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Titel: Der
geschenkte Tag
(Seite 2) Autor: Naurdolien
"Sie
stammt aus einem Land weit im Osten - noch weiter als
Rhun entfernt. Selbst ich habe noch nie etwas davon
gehört. Ihr Vater war ein mächtiger Fürst
ihres Volkes, aber vor einigen Jahren rebellierte das
Volk, tötete ihren Vater und sie musste fliehen,
um ihr Leben zu retten. Lange streifte sie durch die
Länder und suchte nach einem Platz, an dem sie
endlich in Frieden leben können würde."
Er sah Laietha an und lächelte milde. "Du
weißt doch, dass ich eine Schwäche für
verlorene Mädchen in Not habe, nicht wahr?"
Er küsste sie sanft auf die Wange und Laietha lächelte. Nach einer Weile des Schweigens, umarmte er seine
Schwester. "Du musst dir keine Sorgen machen."
Sie schnappte erstaunt nach Luft, aber er schmunzelte
nur wissend. "Du musst ja nicht annehmen, dass
ich es nicht bemerkt hätte, Laietha. Ich liebe
sie. Du selbst weißt, wie viele Jahre ich einsam
gewesen bin und seit Arwen nach Valinor gesegelt ist,
hat keine Frau mehr mein Herz bezaubert so wie sie."
Sie nickte verstehend. "Ich bin froh, dass du endlich
jemanden gefunden hast, der dich glücklich macht.
Ich habe mich dumm benommen. Habe nicht ich selbst dir
oft in den Ohren gelegen und dir gesagt, du sollst dich
neu verlieben?" Sie sprach mehr zu sich selbst
als zu ihrem Bruder. Aragorn streichelte ihre Wange. "Sie wird
niemals deinen Platz in meinem Herzen einnehmen können.
Niemand kann das." Die Kriegerin sprang empört
auf und wollte ihn einen Dummkopf schelten, aber sie
wusste, dass es eine Lüge sein würde. Natürlich
war sie eifersüchtig. ´Früher hat man
mich für deine Tochter gehalten, heute denken sie,
ich wäre deine Geliebte und in ein paar Jahren
wird man sagen, ich sei deine Mutter,´ hatte sie
mehr als einmal gescherzt. Ihr Bruder kannte sie sehr gut. Laietha setzte sich
wieder hin. "Bitte, Aiwe, ich will, dass ihr gut
miteinander auskommt. Es liegt mir wirklich viel daran."
Laiethas Gesicht wurde weich und sie versprach, ihr
Bestes zu geben. Vielleicht sollte sie nur ein wenig
mehr Zeit mit ihr verbringen und sie besser kennen lernen.
Wenn Aragorn sie so sehr liebte, musste sie einfach
ein wunderbarer Mensch sein. Es war ein herrlicher Tag gewesen. Am Nachmittag
hatten Eowyn und Auranor Laietha einen Besuch abgestattet.
Das kleine Mädchen hatte Laietha gebeten, ihr Geschichten
zu erzählen und Lieder vorzusingen und die Kriegerin
hatte sich nicht lange bitten lassen. Eowyn hatte ihrer
Freundin lachend zugesehen und bald schon hatten die
Frauen Auranor gezeigt, wie man aus Gänseblümchen
Kränze wand. Auranor war tödlich beleidigt
gewesen, als ihre Mutter sie zum Mittagsschläfchen
gebracht hatte. Boromir und die Kinder waren am späten Nachmittag
von ihrem Ausritt zurückgekommen und während
Luthawen sich auf den Weg in die Stadt machte, um zwischen
den Ständen über den Markt zu schlendern hatten
Aiglos und Ionvamir die Erlaubnis ihrer Eltern eingeholt,
im nahen Flüsschen schwimmen zu gehen. Natürlich
hatten die Jungen nur Unfug im Sinn. Boromir und seine Frau erlaubten es und machten sich
ebenfalls zu einem kleinen Spaziergang durch die Gassen
der Stadt auf, denn Laietha hatte einen Stand mit besonders
schönen Stoffen entdeckt. *** "Ich wette du wirst nicht rankommen, ohne dass
sie dich erwischt," grinste Ionvamir. Aiglos gab
ihm ein siegessicheres Grinsen. "Wetten, dass doch,"
griente er, nachdem er die Lage fachmännisch untersucht
hatte. Die Jungen hockten in einem Gebüsch am Ufer
des Flusses und beobachteten eine Frau, die damit beschäftigt
war, ihre Wäsche im Fluss zu waschen. Ionvamir
schüttelte mitleidig grinsend den Kopf. "Und
ich halte dagegen. Sie passt viel zu gut auf. Und wenn
sie dich erwischt, steckst du bis zum Hals in Schwierigkeiten.
Meinst du, du kannst dir das leisten nach gestern Abend?"
Aiglos lächelte siegessicher. "Es wird ein
Kinderspiel sein, wenn ich ein wenig Hilfe hätte..." "Ugh, aua!" Aiglos wand sich unglücklich
im Griff der alten Frau. Sie ließ keine Gnade
walten und zog ihn unbarmherzig an seinem Ohrläppchen
zum Palast. "Dir werd ich's zeigen du Lümmel!
Meine Unterhosen stehlen zu wollen! Na warte, Bürschchen!
Was geht nur im Kopf von euch Spitzbuben vor?"
"Autsch, es war ja gar nicht meine Idee!"
jaulte Aiglos gequält. Ionvamir lief unschuldig
pfeifend in sicheren Abstand. Die alte Frau warf ihm
einen giftigen Blick zu, war aber augenscheinlich von
seiner Unschuld zumindest soweit überzeugt, dass
sie ihm nichts Gegenteiliges beweisen konnte. "Dein Vater wird dir schon Manieren beibringen,
du Lausebengel! Als ich in deinem Alter war, hatten
wir nicht genug Zeit, um uns die Langeweile mit solchen
dummen Streichen zu vertreiben!" Sie schleppte
den Unglücksraben ohne Mitleid zum Palast. Auf
ihrem Weg dorthin liefen sie Luthawen über den
Weg, die gerade mit Olbern über den Markt geschlendert
war und nun selbst zum Fluss wollte, um den Fischern
zuzusehen. Als sie ihren Bruder sah, schlug sie die Hände
über dem Kopf zusammen. Natürlich hatte er
sich mal wieder in Schwierigkeiten gebracht. "Aiglos!"
rief sie resigniert aus. "Bei den Valar, was hast
du nun schon wieder angestellt?" Die Frau hob ein
riesiges Paar Unterhosen in die Luft. "Er hat versucht,
mir das hier zu stehlen!" schnappte sie aufgebracht.
Luthawen schlug sich die Hand gegen die Stirn und Olbern
verkniff sich ein Schmunzeln, als er die Größe
der Unterhosen bedachte. "Du alberner Dummkopf! Warte nur, bis Vater
davon erfährt!" Der Junge machte ein unglückliches
Gesicht und dachte mit hängenden Schultern an die
Schelte, die folgen würde. Die Frau grummelte böse
vor sich hin. "Nicht nur, dass er versucht, meinen
Besitz zu stehlen, jetzt stiehlt dieser Knabe mir auch
noch die Zeit. Ich bitte euch, Herrin, bringt ihn zu
eurem Vater und sorgt dafür, dass er seine gerechte
Strafe bekommt, ja?" Luthawen versicherte ihr, dass sie das tun würde
und brachte Aiglos dazu, sich zu entschuldigen. Damit
gab sich die Frau zufrieden. Mit einem Blick auf ihren Cousin seufzte Luthawen:
"Warum kannst du dir nicht mal ein Beispiel an
Ionvamir nehmen? Du würdest sicher nicht so oft
in der Patsche sitzen, wenn du nur halb so anständig
wärst wie er. Hoffentlich steckst du ihn mit deinen
Flausen nicht noch an!" Aiglos wollte heftig protestieren,
verkniff sich dann aber jeden Kommentar. Es war schließlich
seine eigene Dummheit gewesen, dass er sich hatte erwischen
lassen und Petzen war nicht seine Art. Sie kamen dem Palast immer näher. Olbern hatte
sich verabschiedet und Aiglos noch viel Glück gewünscht.
Der Junge versuchte sich auf die Strafe einzustellen.
Er würde sie wie ein Mann ertragen - wenn er sich
nicht vorher irgendwie herausreden konnte. Auch Ionvamir
hatte sich aus dem Staub gemacht. Aiglos sah seine Schwester
flehend an. Er hatte Angst, dass sein Vater ihn sofort nach Hause
schicken würde, wenn er von dieser neuen Eskapade
seines Stammhalters erfuhr. Luthawen betrachtete das
Häufchen Elend an ihrer Seite und seufzte. "Na
gut, ich werde Vater nichts davon verraten..."
Aiglos fiel ihr jubelnd um den Hals. "Aber,"
fuhr seine große Schwester fort, "dafür
schuldest du mir was!" Der Abend war gekommen. Luthawen hatte ihr Versprechen
gehalten und ihren Eltern nichts gesagt. Boromir hatte
sich entschlossen, seinem Bruder und seiner Familie
einen kleinen Besuch abzustatten. Seine Kinder hatten
ihn nicht begleitet. Sie waren müde vom Ausritt
am Nachmittag und wollten schon früh zu Bett gehen.
Boromir hatte sie zwar skeptisch angesehen, aber
so hatte er wenigstens mal seine Ruhe und würde
nicht Gefahr laufen, einen Streit zwischen den Geschwistern
schlichten zu müssen. Auch Laietha kam nicht mit
ihm. Sie hatte einen Termin - Boromir hatte über
das Wort, das seine Frau gebraucht hatte lachen müssen
- mit ihrer zukünftigen Schwägerin. Die Frauen
wollten sich im Badehaus treffen. *** Laietha seufzte, als sie sich ins heiße Wasser
sinken ließ. Mornuan entkleidete sich und mit
einem anerkennenden Blick musste Laietha zugeben, dass
ihr Bruder Geschmack hatte. Die Frau sah wirklich verdammt
gut aus. Weder die Geburt von Kindern, noch harte Arbeit
hatten ihre Spuren auf dem makellosen Körper hinterlassen.
Ihre Haut war weiß wie Schnee und ebenmäßig.
Lächelnd kam sie zu Laiethas Badezuber getreten,
ohne jede Scheu oder Scham. Zunächst dachte die Kriegerin mit einem Schreck,
sie wollte zu ihr in den Zuber steigen. Dann griff die
Frau nach einem kleinen Flakon, der mit einer roten
Flüssigkeit gefüllt war. "Das ist ein
altes Geheimrezept aus meiner Heimat. Es hat entspannende
Wirkung. Vielleicht wollt ihr es versuchen." Laietha
musterte sie vorsichtig, aber was sollte schon geschehen?
Und außerdem erinnerte sie sich daran, warum sie
hier war - sie wollte die zukünftige Frau ihres
Bruders näher kennen lernen. Laietha lächelte und akzeptierte dankbar das
freundliche Angebot. Mornuan goss den Inhalt der Flasche
ins Wasser und es färbte sich blutrot. Ein angenehmer
Duft breitete sich im Raum aus. Laietha schloss genießerisch
die Augen und lehnte sich entspannt zurück. Sie
schwiegen einige Zeit lang. "Euer Bruder ist ein wundervoller Mann."
Laietha öffnete langsam die Augen. Fast wäre
sie eingeschlafen. "Ja, ihr könnt euch glücklich
schätzen, sein Herz erobert zu haben." Mornuan
sah sie lange an. "Sagt mir, warum ihr so viele
Narben habt, Schwester." Laietha sah lange an sich
herunter. Schön sahen die vielen Narben wahrhaftig
nicht aus. Mit einem Finger glitt sie gedankenverloren
über die lange Narbe quer über ihrer Brust
und sah sich ihre Arme an, die ebenfalls von ihren Schlachten
zeugten. "Das Kriegshandwerk ist grausam. Diese Narben
sind der Preis, den ich habe bezahlen müssen. Ich
bin froh, dass er nicht höher gewesen war."
Mornuan nickte. "Ich kenne den Krieg, denn ich
habe selbst schon viele Schlachten geschlagen."
Nun horchte Laietha auf, aber die Verlobte ihres Bruders
lachte. "Natürlich nicht auf dem Schlachtfeld
mit einer Waffe in der Hand. Aber sind die Intrigen
eines Hofes nicht auch mit einem Krieg zu vergleichen?"
Vielleicht hatte sie recht. Laietha erinnerte sich,
weshalb sie sich mit ihrer zukünftigen Schwägerin
getroffen hatte. "Erzählt mir woher ihr kommt. Berichtet
mir von eurem Volk, Mornuan, denn nicht einmal mein
Bruder vermochte es mir genau zu sagen." Eine Weile
lang sprach niemand, und Laietha hatte schon fast vergessen,
dass sie etwas gesagt hatte, aber dann ergriff Mornuan
das Wort. "Ich werde euch ein Lied aus meiner Heimat
vorsingen." Laietha lehnte sich zurück und
lauschte dem Gesang der Frau. Mornuan stimmte mit ihrer
melodiösen Stimme ein leises Lied an. Die Kriegerin fühlte sich schläfrig und
unterdrückte mit Mühe und Not ein Gähnen.
"Ich sollte bald zu Bett gehen," murmelte
sie. "Verdammt, Laietha sag doch etwas!" Die
Frau hustete und erbrach einen Schwall Wasser. Boromir
beugte sich über sie und half ihr, sich ein wenig
aufzurichten. Laietha zitterte wie Espenlaub. "Als ich zurückkam und ihr ein Handtuch
bringen wollte, sah ich, dass sie unter Wasser war!
Ich hatte solche Angst!" hörten sie die aufgeregte
Stimme von Mornuan im Hintergrund. Laietha hörte
die erstickten Schluchzer der Frau und die beruhigende
Stimme ihres Bruders, der sie tröstete. Laietha
hustete noch einmal, diesmal heftiger und spie einen
weiteren Schwall Wasser aus. Boromir presste sie fest
an sich, um sie zu wärmen. Fassungslos schüttelte
er den Kopf. "Bei Eru, du hättest ertrinken können!"
Laietha sank in seinen Armen zusammen und schloss die
Augen. Langsam wurde ihr Atem regelmäßiger.
"Ich muss eingenickt sein," flüsterte
sie mehr zu sich selbst als zu ihrem Mann. Boromir schüttelte
sich vor Grauen. Wenn Mornuan nicht rechtzeitig zurückgekommen
wäre... "Habt vielen Dank, Mornuan," sagte er,
seine Frau in seinen Arm hebend. Aragorns Verlobte hatte aufgehört zu weinen.
"Oh, es war mir ein Vergnügen," lächelte
sie charmant. Niemanden von ihnen war nun noch nach langem Aufbleiben
und so gingen sie alle zu Bett. Laietha wusste zwar
nicht mehr, warum sie so müde gewesen war. Vielleicht
war es dieses Entspannungsmittel von Mornuan. Es scheint
wahre Wunder zu wirken, dachte sie. Boromir zog sie
fest in seinen Arm. "Sachen machst du - du kannst froh sein, dass
Mornuan zur Stelle war, um dich da rauszuziehen!"
Laietha nickte und vergrub ihren Kopf an seiner Schulter.
Er zog sie noch dichter an sich heran, küsste ihren
Hals und streichelte ihren Körper zärtlich.
Plötzlich hielt er inne. "Was um alles in
der Welt hast du denn da gemacht?" rief er aus,
seine Hand knapp über ihrer Brust ruhend. Laietha folgte seinem Blick und entdeckte einen tiefen
Schnitt dort. Sie berührte ihn, aber er schmerzte
nicht. "Keine Ahnung. Vielleicht ist es passiert,
als mich Mornuan aus dem Zuber gezogen hat. Hast du
ihre Fingernägel gesehen?" Boromir lachte
leise. "Ja, das sind ja fast schon Waffen."
Er beugte sich hinunter und fuhr mit seinen Lippen leicht
über den Schnitt. Laietha schloss die Augen und
seufzte genussvoll, als er tiefer glitt. "Du kannst sie nicht ausstehen, nicht wahr?"
fragte er, den Kopf zwischen ihren Brüsten vergrabend.
"Was?!" fauchte Laietha und riss ihn an seinen
Haaren empor. Er sah ihr in die Augen und begann zu
lachen. "Oh, komm schon, Laietha, du bist so eine
schlechte Lügnerin!" Sie zuckte mit den Schultern.
"Es ist ja nicht so, dass ich sie nicht mag
- ich traue ihr nur nicht über den Weg," erwiderte
sie trocken. Er drehte sich auf den Rücken und
sie schmiegte sich an seine Brust, sanft über die
tiefen Narben streichend. Nach einer langen Zeit - Laietha hatte schon fast
gedacht, er wäre eingeschlafen - hub er wieder
zu sprechen an. "Du bist eifersüchtig auf
sie, Laietha." Sie sog scharf den Atem ein. "Oh,
bitte, versuch nicht, mir was vorzumachen, das ist doch
mehr als offensichtlich!" Laietha wand sich aus
seiner Umarmung. "Oh, halt den Mund, Boromir, das ist doch lächerlich!"
rief sie wütend und setzte sich auf. Er setzte
sich neben sie und nahm ihr Kinn in die Hand, sie zwingend,
seinem Blick zu begegnen. Boromir sah sie scharf an.
"Allerdings, das ist es. Mach dich nicht zum Narren,
Laietha. Er plant seine Hochzeit - nicht sein Begräbnis!
Du solltest dich von ganzem Herzen für ihn freuen."
Er sah, dass Tränen in ihren Augenwinkeln schimmerten
und sie ärgerlich versuchte, sie zurückzuhalten.
Mit einem Mal tat es ihm leid, dass er so harsch
zu ihr gewesen war. Sein Gesicht wurde sanfter und er
strich ihr über die Wange. Boromir küsste
eine Träne fort, die es geschafft hatte, sich den
Weg auf ihre Wange zu bahnen. "Er liebt dich sehr,
Laietha. So sehr, dass ich oft eifersüchtig auf
ihn war - das weißt du." Er lächelte
sie sanft an. "Du wirst ihn nicht verlieren. Vertrau
ihm. Lass ihn los." Sie nickte und fühlte sich schuldig, denn sie
wusste, dass er recht hatte mit den Dingen, die er gesagt
hatte. Mornuan war sehr freundlich zu ihr gewesen -
ja, sie hatte ihr im Badehaus sogar das Leben gerettet
und sie bedachte die Frau mit so viel Abneigung. Boromir
schien ihre Gedanken erraten zu haben. Er strich ihr
über die Wange. "Es ist noch nicht zu spät,
Liebes. Sieh mal, du musst sie ja nicht lieben. Alles
was man von dir erwartet ist, fair zu ihr zu sein."
Laietha lachte dankbar und vergrub ihren Kopf an seiner
Schulter. "Du hast recht, mein Liebster. Weißt du,
manchmal wundere ich mich wirklich darüber, wie
ähnlich wir uns beide sind." Er zog verwundert
die Augenbraue hoch - offensichtlich wusste er nicht,
was sie meinte, aber sie erklärte es ihm nicht. Nach einer Weile bemerkte er, dass ihr Atem regelmäßig
geworden war. Er küsste sie sanft auf die Stirn,
ließ seine Finger durch die dicken Locken gleiten
und betrachtete mit einem Lächeln, wie das sanfte
Mondlicht auf ihr Gesicht fiel. In diesem Moment wurde
ihm erneut klar, wie sehr er sie liebte. Noch lange wandte er seinen Blick nicht von ihr,
sondern sog diesen kostbaren Augenblick der Ruhe und
des Friedens in sich auf. Seine Finger spielten mit
einer Strähne ihres Haars. Ein Lächeln schlich
sich auf sein Gesicht. "Womit habe ich dich nur
verdient, Herrin?" lächelte er. Boromir schloss
die Augen. Ihm war fast, als würde er leisen Gesang
hören. Bald schon hatte auch ihn der Schlaf umfangen. *** Olbern sah zur Tür. Es hatte vorsichtig geklopft.
Wer konnte das um diese Uhrzeit nur sein? "Wer
da?" fragte er. "Ich bin's," kam die
leise Antwort. Er erkannte die Stimme sofort. Rasch
sprang er vom Bett hoch, strich sich vor dem Spiegel
schnell noch durchs Haar und überprüfte, ob
seine Kleidung anständig saß. "Komm
rein!" rief er aufgeregt. Sein Herz schlug vor
Freude bis zum Hals. Luthawens roter Lockenkopf erschien
in der Tür. Leise schlüpfte sie ins Zimmer.
Sie strahlte übers ganze Gesicht. "Wie hast du denn das geschafft? Ich dachte,
dein Vater würde dich mit Adleraugen bewachen!"
keuchte er verwundert und erfreut zugleich. Luthawen
schenkte ihm ein schelmisches Lächeln. "Sagen
wir es mal so - mein Bruder hat mir noch einen kleinen
Gefallen geschuldet und deckt mich heute Abend."
Olbern lachte und nahm sie froh in den Arm. "Na,
das hört sich ganz nach meiner Lutha an!"
grinste er und sie kicherte. Stundenlang hatten sie einfach nur auf seinem Zimmer
nebeneinander gesessen und sich unterhalten. Olbern
hatte ihre Hand genommen und Luthawen hatte ihren Kopf
an seine Schulter gelehnt. Olbern hatte ihr Haar gestreichelt
und Luthawen war aufgefallen, wie gut er roch. Es war
alles so vertraut und doch so neu. Als der Mond schon
hoch am Himmel stand, hatte es Olbern endlich gewagt,
sie noch einmal zu küssen. Zunächst war er
ganz vorsichtig gewesen, weil er immer noch so schrecklich
unsicher war. Schließlich wollte er sie zu nichts
drängen. Später war er etwas mutiger geworden. Luthawen hatte ihn aufs Bett gedrückt. Gackernd
waren sie eine Weile lang rumgerollt und hatten angefangen,
sich abzukitzeln. Später waren sie zu einer Kissenschlacht
übergegangen und geendet hatte es damit, dass sie
sich weltvergessen geküsst hatten. Nun lagen sie eng aneinandergekuschelt beisammen.
Luthawen vergrub ihren Kopf an seiner Schulter und er
drückte sie sanft gegen seine Brust. Er schloss
die Augen und konnte immer noch nicht glauben, dass
das alles nicht nur ein wunderbarer Traum war. "Du,
Olbern." Er sah liebevoll zu ihr hinunter und ihre
Augen leuchteten hell. "Was ist denn, liebe Lutha?"
fragte er. Sie antwortete noch nicht sofort und er wurde
fast ein wenig nervös. "Hast du vorher schon mal ein Mädchen geküsst?"
wollte sie wissen. Olbern wurde quietschrot vor Verlegenheit.
"Äh...also..." Es war ihm sichtlich peinlich
und Luthawen griente. "War es denn so schrecklich?"
scherzte er und seine Freundin lachte. "Natürlich
nicht! Ich bin nur neugierig." Jetzt wurde er noch
röter, wenn das überhaupt noch möglich
war. "Ja," stammelte er - es klang fast wie
ein Schuldbekenntnis. "Und was ist mit dir?"
Nun war er aber wirklich neugierig. "Ich habe noch nie ein Mädchen geküsst,"
neckte ihn Luthawen. Olbern verdrehte die Augen, grinste
und schüttelte den Kopf. "Natürlich nicht.
Aber hast du schon mal einen Jungen geküsst?"
Das Mädchen schmunzelte ihn an. "Meine Mutter
sagt, Männer müssen nicht immer alles wissen." Der Morgen streckte seine ersten grauen Finger durchs
Fenster und Luthawen befreite sich vorsichtig aus seiner
Umarmung. Sie wollte ihn nicht aufwecken. Der junge
Mann drehte sich um. Lautlos schlüpfte sie aus
dem Bett und band ihr loses Haar wieder zusammen. Dann
schlüpfte sie in ihre Schuhe und schlich zur Tür.
"War es ein Traum?" hörte sie ihn murmeln.
Die junge Frau drehte sich um und sah ihn auf den
Ellenbogen gestützt im Bett sitzend, sie verwundert
ansehend. Sie lächelte milde und trat zurück
zu ihm ans Bett. "Nein, lieber Olbern." Sie
setzte sich auf die Bettkante und hauchte ihm einen
Kuss auf die Lippen. Olbern legte sanft die Hände
an ihr Gesicht. "Gepriesen seien die Valar, Lutha,
du bist es wirklich! Und ich dachte schon..." Erneut verschloss sie seine Lippen. "Ich wünschte,
ich könnte noch länger bleiben, aber meine
Eltern werden dich einen Kopf kürzer machen, wenn
ich nicht am Morgen in meinem Bett liege." Er schlüpfte
aus dem Bett und die kühle Morgenluft fühlte
sich angenehm auf seinem bloßen Oberkörper
an. "Sehen wir uns heute?" Sie lächelte.
"Natürlich, lieber Olbern." Glücklich
drückte er sie an sich. "Die Zeit bis dahin
wird mir schrecklich lang erscheinen!" Sie küssten
sich noch ein letztes Mal und dann schlüpfte Luthawen
zur Tür hinaus und schlich auf ihr Zimmer. "Wo bist du denn die ganze Nacht gewesen, Lutha?"
Das Mädchen setzte sich auf und lächelte Aiglos
an. Die Sonne warf ihr sanftes Licht durch das Fenster
zum Zimmer der Geschwister. Der Junge schüttelte
den Kopf. "Im ma nauthon yiß !"
(3)
seufzte er. Luthawen lachte leise, stand aus dem Bett
auf und setzte sich zu ihrem Bruder. Sie zerzauste sein
Haar. "Wart mal ab, bis du deine erste Freundin hast,
dann sprechen wir noch mal darüber!" Sie grinste
breit. "Dann wird ich Vater an der Nase rumführen
müssen, wenn du über Nacht ausgehst."
Aiglos schüttelte heftig den Kopf. "Oh, ich
wird mir nie ne Freundin anschaffen! Weiber machen doch
nur Ärger. Außerdem sind sie langweilig.
Nichts geht über eine gute Geschichte oder einen
anständigen Kampf!" Er zwinkerte seiner Schwester
grinsend zu. "Blödmann!" kicherte sie und küsste
ihn auf die Stirn. Sie schlich zurück zu ihrem
Bett und drehte sich auf die Seite. Mit einem Lächeln
dachte sie an Olbern. Fast war sie schon eingeschlafen,
als sie die leise Stimme ihres Bruders hörte. "Du,
Lutha..." Sie gähnte. "Was gibt's denn,
Aiglos?" Stille. "Bist du in Olbern verliebt?" Luthawen
dachte einen Moment nach. "Ja, ich denke schon."
Nach einer Weile fragte er vorsichtig: "Wie ist
das denn so, wenn man verliebt ist?" Sie hörte
das Geräusch von nackten Füßen, die
über den Steinboden schlichen. Lächelnd schlug
sie ihre Bettdecke zurück und Aiglos schlüpfte
darunter und kuschelte sich an sie an. Sie legte ihren
Arm um ihn. "Das lässt sich nur schwer erklären."
Seine hellen Augen glitzerten vor Neugier. "Probier
es einfach!" *** "Hey, ihr zwei, aufstehen! Wollt ihr den ganzen
Tag verschlafen?" Luthawen und Aiglos gähnten
und machten die Augen auf. Sie sahen das Gesicht ihres
Vaters über sich gebeugt, der sie kopfschüttelnd
anlächelte. Die zwei waren einmalig - eben schlugen
sie sich noch die Köpfe ein und dann fand man sie
einträchtig im selben Bett schlafend. Er war sehr
froh, dass die beiden sich so sehr liebten. "Das kann doch nicht wahr sein! Ihr seid so
früh schlafen gegangen und immer noch müde?
Faulpelze!" Die Kinder murrten und zogen die Bettdecke
zurück über den Kopf. Boromir lachte schallend
und zog ihnen die Decke weg. "Raus aus den Federn!
Das Frühstück ist fertig!" Murrend kletterten
die Kinder aus dem Bett und Aiglos schlich zur Waschschüssel,
um sich fertig zu machen. Luthawen rieb sich die Augen
und sah ihren Vater an. Irgendwie schien er besorgt
zu sein. "Was ist los, Vater? Ist etwas nicht in Ordnung?"
Boromir schüttelte den Kopf. "Es ist alles
bestens, Liebes. Mach dir keine Gedanken." Luthawen
nahm seine Hand. "Stimmt etwas mit Mutter nicht?"
Boromirs Augen weiteten sich überrascht. Er dachte
einen winzigen Augenblick nach. "Nur ein schlimmer Traum, das ist alles. Mach
dir keine Sorgen, Lutha. Und nun sieh zu, dass du fertig
wirst, ja?" Das Mädchen tat, wie man ihr gesagt
hatte und schon bald machten sie sich auf den Weg zum
Speisesaal. Die Kinder waren mehr als erfreut, wenn auch überrascht,
ihren Onkel dort anzutreffen. Normalerweise konnte er
sich vor Arbeit kaum retten und sie bekamen ihn so gut
wie gar nicht zu Gesicht, wenn sie ihn besuchten. Sie
begrüßten ihn stürmisch. "Meine
lieben Kinder!" rief er fröhlich und drückte
die beiden herzlich. Mornuan trat aus seinem Schatten
hervor und lächelte freundlich. Luthawen betrachtete die Verlobte ihres Onkels voller
Bewunderung. Sie war so schön! Mornuan trug ein
dunkelblaues Kleid und wenn sie ging sah es eher aus,
als würde sie schweben. Sie war immer perfekt gekleidet
und frisiert und schien alterslos. Luthawen sah an sich
herunter und zog den Bauch ein. Ach, wenn sie mal so
alt wie ihre zukünftige Tante war und auch noch
so gut aussehen würde - aber dazu wahr sie ihrer
Mutter bestimmt viel zu ähnlich... Die Tür öffnete sich und Laietha betrat
den Raum. Luthawens Augen weiteten sich, als sie ihre
Mutter erblickte. "Du meine Güte, Mutter!
Was ist denn passiert?" rief sie entsetzt und nahm
eine Strähne des Haares ihrer Mutter in die Hand.
Sie war schlohweiß. Die Kriegerin sah müde
und erschöpft aus. Sie hob die Hand in einer schwachen
Abwehrgeste. "Es geht mir gut," murmelte sie. Luthawen
wechselte einen Blick mit ihrem Vater. Es war unter
Garantie mehr als nur ein böser Traum gewesen,
aber auch er schien nicht mehr zu wissen. Aragorn bat
sie, Platz zu nehmen. Als sie alle saßen, wurde
das Essen aufgetragen. Eine der Bediensteten war nicht aufmerksam genug
und stolperte. Dabei verschütte sie versehentlich
Tee über Aragorns Gewand. Er sprang auf. "Tölpel!
Wie kannst du nur so unachtsam sein!" brüllte
er so laut, dass alle Anwesenden zusammenfuhren und
ihn mit weit aufgerissenen Augen anstarrten. Die Dienerin
sah ihn furchtsam an, errötete und begann hastig,
das Missgeschick aufzuräumen. Aragorn war außer
sich vor Zorn. "Raus hier, sofort!" donnerte er. "Das
war der letzte Tag, den du in meinen Diensten verbracht
hast! Scher dich davon!" Das Dienstmädchen
biss sich auf die Unterlippe und kämpfte gegen
die Tränen an. Sie verbeugte sich und verließ
eilig den Raum. Sie hörten ihre unterdrückten
Schluchzer vor der Tür. Die anderen Dienstmädchen
verrichteten mit eingezogenen Köpfen ihre Arbeit
und eilten von dannen. Aragorn wandte sich mit einem strahlenden Lächeln
seiner Familie zu. "Habt ihr alle gut geschlafen?"
fragte er und nahm sich eine Tasse Tee. Laietha schüttelte
verwirrt den Kopf und starrte ihn an. "Warum hast
du das getan?" Er sah sie verdattert an und zuckte
mit den Schultern. "Was denn getan, liebe Schwester?"
Laietha war so geschockt, dass sie keine Worte fand.
So hatte sie ihren Bruder ja noch nie gesehen! "Warum hast du deine Dienerin so behandelt?
Sie hat es doch nicht mit Absicht getan! Es war ein
Missgeschick!" Aragorn lächelte sie milde
an. "Ich bin der König, Schwesterchen. Jeder
muss seine Arbeit hier anständig verrichten, damit
alles seinen Gang geht. Mach dir um sie keine Sorgen.
Sie war doch nur ein Dienstmädchen. Davon haben
wir noch genug." Damit war das Thema für ihn
erledigt. Er nahm sich ein Stück Obst und begann
zu essen. Es wurde ein schrecklich stilles Frühstück.
Keiner von ihnen wagte so recht, das Wort zu ergreifen.
Aragorn nahm daran keinen Anstoß. Unverblümt
flirtete er mit Mornuan - küsste sie und fütterte
sie mit kleinen Häppchen, so als wäre nichts
geschehen. "Ich glaub, mir wird schlecht..." murmelte
Laietha zu sich selbst. Obwohl die Kriegerin völlig
sicher war, dass niemand außer ihr selbst etwas
gehört hatte, fixierte Mornuan sie mit ihren Blicken.
Laietha überlief ein Schauer. Diese Frau war ihr
wirklich unheimlich. In ihrer Gegenwart fühlte
sie sich ständig beobachtet. Als sie ihr Frühstück schließlich
beendet hatten, verließen sie gemeinsam den Saal.
Auf dem Gang kamen sie an einer langen Schlange von
Botschaftern vorbei, die geduldig vor Aragorns Empfangszimmer
warteten. Der König hielt in seinem Schritt inne.
"Geht nach Hause, ich werde heute niemanden empfangen.
Kommt morgen wieder! Ich bin schwer beschäftigt."
Als sie an ihnen vorbei und außer Hörweite
waren, packte Laietha ihn am Ärmel. "Willst du sie denn nicht empfangen? Was ist,
wenn sie wichtige Nachrichten haben?" Ihr Bruder
nahm sie bei den Schultern. Er lächelte, aber sein
Griff war so fest, dass es schmerzte. "Kleines
Schwesterchen, ich bin der König hier - nicht du.
Eine Frau sollte sich nicht in politische Dinge einmischen,
von denen sie sowieso nichts versteht. Heute habe ich
Wichtigeres zu tun, denn schließlich plane ich
eine Hochzeit." Sein Lächeln gefror zu Eis
und seine Augen waren auf einmal entsetzlich kalt. "Lass mich los, Dunai, du tust mir weh,"
sagte sie leise und versuchte ihre Stimme dabei ganz
ruhig klingen zu lassen. Er ließ sie stehen und
schlang seinen Arm um Mornuans Hüfte. Sie schritten
von dannen. Aragorns Verlobte warf Laietha einen Blick
über die Schulter zu. "Du solltest mehr schlafen, Schwester! Schließlich
wollen wir doch, dass du auf meiner Hochzeit schön
bist!" Mornuan schenkte ihr ein zuckersüßes
Lächeln und damit verschwanden sie hinter einer
Biegung des Ganges. Laietha sah ihren Mann verstört an. "Was
war denn das?" keuchte sie, erhielt von ihm aber
nur ein Schulterzucken als Antwort. "Das weiß
der Balrog! Vielleicht hat er nur einen schlechten Tag!" Luthawen war zum Fenster geschlendert und sah in
den Hof. Sie entdeckte Olbern und ein Lächeln schlich
sich auf ihr Gesicht. Plötzlich wirkte sie sehr
nervös und fing an, herumzuzappeln. Natürlich
blieb das nicht unbemerkt. "Was hast du denn, Lutha?"
fragte Boromir mit einem Seitenblick auf seine Tochter,
die plötzlich ganz verlegen wurde. "Öhm - gar nichts, Vater. Wenn ihr mich
entschuldigt. Darf ich in den Hof gehen?" Boromir,
der Lunte gerochen hatte, trat an ihre Seite und entdeckte
prompt den jungen Beorninger. "Natürlich,"
sagte er und fuhr fort. "Ich wollte sowieso mit
Olbern sprechen." Luthawen erbleichte. Was hatte
ihr Vater denn jetzt schon wieder im Sinn? Laietha nahm
seine Hand. "Boromir, das reicht! Lass den Kinderkram und
gönn den beiden ihre Ruhe!" Er warf ihr einen
giftigen Blick zu. "Laietha, halt dich da raus.
Das ..." Weiter kam er nicht, denn sie fiel ihm
ins Wort. "Jetzt hör mir mal zu. Lass sie
in Ruhe, ja?" Luthawen und Aiglos beobachteten neugierig ihre Eltern.
Sie hatten sie zwar schon manchmal streiten gehört,
aber noch nie dabei gesehen. Beide hatten sich gegenüber
aufgebaut und sahen sich stur an. Das versprach interessant
zu werden. "Was denkst du dir eigentlich, Weib? Was weißt
du schon von diesem Kerl?" Boromir war vor lauter
Aufregung ganz rot angelaufen. Laietha stemmte die Fäuste
in die Hüften. "Ich weiß, dass er ein
wohlerzogener, netter junger Mann ist, der hervorragende
Manieren hat - ganz im Gegensatz zu anderen Kriegern
aus gutem Hause, die ich kenne..." Er verengte
seine Augen zu Schlitzen. "Und trotz alledem ist er ein Mann, Laietha.
Wer kann schon sagen, was er mit ihr vorhat? Komm schon!
Ich weiß ganz genau, wie Männer denken! Sie
sind alle gleich! Sie wollen die Mädchen nur einlullen,
um sie dann..." "Ach, ist dem so? Und du hältst dich wohl
für die Ausnahme schlechthin, was?" fauchte
seine Frau. Dann fiel ihr Blick auf die Kinder, die
sie interessiert beobachteten und ganz gespannt waren
zu erfahren, was ihr Vater über die Absichten Olberns
im Bezug auf Luthawen dachte. Boromir holte Luft für
sein nächstes Argument, aber Laietha packte ihn
am Arm und zog ihn mit sich fort. "Ich werde diese Angelegenheit hier auf dem
Flur bestimmt nicht mit dir ausdiskutieren!" Damit
zog sie ihn in Richtung ihrer Gemächer fort. Luthawen und Aiglos sahen sich an. "Und was
nun?" grinste Aiglos. Sie zuckte mit den Schultern
und machte sich auf den Weg in den Hof. "Du geht
nirgendwo hin außer auf dein Zimmer, junge Dame!"
hörten sie ihren Vater von Ferne schimpfen. Es
folgten einige wütend gesprochene Worte, die die
Kinder nicht verstanden, auch wenn sie elbisch waren.
Aiglos verzog das Gesicht. Oh, da schepperte es aber
zwischen seinen Eltern. Luthawen zeigte sich davon völlig unbeeindruckt.
Sie drehte sich um und schlenderte zur Treppe. "Hey,
Lutha, wo willst du denn hin? Vater hat doch gesagt,
du sollst auf unser Zimmer gehen!" rief Aiglos
ihr hinterher. Das Mädchen grinste ihn breit an.
"Was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß!" Aiglos sah zu, wie das flatternde Sommerkleid seiner
Schwester verschwand, als sie zum Hof lief. Er stand
ein wenig unschlüssig in der Gegend herum. Natürlich
würde er seine Schwester nicht verpetzen, das war
klar. Aber was sollte er jetzt machen? "Hey, Aiglos! Da bist du ja! Ich hab schon überall
nach dir gesucht!" Ionvamir kam um die Ecke gerannt.
"Hast du heute schon was vor?" Sein Cousin
schüttelte den Kopf und Ionvamir grinste breit.
"Hast du gewusst, dass auf der Rückseite des
Badehauses ein kleines Loch sein soll?" Aiglos
lief rot an und Faramirs Sohn lachte laut. "Komm, wir sehen uns das mal an. Aber diesmal
musst du wirklich leise sein, sonst haben wir ein echtes
Problem!" Ionvamir rauschte davon, aber Aiglos
blieb ein wenig zögerlich zurück. Wenn seine
Eltern von diesem Streich Wind bekamen, würde ihm
eine ordentliche Schelte blühen und er hätte
ein echtes Problem... "Oh halt verdammt noch mal die Klappe!"
hörte er seine Mutter von ferne keifen. Aiglos
grinste. Sah wohl so aus, als hätte sein Vater
selbst grad ein schwerwiegendes Problem. Sein Cousin
kam zurück. "Aiglos, willst du hier Wurzeln
schlagen? Ich hab gehört, die Kriegrinnen haben
heute Badetag!" Aiglos grinste und zusammen machten
sie sich auf den Weg. *** Olbern lächelte, als sich schmale Hände
auf seine Augen legten. Natürlich wusste er sofort,
wer da hinter ihm stand. Behutsam nahm er die Hände
aus seinem Gesicht und drehte sich lächelnd um.
"Lutha!" strahlte er überglücklich.
Er beugte sich zu ihr hinunter und hauchte ihr einen
Kuss auf die Lippen. Das Mädchen nahm ihn bei der
Hand und zog ihn sanft mit sich fort. "Lass uns
woanders hingehen, bevor meine Eltern sich beruhigt
haben und mein Vater sich auf die Suche nach dir macht."
Der junge Beorninger sah sie verwundert an. "Ich
dachte, dass ich sie streiten hörte. Ich will hoffen,
dass es nicht meinetwegen war." Luthawen lachte.
"Mach dir keine Gedanken - sie streiten manchmal
aus keinem besonderen Anlass. Meine Mutter sagt immer,
das sei das Rezept einer glücklichen Ehe. Es ist
auch diesmal nichts Ernstes." Er legte ihr beruhigt
den Arm um die Hüfte und sie schlenderten in Richtung
Garten davon. Auf ihrem Weg kam ihnen ein Beorninger vom Palast
entgegen. Als er Olbern entdeckte, nahm er Haltung an
und verbeugte sich tief. "Mein Herr, ich habe schon
nach euch gesucht. Es gibt Neuigkeiten von eurem Vater
- ernste Nachrichten." Olbern wurde sehr still.
Er ließ Luthawen los und straffte sich. "Was
gibt es, sprecht." Der Beorninger war als Bote zu Aragorn gesandt worden,
man hatte ihn jedoch nicht zum König vorgelassen
und als er erfahren hatte, dass Beregs Sohn in der Stadt
war, hatte er sich auf die Suche nach ihm begeben. Nun
erfuhr Olbern, dass sein Vater schwer krank war und
die Regierungsgeschäfte hatte niederlegen müssen.
Er ließ Olbern bitten, so schnell wie möglich
zurückzukehren und die Vertretung seines Vaters
zu übernehmen, bis Bereg wieder gesund war. Natürlich
sagte ihm der junge Beorninger zu, dass er sich noch
im Laufe des Tages auf den Weg nach Hause machen würde.
Der Bote war damit zufrieden und eilte sich, in den
Düsterwald zurückzureiten, um die Nachricht
zu überbringen. Als Olbern Luthawen ansah, bemerkte er die Tränen
in ihren Augen. Er strich ihr sachte über die Wange
und das Mädchen warf sich in seine Arme, tapfer,
aber vergeblich gegen die Tränen ankämpfend.
"Aber, liebe Lutha, weine doch nicht. Ich
muss gehen und meinem Vater zur Seite stehen. Aber ich
verspreche dir, dass ich so bald wie möglich wieder
zurückkommen werde." Luthawen war untröstlich
und Olbern fühlte sich ein wenig hilflos. Sicher,
er wollte jetzt auch nicht gehen, aber es war nötig
und er hatte große Verantwortung. Außerdem
machte er sich Sorgen um seinen Vater. Es war ihm schon
bei seiner Abreise nicht gut gegangen. "Braucht er Hilfe?" Olbern und Luthawen
schreckten auseinander und hinter sich erblickten sie
Herrn Elrond. Luthawen wischte sich verlegen eine Träne
weg. "Olberns Vater ist krank." Herr Elrond
nickte. "Dann werde ich euch begleiten. Ich hatte
sowieso geplant in den Düsterwald zu reiten, um
mich mit Thranduil zu treffen, aber das wird warten
können. Vielleicht kann ich deinem Vater helfen."
Olbern lächelte dankbar und verneigte sich höflich.
"Ihr seid zu gütig. Habt vielen Dank, mein
Herr." Gemeinsam beschlossen sie, sich nach dem
Mittagessen auf die Reise zu machen. Als Olbern Luthawen wieder ansah, hatte sie einen
entschlossenen Ausdruck im Gesicht. "Warte hier
ein wenig auf mich, Olbern. Ich werde bald wieder hier
sein." Ohne weitere Erklärungen, stürmte
sie in Richtung Palast davon. Olbern zuckte mit den
Schultern und schüttelte den Kopf. Was hatte seine
Freundin jetzt schon wieder ausgeheckt? *** Boromir knallte die Tür zu ihrem Gemach zu und
funkelte seine Frau wütend an. "Verdammt noch
mal, Laietha! Ich werde bestimmt nicht tatenlos zusehen,
wie dieser dahergelaufene Kerl unsere Tochter entehrt!"
Laietha schüttelte ungläubig den Kopf. "Sie
ist doch kein Kind mehr!" "Sie ist erst 17!" donnerte er. "Als
ich in ihrem Alter war, hatte ich bei Weitem mehr Erfahrungen
mit Männern gesammelt!" Boromir öffnete
den Mund, um ihr eine hitzige Antwort zu erteilen, aber
Laietha schnitt ihm das Wort ab. "Tu mir einen
Gefallen. Wenn du mich liebst, dann überlegst du
dir was du jetzt sagst." Boromir kämpfte hart gegen sich an, aber statt
etwas zu sagen, hieb er resigniert mit der Faust auf
das Kissen ein. Er atmete heftig. Laietha trat zu ihm
und legte ihm sanft die Hand auf die Schulter. "Du
benimmst dich wie mein Bruder." Boromir drehte
sich überrascht um und sah in ihr lächelndes
Gesicht. Sie lachte und strich ihm über die Wange.
"Hast du denn schon vergessen, wie wütend
er wurde, wenn du ihm von uns erzählt hast?"
Bei der Erinnerung an die vielen kleinen Streitigkeiten
mit seinem Schwager, wenn es um Laietha ging, musste
er schmunzeln. Er nahm sie fest in den Arm. "Du
hast ja recht, Laietha." Boromir zuckte hilflos
mit den Schultern und ließ sich seufzend aufs
Bett sinken. "Aber das ist alles so seltsam! Sie
ist doch erst 17! Und vor kurzem war sie noch ein kleines
Mädchen, das mich durch den Garten jagte und immer
da war und...was ist denn, wenn sie ihn heiraten will
und fortzieht! Woher sollen wir denn wissen, ob er der
Richtige für sie ist?" Er vergrub verzweifelt
das Gesicht in den Händen. Nun lachte Laietha laut.
"Schatz, sie ist erst 17 und das erste Mal verliebt!
Sie ist noch so weit davon entfernt, an Hochzeit und
solche Dinge zu denken. Und wir werden nie wissen, ob
ein Mann der Richtige für Lutha ist. Das muss sie
allein entscheiden." Laietha trat dicht zu ihm
und zog seinen Kopf gegen ihre Brust. Er umschloss ihre
Hüften mit seinen Armen und lehnte sich gegen sie.
Laietha strich ihm durchs Haar. "Wäre es nach meinem Vater gegangen..."
Boromir nickte. "Ja, dann hätte mich Aragorn
unauffällig in den Schicksalsberg schubsen sollen.
Ich weiß ja, was du meinst, aber..." Boromir
zuckte mit den Achseln. Laietha strich ihm sanft über
den Rücken. "Das ist für sie so neu wie für dich.
Mach es ihr nicht noch schwerer als es ohnehin schon
ist." Er seufzte tief und zog sie dichter an sich
heran. "Kann sie denn nicht einfach das kleine
Mädchen bleiben, das alle Welt damit quälte,
ihr Geschichten zu erzählen?" Laietha lachte
leise. "Kann es vielleicht sein, dass sich hier jemand
alt fühlt bei dem Gedanken daran, dass seine Tochter
erwachsen wird?" Er hob den Kopf und sah sie herausfordernd
an. "Willst du damit sagen, dass du mich für
einen alten Mann hältst?" Laietha kicherte
boshaft. "Jetzt wo du es sagst..." Bevor sie sich
wehren konnte, hatte er sie gepackt und aufs Bett geworfen.
Sofort war er über ihr und drückte sie in
die Kissen, sie lange küssend. Er grinste sie vielsagend
an. "Ich wird dir zeigen, wer hier ein alter Mann
ist..." knurrte er und Laietha begann zu lachen. *** Olbern hatte noch eine Weile auf Luthawen gewartet,
aber da sie nicht zurückgekommen war, hatte er
sich aufgemacht und seine Sachen gepackt. Nach dem Mittagessen
hatten er, Herr Elrond und dessen Söhne sich auf
dem Hof getroffen. Der junge Elb mit den längeren
Haaren - Elrohir - würde sie begleiten. Auch Herr Boromir und seine Frau waren anwesend.
Sie lächelten und hielten sich bei den Händen.
Anscheinend hatte ihre Tochter recht gehabt, sie hatten
sich wieder vertragen, aber von Luthawen fehlte noch
immer jede Spur. Olbern seufzte traurig. Warum war sie
nur nicht gekommen, um sich von ihm zu verabschieden? "Bist du fertig, Olbern?" fragte Elrohir
und der junge Beorninger nickte traurig. Als sie gerade
aufbrechen wollte, hörten sie Pferdegetrappel.
Sie drehten sich um und sahen, dass Luthawen auf sie
zugeritten kam. Boromir und Laietha sahen sie mehr als
erstaunt an. Ohne ein Wort, stieg sie vom Pferd und
baute sich vor ihren Eltern auf. Laietha fand als erste
die Sprache wieder. "Junge Dame, was glaubst du hast du vor?"
Luthawen schob trotzig die Unterlippe vor. "Ich
werde mit Olbern nach Düsterwald reiten. Keine
Bange, zu Onkel Aragorns Hochzeit sind wir wieder da."
Diese Feststellung hing einige Sekunden unkommentiert
in der Luft. Dann baute sich Boromir vor seiner Tochter
auf. Er war verflixt wütend. "Du wirst verdammt
noch mal nirgendwohin gehen, Luthawen! Was hast du dir
eigentlich dabei gedacht, einfach..." Sie ließ
ihn gar nicht ausreden. "Ich bin kein Kind mehr!" "Aber ich bin noch immer dein Vater und ich
sage dir, dass du nicht gehen wirst!" Luthawen
schnaubte wütend und stemmte die Hände in
die Hüften. "Behandele mich nicht so! Du sagst
doch selbst immer, dass du mich für reif und verantwortungsbewusst
hältst! Warum behandelst du mich jetzt nicht so?"
Nun schaltete sich auch Laietha wieder ein, die sich
neben ihren Mann gestellt hatte. "Du hättest uns vorher fragen müssen,
Lutha, das wäre reif und verantwortungsbewusst
gewesen." Luthawen war verzweifelt. "Ihr hättet
es doch sowieso nicht erlaubt!" Alle sahen sich
wütend an, als Olbern langsam vom Pferd stieg und
zu Luthawen ging. "Bitte. Lutha, bleib hier. Ich
will nicht, dass du dich wegen mir mit deinen Eltern
streitest." Das Mädchen riss sich von ihm
los und starrte ihn verzweifelt an. "Heißt das, du willst gar nicht, dass
ich mitkomme?" Sie begann zu weinen. Boromir sah
ihn mit hochgezogenen Brauen an. Das hätte er nicht
von dem jungen Mann gedacht und er rechnete es ihm als
feinen Zug an. Laietha warf ihrem Mann einen aufmunternden
Blick zu. "Komm schon, Boromir," zwinkerte
sie ihm zu. Er zuckte mit den Schultern und nahm seine
schluchzende Tochter in den Arm. Boromir strich ihr
übers Haar. "Nun weine nicht, Lutha, schließlich musst
du doch klar sehen können auf so einer Reise. Wir
werden noch einmal genauer darüber reden, wenn
du wieder da bist, aber jetzt solltest du dich beeilen.
Alles wartet nur auf dich!" Luthawen hob den Kopf
und sah ihren Vater mit großen Augen an. Langsam
stahl sich ein begreifendes Lächeln auf ihr Gesicht.
"Du meinst, ich darf mit ihnen..." Boromir
grinste und gab ihr einen Klaps auf den Po. "Nun
spute dich! Siehst du denn nicht, dass sie loswollen?"
Seine Tochter umarmte ihn mit einem Jubelschrei und
bedeckte sein Gesicht mit Küssen. Boromir grinste
und drückte sie fest an sich. "Danke, Vater!
Du bist und bleibst der Beste!" Boromir lachte
und schob das Mädchen sachte von sich weg. "Jetzt beeil dich schon, Lutha. Sie wollen aufbrechen."
Luthawen küsste und umarmte ihn noch einmal und
lief dann schnell zu ihrer Mutter, um sich zu verabschieden. Olbern trat zu Boromir und verneigte sich vor ihm.
"Habt vielen Dank. Macht euch keine Sorgen, Herr
Boromir, ich werde gut auf sie aufpassen." Boromir
durchbohrte ihn mit seinen Blicken. Er packte den jungen
Beorninger am Oberarm. "Das will ich hoffen. Meine
Frau vertraut dir - das ist dein Glück," zischte
er. Mit einem schnellen Seitenblick auf Luthawen fuhr
er fort. "Wenn du ihr wehtust, werde ich dich umbringen."
Olbern war ein wenig verwirrt und lächelte höflich.
"Das ist kein Witz, Junge," fuhr Boromir
fort. "Wenn du ihr das Herz brichst, werde ich
deins zum Frühstück verspeisen." Olbern
nickte ernst. "Ich habe nichts davon vor, mein
Herr." Boromir seufzte und ließ ihn los.
Wenn Laietha davon erführe, würde sie ihn
einen Narren schelten, aber es hatte gut getan. Laietha berührte einen kleinen Knutschfleck
an Luthawens Hals und schmunzelte. "Lass das bloß
nicht deinen Vater sehen!" Luthawen lächelte
verlegen und Laietha flüsterte ihr schnell noch
etwas ins Ohr. Das Mädchen wurde noch röter,
nickte dann aber. Aragorn kam in den Hof gelaufen. "Oh, gut, ihr
seid noch hier! Ich bitte euch, mir einen Gefallen zu
tun." Er übergab Elrond einen Brief. "Bitte,
gebt Legolas und Bereg Bescheid, dass sie herzlich zu
meiner Hochzeit eingeladen sind." Dann sah er sich
um. "Hat jemand von euch Mornuan gesehen? Ich suche
sie schon seit fast einer Stunde." Laietha verdrehte
die Augen. "Du meine Güte, Dunai! Du wirst sie heiraten
und hast den Rest deines Lebens mit ihr an deiner Seite
vor dir. Kannst du denn nicht mal einen Augenblick ohne
sie auskommen? Aber nein, ich für meinen Teil weiß
nicht, wo sie ist." Ein schwarzer Vogel zog über
ihnen seine Kreise und stieß einen krächzenden
Schrei aus. Sie wünschten ihnen eine sichere Reise und begleiteten
sie vor das Stadttor. Laietha sah ihren Mann an. "Sie
ist so ein eigensinniges Ding. Einfach ihre Sachen zu
packen und uns vor vollendete Tatsachen zu stellen...ich
frage mich, woher sie das hat!" Boromir grinste
sie breit an. "Erinnert mich an eine junge Frau, die einfach
ihre Sachen gepackt hat und entgegen aller Gebote und
Versprechen der Ringgemeinschaft hinterhergelaufen ist,
nur um ihrem Geliebten den Hintern zu retten."
Laietha traf seinen Blick und verzog das Gesicht zu
einer Grimasse. "Wirklich komisch," schmollte
sie. Das war etwas völlig anderes, setzte sie in
Gedanken hinzu. Boromir sah mehr als unglücklich aus, als er
seiner Tochter zum Abschied hinterher winkte. Laietha
drückte seine Hand. Sie wollte ihm ein paar tröstende
Worte sagen, als sie einen stechenden Schmerz in der
Brust spürte. Sie drückte die Hand ihres Mannes
noch fester. Boromir lachte leise. "Zu spät, Liebes! Du musst dich jetzt gar
nicht beschweren, immerhin war es deine Idee."
Dann sah er sie an und erschrak. Ihr Gesicht war schmerzverzerrt
und Schweiß stand auf ihrer Stirn. "Was..."
entfuhr es ihm und dann fiel sein Blick auf ihr blutverschmiertes
Leinenhemd. Ihre Hand wanderte an ihre Brust. "Hilf
mir!" brachte sie hervor und brach zusammen. Der schwarze Vogel stieß einen triumphalen
Schrei aus, der fast wie Spottgelächter klang,
und flog von dannen. Angst ergriff von Boromir Besitz. "Aragorn,
komm her! Schnell!" rief er und der König
hastete an seine Seite. Er kniete neben seiner Schwester
nieder und entfernte vorsichtig ihr Hemd. Der lange
Schnitt an ihrer Brust blutete stark. Hilflos sahen
sich die beiden Männer an. "Was...aber wie...."
stammelte Boromir. Aragorn vergeudete keine Zeit. Schnell
zog er sein Hemd aus und riss ein Stück davon ab,
das er auf die Wunde presste. Die Blutung ließ
nicht nach. Aragorn fluchte. "Wir müssen sie zu den Häusern der
Heilung bringen." Boromir stand auf. Eine Menschenmenge
hatte sich um sie versammelt. Aragorn hob sie in seine
Arme. "Macht Platz für den König!"
bellte Boromir. Die Menschen wichen auseinander und
bildeten eine Gasse. Laietha stöhnte vor Schmerz
und kämpfte darum, bei Bewusstsein zu bleiben.
Schnell drängten sie sich durch die Massen.
Auf ihrem Weg durch die Stadt hinterließen sie
eine Blutspur. *** Etwa eine Stunde später hatten sie es schließlich
geschafft, die Blutung zu stillen. Boromir ließ
sich auf der Bettkante an der Seite seiner Frau nieder
und nahm Laiethas Hand - sie war schrecklich kalt. Ihre
Blicke trafen sich. Boromir strich ihr sanft über
die Wange. "Ruh dich etwas aus, Laietha,"
murmelte er leise. Aragorn hatte sich die Hände gewaschen. Er selbst
sah müde und erschöpft aus - was auch wenig
verwunderlich war, denn schließlich hatte er gerade
verbissen um das Leben seiner Ziehschwester kämpfen
müssen. Plötzlich flog die Tür auf und
Mornuan eilte mit einem besorgten Ausdruck im Gesicht
ins Zimmer. "Ich habe erfahren, dass du hier bist,
mein Geliebter! Was für Sorgen ich mir gemacht
habe! Geht es dir gut? Was ist denn passiert?"
Aragorn schloss sie fest in den Arm. "Sei unbesorgt,
Liebes. Ich bin nicht verletzt," flüsterte
Aragorn beruhigend. Seine Verlobte entspannte sich nun
und Boromir war zu sehr mit seiner Frau beschäftigt,
um Mornuan einen entsprechenden Kommentar an den Kopf
zu werfen. Mornuan trat zu Laietha ans Bett und lächelte
sie mitfühlend an. "Oh, liebste Schwester!"
rief sie sorgenvoll. "Ich hoffe, es geht dir wieder
besser! Lass mich doch mal einen Blick darauf werfen!"
Sie schob die Bettdecke zurück und berührte
Laiethas Brust. Die Kriegerin stöhnte gepeinigt
auf. Mornuan schrak zurück und schlug die Hände
vors Gesicht. "Ich bin so schrecklich ungeschickt!
Verzeih mir!" schluchzte sie verzweifelt. Aragorn
redete auf sie ein, um sie zu beruhigen, aber seine
Verlobte war über ihr Missgeschick untröstlich.
Boromir stand auf und schob die beiden sanft zur Tür
hinaus. "Laietha braucht jetzt Ruhe. Bitte geht
und lasst sie ein wenig schlafen!" Aragorn und seine Geliebte zogen ohne Protest von
dannen. Boromir ging zu seiner Frau zurück ans
Bett. Laietha stand der Schweiß auf der Stirn
und sie atmete schwer. Ihr Mann lächelte sie aufmunternd
an und kühlte ihr das Gesicht. "Was machst
du nur für Sachen, Liebes?" fragte er und
schüttelte den Kopf. Auch Laietha brachte ein gequältes
Lächeln zu Stande. "Tja, Liebster, ich kann dein ewiges Schnarchen
nicht mehr ertragen und habe mich nach einem Einzelzimmer
gesehnt - also bin ich hier." Er presste seine
Lippen gegen ihren Scheitel. Lange hatte er neben ihr gesessen und ihre Hand gehalten.
Endlich war Laietha eingeschlafen. Sie sah wirklich
schrecklich erschöpft aus. Boromir hauchte ihr
einen Kuss auf die Lippen und mit einem letzten Blick
auf seine schlafende Frau verließ er den Raum. Auf dem Gang rannte ihn Elladan fast um. "Wo
ist sie? Wie geht es ihr?" Boromir legte seine Hand beruhigend auf die Schulter
des Elben. Elladan schnappte nach Luft. Er war den ganzen
Tag über bei den Pferden gewesen und hatte erst
vor wenigen Minuten erfahren, dass es seiner Ziehschwester
nicht gut ging. Er war sofort gekommen, als er es gehört
hatte. "Sie schläft," antwortete Boromir
und schob seinen Schwager langsam aber bestimmt in Richtung
Ausgang. Der Elb schüttelte den Kopf. "Was
ist denn nur passiert? Vorhin ging es ihr doch noch
blendend!" Darauf wusste auch der Gondorianer keine Antwort.
Hilflos zuckte er mit den Schultern. "Wenn ich
es nur wüsste...plötzlich ist sie zusammengebrochen
und ihr Hemd war blutverschmiert. Bei den Valar - so
etwas habe ich noch nie gesehen! Es schien fast, als
presste jemand das Leben aus ihr wie Saft aus einer
reifen Frucht!" Bei der Erinnerung schüttelte
es ihn. Schweigend machten sie sich auf den Rückweg
zum Palast. Ein wenig zögerlich, ergriff Elladan
schließlich wieder das Wort. "Ich kann dir
nicht sagen warum, vielleicht ist es nur so ein Gefühl,
aber ich glaube, wir sollten sie nicht alleine lassen."
Boromir nickte lächelnd. Genau das dachte er auch.
Etwas war hier seltsam, er wusste nur noch nicht was.
"Ich werde nachher mit Aragorn darüber sprechen."
*** "Sieh mal, Herr Frodo, was wir hier haben!"
rief Sam erfreut und schwenkte einen Brief in seiner
Hand. Er lief schnellen Schrittes zu seinem Freund,
der sich gerade mit Sams jüngsten Kind im Garten
beschäftigte. Das Kleine konnte vom vielen Umhertollen
gar nicht genug bekommen und wieder musste Frodo wie
ein schrecklicher Drache fauchen, damit das jüngste
Mitglied der Gamschiefamilie quietschend davon stürmen
konnte. Frodo klopfte sich lachend das Gras von der
Hose und trat an die Seite seines Freundes. "Was für Nachrichten bringst du, Herr Bürgermeister?"
neckte ihn er ihn, denn wie sonst auch errötete
Sam verlegen. Er erfüllte seine Aufgabe meisterhaft,
aber seine Bescheidenheit hatte er nie ablegen können.
Er reichte seinem Freund den Brief, froh, damit vom
Thema ablenken zu können. Sofort erkannte Frodo,
dass der Brief von Aragorn kam und neugierig überflog
er die Zeilen. Er keuchte überrascht. "Hey, Frodo, Sam!" Die zwei Hobbits sahen
auf und erblickten Merry und Pippin, die am Zaun standen
und wie verrückt winkten. "Habt ihr schon
von Aragorn gehört?" wollte Merry wissen.
"Er wird in einem Monat heiraten!" rief Pippin.
Aufgeregt stürmten sie in den Garten. Bald schon waren sie alle in eine angeregte Diskussion
über das bevorstehende Ereignis vertieft. Das waren
nun wirklich wunderbare Neuigkeiten und sie konnten
sich noch sehr gut an die herrliche Hochzeit von Boromir
und Laietha erinnern. "Um keinen Preis der Welt
würde ich mir eine königliche Hochzeit entgehen
lassen! Alleine, wenn ich an das gute Essen denke..."
Merry strich sich gedankenversonnen über den Bauch,
der schon bei dem Gedanken an die köstlichen Speisen
zu knurren begann. Rosie war in den Garten gekommen und hängte
die Wäsche auf, die sie gewaschen hatte. Freudig
begrüßte sie den Besuch, ließ die Wäsche
Wäsche sein und eilte ins Haus, um den Gästen
ein paar Erfrischungen anzubieten. Merry und Pippin
waren gleich mit Sack und Pack angereist und da es schon
später Nachmittag war, beschlossen sie am nächsten
Morgen aufzubrechen. Rosie hatte sich sogleich ans Werk gemacht und ihren
Freunden ein Gästezimmer bereit gemacht. Merry
und Pippin nahmen ein ausgiebiges Bad, während
Sam in der Küche mit Töpfen und Pfannen hantierte.
Bald roch es im ganzen Haus himmlisch nach Essen. Lange ließ sich niemand bitten, als das Abendessen
aufgetragen wurde. Sie schmausten nach Herzenslust und
als Rosie schließlich die Kinder zu Bett brachte,
setzten sich die Männer ins Wohnzimmer und ließen
sich ihr Pfeifchen schmecken. "Was könnten wir nur als Geschenk mitnehmen,"
grübelte Pippin laut vor sich hin, an einem Stückchen
Käse herumknabbernd. Merry sog gedankenverloren
an seiner Pfeife und Frodo kratze sich nachdenklich
am Kopf. Sie hatten sich schon beim Abendessen ihre
Gedanken gemacht, aber keinem von ihnen war etwas brauchbares
eingefallen. Der König von Gondor hatte doch schon
alles. Lange saßen sie beieinander. Das Feuer
im Kamin war schon heruntergebrannt und Rosie hatte
sich zu Bett begeben. Auch die anderen standen kurz
davor, die Segel zu streichen. "Wir sollten ihnen die Samen eines Baumes schenken.
Eine Ehe ist wie ein Baum - sie wächst mit der
Zeit und wenn man sie pflegt, trägt sie die köstlichsten
Früchte," murmelte Sam tief in Gedanken. Mit
einem Grinsen von einem Ohr zum anderen sprang Frodo
auf. "Das ist einfach brillant!" rief er aus
und Sam fuhr erschreckt zusammen, aber sein Freund lächelte
ihn wissend an. "Mein lieber Sam, du bist nun schon
seit so vielen Jahren Bürgermeister von Hobbingen,
aber in deinem Herzen wirst du immer ein Gärtner
bleiben!" Alles schwieg eine Sekunde lang. "Mach
dir keine Sorgen, Sam, ich glaube, das war ein Kompliment!"
rief Pippin beruhigend. Jetzt, da sie eine Idee für das Hochzeitsgeschenk
hatten, konnten sie den Rest des Abends in vollen Zügen
genießen. Sie schwatzten fröhlich und aufgeregt
durcheinander und nach einem letzten Mitternachtsimbiss
begaben sich alle zu Bett. Rosie kuschelte sich an ihren Mann. Er berichtete
ihr von dem Geschenk für Aragorn und sie lächelte
verschmitzt. Etwas anderes hatte sie von ihrem Sam auch
nicht erwartet. "Das war eine wundervolle Idee,
mein Liebling. Aber was habt ihr für seine Frau?"
Sam zuckte mit den Schultern. Selbst für Streicher,
den sie nun schon so lange kannten, war es schwer gewesen,
ein Geschenk zu finden, aber seine Braut kannten sie
gar nicht... "Darüber hab ich noch gar nicht nachgedacht,"
brummelte Sam. Rosie überlegte einen Moment lang.
"Ich hab's!" schmunzelte sie plötzlich.
"Wie wäre es mit diesen Blumen, die ihre Blütenblätter
schließen, um ihre Samen zu schützen? Du
weißt schon, Sam - die wir auch als Rasseln für
unsere Kinder benutzen!" Sam schenkte ihr ein strahlendes
Lächeln und küsste sie liebevoll auf die Stirn.
"Du bist so klug, Rosie! Warum bin ich nur nicht
darauf gekommen? Das ist wirklich reizend!" Seine
Frau errötete. "Nun, ich habe viel von dir
gelernt, mein lieber Sam." Nach einem ausgiebigen Frühstück und gut
gelaunt, machten sich die vier Hobbits auf den Weg.
Die Reise nach Gondor war lang, aber sie würden
es schon schaffen. Sam war ein wenig schwer ums Herz
geworden, als er seine Familie verlassen hatte, aber
zwei seiner Kinder waren einfach noch zu klein für
eine so lange Reise und seine Freunde hatten ihn beim
besten Willen nicht zurücklassen wollen. Rosie
und die Kinder hatten ihnen noch lange nachgewinkt.
Fröhlich stimmten Merry und Pippin nun ein paar
Lieder an, um sich die Zeit zu vertreiben und bald stimmten
auch Frodo und Sam mit ein. So ritten sie des Weges
und nicht wenige drehten sich nach ihnen um. Einige
schüttelten den Kopf über den Neffen des verrückten
alten Beutlin, von dem im Auenland noch oft gesprochen
wurde. Schließlich hatte sich der alte Knabe auf
einem geflügelten Drachen reitend aus dem Staub
gemacht und hatte dabei noch dem Haus der Sackheim Beutlins
die Wetterfahne vom Dach stibitzt - zumindest erzählte
man sich so die Geschichte von Bilbos Verschwinden. "Wie glaubt ihr denn, wird seine Braut aussehen?"
wollte Merry wissen und kaute an einem Apfel. Sam war
natürlich sofort davon überzeugt, dass Aragorn
eine wunderschöne, gütige Elbin zu seiner
Frau machen würde. Seine Augen leuchteten bei dem
Gedanken daran, dass er vielleicht ein paar Elben auf
dem Fest bestaunen können würde. Frodo lachte
laut. "Das ist mal wieder typisch für dich,
Sam!" Pippin war ganz und gar nicht Sams Meinung. Natürlich
würde Aragorn sich eine Frau aus seinem eigenen
Volk gewählt haben - eine Fürstin Gondors,
vielleicht aus Dol Amroth -Pippin kannte sich langsam
wirklich gut mit den Stadtstaaten Gondors aus. "Also ich bin mir ganz sicher, dass er sich
eine Schildmaid Rohans geangelt hat. Er kommt doch auch
ganz prima mit Frau Eowyn aus," verkündete
Merry voller Inbrunst. Frodo grinste vor sich hin. "Und
was glaubst du, Herr Frodo?" fragte Sam nachdem
sie eine Weile diskutiert hatten. Merry hatte sogar
eine kleine Wette mit Pippin abgeschlossen. Frodo zuckte
mit den Schultern. "Keine Ahnung, aber ich kann
kaum noch erwarten, es herauszufinden! Also lasst uns
nicht trödeln, Freunde!" *** Aragorn war fest davon überzeugt, dass seine
Schwester völlig in Sicherheit war, aber auf das
Drängen seines Schwagers hin hatte er nun doch
zwei Wachen vor ihrem Krankenzimmer postieren lassen.
Boromir war mit dieser Lösung sehr zufrieden gewesen.
Er hatte noch einmal kurz nach seiner Frau gesehen,
aber Laietha schlief tief und fest. Inzwischen hatte
er beschlossen, da sein Sohn nicht aufzufinden war,
den Abend bei seinem Bruder zu verbringen. Boromir hatte sich zuvor zum Badehaus begeben, ausgiebig
gebadet und sich Bart und Haare stutzen lassen. Er hatte
frische Kleidung angezogen und sich ein letztes Mal
nach dem Wohlbefinden seiner Frau erkundigt. Nun befand
er sich auf dem Weg zu Faramir und Eowyn. Unweit des Palastes lief ihm einer der Köche
über den Weg, der seinen unglücklich dreinblickenden
Sohn am Ohrläppchen zum Palast zerrte. Boromir
erstarrte zu einer Salzsäule. "Was ist hier
los?" fragte er argwöhnisch. In welchen Schlamassel
hatte sein Sohn sich nun schon wieder gebracht? Der
Koch verharrte in seinem Schritt und starrte düster
vor sich hin. Als Aiglos seinen Vater erblickte, stieß
er einen unglücklichen Schrei aus. Boromir verdrehte
die Augen. "Du liebe Güte - was ist es denn nun schon
wieder, Aiglos?" seufzte Boromir genervt. Der Koch
nahm dem Jungen das Antworten ab. "Dieser Lausebengel
fand es unheimlich komisch, Zucker ins Essen zu schütten.
Ich muss das komplette Menü ändern! Die Arbeit
eines ganzen Tages ist umsonst! Und das, wo der König
gerade in letzter Zeit ohnehin sehr launisch ist. Wir
werden alle unseren Posten verlieren, wenn das Essen
ihn nicht zufrieden stellt!" Boromir ließ
die Schultern hängen und seufzte resigniert. Dann straffte er sich wieder, sah seinem Sohn fest
in die Augen und hub mit strenger Stimme zu sprechen
an: "Du weißt, dass du dafür bestraft
werden musst, nicht wahr, Sohn?" Der Junge begann
sich unbehaglich zu winden. "Ja, Vater." Jegliche
Diskussion würde sowieso vergeblich sein. Boromir
verzog das Gesicht und begann seine altvertraute Litanei
herunterzuleiern. "Du musst lernen, die Arbeit eines Koches zu
schätzen." Bedauernd sah er den Koch an. Dann
hob der Gondorianer die Augenbraue. Er kannte diesen
Koch irgendwoher. Hatte er nicht lange Jahre bei Elrond
gedient? Er biss sich auf die Unterlippe, ließ
den Koch aber nicht bemerken, dass er ihn erkannt hatte.
"Es tut mir leid, dass mein Sohn euch solche Scherereien
gemacht hat," fuhr er statt dessen fort. "Als
Bestrafung würde ich ihn gerne heute in eure Obhut
übergeben. Würde euch diese Strafe genüge
tun?" Der Koch nickte. "Das ist ein gutes Angebot,
mein Herr. Dank diesem dummen Streich werden wir noch
genug zu tun haben und können jede helfende Hand
gut gebrauchen." Er verbeugte sich und packte den
Jungen am Arm. Boromir schaffte es gerade noch, seinem
Sohn etwas ins Ohr zu flüstern, an das er sich
im letzten Moment erinnert hatte. "Pass bloß
auf, dass du dich nicht beim Ausruhen erwischen lässt.
Wenn du einen Fehler machst, wird er die eins mit seinem
Holzlöffel überziehen." Der Junge wunderte sich zwar, woher sein Vater so
etwas wissen sollte...konnte sich aber ein Grinsen nicht
verkneifen und beschloss, den Kochlöffel des Kochs
ein wenig im Auge zu behalten. Vielleicht sollte er
seinen Vater mal nach einer näheren Erklärung
fragen... Als Aiglos und der Koch fort waren, kamen Boromir
noch einmal die Worte des Koches in den Sinn. Was hatte
er gesagt? Er befürchtete tatsächlich, dass
Aragorn ihn wegen eines nicht perfekten Essens entlassen
musste? Das konnte er sich beim besten Willen nicht
vorstellen. Aragorn brachte es sogar fertig, Laietha
glaubwürdig für ein Essen zu loben. Aber vielleicht
war es doch nicht so abwegig. Hatte Aragorn sich verändert?
Boromir schüttelte den Kopf. Er wurde schon
genauso paranoid wie seine Frau! Es wurde Zeit, dass
er zu seinem Bruder kam. Ein wenig Ablenkung würde
ihm gut tun. *** Boromir nahm im Wohnzimmer seines Bruders Platz und
schloss die Augen. Es tat sehr gut, endlich wieder bei
Faramir zu Besuch zu sein. Die beiden Brüder liebten
sich sehr und hatten sich schon lange nicht mehr gesehen.
Faramir reichte ihm eine Tasse Tee und Boromir nickte
dankbar. "Ich hab von Laietha gehört." Faramir
sah seinen großen Bruder einen Moment lang an
- Boromir sah mitgenommen aus. Normalerweise sah man
ihm sein Alter nicht an, aber diesmal... "Wie geht
es ihr?" Faramir mochte seine Schwägerin sehr
gerne. Boromir berichtete seinem Bruder, was geschehen war
und seufzte am Schluss seiner Ausführungen schwer.
Faramir legte ihm aufmunternd die Hand auf die Schulter.
"Mach dir keine Sorgen - sie ist eine Kämpferin.
Laietha wird schon wieder auf die Beine kommen."
Sein Bruder nickte. Mit einem Grinsen setzte Faramir
hinzu: "Gibt es sonst noch was Neues?" Nun musste Boromir schmunzeln und erzählte von
dem neusten Missgeschick seines Sohnes. Faramir brach
in Gelächter aus. "Erinnert mich an den ältesten
Sohn des Truchsessen! Aiglos kann von Glück sprechen,
dass du kein Freund von körperlicher Züchtigung
bist - ganz im Gegensatz zu Vater!" Sie begannen
zu lachen. "Oh ja - weißt du noch,"
Boromir grinste von einem Ohr zum anderen. "Ich
hatte die blöde Idee, Vaters Lieblingsstuhl als
Pferd zu benutzen und er ist unter mir zusammengebrochen!"
Faramir schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn.
"Ich dachte, du würdest eine ganze Woche lang
nicht sitzen können!" Boromir lachte auf.
"Konnte ich auch nicht!" Faramirs Gesicht wurde plötzlich sehr ernst.
"Er war viel zu streng mit uns." Boromir sah
ihn an und erblickte einen vertrauten Schmerz in seinen
Augen. Er begann sich unsicher und hilflos zu fühlen
- wie schon so oft. Wie schon, als sie noch Kinder gewesen
waren und er selbst das Gefühl gehabt hatte, dass
sein Vater ihn anders als Faramir behandelte. Er fühlte
sich schuldig - weil er nichts getan hatte, um das zu
ändern. Er hatte einfach nur zugesehen. In diesem Moment dachte er nicht an die vielen
Augenblicke, in denen er die Schuld auf sich genommen
hatte, damit Faramir nicht bestraft wurde - denn der
jüngere Sohn des Truchsessen hatte weniger Gnade
zu erwarten gehabt als sein Stammhalter. Faramir wirkte
oft bedrückt, wenn man über ihren Vater sprach.
Boromir entschied sich, das Thema zu wechseln. Er hatte
für heute genug üble Stimmungen gehabt. "Du solltest froh sein, dass Ionvamir nicht
so ein Tunichtgut wie Aiglos ist." Faramir schmunzelte.
"Er macht genauso viel Unsinn wie dein Sohn, nur
ist er - wie sein Vater - besser darin, das ganze zu
vertuschen." Sie hörten, wie die Haustür aufschwang
und keinen Augenblick später stürmte die kleine
Auranor in den Raum. Mit einem freudigen Quietschen
hopste sie auf den Schoß ihres Vaters und forderte
einen Kuss von ihm - indem sie ihn am Bart zog. In ihrer
Hand hatte sie einen Kranz aus Blumen, der zwar etwas
verunglückt aussah, aber zu erkennen war. Sie setzte
ihn ihrem Vater stolz aufs Haupt. Dann entdeckte sie
ihren Onkel und ein Strahlen huschte über ihr Gesicht.
"Onkel Bormie!" quietschte sie vergnügt
und warf sich in seine Arme. "Ugh - ich muss dir
unbedingt erzählen, was mir heute passiert ist!"
Binnen weniger Augenblicke hatte die Kleine die Aufmerksamkeit
ihres Onkels ganz für sich beansprucht und Boromir
war gewillt, ihr aufmerksam zuzuhören. Eowyn folgte ihrer Tochter, nachdem sie das Chaos,
das die Kleine im Flur hinterlassen hatte, beseitigt
hatte. Sie begrüßte Faramir mit einem zärtlichen
Kuss. Dann fiel ihr Blick auf ihren Schwager, der am
Boden kniete - Auranor auf seinem Rücken, die ihn
als Pferd missbrauchte. "Schneller, Onkel Bormie!"
lachte sie und ihr "Pferd" wieherte und verfiel
in einen leichten Trab. Eowyn servierte ein köstliches Abendessen. Boromir
hatte die Einladung seines Bruders dankbar angenommen.
Er hatte keine Not, sich zu beeilen. Laietha war in
den Häusern der Heilung und würde gewiss schon
schlafen, Aiglos tat seinen Strafdienst in der Küche
und Luthawen war mit Olbern fort. Laiethas Bettseite
würde heute Nacht leer bleiben, dachte er mit Unbehagen.
Es würde seltsam sein. Ist es nicht eigenartig,
wie sehr ich mich daran gewöhnt habe, dachte er
für sich. Auch Eowyn war entsetzt gewesen, als sie von der
Krankheit ihrer Freundin erfahren hatte. "Aber
wo sind deine Kinder?" fragte sie schließlich.
Eowyn musste lachen, als sie erfuhr, dass Aiglos in
der Küche schuften musste. "Das sieht ihm
ähnlich! Er ist aber auch ein Unglücksrabe!
Dass er sich immer dabei erwischen lässt!"
Boromir warf einen Blick in die Runde und nun fiel ihm
auf, dass auch sein Neffe fehlte. Als er sich nach dem
Verbleib des Jungen erkundigte, begann Faramir zu grinsen.
"Ach weißt du - als ich hörte, was
Aiglos angestellt hatte, beschlich mich die leise Ahnung,
dass Ionvamir vielleicht nicht ganz unschuldig sein
würde und da dachte ich mir, sorge ich dafür,
dass Aiglos ein wenig Gesellschaft bekommt." Die
Männer sahen sich an und lachten laut. Boromir
schlug seinen Bruder freundschaftlich auf die Schulter.
Eowyn schüttelte den Kopf. Männer! "Doch nun sag mir, wo Lutha ist! Ich schätze,
sie ist wohl zu alt für solche dummen Scherze!"
meldete sie sich wieder zu Wort. Das Grinsen auf Boromirs
Gesicht gefror und mit wirklicher Unglücksmiene
berichtete er vom Verbleib seiner Tochter. "Also
ist sie mit Olbern nach Düsterwald gegangen,"
schloss er. Eowyn lächelte und nahm seine Hand.
"Mach dir keine Sorgen. Er st ein anständiger
Kerl." Er schüttelte den Kopf. "Ihr Frauen
seid doch alle gleich. Bestimmt steckst du mit Laietha
unter einer Decke. Das waren so ziemlich die selben
Worte, die auch meine Frau benutzt hat." Faramir griente. "Und ich schätze, dass
sie recht hat." Boromir zog eine Augenbraue hoch.
"Darüber reden wir noch mal, wenn Auranor
ihren ersten Freund hat." Es war schon sehr spät geworden, als Boromir
sich endlich auf den Heimweg machte. Er genoss die kühle
Abendluft und das Gefühl, endlich wieder einmal
daheim zu sein. Er hatte Laietha noch einen kurzen Besuch
abgestattet, aber sie hatte geschlafen. Zufrieden hatte
Boromir festgestellt, dass sie schon wieder etwas besser
aussah. Auch der Heiler hatte ihm versichert, dass sich
seine Frau rasch erholte. Boromir war beruhigt. Er hatte
auch die zwei Wachen bemerkt, die sich vor ihrer Tür
postiert hatten. Eine Weile lang hatte er ihre Hand gehalten - behutsam,
um sie nicht zu wecken. Es zog ihn zwar nicht wirklich
zurück ins eheliche Bett, aber hier konnte er nichts
für sie tun. Also stand Boromir auf und ging. Als
er durch die Gänge des Palastes lief, kam eine
schlurfende Gestalt den Gang entlang - es war Aiglos.
"Na, mein Sohn, hast du deine Lektion gelernt?"
Der Junge rieb sich die schmerzenden Schultern. Den
ganzen Abend über hatte ihn der Koch hin und her
gescheucht, hatte ihn bergeweise Geschirr spülen
lassen, Wasser holen, Mehlsäcke schleppen... Boromir lachte leise und brachte Aiglos zu seinem
Zimmer. Der Junge fiel wie ein Stein ins Bett und stöhnte.
Boromir deckte ihn zu und sein Sohn drehte sich nun
zu ihm. Boromir nahm an seiner Seite Platz. Aiglos sah
ihn neugierig an. "Sag mal, Papa, woher wusstest
du denn so gut über den Löffel Bescheid?"
Boromir zuckte mit den Schultern. "Lass es mich
mal so ausdrücken - es ist keine gute Idee, den
Hobbits Unterricht im Schwertkampf zu geben..." Aiglos sah ihn verwundert an. "Zumindest
nicht, wenn man es in der Küche von Bruchtal tut.
Es wird noch schlimmer, wenn der Koch wütend auf
dich wird und es Herrn Elrond vorträgt und der
es wiederum für eine gute Idee hält, den Sohn
des Stadthalters seine Strafe zwischen Töpfen und
Pfannen abbrummen zu lassen." Aiglos lachte und
Boromir zerzauste ihm das Haar.
"Wie geht's
Mama?" fragte der Junge plötzlich. Das sorgenvolle
Gesicht des Jungen war für Boromir wie ein Stich
ins Herz. Trotzdem brachte er ein Lächeln zustande.
"Sie schläft." Aiglos gähnte und
Boromir zog die Decke ein Stückchen weiter über
seinen Sohn. "Und du solltest jetzt auch schlafen.
Du kannst sie morgen besuchen. Sie freut sich bestimmt,
dich zu sehen. Aber erzähl ihr besser nichts von
deinem neuen Ausrutscher." Aiglos versprach es
seinem Vater. Dann nahm er Boromirs Hand. "Mach
dir keine Sorgen wegen Lutha, Papa." Der Mann riss erstaunt die Augen auf. Du meine Güte,
nun wird auch mein Sohn langsam erwachsen, dachte er.
Sein Sohn grinste ihn an. Boromir hatte sich ja auch
keine große Mühe gegeben, zu verbergen, was
in ihm vorging. "Sie hat mir gesagt, dass sie ihn
liebt und er scheint ein netter Kerl zu sein. Und ich
schätze mal, er hat viel zu viel Angst vor dir,
um etwas Dummes zu tun." Boromir konnte sich ein
Lachen nicht verkneifen. Er verpasste seinem Sohn einen
freundschaftlichen Nasenstüber. "Frecher Kerl!"
grinste er. Zu viel Angst, um etwas Dummes zu tun...das
war ganz nach seinem Geschmack.
(3)
Versteh´ einer die Frauen!
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