Titel: Annaluva -  Teil 4
Autor: Naurdolien


Die Nacht senkte sich hernieder und Aragorn bedeutete ihnen, die Boote ans Ufer zu steuern. Sie alle waren froh, endlich zur Ruhe zu kommen. Sam sah besorgt zu Frodo herüber. Er war blaß und sah mitgenommen aus. Und das nicht erst seit sie auf dem Fluß unterwegs waren. Nicht einmal Merry und Pippin schafften es, ihn aufzumuntern. Gimli und Legolas saßen am Feuer und unterhielten sich. Aragorn mußte in sich hineinschmunzeln. Der Zwerg schien ganz verändert zu sein, seit sie die Goldenen Wälder verlassen hatten. Er und Legolas teilten sich einträchtig ein Boot. Der Elb half ihm beim Ein- und Aussteigen und Gimli konnte von nichts anderem sprechen, als der Schönheit Galadriels, ihrer Güte...

Aus dem Augenwinkel sah Aragorn eine große Gestalt, die einsam am Flußufer saß. Boromir. Dem Waldläufer waren seine Blicke, mit denen er Frodo musterte, nicht entgangen. Auch ihn hatte der Aufenthalt in Lothlorien verändert und Aragorn konnte daran gar keinen Gefallen finden. Auch jetzt starrte der Mann wieder gedankenverloren zu dem Hobbit hinüber. Aragorn wünschte, daß Gandalf noch bei ihnen wäre. Wie sehr hätte er jetzt seinen Rat nötig.

BOROMIR! Der Krieger preßte die Hände auf die Ohren. BOROMIR! Der Ring sprach zu ihm - wie schon seit Tagen. Und der Krieger wußte nicht, wie lange er seinem Ruf noch widerstehen konnte. Er sprach von Ruhm, Macht und Stärke. Mit seiner Hilfe würde er Gondor wieder ins Licht führen können. BOROMIR, KÖNIG! Der Krieger unterdrückte einen Schrei. Gepeinigt hieb er mit der Faust auf den Boden. Dann bemerkte er Aragorns Blicke und errötete. Schnell sprang er auf und zog sich in die Finsternis der Nacht zurück. „Hey! Paß doch auf!“ Boromir stieß einen erschreckten Schrei aus. Fast hätte er Pippin über den Haufen gerannt. Er entschuldigte sich wortkarg bei dem Hobbit und wollte weiterlaufen, als er am Ärmel festgehalten wurde. „Wir sehen gefährlichen Zeiten entgegen. Willst du mir nicht noch ein paar kleine Schwertkampftricks zeigen?“ Der Krieger konnte nicht anders als lachen. Er zerzauste dem Hobbit das Haar und gemeinsam kehrten sie ins Lager zurück und begannen mit dem Kampf.

Japsend lagen beide auf dem Boden und Merry hob zur letzten Attacke an. Mit voller Wucht ließ sich der nicht gerade zierliche Hobbit dem Krieger auf den Bauch fallen. Boromir stieß pfeifend die Luft aus und Pippin, der sich inzwischen aufgerappelt hatte, stellte ihm keck den Fuß auf die Brust. „Und wieder einmal hat der schnelle Geist über den starken Körper triumphiert. Tja, Meister Boromir, wer ein so helles Köpfchen wie wir Hobbits hat...“ Alle brachen in schallendes Gelächter aus. Pippin sah sich verwirrt um. „Was hab ich denn gesagt?“

Frodo starrte abwesend zu den anderen hinüber. Der Ring war so schwer. Er spürte in letzter Zeit häufiger das Bedürfnis, ihn einfach auf den Finger zu stecken und zu verschwinden. Er hatte Angst. Die freundlichen Gesichter der Gefährten schienen ihm oft falsch und voller Heimtücke. Sie wollten den Ring für sich - jeder Einzelne von ihnen. Am liebsten wollte er davonlaufen, ganz weit weg und in Sicherheit vor ihnen sein. Aber es gab nur eins vor dem er sich noch mehr fürchtete als vor ihren gierigen Blicken - vor der Einsamkeit. Er seufzte und legte sich hin. Schlaf würde er keinen finden - der war ihm schon seit Tagen versagt.

Legolas trat zu Aragorn. „Was hast du, Elessar?“ Der Mensch schüttelte den Kopf. „Seit ich die Gruppe führen muß habe ich das Gefühl, daß mir alles mißlingt.“ Der Elb legte ihm aufmunternd eine Hand auf die Schulter. „Gandalf wußte, daß er dir die Führung mit Recht übertragen hat. Du wirst das Richtige tun, vertrau mir, Freund.“ Aragorn lächelte. „Auch zu mir hat der Ring gesprochen,“ fuhr der Elb fort und Aragorn sah ihn entsetzt an. Legolas gab ihm einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter. „Boromir ist ein Ehrenmann. Befürchte nichts.“ Damit ging er in den Wald. Er wollte sich nach Spuren umsehen, denn auch der Elb hatte bemerkt, daß sie nicht unbeobachtet waren.

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Ein dunkler Schatten flog über sie hinweg und Laietha und Haldir beobachteten ihn beunruhigt. Haldir hatte ihn schon vor einer ganzen Weile mit seinen scharfen Sinnen erspäht. Sie hatten das Boot in die Uferböschung gesteuert und preßten sich tiefer ins Dickicht hinein. Sie wagten kaum zu atmen. Selbst als der Schatten vorüber war blieben sie noch eine Weile regungslos sitzen. Am Ostufer hatten sie huschende Bewegungen wahrgenommen. „Yrch!“ wisperte Haldir voller Abscheu. Die Orks hatten sie nicht bemerkt - sie wußten, wen sie suchten. Die anderen konnten also nicht mehr fern sein. Die Nacht war pechschwarz und selbst die Vögel schienen sich zu fürchten, denn es war totenstill. Nach einigen Minuten, die ihnen wie Stunden vorgekommen waren, faßte Laietha sich ein Herz. „Was war das?“ fragte sie leise, erschrocken darüber, wie laut ihre Stimme in ihren eigenen Ohren klang. Haldir zuckte mit den Schultern. „Ich bin mir nicht sicher. Ich habe von ihnen gehört, aber nie einen gesehen.“ Laietha wollte ihn fast schütteln. Die Alten hatten Recht gehabt. Frage nie einen Elben um Rat, denn sie antworten nur in Rätseln!

„Im Namen der Valar! Sprich, wenn du etwas weißt du sonst so geschwätziger Elb!“ fuhr sie ihn an.

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Ein Schrei zerriß die Luft. Es klang wie das Kreischen eines verwundeten Tieres und sie alle zuckten zusammen. Gimli bemerkte, daß die Hobbits sich so klein wie möglich zu machen versuchten. Frodo begann voller Angst zu schluchzen und zu wimmern und Sam umklammerte mit bleichem Gesicht sein Schwert. Sie schienen zu wissen, was diesen Laut ausgestoßen hatte. Aragorns Augen weiteten sich voller Entsetzen, als der Schatten über ihnen erschien. Er griff nach seinem Schwert und starrte in den Himmel. Dann begann der Angriff. Die ersten Pfeile sausten vom anderen Ufer auf sie zu und Boromir eilte an die Seite von Merry und Pippin und versuchte sich und die beiden Hobbits mit seinem Schild vor dem Pfeilhagel zu schützen. Aragorn ließ sein Schwert Schwert sein und erwiderte das Feuer. Dann sauste auf einmal der Schatten auf sie hernieder und sie erkannten eine ganz in schwarz gehüllte Gestalt, die auf einem geflügelten Wesen saß. Und wieder gellte der schreckliche Schrei. „Aber ich dachte sie wären tot!“ wimmerte Frodo. Das Wesen stürzte sich auf ihn und hätte ihn fast erreicht, als ein gut gezielter Pfeil das Reittier des Monsters traf und die Kreatur voller Pein aufschrie und sich zurückzog. Keuchend kam Legolas aus dem Wald gerannt und warf dem Angreifer wütende elbische Schimpfwörter hinterher. Er bemerkte die Orks am Ostufer und half Aragorn dabei, die Reihen ihrer Feinde zu lichten. „Zieht euch in den Wald zurück!“ brüllte Aragorn. Sie hatten keine Chance, ihrem Feuer standzuhalten, aber die Orks würden den Fluß noch nicht überqueren. Sie waren nur da gewesen, um sie von dem anderen Angriff abzulenken. Sie hetzten tiefer in den Wald, bis sie außer Schußweite waren. „Gepriesen seien der Bogen der Elben und das scharfe Auge von Legolas!“ lobte Gimli. „Doch sagt mir, was war diese Kreatur? Ich habe so etwas noch nie gesehen!“

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Haldir zögerte. „Es gibt Dinge, von denen man im Dunkeln besser nicht spricht. Ich werde es dir im Morgengrauen sagen.“ Damit verfiel er in Schweigen und ließ sich auch nicht wieder zum Sprechen bringen. Sie wagten nicht mehr in dieser Nacht noch weiter zu reisen. In weiter Ferne hörten sie einen Schrei, der ihnen das Blut in den Adern gefrieren ließ. Laietha zuckte zusammen und flüchtete sich in Haldirs Arme. Sie klammerte sich an ihn, als ginge es um ihr Leben. Dann wurde es wieder still und sie bemerkte, was sie tat. Schnell löste sie sich aus der Umarmung und sah ihn an. „Sag jetzt bloß nichts!“ knurrte sie böse.

Die Sonne war gerade aufgegangen. Als Haldir die schlafende Frau weckte. „Beeil dich, Annaluva. Wir werden sie heute noch einholen, denn wir sind nicht mehr ganz eine Tagesreise von den Rauros Fällen entfernt.“ Mehr mußte er nicht sagen, denn schon sprang sie auf und packte ihre Sachen zusammen. Sie bestiegen das Boot und legten sich kräftig ins Zeug. Laietha wollte sie so schnell wie möglich einholen, denn sie befürchtete, daß sich die Gruppe bei den Fällen trennen würde und welcher Spur sollte sie dann folgen? Als sie ein gutes Stück gerudert waren, fiel ihr der Schatten der letzten Nacht wieder ein. „Haldir, die Sonne scheint. Sag mir was letzte Nacht über uns gekreist hat.“ Sie konnte sehen, wie der Elb erschauderte. „Ein uraltes Grauen, wenn ich Recht habe. Das war ein Diener Saurons - ein Nazgûl. Ich habe von ihnen gehört, aber noch nie habe ich einen gesehen.“ Laietha schüttelte sich vor Entsetzen. Sie war dabei gewesen, als Glorfindel mit dem verletzten Ringträger eingetroffen war. In der Tat - sie kamen den Grenzen Mordors immer näher. Stille trat ein. Nur das Rauschen des Flusses war zu hören. In der Ferne sahen sie zwei mächtige Statuen stehen.

„Wir werden bald an den Wasserfällen sein. Dort werden wir die anderen gewiß finden.“ Haldir nickte zustimmend. Nach einer Pause fragte er: „Was willst du eigentlich tun, wenn wir dort sind. Wirst du mit ihnen gehen?“ Laietha zuckte mit den Schultern. „So genau habe ich mir das nicht überlegt.“ Haldir fiel die Kinnlade runter. „Willst du mir erzählen, daß du ihnen so viele Meilen völlig planlos gefolgt bist?“ Die Frau lachte laut und schüttelte den Kopf. Dann wurde sie schnell wieder ernst. „Du würdest es nicht verstehen, Haldir“ sagte sie. Der Elb schüttelte fassungslos sein Haupt. Menschen!

Sie ruderten ohne viel zu sprechen und Laietha sog beeindruckt den Atem ein, als sie die Statuen der riesigen Argonath passierten. In der Ferne konnten sie schon das Donnern der Rauros Fälle hören. Sie waren nicht mehr fern. Bald würde ihre Suche ein Ende haben und sie würde ihn endlich wieder...

Haldir straffte sich. In der Ferne stieg ein Schwarm Vögel aus dem nahen Wald auf. Er versuchte etwas auszumachen, aber der Fluß war zu laut und sie waren zu weit entfernt. Er beschloß die Sache im Auge zu behalten. Plötzlich ertönte ein lautes Geräusch in der Ferne. Der Elb konnte sehen, wie die Kriegerin wissend zusammenzuckte. „Nein!“ keuchte sie und legte sich noch mehr ins Zeug. „Was war das?“ fragte Haldir, denn offensichtlich schien die Frau mehr zu wissen als er. „Das Horn von Gondor. Sie werden angegriffen! Wir müssen ihnen helfen!“

Sie kannte diesen Klang. Er hatte in Bruchtal in dieses Horn gestoßen, als letzten Gruß für sie und wie war er von Elrond dafür gescholten worden! Wieder hatte sie den Klang vernommen, aber diesmal hatte nicht ihr der Gruß gegolten. Er war nahe. Angst legte sich kalt um ihr Herz. Das geborstene Horn, Boromirs Gesicht - die Bilder, die sie in ihrem Traum gesehen hatte gingen ihr wieder durch den Kopf. Schneller, sie mußte schneller sein! Sie schloß die Hände fester um die Ruder und kämpfte gegen die Fluten an. Sie waren so nahe. Sie durfte nicht schon wieder zu spät kommen! Nicht so kurz vor dem Ziel!

****

Sie hatten die Boote ans Ufer gesteuert, doch wie sollte es nun weiter gehen? Der schnellste Weg nach Mordor führte durch die Emyn Muil, doch Boromir hatte vorgeschlagen, nach Minas Tirith zu gehen. „Laßt den Ringträger entscheiden,“ hatte Aragorn gesagt.

Frodo lief durch den Wald. Die Wahl war so einfach - und doch so schwer. Er wußte, daß Galadriel Recht hatte - er mußte seinen Weg alleine fortsetzen. Aber er war ein Hobbit und die waren nun mal nicht für solche Abenteuer geschaffen. Gedankenverloren lief er weiter und setzte sich schließlich auf einen Stein. Frodo stützte den Kopf in die Hände. „Niemand von uns sollte so alleine durch die Wälder streifen - du am allerwenigsten. Aber deine Entscheidung fällt dir schwer, nicht wahr?“ Frodo blickte in Boromirs Gesicht. Es war freundlich und der Krieger ließ sich neben ihm nieder. Der Hobbit duldete ihn, nicht undankbar für die Ablenkung. „Du quälst dich, Frodo.“ Er sah den Krieger erstaunt an und Boromir lächelte traurig. „Ich sehe es - Tag für Tag. Aber bist du sicher, daß du dich nicht unnötig quälst? Es gibt andere Wege, Frodo.“

BOROMIR! DU BEKOMMST DURCH MICH DIE STÄRKE DIE DU BRAUCHST. DER HALBLING IST SCHWACH. NIMM DIR WAS DEIN IST!

Der Gondorianer schüttelte den Kopf ärgerlich. Es wurde immer schwerer, dem Ruf des Ringes zu widerstehen. Er würde Frodo nicht berauben.

FÜHRE GONDOR MIT MEINER HILFE WIEDER INS LICHT!

Frodo stand auf, als er bemerkte, wie der Mann auf sein Hemd starrte. Er wich zurück. Boromir wurde ihm wieder gewahr. „Warum weichst du zurück?“ fragte er. „Ich bin kein Dieb!“ Er selbst fühlte diese Worte wie ein Schuldbekenntnis in der Luft hängen.

DU WIRST GONDOR RETTEN KÖNNEN! BOROMIR! KÖNIG!

Der Hobbit faselte etwas von Weisheit und Warnungen und der Krieger wurde wütend. „Ich suche doch nur nach Stärke, um mein Volk zu verteidigen!“ Als er erkannte, daß der Kleine ganz blaß geworden war, ließ er seine Stimme wieder sanfter werden. „Wenn du mir den Ring nur leihen würdest...“ versuchte er Frodo zu überzeugen. Der schüttelte nur den Kopf. Boromir erkannte, wie dumm er sich benahm. Er wollte sich bei dem Hobbit für sein Verhalten schon entschuldigen.

LAIETHA.

Boromir sah rot. Wie konnte der Ring es wagen, ihren Namen in den Mund zu nehmen!

Frodo bemerkte die Veränderung, die in Boromir vorgegangen war. Der große Mann sah aus, als wollte er ihn jede Sekunde angreifen. Erschreckt wich er zurück. „Du bist nicht du selbst.“ Flüsterte er heiser. Boromirs freundliches Gesicht wurde zur Grimasse. Dieser Halbling, der wie ein Feigling vor ihm davonlief sollte sich einer ganzen Armee von Saurons Dienern entgegenstellen? Der Ring würde an den dunklen Herrscher gehen und seine Stadt wäre verloren. Er würde sein Leben für diese wahnwitzige Idee eines verrückten Elben riskieren müssen und sollte der Ring an seinen Herrscher zurückgehen, würden seine Armeen auch nach Bruchtal gelangen - er würde nicht zulassen, daß es dazu kam. Er - der Sohn des Statthalters von Gondor würde das Schicksal Mittelerdes jetzt selbst in die Hände nehmen.

„Du hast ihn nur durch einen unglücklichen Zufall erhalten!“ schnaubte er. „Er hätte mir gehören können!“ BOROMIR. „Er sollte mir gehören!“ BOROMIR! „Gib ihn mir!“ Voller Furcht wich der Halbling weiter zurück und fing an zu laufen. Boromir setzte zum Sprung an und brachte ihn zu Fall. Frodo stöhnte unter dem Gewicht des Kriegers und Panik kroch in ihm hoch, als der Mann wie von Sinnen an der Kette um seinen Hals riß.

FÜHRE GONDOR INS LICHT UND DANN GEHÖRT SIE DIR!

„Gib ihn mir!“

DER HALBLING IST SCHWACH. TÖTE IHN!

„Gib ihn mir!“

NIMM DIR WAS DEIN IST!

„Gib ihn mir!“

Frodo öffnete den Verschluß der Kette und ließ den Ring auf seinen Finger gleiten. Sofort verschwand er in der inzwischen vertrauten Schattenwelt. Er entschlüpfte dem Griff des wütenden Gondorianers und lief davon.

Boromir starrte verdutzt auf den leeren Fleck, an dem eben noch der Hobbit gelegen hatte. Er sprang auf die Beine. Der Hobbit hatte sie verraten. „Ich weiß was du im Sinn hast! Du willst Sauron den Ring bringen!“ Gondor würde fallen. Rohan würde fallen. Und der Fall Bruchtals war nicht weit. Die Elben waren schwach und sie würde sterben! „Ich verfluche dich! Dich und alle Halblinge!“ In seiner Wut übersah er den Ast auf dem Boden, der ihn schließlich zu Fall brachte. Ihm war, als hätte sich eine Nebelwand in seinem Geist gelichtet. Frodo und der Ring waren fort. Was hatte er nur getan?

Nicht Frodo hatte sie verraten - er war der Verräter! Er war schwach - nicht der Halbling! Verzweifelt blieb er liegen. Scham färbte seine Wangen und Tränen traten ihm in die Augen. Wie hatte er nur so etwas tun können? Wie lange er dort gelegen hatte, konnte er nicht sagen, als er von fernem Kampfgetümmel hörte. Was er gesagt und getan hatte, konnte er nicht ungeschehen machen, aber jetzt war nicht die Zeit, um über diese Dinge nachzudenken. Ohne lange weiter zu überlegen, griff er nach seinem Schwert. Er war immer noch Teil dieser Gemeinschaft und jetzt brauchten sie seine Stärke. Er stürmte los und mußte nicht lange suchen, bis er die Hobbits Merry und Pippin in einen Kampf verwickelt sah. Ihre Chancen standen schlecht. Sie sahen sich einer gewaltigen Übermacht von Feinden gegenüber. Es waren zahllose Orks - einer größer als der andere. Einer von ihnen erhob sein Schwert gegen Merry. Boromir schrie und warf sich mit all seiner Stärke dazwischen. Jetzt konnte er seinen Fehler wieder gutmachen. Metall traf auf Metall und er trieb die Feinde erbarmungslos zurück. Aber es waren zu viele für ihn alleine. Sie würden nicht lange durchhalten.

Sie kämpften verzweifelt gegen die Armee an, die sich ihnen entgegenstellte. Legolas hatte seinen Bogen sinken lassen und besann sich auf die Langmesser an seinem Rücken, die er geschickt durch die Körper seiner Feinde gleiten ließ. Sie waren klar in der Unterzahl, aber sie hatten keine andere Wahl, als ihr Bestes zu geben. Gimli schrie wütend auf und spaltete den Schädel eines der häßlichen Kreaturen. Aragorn schrie „Elendil!“ und warf sich gegen einen der Feinde, der sich von hinten an Legolas heranschleichen wollte. Schon hatte er sein Schwert im Rücken. Der Waldläufer wütete wie eine Seuche unter ihnen. Plötzlich vernahmen sie den Klang eines Hornes. Sie unterbrachen den Kampf. „Das Horn Gondors!“ stellte Legolas fest und Aragorn beschlich eine dunkle Ahnung. „Boromir!“

Sie liefen in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Legolas und Gimli versuchten die Uruk-hai zurückzudrängen, aber Aragorn bahnte sich seinen Weg durch die Reihen der Feinde nach vorne. Plötzlich entfernten sich die gräßlichen Kreaturen. Aragorn kam auf einer Lichtung an, auf der die Kadaver unzähliger Feinde lagen - an einem Baum ruhte eine vertraute Gestalt. Der Waldläufer warf sein Schwert fort und eilte auf ihn zu. Drei Pfeile steckten in seiner Brust und der Krieger sah beinahe aus, als würde er schlafen.

Aragorn schüttelte ihn und langsam öffnete Boromir die Augen. Seine Lippen bewegten sich stumm und Aragorn kam mit dem Kopf ganz nahe an den Freund heran. „...haben die Kleinen...Frodo...wo ist Frodo?“ Aragorn schüttelte den Kopf. Tränen stiegen ihm in die Augen. Er griff nach einem der Pfeile und wollte ihn herausziehen, aber Boromir packte seine Hand und schüttelte den Kopf. „Laß! Es ist vorbei,“ brachte er gepreßt hervor. Aragorn hatte schon in zu vielen Schlachten gekämpft und wußte, daß der Mann Gondors sterben würde. Er war schwer verwundet. Hier in der Wildnis konnte der Waldläufer nichts für den Freund tun. Wenn sie doch nur Hilfe holen könnten! Aber sie waren so weit von allem weg. Der Mann Gondors war dem Tode geweiht. „Wo ist Frodo?“ wiederholte der Krieger - diesmal eindringlicher. Sein Gesicht war schmerzverzerrt und voller Sorge. „Ich habe Frodo gehen lassen.“ Boromir lächelte erleichtert. „Verzeih mir. Ich habe versucht....der Ring...“ Der Mann Gondors weinte bei seinem Schuldbekenntnis nun hemmungslos. Aragorn schüttelte den Kopf. „Ich habe euch alle verraten.“ Der Waldläufer legte dem Krieger sein Schwert in die Hand. „Du hast tapfer gekämpft, Boromir. Du hast deine Ehre behalten.“ Der Atem des Kriegers wurde schwächer, aber er packte Aragorn mit einem erstaunlich festen Griff am Arm. „Rette meine Stadt. Versprich es mir!“ Der Waldläufer nickte, denn sprechen konnte er nicht mehr. Tränen liefen auch ihm über die Wangen. Warum war er zu spät gekommen? Der Krieger schloß die Augen und öffnete sie ein letztes Mal. „...ietha...“ flüsterte er und es dauerte eine Weile bis Aragorn begriff. Er schüttelte fassungslos den Kopf. Er hatte es geahnt. Was sollte er seiner Schwester nur sagen, wenn sie zurückkehrten? Falls sie zurückkehrten.

Boromir fühlte sich plötzlich sehr leicht und die Schmerzen ließen nach. Ein leichtes Bedauern umfing ihn. Seine Stadt würde gerettet werden - aber sie hatte er für immer verloren. Laietha. Dann umfing ihn Dunkelheit.

Gimli und Legolas trafen am Ort des Kampfes ein und starrten fassungslos auf Aragorn, der neben der  zusammengesunkenen Gestalt am Boden kniete. Langsam begriffen sie. Aragorn stand auf. Sein Blick war fest und entschlossen. „Frodos Schicksal liegt nicht mehr in unseren Händen.“ Legolas wollte protestieren, aber der Waldläufer brachte ihn mit einem Blick zum Schweigen. „Sie haben Merry und Pippin mit sich genommen. Wir werden ihnen helfen und dann gehen wir nach Minas Tirith - das habe ich Boromir versprochen. Wir müssen uns beeilen. Die Orks reisen schnell.“ Sie verloren keine Zeit und brachen auf.

****

Sie erreichten das Ufer und fanden zwei der Boote, die Galadriel den Gefährten gegeben hatte. Haldir konnte gar nicht so schnell reagieren, wie Laietha aus dem Boot sprang und in den Wald lief. Ihm blieb nichts anderes übrig, als hinter ihr herzurennen. Es dauerte nicht lange und sie fanden die Körper vieler toter Ungeheuer. Laietha biß sich fest auf die Lippe und spürte den vertrauten Geschmack von Blut. Der Wald war still. Sie rannte nur noch schneller. Mehr tote Körper - aber keine Spur von denen, die sie suchte. Sie war zu spät! Die Kriegerin kämpfte gegen die Tränen an. Auf einer Lichtung hielte sie so abrupt an, daß Haldir gegen sie prallte. Angestrengt blickte er in ihre Richtung und dann sah auch er die reglose menschliche Gestalt am Boden liegen. „Nein!“ keuchte sie und lief wieder los. Haldir blieb stehen und sah in einiger Entfernung drei Gestalten laufen. Er ging zu ihr.

Laietha kniete neben dem leblosen Körper nieder. Ihre Beine wollten sie ohnehin nicht mehr tragen. Eine Hand legte sich auf ihre Schulter. „Er ist tot, aber dein Bruder ist noch nicht weit. Wir können ihn noch heute einholen, wenn wir uns beeilen.“ Laietha faßte die Hand des Kriegers und rieb sie verzweifelt zwischen ihren. Haldir sah sie neugierig an und begann zu verstehen, daß sie den anderen nicht folgen würde. „Wer ist er? Ein Freund?“ Sie schüttelte den Kopf und brachte schluchzend hervor: „Mein Geliebter.“ Der Elb setzte sich auf den Boden. Das war das bittere Los der Sterblichkeit.

Laietha schrie ihren Schmerz hinaus. Weinend hielt sie den Krieger im Arm. Es durfte nicht wahr sein! Nicht nach allem, was sie auf sich genommen hatte, um rechtzeitig bei ihm zu sein! Wäre sie nur nicht diese eine Nacht in Lothlorien geblieben! Sie hätte sofort aufbrechen sollen! Ihre Hände strichen sanft über sein Gesicht und sie bedeckte seine Lippen und seine Stirn mit fieberheißen Küssen. Er durfte nicht tot sein. Er war so warm! Nur ein paar Minuten hätte sie schneller sein müssen! Ihre Hände ruhten auf seiner Brust und sein noch heißes Blut rann ihr über die Finger...sein Blut!

Er blutete noch! Das hieß er lebte! Bis zum Haaransatz gespannt beugte sie sich über seine Lippen und konzentrierte sich. Er atmete noch - zwar schwach, aber er atmete. Vielleicht war noch nicht alles verloren. Sie rief Haldir an ihre Seite. „Schnell, hilf mir die Pfeile rauszuziehen!“ befahl sie. Laietha versuchte die Panik, die in ihr aufkeimte zu unterdrücken. Ruhe mußte sie jetzt bewahren, sonst war alles verloren. Behutsam preßte sie die Hände an die erste Wunde. Haldir umfaßte den Schaft des Pfeils. Laietha sog den Atem scharf ein. „Jetzt!“ rief sie und der Elb zog mit aller Kraft. Sofort strömte Boromirs Blut über ihre Hand und sie drückte so stark sie konnte dagegen. Als die Blutung nachließ, bedeckte sie die Wunde mit sauberen Tüchern aus ihrem Gepäck. Dann widmeten sie sich den letzten beiden Pfeilen. Schwer atmend sank Laietha zu Boden. Boromir lag immer noch wie tot da, aber sie wußte, daß der Mann noch lebte.

„Was nun?“ fragte Haldir. „Du wirst ihn hier nicht retten können. Wenn er nicht Hilfe bekommt, wird er die nächsten Tage nicht überstehen.“ Der Elb hatte Recht. Laietha überlegte fieberhaft. Sie mußten etwas unternehmen. Sie war nicht so weit gereist, um ihm beim Sterben zuzusehen. „Wir werden ihn nach Lothlorien bringen,“ sagte sie schließlich. Haldir schüttelte fassungslos den Kopf. Der Mann würde die Reise nie überleben. Aber die Kriegerin war schon damit beschäftigt, den Mann unter den Achseln anzuheben. Sie strauchelte unter seinem Gewicht. Haldir lief zu ihr und packte mit an. Wenn der Gondorianer einen annährend so starken Willen hatte wie sie, bestand vielleicht doch noch Hoffnung darauf, daß er es bis in die Goldenen Wälder schaffen würde.

Bevor sie in das Boot stiegen, prüfte Laietha noch einmal den Atem und den Puls des Kriegers. Ihre Miene war besorgt. Schnell griff sie an ihren Hals und löste die Kette, die sie trug. Haldir atmete scharf ein. Sie trug ein grünes Juwel und der Elb wußte sehr wohl um seinen Wert. Es war ein seltener Stein, der sich seit vielen tausend Jahren im Besitz der Elben befand. Als der Stein die Haut des Verletzten berührte, begann er sofort zu leuchten. Die Atemzüge des Gondorianers wurden zusehends ruhiger und kräftiger. Der Elbenstein begann sofort, seine heilende Wirkung zu entfalten. Sie hatten nun in der Tat reelle Chancen, daß der Krieger die Reise nach Lothlorien überleben würde.

Als sie den schweren Mann ins Boot hoben, fiel das Horn, das gespalten an seiner Seite hing, ins Wasser und die Strömung riß es mit sich. Laietha bettete den Kopf Boromirs in ihren Schoß und strich ihm die Haare aus der fieberheißen Stirn. Haldir übernahm das Rudern und mit seiner Kraft kämpfte er tapfer gegen den Strom an und trug sie in Richtung Lothlorien.

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Die Herrin des Lichts beugte sich über ihren Spiegel. Sie hatte es also wirklich geschafft. Anerkennend nickte sie. Die junge Kriegerin war stärker als erwartet. Aber alleine würde sie es nicht schaffen, ihren Liebsten zu retten. Sie hatte die Liebe in seinem und ihrem Herzen gesehen. Obwohl der Krieger versucht hatte, es vor ihr zu verbergen. Gandalf trat an ihre Seite. Sie ließ auch ihn einen Blick in den Spiegel werfen und der Zauberer lächelte. „Es sind auch noch andere Kräfte am Wirken in dieser Welt, nicht nur die des Bösen.“ Auch die Herrin des Waldes lächelte. Sie sah den Zauberer an und wußte was sie zu tun hatte.

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Sieben Tage waren sie unterwegs und am Ende ihrer Kraft. Boromir stöhnte im Fieber und Laietha sprach beruhigend in der Sprache der Elben auf ihn ein. Sie griff nach der Phiole an ihrer Seite und flößte ihm behutsam die letzten Tropfen des stärkenden Tranks ein, den ihr Galadriel mitgegeben hatte. Sie rasteten nur wenige Stunden am Tage und doch waren sie noch mindestens einen Tagesmarsch von Lothlorien entfernt. Boromir warf sich im Fieber so stark hin und her, daß sie befürchteten, er würde das Boot zum Kentern bringen. Haldir steuerte sie ans Ufer. Er half Laietha den Mann aus dem Boot zu heben. Sie ging neben ihm in die Knie und begann zu weinen. Laietha war verzweifelt. So würden sie es nie schaffen! Aber sie konnten doch nicht so einfach aufgeben! Nicht so kurz vor dem Ziel. „Bitte, Boromir, halte durch. Boromir,“ weinte sie. Der Elb stand hilflos daneben. In der relativen Stille des Waldes hörten sie Pferdegetrappel. Sie erstarrten und Laietha wurde schlagartig still.

Aus dem Dickicht trat eine Gruppe Elben aus Galadriels Gefolge. „Eglerio!“ rief Laietha aus und auch Haldir seufzte erleichtert. „Bei den Valar, ich bin froh euch zu sehen!“ Die Elben saßen ab und liefen zu der Gesellschaft. „Die Herrin des Waldes schickt uns. Sie erwartet euch.“ Einer der Elben trat zu Laietha und Boromir und sprach: „Schnell, gebt mir den Verwundeten. Ich werde ihn sicher zu ihr bringen.“ Sie übergaben ihnen frisches Wasser und etwas zu Essen, was sie dankbar annahmen. Dann nahm der eine Elb Boromir vorsichtig auf sein Pferd und verschwand so rasch, wie er gekommen war. Die anderen blieben bei ihnen und ließen sie sich etwas stärken. Nach einer Weile folgten sie ihnen.

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Boromir öffnete die Augen. Warmes Licht umfing den Raum und er brauchte eine Weile, bis er begriff, wo er war. Lothlorien. Hatte er geträumt? Es war ein finsterer Traum gewesen. Oder war er gar tot? Er versuchte den Kopf zu heben, aber der stechende Schmerz in seiner Brust verriet ihm, daß keine seiner Überlegungen richtig zu sein schienen. Er fühlte sich schwach. Erschöpft schloß er die Augen. Was war geschehen? Wie kam er hierher? Das letzte, an das er sich erinnerte war, daß er versucht hatte, die Hobbits aus den Fängen dieser riesigen Orks zu befreien. Er war verwundet worden und dann...was war passiert? Er hatte geglaubt, daß er sterben würde. Er sammelte Atem und versuchte erneut, den Kopf zu heben. Vergeblich. An seiner Hand spürte er etwas Warmes, Weiches. Er tastete danach und hörte ein Seufzen. Haare kitzelten ihn. Er war also nicht allein. Nun war er neugierig. Wieder versuchte er, den Kopf zu heben, diesmal mit mehr Erfolg.

An seinem Bett - mehr liegend als sitzend - erblickte er eine vertraute Gestalt. Eine weiße Hand umfaßte seine und rote Locken breiteten sich an seiner Seite aus. Laietha. Er lächelte und Tränen des Glücks traten in seine Augen. Er löste seine Hand aus ihrer und strich ihr übers Haar. Schwäche übermannte ihn und zwang ihn zurück in die Kissen zu sinken. Wieder dieser stechende Schmerz. Er konnte ein Stöhnen nicht unterdrücken. Vor seinem Gesicht tauchte ein roter Haarschopf auf und gleich darauf sah er in zwei grüne Augen, die sich ungläubig weiteten, als sie bemerkten, daß er wach und lebendig war. Ihrer Kehle entrang sich nur ein ungläubiges Keuchen. Dann flossen ihr die Tränen über die Wangen. „Du bist wach! Du lebst! Ich dachte schon, du würdest nie mehr zu dir kommen! Boromir...“ Sie konnte nicht weitersprechen. Der Krieger lächelte sie an und suchte ihre Hand. Er preßte sie fest. Laietha konnte nicht mehr an sich halten. Weinend nahm sie ihn in den Arm. Auch er konnte sein Glück kaum fassen. Trotzdem sie schwer auf seiner Brust lag und seine Verletzungen ihm große Schmerzen bereiteten, ließ er sie nicht los. Er wollte sie kein zweites Mal verlieren.

Sie vernahmen Schritte und ein leises Klopfen an der Tür. Herein trat die Herrin des Waldes, gekleidet in Weiß und strahlend schön wie immer. Sie lächelte gütig auf die beiden herab. Laietha ließ ihn los. Immer noch seine Hand haltend, wandte sie sich an die Elbenkönigin. „Habt vielen Dank, Frau Galadriel.“ Die Elbin lachte silbern. „Nicht mir gebührt der Dank, Frau Annaluva, sondern euch allein, denn ihr wart es, die nie die Hoffnung hat sinken lassen und die über ihre Kräfte gegangen ist, um denen zu helfen, die ihr liebt.“ Die Kriegerin errötete, aber Boromir drückte ihre Hand. Er wußte, daß die Elbin Recht hatte.

In diesem Moment der Freude, legte sich ein dunkler Schatten auf sein Herz. Er dachte daran, daß er versucht hatte, Frodo zu töten und ihm den Ring zu nehmen. Er schämte sich und fragte sich, womit gerade er so viel Glück verdient hatte. Die Elbin sah ihm in die Augen und lächelte mild. „Du hast Fehler gemacht, Sohn Gondors, aber ich spreche mit den Worten Gandalfs: Es sind auch noch andere Kräfte am Wirken in dieser Welt, nicht nur die des Bösen.“

Boromir schluckte. „Gandalf ist tot, Frau Galadriel.“ Sie schüttelte den Kopf. „Es ist eine lange Geschichte. Ihr solltet erst wieder zu Kräften kommen, dann werde ich sie euch erzählen. Fürs Erste seid zufrieden, wenn ich euch sage, daß Gandalf vor kurzem Lothlorien verlassen hat und er sehr lebendig war.“ Boromir lächelte erleichtert und schloß die Augen. Er fühlte sich fürchterlich.

Die Herrin des Waldes verließ den Raum. Laietha strich ihm sanft über die Stirn und er schlug die Augen wieder auf. Er sah sie lange an. Sie war blaß, müde und mager. Mit einem schwachen Schmunzeln ergriff er ihre Hand. „Du siehst entsetzlich aus. Was machst du überhaupt hier? Du hattest doch versprochen, daß du in Bruchtal bleibst.“ Sie zog eine Braue hoch. „Das sieht dir ähnlich. Eben bist du noch so gut wie tot und kaum öffnest du die Augen...“ Er zog sie zu sich hinunter und versiegelte ihre Lippen mit einem Kuß. „Ich hätte auf Bilbo hören und dich festbinden sollen.“

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Vier Tage waren vergangen, seit Boromir wieder zu sich gekommen war. Er hatte von Laietha erfahren, daß sie fast drei Tage lang in Lothlorien um sein Leben gebangt hatten. Inzwischen sah sie auch wieder erholter aus. Ihre Wangen hatten mehr Farbe bekommen und sie war nicht mehr so beängstigend dünn. Auch Boromir ging es langsam besser. Dank der guten Pflege der Elben heilten seine Wunden langsam aber beständig. Er konnte spüren, daß er langsam wieder zu Kräften kam. Laietha saß an seinem Bett und streichelte seine Hand. Er lächelte sie an und schüttelte den Kopf. „Was ist?“ fragte sie ein wenig besorgt. Boromir lachte, was er sofort mit einem stechenden Schmerz in der Brust bezahlen mußte. „Ich kann es immer noch nicht glauben, daß ich hier bin - mit dir. Es ist ein Wunder.“ Sie drückte seine Hand. „Ja, es ist wirklich ein Wunder. Du bist sehr stark, Boromir, und wir alle hatten viel Glück.“ Liebevoll legte er ihr die Hand an die Wange. Sie lehnte sich in seine Liebkosung. Er war wieder warm, warm wie in den Spätherbsttagen, als sie sich nähergekommen waren. Nichts hatte sie mehr geängstigt, als die Stunden, in denen er, vom Fieber geschüttelt, mit furchtbar kalten Händen in diesem Boot gelegen hatte. Sie schüttelte sich unweigerlich.

Die Sonne warf Schattenbilder an die Wand und die Vögel sangen. Es war ein schöner Frühlingstag. Aber in den Goldenen Wäldern war immer Frühling. Boromirs Hand glitt zu dem heilenden Schnitt an ihrem Oberarm. Die Elben hatten alles getan, um die Wunde zu versorgen, aber durch das Orkgift würde eine häßliche Narbe bleiben. Noch eine mehr. Sie hatte ihm von ihrer Reise erzählt und Boromir hätte sie am liebsten erwürgt, weil sie sich in so große Gefahr begeben hatte. Und das alles nur wegen ihm. Es machte ihm fast Angst, daß es jemanden gab, der ihn so sehr liebte. Er dachte an seinen Bruder. Faramir hätte genau das selbe für ihn getan. Er fragte sich, wie es seinem Bruder wohl ging. Was würde sein Bruder wohl sagen, wenn die Nachricht von seinem Tod Gondor erreichte? Plötzlich wollte Boromir so schnell es ging nach Hause. Aber das würde noch warten müssen, denn bis er wieder reisefähig war würden noch Tage, wenn nicht Wochen vergehen.

Der Tag verstrich wie im Flug und bald schon senkte sich die Dämmerung herab. Laietha hatte sich in das Bett an seiner Seite gelegt und war schon fast eingeschlafen, als sie von draußen Lärm hörte. Schnell sprang sie auf und lief ans Fenster. Boromir stützte sich unter großen Schmerzen auf seine Ellenbogen. „Was gibt es?“ fragte er. Laietha strengte ihre Augen an und erkannte, daß die Elben in großer Aufregung waren. „Ich habe keine Ahnung, aber ich werde es rausfinden.“ Sie zog sich schnell an und griff aus einem alten Reflex nach ihrem Schwert. Boromir packte sie am Arm. Sie sah ihn erstaunt an. „Was immer du tust, sei vorsichtig.“ Sie küßte ihn auf die Stirn und löste sich aus seinem Griff. „Versprochen?“ fragte er. Sie nickte und eilte zur Tür hinaus.

Es dauerte eine Weile, bis sie den Boden erreicht hatte. Soldaten sammelten sich und Herr Celeborn rief ihnen Befehle zu. „Zu den Waffen! Beeilt euch!“ Laietha eilte an seine Seite. „Was ist los, Herr? Warum dieser Aufruhr?“ Er sah sie erstaunt an. Noch immer hatte er sich nicht wirklich daran gewöhnt, daß sie die Sprache der Elben ebenso beherrschte wie er. „Ein Angriff aus Dol Guldur. Wir müssen uns verteidigen. Geht besser ins Haus zurück.“ Laietha verbeugte sich tief. „Mein Herr, ich habe viel Güte von euch erfahren. Akzeptiert meine Dienste, damit ich euch einen Teil davon zurückzahlen kann.“ Der Elb lächelte freundlich. „Ich akzeptiere, Frau Annaluva. Begebt euch zu den Schwertkämpfern.“

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Boromir lag unruhig in seinem Bett und er verfluchte seine eigene Schwäche, weil er nicht aufstehen konnte, um zu sehen, was vor sich ging. Schlimmer noch, Laietha war nicht zurückgekommen. Er hörte das Klirren von Waffen und Stimmen, die Befehle schrieen, aber er verstand sie nicht. Hilflosigkeit ergriff von ihm Besitz und Furcht. Ihm war nicht entgangen, daß sie ihr Schwert mitgenommen hatte. Draußen wurde es langsam ruhiger, aber noch immer kam sie nicht zurück. Was ging dort vor sich? Die Stille war zermürbender als der Lärm.

In der Ferne hörte er auf einmal den Klang von Hörnern. Sie wurden also angegriffen. Wo steckte Laietha? Verzweifelt versuchte er aufzustehen und zum Fenster zu gelangen. Als er versuchte, sich aufzurichten, wurde ihm fast übel vor Schmerzen. Er sank in die Kissen zurück. Frustriert hieb er mit der Faust gegen die weiche Matratze. Es linderte seine Sorgen nicht im geringsten! Es wurden Schreie laut und er hörte eilige Schritte auf dem Gang. Er befand sich im Heilungstrakt und er wußte was das zu bedeuten hatte - Verletzte. Noch einmal wollte er es versuchen. Er sog die Luft tief ein und als er sich mühsam aufrichtete, stieß er den Atem pfeifend aus. Aber er schaffte es, sich in eine sitzende Position zu bringen. Auf dem Gang erhoben sich Stimmen, die in der Sprache der Elben aufgeregt diskutierten. Boromir verstand kein Wort und verfluchte, daß er nicht zusammen mit seinem Bruder dem Elbischunterricht Gandalfs beigewohnt hatte. Langsam schob er seine Beine aus dem Bett - mit dem Erfolg, daß ihm schwarz vor Augen wurde. Es hatte keinen Sinn. Er würde warten müssen, bis jemand zu ihm kam, den er fragen konnte - jemand der die Gemeinsame Sprache sprach. Es war zum aus der Haut fahren.

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Die Reihen der Orks waren zahlreich und obwohl die elbischen Bogenschützen viele von ihnen getötet hatte, kam eine große Anzahl auf sie zugestürmt. Nicht nur Orks griffen sie an - die Kriegerin meinte fast, eine Handvoll Elben unter ihnen zu sehen, aber sie war sich nicht sicher, denn es war dunkel und für Elben waren diese Kreaturen eigentlich zu mager und zu ungepflegt. Es war egal. Wenn sie Celeborns Reich angriffen, waren sie Feinde - und wenn sie Feinde waren, hatten sie den Tod verdient. Laietha zog ihr Schwert und machte sich bereit.

Die feindlichen Armeen prallten aufeinander. Schon mußten auch die Elben erste Verluste hinnehmen. Laietha war nicht faul und stürzte sich ins Kampfgetümmel. Plötzlich spürte sie einen Schlag im Rücken und ging zu Boden. Ein Ork beugte sich über sie und fletschte boshaft die Zähne. Sie griff nach ihrem Schwert und rammte es ihm ins Herz. Schnell kam sie wieder auf die Beine und sah, daß wenige Meter von ihr entfernt, ein Ork sein Schwert zückte, um einen der Elben zu enthaupten. Sie griff nach ihrem Messer und warf - die Kreatur ging mit einem Schrei zu Boden. Schnell eilte sie zu ihm, um sich ihre Waffe wiederzuholen. Der Elb hob den Kopf. „Annaluva, was machst du hier?“ fragte Haldir entsetzt. Sie grinste, während sie einen Ork enthauptete. „Wonach sieht es denn aus? Dir die Haut retten.“ Eilig half sie ihm auf die Beine. Sie kämpften Seite an Seite und brachten vielen der Ungeheuer den Tod.

„Was findest du an ihm, Annaluva?“ fragte Haldir und sie war so verdutzt, daß sie den angreifenden Ork gar nicht kommen sah. Haldir schleuderte ihm sein Schwert durch den Hals.

„Er ist nett.“ Laietha trennte ihrem Angreifer den Arm ab und der Orks zog sich mit einem lauten Kreischen zurück.

„Er ist sterblich.“ Haldir zog seine Klinge mit einem Quietschen aus den Rippen des erschlagenen Feindes.

„Das bin ich auch, wenn du dich erinnerst.“ Laietha rammte ihrem Angreifer das Schwert in die Brust und der tote Körper fiel zu Boden.

„Er ist viel zu alt für dich!“ Haldir griff nach seinem Wurfdolch und schleuderte ihn einem Ork genau zwischen die Augen.

„Mußt du grade sagen,“ grinste Laietha und brach dem Ork das Genick, der sich gerade über einen am Boden liegenden Elbenkrieger beugte. „Außerdem hat er einen größeren...“

Mit einem Schrei warf sie sich auf den Ork, der sich von hinten an Haldir hatte ranschleichen wollen. Der Elb schnaubte verächtlich.

Viele Stunden hatten sie gekämpft und nun war es deutlich geworden, daß die Elben die Schlacht für sich entscheiden würden. Ein Horn erschallte und die Orks zogen sich zurück. Laietha sank erschöpft zu Boden. Haldir streckte seine Hand aus und half ihr auf die Beine. „Gute Arbeit, Annaluva,“ nickte er anerkennend. Sie zuckte mit den Schultern. „Danke.“

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„Was machst du da? Leg dich sofort wieder hin, ja?“ Laietha lief schnell zu Boromir, der mit schmerzverzerrtem Gesicht versucht hatte, aufzustehen und auf den Gang zu gelangen. Sie schüttelte den Kopf. „Kann ich dich denn keine Minute alleine lassen?“ Boromir stöhnte auf, als er sich zurück in die Kissen sinken ließ. So schlimm hatte er sich nicht mehr gefühlt, seit er ein kleines Kind gewesen war. Laietha nahm auf seinem Bett Platz und strich ihm sanft übers Gesicht. „Was machst du nur für Sachen, Herr.“ Boromir schnaubte verächtlich. „Wo warst du? Ich habe mir Sorgen gemacht? Draußen bricht ein Tumult aus und du kommst nicht wieder!“ Sie lachte. „Ich bin eine Kriegerin, schon vergessen?“ Dann wurde sie wieder ernst. Sie berichtete ihm von dem Überfall der Orks und er verzog das Gesicht. Es waren wirklich schlimme Zeiten, wenn die Orks schon bis nach Lothlorien vordrangen. Wie würde es wohl um seine Stadt bestellt sein? Würden sein Vater und sein Bruder die Festung halten können? Laietha küßte ihn auf die Stirn. „Ich bin wieder da. Mir ist nichts geschehen.“ Sie gähnte herzhaft und Boromir zog sie zu sich. „Schlaf jetzt, Herrin. Du bist müde.“ Sie dachte eine Sekunde lang darüber nach, aufzustehen und in ihr Bett zu gehen, aber seine Wärme in ihrem Rücken tat so gut und sie glitt schon in einen Dämmerschlaf ab.

Boromir fand lange keinen Schlaf. Schon seit Tagen fragte er sich, was aus Merry und Pippin geworden war und ob Aragorn tatsächlich nach Minas Tirith gereist war. Es war nicht gerade nach seinem Geschmack, untätig im Bett zu bleiben und unwillkürlich mußte er an einen Disput mit seinem Bruder denken, den er vor langen Jahren gehabt hatte.

Du kannst morgen nicht in die Schlacht ziehen, Boromir. Du bist noch nicht wieder gesund! Was nützt es uns, wenn sie dich auf deinem Pferd festbinden müssen, damit du auf dem Weg zum Schlachtfeld nicht hinunterfällst. Laß mich gehen!

Faramir. Boromir hoffte, daß es seinem Bruder gutging. Er hatte sich mit seinen Waldläufern in Ithilien postiert und versuchte dort die Grenzen zu sichern. Eine gefährliche Aufgabe. Dummkopf - es geht ihm gut. Du würdest wissen, wenn ihm etwas passiert wäre, versuchte er sich zu beruhigen. Aber es half nicht viel. Er dachte an ihre Kindheit. Sein Bruder war nie so kampfesbegeistert wie er gewesen, sondern hatte lieber die Geschichte Mittelerdes studiert. Mit freudestrahlenden Augen war er zu ihm gelaufen gekommen, wenn er eine neue Entdeckung in der Bibliothek gemacht hatte. Boromir liebte die Bücher nicht wie er. Alles was länger als einen Schwertstreich brauchte, um erledigt zu werden, sah er als Zeitverschwendung an. „Du liebst wie du kämpfst,“ hatte Laietha zu ihm gesagt und sie hatten gelacht, aber sie hatte wohl Recht.

Faramir hatte sich oft zu ihm ins Zimmer gesetzt, wenn er einen harten Tag auf dem Übungsplatz verbracht hatte. Boromir war als strenger Heerführer bekannt, aber seine Männer hielten ihm die Treue, denn er war gerecht und seine Härte in der Ausbildung hatte vielen Soldaten in der Schlacht schon das Leben gerettet. Wenn Boromir dann erschöpft in seinem Bett lag, setzte sich Faramir an seine Seite und erzählte mit leuchtenden Augen, was er am Tag gelernt hatte. Vieles vergaß Boromir sofort, nachdem er es gehört hatte, aber er genoß es, Zeit mit seinem kleinen Bruder zu verbringen.

Laietha schmiegte sich fester an ihn und er hätte fast geschrieen, als sie ihre Hand auf seine Brust legte. Sanft griff er danach und umschloß sie mit seiner eigenen. Die Kriegerin lächelte im Schlaf. Ihr Atem streifte seinen Hals und das Mondlicht fiel fahl auf ihr Gesicht. „Faramir wird dich mögen.“ Sein Herz schlug höher, als er sie lange so ansah. Er war glücklich. Kurze Zeit später war auch Boromir eingeschlafen.

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Zwei Tage waren seit dem Angriff aus Dol Guldur vergangen und Boromir ging es immer besser. Eine der elbischen Heilerinnen beugte sich über ihn und untersuchte die tiefen Einschußlöcher in seiner Brust. Die Entzündungen waren zurückgegangen und die Wunden schlossen sich. Boromir musterte sie bewundernd. Wie alle Elbinnen war sie von übermenschlicher Schönheit. Ihr langes blondes Haar schimmerte in der Sonne wie pures Gold und ihre sanften Hände glitten federleicht über seine Brust, als sie die heilende Tinktur auftrug. Sie sprach mit ihrer melodischen Stimme zu ihm. Boromir verstand kein Wort und lächelte freundlich. Die Tür ging auf und die Elbin wechselte ein paar Worte mit Laietha. Die Kriegerin lachte und nahm ihre Hand. Sie erwiderte etwas und die Heilerin ging hinaus.

Laietha schmunzelte und setzte sich zu Boromir ans Bett. „Es scheint dir ja schon wieder blendend zu gehen, Herr.“ Er zog die Augenbraue hoch. Irgendwie konnte er sich nicht helfen und vermutete, daß es wohl etwas mit dem, was die Elbin gesagt hatte zu tun haben mußte. „Was hat sie gesagt?“ Laietha küßte ihn auf die Nasenspitze. „Daß ich dir den Kopf waschen sollte, weil mein Mann...“ sie lächelte bei dem Gedanken, daß man sie für verheiratet hielt, „anderen Frauen hinterher sieht.“ Boromir zog ihr Gesicht dicht an seins heran und seine Lippen berührten ihre sanft. „Unsinn. Ich habe nur Augen für dich.“ Laietha wollte aufstehen, aber er ließ sie nicht los. Wieder küßte er sie, länger diesmal und die Frau konnte sich nicht helfen und lachte in seinen Mund hinein. Kaum ging es ihm wieder besser...

Plötzlich fuhr Boromir mit einem Aufschrei in sich zusammen. Laietha sprang sofort auf. Hatte sie ihm wehgetan? Hilflos nahm sie seine Hand. „Faramir...“ stammelte er. Laietha zog die Brauen zusammen. „Was hast du? Boromir, was ist mit dir?“ Er riß entsetzt die Augen auf. „Faramir!“ Laietha nahm sein Gesicht in seine Hände. „Ruhig, Boromir. Was hast du?” Das Entsetzen wich aus seinem Gesicht und er starrte ins Leere. Sie nahm seine Hand und er drückte sie so fest, daß sie vor Schmerz beinahe aufgeschrieen hätte. Beruhigend fuhr sie mit ihren Fingern über sein Gesicht. „Hast du Schmerzen? Soll ich eine Heilerin holen?“ Er schüttelte den Kopf. „Es ist schon wieder vorbei.“

Laietha glaubte ihm kein Wort. „Du sagtest einen Namen...“ „Faramir.“ Boromir sah sie an. „Mein kleiner Bruder. Ich weiß nicht, aber ich hatte das Gefühl, daß ihm etwas passiert wäre. Als wäre er plötzlich nicht mehr da und dann - ich weiß es nicht.“ Laietha musterte ihn lange. „Ich wußte nicht, daß du einen Bruder hast.“ Boromir lächelte. „Bitte erzähle mir von ihm.“

Sie half ihm, sich aufzusetzen und Boromir begann von Faramir zu erzählen. Von dem Tag, als er geboren wurde, vom Tod ihrer Mutter, davon, wie sie zusammen aufgewachsen waren. Sie lachte laut, als sie von den Scherereien hörte, in die sich Boromir regelmäßig gebracht hatte. Vorsichtig ließ er die Geschichten über seinen Vater aus. Sie würde ihn noch früh genug kennenlernen. Laietha hatte sich hinter ihn gesetzt, während sie ihm lauschte. Seine Schultern lagen zwischen ihren Beinen und ihr loses Haar war ihm ins Gesicht gefallen. Boromirs Kopf ruhte an ihrer Brust und sie strich ihm gedankenverloren über das Haar. Als er mit seinen Erzählungen fertig war, schloß er die Augen und lehnte sich völlig zurück. Ohne nachzudenken, griff er nach einer ihrer dunkelroten Locken. „Du liebst ihn sehr, nicht wahr?“ Seine Hand streichelte ihr Bein. „Er ist das Liebste was ich habe, mein bester Freund, mein engster Vertrauter.“ Dann grinste er sie an. „Aber er hat sein eigenes Zimmer.“ Laietha brach in Gelächter aus.

Sie hatten gar nicht bemerkt, wie schnell die Zeit vergangen war, aber nun begann die Sonne bereits zu sinken. „Tu mir einen Gefallen, Laietha. Ich will versuchen, ob ich aufstehen kann. Hilf mir bitte.“ Sie sah ihn kritisch an, nickte dann aber.

Mühsam richtete er sich auf. Es kostete ihn viel Überwindung, sich nicht sofort zurück in die Kissen sinken zu lassen. Dann setzte er die Beine auf den Boden. Laietha legte behutsam ihren Arm um ihn. Er stützte sich auf sie und zum ersten Mal bemerkte sie, wie viel schwerer als sie er war. Und sie war sicher nicht schwach. Vorsichtig begann er einen Fuß vor den anderen zu setzen. Boromir biß die Zähne zusammen. Er hatte immer noch große Schmerzen, aber als sie am Fenster angekommen waren, wurde er mit einem wunderschönen Sonnenuntergang belohnt. Er lächelte. Vielleicht konnte er bald nach Hause zurückkehren. Er hatte schon zu lange darauf gewartet.

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Weitere zwei Tage später gab es in der Nacht einen zweiten Angriff auf Lothlorien. Boromir humpelte zum Fenster und sah besorgt zu, wie sich Laietha den Soldaten anschloß. Bevor sich die Kompanie in Bewegung setzte, blickte sie zu ihm hinauf und hob ihr Schwert zum Gruß. Er stützte sich mit vor Anstrengung zitternden Armen am Fenstersims ab und beobachtete, wie die Truppen im Dickicht des Waldes verschwanden. Boromir verfluchte seine Verletzung, die ihn so schrecklich hilflos machte. Die Tür ging auf und eine der Heilerinnen trat hinein. Sie redete in der Sprache der Elben mit ihm und obwohl er ihre Worte nicht verstand, wußte er, was sie ihm sagen wollte. „Ich will mich nicht hinlegen. Es geht mir gut. Danke,“ erwiderte ein wenig zu schroff. Sie ignorierte ihn und zog sanft am Ärmel seines Nachtgewandes. Er zog seinen Arm weg. „Es geht mir gut, vielen Dank,“ preßte er ärgerlich hervor. Er war in Sorge, nicht nur um Laietha. Wieder hatte ihn das schreckliche Gefühl, daß Faramir etwas zugestoßen war, ereilt. Er wollte jetzt alleine sein und auf seinen eigenen Füßen stehen!

„Ihr solltet euch hinlegen, Herr Boromir, wenn ihr bald nach eurem Bruder sehen wollt.“ Der Krieger fuhr herum und ein stechender Schmerz ging von den Wunden aus. Er hätte sich nicht so schnell bewegen sollen. Frau Galadriel stand hinter ihm und bot ihm ihren Arm als Stütze an. Ihr Blick ließ keinen Widerspruch zu. Boromir akzeptierte und die Herrin des Lichts sprach schnell ein paar Worte zu der Heilerin, die sich dann rasch entfernte. Galadriel brachte ihn zurück zu seinem Bett und er ließ sich erschöpft in die Kissen sinken. „Vielleicht ist eure Sorge nicht unbegründet, aber nachdem Frau Annaluva so viel riskiert hat, um euer Leben zu retten, solltet ihr es nicht leichtsinnig aufs Spiel setzen, indem ihr euch überanstrengt. Ich werde euch nicht gehen lassen, bis ihr stark genug für die Reise seid.“ Boromir seufzte resigniert. Er konnte ihr nichts entgegensetzen. So entschied er sich, das Thema zu wechseln. „Wer greift euch an, Frau Galadriel?“

Nun ließ sie bedrückt den Kopf hängen. „Der Schatten von Sauron ist auch über Lothlorien gefallen. Seine Diener greifen aus Dol Guldur an. Viele Bäume haben sie bei ihrem letzten Angriff zerstört und viele Elben fanden den Tod. Beim letzten Mal konnten wir sie zurücktreiben, aber wie lange wir ihnen noch standhalten können, vermag ich nicht zu sagen.“ Sie sah ihm in die Augen. „Nein, Herr Boromir, von Gondor haben wir noch keine Nachrichten, aber soweit ich weiß, hält die Weiße Stadt dem Feind noch Stand. Wie lange, kann selbst ich nicht vorhersehen.“ Boromir senkte den Kopf, aber Galadriel schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. „Habe ich euch nicht schon vorher gesagt, daß noch Hoffnung besteht? Daß Frau Annaluva kommen würde, um euch zu helfen, habe ich nicht vorhergesehen, aber dennoch war sie zur Stelle, als ihr sie brauchtet. Sie hat die Hoffnung nicht aufgegeben, obwohl sie nicht wußte, was sie erwarten würde. Ihr solltet es ebenso halten.“ Dankbar sah er sie an, auch wenn sie seine Befürchtungen nicht hatte zerstreuen können. Die Elbenkönigin erhob sich und verließ den Raum. Boromir wartete, bis Laietha nach vielen Stunden den Raum betrat. Sie hatte sich gewaschen, aber Boromir blieb der frische Schnitt in ihrem Gesicht ebensowenig verborgen, wie auch ihre offensichtlich verletzte Schulter. Sie sah müde und erschöpft aus. Laietha mußte nichts sagen, damit er wußte, daß der Sieg nur knapp und teuer erkauft worden war. Es wurde Zeit, daß dieser Krieg endete.

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Boromirs Heilung machte gute Fortschritte. Nur wenige Tage nach dem letzten Angriff auf Lothlorien erlaubte man ihm das erste Mal hinaus zu gehen. Er bewegte sich noch langsam und vorsichtig, aber als er in die warme Frühlingssonne hinaustrat, fühlte er sich gleich besser. Laietha schmunzelte, als sie sah, daß er mit geschlossenen Augen tief durchatmete. Sie spazierten ein Stück weit durch die Gärten, aber Boromir entging nicht, daß sich die Elben zur nächsten Schlacht rüsteten. Einer von ihnen - Boromir wollte es nicht beschwören, aber war das nicht der Elb, der sie in Lothlorien empfangen hatte? - kam direkt auf sie zu und wandte sich in der Sprache der Elben an Laietha.

„Ich glaube dir nicht, daß seiner größer als ich sein soll,“ grinste er höhnisch. Laietha lächelte geziert. In der gemeinsamen Sprache antwortete sie: „Ja, es geht ihm schon viel besser. Danke der Nachfrage, Haldir. Hast du nichts zu tun?“ Boromir beobachtete das Ganze mit amüsierter Miene. Ihm gefiel zwar nicht, wie der Elb Laietha ansah, aber ihre Reaktionen erfüllten ihn mit hämischer Befriedigung. Er legte demonstrativ den Arm um ihre Schulter. Der Elb quittierte es ihm mit mühsam unterdrücktem Ärger. Ebenfalls in der gemeinsamen Sprache fuhr Haldir fort. „Nun, ihr werdet euch sicher in den Wäldern verirren, wenn euch nicht jemand begleitet. Und es ist schon lange her, daß du das letzte Mal hier warst, Annaluva. Ich sollte besser mit euch gehen.“ Laietha verzog das Gesicht. „Wir hatten nicht vor, weit zu gehen.“ Der Waldelb grinste gehässig. „Ach ja - der Krieger ist ja noch verwundet.“ Bevor noch ein weiteres Wort verloren werden konnte, hatte Haldir Laietha auch schon den Arm angeboten und mit saurer Miene akzeptierte sie.

Haldir führte sie an einige schöne Plätze. Schließlich ließen sie sich unter einem der Bäume nieder. Obwohl sie einen Monat lang in den Goldenen Wäldern verweilt hatten, konnte Boromir beschwören, daß er den Rückweg alleine nicht mehr finden würde. Die Sonne schien warm auf sie herab. Er streckte sich aus und legte seinen Kopf in Laiethas Schoß. Haldir zog eine Augenbraue hoch und Laietha kicherte. Er war immer noch eifersüchtig!

„Wie steht es mit den Kriegsvorbereitungen, Herr Elb?“ fragte Boromir unvermittelt. Haldir knirschte mit den Zähnen. „Wir rüsten zum Gegenschlag, wenn uns die verfluchten Orks nicht wieder zuvorkommen.“ Sie unterhielten sich noch eine Weile über den bevorstehenden Angriff. Celeborn plante in etwa einer Woche das Heer loszuschicken und nach Dol Guldur zu ziehen. „Die Welt ist im Umbruch. Nun werden wir kämpfen müssen, oder sterben. Wir haben lange Jahre in Frieden gelebt, aber jetzt müssen wir uns den Feinden entgegenstellen oder untergehen.“ Haldir hatte wahr gesprochen und Boromir kribbelte es schon gehörig in den Fingern. Er wollte so bald wie möglich wieder gesund sein und seinem Land zur Hilfe eilen.

Laietha war aufgestanden und zu einer kleinen Quelle in der Nähe gegangen, um etwas zu trinken. Sie ließ sich das kalte klare Wasser über die Arme laufen. Alles war so friedlich im Licht des Tages. Kaum zu glauben, daß jemand diese Idylle zerstören wollte. Sie zog ihre Schuhe aus und watete im Wasser umher. Es war erfrischend. Sie fühlte ihre Kräfte zurückkehren und auch Boromir sah schon sehr viel besser aus. Bald würden sie sich auf den Weg in seine Stadt machen können. Sie hoffte, Aragorn dort anzutreffen. Und außerdem freute sie sich schon darauf, Boromirs Bruder Faramir kennenzulernen. Er hatte ihr so viel von ihm erzählt. Zwar mußte er ganz anders als sein älterer Bruder sein, aber wenn Boromir ihn so liebte, konnte er nur ein wunderbarer Mann sein.

Als sie zurückkehrte, sah sie, daß Haldir sich mit Boromir unterhielt. Sie zog die Brauen zusammen, und daß Boromir fröhlich lachte verschlimmerte ihr schlechtes Gefühl nur noch mehr. Was hatte dieser alberne Elb sich schon wieder ausgedacht? Hoffentlich plauderte er nicht aus dem Nähkästchen. Natürlich mußte Boromir gemerkt haben, daß Laietha kein unschuldiges kleines Mädchen mehr war, aber daß Haldir alte Bettgeschichten auspackte, hatte ihr gerade noch gefehlt. Haldir erhob sich, als Laietha wieder bei ihnen war. „Ich habe dem Krieger erklärt, wie ihr zurückfindet, falls ihr noch nicht mit mir zurückkommen wollt.“ Er verneigte sich und ließ sie alleine.

Boromir grinste sie schelmisch an. Das hatte sie befürchtet! Sie ließ sich neben Boromir nieder. Er rutschte dichter an sie heran und griente breit. „Was hat er dir gesagt?“ fragte sie mit einem unguten Gefühl. Boromir pfiff unschuldig vor sich hin. „Ach, nichts! Er hat mir ein wenig elbisch beigebracht.“ Laietha sah ihn skeptisch an. „Bitte, mein Herr, sprecht.“ Boromir legte den Arm um sie. Mit hartem Akzent begann er: „A helta ar caita caimanna!“ Laietha brach in schallendes Gelächter aus. „Mae,“ griente sie und nestelte an ihren Kleidern. Boromir sah sie erstaunt an, als ihr Kleid zu Boden glitt. „Aber wir haben kein Bett hier, Boromir.“ Er öffnete und schloß den Mund ein paar Mal, aber ihm blieb die Spucke weg. Schließlich fand er seine Sprache wieder und lachte laut. „Wenn ich gewußt hätte, daß ich nur sagen muß, daß ich Hunger habe und du dich gleich ausziehst, wäre ich öfter hungrig gewesen!“ Laietha schmunzelte. Das alte Spitzohr hatte diesmal wohl die Rechnung ohne den Wirt gemacht. „Versprich mir nur, daß du das nicht beim Essen mit meinem Vater sagen wirst, Boromir,“ lächelte sie und griff nach ihrem Kleid. Boromir hielt ihre Hand fest und zog sie zu sich hinunter. „Nein, laß nur. Kannst du mir diese Redewendung noch einmal sagen?“

****

Am Abend des 22. März traf Galadriel Boromir und Laietha auf den Fluren. Der Krieger sah viel besser aus als noch wenige Tage zuvor. Er konnte schon wieder ohne Hilfe laufen und begann seine Kräfte wiederzugewinnen. Galadriel lächelte. „Ihr macht gute Fortschritte, Herr Boromir.“ Er nickte dankend. „Eure Heiler verstehen ihr Handwerk. Ich denke, daß ich bald kräftig genug für die Reise sein sollte.“ Galadriels Miene versteinerte. „Ich habe Nachricht erhalten. Das Heer von Rohan hat sich auf den Weg nach Minas Tirith gemacht, denn man berichtet, daß Gondor ihre Hilfe bitter nötig habe.“ Boromir griff nach Laiethas Hand. Die Herrin des Lichts berichtete ihm was sie wußte und es waren alles andere als gute Neuigkeiten, die er bekam. „Wann denkt ihr kann ich aufbrechen?“ fragte er unverblümt. Galadriel dachte einen Moment nach. „In einer Woche werde ich euch gehen lassen. Ihr seid noch schwach und sollte die Weiße Stadt belagert werden, werdet ihr alle Kraft brauchen, um euch zu verteidigen.“ Widerwillig stimmte er ihr zu. Von draußen hörten sie Geschrei. Zum dritten Mal fielen die Feinde aus Dol Guldur ein und ein Späher berichtete, daß ihre Zahl sich verdoppelt hatte.

Laietha wandte sich zum Gehen und Panik kroch in Boromir hoch. Zweimal hatte sie Glück gehabt. Vielleicht würde sie auch dieses Mal unversehrt heimkehren, aber... Galadriel hielt sie zurück. „Frau Annaluva, eure Schuld ist getilgt. Bleibt hier.“ Laietha wandte sich in der Sprache der Elben an die hohe Frau. „Ihr wißt so gut wie ich, daß ihr jeden braucht, der ein Schwert führen kann.“ Galadriel nickte. „Aber sollten die Feinde es diesmal schaffen, unsere Reihen zu durchbrechen, brauchen wir eure Hilfe hier noch nötiger.“ Einen Augenblick lang sahen sich die beiden Frauen an. Galadriel rechnete mit dem Schlimmsten und wenn Laietha a die letzten Schlachten dachte, war die Vorsicht der Herrin des Waldes angebracht. Vielleicht würden Celeborns Männer sie diesmal nicht schützen können. Laietha nickte zustimmend.

Lange dauerte der Kampf dieses Mal und viele Verletzte wurden rasch in den Heiltrakt gebracht. Laietha, die von ihrem Bruder viel über Heilkünste gelernt hatte, machte sich bei der Versorgung der Verwundeten nützlich. Boromir hatte sein Bett geräumt und saß auf einem Stuhl während er ihr bei der Arbeit zusah. Flink huschte sie von einem zum anderen. Es tat ihr in der Seele weh, diese schönen Wesen verstümmelt oder entstellt zu sehen. Beruhigend sprach sie auf die Elben ein, legte Verbände an oder spendete Trost bei denen, für die jede Hilfe zu spät kommen würde.

Ein weiteres Opfer der Schlacht wurde in die Räume geführt. Der Elb stützte sich auf einen anderen und hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Schulter, aus der ein häßlicher schwarzgefiederter Pfeil ragte. Laietha lief zu ihm und stieß einen entsetzten Schrei aus. „Haldir!“ Sie übernahm ihn in ihre Obhut und schickte den anderen Krieger davon, der sich sofort auf den Weg machte, um sich wieder ins Kampfgetümmel zu stürzen.

Haldir nahm mit einem Aufstöhnen Platz auf dem Bett. Schnell entfernte sie seine Kleidung. „Da werden Erinnerungen wach, Annaluva,“ preßte er durch die zusammengebissenen Zähne hervor. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, aber sie sah nicht zu ihm auf. „Halt still. Es wird gleich wehtun.“ Der Elb verzog das Gesicht, als sie die Wunde untersuchte. „Leg dich hin, Haldir,“ befahl sie sanft. Erschöpft ließ er sich in die Kissen sinken. Laietha zog den Pfeil so vorsichtig wie möglich heraus. Der Elb gab einen Schmerzensschrei von sich. „Du warst schon mal sanfter mit mir, Annaluva.“ Laietha nahm ein sauberes Tuch und verband die Wunde. „Die Zeiten sind vorbei. Ich bin kein kleines Mädchen mehr.“ Sie sah ihm in die Augen. „Sag mir wie es steht, Haldir.“

Er schluckte und sammelte Kraft zum Sprechen. „Es sind viele, aber wir halten Stand. Größtenteils sind es Orks, auch ein paar Bilwißmenschen und... aber meist Orks. Die Schlacht wird nicht länger als zum Morgengrauen anhalten und bis dahin halten wir durch.“ Die Kriegerin sah sich im Raum um. So viele Verletzte! Wer wußte denn schon, wie viele Tote es gab. „Thranduil aus dem Düsterwald hat ihre Reihen gelichtet. Er selbst will Dol Guldur angreifen. Gemeinsam werden wir sie vernichten können.“ Laietha strich ihm die blonden Haare aus dem Gesicht. „Schlaf jetzt. Für dich ist die Schlacht vorbei. Du mußt dich ausruhen.“ Haldir schenkte ihr ein gequältes Lächeln. „Was ist mit einem Gutenachtkuß, Annaluva?“ Laietha schüttelte lächelnd den Kopf. „Schlaf, du unmöglicher Elb!“

Wenige Stunden vor Sonnenaufgang gaben sich die Feinde geschlagen. Die Elben hatten schwere Verluste erlitten - Männer und Land. Celeborn sammelte bereits wieder seine Soldaten. Sie würde ohne Gnade zurückschlagen, bis sie die Orks aus den Wäldern vertrieben und die Kräfte Dol Guldurs besiegt hatten. Celeborn hatte Boten zu Thranduil geschickt, damit sie ihre Schlachtpläne koordinieren konnten.

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Boromir gähnte. Er hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan. Von überall her hörte man das Stöhnen der Verletzten, das Weinen der Sterbenden. Es lief ihm kalt den Rücken herunter. Draußen ging die Sonne auf und die Vögel erwachten in ihren Nestern. Sie begannen, mit fröhlichem Gesang den Tag zu grüßen und die Blumen reckten der Sonne ihre hübschen Köpfe entgegen, während das goldene Licht das Zimmer flutete - so als wäre nichts von alledem geschehen. Der Krieger erhob sich und ging zu Laietha, die immer noch unermüdlich bei der Arbeit war. Sie stand am Bett eines jungen Elben, der einen bösen Schnitt quer über das Gesicht erlitten hatte.

Boromir musterte ihn. Er mußte vorher sehr schön gewesen sein. Heiße Tränen rannen über das Gesicht des Elben und seine Worte gingen im Schluchzen unter. Laietha streichelte sanft seine Hand und flüsterte beruhigend auf ihn ein. Es half nichts. Der Elb war untröstlich. Alarmiert sah Boromir auf einmal, wie seine Hand zu dem Dolch an seiner Seite glitt, aber Laietha war wachsam gewesen. Der Elb schrie verzweifelt, aber sie wand ihm sanft die Waffe aus der Hand und küßte ihn auf die Stirn. Er warf sich schluchzend an ihre Brust und sie strich ihm über das Haar, weiter auf ihn einflüsternd. Boromir verstand nichts was sie sagte, nur ein Wort machte er deutlich aus - Valinor. Sie wiegte ihn eine Weile lang sachte in den Armen und ließ ihn schließlich zurücksinken. Seine offenen Augen starrten an die Decke und er bewegte sich nicht mehr.

Ein kalter Schauer überlief Boromir und als Laietha sich zu ihm umdrehte, wischte sie sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Boromir schloß sie beschützend in seine Arme. „Ist er tot?“ fragte er leise. Sie schüttelte den Kopf. „Nein, er schläft. Er wird leben.“ Mit einem besorgten Blick auf ihre Augenringe, zog er sie aus dem Raum. „Du mußt dich ausruhen. Laß uns nach draußen gehen.“ Willenlos ließ sie sich von ihm auf den Waldboden führen und sie liefen eine Weile schweigend nebeneinander her. Schließlich setzten sie sich unter einen der mächtigen Bäume.

Boromir hielt sie in seinen Armen und strich ihr sachte über die Arme. Ihr Körper erzitterte und er bemerkte, daß sie leise weinte. Er küßte sie auf den Scheitel, fand aber keine Worte, um sie zu trösten. Nach einer Weile begann sie von selbst zu sprechen. „Es ist furchtbar. Er hat mir so leid getan.“ Boromir streichelte ihren Kopf. „Warum wollte er dich angreifen?“ Laietha schluckte. „Er wollte nicht mich, sondern sich selbst töten.“ Boromir erschauderte. „Was hast du ihm gesagt? Ich habe nur ein Wort ausmachen können - Valinor.“ Laietha lehnte sich gegen ihn und schloß die schmerzenden Augen. In ihren Ohren gellten noch immer die Schmerzensschreie der Verwundeten und Todgeweihten. Boromir strich ihr übers Haar. „Was bedeutet Valinor?“ Laietha holte Luft und begann zu erklären.

„Elben sind unsterblich. Er wird diese Narbe bis in alle Ewigkeit tragen müssen. Die Elben sind die schönsten Wesen dieser Welt. Es macht mich schrecklich traurig, sie so leiden zu sehen. Er wird diese Welt verlassen und in die Unsterblichen Lande von Valinor reisen. Nur dort werden sein Körper und seine Seele Heilung erfahren können.“ Ihre Stimme zitterte und Boromir hatte sie noch nie so verletzlich gesehen. Sie erzählte ihm von der Mutter ihrer Brüder, die von Orks überfallen und verstümmelt wurde und ebenso diese Welt verließ.

Boromir dachte an seinen Vater, der ihn stets zum Stolz auf sein eigenes Volk erzogen hatte und er dachte daran, wie er Aragorn angefahren hatte, weil er den Elben mehr zu vertrauen schien als den Menschen. Er hatte damals gedacht, daß Laietha so viel stärker wäre als ihr Bruder, weil sie sich auf ihre Abstammung aus dem Geschlecht der Menschen besann, doch nun mußte er mit Erstaunen feststellen, daß sie sich beiden Kulturen verbunden fühlte. Er bedauerte seine Worte Aragorn gegenüber. Boromir hatte die Elben für eitel, leichtlebig und arrogant gehalten. Er mußte seine Meinung ändern. Diese Wesen waren furcherregende Krieger und mit nicht geringem Neid hatte er gesehen, wieviel Weisheit sich hinter ihrem albernen Gehabe verbergen konnte. Zu wenig wußte er über dieses Volk, dem sich seine Liebste so sehr verbunden fühlte, als daß er Laietha hätte Trost spenden können und so hielt er sie einfach nur fest im Arm, bis sie nicht mehr weinte und erschöpft einschlief.


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