Schwert führen kann! Laß mich mit dir gehen!“ „Nein! Du hast mir versprochen zu bleiben!“ Sie wich einen Schritt zurück und er fürchtete, daß sie fortlaufen würde. Er wollte jetzt nicht mit ihr streiten - alles, nur das nicht. Zu seiner Überraschung zog sie ihr Schwert und streckte ihm die Klinge herausfordernd entgegen. Er runzelte die Stirn.

„Kämpf mit mir, Boromir, Denethors Sohn. Wenn du mich besiegst, werde ich bleiben.“ Er schüttelte den Kopf. „Bleib hier. Es ist unmöglich, daß du mit mir kommst.“ Sie tat einen Schritt auf ihn zu. „Kämpf mit mir.“ Er ließ die Hände an der Seite hängen. „Ich werde zurückkommen, Laietha. Ich habe es dir versprochen.“ Wieder kam sie näher, diesmal schneller. „Hast du Angst zu verlieren?“ fragte sie herausfordernd und warf stolz den Kopf zurück. Noch immer griff er nicht nach seiner Waffe. „Ich habe Angst um dich.“ Jetzt wütend stürmte sie auf ihn zu und hob ihr Schwert. „Kämpfe!“ Im letzten Moment hob er sein Schwert und parierte ihren Schlag. Sie hätte ihn nicht geschont. Wütend kämpften sie und Boromir hatte Angst. Gewann sie diesen Kampf, würde er sie nicht zurückhalten können.

Sie fochten eine ganze Weile und endlich gewann Boromir die Überhand. Ohne Gnade trieb er sie zurück, bis sie schließlich gegen eine Mauer gepreßt stand. Er hielt ihr das Schwert an die Kehle. „Du bist geschlagen, Herrin. Füge dich in dein Schicksal und bleib hier.“ Sie senkte den Kopf zu Boden. „Es scheint der Wille der Valar zu sein, daß sich unsere Wege morgen trennen. Ich beuge mich ihrem Urteil.“ Erleichtert seufzte Boromir auf. Er ließ die Waffe sinken und sein Gesicht wurde weich. Behutsam schloß er sie in seine Arme und fühlte ihre heißen Tränen an seiner Schulter. Vorsichtig löste er sich aus der Umarmung. Es war schon fast dunkel geworden und ihr Atem kondensierte in der kalten Luft.

Ascar kam auf sie zu und schubste Boromir zur Seite. Er strich dem Pferd über die Schnauze. „Keine Angst. Ich tue ihr nichts.“ Ein hochgewachsener Elb mit langem braunen Haar kam aus dem Haus und Boromir wich einen Schritt zurück. „Schwester, man erwartet dich bereits bei dem Fest. Du solltest dich beeilen.“ Laietha nickte und verabschiedete sich von Boromir. Sie wollte Ascar noch in den Stall bringen. Sie verschwand zusammen mit dem Elben. Es mußte Elladan oder Elrohir gewesen sein. Boromir seufzte. Ihm war nicht nach feiern zu Mute, aber diesmal würde man ihr Fehlen bemerken. Er begab sich ins Badehaus und zog sich frische Kleidung an. Als er fertig war, betrat er den Festsaal.

****

Die Hobbits hatten sich den Speisen gewidmet und Aragorn saß zusammen mit Legolas und Gandalf. Boromir kam sich etwas verloren vor und nahm neben Gimli Platz, der schnaufte wie eine Dampfmaschine. Trotz des ausgiebigen Trainings hatte er das Wettessen verloren. Nachdem er etwas verdaut hatte, entdeckte er Boromir als Gesprächspartner für sich.

Der Mensch hörte geduldig zu, wie der Zwerg ihm von seiner Arbeit in den Minen berichtete und von Schlachten mit Orks erzählte. Boromirs Gedanken waren ganz woanders. Die Tür schwang auf und Laietha betrat den Raum, begleitet von Elronds Söhnen. Sie führten die Frau an die Seite von Aragorn und sie nahm dort Platz. Laietha warf Boromir einen schnellen Blick zu und er sah ein Lächeln auf ihr Gesicht huschen. Sie trug ein Kleid aus dunkelgrünem Samt und ihr Haar hatte sie hochgesteckt. Um ihren Hals hing ein grüner Stein - er hatte fast die Farbe ihrer Augen.

„Habt ihr schon einmal einen Rohdiamanten gesehen, Herr Boromir? Wenn man ihn frisch aus dem Erdreich geholt hat? Unscheinbar möchte man meinen, aber...“ „Wunderschön,“ lächelte der Krieger. Gimli schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter und Boromir stieß fast mit dem Kopf auf den Tisch. „Ich sehe, Herr Boromir, ihr versteht etwas von Edelsteinen,“ lachte der Zwerg donnernd. Boromir erhob sein Glas und prostete Laietha über den Tisch hinweg zu. Sie lächelte und erwiderte seinen Gruß. „Ja, Herr Zwerg, manchmal sind die schönsten Schätze nicht für jedes Auge zu erkennen.“

Es wurde beschlossen, daß sie am nächsten Abend Bruchtal verlassen würden. Boromir verabschiedete sich weit vor Mitternacht, als die anderen sich in den großen Raum mit dem immer brennenden Feuer zurückzogen, um dem Gesang der Elben zu lauschen. Er warf Laietha im Hinausgehen einen einladenden Blick zu, den sie mit einem Lächeln erwiderte. Aragorn bedachte sie mit einem wachsamen Blick. Sie folgte ihm nicht sofort, sondern schloß sich den Elben noch an und lauschte eine Weile den elbischen Gesängen. Sie rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her und konnte es nicht erwarten, endlich aufzustehen und ihm zu folgen. Als es ihr unauffällig genug erschien, erhob sie sich und wollte sich zu ihren Gemächern begeben. Aragorn hatte es wohl bemerkt. Schnell stand er auf und wollte sie zur Rede stellen.

„Wo willst du hin, Laietha? Das Fest ist noch lange nicht vorüber.“ Sie schenkte ihm ein Lächeln. „Ich bin müde, Dunai. Ich bin den ganzen Tag ausgeritten und will zu Bett gehen.“ Er sah sie scharf an. „Ich warne dich zum letzten Mal vor Boromir.“ Sie reckte ihr Kinn in die Höhe. „Ich weiß nicht, was du meinst.“ Er setzte an, um ihr die Leviten zu lesen, als ihn jemand am Ärmel zupfte. „Dunadan. Ich will ein Lied zum besten geben, aber ich bin mir über den letzten Reim nicht ganz schlüssig. Ich bitte dich, hilf mir, denn ich will mich nicht vor den Elben blamieren.“ Aragorn sah Bilbo verdattert an und Laietha nutzte die Gelegenheit, um ihm einen raschen Kuß auf die Wange zu hauchen und sich zu entfernen. Im Gehen drehte sie sich noch einmal um und Bilbo, der Aragorn in eine Ecke zog, zwinkerte ihr verschwörerisch zu.

****

Es klopfte sachte an Boromirs Tür und er wußte, wen er zu erwarten hatte. Freudig öffnete er und zog sie schnell an sich. „Du hast mir gefehlt, Laietha.“ Sie versiegelte seine Lippen mit einem Kuß. „Laß uns nicht sprechen, Boromir.“

Sie beide wußten, daß ihre Trennung sehr lang sein konnte. Monate, vielleicht Jahre, vielleicht... Laietha drängte sich gegen ihn und er erschauderte unter ihren Liebkosungen. Eine Sternschnuppe durchzuckte den klaren Nachthimmel. „Wünsch dir etwas, Boromir.“ Er strich ihr durchs Haar. „Ich wünsche mir, daß diese Nacht nie endet.“ Ihre Finger glitten über seine Lippen. „Man darf den Wunsch nicht aussprechen, sonst geht er nicht in Erfüllung.“ Boromir küßte ihre Fingerspitzen. „Alles was ich mir wünschen könnte, halte ich in meinen Armen.“

Sie taten in dieser Nacht kein Auge zu. Zu kostbar war ihnen jeder Augenblick in der Gesellschaft des anderen.

Auch Sam konnte nicht schlafen. Er wälzte sich unruhig von einer Seite auf die andere und verdrehte die Augen. Hörte dieser Krach denn nie auf. Sam stöhnte laut. „Laß gut sein, Sam. Wer von uns sehnt sich nicht manchmal nach Gesellschaft.“ Sam sah Frodo erstaunt an. „Aber du mußt morgen ausgeruht sein, Herr Frodo. Und du kannst wegen diesem Lärm doch auch nicht schlafen.“ Frodo lachte leise. „Ich kann nicht schlafen, weil ich aufgeregt bin.“ Von nebenan hörten sie ein unterdrücktes Seufzen. Sam stopfte sich das Kopfkissen in die Ohren. Na, das konnte ja eine lange Nacht werden!

Die Sonne wagte sich an diesem Tag endlich wieder einmal hinter den Wolken hervor und sie stand schon hoch am Himmel, als Boromir und Laietha das Bett verließen. Sie zogen sich an und Boromir dachte wehmütig daran, daß er die folgenden Nächte wohl nicht nur auf ihre Gesellschaft, sondern auch auf ein Bett verzichten müßte. Laietha wurde plötzlich rot und ein wenig verlegen. Er zog seine Augenbraue hoch. „Was hast du, Herrin?“ Sie lächelte scheu und Boromir mußte unwillkürlich lachen, denn so hatte er sie noch nie gesehen - schüchtern. Das paßte so gar nicht zu ihr. „Ich will dir etwas geben.“ Nun war er wirklich verblüfft. „Es ist nichts besonderes...es...na ja, sieh selbst.“ Laietha zog ein kleines Bündel hinter ihrem Rücken hervor. Boromir betrachtete es neugierig und sah es sich genauer an. Er zog ein dunkelblaues Hemd hervor. „Nähen war noch nie wirklich meine Stärke, aber ich dachte, du könntest es auf der Reise bestimmt gut gebrauchen.“ Boromir zog sie in seine Arme und küßte sie lachend. Er zog das Hemd an und obwohl es nicht so fein gearbeitet war, wie seine eigenen Kleider, fühlte es sich gut an. Nun wurde Boromir rot. Laietha drehte sich beschämt weg. „Hm, ich wußte, daß es dumm von mir war. Es tut mir leid, ich dachte nur...“ Boromir sah sie erstaunt an. Er verstand nicht, was sie meinte. „Es ist wunderbar. Aber ich habe nichts, was ich dir geben könnte.“ Laietha fand wieder zu sich selbst und lachte. „Oh nein, das brauchst du nicht!“ Boromir lächelte und ging zu seiner Ledertunika, die er auch bei seiner Anreise getragen hatte. Er nahm eine der Silberschnallen, mit der sie zusammengehalten wurde und legte sie in Laiethas Hand. Lächelnd betrachtete sie das Schmuckstück. „Ich werde sie in Ehren halten und immer an dich denken, wenn ich sie ansehe.“ Boromir schloß ihre Hand. „Ich werde bald wieder hier sein. Das verspreche ich.“ Laietha küßte ihn.

„Ich werde mich jetzt schon von dir verabschieden. Du wirst sicher noch viel zu tun haben und...“ Sie mußte nicht weitersprechen. Sicher wollte sie nicht, daß ihr Bruder oder jemand anders etwas bemerkte. Aber Laietha hatte noch einen anderen Grund - sie wollte nicht, daß er sie weinen sah.

Boromir nahm ihre Hand in seine. „Ich möchte dich um etwas bitten, Laietha.“ Sie sah ihn erwartungsvoll an. Boromir kniete vor ihr nieder. „Ich weiß nicht, wie lange meine Aufgaben mich durch die Welt führen werden, aber wenn ich wiederkomme, willst du dann meine Frau werden?“ Laietha lachte und kniete sich zu ihm hinunter. Sie küßte ihn sanft auf den Mund. „Ja,“ hauchte sie ihm ins Ohr.

****

Herr Elrond versorgte sie mit warmer Kleidung für den Winter und ausreichend Proviant, soviel jeder von ihnen tragen konnte. Sie reisten mit leichter Bewaffnung, denn sie hofften unentdeckt zu reisen.

Die Dämmerung fiel über Bruchtal und die Gefährten versammelten sich zum Aufbruch. Aragorn ging noch einmal zu seiner Schwester. „Komm sicher zurück, Dunai.“ Er nickte und versprach es ihr, obwohl er nicht wußte, ob er sein Versprechen dieses Mal halten konnte.

Sie brachen auf. Boromir hatte den Hof mit seinen Blicken abgesucht und an einem der Fenster sah er Laiethas vertraute Umrisse stehen. Er lächelte wehmütig. Wenn seine Aufgabe doch nur bald erfüllt wäre und er zurückkehren könnte, um sie zu seiner Frau zu machen. Aber nun hatte er erst recht Grund zur Eile. Als sie den Hof Bruchtals verlassen wollten, stieß er in sein Horn und viele der Elben fuhren erschrocken hoch. Laietha lächelte, denn sie wußte, daß ihr dieser Gruß gegolten hatte.

Elrohir trat an ihre Seite. „Vater sagt, er hat ein ungutes Gefühl bei diesem Krieger. Er wird der Versuchung nach dem Ring erliegen.“ Laietha wandte ihren Blick nicht von den Gefährten ab, die den Hof verließen. „Und ich sage, daß er ein gutes Herz hat. Er wird stark sein und den Ringträger bis zum Ende unterstützen.“ Elrohir schüttelte den Kopf. „Du bist stur, Laietha. Wann hast du dir schon mal etwas sagen lassen.“ Als sie die Gefährten nicht mehr sehen konnte, drehte sie sich mit einem Lächeln zu ihm um. „Und du scheinst mir eifersüchtig zu sein, Elrohir, weil er besitzt, was du verloren hast.“ Der Elb schüttelte resigniert den Kopf und zog von dannen.

****

Es war jetzt bereits 17 Tage her, seit die Gefährten aufgebrochen waren. Elrohir war nicht entgangen, daß seine Ziehschwester oft am Fenster stand und über das Land blickte und er konnte sich denken, was in ihr vorging. Jeden Tag ging sie in den Stall und kümmerte sich um das Pferd des Gondorianers. Dort fand Elrohir sie auch an diesem Abend. Der Braune hatte einen Platz neben Ascar bekommen und die Pferde schienen sich zu mögen. Laietha ließ ihre Hand schnell in die Tasche gleiten als sie hörte, daß sich jemand näherte. „Was hast du, Laietha?“ Der Elb legte ihr die Hand auf die Schulter. Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe schlecht geträumt - das ist alles.“ Feuer, das geborstene Horn, das Rauschen des Wassers. Der Traum kehrte immer wieder und Laietha war mehr als nur besorgt. Für gewöhnlich ignorierte sie ihre Träume nicht, aber sie hatte versprochen, in Bruchtal auf ihn zu warten. Ihr Ziehbruder spürte, daß ihre Ungeduld wuchs und er hatte Angst, daß sie sich eines Nachts auf den Weg machen würde. „Mach dir keine Sorgen, Laietha. Ihnen wird nichts geschehen. Sie sind noch immer in der Nähe und Saurons Arm wird sie noch nicht erreicht haben.“ Die Frau traf seinen Blick und wußte, daß er log, um sie zu beruhigen. Sie seufzte tief.

Der Abend war trostlos, wie die Abende davor. Auch der alte Bilbo war nicht so frohgemut wie sonst. Oft fand Laietha ihn tief in Gedanken am Feuer sitzend - sein Buch auf den Knien. Sie setzte sich neben ihn und sie schwiegen gemeinsam.

****

In der Nacht vom 11. zum 12. Januar wachte Laietha schweißgebadet aus dem inzwischen vertrauten Albtraum auf. Sie blickte aus dem Fenster und sah eine Flammensäule am Himmel. Geschwind lief sie zum Fenster und versuchte etwas genaueres zu erkennen. Ohne Erfolg, aber kalte Furcht ergriff von ihr Besitz. „Mithrandir.“ Murmelte sie. Was war geschehen, daß der Zauberer so unvorsichtig war und ein so gewaltiges Zeichen in den Himmel schrieb? Sie hielt es keine Sekunde länger aus und packte ein paar ihrer Sachen zusammen. Laietha griff nach Dramthala, ihrem Schwert. Sie befestigte es an ihrem Gürtel und zog sich ihren Mantel über. Dann schnürte sie ihre Stiefel und schlich so leise wie möglich aus dem Haus zum Pferdestall.

„Ascar, mein Guter. Ich weiß, daß es kalt ist, aber wir müssen uns beeilen. Die anderen sind in Gefahr, ich weiß es. Wir müssen sie warnen.“ Das Pferd schnaubte und stieß sie ermunternd an. Laietha lächelte und gab ihm eine Karotte. „Er hat dich verwöhnt, mein Lieber. Ich sollte ihm dafür ordentlich den Kopf waschen!“ Wenn sie nur endlich wieder bei ihm war. Die Nächte alleine in ihrem Zimmer waren ihr wie eine Ewigkeit vorgekommen. Wie hatte sie sich nur so an ihn gewöhnen können?

„Du wirst gewiß nicht alleine gehen, Schwester.“ Laietha wirbelte herum und sah Elrohir entsetzt an. Er lächelte beschwichtigend. Auch der Elb hatte seine Sachen gepackt und trat nun an ihre Seite. „Ich weiß, daß ich dich nicht aufhalten kann, aber ich bitte dich, mich mit dir zu nehmen. Die Gegend ist gefährlich und ich lasse dich nicht alleine durch die Wildnis streifen.“ Laietha umarmte ihn dankbar. „Du warst schon immer mein Lieblingsbruder, Elrohir!“ Der Elb grinste breit. „Laß das nur nicht Aragorn hören!“

Heimlich machten sie sich auf den Weg. Sie trieben ihre Pferde zur Eile an. Auch Elrohir hatte das Licht am Horizont gesehen. „Sie haben versucht, über den Caradhras zu reisen. Wir sollten uns beeilen und sie einholen. Schließlich wissen wir nicht, welchen Weg sie sonst einschlagen werden.“

***

Die beiden kamen ein gutes Stück voran. Ihre Pferde waren schnell. Es dauerte etwa eine Woche bis sie am Fuße des Caradhras angekommen waren. Sie fanden noch die Überreste eines Lagers. Laietha und Elrohir stiegen ab. Die Bäume auf der Lichtung waren versengt und sie fanden einen zerbrochenen Pfeil. „Der gehörte dem Prinzen des Düsterwaldes,“ stellte Elrohir fest. Es mußte offensichtlich ein Kampf stattgefunden haben, aber von den Angreifern fanden sie keine Spur. „Werwölfe,“ mutmaßte Laietha und sie sahen sich bedeutungsvoll an. Die Spuren waren noch recht deutlich zu erkennen und sie folgten ihnen zu Fuß.

„Sie haben sich auf den Weg nach Moria gemacht.“ Elrohir schüttelte den Kopf. „Es war gewiß nicht Elessars Wille.“ Laietha bat ihn um eine Erklärung und Elrohir zögerte kurz. „Man sagt, ein Balrog triebe sich dort rum. Aragorn wird diesen Weg nur gegangen sein, wenn es keinen anderen Ausweg gab.“ Ein Balrog. Laietha dachte an ihren Traum - Feuer und Asche, glühende Felsen. „Wir müssen sie einholen!“ Sie wußte, daß es wohlmöglich schon zu spät war. Die Spuren waren mehr als eine Woche alt gewesen. Vielleicht hatten sie die Minen schon wieder verlassen - wenn sie lebend durchgekommen waren. Sie hieb Ascar die Fersen in die Flanken.

Die Spuren führten nach Moria, aber sie fanden den Eingang verschüttet. Hilflos sahen sie sich an. „Was nun?“ Ascar bäumte sich auf und warf Laietha fast ab. Aus dem See vor den Minen kroch ein tastender Tentakel hervor. Elrohir stieß einen Warnschrei aus. „Weg hier! Schnell!“ Die Pferde brauchten keinen Ansporn. Sie rasten schnell davon. Als sie außer Reichweite waren, hielten sie an. Laietha war verzweifelt. Sie mußten sie einholen! Sie warnen! Elrohir stieg von seinem Pferd und setzte sich hin. Er dachte lange nach.

„Wenn sie aus den Minen kommen, werden sie nach Lothlorien gehen. Sie müssen ihre Vorräte auffrischen und werden Rast brauchen. Und Aragorn kennt den Weg.“ Für diese Nacht schlugen sie ihr Lager auf. Wie auch in den Nächten zuvor, hielt Elrohir Wache während Laietha schlief.

****

Müde ließen sich die Gefährten auf die Schlafplätze sinken, die ihnen Frau Galadriel bereitet hatte. Boromir lag lange wach. Er starrte in den Himmel und sein Blick fiel auf den roten Stern, der so fern am Himmel stand. Pippin kam zu ihm geschlichen. „Kennst du die Namen der Sterne?“ fragte er. Der Krieger blickte ihn an und sah, daß ihm die Trauer um Gandalf noch deutlich ins Gesicht geschrieben stand. Boromir konnte sich nicht helfen, aber er fühlte, daß der Zauberer vielleicht nicht das letzte Opfer auf ihrem langen Weg gewesen war. Er deutete in den Himmel. „Den roten Stern dort nennen die Elben Carnil.“ Der Hobbit sah ihn bewundernd an. Boromir lächelte. „Meinst du, wir werden uns hier ein wenig ausruhen können?“ Pippin sah ihn hoffnungsvoll an, doch Boromir erschauderte bei dem Gedanken. Er hörte die Stimme Galadriels in seinem Kopf - wie sie vom Fall seines Reiches sprach und doch auch von Hoffnung. Er hatte vergeblich versucht, Laietha vor ihren suchenden Gedanken in seinem Kopf zu schützen, aber sie hatte ihm direkt ins Herz gesehen. Sein Blick fiel wieder auf den Halbling, der ihm in all der Zeit sehr ans Herz gewachsen war. Pippin sah müde und erschöpft aus und ein wenig Ruhe würde ihm guttun. Er lächelte freundlich. „Sicher werden wir eine Weile hier bleiben.“ Pippin lächelte fröhlich. „Das ist gut. Ich finde es schön hier. Fast so schön wie in Bruchtal. Wie schade, daß Laietha nicht hier ist. Es würde ihr hier bestimmt gefallen.“ Damit ging er zu seinem Lager und ließ Boromir mit seinen Gedanken zurück.

Er vergrub den Kopf in dem Hemd, das sie ihm genäht hatte und das er als Kopfkissen benutzte. Der Krieger schloß die Augen. Grüne Augen tanzten vor ihm und er hörte ihr helles Lachen. Fast konnte er sie greifen. Er spürte ihre Lippen auf seinen, ihre Hände in seinem Haar, wie sie sich mit ihrer warmen Haut an ihn preßte und er schöpfte neuen Mut. Gandalf war fort und welchen Weg sie nehmen würden, stand nicht mehr fest. Vielleicht war das die Hoffnung, von der Galadriel gesprochen hatte. Vielleicht würde der Ringträger sich doch noch entscheiden, ihn nach Gondor zu begleiten und sie konnten diesen Krieg früher für sich entscheiden, als er zu hoffen gewagt hatte. Aragorn hatte die Führung übernommen und er hatte ihm versprochen, ihn in die Weiße Stadt zu begleiten. Noch war nicht alles verloren.

****

„Wir sollten versuchen, das Nebelgebirge zu überqueren und am Nimrodel entlang nach Lothlorien zu kommen. Das ist der schnellste Weg, obwohl wir lange genug dafür brauchen werden.“ Laietha verzog unwillig das Gesicht. Es war tiefster Winter. Das Gebirge würde verschneit sein und sie müßten die Pferde zurücklassen. Das Unterfangen war so gut wie aussichtslos. Sie würden niemals rechtzeitig in Lothlorien eintreffen, um sie zu warnen. Elrohir legte ihr die Hand auf die Schulter. „Vielleicht sollten wir zurückkehren, Laietha. Es ist gefährlich bei diesem Wetter durch die Berge zu reisen. Die Orks sind zahlreich und sie werden schon lange fort sein, wenn wir bei Frau Galadriel eintreffen.“ Sie sprang auf, fest entschlossen, jetzt nicht aufzugeben. „Nein! Du, wenn du willst, kehr um, aber ich werde weitergehen!“ Der Elb schüttelte den Kopf. „Ich werde dich nicht alleine lassen. Wir sollten aufbrechen, der Weg ist weit.“

In der Ferne hörten sie Geheul und griffen nach ihren Waffen. Die Pferde scheuten und sie hatten Mühe, sie zurückzuhalten. „Warge,“ murmelte Elrohir. „Wo Warge sind, sind Orks nicht weit,“ setzte Laietha hinzu.

Schnell machten sie sich auf den Weg, um das Gebirge zu überqueren. Nun war Eile geboten. Sie hatten noch nicht einmal die erste Etappe genommen, als sie ein böses Knurren hinter sich vernahmen. Mit einem frustrierten Schrei sprang Laietha von Ascar und wirbelte herum. Sie sah sich einem Rudel von einem Dutzend Warge gegenüber. Die Kriegerin fluchte. Elrohir war sofort an ihrer Seite und zog seinen Bogen. „Ich werde bestimmt nicht als Futter für einen häßlichen, zu groß geratenen Hund enden!“ schnaubte Laietha. Elrohir legte seinen Bogen an und erlegte den ersten der Gruppe. Die anderen stürzten sich nun mit wildem Geheul auf sie. Elrohir ließ seinen Bogen singen und beförderte noch drei weitere von ihnen ins Jenseits, bis sie endlich an sie heran gekommen waren. Laietha umklammerte den Griff von Dramthala. Mit einem wilden Schrei rammte sie es dem ersten Angreifer in das geöffnete Maul. Sie zog das Schwert mit einem Quietschen aus seinem Rachen und stellte sich dem Nächsten. Mit einem schnellen Blick stellte sie fest, daß sie diesen Kampf nicht überstehen konnten. Sie mußten fliehen oder sterben. In einem Anflug von Verzweiflung warf sie sich auf den nächsten Warg. Auch Elrohir hatte ihre Lage abgeschätzt. Das Rudel begann, sie einzukreisen. Sie mußten sich jetzt entscheiden, was sie tun wollten. Er warf einen Blick auf seine Schwester, die mit dem Mut der Verzweiflung kämpfte. Sie würde eher sterben, als aufgeben.

„Lauf, Laietha! Beeil dich! Ich werde sie aufhalten!“ Entsetzt sah sie ihn an, aber er ließ sie nicht protestieren. „Lauf! Vielleicht schaffst du es! Mach dir um mich keine Sorgen. Ich werde dir genug Zeit geben und dann verschwinden.“ Sie nickte und begann zu laufen. Der Weg war steil und felsig und sie hätte einige Male fast den Boden unter den Füßen verloren. Hinter sich hörte sie Elrohir kämpfen. Wenn ihm nur nichts geschah! Die Wölfe heulten schrecklich laut und auf einmal herrschte Stille. Laietha wurde fast verrückt vor Angst. Hatten sie ihn getötet? Sie erlaubte es sich, eine Sekunde lang stehenzubleiben und zurück zu spähen, aber in der Dunkelheit konnte sie nichts ausmachen. Nun war es zu spät. So schnell sie konnte, setzte sie den Aufstieg fort.

Der Weg wurde immer steiler und sie war nun schon vier Tage unterwegs. Es war bitterkalt, aber zum Glück war nicht so viel Schnee gefallen, wie sie befürchtet hatte. Dennoch konnte sie keine Spur vom Gipfel des Berges ausmachen. Vielleicht hatte sie sich verirrt. Laietha gönnte sich einen Augenblick Rast. Erschöpft sank sie zu Boden. Die Ungewißheit, ob Elrohir noch am Leben war und die kräftezehrende Reise zermürbten sie. Fast wollte sie aufgeben. Ihre Hand umklammerte die Silberschnalle in ihrer Tasche. Nein, sie würde nicht eher ruhen, bis sie ihn wieder in den Armen hielt. Rasch nahm sie einen Bissen Lembas zu sich. Viel hatte sie nicht mehr. Ob sie wollte oder nicht, sie mußte es nach Lothlorien schaffen.

****

Elrohir stellte sich den letzten Warge entgegen. Sein Kampf war verzweifelt und er hatte sich schon mit dem Gedanken abgefunden, daß es sein letzter sein würde. Aber es ging nun nur noch darum, seiner Schwester genug Zeit zum Entkommen zu geben. Das Alphatier des Rudels fletschte bösartig die Zähne und sprang ihm entgegen. Elrohir wich einen Schritt zurück und trat auf einen losen Stein. Er fiel und der Wolf war über ihm. Der Elb stierte in einen zähnestarrenden Rachen. Das Tier verbiß sich in seiner Schulter und er stieß einen Schmerzensschrei aus. Das war also sein Ende. Erneut setzte der Warg an, um ihm die Kehle durchzubeißen, als das Tier plötzlich tot auf ihm zusammenbrach. Elrohir vernahm noch das gedämpfte Aufjaulen einiger Tiere und erblickte dann das Gesicht seines Bruders Elladan über sich. Dann verlor er das Bewußtsein.

****

Als sie eine Woche gestiegen war, erreichte sie den Gipfel und stellte fest, daß sie viel zu weit südlich sein mußte. Laietha fluchte im Stillen. Sie begann mit dem Abstieg. Zwei Tage später gingen ihre Vorräte zur Neige. Im knöcheltiefen Schnee suchte sie nach eßbaren Wurzeln, aber sie fand kaum genug, um eine wäßrige Suppe daraus zu kochen. Gegen Abend erlegte sie ein mageres Kaninchen. Der Hunger, Durst und die Kälte trieben sie dazu, ein kleines Feuer zu riskieren. Sie schmolz etwas Schnee und füllte ihre Wasserflasche auf. Mitten in der Nacht hörte sie Geräusche. Eine Gruppe von drei Orks näherte sich ihr. Ihre Augen sahen besser als Laiethas und sie stürmten auf sie zu. An Flucht war nicht zu denken, denn die Ungeheuer waren schneller als sie. Wenn sie sterben sollte, dann mit dem Schwert in der Hand.

Der erste Angreifer war herangekommen und mit geübter Hand trennte sie ihm den Schädel vom Rumpf. Die anderen beiden ließen ihr keine Pause und stürzten sich auf sie. Die Angst, daß ihre Schreie vielleicht noch andere anlocken könnten und ihr Wille zu überleben, verliehen ihr übermenschliche Kräfte. Nach kurzem aber heftigen Kampf hatte sie den zweiten besiegt, aber der dritte warf sich auf sie und schmetterte ihr das Schwert aus der Hand. Die Kreatur fletschte die Zähne und wollte ihr sein Schwert ins Herz rammen. Die Kriegerin rollte sich zur Seite, aber seine Waffe durchschnitt den Stoff an ihrem Hemd und Blut begann zu fließen. Laietha griff in ihre Kleidung und zog ihr Messer hervor. Sie stieß es ihm in den Leib. Mit einem Aufschrei ließ er von ihr ab, doch bevor er entkommen konnte, schnitt sie ihm die Kehle durch. Keuchend lag sie am Boden und umklammerte den Schnitt an ihrem Arm. Er begann taub zu werden. Vergiftet, dachte sie in Panik. Sie versuchte, die Wunde auszusaugen. Ihre Zunge wurde taub und sie fühlte sich schwindlig, aber sie gab nicht auf. Schwer atmend wickelte sie einen Fetzen Stoff um die Verletzung und fiel in einen unruhigen Schlaf.

****

Boromir schreckte aus dem Schlaf hoch. Er hatte ganz deutlich ihr Gesicht vor sich gesehen. Die Sterne funkelten über ihm und die Nacht war still und klar. Leise stand er auf und lief ziellos durch den Goldenen Wald. Ihr kann nichts passiert sein. Sie ist sicher in Bruchtal. Du hast nur schlecht geträumt, versuchte er sich zu beruhigen. Dennoch war an Schlaf für ihn nicht mehr zu denken. Wieder dachte er an die Visionen, die ihm Galadriel gezeigt hatte. Es wurde ihm wichtiger als zuvor, so schnell wie möglich zu seiner Stadt zu gelangen und Minas Tirith zu sichern. Auch wenn er wahrscheinlich nie in der Stadt regieren würde.

Erst als der Morgen graute, kehrte er zum Lager zurück. Er hielt sich von Frodo fern. In letzter Zeit war ihm öfter gewesen, als hätte er eine Stimme in seinem Kopf gehört, wenn er sich in der Nähe des Halblings aufhielt. Es mußte der Ring sein. Boromir schüttelte den Kopf. Er wollte ihn nicht für sich. Er hatte geschworen, den Halbling zu beschützen und ein Mann Gondors brach sein Wort nicht.

****

Als Laietha wieder zu sich kam, stand die Sonne bereits hoch am Himmel und der Schnee war geschmolzen. Ihr war heiß und ihr Mund war trocken. Du hast Fieber, dachte sie und bewegte vorsichtig ihren Arm. Er schmerzte, aber das Gift schien sich nicht ausgebreitet zu haben. Um sie herum lagen immer noch die drei Leichen der Orks. Sie begannen zu stinken. Laietha kam langsam wieder auf die Beine und sie taumelte zu den toten Körpern. Ekel unterdrückend, begann sie die Kadaver zu durchsuchen. Sie fand ein paar Lebensmittel und Wasser bei ihnen. Angewidert rümpfte sie die Nase, aber da ihre eigenen Vorräte fast gänzlich verbraucht waren, blieb ihr nichts anderes übrig. Gierig leerte sie eine Wasserflasche. Der Inhalt war schal und schmutzig, aber es war Wasser und das zählte. Zwischen ihren Brüsten spürte sie Wärme aufsteigen und sie griff nach dem grünen Stein, der an ihrem Hals hing. Sicher hatte er ihr das Leben gerettet. „Danke, Vater,“ murmelte sie und machte sich nach einem kargen Frühstück weiter an den Abstieg.

Sie mußte der Erschöpfung Zoll zahlen und brauchte fast eine weitere Woche für den Abstieg. Dann machte sie sich auf die Suche nach dem Fluß Nimrodel. An den Füßen der Berge fand sie mehr Nahrung. Es gelang ihr einige Male, ein kleines Tier zu erlegen und sie fand frisches Wasser. Die letzten zwei Tage des Abstiegs hatte sie ohne Nahrung auskommen müssen. Wie lange sie nun unterwegs war, konnte sie nicht mehr sagen.

Nach etlichen Tagen sah sie in der Ferne die Ränder des Goldenen Waldes und ihr Herz schlug schneller. Trotzdem sie dachte, sie würde es nicht einmal mehr bis zum Waldrand schaffen, spornte sie sich zu einer letzten Anstrengung an und beschleunigte ihre Schritte. Sie hoffte so sehr, Boromir und die anderen dort wohlbehalten anzutreffen. Laietha hoffte, daß ihre Mühe nicht umsonst gewesen war. Hoffnung war alles, was sie jetzt noch hatte.

****

Elrohir schlug die Augen auf und sah das besorgte Gesicht seines Vaters über ihn gebeugt. Elrond seufzte erleichtert. „Bei den Valar, du bist wieder bei Bewußtsein.“ Elrohir sah sich langsam um und stellte fest, daß er sich in seinem Zimmer in Bruchtal befand. Er wollte sprechen, aber seine Stimme versagte und sein Mund war trocken. Elrond reichte ihm schnell etwas zu trinken. Gierig schluckte Elrohir das Wasser hinunter. „Was ist passiert?“ fragte er mit heiserer Stimme.

Elrond erklärte es ihm. Sie hatten am Morgen festgestellt, daß Ascar verschwunden war, nebst Elrohir und Laietha und genau wie das Pferd von Boromir. Es mußte ihnen nachgelaufen sein. Elladan hatte sich auf die Suche gemacht und war den Spuren gefolgt. Zunächst hatte er nur gedacht, daß seine Geschwister ausgeritten waren, aber schnell hatte Elladan begriffen, daß seine Geschwister sich wohl auf die Suche nach den Gefährten gemacht hatten. Also war er ihnen nachgeritten und gerade rechtzeitig gekommen, um zu verhindern, daß sein Bruder zur Hauptmahlzeit für einen Warg wurde. Da Elrohir schwer verletzt war, hatte sein Bruder ihn zu ihrem Vater gebracht, der seine Wunden versorgt hatte. Von Laietha hatten sie keine Spur gefunden und Elrohir machte sich nun schwere Vorwürfe, daß er sie alleine gelassen hatte. Sein Vater legte ihm die Hand auf die Schulter. „Es war nicht deine Schuld. Sollte sie in Lothlorien ankommen, werden wir Nachricht erhalten.“ Nun, das minderte die Sorgen des jungen Elben nicht im geringsten, aber er konnte nichts anderes tun, als zu warten.

****

Bald schon würden sie aufbrechen und Boromir war sehr froh darüber. Er war sich inzwischen sicher - der Ring sprach zu ihm. Wie lange er seiner Versuchung noch widerstehen konnte, wußte er nicht. Frau Galadriel hatte sie am Nachmittag zu sich gerufen und ihnen Geschenke überreicht. Sie war sehr freundlich gewesen, aber dennoch fröstelte es Boromir, wenn sie ihn mit ihren uralten Augen musterte. In gewisser Weise erinnerte sie ihn an seinen Vater, der mit seinen Augen einem Menschen direkt in die Seele zu blicken vermochte. Aber der Aufbruch war nicht mehr fern.

****

Ein paar Zweige knackten und der Elb wirbelte herum. Hatte er es sich doch gedacht, daß sich jemand in den Gefilden seiner Herrin herumtrieb. Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. Jetzt war es Zeit für eine kleine Jagd. Schon bald hatte er mit seinen scharfen Sinnen den Eindringling erspäht - eine Menschenfrau. Sie war dunkel gekleidet und bewegte sich leise, wenn sie auch sehr erschöpft wirkte. Haldir wußte, daß es nur eine Frage der Zeit war, bis sie ihm in die Falle lief. Er ließ sie an sich vorbeischleichen, überholte sie wieder, beobachtete sie aus den Wipfeln der Bäume - bis ihm das Spiel zu langweilig wurde. Schnell sprang er vom Baum herunter und plazierte sich vor der Frau. Sie stieß einen Schrei des Entsetzens aus und noch bevor sie nach ihrer Waffe greifen konnte, spannte Haldir die Sehne seines Bogens und ließ sie auf die Pfeilspitze schielen, die ihr mitten ins Gesicht deutete. Er musterte sie. Ihre Kleidung war schmutzig und zerrissen. Sie war verletzt und ihr Gesicht war mit Schmutz bedeckt.

Die Frau sah ihn eine Weile an. Dann lächelte sie erleichtert. „Mae govannen, Haldir o Lorien.“ Es war nicht zu fassen, aber sie sprach die hohe Sprache ohne Akzent. Der Elb riß die Augen auf und sie schenkte ihm ein süffisantes Lächeln. Verärgert darüber, daß sie sein Erstaunen bemerkt hatte, gab er zurück: „Es sind in der Tat seltsame Zeiten, wenn so viele Wesen den Goldenen Wald betreten, die der hohen Sprache mächtig sind.“ Der Triumph ging an ihn zurück, denn nun weiteten sich ihre Augen. Ein wildes Feuer der Hoffnung schien aus ihnen zu leuchten. „Wovon sprichst du? Ist jemand hier entlang gekommen? Eine seltsame Gemeinschaft? Zwei Männer waren dabei, ein Zauberer, ein Elb, ein Zwerg und vier Halblinge! Pedo, mellon!“ Haldir straffte sich. Sie wußte verdammt viel...zu viel für seinen Geschmack. Er versuchte zu erkennen, wen er vor sich hatte. Er kannte sie... „Wer will das wissen?“ fragte er und stemmte die Fäuste in die Hüften. Die Frau lächelte erschöpft. „Erkennst du einen Freund nicht, wenn du ihn siehst?“ Sie ließ ihm etwas Zeit zum Nachdenken. Haldir sah die Menschenfrau von Kopf bis Fuß an. Sie hatte rotes Haar, mochte 25 Sommer zählen und hatte die Statur einer Kriegerin. Sie sah aus, als hätte sie eine lange gefährliche Reise hinter sich. Ihre Kleider schlackerten, so als hätten sie gepaßt, als sie aufgebrochen war. Langsam dämmerte ihm mit wem er es zu tun hatte. War das nicht das Mädchen, das Lord Elrond in seinem Haus aufgenommen hatte? „Ah, Annaluva, fast hätte ich dich nicht erkannt! Du bist älter geworden und diesmal angezogen!“ Er sah sie wieder vor sich stehen...so jung und schön. Damals hatte sie mit ihrem Ziehvater Frau Galadriel besucht. Sie hatten einige wunderbare Wochen miteinander gehabt - bis sie ihn verlassen hatte. Es war einige Jahre her und sie hatte sich verändert. Haldir wandte sich ihr wieder zu. „Folge mir, ich werde dich zur Herrin des Waldes bringen.“ Damit lief er in das Dickicht hinein und die Frau hatte Mühe, ihm zu folgen, als sie erschöpft hinter ihm herstrauchelte.

Der Galadhrim führte Laietha lange durch die Wälder. Er hatte ihr die Augen verbunden und genoß es, daß die Frau sich an seine Hand klammern mußte, um den Weg nicht zu verlieren. Sie waren einige Tage unterwegs. Schließlich erreichten sie den großen Baum, in dem die Herrin des Lichts wohnte. Haldir ging, um seine Herrin zu benachrichtigen und hieß sie zu warten. Die Zeit schien sich ihr ins Endlose zu dehnen. Sie mußten hier sein - sie hoffte es so sehr. Aber alles deutete darauf hin, daß sie wieder fort waren. Wenn sie nur nicht zu spät gekommen war! Sie lief auf und ab wie ein gefangenes Tier und trat schließlich an den Rand der Plattform. Jetzt nur nicht hinuntersehen, sagte sie sich.

Hinter sich vernahm sie kaum hörbare Schritte. Sie wirbelte herum und erstarrte. In weiß gekleidet und von einem Kranz aus Licht umgeben schritt die Herrin des Waldes die Treppen hinunter. Die Frau verbeugte sich tief. „Mae govannen, Laietha Annaluva, Ziehtochter von Elrond Halbelben, dem Herrscher in Imladris.“ „Mae govannen, Frau Galadriel, Hüterin des Lichts Earendils,“ erwiderte Laietha wie es sich geziemte. Die Elbenkönigin lachte glockenhell. „Dein Vater hat dir wahrlich viel über die Sitten der Elben beigebracht. Sprich, was führt dich zu mir. Sicher willst du dich nicht nur an dem Goldenen Wald erfreuen, denn die Reise von Imladris zu meinem Reich ist der Tage sehr gefährlich.“ Sie bedachte den notdürftig verbundenen Schnitt am Arm der Frau mit einem flüchtigen Blick. Laietha nickte. „Ich bin meinem Ziehbruder gefolgt. Habt ihr ihn gesehen?“ Galadriel nickte langsam. „Ja, er ist hier gewesen, aber du kommst zu spät. Die Gemeinschaft hat mein Reich vor zwei Tagen verlassen.“ Laietha dachte, daß ihr der Boden unter den Füßen schwinden würde. Zwei Tage! Sie ließ den Kopf hängen. Die Herrin des Lichts fuhr fort. „Deine Sorge ist nicht umsonst gewesen. Schon als die acht den Wald verließen, schwebte ein bedrohlicher Schatten über ihnen. Ich habe es gefühlt.“ „Die acht?“ entfuhr es Laietha. „Aber es waren neun als sie Bruchtal verließen!“ Als sie bemerkte, daß ihre Hände zitternden, ballte sie sie zu Fäusten und zwang sich zur Ruhe. „Der Zauberer ist in den Schatten von Moria gestürzt. Ein Balrog von Morgoth nahm ihn mit sich.“ Tränen schlichen sich in die Augen der Frau. „Mithrandir...“ wisperte sie kaum hörbar. Asche und Feuer. Das hatte also ihr Traum zu bedeuten gehabt. Aber was war mit dem zweiten Teil? Das geborstene Horn.

Boromir, dachte sie panisch. Sie schüttelte den Kopf. „Dann muß ich mich beeilen. Ich kann nicht länger verweilen!“ Sie wollte sich umdrehen und weiterlaufen, aber ihre Knie waren weich wie Butter. Die Elbin packte sie fest am Arm. „Ihr solltet euch ausruhen. Geht heute Nacht nicht weiter.“ Sie hatte Recht. Die Kriegerin war erschöpft und eine Rast würde ihr guttun. Zuerst kamen einige Heilerinnen und versorgten den Schnitt an ihrem Arm, dann führte man sie zu den Badestätten und schließlich erhielt sie etwas zu Essen. Als sie satt und sauber war, spürte sie, daß sie die Augen vor Müdigkeit kaum noch offenhalten konnte.

Laietha ließ sich von Haldir auf ein Zimmer führen. Der Elb drehte sich im Gehen noch einmal um. „Wenn du heute Nacht Gesellschaft brauchst...“ Sie schüttelte den Kopf. Haldir schnaubte beleidigt. „Es gab Zeiten, da hättest du mich nicht einfach so weggeschickt.“ Laietha rang sich ein Lächeln ab. „Viele Sommer sind seit dem verstrichen. Und nun wünsche ich dir eine gute Nacht.“ Beleidigt verließ er den Raum und Laietha ließ sich auf das weiche Bett fallen. Sie war zu Tode erschöpft, aber Schlaf wollte sich nicht einstellen. Sie starrte an die Decke. Sie hatte so viel riskiert und nun war sie zwei Tage zu spät.

Ihre Hand wanderte in die Tasche ihres Mantels und umschloß die kleine Silberschnalle, auf der man einen Baum und sieben Sterne erkennen konnte. Sie lächelte. Er war hier gewesen. Ihre Mühen waren doch nicht vergebens gewesen. Noch bestand Hoffnung. Sie schlief ein.

Mitten in der Nacht erwachte sie mit einem Schrei. Sie schwitzte und atmete schwer. Was hatte sie nur geträumt? Ohne nachzudenken, wanderte ihre Hand zu dem Juwel, das zwischen ihren Brüsten hing. Es leuchtete grün aus seinem Innersten heraus. Langsam spürte sie, wie die Furcht von ihr abfiel. Ihr Atem wurde regelmäßiger. Herr Elrond hatte ihr diesen Elbenstein geschenkt, bevor sie das erste Mal in die Schlacht gezogen war. Die Elben besaßen viele dieser magischen Steine und dieser nahm Furcht und half Heilen. In vielen Kriegen hatte ihr das Juwel gute Dienste erwiesen. Es war das Wertvollste was sie besaß. Sie zog Stärke aus seiner Wärme an ihrer Haut und bald fiel sie erneut in einen tiefen, diesmal traumlosen Schlaf.

****

Die Nacht war so finster, daß sie sogar das Licht ihres kleinen Lagerfeuers zu verschlucken schien. Aragorn fand keinen Schlaf. Er hatte das Gefühl, daß sie verfolgt würden und auch andere Dinge, die ihn beunruhigten raubten ihm den Schlaf. Er ließ seinen Blick über das Lager schweifen und sah Boromir, der auf den Fluß starrte.

Boromir war tief in Gedanken versunken. Sein Herz zog ihn zurück nach Bruchtal. Es würde noch lange dauern, bis es ihm erlaubt war, wieder eigene Wege zu gehen. Seine Stadt war in Gefahr - das hatte ihm Frau Galadriels Stimme in seinem Kopf gesagt - und er war der Sohn des Statthalters. Er hatte Pflichten, die keinen Raum für persönliche Interessen ließen. Er seufzte. Seine Hand glitt über das Hemd, das sie für ihn genäht hatte und in Gedanken war er bei ihrer letzten gemeinsamen Nacht. Er dachte an den Geruch ihrer Haare, ihre weiche Haut auf seiner, ihre Lippen, die sich fanden.

Aber es gab jetzt wichtigeres für ihn zu tun, ermahnte er sich. Die Verantwortung seinem Volk gegenüber - auch wenn er es nie regieren würde. Er war nun fast froh, daß Aragorn den Thron für sich beanspruchen würde, denn ein Mädchen wie sie würde in den strengen Augen seines Vaters nie Befürwortung gewinnen. Wenn die Weiße Stadt in Sicherheit war, würde er zu ihr gehen können. Aber es war noch so ein weiter Weg bis dahin. Der Ring - der verfluchte Ring! Er war die Ursache aller seiner Probleme - und vielleicht die Lösung. Wenn sie den Ring gegen Sauron verwenden würden... „Du kannst ihn nicht benutzen! Niemand kann das!“ Aragorns Worte hallten in seinen Ohren. Aber woher wollte er das wissen? Er hatte es noch nie versucht! Das war alles nicht richtig!

Aragorn setzte sich neben ihn. „Was hast du, Freund?“ In seiner Stimme schwang Sorge mit. Trotz aller Differenzen, die er mit dem Mann hatte - während der Reise hatte er sich doch als treuer Freund erwiesen und Aragorn verdrängte den Gedanken, daß er befürchtet hatte, daß er seiner Schwester zu nahe kommen wollte.

Boromir fühlte sich ertappt. Er hatte den Waldläufer nicht kommen gehört. Schnell suchte er mit seinen Blicken den Fluß ab. Dann deutete er auf einen im Wasser treibenden Baumstamm. Aragorn nickte. „Es ist Gollum. Er folgt uns bereits seit Moria. Ich dachte, wir würden ihn auf dem Fluß verlieren, aber er ist ein zu geschickter Wassermann.“ „Ich hoffe, daß er den Feind nicht zu uns führen wird.“ Also spürte auch Boromir, daß sie verfolgt wurden. Er nickte zustimmend. Der Gondorianer nahm seinen Mut zusammen. Immerhin war es Aragorns ursprünglicher Plan gewesen, ihn zu begleiten. „Vielleicht sollten wir zu meiner Stadt gehen. Dort könnten wir unsere Kräfte neu formieren und gestärkt aufbrechen.“ Aragorn wurde ärgerlich. „Ich werde den Ring nicht näher als 100 Meilen an deine Stadt führen!“ Jetzt brach der Zorn auch aus Boromir heraus. „Warum hast du so wenig Vertrauen in dein eigenes Volk? Ja, wir Menschen sind schwach - aber es gibt auch Ehre und Stärke unter den Menschen!“ Aragorn schnaubte und Boromir packte die Wut. Er bekam den Waldläufer an den Schultern zu fassen und schüttelte ihn. „Den Elben hast du gleich vertraut!“ rief er aus. Alle seine Frustrationen der letzten Tage, Wochen, vielleicht Jahre legte er in diesen Wutausbruch. Der vergebliche Versuch seines Volkes, gegen die Mächte Mordors Widerstand zu leisten, während der zukünftige König Gondors untätig mit den Elben anbändelte - Gondor hatte es nicht verdient von einem Mann regiert zu werden, der einem anderen Volk mehr zugetan war als dem eigenen! Er selbst war sein ganzes Leben lang darauf vorbereitet worden, ein starker Herrscher für sein Volk zu sein. Er hatte so viel entbehren müssen - entbehrte jetzt noch so viel - er würde nicht zusehen, wie Aragorn seine Stadt dem Untergang überließ, nur weil er Furcht vor der Verantwortung hatte, nur weil er sich den Elben...

Aragorn riß sich los und sah den Krieger finster an, und drehte sich zum Gehen um, aber noch war Boromir nicht fertig mit ihm. Erneut bekam er den Waldläufer an der Schulter zu fassen. „Du hast Angst vor dem wer du bist und was du bist! Sei ein Mann und kämpfe für dein Volk!“ Der Mann entwand sich seinem Griff. Völlig ruhig sah er Boromir an. „Du solltest jetzt schlafen gehen. Unser Weg nach Mordor ist weit.“ Damit ließ er den Gondorianer in seiner Wut allein. Der Krieger trat mit dem Fuß gegen einen Baum. Das Feuer des Zorns war noch nicht erloschen und verkohlte sein Herz, aber etwas anderes in ihm erstickte schließlich die Flammen. Er traf seinen Entschluß. Niemand der Gemeinschaft war an ihre Wege gebunden. Sollten die anderen nicht mit ihm kommen, würde er alleine nach Minas Tirith gehen. Er mußte seinem Volk jetzt zur Seite stehen und je eher seine Stadt sicher war, desto schneller konnte er sich seinen eigenen Bedürfnissen zuwenden. Er drehte sich auf die Seite und schlief ein.

****

Die Sonne war noch nicht ganz aufgegangen, als Laietha mit gepackten Sachen am Fluß stand und ihren Abschied nahm. Die Elbenkönigin hatte ihr noch etwas Proviant und ein Boot geben lassen. „Sie sind zu den Rauros Fällen gefahren. Wie ihr Weg von dort aus weiterführt, kann ich nicht sagen. Das ist ein schnelles Boot. Wenn du zügig reist und wenig rastest, kannst du sie vielleicht einholen.“ Dann griff die Herrin des Waldes hinter ihren Rücken und zog eine kleine Phiole mit einer grünlich schimmernden Flüssigkeit hervor. „Wenn du dich schwach fühlst, genügt ein Schluck, um dich zu wärmen und dir Kraft zu geben. Ich fühle, daß du es auf deiner Reise sehr wohl brauchen wirst.“ Die Kriegerin öffnete die Phiole und roch an der Flüssigkeit. „Miruvor,“ lächelte sie verzückt. Laietha stiegen Tränen der Dankbarkeit in die Augen und sie schämte sich, daß sie nichts hatte, was sie der freundlichen Elbin im Austausch geben konnte. Nichts, nur...ihre Hand wanderte an ihren Hals und sie griff nach der Kette, um den Verschluß zu lösen. Eine der delikaten Hände der Elbenherrscherin legte sich auf ihre rauhe. „Nein, behalte es. Du wirst es vielleicht noch brauchen. Und nun eile dich.“ Die Kriegerin verneigte sich und küßte die Hand der Elbin. Unter tausendfachen Danksagungen nahm sie ihren Abschied.

Der Strom riß an dem leichten Boot, aber Galadriel hatte nicht zu viel versprochen, es war schnell und trug Laietha rasch in Richtung der Rauros Fälle. Am meisten strengte sie das Steuern an. Der Tag verflog und erst als es so dunkel geworden war, daß sie ihre eigene Hand nicht mehr vor Augen sehen konnte, steuerte sie das Boot ans Ufer und suchte sich im Dickicht des nahen Waldes eine Raststätte. Sie setzte sich hin und nahm einen Bissen von dem Lembas das ihr die gute Frau Galadriel als Proviant mitgegeben hatte. Ein Feuer zündete sie nicht an. Es war zu gefährlich. Die Anstrengung der letzten Tage forderten ihren Tribut und sie fiel in einen leichten Schlaf.

Kaum hatte sie die Augen geschlossen, so schien es ihr, schreckte sie hoch, als hinter ihr Zweige knackten. Sie griff nach ihrem Schwert und wollte auf den Angreifer zuspringen, als sich ihr eine Hand um die Kehle schloß. Der Griff war fest, schmerzte aber nicht. „Ihr Menschen seid bedauernswerte Geschöpfe - dem Bedürfnis nach Schlaf so ausgeliefert.“ Laietha erkannte die Stimme sehr wohl. „Und ihr Elben seid so albern! Lauft durch die Natur und habt nichts besseres zu tun, als unschuldige Reisende zu erschrecken! Laß mich los, Haldir! Was tust du überhaupt hier?“ Der Elb tat wie ihm geheißen war. „Die Herrin des Waldes schickt mich. Sie fürchtete, du könntest in der Wildnis verloren gehen, wenn niemand auf dich acht gibt.“ Selbst in der Dunkelheit konnte sie sein breites Grinsen sehen. Die Kriegerin schüttelte nur den Kopf. „Wenn ich ein Ork gewesen wäre, wärst du jetzt tot.“ Sie wußte, daß er Recht hatte und der Gedanke gefiel ihr nicht. Eigentlich war sie ja auch froh, Gesellschaft zu haben, nur warum, im Namen der Valar, mußte es ausgerechnet Haldir sein?

Ein kühler Morgen folgte auf die Nacht und Laietha ging zum Fluß, um sich zu waschen. Nachdem sie sich angezogen hatte und umdrehte, um zum Lager zurückzukehren, sah sie Haldir, der breit grinsend zu ihr hinübersah. „Für gewöhnlich lasse ich mich nicht zwei Mal mit der selben Sterblichen ein, aber bei dir würde ich eine Ausnahme machen,“ grinste er. Laietha funkelte ihn wütend an. „Du kannst es gerne versuchen, aber dann wirst du bald herausfinden, ob man auch ohne Kopf noch unsterblich sein kann.“ Er lachte schallend. Sie frühstückten rasch und dann machten sie sich auf den Weg. Der Elb sah mit hochgezogenen Augenbrauen zu, wie die Frau sich abmühte, das Boot so schnell wie möglich voran zu bringen. Haldir behielt die Ufer im Auge. Er hatte Gerüchte von Orks gehört, die auch bei Tage reisten und egal ob sie wahr waren oder nicht, er wollte nicht der Erste sein, der das herausfand. Die meiste Zeit über reisten sie schweigend. Als die Mittagssonne warm auf sie hinunterschien ergriff der Elb das Wort. „Warum folgst du deinem Bruder? Er hat sicher auch ohne deine Gesellschaft genug zu tun. Meinst du, er wird glücklich sein, dich zu sehen?“ Eine Zeitlang antwortete sie nicht. Nach einer Weile des Schweigens sagte sie schließlich. „Ich bin nicht wegen meinem Bruder hier.“ Haldir wartete auf eine Erklärung, aber sie gab keine. Er zuckte mit den Schultern. Menschen!

Der Fluß verbreiterte sich und es wurde zunehmend schwieriger, das Boot zu bewegen. Gegen Nachmittag ließ sie fast das Ruder ins Wasser fallen. Haldir reagierte blitzschnell. Dann übernahm er das Paddel. Als die Sonne kurz vor dem Untergang stand lenkte er das Boot ans Ufer. Sie stiegen aus und Laietha rieb sich die schmerzenden Arme. Der Elb lächelte selbstgefällig. Dann untersuchte er den Boden. Ein gutes Stück von ihrem Rastplatz aus fand er etwas, das ihn beunruhigte. Hinter sich hörte er Schritte. „Was ist?“ Laietha trat an seine Seite und er deutete auf die Spuren im Boden. Sie waren noch nicht alt - vielleicht ein paar Stunden. „Was war das? So etwas habe ich noch nie gesehen!“ entfuhr es ihr.

Haldir schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht, aber was immer es war. Ich möchte ihm nicht begegnen.“ Laietha kniete sich nieder und maß die Fußabdrücke mit ihrer Hand ab. Das mußten Riesen gewesen sein - und verdammt viele von ihnen. Mit den Händen an den Waffen folgten sie der Spur ein Stück weit. Sie waren gerade im Begriff umzukehren, als sie etwas am Wegesrand liegen sahen. Ohne zu überlegen rannte die Frau darauf zu. Haldir fluchte leise, wagte es aber nicht, laut nach ihr zu rufen und lief ihr hinterher. Wie versteinert stand sie da und starrte auf den Boden. Haldir trat an ihre Seite und mußte einen Schrei des Ekels unterdrücken. Auf der Erde lag ein stinkender Kadaver - ein großer stinkender Kadaver. Er schluckte. Die Frau kniete sich nieder und berührte ihn vorsichtig. „Was ist das? Es sieht aus wie ein Ork - und auch wieder nicht.“ Von dem Leichnam war nicht mehr viel übrig. Der Rest von ihm war wohl aufgefressen worden. „Ich will hoffen, daß es nicht diese Wesen waren, die hier vorbeigekommen sind. Die sind ja riesig,“ setzte sie nach einer Weile hinzu. Haldir zog sie davon. Die Abscheu übermannte ihn. „Ich will hoffen, daß sie es waren, denn wie groß sollte ein Wesen sein, das so einen Hünen jagt und zur Strecke bringt.“ Laietha schluckte hart. Er hatte Recht.

„Ich weiß nicht wie es dir geht, Haldir, aber ich möchte heute Nacht lieber nicht hier bleiben.“ Der Elb nickte zustimmend und zog sie schnell ins Boot.


~~~~~     
zum 4. Teil --->