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Titel: Annaluva
- Teil 3 Autor: Naurdolien
Tage
und Wochen waren ins Land gegangen und der November
neigte sich dem Ende zu. Die ersten Kundschafter waren
zurückgekehrt, aber Elladan, Elrohir und Aragorn
waren nicht unter ihnen gewesen.
Boromir hatte sich mit Merry und Pippin angefreundet.
Die drei unternahmen oft lange Spaziergänge durch
Bruchtals Gärten und oft war Laietha bei ihnen,
was Boromirs und Merrys Augen zum leuchten brachte.
Laietha und Boromir hielten ihre Liebe geheim. Wenn
sie mit den Hobbits unterwegs waren, nutzten sie unbeobachtete
Momente für einen heimlichen Kuß oder eine
versteckte Berührung. Laietha wußte, daß
ihr Vater nicht von dieser Verbindung begeistert sein
würde. Sie hatte ihn oft gehört, wenn er sich
zu Gandalf verärgert über sein Auftreten geäußert
hatte. Von Aragorn ganz zu schweigen.
Der Halbling Frodo hatte sich schon wieder ganz gut
erholt und verbrachte viel Zeit mit seinem Onkel Bilbo.
Laietha konnte sehen, daß er seine Entscheidung
zu bereuen schien und in der Tat vertrat sie Boromirs
Meinung, daß man einem anderen diese wichtige
Aufgabe hätte übertragen sollen.
Es war inzwischen bitterkalt geworden. Die Elben
und Zwerge waren abgereist. Laietha stand auf dem Hof
und sah, wie Boromir Abschied von den Menschen nahm.
Auch sie wollten in ihre Heimat zurückkehren. Mehr
als einmal hatte Laietha bemerkt, daß auch Boromir
ungeduldig wurde. Er sprach nicht zu ihr davon, aber
sie hatte gesehen, daß er oft am Fenster stand
und in die Richtung sah, in der seine Heimat lag. Natürlich
machte er sich Sorgen, denn sein Volk befand sich im
Krieg und die wenigen Nachrichten, die sie aus Gondor
erhalten hatten, waren schlecht gewesen. Die Sonne ging
unter, obwohl es kaum später Nachmittag war.
„Sieh nur, Pippin, da ist Laietha!“ rief Merry fröhlich.
Pippin schüttelte verständnislos den Kopf.
„Sie ist doch viel zu groß für dich.“ Merry
warf ihm einen giftigen Blick zu. „Und viel zu ungehobelt,“
setzte Sam hinzu, der dieser Menschenfrau keine Liebe
entgegenbrachte. Merry ließ sich nicht aus der
Fassung bringen. Er lief zu Laietha und grüßte
sie freundlich. Die Frau begann sich sofort angeregt
mit ihm zu unterhalten. Sam schüttelte den Kopf.
Er wollte jetzt lieber etwas ordentliches essen gehen.
Pippin schloß sich ihm an.
Merry starrte unsicher auf seine Füße.
„Was hast du denn, Merry?“ fragte Laietha besorgt. Der
Hobbit fühlte sich plötzlich wie ein kleiner
Junge. Vielleicht hatten Pippin und Sam ja doch recht.
Aber er mußte es jetzt einfach loswerden. Wer
konnte denn schon sagen, wie lange sie noch dort verweilen
würden!
„Hm, ich will dir etwas sagen...aber ich weiß
nicht wie.“ Laietha hob neugierig eine Braue. Was hatte
der Hobbit wohl vor? Sie ermutigte ihn, zu sprechen.
„Hm, Laietha, ich habe dich sehr gern und ich habe mich
gefragt...“ Er unterbrach sich, als Boromir an ihre
Seite trat und ihr den Arm um die Hüfte legte.
Merry wurde rot und kam sich unendlich dumm vor, aber
Laietha lächelte ihn milde an. „Mein lieber Merry.
Ich mag dich auch sehr gerne, aber...“ Sie schenkte
dem Hobbit ein Lächeln und warf dann einen Blick
auf Boromir. „...ich mag Männer mit Bärten,“
flüsterte sie ihm ins Ohr.
Merry sah sie kurz traurig an, aber dann huschte
ein Lächeln über sein Gesicht. Sie paßte
wirklich gut zu Boromir und weil er den Krieger mochte,
gönnte er ihm sein Glück. Gegen einen so stolzen
Mann aus dem Süden zu verlieren, war ja auch keine
Schande. „Egal! Vielleicht kannst du mir aber kämpfen
beibringen.“ Freudig stimmte sie zu und sie wollten
gleich am nächsten Tag damit beginnen. Jetzt war
es aber Zeit für den fünf Uhr Tee.
Sie saßen alle zusammen und tranken Tee. Die
Hobbits schaufelten ein paar Kekse in sich hinein. Laietha
unterhielt sich mit Bilbo und Boromir hatte in Gimli
einen Gesprächspartner gefunden. Ihre Hände
fanden sich heimlich unter dem Tisch.
Herr Elrond beobachtete die beiden genau. Eins stand
fest, er würde seine Tochter nun auf keinen Fall
mitgehen lassen, auch wenn er noch keine zwei weiteren
Gefährten gefunden hatte. Zu seinem Kummer hatten
die zwei anderen Hobbits schon Interesse angemeldet.
Besonders unglücklich war Elrond darüber,
daß der junge Pippin sich ihnen anschließen
wollte.
Bis jetzt hatten die Kundschafter ihm von keinerlei
Gefahr berichtet, wenn auch die Nachrichten aus Gondor
schlimm gewesen waren. Saurons Macht wuchs und wie Gandalf
ihm berichtet hatte, rüstete auch Isengard sich
zum Vernichtungsschlag. Harte Zeiten standen ihnen bevor.
Es wurde spät und die Hobbits gingen zu Bett. Auch
der Zwerg war aufgestanden und hatte zusammen mit dem
Mann Gondors den Raum verlassen. Laietha unterhielt
sich noch mit Legolas und Gandalf starrte gedankenverloren
vor sich hin. Dann erhob sich auch Elronds Tochter und
ging zu Bett.
****
Boromir hatte das Feuer im Kamin entfacht und die
Flammen tauchten das Zimmer in ein gemütliches
Licht. Er nahm zwei Gläser hervor und goß
den Wein ein, den er am Tage besorgt hatte. Schnell
warf er noch einen Blick auf das Bett, das frisch gemacht
war. Er lächelte und setzte sich in einen Stuhl,
um zu warten. Einige Zeit später klopfte es und
Laietha streckte den Kopf zur Tür hinein. Boromir
sprang auf und sie fielen sich in die Arme und küßten
sich. Den ganzen Abend hatten sie schon darauf gewartet,
endlich für sich zu sein. Sie wollten gar nicht
voneinander lassen. Atemlos sahen sie sich nach ein
paar Minuten an und fingen an zu lachen.
Sie setzten sich hin und Boromir reichte ihr das
Glas. Laietha rutschte dichter an den Kamin, um sich
zu wärmen. Die Nächte waren frostig geworden
und am Nachmittag waren dicke graue Wolken aufgezogen.
Er trat von hinten an sie heran und legte ihr die Arme
um die Schultern. Mit einem Seufzer lehnte sie sich
zurück. Seine Finger glitten durch ihr Haar und
dann ihren Oberkörper hinab. Laietha sah ihn an
und lächelte. „Woran denkst du?“ Er rang sich ein
Lächeln ab. „An meinen Vater. Ich habe versucht
mir auszumalen, was er wohl zu dir sagen würde.“
Sie hob eine Augenbraue. Boromir begann zu sprechen.
„Er ist ein strenger Mann.“
Sie würde in seinen Augen keine Geltung vor
ihm finden. Laietha hatte keine Abstammung. Denethor
würde mit allen Mitteln versuchen zu verhindern,
daß Boromir sie zu seiner Frau machte. „Nun, hat
er dir denn noch keine passende Frau ausgesucht?“ neckte
sie ihn. Boromir grinste breit. „Oh doch, schon viele.
Sie waren wunderschön, einige sehr klug und alle
gut erzogen, sittsam, brav.“ Laietha forderte ihn auf,
fortzufahren. „Warum hast du keine von ihnen genommen?“
Er seufzte. „Sie haben mich gelangweilt. Ich konnte
nichts mit ihnen anfangen.“ Laietha sprang auf. „Aber
ich gefalle dir.“ Boromir strahlte. „Natürlich!
Wie kannst du so etwas fragen!“ Sie stemmte die Hände
in die Hüften und tat so, als wäre sie beleidigt.
„Weil ich häßlich und dumm bin?“ Er lief
schnell zu ihr, packte sie, hob sie hoch und trug sie
aufs Bett. Laietha stieß einen entsetzen Schrei
aus und er legte sich auf sie, so daß sie sich
nicht mehr rühren konnte. Er sah ihr in die Augen.
„Weil du wild bist, ungestüm, launisch, störrisch,
eigensinnig - kurz ein rechtes Biest.“ Er küßte
sie, bevor sie antworten konnte und sie biß ihm
in die Zunge. Mit einem Schmerzensschrei rollte er sich
von ihr herunter. Nun war es Laietha, die sich auf ihn
setzte. Sie biß ihm in die Schulter. „Da hast
du dein Biest!“
Sie fingen an zu lachen. Laietha küßte
ihn und er küßte sie. Bald schon gab es für
sie nichts auf der Welt mehr als den anderen und Boromir
vergaß die Sorgen, die ihn bis eben noch gequält
hatten. Das Feuer brannte nieder, aber sie merkten es
nicht und es war schon tiefe Nacht, als sie endlich
erschöpft einschliefen.
Der Morgen graute und im Zimmer neben ihnen hörten
sie die Hobbits, die sich schon auf das Frühstück
freuten.
Frodo war bester Dinge, nur Sam sah mürrisch
vor sich hin. „Was hast du, lieber Sam?“ fragte Frodo
und gähnte herzhaft. Der Hobbit zog ein Gesicht,
als hätte er saure Milch getrunken. „Ich habe die
ganze Nacht kein Auge zugetan. Ständig dieser Lärm
von nebenan. Ich frage mich, was dort vor sich geht?“
Frodo zuckte mit den Schultern. „Nun, ich habe nichts
gehört. Vielleicht hat Boromir geschnarcht.“ Sam
schüttelte den Kopf. „Eins sag ich dir, Herr Frodo,
er war bestimmt nicht allein.“ Frodo ging zu ihm und
legte ihm besänftigend die Hand auf die Schulter.
„Und wenn schon, Sam. Es sollte uns nichts angehen.“
Damit machten sie sich auf den Weg zum Frühstück.
Boromir öffnete verschlafen ein Auge und sah,
daß Laietha ans Fenster gelaufen war. Bewundernd
musterte er sie, denn sie hatte sich nicht die Mühe
gemacht, etwas anzuziehen. „Guten Morgen, Königin
aller Biester,“ scherzte er, als sein Blick auf seine
nackte Schulter und den Gebißandruck darauf fiel.
Sie wirbelte herum und strahlte ihn an. Mit einem Grinsen
schwang sie sich ins Bett und er gab einen erschreckten
Schrei von sich, denn sie war eiskalt. Schnell zog er
sie in seine Arme und rieb sie warm. „Du wirst dir noch
den Tod holen, mein liebstes Ungeheuer.“ Sie zerzauste
ihm das Haar. „Es hat geschneit, Boromir. Der erste
Schnee des Jahres.“ Er verzog das Gesicht. Das würde
ihnen die Reise nicht erleichtern oder eine lange Verzögerung
des Aufbruchs bedeuten. Aber dann sah er die Freude
in ihrem Gesicht und mußte loslachen. „Vielleicht
habe ich bei Schnee eine Chance gegen dich zu gewinnen.“
Laietha prustete vor Lachen. „Nie im Leben, Boromir!“
****
„Nimm das! Du bekommst mich nie!“ Merry duckte sich
unter einem Schneeball weg, den Laietha auf ihn geworfen
hatte. Boromir hatte sein Schwert gezogen und war gegen
Legolas angetreten. Pippin sah bewundernd zu. Er wünschte
sich, daß er auch so geschickt mit der Waffe umgehen
könnte, wie die beiden Krieger.
Boromir hatte währenddessen arge Probleme mit
Legolas. Obwohl er sehr viel kräftiger gebaut war
als der Elb, hatte Legolas doch den Vorteil, daß
er sich schnell und geschickt wie eine Katze bewegte
und ihm der Schnee nichts auszumachen schien. Er bückte
sich flink unter Boromirs Schlägen hinweg, um zwischen
seinen Beinen durchzuschlüpfen und mit seinem Langmesser
einen neuen Angriff zu starten. Bald schon war Boromir
außer Puste.
Laietha und Merry flüsterten verschwörerisch
und plötzlich knallte ein Schneeball gegen Boromirs
Rücken. Der Mann drehte sich um, rutschte aus und
fiel der Länge nach hin. Laietha und die Hobbits
lachten laut. „Oh, mein stolzer Krieger! Ich glaube,
ihr seid gefallen!“ grinste Laietha. Das Lächeln
erstarb auf ihren Lippen, als sie das Grinsen auf Boromirs
Gesicht bemerkte. Langsam kam er auf sie zu und ihr
schwante nichts gutes. Der Mann begann zu laufen und
Laietha ergriff die Flucht. Sie war nicht achtsam genug
und rutschte aus und in dem Moment war Boromir auch
schon über ihr und preßte sie zu Boden. „Was
hast du gesagt, Schneemonsterchen?“ flüsterte er
drohend und hielt einen Schneeball in der Hand. Laietha
versuchte sich, seinem Griff zu entwinden, aber er ließ
sie nicht los. „Merry, Pippin, helft mir!“ rief sie,
aber Boromir seifte sie tüchtig ein. Laietha trat
heftig nach ihm und mit einem spitzen Schrei sprang
er von ihr runter und hielt sich sein schmerzendes Schienbein.
Er lachte und Laietha ergriff die Flucht. Schnell rannte
sie um eine Ecke, gewahr, daß sie verfolgt wurde.
Boromir sprintete hinter ihr her, in seiner Hand einen
dicken Schneeball. „Wartet nur, Herrin, ihr werdet triefen
vor Nässe, wenn ich mit euch fertig bin!“
Boromir holte aus, bog um die Ecke und dann geschah
alles ganz schnell. Er warf den Ball, Laietha, die ihn
erwartet hatte, duckte sich, die Kugel sauste über
ihren Kopf hinweg. Boromir riß die Augen auf und
wollte eine Warnung ausstoßen, aber da war es
auch schon passiert - der Schneeball traf Aragorn mitten
ins Gesicht.
„Was zum Balrog geht hier vor?“ donnerte er wütend
und wischte sich den Schnee aus dem Gesicht. Laietha
wirbelte herum und grüßte ihren Bruder freudig.
Während Aragorn sie in den Arm nahm, durchbohrte
er Boromir mit finsteren Blicken. Die Hobbits waren
von dem Spektakel angelockt worden und sie wollten auf
keinen Fall verpassen, ob Laietha oder Boromir die Schlacht
für sich entscheiden würde. „Streicher!“ riefen
sie fröhlich und rannten auf den Waldläufer
zu. Boromir nutzte die Gelegenheit, um sich aus dem
Staub zu machen.
Nachdenklich durchschritt er die Korridore Bruchtals
und schließlich setzte er sich in der großen
Halle neben das Feuer und versank in Gedanken. Der Winter
war gekommen und die Kundschafter kehrten zurück.
Sie würden bald aufbrechen. Auf eine Art hatte
er diesen Tag lange herbeigesehnt, denn er wollte in
sein Land zurück. Aber das bedeutete, daß
er Abschied von Laietha nehmen müßte. Er
stützte den Kopf in die Hände. Er wollte zurückkehren,
wenn seine Stadt sicher war, aber das konnte sehr lange
dauern. Und die Reise war lang und gefährlich...
„Ihr habt sie sehr gerne, nicht wahr?“ Boromir schreckte
hoch und der alte Hobbit - Bilbo - stand neben ihm und
sah ihn nachdenklich an. Bilbo nahm neben ihm Platz.
Er gab ein erleichtertes Stöhnen von sich und deutete
auf seinen Rücken. „Der Schnee - es reißt
mich immer in den Knochen.“ Boromir lächelte ihn
freundlich an. Laietha mochte den alten Knaben sehr
und sie hatte Boromir vor ihm gewarnt. „Er ist ein rechtes
Schlitzohr und bekommt alles heraus, was er wissen will.“
Der Mann nickte. „Ja, es ist kalt geworden. Ihr solltet
besser hier im Warmen bleiben.“ Bilbo sah ihn vorwurfsvoll
an. „Ich bin alt, aber nicht blind. Ihr habt Laietha
ordentlich den Kopf verdreht und wenn ihr meinen Rat
wollt, dann bindet sie bei eurer Abreise fest, oder
sie wird euch hinterherlaufen, wie ein Hund seinem Herren.“
Das waren auch schon Boromirs stille Befürchtungen
gewesen. Laietha hatte öfter schon den Wunsch geäußert,
ihn zu begleiten. Sie war furchtlos - er dachte an die
Narben auf ihrer blassen Haut, die von gewonnenen und
verlorenen Schlachten zeugten. „Na, es wird wohl bald
losgehen. Herr Elrond ist sich zwar immer noch nicht
sicher, wer die letzten beiden Begleiter sein sollen,
aber ich denke, daß Merry und Pippin mit euch
gehen werden, Herr Boromir.“ Der Krieger lachte. Laietha
hatte völlig Recht gehabt - der alte Knabe schien
seine Ohren überall zu haben. Er verabschiedete
sich von dem Hobbit und ging auf sein Zimmer.
****
Die Tage verstrichen und Mitte Dezember waren auch
die letzten Kundschafter eingetroffen - unter ihnen
auch die Söhne Elronds. Sie hatten eine weite Reise
hinter sich. Viele Länder hatten sie durchquert
und es wurde immer klarer, daß sie bald aufbrechen
mußten, denn die Zeit drängte.
Boromir hatte sich heimlich zu ihrem Zimmer geschlichen.
Er öffnete die Tür vorsichtig einen Spalt
weit und spähte hinein. Laietha stand in der Mitte
des Raumes und hielt nachdenklich ihr Schwert in der
Hand. Sie führte einen Streich durch und die Klinge
zerschnitt die Luft mit einem Zischen. Boromir klopfte
und sie ließ die Waffe sinken. „Darf ich eintreten,
Herrin?“ Er lächelte spitzbübisch. Laietha
nickte und legte die Waffe zur Seite. Boromir schloß
sie in seine Arme. Es gab ein Fest an diesem Abend,
aber sie wollten lieber für sich alleine sein und
bei der Vielzahl der Gäste hofften sie, daß
ihr Fehlen unbemerkt bleiben würde. Laietha hatte
ihnen etwas zu Essen aus der Küche geholt und Boromir
entfachte ein Feuer im Kamin. Es war bitterkalt, wenn
auch der Schnee aufgehört hatte zu fallen. Sie
aßen zusammen und beide waren recht schweigsam.
„Ihr werdet bald aufbrechen.“ Boromir nahm ihre Hand.
„Ich werde zurückkommen, Laietha.“ Sie lächelte
traurig. „Du hast es mir versprochen.“ Er erhob sich
und ging zu ihr hinüber. „Zweifelst du an meinen
Worten?“ Laietha schüttelte den Kopf. „Ich glaube
wohl, daß du zurückkehren willst...“ „Niemand
wird mich davon abhalten. Mein Vater wird einsehen müssen,
daß du meine Braut bist. Und wenn er dich einmal
gesehen hat, wird er dich in sein Herz schließen.
Wen könntest du nicht bezaubern, Laietha?“ Sie
sah ihn lange stumm an. Einige Bilder kamen zurück
in ihr Gedächtnis - ein geborstenes Horn, Boromir
der dalag als schliefe er...Bilder aus einem Traum.
„Ich sprach nicht von deinem Vater. Es gibt Mächte,
die stärker sind als er.“ Boromir lachte ihr ins
Gesicht und küßte sie. Dann hob er sie plötzlich
in seine Arme und schwang sie herum. „Glaubst du, daß
ich dich fallen lasse?“ Sie schüttelte den Kopf.
„Wer hat Gimli im Armdrücken besiegt?“ „Du, Boromir.“
Er lachte. „Wer hat Legolas beim Wettlauf geschlagen,
als der Preis ein Kuß von dir war?“ Sie sah ihn
traurig an und antwortete mit leiser Stimme. „Du, Boromir.“
Er drückte sie fest an sich und strich ihr über
die Wange. „Wer außer dir hat es geschafft, auf
Ascar zu reiten.“ Laietha schluchzte. „Du, Boromir.“
Er ließ sie hinunter und strich ihr über
das Haar. „Ich werde zurückkommen. Keine Kraft
kann mich davon abhalten. Zweifelst du an meinen Worten?“
Laietha vergoß bittere Tränen. „Laß
mich mit dir gehen!“ Boromir zog sie fest an sich. „Liebst
du mich, Laietha?“ Ihre Tränen durchnäßten
sein Hemd. „Ja,“ flüsterte sie. Er hob ihr Kinn
an und sah ihr in die Augen. „Bleib hier. Warte hier
auf mich. Wenn meine Stadt sicher ist, werde ich kommen.“
Sie beendeten das Essen schweigend und begaben sich
zu Bett. Bald schliefen sie ein. Das Feuer brannte nieder
und der Raum wurde kühl.
Feuer. Überall war Feuer. Die Felsen selbst
schienen zu brennen und plötzlich wurde ein Schrei
laut. Asche und Staub. Und wieder Feuer. Dann wurde
es still und eisig kalt. Ein Beben ging durch die Welt
und Laietha hörte ein Zischen. Ein Pfeil sauste
an ihr vorbei und das Horn barst. Sie sah Boromirs Gesicht,
als wäre er in tiefem Schlummer und um sie herum
erhob sich ein Getöse wie von den Fluten des Bruinen
nach einer heftigen Schneeschmelze. Boromir entschwand
ihren Blicken und es wurde kalt - so bitterkalt, als
wollte der Frost alles Leben auslöschen. Laietha
schrie.
Mit einem Satz sprang sie aus dem Bett und sah sich
gehetzt im Raum um. Alles war dunkel und ihr Blick fiel
auf Boromir, der im Bett lag und friedlich schlief.
Ein Traum. Sie blickte auf ihre Hand und sah, daß
sie zitterte. Boromir öffnete die Augen. Besorgt
sah er zu ihr hinüber. „Was hast du?“ murmelte
er verschlafen. Laietha konnte nicht antworten. Schnell
stand er auf und nahm sie in den Arm. Er spürte
ihr Zittern und schob sie geschwind zurück ins
Bett. „Du wirst dir noch den Tod holen.“ Er schüttelte
den Kopf. Laietha versank in seiner Wärme. Ein
Traum. Boromir hatte recht. Er war stark. Er würde
in seine Stadt gehen und zurückkehren. „Paß
auf meinen Bruder auf, Boromir.“ Er küßte
sie auf die Stirn und lächelte. „Wie ihr es befehlt,
Herrin.“ Dann schliefen sie wieder ein.
****
Herr Elrond hatte beschlossen, daß Merry und
Pippin die letzten der neun Gefährten sein sollten.
Boromir hatte Laietha den Rest des Tages über nicht
mehr gesehen. Er war erleichtert, denn er hatte die
Hoffnung, daß sie sich dem Willen ihres Vaters
beugen würde und in Sicherheit blieb - falls es
etwas wie Sicherheit gab, wenn sie versagen sollten.
Wenn der Ringträger versagte. Er schüttelte
den Kopf, um diesen Gedanken zu verdrängen. Aragorn
sah ihn düster an. Er schien etwas zu ahnen. Boromir
teilte Laiethas Meinung, ihm nicht zu sagen, daß
er sie liebte. Der Waldläufer schien ihm ohnehin
nicht gewogen zu sein und auch Boromir brachte ihm keine
Liebe entgegen. Er hatte so lange Jahre gekämpft,
um Gondor vor seinen Feinden zu schützen und nun
sollte ein Waldläufer kommen und seinem Vater den
Platz stehlen...wenn Gondor den Feinden standhalten
konnte.
Elladan und Elrohir hatten mit niemandem als ihrem
Vater gesprochen, aber der alte Bilbo hatte erstaunlich
gute Ohren für sein Alter. Die Legionen Mordors
waren zahlreich und Gondors Armeen schmolzen zusammen.
Boromir würde erst wieder ruhig schlafen können,
wenn er Nachricht von seinem Bruder erhalten hätte.
Der Krieger ging zum Übungsplatz und fand dort
Merry und Pippin, die in einen Kampf vertieft waren.
Boromir mußte lachen. Die beiden sahen aus, als
würden sie tanzen, nicht kämpfen. Erschreckt
sahen sie hoch. Boromir lächelte freundlich. „Wenn
ihr nichts dagegen habt, werde ich euch ein paar Tricks
beibringen, denn ich fürchte, daß ihr sie
auf unserer Reise wohl noch gebrauchen werdet.“ Die
Hobbits stimmten freudig zu.
***
Die letzte Woche vor ihrem Aufbruch war wie im Flug
vergangen. Der Schnee war getaut und die Welt sah grau
und unfreundlich aus. Herr Elrond hatte für den
Abend ein Fest zu Ehren der Gefährten ausrichten
lassen. Die Vorbereitungen waren in vollem Gange. Die
Hobbits schlichen den ganzen Tag über an der Küche
entlang uns hielten ihre Nasen in die Wohlgerüche,
die aus den Türspalten schwebten. Aragorn hatte
sich zu einer langen Beratung mit Gandalf, seinem Vater
und seinen Brüdern zurückgezogen und Legolas
war in den Garten gegangen, um einen letzten Blick auf
die wunderschönen Parkanlagen zu werfen. Boromir
hatte nach Laietha gesucht, aber man hatte ihm gesagt,
sie wäre am frühen Morgen schon ausgeritten
und bis jetzt noch nicht wieder heimgekommen. Er begann
sich langsam Sorgen zu machen. Als er im Stall nachsah,
stellte er fest, daß Ascar tatsächlich nicht
da war. Gimli kam auf ihn zu. „Herr Boromir, wenn ihr
nichts dagegen habt, würde ich euch vor dem Essen
gerne noch zu einem kleinen Kampf herausfordern. Die
Hobbits haben mich zu einem Wettessen beschwatzt und
ich glaube ein kleiner Kampf vor dem Essen könnte
meine Chancen ein wenig anheben.“ Der Krieger konnte
sich nicht helfen und grinste. Er schlug dem Zwerg die
Bitte nicht ab und sie gingen auf den Übungsplatz.
Der Kampf hatte weitaus länger gedauert, als
Boromir für möglich gehalten hätte und
nachdem Gimli gegangen war, trainierte er selbst noch
eine Weile. Es half ihm, daß er nicht ständig
über all die Dinge nachdenken mußte, die
ihm durch den Kopf gingen. Als er schon ziemlich erschöpft
war, hörte er Pferdegetrappel. Er drehte sich um
und sah einen Reiter schnell näher kommen. Das
Pferd erkannte er selbst auf diese Entfernung. Das war
Ascar. Der stolze Rappe schien auch ihn zu erkennen
und beschleunigte freudig seinen Schritt. Laietha kam
neben ihm zum Stehen. Ascar stupste Boromir mit seiner
Schnauze an und der Krieger enttäuschte das Pferd
auch diesmal nicht und zog eine Karotte aus seiner Tasche
hervor. Laietha schwang sich vom Pferd. An ihrer Seite
hing ihr Schwert.
„Wie steht es mit einem Kampf, mein Herr?“ Er lachte
laut. Schon zuvor hatte er ihre Geschicklichkeit bewundern
können - an jenem Tag, als sie ihn im Kampf besiegt
und sein Herz als Preis gewonnen hatte. Sie trat zu
ihm und er ergriff sie bei der Hüfte und grüßte
sie mit einem liebevollen Kuß. Bald schon würde
er keine Zärtlichkeiten mehr genießen können
und ihm würde nur noch die Erinnerung an ihre gemeinsamen
Stunden bleiben. Jede Sekunde mit ihr sog er begierig
in sein Herz auf und hielt sie fest. Laietha berührte
seine Wange und lächelte. Er strich ihr sanft übers
Haar. „Laß uns jetzt nicht kämpfen, Herrin.
Morgen werden wir aufbrechen und ich will die letzten
Stunden mit dir nicht auf dem Übungsplatz verbringen.“
Sie sah auf einmal sehr entschlossen aus. „Ich werde
dich begleiten.“
Erschreckt stieß er sie von sich. Die Reise
war beschwerlich, gefährlich und man würde
es ihr sowieso nicht gestatten, sie zu begleiten. Bilbo
hatte Recht gehabt. „Nein, Laietha. Das ist unmöglich!“
Trotzig schüttelte sie den Kopf. „Laietha, die
Reise ist gefährlich. Du kannst nicht mitkommen!
Wir haben doch schon darüber gesprochen!“ „Ich
bin eine gute Kämpferin! Ihr braucht jeden, der
ein Schwert führen kann! Laß mich mit dir
gehen!“ „Nein! Du hast mir versprochen zu bleiben!“
Sie wich einen Schritt zurück und er fürchtete,
daß sie fortlaufen würde. Er wollte jetzt
nicht mit ihr streiten - alles, nur das nicht. Zu seiner
Überraschung zog sie ihr Schwert und streckte ihm
die Klinge herausfordernd entgegen. Er runzelte die
Stirn.
„Kämpf mit mir, Boromir, Denethors Sohn. Wenn
du mich besiegst, werde ich bleiben.“ Er schüttelte
den Kopf. „Bleib hier. Es ist unmöglich, daß
du mit mir kommst.“ Sie tat einen Schritt auf ihn zu.
„Kämpf mit mir.“ Er ließ die Hände an
der Seite hängen. „Ich werde zurückkommen,
Laietha. Ich habe es dir versprochen.“ Wieder kam sie
näher, diesmal schneller. „Hast du Angst zu verlieren?“
fragte sie herausfordernd und warf stolz den Kopf zurück.
Noch immer griff er nicht nach seiner Waffe. „Ich habe
Angst um dich.“ Jetzt wütend stürmte sie auf
ihn zu und hob ihr Schwert. „Kämpfe!“ Im letzten
Moment hob er sein Schwert und parierte ihren Schlag.
Sie hätte ihn nicht geschont. Wütend kämpften
sie und Boromir hatte Angst. Gewann sie diesen Kampf,
würde er sie nicht zurückhalten können.
Sie fochten eine ganze Weile und endlich gewann Boromir
die Überhand. Ohne Gnade trieb er sie zurück,
bis sie schließlich gegen eine Mauer gepreßt
stand. Er hielt ihr das Schwert an die Kehle. „Du bist
geschlagen, Herrin. Füge dich in dein Schicksal
und bleib hier.“ Sie senkte den Kopf zu Boden. „Es scheint
der Wille der Valar zu sein, daß sich unsere Wege
morgen trennen. Ich beuge mich ihrem Urteil.“ Erleichtert
seufzte Boromir auf. Er ließ die Waffe sinken
und sein Gesicht wurde weich. Behutsam schloß
er sie in seine Arme und fühlte ihre heißen
Tränen an seiner Schulter. Vorsichtig löste
er sich aus der Umarmung. Es war schon fast dunkel geworden
und ihr Atem kondensierte in der kalten Luft.
Ascar kam auf sie zu und schubste Boromir zur Seite.
Er strich dem Pferd über die Schnauze. „Keine Angst.
Ich tue ihr nichts.“ Ein hochgewachsener Elb mit langem
braunen Haar kam aus dem Haus und Boromir wich einen
Schritt zurück. „Schwester, man erwartet dich bereits
bei dem Fest. Du solltest dich beeilen.“ Laietha nickte
und verabschiedete sich von Boromir. Sie wollte Ascar
noch in den Stall bringen. Sie verschwand zusammen mit
dem Elben. Es mußte Elladan oder Elrohir gewesen
sein. Boromir seufzte. Ihm war nicht nach feiern zu
Mute, aber diesmal würde man ihr Fehlen bemerken.
Er begab sich ins Badehaus und zog sich frische Kleidung
an. Als er fertig war, betrat er den Festsaal.
****
Die Hobbits hatten sich den Speisen gewidmet und
Aragorn saß zusammen mit Legolas und Gandalf.
Boromir kam sich etwas verloren vor und nahm neben Gimli
Platz, der schnaufte wie eine Dampfmaschine. Trotz des
ausgiebigen Trainings hatte er das Wettessen verloren.
Nachdem er etwas verdaut hatte, entdeckte er Boromir
als Gesprächspartner für sich.
Der Mensch hörte geduldig zu, wie der Zwerg
ihm von seiner Arbeit in den Minen berichtete und von
Schlachten mit Orks erzählte. Boromirs Gedanken
waren ganz woanders. Die Tür schwang auf und Laietha
betrat den Raum, begleitet von Elronds Söhnen.
Sie führten die Frau an die Seite von Aragorn und
sie nahm dort Platz. Laietha warf Boromir einen schnellen
Blick zu und er sah ein Lächeln auf ihr Gesicht
huschen. Sie trug ein Kleid aus dunkelgrünem Samt
und ihr Haar hatte sie hochgesteckt. Um ihren Hals hing
ein grüner Stein - er hatte fast die Farbe ihrer
Augen.
„Habt ihr schon einmal einen Rohdiamanten gesehen,
Herr Boromir? Wenn man ihn frisch aus dem Erdreich geholt
hat? Unscheinbar möchte man meinen, aber...“ „Wunderschön,“
lächelte der Krieger. Gimli schlug ihm freundschaftlich
auf die Schulter und Boromir stieß fast mit dem
Kopf auf den Tisch. „Ich sehe, Herr Boromir, ihr versteht
etwas von Edelsteinen,“ lachte der Zwerg donnernd. Boromir
erhob sein Glas und prostete Laietha über den Tisch
hinweg zu. Sie lächelte und erwiderte seinen Gruß.
„Ja, Herr Zwerg, manchmal sind die schönsten Schätze
nicht für jedes Auge zu erkennen.“
Es wurde beschlossen, daß sie am nächsten
Abend Bruchtal verlassen würden. Boromir verabschiedete
sich weit vor Mitternacht, als die anderen sich in den
großen Raum mit dem immer brennenden Feuer zurückzogen,
um dem Gesang der Elben zu lauschen. Er warf Laietha
im Hinausgehen einen einladenden Blick zu, den sie mit
einem Lächeln erwiderte. Aragorn bedachte sie mit
einem wachsamen Blick. Sie folgte ihm nicht sofort,
sondern schloß sich den Elben noch an und lauschte
eine Weile den elbischen Gesängen. Sie rutschte
unruhig auf ihrem Stuhl hin und her und konnte es nicht
erwarten, endlich aufzustehen und ihm zu folgen. Als
es ihr unauffällig genug erschien, erhob sie sich
und wollte sich zu ihren Gemächern begeben. Aragorn
hatte es wohl bemerkt. Schnell stand er auf und wollte
sie zur Rede stellen.
„Wo willst du hin, Laietha? Das Fest ist noch lange
nicht vorüber.“ Sie schenkte ihm ein Lächeln.
„Ich bin müde, Dunai. Ich bin den ganzen Tag ausgeritten
und will zu Bett gehen.“ Er sah sie scharf an. „Ich
warne dich zum letzten Mal vor Boromir.“ Sie reckte
ihr Kinn in die Höhe. „Ich weiß nicht, was
du meinst.“ Er setzte an, um ihr die Leviten zu lesen,
als ihn jemand am Ärmel zupfte. „Dunadan. Ich will
ein Lied zum besten geben, aber ich bin mir über
den letzten Reim nicht ganz schlüssig. Ich bitte
dich, hilf mir, denn ich will mich nicht vor den Elben
blamieren.“ Aragorn sah Bilbo verdattert an und Laietha
nutzte die Gelegenheit, um ihm einen raschen Kuß
auf die Wange zu hauchen und sich zu entfernen. Im Gehen
drehte sie sich noch einmal um und Bilbo, der Aragorn
in eine Ecke zog, zwinkerte ihr verschwörerisch
zu.
****
Es klopfte sachte an Boromirs Tür und er wußte,
wen er zu erwarten hatte. Freudig öffnete er und
zog sie schnell an sich. „Du hast mir gefehlt, Laietha.“
Sie versiegelte seine Lippen mit einem Kuß. „Laß
uns nicht sprechen, Boromir.“
Sie beide wußten, daß ihre Trennung sehr
lang sein konnte. Monate, vielleicht Jahre, vielleicht...
Laietha drängte sich gegen ihn und er erschauderte
unter ihren Liebkosungen. Eine Sternschnuppe durchzuckte
den klaren Nachthimmel. „Wünsch dir etwas, Boromir.“
Er strich ihr durchs Haar. „Ich wünsche mir, daß
diese Nacht nie endet.“ Ihre Finger glitten über
seine Lippen. „Man darf den Wunsch nicht aussprechen,
sonst geht er nicht in Erfüllung.“ Boromir küßte
ihre Fingerspitzen. „Alles was ich mir wünschen
könnte, halte ich in meinen Armen.“
Sie taten in dieser Nacht kein Auge zu. Zu kostbar
war ihnen jeder Augenblick in der Gesellschaft des anderen.
Auch Sam konnte nicht schlafen. Er wälzte sich
unruhig von einer Seite auf die andere und verdrehte
die Augen. Hörte dieser Krach denn nie auf. Sam
stöhnte laut. „Laß gut sein, Sam. Wer von
uns sehnt sich nicht manchmal nach Gesellschaft.“ Sam
sah Frodo erstaunt an. „Aber du mußt morgen ausgeruht
sein, Herr Frodo. Und du kannst wegen diesem Lärm
doch auch nicht schlafen.“ Frodo lachte leise. „Ich
kann nicht schlafen, weil ich aufgeregt bin.“ Von nebenan
hörten sie ein unterdrücktes Seufzen. Sam
stopfte sich das Kopfkissen in die Ohren. Na, das konnte
ja eine lange Nacht werden!
Die Sonne wagte sich an diesem Tag endlich wieder
einmal hinter den Wolken hervor und sie stand schon
hoch am Himmel, als Boromir und Laietha das Bett verließen.
Sie zogen sich an und Boromir dachte wehmütig daran,
daß er die folgenden Nächte wohl nicht nur
auf ihre Gesellschaft, sondern auch auf ein Bett verzichten
müßte. Laietha wurde plötzlich rot und
ein wenig verlegen. Er zog seine Augenbraue hoch. „Was
hast du, Herrin?“ Sie lächelte scheu und Boromir
mußte unwillkürlich lachen, denn so hatte
er sie noch nie gesehen - schüchtern. Das paßte
so gar nicht zu ihr. „Ich will dir etwas geben.“ Nun
war er wirklich verblüfft. „Es ist nichts besonderes...es...na
ja, sieh selbst.“ Laietha zog ein kleines Bündel
hinter ihrem Rücken hervor. Boromir betrachtete
es neugierig und sah es sich genauer an. Er zog ein
dunkelblaues Hemd hervor. „Nähen war noch nie wirklich
meine Stärke, aber ich dachte, du könntest
es auf der Reise bestimmt gut gebrauchen.“ Boromir zog
sie in seine Arme und küßte sie lachend.
Er zog das Hemd an und obwohl es nicht so fein gearbeitet
war, wie seine eigenen Kleider, fühlte es sich
gut an. Nun wurde Boromir rot. Laietha drehte sich beschämt
weg. „Hm, ich wußte, daß es dumm von mir
war. Es tut mir leid, ich dachte nur...“ Boromir sah
sie erstaunt an. Er verstand nicht, was sie meinte.
„Es ist wunderbar. Aber ich habe nichts, was ich dir
geben könnte.“ Laietha fand wieder zu sich selbst
und lachte. „Oh nein, das brauchst du nicht!“ Boromir
lächelte und ging zu seiner Ledertunika, die er
auch bei seiner Anreise getragen hatte. Er nahm eine
der Silberschnallen, mit der sie zusammengehalten wurde
und legte sie in Laiethas Hand. Lächelnd betrachtete
sie das Schmuckstück. „Ich werde sie in Ehren halten
und immer an dich denken, wenn ich sie ansehe.“ Boromir
schloß ihre Hand. „Ich werde bald wieder hier
sein. Das verspreche ich.“ Laietha küßte
ihn.
„Ich werde mich jetzt schon von dir verabschieden.
Du wirst sicher noch viel zu tun haben und...“ Sie mußte
nicht weitersprechen. Sicher wollte sie nicht, daß
ihr Bruder oder jemand anders etwas bemerkte. Aber Laietha
hatte noch einen anderen Grund - sie wollte nicht, daß
er sie weinen sah.
Boromir nahm ihre Hand in seine. „Ich möchte
dich um etwas bitten, Laietha.“ Sie sah ihn erwartungsvoll
an. Boromir kniete vor ihr nieder. „Ich weiß nicht,
wie lange meine Aufgaben mich durch die Welt führen
werden, aber wenn ich wiederkomme, willst du dann meine
Frau werden?“ Laietha lachte und kniete sich zu ihm
hinunter. Sie küßte ihn sanft auf den Mund.
„Ja,“ hauchte sie ihm ins Ohr.
****
Herr Elrond versorgte sie mit warmer Kleidung für
den Winter und ausreichend Proviant, soviel jeder von
ihnen tragen konnte. Sie reisten mit leichter Bewaffnung,
denn sie hofften unentdeckt zu reisen.
Die Dämmerung fiel über Bruchtal und die
Gefährten versammelten sich zum Aufbruch. Aragorn
ging noch einmal zu seiner Schwester. „Komm sicher zurück,
Dunai.“ Er nickte und versprach es ihr, obwohl er nicht
wußte, ob er sein Versprechen dieses Mal halten
konnte.
Sie brachen auf. Boromir hatte den Hof mit seinen
Blicken abgesucht und an einem der Fenster sah er Laiethas
vertraute Umrisse stehen. Er lächelte wehmütig.
Wenn seine Aufgabe doch nur bald erfüllt wäre
und er zurückkehren könnte, um sie zu seiner
Frau zu machen. Aber nun hatte er erst recht Grund zur
Eile. Als sie den Hof Bruchtals verlassen wollten, stieß
er in sein Horn und viele der Elben fuhren erschrocken
hoch. Laietha lächelte, denn sie wußte, daß
ihr dieser Gruß gegolten hatte.
Elrohir trat an ihre Seite. „Vater sagt, er hat ein
ungutes Gefühl bei diesem Krieger. Er wird der
Versuchung nach dem Ring erliegen.“ Laietha wandte ihren
Blick nicht von den Gefährten ab, die den Hof verließen.
„Und ich sage, daß er ein gutes Herz hat. Er wird
stark sein und den Ringträger bis zum Ende unterstützen.“
Elrohir schüttelte den Kopf. „Du bist stur, Laietha.
Wann hast du dir schon mal etwas sagen lassen.“ Als
sie die Gefährten nicht mehr sehen konnte, drehte
sie sich mit einem Lächeln zu ihm um. „Und du scheinst
mir eifersüchtig zu sein, Elrohir, weil er besitzt,
was du verloren hast.“ Der Elb schüttelte resigniert
den Kopf und zog von dannen.
****
Es war jetzt bereits 17 Tage her, seit die Gefährten
aufgebrochen waren. Elrohir war nicht entgangen, daß
seine Ziehschwester oft am Fenster stand und über
das Land blickte und er konnte sich denken, was in ihr
vorging. Jeden Tag ging sie in den Stall und kümmerte
sich um das Pferd des Gondorianers. Dort fand Elrohir
sie auch an diesem Abend. Der Braune hatte einen Platz
neben Ascar bekommen und die Pferde schienen sich zu
mögen. Laietha ließ ihre Hand schnell in
die Tasche gleiten als sie hörte, daß sich
jemand näherte. „Was hast du, Laietha?“ Der Elb
legte ihr die Hand auf die Schulter. Sie schüttelte
den Kopf. „Ich habe schlecht geträumt - das ist
alles.“ Feuer, das geborstene Horn, das Rauschen des
Wassers. Der Traum kehrte immer wieder und Laietha war
mehr als nur besorgt. Für gewöhnlich ignorierte
sie ihre Träume nicht, aber sie hatte versprochen,
in Bruchtal auf ihn zu warten. Ihr Ziehbruder spürte,
daß ihre Ungeduld wuchs und er hatte Angst, daß
sie sich eines Nachts auf den Weg machen würde.
„Mach dir keine Sorgen, Laietha. Ihnen wird nichts geschehen.
Sie sind noch immer in der Nähe und Saurons Arm
wird sie noch nicht erreicht haben.“ Die Frau traf seinen
Blick und wußte, daß er log, um sie zu beruhigen.
Sie seufzte tief.
Der Abend war trostlos, wie die Abende davor. Auch
der alte Bilbo war nicht so frohgemut wie sonst. Oft
fand Laietha ihn tief in Gedanken am Feuer sitzend -
sein Buch auf den Knien. Sie setzte sich neben ihn und
sie schwiegen gemeinsam.
****
In der Nacht vom 11. zum 12. Januar wachte Laietha
schweißgebadet aus dem inzwischen vertrauten Albtraum
auf. Sie blickte aus dem Fenster und sah eine Flammensäule
am Himmel. Geschwind lief sie zum Fenster und versuchte
etwas genaueres zu erkennen. Ohne Erfolg, aber kalte
Furcht ergriff von ihr Besitz. „Mithrandir.“ Murmelte
sie. Was war geschehen, daß der Zauberer so unvorsichtig
war und ein so gewaltiges Zeichen in den Himmel schrieb?
Sie hielt es keine Sekunde länger aus und packte
ein paar ihrer Sachen zusammen. Laietha griff nach Dramthala,
ihrem Schwert. Sie befestigte es an ihrem Gürtel
und zog sich ihren Mantel über. Dann schnürte
sie ihre Stiefel und schlich so leise wie möglich
aus dem Haus zum Pferdestall.
„Ascar, mein Guter. Ich weiß, daß es
kalt ist, aber wir müssen uns beeilen. Die anderen
sind in Gefahr, ich weiß es. Wir müssen sie
warnen.“ Das Pferd schnaubte und stieß sie ermunternd
an. Laietha lächelte und gab ihm eine Karotte.
„Er hat dich verwöhnt, mein Lieber. Ich sollte
ihm dafür ordentlich den Kopf waschen!“ Wenn sie
nur endlich wieder bei ihm war. Die Nächte alleine
in ihrem Zimmer waren ihr wie eine Ewigkeit vorgekommen.
Wie hatte sie sich nur so an ihn gewöhnen können?
„Du wirst gewiß nicht alleine gehen, Schwester.“
Laietha wirbelte herum und sah Elrohir entsetzt an.
Er lächelte beschwichtigend. Auch der Elb hatte
seine Sachen gepackt und trat nun an ihre Seite. „Ich
weiß, daß ich dich nicht aufhalten kann,
aber ich bitte dich, mich mit dir zu nehmen. Die Gegend
ist gefährlich und ich lasse dich nicht alleine
durch die Wildnis streifen.“ Laietha umarmte ihn dankbar.
„Du warst schon immer mein Lieblingsbruder, Elrohir!“
Der Elb grinste breit. „Laß das nur nicht Aragorn
hören!“
Heimlich machten sie sich auf den Weg. Sie trieben
ihre Pferde zur Eile an. Auch Elrohir hatte das Licht
am Horizont gesehen. „Sie haben versucht, über
den Caradhras zu reisen. Wir sollten uns beeilen und
sie einholen. Schließlich wissen wir nicht, welchen
Weg sie sonst einschlagen werden.“
***
Die beiden kamen ein gutes Stück voran. Ihre
Pferde waren schnell. Es dauerte etwa eine Woche bis
sie am Fuße des Caradhras angekommen waren. Sie
fanden noch die Überreste eines Lagers. Laietha
und Elrohir stiegen ab. Die Bäume auf der Lichtung
waren versengt und sie fanden einen zerbrochenen Pfeil.
„Der gehörte dem Prinzen des Düsterwaldes,“
stellte Elrohir fest. Es mußte offensichtlich
ein Kampf stattgefunden haben, aber von den Angreifern
fanden sie keine Spur. „Werwölfe,“ mutmaßte
Laietha und sie sahen sich bedeutungsvoll an. Die Spuren
waren noch recht deutlich zu erkennen und sie folgten
ihnen zu Fuß.
„Sie haben sich auf den Weg nach Moria gemacht.“
Elrohir schüttelte den Kopf. „Es war gewiß
nicht Elessars Wille.“ Laietha bat ihn um eine Erklärung
und Elrohir zögerte kurz. „Man sagt, ein Balrog
triebe sich dort rum. Aragorn wird diesen Weg nur gegangen
sein, wenn es keinen anderen Ausweg gab.“ Ein Balrog.
Laietha dachte an ihren Traum - Feuer und Asche, glühende
Felsen. „Wir müssen sie einholen!“ Sie wußte,
daß es wohlmöglich schon zu spät war.
Die Spuren waren mehr als eine Woche alt gewesen. Vielleicht
hatten sie die Minen schon wieder verlassen - wenn sie
lebend durchgekommen waren. Sie hieb Ascar die Fersen
in die Flanken.
Die Spuren führten nach Moria, aber sie fanden
den Eingang verschüttet. Hilflos sahen sie sich
an. „Was nun?“ Ascar bäumte sich auf und warf Laietha
fast ab. Aus dem See vor den Minen kroch ein tastender
Tentakel hervor. Elrohir stieß einen Warnschrei
aus. „Weg hier! Schnell!“ Die Pferde brauchten keinen
Ansporn. Sie rasten schnell davon. Als sie außer
Reichweite waren, hielten sie an. Laietha war verzweifelt.
Sie mußten sie einholen! Sie warnen! Elrohir stieg
von seinem Pferd und setzte sich hin. Er dachte lange
nach.
„Wenn sie aus den Minen kommen, werden sie nach Lothlorien
gehen. Sie müssen ihre Vorräte auffrischen
und werden Rast brauchen. Und Aragorn kennt den Weg.“
Für diese Nacht schlugen sie ihr Lager auf. Wie
auch in den Nächten zuvor, hielt Elrohir Wache
während Laietha schlief.
****
Müde ließen sich die Gefährten auf
die Schlafplätze sinken, die ihnen Frau Galadriel
bereitet hatte. Boromir lag lange wach. Er starrte in
den Himmel und sein Blick fiel auf den roten Stern,
der so fern am Himmel stand. Pippin kam zu ihm geschlichen.
„Kennst du die Namen der Sterne?“ fragte er. Der Krieger
blickte ihn an und sah, daß ihm die Trauer um
Gandalf noch deutlich ins Gesicht geschrieben stand.
Boromir konnte sich nicht helfen, aber er fühlte,
daß der Zauberer vielleicht nicht das letzte Opfer
auf ihrem langen Weg gewesen war. Er deutete in den
Himmel. „Den roten Stern dort nennen die Elben Carnil.“
Der Hobbit sah ihn bewundernd an. Boromir lächelte.
„Meinst du, wir werden uns hier ein wenig ausruhen können?“
Pippin sah ihn hoffnungsvoll an, doch Boromir erschauderte
bei dem Gedanken. Er hörte die Stimme Galadriels
in seinem Kopf - wie sie vom Fall seines Reiches sprach
und doch auch von Hoffnung. Er hatte vergeblich versucht,
Laietha vor ihren suchenden Gedanken in seinem Kopf
zu schützen, aber sie hatte ihm direkt ins Herz
gesehen. Sein Blick fiel wieder auf den Halbling, der
ihm in all der Zeit sehr ans Herz gewachsen war. Pippin
sah müde und erschöpft aus und ein wenig Ruhe
würde ihm guttun. Er lächelte freundlich.
„Sicher werden wir eine Weile hier bleiben.“ Pippin
lächelte fröhlich. „Das ist gut. Ich finde
es schön hier. Fast so schön wie in Bruchtal.
Wie schade, daß Laietha nicht hier ist. Es würde
ihr hier bestimmt gefallen.“ Damit ging er zu seinem
Lager und ließ Boromir mit seinen Gedanken zurück.
Er vergrub den Kopf in dem Hemd, das sie ihm genäht
hatte und das er als Kopfkissen benutzte. Der Krieger
schloß die Augen. Grüne Augen tanzten vor
ihm und er hörte ihr helles Lachen. Fast konnte
er sie greifen. Er spürte ihre Lippen auf seinen,
ihre Hände in seinem Haar, wie sie sich mit ihrer
warmen Haut an ihn preßte und er schöpfte
neuen Mut. Gandalf war fort und welchen Weg sie nehmen
würden, stand nicht mehr fest. Vielleicht war das
die Hoffnung, von der Galadriel gesprochen hatte. Vielleicht
würde der Ringträger sich doch noch entscheiden,
ihn nach Gondor zu begleiten und sie konnten diesen
Krieg früher für sich entscheiden, als er
zu hoffen gewagt hatte. Aragorn hatte die Führung
übernommen und er hatte ihm versprochen, ihn in
die Weiße Stadt zu begleiten. Noch war nicht alles
verloren.
****
„Wir sollten versuchen, das Nebelgebirge zu überqueren
und am Nimrodel entlang nach Lothlorien zu kommen. Das
ist der schnellste Weg, obwohl wir lange genug dafür
brauchen werden.“ Laietha verzog unwillig das Gesicht.
Es war tiefster Winter. Das Gebirge würde verschneit
sein und sie müßten die Pferde zurücklassen.
Das Unterfangen war so gut wie aussichtslos. Sie würden
niemals rechtzeitig in Lothlorien eintreffen, um sie
zu warnen. Elrohir legte ihr die Hand auf die Schulter.
„Vielleicht sollten wir zurückkehren, Laietha.
Es ist gefährlich bei diesem Wetter durch die Berge
zu reisen. Die Orks sind zahlreich und sie werden schon
lange fort sein, wenn wir bei Frau Galadriel eintreffen.“
Sie sprang auf, fest entschlossen, jetzt nicht aufzugeben.
„Nein! Du, wenn du willst, kehr um, aber ich werde weitergehen!“
Der Elb schüttelte den Kopf. „Ich werde dich nicht
alleine lassen. Wir sollten aufbrechen, der Weg ist
weit.“
In der Ferne hörten sie Geheul und griffen nach
ihren Waffen. Die Pferde scheuten und sie hatten Mühe,
sie zurückzuhalten. „Warge,“ murmelte Elrohir.
„Wo Warge sind, sind Orks nicht weit,“ setzte Laietha
hinzu.
Schnell machten sie sich auf den Weg, um das Gebirge
zu überqueren. Nun war Eile geboten. Sie hatten
noch nicht einmal die erste Etappe genommen, als sie
ein böses Knurren hinter sich vernahmen. Mit einem
frustrierten Schrei sprang Laietha von Ascar und wirbelte
herum. Sie sah sich einem Rudel von einem Dutzend Warge
gegenüber. Die Kriegerin fluchte. Elrohir war sofort
an ihrer Seite und zog seinen Bogen. „Ich werde bestimmt
nicht als Futter für einen häßlichen,
zu groß geratenen Hund enden!“ schnaubte Laietha.
Elrohir legte seinen Bogen an und erlegte den ersten
der Gruppe. Die anderen stürzten sich nun mit wildem
Geheul auf sie. Elrohir ließ seinen Bogen singen
und beförderte noch drei weitere von ihnen ins
Jenseits, bis sie endlich an sie heran gekommen waren.
Laietha umklammerte den Griff von Dramthala. Mit einem
wilden Schrei rammte sie es dem ersten Angreifer in
das geöffnete Maul. Sie zog das Schwert mit einem
Quietschen aus seinem Rachen und stellte sich dem Nächsten.
Mit einem schnellen Blick stellte sie fest, daß
sie diesen Kampf nicht überstehen konnten. Sie
mußten fliehen oder sterben. In einem Anflug von
Verzweiflung warf sie sich auf den nächsten Warg.
Auch Elrohir hatte ihre Lage abgeschätzt. Das Rudel
begann, sie einzukreisen. Sie mußten sich jetzt
entscheiden, was sie tun wollten. Er warf einen Blick
auf seine Schwester, die mit dem Mut der Verzweiflung
kämpfte. Sie würde eher sterben, als aufgeben.
„Lauf, Laietha! Beeil dich! Ich werde sie aufhalten!“
Entsetzt sah sie ihn an, aber er ließ sie nicht
protestieren. „Lauf! Vielleicht schaffst du es! Mach
dir um mich keine Sorgen. Ich werde dir genug Zeit geben
und dann verschwinden.“ Sie nickte und begann zu laufen.
Der Weg war steil und felsig und sie hätte einige
Male fast den Boden unter den Füßen verloren.
Hinter sich hörte sie Elrohir kämpfen. Wenn
ihm nur nichts geschah! Die Wölfe heulten schrecklich
laut und auf einmal herrschte Stille. Laietha wurde
fast verrückt vor Angst. Hatten sie ihn getötet?
Sie erlaubte es sich, eine Sekunde lang stehenzubleiben
und zurück zu spähen, aber in der Dunkelheit
konnte sie nichts ausmachen. Nun war es zu spät.
So schnell sie konnte, setzte sie den Aufstieg fort.
Der Weg wurde immer steiler und sie war nun schon
vier Tage unterwegs. Es war bitterkalt, aber zum Glück
war nicht so viel Schnee gefallen, wie sie befürchtet
hatte. Dennoch konnte sie keine Spur vom Gipfel des
Berges ausmachen. Vielleicht hatte sie sich verirrt.
Laietha gönnte sich einen Augenblick Rast. Erschöpft
sank sie zu Boden. Die Ungewißheit, ob Elrohir
noch am Leben war und die kräftezehrende Reise
zermürbten sie. Fast wollte sie aufgeben. Ihre
Hand umklammerte die Silberschnalle in ihrer Tasche.
Nein, sie würde nicht eher ruhen, bis sie ihn wieder
in den Armen hielt. Rasch nahm sie einen Bissen Lembas
zu sich. Viel hatte sie nicht mehr. Ob sie wollte oder
nicht, sie mußte es nach Lothlorien schaffen.
****
Elrohir stellte sich den letzten Warge entgegen.
Sein Kampf war verzweifelt und er hatte sich schon mit
dem Gedanken abgefunden, daß es sein letzter sein
würde. Aber es ging nun nur noch darum, seiner
Schwester genug Zeit zum Entkommen zu geben. Das Alphatier
des Rudels fletschte bösartig die Zähne und
sprang ihm entgegen. Elrohir wich einen Schritt zurück
und trat auf einen losen Stein. Er fiel und der Wolf
war über ihm. Der Elb stierte in einen zähnestarrenden
Rachen. Das Tier verbiß sich in seiner Schulter
und er stieß einen Schmerzensschrei aus. Das war
also sein Ende. Erneut setzte der Warg an, um ihm die
Kehle durchzubeißen, als das Tier plötzlich
tot auf ihm zusammenbrach. Elrohir vernahm noch das
gedämpfte Aufjaulen einiger Tiere und erblickte
dann das Gesicht seines Bruders Elladan über sich.
Dann verlor er das Bewußtsein.
****
Als sie eine Woche gestiegen war, erreichte sie den
Gipfel und stellte fest, daß sie viel zu weit
südlich sein mußte. Laietha fluchte im Stillen.
Sie begann mit dem Abstieg. Zwei Tage später gingen
ihre Vorräte zur Neige. Im knöcheltiefen Schnee
suchte sie nach eßbaren Wurzeln, aber sie fand
kaum genug, um eine wäßrige Suppe daraus
zu kochen. Gegen Abend erlegte sie ein mageres Kaninchen.
Der Hunger, Durst und die Kälte trieben sie dazu,
ein kleines Feuer zu riskieren. Sie schmolz etwas Schnee
und füllte ihre Wasserflasche auf. Mitten in der
Nacht hörte sie Geräusche. Eine Gruppe von
drei Orks näherte sich ihr. Ihre Augen sahen besser
als Laiethas und sie stürmten auf sie zu. An Flucht
war nicht zu denken, denn die Ungeheuer waren schneller
als sie. Wenn sie sterben sollte, dann mit dem Schwert
in der Hand.
Der erste Angreifer war herangekommen und mit geübter
Hand trennte sie ihm den Schädel vom Rumpf. Die
anderen beiden ließen ihr keine Pause und stürzten
sich auf sie. Die Angst, daß ihre Schreie vielleicht
noch andere anlocken könnten und ihr Wille zu überleben,
verliehen ihr übermenschliche Kräfte. Nach
kurzem aber heftigen Kampf hatte sie den zweiten besiegt,
aber der dritte warf sich auf sie und schmetterte ihr
das Schwert aus der Hand. Die Kreatur fletschte die
Zähne und wollte ihr sein Schwert ins Herz rammen.
Die Kriegerin rollte sich zur Seite, aber seine Waffe
durchschnitt den Stoff an ihrem Hemd und Blut begann
zu fließen. Laietha griff in ihre Kleidung und
zog ihr Messer hervor. Sie stieß es ihm in den
Leib. Mit einem Aufschrei ließ er von ihr ab,
doch bevor er entkommen konnte, schnitt sie ihm die
Kehle durch. Keuchend lag sie am Boden und umklammerte
den Schnitt an ihrem Arm. Er begann taub zu werden.
Vergiftet, dachte sie in Panik. Sie versuchte, die Wunde
auszusaugen. Ihre Zunge wurde taub und sie fühlte
sich schwindlig, aber sie gab nicht auf. Schwer atmend
wickelte sie einen Fetzen Stoff um die Verletzung und
fiel in einen unruhigen Schlaf.
****
Boromir schreckte aus dem Schlaf hoch. Er hatte ganz
deutlich ihr Gesicht vor sich gesehen. Die Sterne funkelten
über ihm und die Nacht war still und klar. Leise
stand er auf und lief ziellos durch den Goldenen Wald.
Ihr kann nichts passiert sein. Sie ist sicher in Bruchtal.
Du hast nur schlecht geträumt, versuchte er sich
zu beruhigen. Dennoch war an Schlaf für ihn nicht
mehr zu denken. Wieder dachte er an die Visionen, die
ihm Galadriel gezeigt hatte. Es wurde ihm wichtiger
als zuvor, so schnell wie möglich zu seiner Stadt
zu gelangen und Minas Tirith zu sichern. Auch wenn er
wahrscheinlich nie in der Stadt regieren würde.
Erst als der Morgen graute, kehrte er zum Lager zurück.
Er hielt sich von Frodo fern. In letzter Zeit war ihm
öfter gewesen, als hätte er eine Stimme in
seinem Kopf gehört, wenn er sich in der Nähe
des Halblings aufhielt. Es mußte der Ring sein.
Boromir schüttelte den Kopf. Er wollte ihn nicht
für sich. Er hatte geschworen, den Halbling zu
beschützen und ein Mann Gondors brach sein Wort
nicht.
****
Als Laietha wieder zu sich kam, stand die Sonne bereits
hoch am Himmel und der Schnee war geschmolzen. Ihr war
heiß und ihr Mund war trocken. Du hast Fieber,
dachte sie und bewegte vorsichtig ihren Arm. Er schmerzte,
aber das Gift schien sich nicht ausgebreitet zu haben.
Um sie herum lagen immer noch die drei Leichen der Orks.
Sie begannen zu stinken. Laietha kam langsam wieder
auf die Beine und sie taumelte zu den toten Körpern.
Ekel unterdrückend, begann sie die Kadaver zu durchsuchen.
Sie fand ein paar Lebensmittel und Wasser bei ihnen.
Angewidert rümpfte sie die Nase, aber da ihre eigenen
Vorräte fast gänzlich verbraucht waren, blieb
ihr nichts anderes übrig. Gierig leerte sie eine
Wasserflasche. Der Inhalt war schal und schmutzig, aber
es war Wasser und das zählte. Zwischen ihren Brüsten
spürte sie Wärme aufsteigen und sie griff
nach dem grünen Stein, der an ihrem Hals hing.
Sicher hatte er ihr das Leben gerettet. „Danke, Vater,“
murmelte sie und machte sich nach einem kargen Frühstück
weiter an den Abstieg.
Sie mußte der Erschöpfung Zoll zahlen
und brauchte fast eine weitere Woche für den Abstieg.
Dann machte sie sich auf die Suche nach dem Fluß
Nimrodel. An den Füßen der Berge fand sie
mehr Nahrung. Es gelang ihr einige Male, ein kleines
Tier zu erlegen und sie fand frisches Wasser. Die letzten
zwei Tage des Abstiegs hatte sie ohne Nahrung auskommen
müssen. Wie lange sie nun unterwegs war, konnte
sie nicht mehr sagen.
Nach etlichen Tagen sah sie in der Ferne die Ränder
des Goldenen Waldes und ihr Herz schlug schneller. Trotzdem
sie dachte, sie würde es nicht einmal mehr bis
zum Waldrand schaffen, spornte sie sich zu einer letzten
Anstrengung an und beschleunigte ihre Schritte. Sie
hoffte so sehr, Boromir und die anderen dort wohlbehalten
anzutreffen. Laietha hoffte, daß ihre Mühe
nicht umsonst gewesen war. Hoffnung war alles, was sie
jetzt noch hatte.
****
Elrohir schlug die Augen auf und sah das besorgte
Gesicht seines Vaters über ihn gebeugt. Elrond
seufzte erleichtert. „Bei den Valar, du bist wieder
bei Bewußtsein.“ Elrohir sah sich langsam um und
stellte fest, daß er sich in seinem Zimmer in
Bruchtal befand. Er wollte sprechen, aber seine Stimme
versagte und sein Mund war trocken. Elrond reichte ihm
schnell etwas zu trinken. Gierig schluckte Elrohir das
Wasser hinunter. „Was ist passiert?“ fragte er mit heiserer
Stimme.
Elrond erklärte es ihm. Sie hatten am Morgen
festgestellt, daß Ascar verschwunden war, nebst
Elrohir und Laietha und genau wie das Pferd von Boromir.
Es mußte ihnen nachgelaufen sein. Elladan hatte
sich auf die Suche gemacht und war den Spuren gefolgt.
Zunächst hatte er nur gedacht, daß seine
Geschwister ausgeritten waren, aber schnell hatte Elladan
begriffen, daß seine Geschwister sich wohl auf
die Suche nach den Gefährten gemacht hatten. Also
war er ihnen nachgeritten und gerade rechtzeitig gekommen,
um zu verhindern, daß sein Bruder zur Hauptmahlzeit
für einen Warg wurde. Da Elrohir schwer verletzt
war, hatte sein Bruder ihn zu ihrem Vater gebracht,
der seine Wunden versorgt hatte. Von Laietha hatten
sie keine Spur gefunden und Elrohir machte sich nun
schwere Vorwürfe, daß er sie alleine gelassen
hatte. Sein Vater legte ihm die Hand auf die Schulter.
„Es war nicht deine Schuld. Sollte sie in Lothlorien
ankommen, werden wir Nachricht erhalten.“ Nun, das minderte
die Sorgen des jungen Elben nicht im geringsten, aber
er konnte nichts anderes tun, als zu warten.
****
Bald schon würden sie aufbrechen und Boromir
war sehr froh darüber. Er war sich inzwischen sicher
- der Ring sprach zu ihm. Wie lange er seiner Versuchung
noch widerstehen konnte, wußte er nicht. Frau
Galadriel hatte sie am Nachmittag zu sich gerufen und
ihnen Geschenke überreicht. Sie war sehr freundlich
gewesen, aber dennoch fröstelte es Boromir, wenn
sie ihn mit ihren uralten Augen musterte. In gewisser
Weise erinnerte sie ihn an seinen Vater, der mit seinen
Augen einem Menschen direkt in die Seele zu blicken
vermochte. Aber der Aufbruch war nicht mehr fern.
****
Ein paar Zweige knackten und der Elb wirbelte herum.
Hatte er es sich doch gedacht, daß sich jemand
in den Gefilden seiner Herrin herumtrieb. Ein Lächeln
stahl sich auf sein Gesicht. Jetzt war es Zeit für
eine kleine Jagd. Schon bald hatte er mit seinen scharfen
Sinnen den Eindringling erspäht - eine Menschenfrau.
Sie war dunkel gekleidet und bewegte sich leise, wenn
sie auch sehr erschöpft wirkte. Haldir wußte,
daß es nur eine Frage der Zeit war, bis sie ihm
in die Falle lief. Er ließ sie an sich vorbeischleichen,
überholte sie wieder, beobachtete sie aus den Wipfeln
der Bäume - bis ihm das Spiel zu langweilig wurde.
Schnell sprang er vom Baum herunter und plazierte sich
vor der Frau. Sie stieß einen Schrei des Entsetzens
aus und noch bevor sie nach ihrer Waffe greifen konnte,
spannte Haldir die Sehne seines Bogens und ließ
sie auf die Pfeilspitze schielen, die ihr mitten ins
Gesicht deutete. Er musterte sie. Ihre Kleidung war
schmutzig und zerrissen. Sie war verletzt und ihr Gesicht
war mit Schmutz bedeckt.
Die Frau sah ihn eine Weile an. Dann lächelte
sie erleichtert. „Mae govannen, Haldir o Lorien.“ Es
war nicht zu fassen, aber sie sprach die hohe Sprache
ohne Akzent. Der Elb riß die Augen auf und sie
schenkte ihm ein süffisantes Lächeln. Verärgert
darüber, daß sie sein Erstaunen bemerkt hatte,
gab er zurück: „Es sind in der Tat seltsame Zeiten,
wenn so viele Wesen den Goldenen Wald betreten, die
der hohen Sprache mächtig sind.“ Der Triumph ging
an ihn zurück, denn nun weiteten sich ihre Augen.
Ein wildes Feuer der Hoffnung schien aus ihnen zu leuchten.
„Wovon sprichst du? Ist jemand hier entlang gekommen?
Eine seltsame Gemeinschaft? Zwei Männer waren dabei,
ein Zauberer, ein Elb, ein Zwerg und vier Halblinge!
Pedo, mellon!“ Haldir straffte sich. Sie wußte
verdammt viel...zu viel für seinen Geschmack. Er
versuchte zu erkennen, wen er vor sich hatte. Er kannte
sie... „Wer will das wissen?“ fragte er und stemmte
die Fäuste in die Hüften. Die Frau lächelte
erschöpft. „Erkennst du einen Freund nicht, wenn
du ihn siehst?“ Sie ließ ihm etwas Zeit zum Nachdenken.
Haldir sah die Menschenfrau von Kopf bis Fuß an.
Sie hatte rotes Haar, mochte 25 Sommer zählen und
hatte die Statur einer Kriegerin. Sie sah aus, als hätte
sie eine lange gefährliche Reise hinter sich. Ihre
Kleider schlackerten, so als hätten sie gepaßt,
als sie aufgebrochen war. Langsam dämmerte ihm
mit wem er es zu tun hatte. War das nicht das Mädchen,
das Lord Elrond in seinem Haus aufgenommen hatte? „Ah,
Annaluva, fast hätte ich dich nicht erkannt! Du
bist älter geworden und diesmal angezogen!“ Er
sah sie wieder vor sich stehen...so jung und schön.
Damals hatte sie mit ihrem Ziehvater Frau Galadriel
besucht. Sie hatten einige wunderbare Wochen miteinander
gehabt - bis sie ihn verlassen hatte. Es war einige
Jahre her und sie hatte sich verändert. Haldir
wandte sich ihr wieder zu. „Folge mir, ich werde dich
zur Herrin des Waldes bringen.“ Damit lief er in das
Dickicht hinein und die Frau hatte Mühe, ihm zu
folgen, als sie erschöpft hinter ihm herstrauchelte.
Der Galadhrim führte Laietha lange durch die
Wälder. Er hatte ihr die Augen verbunden und genoß
es, daß die Frau sich an seine Hand klammern mußte,
um den Weg nicht zu verlieren. Sie waren einige Tage
unterwegs. Schließlich erreichten sie den großen
Baum, in dem die Herrin des Lichts wohnte. Haldir ging,
um seine Herrin zu benachrichtigen und hieß sie
zu warten. Die Zeit schien sich ihr ins Endlose zu dehnen.
Sie mußten hier sein - sie hoffte es so sehr.
Aber alles deutete darauf hin, daß sie wieder
fort waren. Wenn sie nur nicht zu spät gekommen
war! Sie lief auf und ab wie ein gefangenes Tier und
trat schließlich an den Rand der Plattform. Jetzt
nur nicht hinuntersehen, sagte sie sich.
Hinter sich vernahm sie kaum hörbare Schritte.
Sie wirbelte herum und erstarrte. In weiß gekleidet
und von einem Kranz aus Licht umgeben schritt die Herrin
des Waldes die Treppen hinunter. Die Frau verbeugte
sich tief. „Mae govannen, Laietha Annaluva, Ziehtochter
von Elrond Halbelben, dem Herrscher in Imladris.“ „Mae
govannen, Frau Galadriel, Hüterin des Lichts Earendils,“
erwiderte Laietha wie es sich geziemte. Die Elbenkönigin
lachte glockenhell. „Dein Vater hat dir wahrlich viel
über die Sitten der Elben beigebracht. Sprich,
was führt dich zu mir. Sicher willst du dich nicht
nur an dem Goldenen Wald erfreuen, denn die Reise von
Imladris zu meinem Reich ist der Tage sehr gefährlich.“
Sie bedachte den notdürftig verbundenen Schnitt
am Arm der Frau mit einem flüchtigen Blick. Laietha
nickte. „Ich bin meinem Ziehbruder gefolgt. Habt ihr
ihn gesehen?“ Galadriel nickte langsam. „Ja, er ist
hier gewesen, aber du kommst zu spät. Die Gemeinschaft
hat mein Reich vor zwei Tagen verlassen.“ Laietha dachte,
daß ihr der Boden unter den Füßen schwinden
würde. Zwei Tage! Sie ließ den Kopf hängen.
Die Herrin des Lichts fuhr fort. „Deine Sorge ist nicht
umsonst gewesen. Schon als die acht den Wald verließen,
schwebte ein bedrohlicher Schatten über ihnen.
Ich habe es gefühlt.“ „Die acht?“ entfuhr es Laietha.
„Aber es waren neun als sie Bruchtal verließen!“
Als sie bemerkte, daß ihre Hände zitternden,
ballte sie sie zu Fäusten und zwang sich zur Ruhe.
„Der Zauberer ist in den Schatten von Moria gestürzt.
Ein Balrog von Morgoth nahm ihn mit sich.“ Tränen
schlichen sich in die Augen der Frau. „Mithrandir...“
wisperte sie kaum hörbar. Asche und Feuer. Das
hatte also ihr Traum zu bedeuten gehabt. Aber was war
mit dem zweiten Teil? Das geborstene Horn.
Boromir, dachte sie panisch. Sie schüttelte
den Kopf. „Dann muß ich mich beeilen. Ich kann
nicht länger verweilen!“ Sie wollte sich umdrehen
und weiterlaufen, aber ihre Knie waren weich wie Butter.
Die Elbin packte sie fest am Arm. „Ihr solltet euch
ausruhen. Geht heute Nacht nicht weiter.“ Sie hatte
Recht. Die Kriegerin war erschöpft und eine Rast
würde ihr guttun. Zuerst kamen einige Heilerinnen
und versorgten den Schnitt an ihrem Arm, dann führte
man sie zu den Badestätten und schließlich
erhielt sie etwas zu Essen. Als sie satt und sauber
war, spürte sie, daß sie die Augen vor Müdigkeit
kaum noch offenhalten konnte.
Laietha ließ sich von Haldir auf ein Zimmer
führen. Der Elb drehte sich im Gehen noch einmal
um. „Wenn du heute Nacht Gesellschaft brauchst...“ Sie
schüttelte den Kopf. Haldir schnaubte beleidigt.
„Es gab Zeiten, da hättest du mich nicht einfach
so weggeschickt.“ Laietha rang sich ein Lächeln
ab. „Viele Sommer sind seit dem verstrichen. Und nun
wünsche ich dir eine gute Nacht.“ Beleidigt verließ
er den Raum und Laietha ließ sich auf das weiche
Bett fallen. Sie war zu Tode erschöpft, aber Schlaf
wollte sich nicht einstellen. Sie starrte an die Decke.
Sie hatte so viel riskiert und nun war sie zwei Tage
zu spät.
Ihre Hand wanderte in die Tasche ihres Mantels und
umschloß die kleine Silberschnalle, auf der man
einen Baum und sieben Sterne erkennen konnte. Sie lächelte.
Er war hier gewesen. Ihre Mühen waren doch nicht
vergebens gewesen. Noch bestand Hoffnung. Sie schlief
ein.
Mitten in der Nacht erwachte sie mit einem Schrei.
Sie schwitzte und atmete schwer. Was hatte sie nur geträumt?
Ohne nachzudenken, wanderte ihre Hand zu dem Juwel,
das zwischen ihren Brüsten hing. Es leuchtete grün
aus seinem Innersten heraus. Langsam spürte sie,
wie die Furcht von ihr abfiel. Ihr Atem wurde regelmäßiger.
Herr Elrond hatte ihr diesen Elbenstein geschenkt, bevor
sie das erste Mal in die Schlacht gezogen war. Die Elben
besaßen viele dieser magischen Steine und dieser
nahm Furcht und half Heilen. In vielen Kriegen hatte
ihr das Juwel gute Dienste erwiesen. Es war das Wertvollste
was sie besaß. Sie zog Stärke aus seiner
Wärme an ihrer Haut und bald fiel sie erneut in
einen tiefen, diesmal traumlosen Schlaf.
****
Die Nacht war so finster, daß sie sogar das
Licht ihres kleinen Lagerfeuers zu verschlucken schien.
Aragorn fand keinen Schlaf. Er hatte das Gefühl,
daß sie verfolgt würden und auch andere Dinge,
die ihn beunruhigten raubten ihm den Schlaf. Er ließ
seinen Blick über das Lager schweifen und sah Boromir,
der auf den Fluß starrte.
Boromir war tief in Gedanken versunken. Sein Herz
zog ihn zurück nach Bruchtal. Es würde noch
lange dauern, bis es ihm erlaubt war, wieder eigene
Wege zu gehen. Seine Stadt war in Gefahr - das hatte
ihm Frau Galadriels Stimme in seinem Kopf gesagt - und
er war der Sohn des Statthalters. Er hatte Pflichten,
die keinen Raum für persönliche Interessen
ließen. Er seufzte. Seine Hand glitt über
das Hemd, das sie für ihn genäht hatte und
in Gedanken war er bei ihrer letzten gemeinsamen Nacht.
Er dachte an den Geruch ihrer Haare, ihre weiche Haut
auf seiner, ihre Lippen, die sich fanden.
Aber es gab jetzt wichtigeres für ihn zu tun,
ermahnte er sich. Die Verantwortung seinem Volk gegenüber
- auch wenn er es nie regieren würde. Er war nun
fast froh, daß Aragorn den Thron für sich
beanspruchen würde, denn ein Mädchen wie sie
würde in den strengen Augen seines Vaters nie Befürwortung
gewinnen. Wenn die Weiße Stadt in Sicherheit war,
würde er zu ihr gehen können. Aber es war
noch so ein weiter Weg bis dahin. Der Ring - der verfluchte
Ring! Er war die Ursache aller seiner Probleme - und
vielleicht die Lösung. Wenn sie den Ring gegen
Sauron verwenden würden... „Du kannst ihn nicht
benutzen! Niemand kann das!“ Aragorns Worte hallten
in seinen Ohren. Aber woher wollte er das wissen? Er
hatte es noch nie versucht! Das war alles nicht richtig!
Aragorn setzte sich neben ihn. „Was hast du, Freund?“
In seiner Stimme schwang Sorge mit. Trotz aller Differenzen,
die er mit dem Mann hatte - während der Reise hatte
er sich doch als treuer Freund erwiesen und Aragorn
verdrängte den Gedanken, daß er befürchtet
hatte, daß er seiner Schwester zu nahe kommen
wollte.
Boromir fühlte sich ertappt. Er hatte den Waldläufer
nicht kommen gehört. Schnell suchte er mit seinen
Blicken den Fluß ab. Dann deutete er auf einen
im Wasser treibenden Baumstamm. Aragorn nickte. „Es
ist Gollum. Er folgt uns bereits seit Moria. Ich dachte,
wir würden ihn auf dem Fluß verlieren, aber
er ist ein zu geschickter Wassermann.“ „Ich hoffe, daß
er den Feind nicht zu uns führen wird.“ Also spürte
auch Boromir, daß sie verfolgt wurden. Er nickte
zustimmend. Der Gondorianer nahm seinen Mut zusammen.
Immerhin war es Aragorns ursprünglicher Plan gewesen,
ihn zu begleiten. „Vielleicht sollten wir zu meiner
Stadt gehen. Dort könnten wir unsere Kräfte
neu formieren und gestärkt aufbrechen.“ Aragorn
wurde ärgerlich. „Ich werde den Ring nicht näher
als 100 Meilen an deine Stadt führen!“ Jetzt brach
der Zorn auch aus Boromir heraus. „Warum hast du so
wenig Vertrauen in dein eigenes Volk? Ja, wir Menschen
sind schwach - aber es gibt auch Ehre und Stärke
unter den Menschen!“ Aragorn schnaubte und Boromir packte
die Wut. Er bekam den Waldläufer an den Schultern
zu fassen und schüttelte ihn. „Den Elben hast du
gleich vertraut!“ rief er aus. Alle seine Frustrationen
der letzten Tage, Wochen, vielleicht Jahre legte er
in diesen Wutausbruch. Der vergebliche Versuch seines
Volkes, gegen die Mächte Mordors Widerstand zu
leisten, während der zukünftige König
Gondors untätig mit den Elben anbändelte -
Gondor hatte es nicht verdient von einem Mann regiert
zu werden, der einem anderen Volk mehr zugetan war als
dem eigenen! Er selbst war sein ganzes Leben lang darauf
vorbereitet worden, ein starker Herrscher für sein
Volk zu sein. Er hatte so viel entbehren müssen
- entbehrte jetzt noch so viel - er würde nicht
zusehen, wie Aragorn seine Stadt dem Untergang überließ,
nur weil er Furcht vor der Verantwortung hatte, nur
weil er sich den Elben...
Aragorn riß sich los und sah den Krieger finster
an, und drehte sich zum Gehen um, aber noch war Boromir
nicht fertig mit ihm. Erneut bekam er den Waldläufer
an der Schulter zu fassen. „Du hast Angst vor dem wer
du bist und was du bist! Sei ein Mann und kämpfe
für dein Volk!“ Der Mann entwand sich seinem Griff.
Völlig ruhig sah er Boromir an. „Du solltest jetzt
schlafen gehen. Unser Weg nach Mordor ist weit.“ Damit
ließ er den Gondorianer in seiner Wut allein.
Der Krieger trat mit dem Fuß gegen einen Baum.
Das Feuer des Zorns war noch nicht erloschen und verkohlte
sein Herz, aber etwas anderes in ihm erstickte schließlich
die Flammen. Er traf seinen Entschluß. Niemand
der Gemeinschaft war an ihre Wege gebunden. Sollten
die anderen nicht mit ihm kommen, würde er alleine
nach Minas Tirith gehen. Er mußte seinem Volk
jetzt zur Seite stehen und je eher seine Stadt sicher
war, desto schneller konnte er sich seinen eigenen Bedürfnissen
zuwenden. Er drehte sich auf die Seite und schlief ein.
****
Die Sonne war noch nicht ganz aufgegangen, als Laietha
mit gepackten Sachen am Fluß stand und ihren Abschied
nahm. Die Elbenkönigin hatte ihr noch etwas Proviant
und ein Boot geben lassen. „Sie sind zu den Rauros Fällen
gefahren. Wie ihr Weg von dort aus weiterführt,
kann ich nicht sagen. Das ist ein schnelles Boot. Wenn
du zügig reist und wenig rastest, kannst du sie
vielleicht einholen.“ Dann griff die Herrin des Waldes
hinter ihren Rücken und zog eine kleine Phiole
mit einer grünlich schimmernden Flüssigkeit
hervor. „Wenn du dich schwach fühlst, genügt
ein Schluck, um dich zu wärmen und dir Kraft zu
geben. Ich fühle, daß du es auf deiner Reise
sehr wohl brauchen wirst.“ Die Kriegerin öffnete
die Phiole und roch an der Flüssigkeit. „Miruvor,“
lächelte sie verzückt. Laietha stiegen Tränen
der Dankbarkeit in die Augen und sie schämte sich,
daß sie nichts hatte, was sie der freundlichen
Elbin im Austausch geben konnte. Nichts, nur...ihre
Hand wanderte an ihren Hals und sie griff nach der Kette,
um den Verschluß zu lösen. Eine der delikaten
Hände der Elbenherrscherin legte sich auf ihre
rauhe. „Nein, behalte es. Du wirst es vielleicht noch
brauchen. Und nun eile dich.“ Die Kriegerin verneigte
sich und küßte die Hand der Elbin. Unter
tausendfachen Danksagungen nahm sie ihren Abschied.
Der Strom riß an dem leichten Boot, aber Galadriel
hatte nicht zu viel versprochen, es war schnell und
trug Laietha rasch in Richtung der Rauros Fälle.
Am meisten strengte sie das Steuern an. Der Tag verflog
und erst als es so dunkel geworden war, daß sie
ihre eigene Hand nicht mehr vor Augen sehen konnte,
steuerte sie das Boot ans Ufer und suchte sich im Dickicht
des nahen Waldes eine Raststätte. Sie setzte sich
hin und nahm einen Bissen von dem Lembas das ihr die
gute Frau Galadriel als Proviant mitgegeben hatte. Ein
Feuer zündete sie nicht an. Es war zu gefährlich.
Die Anstrengung der letzten Tage forderten ihren Tribut
und sie fiel in einen leichten Schlaf.
Kaum hatte sie die Augen geschlossen, so schien es
ihr, schreckte sie hoch, als hinter ihr Zweige knackten.
Sie griff nach ihrem Schwert und wollte auf den Angreifer
zuspringen, als sich ihr eine Hand um die Kehle schloß.
Der Griff war fest, schmerzte aber nicht. „Ihr Menschen
seid bedauernswerte Geschöpfe - dem Bedürfnis
nach Schlaf so ausgeliefert.“ Laietha erkannte die Stimme
sehr wohl. „Und ihr Elben seid so albern! Lauft durch
die Natur und habt nichts besseres zu tun, als unschuldige
Reisende zu erschrecken! Laß mich los, Haldir!
Was tust du überhaupt hier?“ Der Elb tat wie ihm
geheißen war. „Die Herrin des Waldes schickt mich.
Sie fürchtete, du könntest in der Wildnis
verloren gehen, wenn niemand auf dich acht gibt.“ Selbst
in der Dunkelheit konnte sie sein breites Grinsen sehen.
Die Kriegerin schüttelte nur den Kopf. „Wenn ich
ein Ork gewesen wäre, wärst du jetzt tot.“
Sie wußte, daß er Recht hatte und der Gedanke
gefiel ihr nicht. Eigentlich war sie ja auch froh, Gesellschaft
zu haben, nur warum, im Namen der Valar, mußte
es ausgerechnet Haldir sein?
Ein kühler Morgen folgte auf die Nacht und Laietha
ging zum Fluß, um sich zu waschen. Nachdem sie
sich angezogen hatte und umdrehte, um zum Lager zurückzukehren,
sah sie Haldir, der breit grinsend zu ihr hinübersah.
„Für gewöhnlich lasse ich mich nicht zwei
Mal mit der selben Sterblichen ein, aber bei dir würde
ich eine Ausnahme machen,“ grinste er. Laietha funkelte
ihn wütend an. „Du kannst es gerne versuchen, aber
dann wirst du bald herausfinden, ob man auch ohne Kopf
noch unsterblich sein kann.“ Er lachte schallend. Sie
frühstückten rasch und dann machten sie sich
auf den Weg. Der Elb sah mit hochgezogenen Augenbrauen
zu, wie die Frau sich abmühte, das Boot so schnell
wie möglich voran zu bringen. Haldir behielt die
Ufer im Auge. Er hatte Gerüchte von Orks gehört,
die auch bei Tage reisten und egal ob sie wahr waren
oder nicht, er wollte nicht der Erste sein, der das
herausfand. Die meiste Zeit über reisten sie schweigend.
Als die Mittagssonne warm auf sie hinunterschien ergriff
der Elb das Wort. „Warum folgst du deinem Bruder? Er
hat sicher auch ohne deine Gesellschaft genug zu tun.
Meinst du, er wird glücklich sein, dich zu sehen?“
Eine Zeitlang antwortete sie nicht. Nach einer Weile
des Schweigens sagte sie schließlich. „Ich bin
nicht wegen meinem Bruder hier.“ Haldir wartete auf
eine Erklärung, aber sie gab keine. Er zuckte mit
den Schultern. Menschen!
Der Fluß verbreiterte sich und es wurde zunehmend
schwieriger, das Boot zu bewegen. Gegen Nachmittag ließ
sie fast das Ruder ins Wasser fallen. Haldir reagierte
blitzschnell. Dann übernahm er das Paddel. Als
die Sonne kurz vor dem Untergang stand lenkte er das
Boot ans Ufer. Sie stiegen aus und Laietha rieb sich
die schmerzenden Arme. Der Elb lächelte selbstgefällig.
Dann untersuchte er den Boden. Ein gutes Stück
von ihrem Rastplatz aus fand er etwas, das ihn beunruhigte.
Hinter sich hörte er Schritte. „Was ist?“ Laietha
trat an seine Seite und er deutete auf die Spuren im
Boden. Sie waren noch nicht alt - vielleicht ein paar
Stunden. „Was war das? So etwas habe ich noch nie gesehen!“
entfuhr es ihr.
Haldir schüttelte den Kopf. „Ich weiß
es nicht, aber was immer es war. Ich möchte ihm
nicht begegnen.“ Laietha kniete sich nieder und maß
die Fußabdrücke mit ihrer Hand ab. Das mußten
Riesen gewesen sein - und verdammt viele von ihnen.
Mit den Händen an den Waffen folgten sie der Spur
ein Stück weit. Sie waren gerade im Begriff umzukehren,
als sie etwas am Wegesrand liegen sahen. Ohne zu überlegen
rannte die Frau darauf zu. Haldir fluchte leise, wagte
es aber nicht, laut nach ihr zu rufen und lief ihr hinterher.
Wie versteinert stand sie da und starrte auf den Boden.
Haldir trat an ihre Seite und mußte einen Schrei
des Ekels unterdrücken. Auf der Erde lag ein stinkender
Kadaver - ein großer stinkender Kadaver. Er schluckte.
Die Frau kniete sich nieder und berührte ihn vorsichtig.
„Was ist das? Es sieht aus wie ein Ork - und auch wieder
nicht.“ Von dem Leichnam war nicht mehr viel übrig.
Der Rest von ihm war wohl aufgefressen worden. „Ich
will hoffen, daß es nicht diese Wesen waren, die
hier vorbeigekommen sind. Die sind ja riesig,“ setzte
sie nach einer Weile hinzu. Haldir zog sie davon. Die
Abscheu übermannte ihn. „Ich will hoffen, daß
sie es waren, denn wie groß sollte ein Wesen sein,
das so einen Hünen jagt und zur Strecke bringt.“
Laietha schluckte hart. Er hatte Recht.
„Ich weiß nicht wie es dir geht, Haldir, aber
ich möchte heute Nacht lieber nicht hier bleiben.“
Der Elb nickte zustimmend und zog sie schnell ins Boot.
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zum
4. Teil --->
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