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Titel: Der
geschenkte Tag
(Seite 1) Autor: Naurdolien
Anmerkung:
AU - ich empfehle vorher die Geschichte "Annaluva" zu
lesen, dann erledigen sich einige Fragen vielleicht von selbst
Sie
sah Rauch aufsteigen. Minas Tirith lag in dieser Richtung
und kalte Furcht umklammerte ihr Herz. Aragorn, dachte
sie. Sie musste sich beeilen. Noch schneller rannte
sie, als ginge es um ihr Leben. Schon konnte sie die
Geräusche der Schlacht hören. "Schlaft
nicht ein!" brüllte sie den Männern zu,
die ihr folgten.
Wer ihr das Kommando übertragen hatte, wusste
keiner so recht, aber niemanden kümmerte es. Sie
folgten ihr bereitwillig. Einen Augenblick später
war Boromir an ihrer Seite. Auch er sah besorgt aus.
Der Lärm der Schlacht wurde lauter. Sie hörten
die Aufschreie der Verwundeten, Schmerzensschreie, Schreie
voller Angst, Pein, Agonie und die Geräusche der
aufeinanderprallenden Waffen. Der Gestank von Blut hing
in der Luft. Tod war allgegenwärtig.
Selbst aus der Entfernung konnten sie den Weißen
Turm der Stadt sehen. Der Schweiß strömte
über ihr Gesicht. Die Zeit lief ihnen davon. Sie
hörte ihren Mann, der den Soldaten Befehle zubellte
und die Männer überholten sie. Sie überquerten
den letzten Hügel und waren mitten im Schlachtgeschehen.
Es sah in der Tat schlecht für Aragorn und seine
Männer aus. Viele von ihnen lagen bereits tot am
Boden und noch immer schienen die Reihen der Feinde
ungelichtet zu sein. Laietha erkannte viele der Toten.
Mit einem wilden Schrei hob sie ihr Schwert und rannte
auf einen der Feinde zu. Nun hatte der Krieg auch für
sie begonnen.
Neben ihr ging einer der Männer, die ihr gefolgt
waren, zu Boden. Sie stieß einen wütenden
Schrei aus und enthauptete seinen Mörder. Die Kriegerin
tauchte ihr Schwert tief ins Blut ihrer Feinde, aber
sie ließen sie nicht zu Atem kommen und begannen,
sie zurückzutreiben. Aragorns Männer waren
am Ende ihrer Kräfte und wären ihre Freunde
nicht zu Hilfe gekommen, wäre die Schlacht entschieden
gewesen.
Laietha sah, wie sich ihr Mann unter dem Hieb eines
feindlichen Schwertes duckte und sie eilte ihm zur Seite
und trieb den Angreifer mit gezielten Schlägen
zurück. Ein Ruf drang an ihr Ohr. "Elendil!"
Sie wirbelte herum und versuchte die Richtung auszumachen,
aus der er gekommen war. Es war ihr Bruder gewesen.
Dort war er - umzingelt von Feinden. Er kämpfte
verzweifelt gegen sie an, aber er würde den Kampf
verlieren. Laietha unterdrückte die Panik, die
sie zu erfassen drohte. Sie begann zu rennen, musste
ihm helfen. Viele Feinde tötend oder verwundend,
bahnte sie sich ihren Weg zu ihm. Halte durch, Dunai,
dachte sie. Dann sah sie den Pfeil, der durch die Luft
sauste - und ihn in die Brust traf. Sie blieb wie versteinert
stehen. Aragorn sah sie an und starrte ungläubig
auf den Pfeil, der aus seiner Brust ragte. Dann brach
er zusammen.
"Nein! Aragorn! La" (1)
"Laietha! Laietha!" Boromir schüttelte
sie verzweifelt. "Nein! Dunai! Nein!" schrie
sie. "Laietha, Liebes, wach auf!" Sie stieß
einen Schrei des Entsetzens aus. "Aragorn!"
Boromir wusste sich nicht mehr anders zu helfen und
schlug ihr hart ins Gesicht. "Verflucht, Laietha,
wach doch auf!"
Laietha öffnete die Augen und schrak hoch, schwer
atmend. Sie sah sich gehetzt im Raum um. Boromir seufzte
erleichtert und nahm sie beschützend in den Arm.
Sanft strich er ihr über die Wange. "Alles
in Ordnung, Liebes. Es war nur ein Albtraum." Tränen
strömten ihr übers Gesicht und sie vergrub
ihren Kopf an seiner Schulter. Sie schluchzte so sehr,
dass sie kaum Luft bekam. "Aragorn..." flüsterte
sie. Boromir küsste sie auf die Stirn. "Scht...Laietha,
es war nur ein Traum. Nur ein Traum." Langsam beruhigte
sie sich wieder.
Die Tür zu ihrem Schlafzimmer öffnete sich
und ein siebzehnjähriges Mädchen trat ein.
"Was ist los?" fragte sie besorgt, die Augen
weit aufgerissen. Laietha beeilte sich, die Tränen
aus den Augen zu wischen, als wären sie nie dort
gewesen. Langsam fand sie wieder zu sich selbst. "Nichts,
mein Liebes. Ich hatte nur einen schlimmen Traum, das
ist alles. Geh wieder schlafen, Luthawen, und weck deinen
Bruder nicht auf." Das Mädchen warf Boromir
einen neugierigen Blick zu, aber er zuckte nur hilflos
mit den Schultern. "Geh ins Bett, Schatz. Deiner
Mutter fehlt nichts." Luthawen seufzte und verließ
den Raum. Auf dem Flur traf sie ihren zwölfjährigen
Bruder.
"Was ist denn los?" gähnte er verschlafen.
"Hatte Mama wieder einen schlechten Traum?"
Luthawen nickte. Dann nahm sie ihren Bruder bei der
Hand und brachte ihn zurück in sein Zimmer. Als
er ins Bett gegangen war, setzte sie sich zu ihm. "Ich
habe gehört, wie sie nach Onkel Aragorn gerufen
hat," sagte er schüchtern. Luthawen nickte.
"Hab ich auch gehört. Vater sagt, dass sie,
seit er sie kennt, immer von Albträumen heimgesucht
wird. Sie hat zu viele schlimme Dinge im Krieg gesehen."
Der Junge nickte langsam, obwohl Luthawen bezweifelte,
dass er verstanden hatte. Sie war fünf Jahre älter
und verstand es selbst kaum. Sanft strich sie ihm über
die strohblonden Haare. "Du solltest dir keine
Sorgen machen, Aiglos. Du wirst sehen, morgen ist sie
wieder ganz die Alte." Einen Moment lang herrschte
Schweigen. Dann begann der Junge zögerlich.
"Luthawen..." Sie sah ihn an, als wäre
sie selbst grade erst aus einem Traum erwacht. "Ja,
Bruder." Er schmiegte sich an ihre Seite, wie er
es schon lange nicht mehr gemacht hatte, nicht seitdem
er entschieden hatte, dass er kein Kind mehr war. "Singst
du mir bitte das Lied von Nimrodel vor?" Luthawen
lächelte ihn sanft an. Sie nickte und er legte
seinen Kopf in ihren Schoß. Auch sie hatte sich
gefürchtet, als sie die gellenden Schreie ihrer
Mutter gehört hatte. Mit ihrer klaren Stimme begann
sie das Lied zu singen, das sie als Kind von ihrer Mutter
gelernt hatte.
Boromir küsste die Wange seiner Frau dort, wo
er noch immer die Abdrücke seiner Hand sehen konnte.
Es tat ihm schrecklich leid, dass er sie geschlagen
hatte, aber er hatte sich einfach keinen anderen Ausweg
mehr gewusst. Boromir hatte sich so hilflos gefühlt.
Laietha drückte sich fest an ihn. Ihr Atem ging
wieder ruhiger, aber noch immer wagte sie es nicht,
zu sprechen. Also ergriff er das Wort.
"Willst du mir nicht erzählen, was du geträumt
hast?" Sie antwortete nicht. Es war alles so wirklich
gewesen! Und sie hatte gedacht, sterben zu müssen,
als sie den Pfeil aus seiner Brust hatte ragen...sie
schüttelte den Kopf, um den Gedanken zu verjagen,
als sie bemerkte, wie sich die Tränen zurück
in ihre Augen schlichen. Boromir presste seine Lippen
gegen ihren Scheitel. Er konnte sich schon denken, wovon
sie geträumt hatte.
"Er ist in Sicherheit und es geht ihm gut, Laietha.
Sieh nur, wir haben Frieden, es hat schon seit vielen
Jahren keinen Krieg mehr gegeben. Sorge dich nicht.
Sieh mal, wenn Gefahr im Verzug wäre, hätte
er es dich wissen lassen."
"Ich weiß," murmelte sie. "Ich
weiß, dass es nur ein böser Traum war."
Sie hob den Kopf und er blickte in ihre grünen
Augen. Seine Frau rang sich ein Lächeln ab. "Es
geht mir gut. Du solltest versuchen, noch etwas zu schlafen.
Mach dir keine Sorgen um mich."
Boromir hob eine Braue. "WIR sollten etwas Schlaf
bekommen." Er ließ ihr keine Zeit zu widersprechen
und presste sie fest an sich. Er küsste ihre Schulter.
"Sieh mal, das Schlimmste was ihm passieren könnte
wäre doch, dass Pippin ihm einen Besuch abstattet
und ihn bittet, auf seinen Sohn Faramir aufzupassen,
nicht wahr?" Er sah ihr ins Gesicht und - hey!
- das war ja fast ein Lächeln! Boromir fühlte
sich erleichtert.
Sie hatte sich beruhigt und nun wusste er, dass er
ruhig einschlafen konnte, ohne am nächsten Morgen
aufzuwachen und seine Frau völlig erschöpft
mit ihrem Schwert in der Hand im Hof vorzufinden - bereit,
nach Minas Tirith aufzubrechen.
***
"Lass mich doch einfach in Ruhe, Halaf. Ich
habe deine dummen Scherze satt!" rief Luthawen
ärgerlich. Der junge Mann stellte sich herausfordernd
vor sie. Er grinste das Mädchen an. "Ach komm
schon, Lutha, nur ein Kuss! Was kann denn daran so schlimm
sein? Ich habe gehört, dass sich deine Mutter in
deinem Alter nicht so spröde angestellt hat!"
Luthawen verpasste ihm eine schallende Ohrfeige.
"Du solltest deine Zunge besser im Zaum halten,
Halaf. Ich habe gehört, dass dein Vater das erste
menschliche Wesen war, das deine Mutter geküsst
hat." Die anderen Jungs, die sie umringten, brachen
in Gelächter aus. Halaf wurde knallrot. Er packte
das Mädchen bei den Schultern und begann sie heftig
zu schütteln.
"Was hast du grad gesagt?" Luthawen kniff
die Lippen zusammen. "Wasch dir mal die Ohren.
Ich werde es nicht noch mal sagen!" Jetzt war der
junge Mann völlig außer sich. "Deine
Mutter ist doch nur ne Elbenschlampe und dein Vater..."
Luthawen trat ihm gegen das Schienbein. "Halt den
Mund, ja?"
Sie waren so in ihren Streit vertieft, dass sie gar
nicht bemerkten, wie jemand die Straße entlang
kam.
"Du bist doch so hässlich, Lutha! Kein
Mann wird sich je in dich verlieben und dann wirst du
wie deine Mutter in den Krieg ziehen müssen und
hoffen, dass sich jemand für dich findet, der so
blind wie dein Vater ist!" Das Mädchen war
drauf und dran, ihm einen kräftigen Tritt ins Gemächt
zu verpassen, als sie hinter sich ein dröhnendes
Lachen vernahmen. Sie drehten sich um und sahen einen
exotisch aussehenden Mann auf einem prächtigen
Pferd hinter ihnen.
Die Jungs wurden still und die Mädchen hielten
erstaunt den Atem an. Der Reiter glitt vom Pferd und
ging auf Luthawen zu. "Wenn mich meine Augen nicht
trügen, dann ist das doch meine liebe Lutha!"
rief er fröhlich. Luthawen lachte laut und warf
sich in seine Arme. "Olbern! Wie lange ist es her,
dass wir uns nicht gesehen haben? Es müssen bestimmt
zwei Jahre sein! Wie geht es dir? Was führt dich
hierher?"
Der junge Beorninger wirbelte sie herum und grinste
sie breit an. "Ich habe mir einfach gedacht, dass
es nett wäre, dich mal wiederzusehen. Meine Güte,
du wirst von Tag zu Tag schöner!" Er umarmte
das Mädchen heftig. "Wie geht es deinen Eltern?
Komm, lass uns zu ihnen reiten. Ich kann es kaum erwarten,
sie wiederzusehen!" Er nahm sie bei der Hand und
führte sie zu seinem Pferd.
Bevor er sie auf den Rücken des Tieres hub,
fiel ihm etwas ein. Er schlug sich mit der flachen Hand
gegen die Stirn. "Du liebes bisschen! Fast hätte
ich es vergessen! Ich habe dir ja etwas mitgebracht!"
Er lächelte und fasste in seine Manteltasche. Daraus
zog er einen schmalen Silbergürtel hervor. "Der
ist von den Zwergen. Als ich ihn sah, musste ich so
an dich denken. Ich dachte, dass er dir bestimmt gut
stehen würde."
Luthawen umarmte ihn und legte den Gürtel an.
Er betrachtete sie voller Bewunderung. "In der
Tat, das war genau das richtige Geschenk für dich.
Er steht dir ausgezeichnet. Er macht dich sogar noch
hübscher." Er half dem Mädchen aufs Pferd
und sie preschten davon, in Richtung des Landhauses
ihrer Eltern. Luthawen konnte es sich nicht verkneifen,
Halaf und den anderen einen spöttischen Blick über
die Schulter zuzuwerfen.
***
Der junge Beorninger wurde herzlich willkommen geheißen.
Boromir und Laietha freuten sich sehr, ihn zu sehen
und Aiglos war ganz begierig darauf zu erfahren, an
welche fremden Orte es Olbern im Dienste seines Vaters
verschlagen hatte. Bereg leistete gute Arbeit als Anführer
seines Volkes. Die Lage seiner Leute hatte sich sehr
verbessert. Sie waren gute Freunde Gondors und standen
im Handel mit den Elben Düsterwalds. Einige von
ihnen waren sogar nach Rohan gezogen. Die Dinge standen
also bestens. Laietha und Boromir lächelten Olbern
wohlwollend an. Sie waren mehr als bereit, die Fehler
einiger Beorninger zu vergessen, die sich vor so vielen
Jahren ereignet hatten.
Abends saßen sie zusammen am prasselnden Kaminfeuer.
Olbern saß neben Aiglos, der von seinen Geschichten
gar nicht genug bekommen konnte. Von Zeit zu Zeit sah
er schüchtern zu Luthawen herüber, während
er ihnen erzählte, wie es ihm in den vergangenen
zwei Jahren ergangen war.
Laietha musste grinsen, als sie die beiden so sah.
Auch Boromir beobachtete die zwei, allerdings eher skeptisch.
Er mochte den jungen Mann, keine Frage, aber für
seinen Geschmack schenkte er seiner kleinen Tochter
ein wenig zu viel Aufmerksamkeit. Er versuchte, den
Jungen mit seinen Blicken zu durchbohren. Laietha verpasste
ihm einen Stoß in die Seite. Dann wandte sie sich
ihrem Gast zu. "Olbern, wie alt bist du jetzt?"
Sie schüttelte verwundert den Kopf.
Als sie ihn das erste Mal gesehen hatte, war er ein
Kind gewesen und nun war er zu einem gutaussehenden
jungen Mann herangewachsen. "Zweiundzwanzig, Frau
Annaluva," erwiderte er und entblößte
eine Reihe perfekter weißer Zähne. Laietha
lachte. "Du liebes bisschen! Wie die Zeit vergeht!
Hast du denn eine Freundin?" Der Mann errötete
und Boromir straffte sich.
"Laietha, er ist doch noch viel zu jung für
eine Freundin!" schnappte er. Laietha schüttelte
den Kopf, aber Luthawen tat so, als hätte sie gar
nicht bemerkt, dass ihre Eltern etwas gesagt hätten.
"Du meine Güte, zweiundzwanzig! Ich wünschte,
ich wäre zweiundzwanzig!"
Als Aiglos das Gefühl hatte, dass er nicht mehr
beachtet wurde, gab er mürrisch den Platz an Olberns
Seite auf. Laietha sah, dass Luthawen auf den freien
Platz spekulierte und bemerkte, dass auch ihr Mann den
freien Sitz erspäht hatte und im Begriff war, sich
dorthin zu setzen, bevor seine Tochter das selbe tun
könnte. Sie reagierte blitzschnell. Laietha stand
auf und packte ihren Mann, der sich gerade erheben wollte,
um sich neben Olbern zu setzen, am Ärmel und wollte
ihn aus dem Raum ziehen.
Boromir sah sie ein wenig verstört an. Sie lächelte
sanft. "Willst du mir nicht helfen, unserem Gast
ein Zimmer fertig zu machen?" fragte sie schelmisch.
Boromir sah sie verwirrt an. "Das schaffst du bestimmt
auch ohne mich. Ich bin sicher, ich wäre dir dabei
nur im Weg," gab er hastig zurück.
Als er sich wieder Olbern zuwandte, sah er, dass
seine Tochter die Gelegenheit genutzt und sich neben
ihn gesetzt hatte. Mürrisch drehte er sich wieder
um, aber seine Frau war schon verschwunden. Luthawen
beanspruchte Olberns ganze Aufmerksamkeit und ihm blieb
nichts anderes mehr übrig, als sich auf seinen
alten Platz zu setzen und wachsame Blicke auf seine
Tochter und ihren Besucher zu werfen.
***
Laietha fand ihre Tochter im Garten sitzend. Sie
beobachtete Olbern, der Aiglos gerade Unterricht im
Schwertkampf gab und setzte sich neben sie. Eine Weile
lang herrschte Schweigen. "Ich hätte Vater
umbringen können!" platzte das Mädchen
auf einmal heraus. Laietha lachte. "Im Namen der
Valar, was hat er getan?"
Luthawen verzog das Gesicht. "Er blieb auf bis
wir ins Bett gingen und hat uns keine Sekunde aus den
Augen gelassen. Dabei dachte ich, er würde jeden
Moment einschlafen und anfangen zu schnarchen!"
Ihre Mutter musste sich zwingen, nicht in Gelächter
auszubrechen. Das hörte sich wahrhaftig nach Boromir
an. Sie strich dem Mädchen über die Haare
und betrachtete sie eine ganze Weile lang.
Ihr war gar nicht aufgefallen, was für eine
hübsche junge Dame aus ihr in den letzten Jahren
geworden war. Sie war hochgewachsen und schlank, nicht
so kräftig wie ihre Mutter, und in ihrem Gesicht
zeichneten sich nicht die Sorgen ab, die Laietha in
ihrem Alter zu tragen hatte. Blasse Sommersprossen überzogen
ihre Wangen und ihre Stirn und ließen sie irgendwie
schelmisch wirken. Laietha lachte in sich hinein.
"Gib ihm Zeit. Es ist nicht leicht für
ihn mit anzusehen, wie sein kleines Mädchen erwachsen
wird." Sie selbst fand die Vorstellung ja absurd.
Es schien ihr noch gar nicht so lange her, dass Luthawen
zur Welt gekommen war. Luthawen seufzte. "Ich wünschte,
er würde aufhören, mich so zu behandeln!"
"Hey, runter von meinem Bauch, Aiglos! Mann,
du bist echt ein schwerer Brocken!" rief Olbern.
Sie hörten Aiglos lachen. "Der Sieg ist mein!
Mama, hast du das gesehen?" Der blonde Junge sprang
von dem Beorninger runter und rannte auf seine Mutter
zu. Laietha stand auf und nahm ihren Sohn voller Stolz
in die Arme. "Ich bin so stolz auf dich. Meinst
du nicht, wir sollten es gleich deinem Vater erzählen
gehen?" Der Junge nickte eifrig und stürmte
fort in Richtung seines Vaters, der sich auf der Wiese
vor ihrem Haus ausgestreckt hatte, die Sonne genoss
und laut schnarchte.
Als sie gingen, blinzelte Laietha ihrer Tochter mit
einem Verschwörerlächeln zu. "Ich erwarte
euch zwei zum Abendessen." Luthawen grinste breit
zurück.
Olbern schüttelte seine braunen Locken und rannte
zu Luthawen. Als er vor ihr zum Stehen kam, klopfte
er schnell den Staub von seinen Sachen. Luthawen half
ihm, ein paar verirrte Grashalme aus seinen Haaren zu
sammeln. "Danke, dass du Aiglos hast gewinnen lassen.
Er wird überglücklich sein." Olbern lächelte,
errötete und winkte ab. Er sah Luthawen an. Die
Sonne fing sich in ihren Haaren und ihre Wangen glühten.
Ihre Blicke trafen sich und keiner von ihnen wusste
so recht, was er sagen sollte.
Luthawens Hand berührte immer noch sein Haar.
Sie wurde rot. Als sie die Hand wegziehen wollte, nahm
Olbern sie in seine großen Hände. "Es
ist wirklich lange her, dass wir uns das letzte Mal
gesehen haben, Lutha." Er lächelte. "Weißt
du noch, wie es war, als wir klein waren, Lutha? Wir
haben im Palast deines Onkels gesessen und du hast mir
beigebracht, wie man Karten spielt." Das Mädchen
lachte.
"Natürlich weiß ich es noch! Wie
könnte ich das je vergessen? Du warst so schüchtern
und ich war so..." Olbern grinste. "Und du
warst so ein Wildfang. Du bist auf Bäume geklettert
und hattest immer Flausen im Kopf. Erinnerst du dich
noch? Du hast gesagt, du würdest mein großer
Bruder sein, weil du so tapfer warst und ich so..."
Luthawen wand sich voller Unbehagen. "Oh bitte
hör auf damit, Olbern! Erwähne es nicht! Ich
war so ein dummes Mädchen! Du warst doch älter
als ich, und ich sagte, ich wäre dein großer
Bruder..."
Olbern legte die Hand an ihre glatte Wange. Luthawen
wurde still und blickte wieder in seine tiefen grauen
Augen. Er war kein schüchterner Junge mehr. Aus
ihm war ein stattlicher junger Mann geworden. Das Mädchen
begann sich unsicher zu fühlen. Sie wollte ihn
berühren, aber hatte Angst, er würde zurückweichen.
Olbern hatte sich einen Bart stehen lassen, wie ihr
Vater und ihre Onkel. Luthawen lächelte. Obwohl
ihre Hand tonnenschwer zu sein schien, schaffte sie
es, sie zu heben und die Stoppeln an seinem Kinn zu
berühren. Olbern lächelte sie warm an. Jetzt,
da er ein wenig mutiger geworden war, wagte er es, ihr
Gesicht in seine Hände zu nehmen, ohne seine Blicke
von ihr zu wenden. Er kam dichter an sie heran und Luthawen
hielt den Atem an. Ihr Herz schlug schneller und sie
schloss ihre Augen, während sie ihre Lippen leicht
öffnete...
"Luthawen! Deine Mutter sagt, es ist Zeit fürs
Abendessen! Komm, Olbern, du musst am Verhungern sein!"
Boromir eilte an ihre Seite und musterte den Beorninger
streng. "Mein Sohn sagte, du hättest dir mit
ihm einen guten Kampf geliefert, Junge." Boromir
schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter, legte
seinen Arm um ihn und drängte sich zwischen die
beiden, als sie zurück zum Haus gingen. "Vater,
hör auf ihn Junge zu nennen! Er ist ein Mann!"
rief Luthawen.
"Ein Mann..." murmelte Boromir kaum hörbar.
Olbern lachte und wandte sich höflich an Boromir.
"Ihr könnte es selbst gerne einmal versuchen,
mein Herr. Ich wäre geehrt, mit einem so erfahrenen
Krieger meine Klinge kreuzen zu dürfen, obwohl
ich glaube, dass ich keine sehr gute Figur gegen euch
machen dürfte." Boromir grinste breit.
"Na ja, wir werden sehen. Ich glaube, ich bin
ein wenig aus der Übung. Lasst uns zuerst etwas
essen. Jetzt ist die Zeit zum Essen, nicht zum Kämpfen,"
oder für etwas anderes, setzte er in Gedanken hinzu.
***
Zufrieden und gut gesättigt saßen sie
im Wohnzimmer, erzählten Geschichten und genossen
den schönen Abend. Boromir hatte sich neben Olbern
gesetzt. Laietha rauchte genüsslich eine Pfeife
und Aiglos lauschte gespannt den Geschichten von Beorningern,
Elben und dem Düsterwald. Luthawen flocht ihre
Haare und ließ dabei ihren Gast keine Sekunde
aus den Augen.
Plötzlich hörten sie in der Ferne, wie
sich Pferdegetrappel näherte. Boromir und Laietha
tauschten einen Blick und griffen nach ihren Schwertern.
Die Zeiten waren friedlich, aber sie wollten lieber
auf Nummer sicher gehen. Olbern eilte an ihre Seite,
als sie aus dem Haus traten. Sie konnten drei Gestalten
erkennen, die sich zu Pferde schnell dem Haus näherten.
"Wer kann das sein?" murmelte Boromir und
Laietha strengte ihre Augen an. Nach einer Weile seufzte
sie erleichtert. "Es sind Elben. Elben kommen zu
uns!" rief sie fröhlich aus. Sie winkte ihnen
zu. "Suillad mellyn!" (2) jubelte sie. Sie hörten
silberhelles Lachen und Luthawen und Aiglos eilten vors
Haus. Sie waren neugierig, wer diese Besucher waren,
denn man sah die Elben nur noch selten in diesen Gebieten.
"Das ist Onkel Elladan!" rief Luthawen
fröhlich. Es war ganz leicht, ihn zu erkennen,
denn kein anderer Elb trug seine Haare so kurz wie er.
"Und Onkel Elrohir und Großvater!" fügte
Aiglos erfreut hinzu.
Die Kinder sollten Recht behalten. Bald schon hatten
die Elben das Haus erreicht und wurden freudig empfangen.
Boromir lauschte seiner Frau, die sich auf elbisch
mit ihrer Familie unterhielt. Er und Olbern tauschten
einen verzweifelten Blick, denn sie verstanden kein
Wort von dem, was gesprochen wurde. Boromir wünschte
sich, er hätte zusammen mit seinen Kindern dem
Elbischunterricht seiner Frau beigewohnt, denn Luthawen
und Aiglos lauschten den Elben aufmerksam.
Sie führten die Gäste ins Haus.
Herr Elrond verkündete ihnen, dass er sich auf
den Weg gemacht hatte, um Aragorn einen Besuch abzustatten
und da hatte es sich angeboten, eine kleine Rast im
Haus seiner Ziehtochter einzulegen. Elrohir wollte danach
seinen Weg in den Düsterwald fortsetzen. "Ich
glaub, er hat da ne Flamme," flüsterte Elladan
seiner Schwester ins Ohr und beide mussten grinsen.
Es wurde ein fröhlicher Abend. Sie tauschten
Nachrichten aus Bruchtal aus und Laietha freute sich
sehr, endlich wieder einmal mit ihrem Vater und ihren
Brüdern beisammen zu sein. Elrohir blickte mit
einem Lächeln auf Laiethas kleine Familie. Er genoss
es immer wieder zu sehen, dass Laietha glücklich
war. Bei Menschen spielt Zeit so eine andere Rolle,
dachte er.
Eben waren Luthawen und Aiglos noch kleine Kinder
gewesen und nun war seine Nichte eine junge Frau und
sein Neffe auch schon richtig erwachsen. Aiglos' Stimme
quietschte, als er seinem Großvater aufgeregt
von dem errungenen Sieg über Olbern erzählte.
Boromir hielt seine Frau fest im Arm und lächelte
zufrieden. Elrond dachte an die erste Begegnung mit
dem Gondorianer und an die Bedenken, die er gegen den
Mann gehegt hatte. Keine davon hatte sich als richtig
herausgestellt. Niemals klagte Laietha über ihn
und der Elbenherrscher selbst hatte gesehen, dass der
Mann seine Ziehtochter aufrichtig liebte.
"Ich soll dich herzlich von Faelgil grüßen,"
sagte der Herr Bruchtals und Laietha strahlte vor Freude.
Nun musste Elrond ihr haarklein berichten, wie es ihrem
alten Freund ging. Der Goldschmied und Melanna waren
sehr glücklich und ihr erstes Kind war vor wenigen
Wochen gesund geboren worden. Diese Neuigkeit sorgte
für große Aufregung und Freude.
Mit einem neugierigen Lächeln betrachtete Elladan,
wie Luthawen und Olbern miteinander sprachen. Der Elb
konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Der große
Beorninger errötete und erbleichte abwechselnd,
wenn das junge Mädchen zufällig seine Hand
berührte. Elladan bemerkte auch die giftigen Seitenblicke,
die Boromir dem jungen Mann zuwarf. Er feixte still
in sich hinein.
Erst lange nach Mitternacht, als die Flammen im Kamin
schon längst verloschen waren, machten sie sich
daran, zu Bett zu gehen. Elrond trat zu seiner Tochter,
die schon den ganzen Abend über nachdenklich ausgesehen
hatte. Er konnte sich schon fast denken, was in der
Frau vorging.
"Willst du uns nicht begleiten, Tochter? Du
hast deinen Bruder doch gewiss auch schon lange nicht
mehr gesehen." Damit wandte er sich um und begab
sich in das Zimmer, das man ihm zugewiesen hatte. Laietha
lächelte. Eigentlich war es eine gute Idee. Sie
würde es gleich am nächsten Tag mit ihrer
Familie besprechen.
***
Boromir und die Kinder waren von der Idee nach Minas
Tirith zu reisen mehr als begeistert und so entschloss
man sich, die Sachen zu packen und die Abreise für
den nächsten Tag festzulegen. Olbern hatte sowieso
zu Aragorn reisen sollen, weil ihm sein Vater aufgetragen
hatte, dort als Vertreter seines Volkes Aragorn einen
Gruß zu überbringen. Außerdem sah er
so die Gelegenheit, noch mehr Zeit mit seiner alten
Freundin Luthawen verbringen zu können.
Laietha räumte das Geschirr in die Küche
und Aiglos trug einen Eimer mit Wasser aus dem Brunnen
ins Haus. Die übrigen Gäste und Boromir hatten
sich vor der Tür auf einer kleinen Bank niedergelassen
und lauschten aufmerksam Herrn Elrond, der ein paar
alte Lieder zum besten gab. Laietha küsste ihren
Sohn auf die Stirn. Er war in der letzten Zeit viel
gewachsen.
"Soll ich dir noch beim Abwasch helfen, Mama?"
Die Kriegerin lachte und gab ihm einen Klaps auf den
Po. "Nein, lass nur, ich schaffe das schon alleine.
Bring lieber deinem Vater und unseren Gästen etwas
zu Trinken. Deine Schwester kann dir dabei ruhig helfen!"
Luthawen, die bis eben fasziniert aus dem Fenster gestarrt
hatte, wurde rot und eilte sich, ihrem Bruder zur Hand
zu gehen. Sie trugen zusammen Bier für Boromir
und Olbern und Wein für die Elben hinaus.
Es war ein warmer Sommerabend im August und alle
genossen die relative Kühle. Lange würden
sie nicht mehr aufbleiben, aber es war sehr gemütlich.
Die Sonne versank langsam hinter den Gipfeln der Berge
und der kleine Bach in der Nähe des Hauses murmelte
leise sein Lied. Aiglos nahm sich ein Glas Apfelsaft
und setzte sich zu den Männern. Sehnsüchtig
schielte er zu Olbern hinüber, der einen großen
Schluck von dem kalten Gerstensaft nahm. Boromir bemerkte
seinen Blick.
Er hielt dem Jungen seinen Krug hin. "Hier mein
Junge, aber kein Wort zu deiner Mutter davon!"
Aiglos wuchs vor Stolz und nahm einen großen Zug.
Es schmeckte zwar scheußlich bitter, aber er verzog
keine Miene, denn nun endlich war er schon fast ein
richtiger Mann.
Luthawen schüttelte den Kopf und ging zurück
ins Haus.
In der Küche hörte sie das Klappern von
Geschirr, während ihre Mutter den Abwasch erledigte.
Laietha summte leise vor sich hin, wie immer, wenn sie
mit der Hausarbeit beschäftigt war. Luthawen lächelte,
denn sie kannte das Lied ganz genau.
Es donnert laut des Bruinen Wasser, hinab vom schiefergrauen Fels, die Kieselsteine werden nasser, gewaltig ist die Macht des Quells.
Luthawen lächelte ihre Mutter an, die sich hastig
umgedreht hatte, als die klare Stimme ihrer Tochter
hinter ihr ertönt war. Nun lachte sie und setzte
den Gesang fort.
Versteckt vor unerwünschten Blicken Versteckt wohl zwischen grauem Stein, einmal entdeckt wird es entzücken, der Noldor letztes trautes Heim.
Mutter und Tochter lachten leise und während
Laietha die verbliebenen Teller spülte, stimmten
sie die letzte Strophe gemeinsam an.
Imladris - Heim in rauen Bergen, dein Hausherr Elrond lässt den ein, der Schutz sucht vor des Bösen Schergen. Nun sollst du meine Zuflucht sein.
Laietha trocknete das Geschirr ab und Luthawen setzte
sich auf den Küchentisch. Sie spielte gedankenverloren
an dem Gürtel, den ihr Olbern geschenkt hatte.
"Mutter, wie hast du gemerkt, dass du in Vater
verliebt bist?" Laietha schmunzelte vor sich hin
und fuhr mit ihrer Arbeit fort.
"Das ist schwer zu sagen. Ich habe mich in deinen
Vater verguckt, als ich ihn das erste Mal im Stall stehen
sah." Sie grinste und stellte das Geschirr in die
Schränke. Luthawen half ihr dabei, vermied aber,
sie anzusehen. "Wie hast du denn gemerkt, dass
du dich verliebt hast und ihn nicht nur gerne hast?"
Luthawen wischte mit akribischer Genauigkeit den
schweren Eichentisch ab. "Es war so ein Kribbeln
im Bauch..." "...als wenn lauter Tiere darin
wären?" Laietha lachte. "Ja." Eine
Weile lang herrschte Stille. "Und irgendwann merkte
ich, dass ich nirgendwo lieber als in seiner Nähe
sein wollte - und das für immer."
Luthawen sah sie neugierig an. Sie errötete.
"Oh, das ist gut. Ähm...ich werde dann schlafen
gehen. Gute Nacht, Mutter." Schnell drückte
sie ihrer Mutter einen Kuss auf die Wange und huschte
in ihr Zimmer, bevor sie Laietha noch Rede und Antwort
stehen müsste.
Die Kriegerin lachte und nahm sich selbst ihre Pfeife
und einen Krug Bier. Dann schlenderte sie vor die Haustür
und ließ sich neben ihrem Mann nieder. Nach einer
Weile schickte sie Aiglos ins Bett und bald darauf gingen
auch sie und sie Gäste schlafen. Sie wollten am
nächsten Morgen nicht lange nach Sonnenaufgang
aufbrechen.
***
Das Wetter war ihnen hold gewesen und nach einwöchiger
Reise ohne besondere Vorkommnisse - sah man von zwei
heftigen Streits zwischen Aiglos und Luthawen einmal
ab - standen sie vor den Toren der Weißen Stadt.
Die Palastwachen staunten nicht schlecht über so
viele hohe Besucher und ließen sie ohne Schwierigkeiten
passieren.
Sie ritten durch die Straßen der Stadt, wo
sie vom Volk bald mit Jubelschreien begrüßt
wurden. Es war früher Nachmittag und die Sonne
schien hell und am Himmel sah man kaum ein Wölkchen.
Der Turm Ecthelions ragte schimmernd weiß über
die Stadt. Boromirs Herz machte einen Freudensprung.
Sicher, er liebte das Haus in dem er mit seiner kleinen
Familie lebte, aber das hier war nun einmal die Stadt,
in der er geboren worden und aufgewachsen war und in
der er den Großteil seines Lebens verbracht hatte.
Es war seine Heimat und er konnte es kaum erwarten,
endlich seinen Bruder und dessen Familie wiederzusehen.
Sie waren schon lange nicht mehr dort gewesen.
***
Als sie schließlich am Palast angekommen waren,
übergaben sie die Pferde den Stallburschen und
machten sich auf die Suche nach Aragorn. Sie mussten
nicht lange suchen, denn er stand in der Empfangshalle
und sah aus dem Fenster in den Hof, wahrscheinlich um
herauszufinden, warum es draußen so einen Tumult
gegeben hatte.
Laietha betrat den Raum mit einem breiten Grinsen.
Als ihr Bruder sie erblickte, hellte sich sein Gesicht
sofort auf. "Aiwe! Was machst du denn hier?"
rief er und Laietha stieß einen Freudenschrei
aus. "Dunai!" Sie ließ alles stehen
und liegen, vergaß, dass sie eine Frau von 45
Jahren war und rannte durch den Thronsaal, um sich dem
König von Gondor in die Arme zu werfen.
Er schwenkte sie fröhlich herum und beide sahen
sich lachend an, nur um sich wieder und wieder in die
Arme zu schließen, zu herzen und zu küssen.
"Du meine Güte - wie lange ist es her?"
keuchte Aragorn fassungslos und presste Laietha gegen
seine Brust. "Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor,
dass wir uns das letzte Mal gesehen haben!" Laietha
küsste ihn auf die Wange und sie begannen zu lachen.
"Es tut so gut, dich zu sehen, meine liebe Schwester!"
Er küsste sie auf die Stirn. "Dunai, du kannst
dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich dich vermisst
habe!" Sie strich ihm übers Gesicht und schüttelte
den Kopf, weil sie es immer noch nicht fassen konnte,
endlich wieder bei ihm zu sein. Sie sahen sich lächelnd
an.
Plötzlich fühlte Laietha einen stechenden
Schmerz in ihrem Rücken, genau zwischen den Schulterblättern,
fast, als hätte man ihr einen Dolch in den Rücken
gestoßen. Sie krallte ihre Finger in Aragorns
Schultern. Besorgt sah er zu ihr hinunter. "Was
ist mit dir? Geht es dir gut?" Langsam nickte sie,
der Schmerz wurde schwächer, aber sie hatte das
Gefühl, als würde man sie genau beobachten.
Sie löste sich aus der Umarmung ihres Bruders
und drehte sich um. In der Tür stand eine große
schlanke Frau, von unbeschreiblicher Schönheit,
die sie von Kopf bis Fuß musterte. Die Frau trug
ein dunkelrotes Kleid und mochte vielleicht in Laiethas
Alter sein. Rabenschwarzes Haar umschmeichelte ihr Gesicht,
in dem zwei kohlschwarze Augen saßen, die von
einem brennenden Feuer erfüllt zu sein schienen.
Ihre Haut war so blass wie das Licht des Mondes in einer
Winternacht.
Aragorn folgte Laiethas Blicken und als sie auf die
Frau in der Tür fielen, trat ein breites Lächeln
auf sein Gesicht. "Ich wusste, dass du sie als
erste bemerken würdest, Laietha." Er drückte
ihre Hand fest und zog sie mit sich zur Tür. "Darf
ich vorstellen - das ist Frau Mornuan, die ich von ganzem
Herzen liebe."
Die Frau bedachte Laietha mit einem Lächeln.
"Ihr seid also Laietha, Aragorns Schwester. Er
hat mir schon sehr viel von euch erzählt. Was für
eine Freude, dass ich euch nun endlich einmal kennen
lerne!" Sie lächelte freundlich. Ihre Stimme
war melodiös, aber von einer Kälte, dass Laietha
eine Gänsehaut bekam. Mornuan kam auf sie zu und
nahm ihr Gesicht in ihre kühlen Hände. Sie
überragte Laietha um gut einen halben Kopf. Die
Kriegerin erzitterte. "Lasst mich euch willkommen
heißen, liebe Schwester." Die Frau presste
ihre Lippen auf Laiethas Stirn. Aragorns Schwester verlor
das Bewusstsein.
***
Als sie die Augen aufschlug, fand sie sich in den
Häusern der Heilung wieder und sah in das besorgte
Gesicht ihres Mannes. "Den Valar sei Dank, du bist
wieder wach!" seufzte er und nahm ihre Hand. Ihr
Kopf dröhnte und schmerzte. "Was ist passiert?"
flüsterte sie mit rauer Stimme. "Das wollten
wir eigentlich von dir wissen," bemerkte Aragorn,
der aus der Ecke hervortrat und ihr ein Glas Wasser
reichte. Laietha trank dankbar und Aragorn lächelte
erleichtert. Er küsste sie auf die Stirn.
"Es war ein heißer Tag und der Weg hierher
war weit. Vielleicht hat dich die Reise etwas überanstrengt.
Jedenfalls bin ich froh, dass es dir besser geht."
Er lächelte und strich ihr übers Haar, wie
er es schon so oft getan hatte, wenn es ihr nicht gut
ging. Laietha setzte sich auf. "Ich weiß
auch nicht, aber du wirst recht haben. Der Weg zu deinem
Palast war weit und die Reise anstrengend. Ich werde
eben alt, aber jetzt geht es mir besser." Aragorn
nickte. "Du musst hungrig sein. Ruh dich noch etwas
aus und dann werden wir zu Abend essen. Ich habe Faramir
und seine Familie für heute eingeladen. Es ist
schon sehr lange her, dass wir alle zusammengewesen
sind und es wird gewiss ein netter Abend." Boromirs
Gesicht erhellte sich, als der Name seines Bruders fiel.
Er war so in Sorge um seine Frau gewesen, dass er sich
noch gar nicht auf den Weg zu seinem Bruder gemacht
hatte, um ihn zu begrüßen. Er freute sich
schon sehr auf das Essen. *** Sie trafen sich im großen Speisesaal. Laietha
hatte sich für ein schlichtes weißes Kleid
entschieden. Sie trug ihr dichtes rotes Haar zu einem
Knoten im Nacken gebunden, so wie es bei den Frauen
Gondors Sitte war. Boromir sah sie voller Bewunderung
an. Sie war an diesem Abend besonders schön, fand
er. Laietha nahm zwischen ihrem Mann und ihrem Bruder
platz. Ihre Kinder waren sehr froh, sie wieder auf den
Beinen zu sehen. Herr Elrond und seine Söhne saßen an der
gegenüberliegenden Seite des Tisches. Luthawen
setzte sich zwischen Olbern und ihren Onkel Elladan.
Ihr Bruder setzte sich neben den jungen Beorninger. Einer der Herolde trat ein und berichtete, dass die
nächsten Gäste eingetroffen seien. Faramir
und Eowyn betraten den Raum. Boromir sprang auf, um
seinen Bruder stürmisch zu begrüßen.
Die Männer fielen sich lachend in die Arme, denn
auch sie hatten sich schon sehr lange nicht mehr gesehen.
Auch Laietha und Eowyn freuten sich über das Wiedersehen.
Mit einem glucksenden Lachen stellten sie fest, dass
Eowyn fast das gleiche Kleid wie Laietha trug. Dann stürmten ihre Kinder in den Saal, der 13
jährige Ionvamir voraus und ihm dicht auf den Fersen
seine 7 jährige Schwester Auranor. Laietha zerzauste
Ionvamirs Haar. "Du meine Güte, was bist du
großgeworden!" rief sie aus, denn der Junge
überragte sie um einen halben Kopf. "Das letzte
Mal als wir hier waren, gingst du mir doch nur knapp
bis zur Schulter!" Eowyn legte ihr den Arm um die
Hüfte. "Ihr seid eben lange nicht mehr hier
gewesen, liebe Freundin." Die Frauen umarmten sich lächelnd. "Tante
Lai!" krähte Auranor und warf sich Laietha
um den Hals. Die Kriegerin küsste ihren Scheitel.
"Wie die Zeit vergeht! Was für ein hübsches
kleines Ding aus dir geworden ist!" Kinder sind
wirklich erstaunlich, dachte sie mit einem Schmunzeln.
"Bei den Valar, kann es denn sein, dass diese wunderschöne
junge Frau meine liebe Lutha ist?" schnappte Eowyn
erstaunt. Die junge Frau wurde puterrot und senkte verschämt
den Kopf. Eowyn bedachte den jungen Beorninger an ihrer Seite
mit einem Lächeln. "Und ist das nicht der
Sohn unseres lieben Freundes Bereg? Du musst uns alles
darüber erzählen, wie es deinem Vater geht!
Grundgütiger, aus dir ist ja ein echter Mann geworden!
Bist du etwa Luthas Freund?" Boromir erbleichte
vor Schreck, als er das hörte. "Natürlich
nicht!" verkündete er laut. "Lutha ist
noch viel zu jung, um sich für Männer zu interessieren!"
Laietha und Eowyn tauschten einen Blick aus. Na klar! "Tante Eowyn, Onkel Faramir!" Aiglos riss
die beiden fast um, als er auf sie zustürmte, um
sie zu begrüßen. "Onkel Faramir,"
krächzte der Junge, "ich bin wirklich gut
im Schwertkampf geworden! Wenn du willst, werde ich
es dir zeigen!" Faramir strich ihm über den
Kopf und grinste breit. "Immer mit der Ruhe, morgen
ist auch noch ein Tag. Ich glaube nicht, dass ihr so
früh wieder abreisen werdet." Er musste noch immer schmunzeln. Obwohl sein Sohn
und sein Neffe nicht ganz ein Jahr auseinander waren
und sich recht ähnlich sahen, waren sie vom Charakter
her doch so verschieden wie er und sein Bruder selbst.
Ionvamir hatte sich neben seine Tante gesetzt. "Tante
Laietha, du wirst mir doch diesmal ein wenig mehr elbisch
beibringen, nicht wahr? Vater hat gesagt, du wärst
darin viel besser als er!" Laietha lachte. "Das
werde ich, Ionvamir und vielleicht helfen mir mein Vater
und meine Brüder, denn ich selbst bin auch ein
wenig aus der Übung." Nun krabbelte Auranor auf ihren Schoß und beanspruchte
die Aufmerksamkeit ihrer Tante für sich allein.
"Tante Lai, du wirst mir doch bestimmt ganz viele
Geschichten erzählen, nicht wahr? Am besten über
die Elben!" Auch hier gab Laietha ihr Wort und
das kleine Mädchen quietschte vor Vergnügen. Auch Ionvamir und Aiglos freuten sich über das
Wiedersehen, denn die Cousins kamen hervorragend miteinander
aus. Sofort fingen sie an, miteinander zu reden und
zu scherzen. Luthawen und Olbern nutzten den allgemeinen
Aufruhr, weil sie niemand beobachtete. Ihre Hände
fanden sich unter dem Tisch und sie sahen sich gedankenversunken
in die Augen. "Aber, aber! Wir haben dich noch den ganzen
Abend und es wird nicht der letzte sein!" rief
Elrond mit einem Lächeln. Alles lachte und so begaben
sie sich zu ihren Plätzen. Als endlich alle saßen, war immer noch ein
Platz neben Aragorn frei. Laietha fragte sich für
den Bruchteil einer Sekunde, wer noch erwartet würde,
aber dann fiel es ihr wieder ein und sie dachte an die
Frau, die sie bei ihrer Ankunft getroffen hatte. Wie
war noch gleich ihr Name gewesen? Die Tür schwang auf. "Mornuan!" Aragorn
sprang von seinem Stuhl auf und stürmte auf die
Frau zu, um sie mit einem leidenschaftlichen Kuss zu
begrüßen. Laietha zog eine Augenbraue hoch.
Es sah ihrem Bruder so gar nicht ähnlich, seine
Würde dermaßen zu vergessen. Es schien fast,
als hätte er seine Gäste ganz und gar vergessen.
Laietha räusperte sich. Boromir knuffte sie mit
dem Ellenbogen leicht in die Seite. "Lass ihn doch,"
grinste er. Als Aragorn endlich damit fertig war, die Frau zu
begrüßen, geleitete er sie galant zu dem
Platz an seiner Seite - mit einem breiten Lächeln
auf den Lippen. Sie war ganz in schwarz gewandet. Ihr Kleid flatterte
im milden Abendwind, der durch die hohen Fenster in
den Raum strömte und die Abendsonne fing sich in
den winzigen Perlen, die darauf gestickt waren. Ihr
Haar floss über ihre Schultern, als hätte
es ein Eigenleben. Sie trug eine sehr teuer aussehende
Halskette aus Silber, in die Edelsteine so rot wie Blut
eingefasst waren. Ihr Blick fiel auf Laietha. "Ich bin sehr froh, euch wieder auf den Beinen
zu sehen," sagte sie in ihrer wohltönenden
Stimme. Laiethas Miene gefror. "Ich danke euch,"
erwiderte sie förmlich. Aragorn klatschte in die Hände und das Essen
wurde aufgetragen. Es gab frische Früchte, Käse,
frisch gebackenes Brot und aus den vielen Schüsseln
stiegen wunderbare Düfte in ihre Nasen. Guter Wein
war mehr als reichlich vorhanden und selbst Aiglos und
Ionvamir durften zur Feier des Tages ein Gläschen
davon probieren. Sie ließen sich das Essen schmecken und bald
schon herrschte wieder ausgelassene Stimmung in der
Runde. Nur Laietha war ungewöhnlich still. Boromir
berührte unauffällig ihre Hand. "Was
ist mit dir? Fühlst du dich nicht wohl?" Seine
Frau schüttelte den Kopf. Irgendwie war ihr seltsam
zu Mute, aber sie konnte nicht feststellen warum. Aragorn kümmerte sich recht wenig um sie. Er
war damit beschäftigt, Mornuan zärtliche Dinge
ins Ohr zu flüstern und sie mit kleinen Happen
von seinem Teller zu füttern. Mornuan kicherte
wie ein Schulmädchen und Aragorn hauchte ihr einen
Kuss auf den Hals. Laietha verzog das Gesicht. "Ich
habe ihn noch nie so glücklich gesehen," lächelte
Boromir. Laietha murmelte etwas Unverständliches und
Boromir schüttelte den Kopf. Er legte ihr die Hand
aufs Knie. "Benimm dich gefälligst,"
zischte Laietha ihn an und stieß seine Hand fort.
Boromir seufzte und widmete sich wieder seinem kleinen
Bruder. "Na, Faramir, wie fühlt man sich denn nun
als Vater zweier Kinder? Willst du immer noch mehr von
der Sorte?" Der Fürst von Ithilien lachte
laut. "Bei den Valar, nein! Zwei sind vollauf genug!"
Boromir grinste ihn an. "Da kann ich mich aber
noch an ganz andere Worte aus deinem Munde erinnern,
Brüderchen. Da waren von dreien oder gar noch mehr
die Rede..." Faramir tätschelte mit einem
schelmischen Lächeln seine Schulter. "Oh,
lass nur, Bruderherz. Bis jetzt haben wir Glück
gehabt, aber wir wollten auf keinen Fall das Risiko
eingehen, dass das nächste Kind zu sehr nach dir
schlagen würde." Boromir lachte leise vor
sich hin. "Bis jetzt habt ihr Glück gehabt? Ach,
was weißt du denn schon? Warte nur, bis sie älter
werden! Kleine Kinder - kleine Sorgen, große Kinder
- große Sorgen, wie das Sprichwort so schön
sagt." Das erinnerte ihn doch an etwas...er sah
zum anderen Ende des Tisches hinüber, wo Luthawen
noch immer in ein angeregtes Gespräch mit Olbern
vertieft war. Sie waren dichter zusammengerückt
und lächelten sich unentwegt an, während sie
miteinander sprachen. Boromir verzog grimmig das Gesicht.
Nun war es sein Bruder, der leise zu lachen begann.
"Sie passen ganz gut zueinander, findest du nicht
auch?" Boromir funkelte ihn wütend an und
Faramir hob abwehrend die Hand. "Musst ja nicht
gleich ärgerlich werden, Bruder!" Boromir erhob sich und ging auf seine Tochter zu.
"Lutha, sei ein nettes Mädchen und geh mal
einen Moment zu deiner Mutter, ja? Ich würde mich
auch gern einmal mit unserem jungen Freund hier unterhalten."
Luthawen hob eine Augenbraue, protestierte aber nicht,
sondern tat, wie man sie geheißen hatte. Olbern
lächelte Boromir freundlich zu. "Es ist mir
eine Ehre, dass ihr meine Gesellschaft aufsucht, mein
Herr." Das war auch nicht gelogen, Boromir wusste,
dass Olbern ihn sehr schätzte. Er begann, sich
ein wenig unsicher zu fühlen und rutschte unentschlossen
auf seinem Stuhl hin und her. Mit gesenktem Kopf begann er zu sprechen: "Du
magst meine Tochter ziemlich gerne, nicht wahr?"
Allein schon als er sie erwähnte, hellte sich das
Gesicht des jungen Mannes merklich auf. "Oh ja!
Sie ist wirklich ein wundervolles Mädchen! Ich
habe sie vom ersten Tag an gemocht! Mit ihr ist es nie
langweilig geworden!" Er strahlte Luthawen an und
sie warf ihm einen besorgten Blick zu, aber er lächelte
aufmunternd zurück. Boromir nickte. "Ja, ja,
schon recht. Ihr kennt euch ja auch schon sehr lange."
Nun nickte der junge Beorninger. "Ich bin gesegnet
worden, ihre Bekanntschaft machen zu dürfen. Noch
nie in meinem ganzen Leben bin ich einem Mädchen
von solcher Schönheit und Güte begegnet wie
ihr." Boromir starrte ihn an. als hätte er
gerade eine Kröte verschluckt. Jetzt reichte es
wirklich. "Sieh mal Olbern, du bist ein netter
junger Mann..." begann er. Luthawen schlenderte zu ihrer Mutter hinüber.
Die Kriegerin hatte nun neben Eowyn Platz genommen und
ihre Tante redete mit Laietha, die eher unbeteiligt
am Tisch saß. Irgendwie wirkte ihre Mutter leicht
abwesend. Luthawen gesellte sich zu ihnen und Eowyn
bekräftigte erneut, was für eine hübsche
junge Dame aus ihr geworden war. Luthawen errötete
verschämt und Eowyn lachte. "Und ich scheine
nicht die Einzige zu sein, der das aufgefallen ist,"
schmunzelte sie indem sie mit einem Kopfnicken auf Olbern
deutete. Laietha und Luthawen folgten ihrem Blick und
Luthawen senkte verlegen den Kopf. In Laietha allerdings erwachten die Lebensgeister,
als sie ihren Mann entdeckte, der mit Olbern sprach.
Irgendwie gefiel ihr sein Blick nicht. "Entschuldigt
mich bitte einen Augenblick," sagte sie und stand
auf. Eowyn sah sie verdattert an. "Was hast du
denn vor?" fragte sie neugierig. Laietha schenkte
ihr ein gequältes Lächeln. "Verhindern,
dass mein Mann eine Dummheit begeht!" Olbern lächelte ihn freundlich an. "Ich
danke euch, mein Herr." Boromir sah ihn verdutzt
an. Die guten Manieren des jungen Mannes brachten ihn
völlig aus dem Konzept. Er atmete tief durch. "Ja,
aber..." "Boromir, geh doch Olbern nicht mit Geschichten
über den Krieg auf die Nerven." Laietha legte
ihrem Mann lächelnd, aber bestimmt eine Hand auf
die Schulter. Er und Olbern sahen sie gleichermaßen
verwirrt an. "Du willst mich doch nicht etwa den
ganzen Abend über alleine lassen, oder?" säuselte
sie kokett. Er wollte sie gerade in die Schranken weisen, als
Aragorn aufstand und sein Glas erhob. Schnell huschten
alle auf ihre Plätze zurück und erwarteten,
was der König zu sagen hatte. Als er sich der Aufmerksamkeit
aller gewiss war, ergriff Aragorn das Wort. "Ich bin ausgesprochen froh, heute Abend all
die Menschen, die mir wichtig sind, hier zu sehen."
Aragorn bedachte seine Schwester mit einem liebevollen
Lächeln. "Ich könnte mir keinen besseren
Augenblick als diesen vorstellen, um zu verkünden,
was ich zu sagen habe." Laietha versteifte sich
und auch die anderen lauschten gespannt auf das, was
gleich kommen würde. "Ich weiß, dass die Valar mich gesegnet
haben, weil ich Menschen wie euch meine Freunde nennen
darf, liebe Eowyn und lieber Faramir. Und noch mehr
haben sie mich mit meiner Familie beschenkt." Er
sah Boromir lächelnd an. "Einige meiner Freunde
sind ein Teil davon geworden. Ich bin überglücklich,
euch in dieser Stunde hier zu sehen, und dabei lasse
ich keinen aus." Ionvamir gab Aiglos einen kleinen
Knuff und die Jungs begannen zu johlen und zu applaudieren,
wofür sie von ihren Müttern strafende Blicke
ernteten. Aragorn zwinkerte ihnen zu und lachte. "Ich bin sehr damit beschäftigt gewesen,
den Frieden in diesem Land zu erhalten und ohne euch
hätte ich das sicher nicht geschafft. Wann immer
ich eure Hilfe und Stärke brauchte, wart ihr an
meiner Seite und habt mich in allem unterstützt.
Aber ich habe mich immer nach einer Familie gesehnt
und bis jetzt war es mir nicht vergönnt, eine eigene
Familie zu gründen." Alle waren still und Laietha und Boromir sahen sich
an. Die Frau erinnerte sich daran, wie oft Aragorn melancholisch
geworden war, wenn er ihre kleine Familie besucht hatte
und wie viele Gespräche sie geführt hatten,
bei denen er ihr fast schuldbewusst gestanden hatte,
wie einsam er sich manchmal fühlte. Und wie oft
hatte sie ihn selbst gedrängt, endlich Arwen zu
vergessen und sich auf die Suche nach einer Frau zu
machen, der er sein Herz schenken könnte. Faramir nahm Eowyns Hand. Obwohl er sehr gute Freunde
hatte - wie einsam würde er sich ohne seine Frau
und ihre Kinder fühlen! Aragorn nahm Mornuans Hand, die sich nun ebenfalls
erhob. "Liebe Freunde, meine teure Familie, ich
möchte, dass ihr die ersten seid, die es erfahren.
Heute in einem Monat werde ich diese Frau zu meinem
Weib nehmen." Er umfasste Mornuans Hüfte und
zog sie in seinen Arm, um sie lange zu küssen.
Die Gäste erhoben sich und klatschten freudig in
die Hände. Laietha fühlte etwas kaltes, nasses auf ihrer
Wange. Boromir sah sie an - sie war kreidebleich. Er
legte ihre Tränen falsch aus und drückte ihre
Hand. "Ist das nicht wundervoll? Endlich wird auch
er eine Familie gründen können!" Ihr Bruder trat zu ihr und nahm sie fest in den Arm.
"Warum weinst du? Freust du dich denn gar nicht
für mich, liebste Schwester?" Sie rang sich
ein Lächeln ab. "Doch, ich bin glücklich,
wenn du es bist. Ich bin wohl noch etwas schwach auf
den Beinen und fühle mich nicht wohl. Vielleicht
bin ich nur müde." Er strich ihr sanft über
die Wange. "Du solltest zu Bett gehen. Es macht
mir nichts aus. Gewiss bleibt ihr bis nach der Hochzeit
hier - wir werden noch viele gemeinsame Abende haben."
Sie nickte. Auch die anderen gratulierten Aragorn von ganzem
Herzen. Mornuan trat zu Laietha. "Ist das nicht
wundervoll? Nun werden wir Schwägerinnen sein!"
Sie lächelte die Kriegerin an, aber in ihren Augen
las Laietha etwas ganz anderes. Die Kriegerin fühlte
sich wie ein Wurm an einem Angelhaken. Sie musste unbedingt
hier raus. Nachdem alle dem König gratuliert hatten, verabschiedete
sich Laietha, um zu Bett zu gehen. Auch Olbern und Luthawen
verließen das Fest mit der Kriegerin, um sie auf
ihr Zimmer zu geleiten. Die anderen blieben, um die
gute Nachricht gebührend zu feiern. Aiglos und
Ionvamir waren froh, weil sie länger aufbleiben
durften, und obwohl Auranor fast auf dem Schoß
ihrer Mutter einschlief, wollte sie um keinen Preis
der Welt etwas von dem Fest verpassen und so durfte
auch sie bleiben. *** Die Nacht war warm und klar - eine wohltuende Abwechslung
nach der Hitze des Tages. Luthawen bat ihre Mutter,
noch einen Spaziergang mit Olbern machen zu dürfen
und Laietha schlug ihrer Tochter diese Bitte nicht ab. "Worüber hat denn mein Vater mit dir gesprochen?"
wollte Luthawen von Olbern wissen. Der zuckte nur mit
den Schultern. "Das hab ich nicht erfahren, weil
deine Mutter ihn nicht hat ausreden lassen." Das
Mädchen lächelte verschmitzt. "Dann war
es gewiss besser so. Normalerweise weiß sie ganz
gut, was sie tut." Sie waren im Schlossgarten angekommen und nahmen
auf einer kleinen Bank in der Nähe eines Springbrunnens
Platz. Die Grillen zirpten im Gras und die Luft war
erfüllt vom schweren Duft der Rosen. Eine Nachtigall
sang irgendwo versteckt in den Büschen. Sie schwiegen eine ganze Weile lang und genossen
die Nacht. Luthawen rutschte vorsichtig etwas dichter
an Olbern heran und nach langem Zögern legte er
ihr den Arm um die Schultern - bis in die Haarspitzen
gespannt vor Aufregung. Sie blieb neben ihm sitzen und
wich nicht zurück. Erleichtert stieß er den
Atem aus, den er bis eben angehalten hatte und entspannte
sich ein wenig. Er konnte den Duft ihrer Haare selbst zwischen dem
Geruch der Rosen ausmachen. Luthawen lehnte ihren Kopf
gegen seine Schulter. Nach einer Weile begann sie ein
leises Lied in einer fremden Sprache zu singen. Olbern
schloss die Augen und lauschte, bis sie verstummte. "Das war wunderschön," seufzte er
und das Mädchen lächelte verschämt. "Der
Vogel hat mich an dieses Lied erinnert. Es erzählt
die Geschichte von Luthien Tinúviel. Ihr Name
bedeutet Nachtigall." Schüchtern sah sie ihn
an. In seinen Augenwinkeln schimmerten Tränen,
aber er lächelte verklärt. "Wunderschön,"
wiederholte er. "Was sagen sie über die Frau?"
Luthawen seufzte schwer. "Sie war eine Elbin und schenkte ihre Liebe
einem Sterblichen - dem Krieger Beren. Für ihn
gab sie die Unsterblichkeit ihres Volkes auf und starb."
Olbern streichelte sanft ihre Wange. Sie sah im Mondlicht
so zerbrechlich aus. "Wie traurig," meinte
er mit einem Kopfschütteln. Luthawen sah ihn an.
"Das dachte ich zuerst auch, aber heute sehe ich
es anders." Olbern hob interessiert seine Braue.
Luthawen erklärte es ihm. "Sie hat ihn
so sehr geliebt, dass sie lieber nur kurz, aber mit
ihm gemeinsam auf dieser Welt verweilen wollte, als
ihre Liebe zu verraten und das hat beide unsterblich
gemacht - in den Liedern und Geschichten der Elben und
Menschen." Ihre Blicke trafen sich. "Du bist
so viel klüger als ich," lächelte Olbern.
Sie brachen beide in Gelächter aus. "Ich schätze,
wenn du das meinem Großvater sagen würdest,
wäre er gewiss anderer Meinung!" schmunzelte
das Mädchen. Wieder verfielen sie ins Schweigen.
Luthawen berührte gedankenverloren sein Haar.
Der junge Mann erschauderte unter ihrer Berührung.
Er fragte sich, ob er nicht versuchen sollte, sie zu
küssen, aber allein bei dem Gedanken daran, wurde
ihm ganz schwindelig vor Angst. Was, wenn sie nun gar
nicht so für ihn empfand, wie er für sie?
Sie kannten sich nun schon so lange und waren gute Freunde!
Was, wenn er mit dieser unüberlegten Sache alles
kaputtmachen würde, was zwischen ihnen... Er spürte ihre weichen Lippen auf seinen. Völlig
überrumpelt wich er zurück. Luthawen errötete
- selbst im blassen Licht des Mondes konnte er es sehen.
Sie sprang auf und vergrub ihr Gesicht in den Händen.
"Oh, tut mir leid!" rief sie und schüttelte
verzweifelt den Kopf. "Das wollte ich nicht...also...ich
wollte es schon...es ist nur...ich wollte...ich...ich
bin so schrecklich dumm, Olbern! Verzeih mir...ich..."
Sie machte auf dem Absatz kehrt und wollte davon stürmen.
Aber nun endlich fand Olbern wieder zu sich. Er sprang auf und zog sie in seine Arme. "Nein,
Lutha, was redest du nur!" rief er lachend. "Du
bist nicht dumm! Es ist nur so - nichts hat sich geändert."
Sie wagte es, den Kopf zu heben und ihm in die Augen
zu sehen. Er lächelte sie warm an. "Nichts
hat sich geändert. Du bist immer noch die Mutigere
von uns beiden." Jetzt endlich hatte er genug Mut
und zog sie fester an sich heran. Er nahm ihr Kinn sanft
zwischen seine Finger und küsste sie. *** Sie brauchte einfach etwas frische Luft. Seit Laietha
den Speisesaal verlassen hatte, ging es ihr schon ein
wenig besser, warum wusste sie zwar auch nicht, aber
es war ihr auch egal. Auch warum sie angefangen hatte
zu weinen, als Aragorn seine Verlobung bekannt gegeben
hatte, konnte sie sich nicht mehr erklären. Sie
hätte sich für ihn freuen sollen - das hatte
sie aber nicht. Jetzt sei kein Dummkopf, schalt sie sich selbst.
Nun, irgendwie konnte sie diese Mornuan nicht ausstehen,
auch wenn es dafür keinen Grund gab. Sie hatte
sich ihr gegenüber sehr freundlich benommen und
ihr Bruder war ein weiser Mann - wenn etwas mit ihr
nicht in Ordnung wäre, hätte er es sicher
bemerkt. Oder etwa nicht? Sie stieß gegen einen anderen Passanten, als
sie so gedankenverloren durch die Stadt lief. Wieder
in die Realität zurückgeholt, entschuldigte
sie sich hastig mit ein paar gemurmelten Worten. Der
Mann, der vor ihr stand, musterte sie interessiert.
Plötzlich brach er in Gelächter aus und umarmte
sie heftig. "Wenn das nicht Laietha ist! Sprich,
was führt dich denn hierher? Wir haben uns ja schon
eine Ewigkeit nicht mehr gesehen!" Die Kriegerin zuckte zurück, noch immer in der
Umklammerung des Fremden und musterte den Mann. Er mochte
Ende Zwanzig sein, sein Haar war schwarz und seine Augen
grau - ganz ohne Zweifel ein Mann Gondors. Er trug die
Uniform von Ithiliens Wache. Langsam dämmerte ihr,
wen sie da vor sich hatte. "Bergil, bist du das etwa?" fragte sie
ungläubig und der Mann nickte. Nun umarmte auch
sie ihn fest. "Ich bin schrecklich lange nicht
mehr hier gewesen! Soviel hat sich hier verändert,
wie es scheint..." Bergil lachte laut. "Dann
bin ich ja froh, dass du mich erkannt hast, bevor du
mich in kleine Stückchen schneiden konntest, weil
du mich für einen Räuber oder Dieb hältst."
Laietha winkte abwehrend ab. "Oh nein, die Zeiten sind vorbei. Ich bin ruhiger
geworden." Er schüttelte den Kopf und schenkte
ihr ein wissendes Lächeln. "Versuch mich nicht
auf den Arm zu nehmen, Frau Annaluva. Aber komm doch
mit mir! Die Straße ist wahrlich nicht der richtige
Ort, um ein so fröhliches Wiedersehen zu feiern." Er führte sie in eine kleine Wirtschaft, wo
sie sich an einen Tisch in der Ecke setzten, um ungestört
ihr Wiedersehen feiern zu können. Bei einem kühlen
Bier und einem gemütlichen Pfeifchen berichteten
sie sich, was sich in den letzten Jahren zugetragen
hatte. "Es tut mir schrecklich leid das sagen zu
müssen und ich hoffe, dass du es mir nicht übel
nahmen wirst, Laietha, aber du siehst diesmal so viel
müder und älter aus als sonst. Wenn ich deinen
roten Schopf nicht hätte leuchten sehen, hätte
ich dich fast nicht erkannt." Laietha griff nach einer Strähne ihres roten
Haares und betrachtete nachdenklich die ersten grauen
Haare die zwischen den dunklen Locken hervorblitzten.
Sie seufzte, aber dann huschte ein Lächeln über
ihr Gesicht. "Muss wohl daran liegen, dass ich
alt bin, mein Freund," grinste sie schelmisch.
Bergil lachte zunächst, verzog dann aber die Miene
und wurde wieder ernst. "Nun, vielleicht ist alt auch nicht das rechte
Wort für das was ich meine. Vielmehr trifft es
besorgt. Ist etwas nicht in Ordnung? Stimmt was mit
deiner Familie nicht? Ich habe sie noch gar nicht hier
gesehen!" Laietha berichtete ihm, wo sie waren
und verfiel dann ins Schweigen zurück. Ihr junger
Freund schüttelte den Kopf. "Das sieht dir
gar nicht ähnlich, dass du so still und ernst bist,
Laietha. Was ist denn geschehen?" Laietha schüttelte verärgert über
sich selbst den Kopf. "Eigentlich nichts. Meiner
Familie geht es gut. Lutha ist zum ersten Mal verliebt
- natürlich hat sie es mir nicht gesagt, aber ich
sehe es in ihren Augen, jedes Mal, wenn sie und Olbern
zusammen sind. Alt bin ich vielleicht, aber nicht blind."
Die Kriegerin lächelte und Olbern ergriff ihre
Hand. "Ihr müsst überglücklich sein.
Ich habe den jungen Olbern ein paar Mal in den letzten
Jahren getroffen und ich muss schon sagen, er ist ein
ausgesprochen feiner Kerl. Das sind doch wunderbare
Nachrichten." Laietha schmunzelte in sich hinein,
als sie an ihren Mann dachte. "Ich für meinen Teil könnte nicht
zufriedener sein, aber Boromir hat wohl Angst, sein
kleines Mädchen zu verlieren." Sie lachte
leise. "Er tut sich so schwer damit, sie loszulassen!
Manchmal erdrückt er sie fast mit seiner Liebe!"
Beide sahen sich an und grinsten breit. Sie kannten
Denethors Sohn genau. Nach einer Weile, die sie mit
Scherzen über Boromirs Beschützerinstinkt
verbracht hatten, wurde Bergil wieder ernst. "Du weichst mir aus, Laietha. Jetzt sag schon,
was los ist. Willst du es einem alten Freund nicht erzählen?"
Sie überlegte kurz. Gewiss würde Aragorn
es seinem Volk selbst verkünden wollen, aber sie
brauchte jemanden, mit dem sie jetzt reden konnte. "Ich
weiß, dass es dumm ist, aber ich mache mir Sorgen
um meinen Bruder." Sie zuckte hilflos mit den Schultern.
"Zumindest glaube ich, dass ich mir Sorgen mache."
Bergil sah sie erstaunt an. "Was ist denn los?
Geht es ihm nicht gut? Mir ist davon noch gar nichts
zu Ohren gekommen! Sprich schon, Laietha!" Die Kriegerin massierte ihre schmerzenden Schläfen.
Das Bier begann ihr zu Kopf zu steigen und plötzlich
kam sie sich einfach idiotisch vor. Sie seufzte laut.
"Wie ich schon sagte - es ist dumm. Aragorn will
heiraten." Bergil lachte laut auf. "Dann hat
er sie also endlich gefragt, ja? Das wurde aber auch
Zeit! Die ganze Stadt redet seit Wochen von nichts anderem
und jeder fragt sich, wann er ihr wohl einen Antrag
machen würde." Laietha starrte ihn verdutzt an, schalt sich dann
aber eine Närrin. Gerüchte, die den König
betrafen, machten in Windeseile die Runde. "Sie
ist eine wunderschöne Frau," fuhr Bergil fort.
"Wenn ich nicht schon in festen Händen wäre,
hätte ich selbst um sie angehalten. Du weißt
ja," setzte er mit einem Augenzwinkern hinzu, "ich
habe eine Schwäche für ältere Frauen."
Laietha lachte und entschied sich, das Thema zu wechseln.
"So, du hast also auch eine Familie gegründet
und mir nichts davon gesagt? Nun lass dich nicht lange
bitten und berichte mir alles!" Er lachte und bei
einem frischen Glas Bier und einer neuen Pfeife, begann
Bergil von seiner Frau und seinen drei kleinen Kindern
zu erzählen. Sie verbrachten noch ein paar fröhliche Stunden
beisammen, bis der Wirt endlich an ihren Tisch trat
und sie darauf aufmerksam machte, dass er schließen
wollte. Die beiden waren die letzten Gäste. Bergil
brachte Laietha noch zum Palast. Auf dem Weg dorthin
zeigte er ihr voller Stolz sein kleines Haus, in dem
er und seine Frau mit den Kindern und ihren Eltern wohnten.
Ein Soldat der Wache Ithiliens verdiente nicht schlecht.
Laietha neckte ihn damit, dass er seiner Frau wohl Rede
und Antwort stehen müssen würde, weil er gut
vier Stunden zu spät und einigermaßen angeheitert
vom Dienst nach Hause kam. Zum Abschied drückte er sie fest an sich. "Mach
dir bitte keine Sorgen, Laietha. Er ist ein kluger Mann,
wenn sie ihm Böses wollte, hätte er es bestimmt
bemerkt." Laietha verzog das Gesicht. Sie teilte
die Meinung ihres jungen Freundes nicht im Geringsten.
Bergil lachte leise und die Kriegerin sah ihn verwundert
an. "Lass ihn los, Laietha! Du wirst ihn nicht
verlieren. Erdrück ihn nicht mit deiner Liebe!"
Sie öffnete den Mund, um zu protestieren, schloss
ihn aber rasch wieder, weil sie sich ertappt fühlte.
"Du solltest glücklich für ihn sein.
Sieh mal, du hast doch schon eine wundervolle Familie
- verwehre ihm nicht das Recht, selbst eine zu gründen."
Laietha nickte und Bergil umarmte sie noch einmal herzlich.
Sie wünschten sich eine gute Nacht und begaben
sich dann zu ihren Schlafstätten. ***
Ihr Kuss schien ewig zu dauern. Langsam wurde Olbern
mutiger und seine Hände fuhren sanft über
ihren Rücken. Luthawen presste sich fest an ihn
und spielte mit seinem Haar. Plötzlich hörten
sie ein Kichern und eine Kirsche traf Olbern am Ohr.
Sie sprangen erschreckt auseinander und Gelächter
wurde laut. Luthawen wusste ganz genau, wer die Frucht
auf Olbern geworfen hatte. "Aiglos!" brüllte sie wütend
und aus einem nahen Kirschbaum sprangen Aiglos und Ionvamir
hervor. Faramirs Sohn versteckte schnell die kirschroten
Finger hinter seinem Rücken. "Warum treibst
du dich hier draußen rum? Solltest du nicht mit
Vater bei dem Fest sein und jemand anderen auf die Nerven
gehen?" Aiglos begann albern zu kichern. "OH.... Lutha hat einen Freund!" lachte
er boshaft. Luthawen verengte die Augen zu Schlitzen.
"Oh...Aiglos wird ein großes Problem haben,
wenn er es weitertratscht!" drohte sie im selben
Tonfall wie ihr Bruder. Olbern war knallrot angelaufen.
"Oh Olbern!" säuselte Aiglos und gab
schmatzende Laute von sich. Seine Schwester machte einen
Satz auf ihn zu, aber er war schneller und so bekam
sie nur ein Büschel Gras zu packen. "Du wolltest Onkel Aragorn wohl alles nachmachen,
he?" ärgerte ihr Bruder sie weiter. Olbern
sah ein gefährliches Feuer in Luthawens Augen aufblitzen.
"Wart nur ab, bis ich dich zu packen kriege, Aiglos!
Mach schon mal dein Testament!" schnaubte sie und
stürmte ganz und gar nicht damenhaft auf ihren
Bruder zu. Der Junge lachte und machte auf dem Absatz
kehrt. "Dazu musst du mich erst mal kriegen! Und wenn
Vater davon erfährt, kannst du dein Testament machen!"
krächzte die Stimme von Aiglos nun in einiger Entfernung.
Olbern stand immer noch da, wie bestellt und nicht abgeholt.
Ionvamir musterte ihn von Kopf bis Fuß. "Ein Mädchen zu küssen, wie eklig!"
grinste er und rannte schnell davon bevor der junge
Beorninger etwas erwidern konnte. *** "Wo zum Balrog bist du gewesen? Verdammt, ich
habe überall nach dir gesucht! Ich dachte, dir
wäre etwas zugestoßen!" Boromir war
sofort aufgesprungen, als seine Frau den Raum betreten
hatte. Seine Miene war sorgenvoll. Laietha schlüpfte
aus ihren Schuhen. "Ich war spazieren." Boromir
schüttelte den Kopf. "Du hast gesagt, dir wäre nicht gut und
du wolltest dich ausruhen! Ich bin in den Häusern
der Heilung gewesen, aber da konnte mir auch niemand
sagen, wo du bist!" Laietha zog sich aus und ging
sich die Zähne putzen und sich waschen. "Ich
hab Bergil unterwegs getroffen und wir haben die Zeit
vergessen. Mach dir keine Gedanken, es geht mir gut."
Boromir schüttelte wütend den Kopf. "Kriegerweib!" schnaubte er. Laietha legte sich ins Bett und lächelte ihn
einladend an. "Wo hast du denn unsere Tochter gelassen?"
fragte Boromir, sich zu ihr aufs Bett setzend. Laietha
kuschelte sich in die weichen Kissen und seufzte zufrieden.
Boromirs Miene war schon ein wenig weicher geworden
und er strich ihr sanft übers Haar. Laietha lehnte
sich in die Berührung und lächelte, als sie
an ihr Gespräch mit Bergil dachte. "Sie ist kein Kind mehr, Boromir." Boromir
zog die Hand von ihrem Gesicht zurück und sah sie
herausfordernd an. "Was meinst du damit? Wo ist
sie? Antworte, Weib!" Laietha unterdrückte
ein Gähnen. "Mach dir um sie keine Sorgen. Olbern ist bei
ihr. Nichts wird geschehen..." Boromir packte sie
an den Schulter. "Willst du mir erzählen,
dass sie da draußen ist, mit diesem..." "...wirklich
sehr gut erzogenen, netten jungen Mann," beendete
seine Frau den Satz für ihn. Er sprang mit einem
wütenden Fluch auf und zog seine Stiefel an. Laietha
verdrehte die Augen und richtete sich auf ihrem Ellenbogen
auf. Sie beäugte ihren Mann skeptisch. "Und
was hast du jetzt vor?" Er funkelte sie böse
an. "Unsere Tochter retten, was sonst!" "Warte nur, du miese kleine Ratte! Wenn ich
dich erwische, wird dein Leben ein grausames Ende nehmen!"
hörten sie ihre Tochter auf dem Flur krakeelen.
Schnelle Schritte näherten sich ihrer Tür.
"Verflucht, Lutha! Es war doch nur Spaß!
Tu mir nichts!" Das war Aiglos. "Sei froh,
wenn ich dir nur ein paar Knochen breche! Du hättest
noch viel mehr verdient! Vielleicht zwinge ich dich,
Regenwürmer zu essen!" Die Stimme ihrer Tochter klang diesmal viel näher.
"Lutha, nein! Ich werde es niemandem erzählen!
Ich schwöre es! Nicht!" Laietha und ihr Mann
hörten einen spitzen Schrei. Boromir seufzte und
seine Frau grinste breit. "Ich schätze, sie
kann ganz gut auf sich selbst aufpassen, meinst du nicht?"
Die Tür flog mit einem Knall auf und Boromirs
Blick fiel auf Luthawen, die auf der Brust ihres Bruders
kniete. Aiglos wand sich wie ein Aal, um sich zu befreien.
Der Junge sah sehr zerzaust aus. "Hab ich dich
endlich, du mieses Stück..." "Ist das eine Art, sich als Gäste zu benehmen?"
donnerte Boromirs Stimme und die Kinder waren sofort
still. Sie starrten in das wütende Gesicht ihres
Vaters. "Macht gefälligst nicht solchen Lärm!
Ihr werdet sofort auf euer Zimmer gehen und euch so
benehmen, wie man es von der Nichte und dem Neffen des
Königs erwartet oder ihr werdet morgen früh
nach Hause geschickt!" Luthawen stand rasch auf und klopfte sich verlegen
den Staub vom Kleid. Aiglos hielt sich mit Unglücksmiene
den Kopf und erhob sich ein wenig benommen. "Es
tut mir leid, Vater," murmelte Luthawen beschämt.
"Entschuldigung, Papa," brummelte Aiglos.
"Darüber werden wir morgen früh noch
ausführlichst sprechen," knurrte Boromir.
"Und jetzt verschwindet auf euer Zimmer und ich
will keinen Ton mehr hören, ist das klar?"
schnaubte der Vater der beiden. Die Kinder nickte und schlichen so leise wie möglich
auf ihr Zimmer - Aiglos möglichst weit von seiner
großen Schwester entfernt. Mit einem Kopfschütteln
schloss Boromir die Tür hinter sich und drehte
sich zu seiner Frau, die ihn mit hochgezogenen Augenbrauen
ansah. "Und du hast gesagt, sie wäre kein
Kind mehr," grinste er Laietha triumphierend an. *** Das Wetter am Morgen war wunderschön gewesen
und nun brannte die Sonne vom Himmel herab. Boromir
war zusammen mit Aiglos, Luthawen und Ionvamir ausgeritten,
nachdem die Kinder am Morgen eine gehörige Standpauke
von ihrem Vater zu hören bekommen hatten. Laietha
hatte sich im Hintergrund gehalten und sich das Lachen
verbissen. Natürlich war auch Boromir eher amüsiert
gewesen, aber die Geschwister brauchten von Zeit zu
Zeit eine Abreibung. Und der Sohn des ehemaligen Stadthalters
konnte furchtbar streng wirken, wenn er wollte. Nun
hatte sich Boromir vorgenommen, den Kindern einige nette
Flecken außerhalb der Stadt zu zeigen, an denen
er schon in seiner Jugend sehr gerne gewesen war. Laietha hatte die Gelegenheit genutzt, um in den
Garten zu gehen und die Sonne zu genießen. Sie
ließ sich auf einer kleinen Bank nieder und genoss
die Ruhe. Die Blumen verströmten ihren betörenden
Duft, in den Bäumen zwitscherten Vogel und die
Bienen summten geschäftig durch die Luft, um süßen
Honig zu schaffen. Der kleine Springbrunnen neben ihr
plätscherte vor sich hin. Laietha lächelte
zufrieden. Sie fuhr herum, als sie Schritte hörte. Es dauerte
einige Sekunden, bis sich ihre Augen an das Licht gewöhnt
hatten. Ihre Muskeln entspannten sich, als sie ihren
Bruder erkannte. Aragorn lächelte sie glücklich
an, wenn er auch ein wenig müde aussah. Gewiss
hatte er wieder bis spät in die Nacht gearbeitet.
"Endlich habe ich dich gefunden! Wie geht es dir?
Fühlst du dich besser?" Laietha erwiderte
sein Lächeln. "Ja, wahrscheinlich hat mich wirklich nur die
Reise zu sehr angestrengt." Aragorn drückte
sie fest an sich. "Das sind gute Nachrichten. Wir
haben uns große Sorgen um dich gemacht."
Wir, das klang so ungewohnt. Aber sie erinnerte sich
an das, was Bergil gesagt hatte und bei Tageslicht sahen
viele Schrecken der Nacht ganz anders aus. "Bitte
erzähl mir mehr von ihr, Dunai. Wo hast du sie
denn kennengelernt?" Er lächelte und begann zu berichten, worum sie
gebeten hatte. Vor einigen Monaten hatte er Mornuan
bei einer seiner Reisen in den Düsterwald kennengelernt.
"Ich habe mich vom ersten Augenblick an in sie
verliebt." Sie waren eine Weile lang zusammen gereist
und schließlich hatte Aragorn sie gebeten, mit
ihm nach Minas Tirith zu kommen.
(1)
Nein! (2) Seid gegrüßt, Freunde!
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