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Titel: Der
geschenkte Tag
(Seite 3) Autor: Naurdolien
"Schlaf
jetzt, oder du kannst morgen gerne wieder in der Küche
arbeiten, wenn du zu viel Energie hast, mein Sohn."
Aiglos stöhnte gequält. Sie wünschten
sich eine gute Nacht und dann verließ Boromir
den Raum. Er zog sich aus und bevor er zu Bett ging, starrte
er eine Weile lang auf Laiethas leere Seite. Er hatte
seit Jahren nicht mehr alleine geschlafen. Mit einem
Seufzer legte er sich nieder, griff sich eins ihrer
Kissen und nahm es in den Arm. Er vergrub seinen Kopf
darin und lächelte, als er noch eine Spur von ihrem
Duft darin wahrnahm. Boromir hoffte, dass sie schnell
wieder gesund würde - oder er würde seine
Sachen packen und zu ihr in die Häuser der Heilung
ziehen! *** Sie waren lange unterwegs gewesen und als Luthawen
vom Pferd stieg, rieb sie sich den schmerzenden Po.
Olbern begann bei diesem Anblick leise zu lachen. "Keine
Sorge, Lutha, du wirst eine ganze Weile lang nicht mehr
reiten müssen!" Er legte ihr den Arm um die
Hüfte und führte sie am Eingang der Höhlen
vorbei, die den Hauptsitz der Beorninger bildeten. Es
hatte sich sehr verändert seit dem Überfall
der Beorninger vor vielen Jahren. Die Wachen grüßten das Menschenmädchen
freundlich. Ihnen war anzusehen, dass es den Beorningern
gut ging. Nachdem sie die Höhlen passiert hatten,
kamen sie zu einem kleinen Dorf, in dem sich auch das
Haus von Bereg und seiner Familie befand. Luthawen betrachtete
lächelnd den gepflegten Vorgarten, in dem die schönsten
Blumen blühten. Efeu rankte sich an den Wänden
hinauf. Amüsiert dachte Luthawen an den Garten
ihrer Mutter, in dem jede Menge nützliche Kräuter
zu finden waren - wenn man wusste, wo man suchen musste.
Sie betraten das Haus und trafen Olberns Mutter in
der Küche an, wo sie das Mittag zubereitete. Als
sie ihren Sohn sah, stieß sie einen Freudenschrei
aus und umarmte ihn so heftig, dass Luthawen meinte,
seine Rippen knacken zu hören. Das Mädchen
kicherte leise. Olberns Mutter sah wie alle Beorninger
durch ihre Größe sehr bedrohlich aus, aber
sie war eines der freundlichsten Wesen, denen Luthawen
je begegnet war. Als die Beorningerin schließlich das junge
Mädchen und die Elben entdeckte, bellte sie Olbern
etwas in ihrer eigenen Sprache zu, das sehr wütend
klang. Wahrscheinlich hatte sie ihren Sohn gerügt,
weil er ihr den Besuch nicht angekündigt hatte. Dann fuhr sie in der Gemeinsamen Sprache mit ihrem
harten Akzent an das Mädchen gewandt fort. "Lutha,
Liebes! Ist es zu fassen! Du bist wirklich eine kleine
Schönheit geworden! Olbern hatte es mir ja gesagt,
aber nun sehe ich, dass er nicht übertrieben hat.
Wie geht es dir? Sind deine Eltern wohlauf? Ich hoffe
doch, dass du lange genug bleiben wirst, um mir alles
genau zu berichten!" Das Mädchen antwortete
höflich auf den Schwall von Fragen und als Beregs
Frau dann endlich zufrieden war, drängte sie die
Gäste im Esszimmer Platz zu nehmen. Nur wenige Augenblicke später kehrte sie mit
dampfenden Töpfen, Pfannen und Schüsseln bewehrt
zurück. "Esst nur Kinder! Nach so einer langen
Reise müsst ihr ja am Verhungern sein!" Sie
erkundigte sich nach dem Verlauf der Reise, während
sie ihnen gewaltige Berge auf die Teller häufte.
Dann trat sie zu Herrn Elrond und Elrohir und tat ihnen
eine Portion auf, die selbst einen Hobbit gesättigt
hätte. "Nun esst, Herr Elb! Ihr seid erschreckend mager!"
Sie schlug dem Elben freundschaftlich auf die Schulter.
Elrond sah sie etwas verwirrt an, wagte aber nicht,
zu widersprechen. Luthawen kicherte leise vor sich hin.
Es kam schließlich nicht oft vor, dass sie erleben
durfte, wie jemand ihren Großvater so behandelte. Als sie fertig mit dem Essen waren, fragte Olbern
seine Mutter, wie es seinem Vater ginge. Die Beorningerin
sah ihn ernst an. "Es geht ihm nicht gut, aber
sieh selbst." Gemeinsam gingen sie in Beregs Zimmer.
Er lag im Bett und sah schrecklich schwach aus. Herr
Elrond verzog besorgt das Gesicht und begann sofort,
den Beorninger zu untersuchen. Er sog scharf den Atem
ein. "Was ist, Großvater?" fragte Luthawen
auf Sindarin. Elrond wandte sich Beregs Frau zu. "Es
ist gut, dass ich gekommen bin. Schnell, zeigt mir eure
Küche. Ich brauche Töpfe und Wasser."
Sie verließen den Raum und Bereg sah sich den
Besuch näher an. Als sein Blick auf das Mädchen
fiel, schlich sich ein Lächeln auf sein Gesicht.
"Wenn das nicht unsere kleine Lutha ist! Aus dir
ist ja eine richtige Dame geworden. Und eine hübsche
noch dazu. Du siehst schon wie deine Mutter aus."
Luthawen errötete verschämt. Olbern legte
ihr sanft einen Arm um die Schulter und sein Vater lächelte
erneut. "Da hast du es also endlich hinter dich gebracht,
ja?" Mit einem Blick auf Luthawen fügte er
hinzu: "Olbern ist ganz vernarrt in dich. Jedes
Mal, wenn er von einem Besuch bei deinen Eltern wiederkam,
hat er von nichts anderem als dir geredet." Sie
schmunzelte und nun war es an Olbern, rot zu werden.
"Vater..." zischte er. Sie begannen zu lachen.
Auch Bereg wollte wissen, wie es Laietha und Boromir
ging. Luthawen erstattete auch ihm artig Bericht. "Und
wie geht es meiner lieben Freundin Eowyn und ihrem Mann?
Ich bin mir sicher, dass ihr sie besucht habt, als ihr
in der Weißen Stadt wart, oder hattet ihr nichts
anderes im Sinn, als den ganzen Tag zu küssen?"
"Vater, bitte!" protestierte Olbern lautstark.
Ihm war das alles mehr als peinlich. Auch vom Wohlbefinden
Eowyns und ihrer Familie berichtete Luthawen und Bereg
gab sich damit zufrieden. "Ich hatte selbst hingehen
und sie besuchen wollen, aber hier gibt es so viel zu
tun... Ich bin wirklich erleichtert, dass Olbern jetzt
hier ist, um mir zu helfen." Beregs Frau betrat das Zimmer. "Lutha, dein
Großvater sagte, er braucht deine Hilfe."
Sie nickte und eilte aus dem Raum. Elrohir hatte sich nach dem Essen schon aus dem Staub
gemacht. Vor einigen Jahren, als sie gemeinsam mit Bereg
und seinem Onkel versucht hatten, die Rebellen unter
den Beorningern zu vereinen, hatte er einige Freunde
gefunden und die wollte er nun besuchen. Nach einer ganzen Weile kehrten Luthawen und Elrond
zurück. Elrond hielt eine Tasse mit einem angenehm
duftenden Tee in den Händen, die er Bereg reichte.
"Trinkt das und schlaft, dann sollte es euch schon
bald besser gehen." Seine Frau dankte dem Elben
von ganzen Herzen und schon bald begann sich Bereg schläfrig
zu fühlen. Sie verließen den Raum und Olbern
machte sich daran, sich einen Überblick über
die anstehenden Aufgaben zu verschaffen. Es würden
nicht wenige sein, denn seinem Vater ging es schon länger
nicht gut. Beregs Frau hatte ihnen Gästezimmer vorbereitet
und langsam spürte Luthawen die Müdigkeit
in ihr aufsteigen. Sie begab sich auf ihr Zimmer und
ließ sich auf dem weichen Bett nieder. Armer Olbern,
dachte sie. Ihr Freund würde heute nicht so schnell
dazu kommen, sich auszuruhen. *** Schweiß überströmte Laiethas Gesicht.
Sie stöhnte im Schlaf und wälzte sich von
einer Seite auf die andere. "Nein, Aragorn! Nicht!"
Sie war alleine. Weit entfernt - unerreichbar weit weg,
sah sie ihren Bruder - nur ein Schattengebilde in der
Dunkelheit, aber sie erkannte ihn ohne Zweifel. Er bewegte
sich auf eine schemenhafte Gestalt zu - mit langsamen,
hölzernen Bewegungen - wie eine Marionette. Laietha
spürte, dass er in Gefahr war. "Aragorn!"
schrie sie, aber er hörte nicht. Plötzlich wurde sie von einem eisigen Hauch
verschlungen und dann zog sich die Kälte fester
um sie zusammen, fast als hätte sie jemand in ein
nasses Laken gewickelt. Laietha begann sich gegen die
klamme Kälte zu wehren, aber alle Versuche, sich
zu befreien, blieben vergebens. Sie fühlte einen
stechenden Schmerz in der Brust und schrie auf. Blut
strömte über ihren Körper und eine bedrohliche
Präsenz kam immer näher an sie heran. "Du hättest dich besser nicht mit mir angelegt,
Kriegerweib," wandte sich eine kalte Stimme an
sie. Eine Hand berührte ihren Körper und Laietha
war, als wäre ihr Fleisch an diesen Stellen sofort
abgestorben. Zunächst lag die Hand auf ihrem Bauch,
dann glitt sie höher und als sie schließlich
an ihrem Herzen ruhte, schnappte die Frau nach Luft.
Wie ein Dolch bahnte sich die Kälte ihren Weg in
den Körper der Kriegerin. Es war, als hätte
der Tod persönlich sie berührt. Nun ergriff Panik von ihr Besitz und sie begann dagegen
anzukämpfen. Kalte Lippen versiegelten ihre, eine
eisige Zunge erzwang sich den Einlass in ihren Mund
und raubte ihr den Atem. Mit stählernen Griff wurde
sie in die Kissen gepresst. Etwas saugte ihr die Luft
aus den Lungen und langsam wurden ihre Bewegungen schwächer.
Mit der Luft entschwand das Leben aus ihrem Körper.
Sie erstickte. Sie hörte auf, sich zu bewegen.
Alles wurde leicht und warm. Die Fesseln des Schattens waren von ihr abgefallen.
Nun schlief sie nicht mehr. Laietha bewegte eine Hand
und stellte erfreut fest, dass es ohne Schwierigkeiten
funktionierte. Jemand rief ihren Namen und sie lächelte.
Eine Frau, die sie schon so lange nicht mehr gesehen
hatte, winkte ihr zu. Ein gleißendes Licht umgab
sie und als sich Laietha daran gewöhnt hatte, erkannte
sie die Frau. "Mutter," flüsterte sie.
Ein Lächeln trat auf ihr Gesicht und sie nahm die
Beine in die Hand. Sie konnte es nicht mehr erwarten,
ihre Mutter nach all den Jahren endlich wieder in die
Arme zu schließen. "Mutter!" Die Frau hob ihre Hand und Laietha blieb stehen.
"Noch nicht, Liebes. Noch nicht," war alles
was sie sagte und dann begann die Frauengestalt zu verblassen.
Laiethas Augen weiteten sich vor Entsetzen. Sie hatte
so lange darauf gewartet! "Nein!" Wieder rief jemand ihren Namen - ängstlich und
verzweifelt dieses Mal. Das Licht verlosch und auf einen
Schlag hatte sie die Finsternis wieder. Laietha bekam
es mit der Angst zu tun. "Laietha!" Die Stimme klang gedämpft
und unendlich weit weg. Sie öffnete kurz die Augen
und sah ihren besorgten Mann. Dann fiel sie in eine
tiefe Ohnmacht. "Nein, bitte..." Boromir hielt ihre Hand
fest mit seiner umschlossen und wollte sie gar nicht
loslassen. Einer der Heiler legte sachte die Hand auf
seine Schulter. "Ihr müsst jetzt gehen, mein
Herr. Ihr könnt jetzt nichts für sie tun -
wir müssen abwarten." Boromir fühlte
sich entsetzlich hilflos. Er warf einen Blick auf Aragorn,
der sich mit einem Gähnen der Tür zugewandt
hatte. "Tu doch was, verflucht!" Der König
zuckte mit den Schultern. "Ich kann nicht mehr für sie tun als ich
getan habe. Wir müssen abwarten und hoffen, dass
es ihr bald besser geht. Hast du die Heiler denn nicht
gehört?" Boromir schüttelte trotzig den
Kopf. Das war das Letzte, was er jetzt vorhatte. "Ich
verstehe das alles nicht! Es ging ihr doch schon viel
besser als ich noch vor ein paar Stunden hier war!"
Der Heiler sah den aufgebrachten Mann ratlos an. "Wir
können es uns ja selbst nicht erklären! Es
ging ihr besser! Mitten in der Nacht aber kamen die
Wachen, um uns zu informieren, dass sie einen Schrei
aus diesem Zimmer gehört hatten und als sie nachsahen,
fanden sie Frau Annaluva blutüberströmt in
ihrem Bett. Niemand hatte das Zimmer nach ihren Aussagen
betreten oder verlassen. Ihr seid doch selbst dabei
gewesen, als wir um ihr Leben gekämpft haben!"
Boromir senkte den Kopf. Er schüttelte sich
noch immer bei dem Gedanken daran, wie viel Mühe
es Aragorn und die Heiler gekostet hatte, die Wunde
zu schließen. In der Ecke des Zimmers lagen noch
die blutigen Laken. Fast hatten sie gedacht, Laietha
würde verbluten. Es war knapp gewesen - verdammt
knapp. Aragorn gähnte laut. "Geh schlafen,
Boromir. Du kannst jetzt nichts für sie tun."
Der Mann Gondors schüttelte den Kopf und nahm auf
einem Stuhl neben dem Bett seiner Frau Platz. "Ich werde sie nicht alleine lassen. Ich werde
heute sowieso keinen Schlaf finden." Damit war
für ihn die Diskussion beendet und er drehte seinem
Schwager und den Heilern den Rücken zu. Laietha
lag in ihrem Bett und war noch immer nicht bei Bewusstsein.
Boromir machte sich schreckliche Sorgen. Sie war schon
oft dem Tod von der Schippe gesprungen, aber wie oft
würde sie noch soviel Glück haben? "Ganz
wie du willst," erwiderte Aragorn und verließ
den Raum. Auch die Heiler gingen irgendwann. "Ich werde sie nicht verlassen," murmelte
Boromir mehr zu sich selbst als zu allen anderen. Behutsam
strich er seiner Frau über die Hand. Wie musste
sie sich wohl gefühlt haben, vor so vielen Jahren,
als sein Leben in ihren Händen gelegen hatte? Ohne
sie wäre er verloren gewesen und nun hatte er zum
ersten Mal seit sehr langer Zeit Angst, sie zu verlieren.
Laietha stöhnte schwer im Schlaf und er lief schnell,
um ihr einen kühlen Lappen auf die Stirn zu legen.
Boromir dachte an den Tag, als Luthawen zur Welt gekommen
war und sie zum ersten Mal eine richtige Familie gewesen
waren. Er dachte zurück an ihre erste Begegnung,
daran, wie glücklich er in den letzten Jahren gewesen
war, wie glücklich er jetzt war, wie sehr er sie
liebte. Tränen rannen lautlos über seine Wangen
und die kühle Nachtluft, die durch das Fenster
in den Raum strömte und den schweren Duft der Rosen
mit sich trug, trocknete sie und ließ sie für
anderen unentdeckt bleiben. Boromir kehrte sich nicht
daran, sonder hielt weiter voller Pflichtbewusstsein
seine stumme Nachtwache. *** Der Morgen graute und als die Sonne die Nebelfelder
nieder brannte, schlug Laietha endlich die Augen auf.
"Den Valar sei Dank," murmelte Boromir erleichtert,
der sie die ganze Nacht über nicht ein Mal aus
den Augen gelassen hatte. Sie brachte ein schwaches
Lächeln zu Stande. "Ich fühle mich furchtbar,"
murmelte sie leise und Boromir konnte nicht anders,
als zu lachen. Dafür liebte er sie. Sanft strich
er mit seinem Finger über ihre Wange. "Du
siehst auch furchtbar aus, Liebes, aber ich bin froh,
dass du wieder wach bist." Sie wollte seine Hand
nehmen, war aber kaum in der Lage, sie zu bewegen. "Geh
schlafen, Boromir," flüsterte sie. Ihr Mann
lachte. "Ach das - ich kann sowieso nicht schlafen,
wenn deine Bettseite leer ist." Natürlich blieb er bei ihr und ließ sich
nicht vertreiben - nicht, dass sich Laietha viel Mühe
damit gegeben hätte. Ein wenig später am Morgen
flog die Tür auf und Aiglos stürmte in den
Raum. Als er seine Mutter sah, wurde er vor Schreck
ganz blass. Laietha rang sich ein Lächeln ab. "Na
Sohn, ich hoffe, du hast nicht schon wieder Unfug im
Sinn!" Aiglos zuckte mit den Schultern und setzte
sich zu ihr aufs Bett. "Nicht wirklich, aber man
kann ja nie wissen, nicht wahr?" Er fühlte sich unbehaglich, weil er seine Mutter
gar nicht so zerbrechlich kannte. Aiglos hatte sie erst
ein Mal so schwach gesehen und da war sie schwer gestürzt.
Es machte ihm ganz schön Angst. Aber er sagte sich,
dass er schon fast ein Mann war und es aushalten würde.
Dennoch war er erleichtert, als Laietha ihre Männer
kurz vor dem Mittag hinauswarf. "Gönnt mir wenigstens auf dem Krankenbett
etwas Ruhe, ihr zwei," schmunzelte sie. Boromir
zögerte zwar etwas, aber da er wusste, dass die
Heiler und die Wachen seine Frau gut im Auge behalten
würden, entschied er sich doch dafür, ein
kleines Nickerchen halten zu gehen. Langsam kroch ihm
die Müdigkeit gehörig in die Glieder. "Du
kannst doch heute Nachmittag wiederkommen. Ich wette,
dann werde ich mich nach Gesellschaft sehnen,"
sagte Laietha und ein breites Grinsen trat auf sein
Gesicht. Er und sein Sohn ließen Laietha allein.
Mit einem Seufzer lehnte sie sich zurück in die
Kissen und schloss die Augen. Als Laietha aufwachte, hörte sie die Stimmen
zweier Heilerinnen, die leise miteinander sprachen.
Zunächst interessierte es sie nicht besonders,
aber dann fiel der Name ihres Bruders und nun wurde
sie doch rechtschaffend neugierig. Die Tür öffnete
sich und die Heilerinnen betraten den Raum. Geschwind
schloss Laietha die Augen und lauschte aufmerksam. "Dummes Kind! Du solltest deine Zunge hüten,
denn er ist noch immer der König! Was verstehst
du schon von seinen Aufgaben!" Eine ganze Weile
herrschte Stille und Laietha vernahm nur die Geräusche
des Lappens, mit dem der Boden gewischt wurde, die eiligen
Schritte der Frauen, während sie Ordnung schafften.
Dann ergriff die erste Stimme wieder das Wort. "Aber
im Moment scheint er sich um gar nichts zu kümmern!
Die Botschafter stehen in langen Reihen vor dem Palast,
aber er empfängt sie nicht." Schnelle Schritte durchquerten den Raum und ein klatschendes
Geräusch verriet Laietha, dass die Frau, der die
eine Stimme gehörte, wohl gerade eine Ohrfeige
bekommen hatte. Die zweite Stimme hatte nun einen warnenden
Tonfall angenommen. "Du solltest dich auch besser
auf deine Pflichten besinnen und die bestehen darin,
sich hier um die Kranken zu kümmern. Und lass dich
besser nicht bei solchen Reden erwischen! Du weißt
doch ganz genau, was seinem einen Ratgeber passiert
ist! Der sitzt immer noch im Kerker und wartet auf seine
Strafe." Laiethas Herz zog sich zusammen und die Haare in
ihrem Nacken stellten sich auf. Das sah ihrem Bruder
so gar nicht ähnlich, nicht wahr? Nun, ganz sicher
war sie sich dessen nicht mehr, denn seit sie in der
Stadt angekommen war, hatte sie einige Sachen bemerkt,
die ihr ganz und gar seltsam vorgekommen waren. "Aber
das hat er doch früher nie getan! Ich meine.."
die Stimmen verstummten und Laietha hörte leise
Schritte im Raum und eine angenehme Frauenstimme ergriff
das Wort. Wer wollte ihr da wohl einen Besuch abstatten? Neugierig schlug sie die Augen auf und sah Mornuan
in der Tür stehen. Die zukünftige Frau ihres
Bruders sah sie an und bedachte sie mit einem Lächeln.
Einen Moment lang dachte Laietha, ein kalter Wind wäre
durch das Zimmer gefegt. Mornuan trat an ihr Bett und
nahm ihre Hand. Die Kriegerin meinte, erfrieren zu müssen
und begann zu zittern. "Idioten! Seht ihr nicht, dass sie friert? Bringt
eine Decke, statt zu schwatzen!" herrschte sie.
Mit einem kühlen Lächeln auf Laietha fuhr
sie fort. "Wir wollen doch schließlich nicht,
dass du dir noch eine Lungenentzündung holst, jetzt
wo es dir schon wieder besser geht, nicht wahr, liebste
Schwester?" Laietha verkniff sich einen Kommentar. Sie hatten sich eine ganze Weile unterhalten und
langsam begann Laietha, sich zu Tode zu langweilen.
Artig unterhielt sie sich mit Mornuan über das
Leben am Hof, Gondor und das Wetter. Die Kriegerin unterdrückte
ein Gähnen. Es war nicht ihre Art, den ganzen Tag
untätig im Bett zu liegen. "Dein Mann hat berichtet, dein Leben wäre
diese Nacht in Gefahr gewesen, aber du siehst jetzt
schon wieder ganz gut aus." Laietha schmunzelte.
"Ja, ich bin eben eine richtige Kämpfernatur
- sagt zumindest mein Bruder." Laietha wunderte
sich, dass Aragorn noch nicht gekommen war. Sonst wich
er ihr bei der leichtesten Erkältung kaum von der
Seite. Aber vielleicht hatte er sich endlich besonnen
und machte sich nun an die Arbeit. Schließlich
ließ er ja auch Mornuan für mehr als einen
Augenblick alleine... Sie bemerkte, dass die Frau sie interessiert musterte.
"Was ist denn?" fragte sie spitz und biss
sich im nächsten Moment dafür auf die Zunge.
Sei freundlich, mahnte sie sich selbst. Mornuan schüttelte
den Kopf. "Du hast wundervolles Haar. Erlaube mir,
dass ich es bürste. Es wird sich sicher verknoten,
wenn du den ganzen Tag liegen musst." Dieser Gedanke
gefiel Laietha ganz und gar nicht, aber sie schluckte
ihre Vorbehalte herunter. Mornuan wollte ja nur freundlich
sein und sie selbst sollte sich zusammenreißen.
Schließlich war Mornuan die Braut ihres Bruders
- und vor der Tür standen zwei sehr gut ausgebildete
Wachen. Also stimmte sie zu. Mornuan griff nach einer Bürste und begann sich
durch die dichten roten Locken zu arbeiten. Nach einer
ganzen Weile schüttelte sie den Kopf. "Wie
kommt es nur, dass du und dein Bruder so verschieden
seid. Ich meine, deine Haare, die Augen, die Haut..."
Laietha schmunzelte. Natürlich sahen sie sich nicht
ähnlich - sie mit ihrer weißen Haut, den
hellen Augen, dem roten Haar und Aragorn ganz ein Mann
Gondors - die Haut wettergegerbt vom Leben als Waldläufer.
"Hat er es dir denn nicht erzählt? Ich
dachte, es wäre weithin bekannt, dass wir nicht
blutsverwandt sind." Sie konnte nicht verhindern,
dass ein gewisser Triumph in ihrer Stimme mitschwang
und als Mornuan überrascht eine Augenbraue hob,
musste sie lächeln. "Erkläre mir das,"
sagte die Frau, die Stimme voller Neugier auf das was
folgen würde. Die Kriegerin lächelte. "Oh,
das ist eine lange Geschichte!" Mornuan verzog
das Gesicht zu einem wölfischen Grinsen und lehnte
sich zurück. "Oh, das macht nichts. Ich habe
Zeit." Laietha begann also zu erzählen - wie ihre Eltern
getötet wurden und Aragorn sie im Wald fand, wie
sie bei den Elben in Bruchtal aufgewachsen war und wie
sie zum Kriegshandwerk gekommen war. Mornuan hörte
ihr zu und ließ ihre Aufmerksamkeit nicht eine
Sekunde abschweifen. Am Ende lächelte sie zufrieden.
"Ich danke dir, Schwester. Das war sehr aufschlussreich.
Es ist immer gut, wenn man etwas über seine Verwandten
weiß." Laietha bekam eine Gänsehaut und konnte sich
nicht helfen, aber sie hatte das Gefühl, zu viel
von sich preisgegeben zu haben. "Ihr seid an der
Reihe, Mornuan. Erzählt mir etwas über eure
Familie." Die Geliebte ihres Bruders lächelte
breit. "Es wird mir ein Vergnügen sein, Schwester." *** Boromir langweilte sich entsetzlich. Verdammt, dachte
er, es hat Zeiten gegeben, da war ich froh, wenn mich
die Weiber mal einen Augenblick in Frieden gelassen
haben! Na ja - die Zeiten ändern sich eben. Wahrscheinlich
werde ich alt. Ein wenig ziellos streifte er durch die Straßen
der Stadt. Das Wetter war wunderbar. Keine Wolke stand
am Himmel und die Sonne warf ihre warmen Strahlen auf
die Stadt. Die Erwachsenen murrten über die Hitze,
aber die Kinder lachten und planschten fröhlich
mit dem Wasser aus den Viehtränken. Boromir musste
lächeln, als er an seine eigenen Kinder dachte.
Er überquerte den Markt und sah einen Stand mit
Waffen. Boromir nahm sich einen Augenblick, um sie genauer
in Augenschein zu nehmen. Sein Blick fiel auf einen
kleinen Dolch, der Laietha gewiss gefallen würde.
Er seufzte. Es war einfach nicht das selbe, wenn sie
nicht dabei war. Er lief weiter und achtete bald nicht
mehr auf den Weg. Er würde sich nicht verlaufen
- er kannte jeden Winkel dieser Stadt. Als Boromir schließlich
den Blick hob, hielt er den Atem an. Vor ihm ragte die Zitadelle der Sterne auf. Man hatte
die verbrannten Ruinen direkt nach dem Krieg wieder
aufgebaut. Es war das Grab seines Vaters - und fast
wäre es auch seinem Bruder zum Grab geworden. Ein
Schauer überlief seinen Rücken. Ohne nachzudenken,
trugen ihn seine Beine zu der schweren Tür. Eine
Aura des Verfalls lag über dem Gebäude. Boromir
war sich nicht sicher, ob er es wagen sollte, die Zitadelle
zu betreten. Seine Hand ruhte auf der kalten Klinke
der Tür. Er holte tief Luft und trat ein. Die Luft war stickig und staubig und ein Frösteln
überkam ihn, als er die Wärme des Sonnenscheins
hinter sich zurückließ. Er verließ
die Welt der Lebenden. Hier schwang nur der Tod sein
Zepter. In der Mitte des Raumes war der Sarg seines
Vaters aufgebahrt. Wie von selbst bewegten sich seine
Füße. Boromir schluckte schwer. In diesem
Moment wurde ihm bewusst, dass es das erste Mal seit
dem Tod seines Vaters war, dass er sein Grab besuchte.
Ein leises Schuldgefühl überkam ihn. Vor dem
Sarg seines Vaters kniete er nieder und senkte den Kopf.
So blieb er eine ganze Weile lang knien, aber Trauer
um seinen Vater empfand er nicht. Boromir verharrte
in der knienden Haltung, aber noch immer wollte sich
weder Trauer noch Bedauern einstellen. Seine Knie begannen
zu schmerzen und ihm wurde kalt - aber er stand nicht
auf. Faramir hatte recht gehabt - ihr Vater war zu streng
gewesen. Und ungerecht und so kalt wie dieses Gebäude
hier. Plötzlich fühlte sich Boromir wieder
wie ein kleiner Junge - er war zwölf gewesen -
so alt wie sein Sohn jetzt. "Boromir, was hast du dir dabei gedacht, als
du die Statue zerstört hast?" Der Junge mit
dem rötlichen Haar senkte beschämt und ängstlich
den Kopf. Er zitterte vor Angst, denn er wusste, was
ihn erwartete. "Nichts, Vater. Ich habe nur..."
mit Faramir gespielt, hatte er sagen wollen, als er
eine harte Ohrfeige erhielt. Vielleicht ist es besser so, dachte er sich. Faramir
soll nicht bestraft werden. Seine Wange brannte von
dem Schlag. Er kämpfte gegen die Tränen an,
die sich in seine Augen gestohlen hatten, aber es war
zu spät. Die erste bahnte sich ihren Weg über
seine Wange und Denethor hatte es längst gesehen.
"Hör auf, wie ein Weib zu heulen! Du bist
der Sohn des Stadthalters und eines Tages wirst du diese
Stadt verwalten. Dein Benehmen ist inakzeptabel gewesen."
Der Junge senkte den Kopf noch tiefer. Er konnte
den bohrenden Blick seines Vaters nicht ertragen und
er wollte nicht, dass Denethor herausfand, dass Faramir
mit schuldig war an diesem Unfall. "Es tut mir
leid, Vater, es wird nie wieder vorkommen." Sein
Vater nahm sein Kinn in die Hände und zwang ihn,
seinem kalten Blick standzuhalten. Der Junge zitterte,
versuchte aber, sich nichts anmerken zu lassen. "Nein,
das wird es nicht. Ich bin viel zu nachlässig mit
dir gewesen, das weiß ich jetzt. Morgen wirst
du deine Ausbildung in der Armee beginnen. Du wirst
ein Soldat werden und lernen, was Verantwortung bedeutet."
Boromir seufzte. "Wie ihr wünscht, Vater."
Denethor machte auf dem Absatz kehrt und drehte dem
Jungen den Rücken zu. Boromir fühlte sich
plötzlich sehr verloren in dem großen Raum.
"Du kannst gehen, Boromir. Geh und mach deine Aufgaben." Eine Hand legte sich auf seine Schulter und Boromir
sprang auf die Beine. Hinter ihm stand sein Bruder.
"Lass ihn los, Bruder. Er ist schon so lange tot
und wir wissen nun, dass sein Geist vergiftet war. Es
war nicht seine Schuld." Der frühere Hauptmann
des Weißen Turmes stand verloren im Raum, die
Hände an den Seiten hängend. Faramir schloss
seinen Bruder in den Arm. Keiner von ihnen wagte es
zu sprechen und in der Kälte dieses Grabes, fühlte
sich die Wärme des anderen so unglaublich gut an.
Schließlich ließ Faramir seinen Bruder
los. "Komm schon, Boromir, lass uns nachsehen gehen,
in welchen Schlamassel sich unsere Jungs mal wieder
gebracht haben!" lächelte er und zog Boromir
mit sich in das Licht und die Wärme des Sommernachmittags
hinaus. Auf ihrem Weg durch die Straßen der Stadt trafen
die beiden Brüder Bergil und seine Familie, die
gerade einen Einkaufsbummel über den Markt machten.
Bergil hatte an diesem Nachmittag frei und genoss das
schöne Wetter. Faramir grüßte den Soldaten
seiner Wache freundlich und Bergil warf Boromir einen
skeptischen Blick zu. Boromir brach in Gelächter
aus. "Keine Sorge, Junge, das ist alles längst
vergessen und ich bin nicht nachtragend!" Dann
fiel sein Blick auf Bergils Kinder und ein breites Lächeln
erschien auf seinem Gesicht. "Nein, was haben wir denn hier?" rief er
aus und beugte sich hinunter zu Bergils ältesten
Sohn. "Du bist aber schon ein großer Junge.
Wie heißt du, mein Sohn?" Das Kind überwand
seine anfängliche Scheu sehr schnell und bald waren
sie in ein angeregtes Gespräch vertieft. Faramir
lachte leise und auch Bergil konnte sich ein Grinsen
nicht verkneifen. Von seinem Vater hatte er gehört,
dass Herr Boromir ein harter Ausbilder war, aber nun
hockte der ehemalige Schwertarm des Weißen Turmes
hier auf der Straße und lauschte den Erklärungen
seines ältesten Sohnes, warum man sich vor dem
Essen stets die Hände zu waschen hatte. Bergil wandte sich an Boromir: "Mein Herr, wie
geht es eurer Frau? Geht es ihr schon besser?"
Boromir stand auf und sah ihn sorgenvoll an. Er berichtete
dem jungen Mann, was in der Nacht vorgefallen war und
Bergil erblasste. "Das müsst ihr mir genauer
berichten. Am besten bei einem kühlen Bier."
So war es also abgemacht. Sie machten sich auf den Weg
in ein gemütliches Wirtshaus. Natürlich nicht,
ohne dass Bergils Frau ihn im nach Hause gehen klarmachte,
dass sie ihn rechtzeitig zum Abendessen zurück
erwartete. Die Männer grinsten sich an. "Weiber
- die sind doch alle gleich!" knurrte Bergil im
Spaß. Boromir lachte und schlug ihm freundschaftlich
auf die Schulter. "Ganz meine Rede, mein Junge!"
lachte er dröhnend und die anderen stimmten mit
ein. Die Schrecken der Nacht waren nach einigen Krügen
Bier vergessen und die drei Männer wandten sich
fröhlicheren Themen zu. Die Zeit bis zum Abend
verging wie im Flug. Ein wenig bierselig starrte Bergil
vor sich hin, während Boromir und Faramir in alten
Erinnerungen schwelgten. "Was ist eigentlich mit
dem König los?" fragte Bergil ganz plötzlich.
Die beiden Brüder sahen ihn überrascht
an und der junge Soldat begann zu erklären. "Es
sind nur Gerüchte, die mir zu Ohren gekommen sind,
aber es heißt, der König würde Botschafter
fortschicken und Leute für nichts bestrafen. Ist
das wahr?" Denethors Söhne wollten von Bestrafungen
nichts wissen, "aber, dass er Leute wegschickt,
habe ich selbst schon gesehen." Boromir zuckte
mit den Schultern. "Ich dachte eigentlich, das wäre eine Ausnahme
gewesen, aber ich bin mir sicher, dass er seine Gründe
hatte. Er muss wirklich sehr aufgeregt wegen seiner
Hochzeit sein." Bergil schüttelte den Kopf.
"Auf jeden Fall war das Volk im Angesicht dieser
Gerüchte nicht sehr begeistert." Die gute Stimmung war gedämpft und es dauerte
auch nicht mehr lange bis sich Faramir und Bergil verabschiedeten,
weil sie zum Abendessen bei ihren Familien sein wollten.
Boromir schlug das Angebot seines Bruders, ihn zu begleiten,
aus. Er wollte lieber nach seinem Sohn sehen. Ein wenig
verloren kam er sich schon vor und Boromir hoffte inständig,
dass Laietha bald wieder gesund sein würde, damit
auch er sich wieder solchen Geboten fügen musste.
Er lächelte bei dem Gedanken daran in sich hinein.
Vielleicht sollte er die Zeit jetzt erst einmal nutzen,
um mit dem König zu sprechen. Es war ziemlich schwierig gewesen, den König
zu finden. Anders als erwartet, hatte er sich nicht
in seinem Arbeitszimmer aufgehalten. Auch in der Bibliothek
war keine Spur von ihm und schließlich, kurz bevor
er die Suche aufgeben wollte, entdeckte Boromir ihn
im Thronsaal. Niemand war bei ihm, was Boromir erstaunte.
Sonst war es so gut wie unmöglich, seinen Schwager
einmal alleine zu fassen zu bekommen. Er verzog das
Gesicht, als er den König erblickte. Aragorn saß auf seinem Thron und sah sehr müde
und erschöpft aus. Sein Hemd war offen und sein
Haar durcheinander. Er sah ganz und gar nicht königlich
aus. Boromir lächelte und hob die Hand zum Gruße.
Der König schien ihn gar nicht zu bemerken. Na,
das war wirklich seltsam. "Gibt es ein Problem,
Schwager?" fragte er. Aragorn grinste ihn dümmlich
an. "Nein, warum fragst du?" Boromir biss sich auf die Zunge. "Sieht wohl
so aus, als hätte jemand eine anstrengende Nacht
hinter sich, he?" scherzte er. Nun hellte sich
Aragorns Gesicht auf. "Oh ja, es war fantastisch!"
Boromir verdrehte die Augen. Das hatte er nun wirklich
nicht wissen wollen! Sein Blick fiel auf einen tiefen
Schnitt an Aragorns Brust. Ugh - diese Frau würde
ihn mit Sicherheit eines Tages umbringen! Er konnte sich nicht helfen, aber der Schnitt erinnerte
ihn an die Wunde an Laiethas Brust. "Wo ist denn
Laietha? Ist sie ausgeritten?" Boromir versteifte sich und sein Blick wurde eiskalt.
"Was?" fragte er entsetzt. Aragorn sah ihn
ahnungslos an. "Das Wetter ist schön. Ist
sie ausgeritten?" Nun lief Boromir schnell auf
seinen Schwager zu und packte ihn am Kragen. "Was
soll das sein? Ein schlechter Scherz? Sie wäre
heute Nacht fast gestorben und du..." Aragorn erbleichte
bei diesen Worten. "Was sagst du da?" fragte er ungläubig.
Boromir war so verdattert, dass er ihn losließ.
"Du bist doch selbst bei ihr gewesen, Aragorn!
Du hast sie doch selbst gesehen!" Aragorn ließ
sich mit weichen Knien auf den Thron sinken. "Nein,"
flüsterte er. Boromir musterte ihn skeptisch. Er
wusste einfach nicht, was er darauf erwidern sollte
und machte auf dem Absatz kehrt. "Ich werde nach dem Abendessen nach ihr sehen,"
murmelte Aragorn leicht abwesend. Boromir konnte förmlich
an seiner Stimme hören, dass er sich schuldig fühlte.
Er drehte sich um und sah den König scharf an.
"Du solltest dir besser vorher etwas Anständiges
anziehen," sagte er bestimmt und verließ
den Raum. Schließlich wollen wir doch nicht, dass
sie sich aufregt, setzte er in Gedanken hinzu. Aragorn massierte sich die Schläfen. Irgendwie
fühlte er sich müde - nicht zum ersten Mal
in der letzten Zeit. Täglich erinnerten seine Berater
ihn an seine Pflichten, aber er hatte es satt, sich
ständig um all die unwichtigen kleinen Probleme
kümmern zu müssen. Hörte das denn nie
auf? Er hatte diese Verpflichtungen nie gewollt! Und nun hatte ihm Boromir berichtet, dass seine Schwester
sich krank fühlte. Was hatte er gesagt? Fast gestorben
wäre? Warum wusste er davon nichts? War er denn
wirklich dort gewesen? Aragorn versuchte sich zu erinnern,
aber es wollte ihm einfach nicht gelingen. Aber er würde
sie ganz sicher nach dem Abendessen besuchen. *** Elladan war im Palastgarten und erteilte Aiglos und
Ionvamir Schwertkampfunterricht. Sein Neffe saß
an der Seite des kleinen Springbrunnens und beobachtete
seinen Cousin, der gerade mit dem Bruder seiner Mutter
die Klingen kreuzte. Rasch warf er einen Blick zu dem
Fenster der Häuser der Heilung, hinter dem seine
Mutter lag. Er machte sich schon so seine Sorgen um
sie, aber sein Vater hatte ihm versichert, dass es ihr
bald wieder gut gehen würde. "Das war schon ganz gut, Ionvamir, aber du solltest
niemals unachtsam werden, wenn du kämpfst,"
grinste Elladan. Ionvamir starrte auf die Schwertspitze,
die ihm mitten ins Gesicht deutete. Aiglos tauschte
wortlose Blicke mit seinem Cousin und erhob sich lautlos.
Elladan fuhr mit seiner Lektion fort. "Sieh
mal, mein Junge, du musst mich aufmerksam bei jedem
meiner Schritte beobachten, denn dann wirst du wissen,
was ich als nächstes vorhabe." Aiglos war dicht an seinen Onkel herangeschlichen.
"Das Wichtigste ist, dass du mich nie aus den Augen
lässt, wenn..." Mit einem Schrei hatte sich Aiglos auf Elladans Rücken
gestürzt und auch Ionvamir war nicht faul. Er kam
blitzschnell auf die Beine und packte den überraschten
Elben am Arm. Gemeinsam brachten sie ihn zu Fall. Sofort
stürzten sich die Jungen auf ihn und nagelten ihn
am Boden fest. "Lass deinen Feind niemals aus den
Augen!" lachte Aiglos. Elladan versuchte sich,
aus ihrem Griff zu befreien, aber die Jungen waren erbarmungslos.
Schließlich begannen sie alle zu lachen. Plötzlich versteifte sich Elladan und brachte
die Jungen mit einer raschen Geste zum Schweigen. Er
lauschte aufmerksam. Hörte er da nicht einen seltsamen
Gesang? "Runter von mir, schnell!" zischte
er. Die Jungen leisteten sofort Folge. Elladan erhob
sich und nun war er sich ganz sicher - jemand sang in
der Nähe. Er versuchte herauszufinden, woher der
Gesang kam, bei dem sich ihm die Haare im Nacken aufstellten.
Sein Blick fiel auf das Fenster an den Häusern
der Heilung, hinter dem seine Schwester lag. Ohne ein
Wort zu verlieren, stürmte er davon. Die Jungen
standen nun etwas verloren im Garten herum und sahen
sich an. "Und was machen wir nun?" fragte
Aiglos. Ionvamir zuckte mit den Schultern. "Lass
uns weitermachen! Langsam bekomme ich Übung darin!"
Gesagt, getan - die Jungen stürzten sich erneut
in den Kampf. Elladan erreichte die Tür zum Krankenzimmer
seiner Schwester und sofort kreuzten die Wachen ihre
Klingen. "Was wollt ihr?" Elladan schenkte
ihnen ein unschuldiges Lächeln und zeigte seine
bloßen Hände. "Nichts was Unrecht ist.
Ich will nur meine Schwester besuchen." Die Wachen
nickten und ließen die Waffen sinken. Elladan
konnte noch immer den seltsamen Gesang vernehmen. Die
Sprache war ihm allerdings nicht bekannt. Als er die Tür öffnete, sah er Mornuan,
die dicht über das Bett Laiethas gebeugt saß
und leise sang. Als sie ihn bemerkte, verstummte sie
augenblicklich. Elladan musterte sie misstrauisch. "Was
macht ihr da?" fragte er. Mornuan schenkte ihm
ein unschuldiges Lächeln. "Ich habe ihr nur ein Lied aus meiner Heimat
vorgesungen, in der Hoffnung, es möge ihr gefallen!"
Damit stand sie auf und sah ihn direkt an. Elladan huschte
an die Seite seiner Schwester. Laietha schien zu schlafen,
aber der Schweiß stand ihr auf der Stirn und sie
sah gequält aus. Die Kriegerin atmete schwer. "Könnt ihr nicht sehen, dass es ihr schlechter
geht? Schnell, holt einen Heiler!" bellte Elladan.
Mornuan zuckte mit den Schultern und schlenderte zur
Tür hinaus. Elladan ergriff Laiethas Hand. "Muinthel
mail !" (4)
flüsterte er leise. Laietha stöhnte
auf und öffnete die Augen. Er musste kein großartiger
Heiler sein um zu erkennen, dass sie fieberte. So gut
er es vermochte, konzentrierte er sich darauf, ihr etwas
von seiner Stärke zu übertragen. Er legte
ihr eine kühlende Hand auf die Stirn und sang ein
paar leise elbische Verse. Langsam beruhigte sich ihr
Atem. Elladans Blick fiel auf ihr Haar - eine weitere rote
Strähne war weiß geworden. Das Gesicht seiner
Schwester war grau. Schnell untersuchte er die Wunde,
aber es gab keine Zeichen einer Infektion oder, dass
sie wieder geblutet hatte. Plötzlich spürte
er einen festen Druck an seiner Hand. Sein Blick traf
den seiner Schwester. "Was passiert mit mir, Elladan?"
fragte sie heiser. Er schüttelte den Kopf, selbst nicht wissend,
was vor sich ging. Laietha zog sein Ohr dicht an ihren
Mund heran. "Im gerich kaure, Elladan." (5)
Sie
sahen sich lange nur an. Natürlich musste sie nicht
erwähnen, wovor sie sich fürchtete. Der Elb
spürte das Herz der Frau rasen und schnell legte
er Laietha die Hand auf die Brust. Die Kriegerin schloss
die Augen und die Schläge wurden langsamer und
kräftiger. Elladan versuchte, nicht darüber
nachzudenken. Zunächst musste er seine Schwester
beruhigen. Das war das Wichtigste. Von draußen her wurde auf einmal Geschrei laut
und Elladan lief schnell zum Fenster, um zu sehen, was
dieses Spektakel verursacht hatte. Laietha lauschte
aufmerksam. "Was ist da los?" fragte sie nicht
ganz ahnungslos. Elladan drehte sich mit verräterischer
Unschuldsmiene zu ihr. "Ach, nichts," log
er. Laietha zog die Stirn kraus. "Nun sag mir schon,
was wieder passiert ist." Der Elb zuckte mit den
Schultern. "Eigentlich nichts. Dein Sohn ist wohl
nur grad über ein paar Heilkräuterbeete gerannt."
Schon hörten sie die verärgerte Stimme
Boromirs und Aiglos, der versuchte sich zu rechtfertigen.
Sie konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Einige
Augenblicke später betrat Boromir den Raum - ohne
Aiglos. "At in Valar," (6) seufzte Laietha. "Was
hast du dir diesmal als Strafe ausgedacht?" Boromir
zuckte mit den Schultern. "Er muss so lange im
Garten arbeiten, bis er die Arbeit eines Gärtners
zu schätzen weiß." Er zog einen kleinen
Blumenstrauß hinter dem Rücken hervor und
stellte ihn in eine kleine Vase an ihrem Bett. Laietha
lächelte ihn liebevoll an. Boromir nahm neben ihr auf dem Bett Platz und hauchte
ihr einen Kuss auf die Stirn. Die Kriegerin musste leise
kichern. "Die Frau, die unseren Sohn einmal heiratet
hat wirklich Glück. Meine Güte, er ist ja
schon jetzt ein perfekter Gärtner, Koch, Tischler,
Schneider, Stalljunge und Bäcker!" Boromir
schüttelte den Kopf. "Ich wünschte, er
würde mit diesen Dummheiten aufhören. Mir
fallen langsam keine Strafen mehr ein." Er strich
ihr sanft übers Haar und dann bemerkte auch er
die weiße Strähne. Er verzog erwartungsvoll das Gesicht, aber Laietha
hatte sich entschieden, ihm nichts von Mornuans Besuch
zu erzählen - es würde sich lächerlich
anhören, wenn sie die Frau dafür verantwortlich
machte. Wahrscheinlich wurde sie einfach nur alt. Aber
um keinen Preis der Welt wollte sie alleine sein. "Boromir,
kannst du mir einen Gefallen tun?" Mit einem schiefen
Grinsen küsste er ihre Hand. "Was immer du
willst, Liebes." Sie lächelte dankbar, denn
eine andere Antwort hatte sie nicht erwartet. "Lass mich heute Nacht nicht alleine."
Er strahlte übers ganze Gesicht - fast als hätte
er den ganzen Tag darauf gewartet, dass sie so etwas
sagen würde. "Gib mir nur ein paar Minuten,
um ein freies Bett zu finden!" Damit war er schon
aus der Tür. Elladan lachte und nahm die Hand seiner
Schwester. "Das war damals eine gute Wahl, Schwesterchen!"
Sie lachten beide. Es dauerte nicht lange und Boromir war wieder zurück.
Er hatte es tatsächlich geschafft, noch ein Bett
in den Raum bringen zu lassen und hatte mit Faramir
abgemacht, dass Aiglos bei seinem Cousin schlafen würde.
Die Jungen waren von diesem Vorschlag begeistert gewesen,
auch wenn sie gerade dabei waren, den Mist aus den Pferdeställen
zu den Komposthaufen zu karren - "Für fruchtbare
Erde!" wie der Gärtner gedonnert hatte. Laietha
lächelte ihn dankbar an. Nun fühlte sie sich
schon viel sicherer. Gegen Abend tauchte Aragorn für einen kurzen
Besuch auf, aber schon nach wenigen Minuten, verabschiedete
er sich wieder. Laietha war natürlich nicht entgangen,
dass er müde und abgespannt aussah. Sie schüttelte
den Kopf. Boromir entschied, dass es besser war, ihr
nichts von dem Gespräch mit ihrem Bruder zu erzählen.
Sie würde sich nur unnötig aufregen. Es dauerte
nicht mehr lange und Laietha war eingeschlafen. Boromir hielt ihre Hand. Die Sonne war untergegangen
und blasses Mondlicht fiel ins Zimmer. Sie sah schrecklich
verletzlich aus, aber die Heiler hatten versichert,
dass sie es überstanden hatte. Nun musste sie nur
noch wieder zu Kräften kommen. Trotzdem wollte
Boromir etwas nicht in den Kopf - warum hatte sie ihn
gebeten, in dieser Nacht bei ihr zu bleiben. Sie hatte
fast ängstlich geklungen und so kannte er sie gar
nicht. Trotz allem war er froh, dass er nun wenigstens etwas
für sie tun konnte. Die Nachtluft trug den Gesang
der Vögel ins Zimmer und Boromir gähnte herzhaft.
Vielleicht sollte er sich auch langsam zu Bett begeben.
Behutsam zog er die Decke über Laiethas Schultern
und strich ihr übers Haar. "Schlaf gut, meine
Kriegerin," lächelte er und legte sich in
sein Bett. Boromir war schon weggedämmert, als er doch
noch einmal erwachte. Er hörte leisen Gesang vor
dem Fenster. Wer konnte das sein? Hier waren die Häuser
der Heilung und eigentlich sollte hier niemand ein Ständchen
zum besten geben. Nun, Boromir war zu neugierig, wer
dieser Spaßvogel war und stand auf, um zum Fenster
zu gehen. Er kam nicht weit, denn plötzlich hörte
er Laietha stöhnen. Geschwind drehte er sich um
und eilte an ihre Seite. Sie sah aus, als würde sie etwas quälen.
"Laietha, Liebes, wach auf!" flüsterte
er und rüttelte sie sanft an der Schulter, aber
sie hörte nicht. Vorsichtig warf er einen Blick
auf die Wunde, aber es gab keine Spuren einer neuen
Blutung oder Infektion. Vielleicht hatte sie nur einen
bösen Traum. Beruhigend strich er mit den Fingern
über ihr Gesicht. Er beugte sich hinunter, um sie
sachte zu küssen. Ein leichtes Glühen erfüllte den Raum und
Boromir begann zu lächeln. Vorsichtig löste
er die Kette, die er seit vielen Jahren um den Hals
trug und noch nie abgelegt hatte. Mit einem Lächeln
wog er den Elbenstein in der Hand. Sie hatte ihm dieses
Juwel geschenkt, um sein Leben zu retten. Es hatte heilende
Kräfte und linderte die Furcht. "Du brauchst das jetzt nötiger als ich,"
lächelte er und legte ihr vorsichtig die Kette
um den Hals. Sobald der Stein ihre Haut berührte,
erfüllte ein grünliches Glühen den Raum.
Laiethas Atem wurde ruhiger. Ihre zerfurchte Stirn glättete
sich. Boromir sah sie noch lange an, aber was immer ihren
Schlaf gestört haben mochte, es war fort. Der Gesang
war verstummt. Nur das sanfte Leuchten des Elbensteins
und das Mondlicht erfüllten den Raum. Die Elben
besaßen wahrhaftig die wundersamsten Dinge in
dieser Welt. "Niemand sollte sich so sehr für eine fremde
Kultur interessieren, dass er die eigene darüber
vergisst! Ich schaue voller Verachtung auf diejenigen,
die sich so wenig für ihre eigene Kultur interessieren
und anderen Kulturen vor ihrer eigenen den Vorzug geben.
Ich kann nicht verstehen, dass sich Faramir so sehr
für die Elben begeistert. Er sollte sich mehr mit
den Menschen beschäftigen. Für mich ist Faramir
ein Verräter seines eigenen Volkes! Ich werde nicht
erlauben, dass du seinem Beispiel folgst und dich in
Märchen über Elben verlierst, Boromir. Du
wirst mich sicher nicht enttäuschen. Bleib deinem
eigenen Volk treu, Boromir. Dein Interesse soll den
Menschen gelten." "Halt den Mund, Vater," murmelte Boromir
und ergriff die Hand seiner Frau. Der Elbenstein schien
ihr Kraft zurückzugeben, denn er konnte förmlich
zusehen, wie sich ihre Wangen röteten und das Leben
in ihren Körper zurückkehrte. Warum er nicht
schon vorher auf diese Idee gekommen war! Boromir küsste sie sanft auf die Lippen. "Im
cen mellin, Laietha," (7) flüsterte er und musste
lachen. Die elbischen Worte aus seinem Mund klangen
so seltsam. Er schüttelte den Kopf. Kaum zu glauben,
dass er sich mit solchen Dingen befasste. Boromir stieg
zurück in sein Bett und es dauerte nun nicht mehr
lange, und er war eingeschlafen. Sein leises Schnarchen
erfüllte den Raum. "Ich liebe dich auch, Boromir,"
flüsterte Laietha mit einem leichten Lächeln
auf den Lippen, die Hand fest um den Elbenstein geschlossen. *** Kurz nach dem Frühstück kamen Auranor und
Eowyn, um Laietha einen Besuch abzustatten. Boromir
verabschiedete sich, weil er sich ein wenig mit Bergil
bei den Soldaten umsehen wollte. Jetzt, da er wusste,
dass er abends wieder bei seiner Frau sein würde,
genoss er die kurze Freiheit. Eowyn lächelte wohlwollend und stellte ein paar
frische Blumen neben die von Boromir. "Du siehst
schon viel besser aus," stellte sie zufrieden fest.
Laietha nickte. Sie fühlte sich auch besser. Ihre
Wangen hatten wieder ein wenig Farbe bekommen und das
Fieber war verschwunden. Auranor sprang aufs Bett und
umarmte die Frau. "Tante Lai!" Laietha verzog
das Gesicht und schob das Mädchen vorsichtig von
ihrer Verletzung weg. "Ugh...immer langsam, Liebes!
Ich freu mich ja auch, dich zu sehen!" Sie plauderten den ganzen Vormittag über. Auranor
wollte ihrer Tante gar nicht mehr von der Seite weichen
und auch Laietha genoss die Gesellschaft des kleinen
Mädchens. Auranor hatte sich an sie gekuschelt
und flocht die dichten Locken zu einem Zopf. Eowyns
Blick fiel auf das Juwel am Hals ihrer Freundin. Sie
berührte den Stein vorsichtig. "Wow, was ist
denn das? Das ist wunderschön!" Laietha lächelte.
"Ein Elbenstein. Mein Vater hat ihn mir einst
geschenkt und ich gab ihn Boromir vor langer Zeit. Gestern
Nacht ging es mir sehr schlecht und er hat ihn mir zurückgegeben."
Die Herrin Rohans lächelte wissend. "Er liebt
dich sehr." Die beiden Frauen begannen zu lachen.
Auch Auranor wollte sich natürlich den Stein ansehen.
Sie machte große Augen und hielt das Juwel vorsichtig
in ihren Händchen. "Das ist aber schön!
Und es ist von den Elben!" Sie dachte eine Sekunde lang nach - Laietha und Eowyn
grinsten, denn das Mädchen saugte dabei wie immer
an ihrer Unterlippe. Plötzlich umarmte sie Laietha
heftig und schmiegte sich fest an die Frau. "Tante
Laaii...." Sie grinste Laietha breit an und die
Frau war neugierig, was jetzt geschehen würde.
"Was gibt es, Liebes?" Das Mädchen sah sie aus großen blauen
Augen an, die es unverkennbar von seiner Mutter geerbt
hatte. "Ugh...du bist jetzt schon soooo lange hier
und hast mir noch gar nicht wirklich viele Geschichten
erzählt!" Eowyn nahm ihre Tochter auf den
Schoß. "Deine Tante ist sehr krank. Sie muss
sich noch ausruhen. Sie wird dir Geschichten erzählen,
wenn sie wieder gesund ist." Laietha lachte. "Oh nein, ich langweile mich zu Tode! Ich würde
mich freuen, dir eine Geschichte erzählen zu können,
Auranor." Die Augen des Mädchens begannen
zu leuchten. "Au fein! Erzähl mir bitte eine
Geschichte über die Elben!" quietschte sie
fröhlich. "Biiiiiiitteeee!" Die Frauen
begannen zu lachen. Laietha und Eowyn tauschten einen
Blick aus und Eowyn zuckte mit den Schultern. "Du
hast es nicht anders gewollt, Schwester!" Auranor fürchtete, dass sie die Aufmerksamkeit
ihrer Tante verlor. Sie kuschelte sich an Laietha an.
"Bitte, eine ganz lange Geschichte, ja? Wir wollen
ja nicht, dass du dich langweilst, Tante Lai!"
Eowyn winkte ihr zu und verließ den Raum, aber
Auranor war nun ganz auf ihre Tante konzentriert. Laietha
sah das Mädchen lange an und lächelte schließlich.
"Du bist zu fürsorglich, mein Schatz. Nun,
meine liebe Nichte, was für eine Geschichte willst
du denn hören?" Auranor zog die Stirn kraus und saugte an ihrer Unterlippe.
"Hm....ich will...hmmmm...am besten....hm....über
Elben! Und....hm...." Ihr Blick fiel auf das Juwel
an Laiethas Hals. "Und über ganz tolle Schätze!"
Die Kriegerin lachte leise. "Wie du willst. Also hör zu, was ich dir
erzählen will. Du weißt ja, dass viele Elben
geschickte Handwerker sind, und dass sie Schmuckstücke
sehr schätzen. Es ist schon sehr lange her, da
gab es einen unter ihnen, der war der beste Goldschmied
aller Zeiten. Er schuf die schönsten Juwelen, die
man je gesehen hatte, denn in ihnen war das Licht der
zwei Bäume Yavannas eingeschlossen. Sein Name war
Feanor - der Feuergeist. Alle Elben liebten diese Juwelen.
Man nannte sie die Silmaril. Doch es gab jemanden, der
war zerfressen von Gier und er begehrte nichts mehr
als die Silmaril, also versuchte er, sie Feanor zu stehlen..." *** Bereg ging es nun schon ein wenig besser, worüber
vor allem Olbern und seine Mutter sehr erleichtert waren.
Endlich hatte der junge Mann auch ein wenig mehr Zeit
für sich. In den letzten Tagen war er vor dem Morgengrauen
aufgestanden und meist erst nach Mitternacht ins Bett
gekommen. Während der Krankheit seines Vaters war
viel Arbeit liegengeblieben. Jetzt hatte er die letzten
Berichte durchgesehen und es war sogar noch etwas Zeit
bis zum Frühstück. Heute würde er endlich
einen Tag frei nehmen können. Auf leisen Sohlen schlich er sich in Luthawens Zimmer.
Die Morgensonne vertrieb die letzten Nebelschwaden aus
dem Wald. Im Vorgarten des Hauses hatte er ein paar
Blumen gepflückt und verteilte nun mit einem Lächeln
die Blütenblätter über seiner schlafenden
Freundin. Luthawen streckte sich, gähnte und drehte
sich auf die andere Seite. Olbern lächelte still
vor sich hin. Was war sie doch schön! Er konnte
sein Glück noch immer nicht fassen! Sie war tatsächlich
hier und seine Freundin... Das Mädchen öffnete die Augen und strahlte
ihn an. "Olbern!" Sie sprang aus dem Bett
und warf sich in seine Arme. Er zog sich an sich und
schenkte ihr einen zärtlichen Kuss. Dann fiel ihr
Blick auf die Blütenblätter auf ihrem Bett.
Sprachlos sah sie ihn an und der junge Beorninger schenkte
ihr ein liebevolles Lächeln. "Sie waren so
schön - ich musste einfach an dich denken - aber
jetzt, wo ich euch nebeneinander sehe..." Luthawen lachte und küsste ihn. Eine kühle
Morgenbrise strömte ins Zimmer und Luthawen, die
nur ihr Nachthemd trug, begann zu frösteln. Olbern
scheuchte sie zurück ins Bett und deckte sie zu.
Dann nahm er neben ihr auf dem Bett platz. Sie sah ihn
an, als würde sie über etwas nachdenken. "Was
hast du, Lutha?" fragte er vorsichtig. Das Mädchen
druckste ein wenig verlegen rum. "Nun, ich habe
mich nur gefragt...also...willst du mich nicht wärmen?"
Luthawen lief knallrot an und auch Olbern errötete
verlegen. Dann fasste er sich aber ein Herz, zog sein
Hemd aus und schlüpfte zu ihr unter die Decke.
Luthawen kuschelte sich fest an ihn an und seufzte zufrieden.
Olbern streichelte ihren Kopf. Plötzlich fing das Mädchen leise an zu
kichern. "Was ist denn so komisch?" fragte
der junge Beorninger. "Ach nichts," grinste
Luthawen, konnte sich aber nicht beruhigen. "Nur,
wenn mein Vater das wüsste, würde er mich
umbringen." Olbern verzog das Gesicht. "Du
meinst wohl, er würde mich umbringen!" Beide
begannen zu lachen. Olbern kitzelte Luthawen und sie
küsste ihn auf die Nase. Derweil stieg die Sonne
am Himmel immer höher. Das Mädchen seufzte leise. "Was hast du
denn?" fragte Olbern. In ihrer Gegenwart fühlte
er sich oft ganz unsicher und doch so glücklich.
Luthawen schüttelte den Kopf. "Ach nichts
- ich war nur noch nie so lange von zu Hause fort." Tatsächlich war es Olbern gelungen, den Tag
über zur freien Verfügung zu haben und er
war sehr glücklich darüber. Der junge Beorninger
zeigte Luthawen und ihrer Familie voller Stolz die Wunder
seines Volkes. In der Tat waren Elrond und seine Söhne sehr
beeindruckt von den Dingen, die Bereg in seiner Amtszeit
erreicht hatte. Überall begegnete man ihnen mit
Staunen - aber durchaus freundlich gesinnt. Sie spazierten
durch das Dorf der Beorninger und Luthawen bewunderte
die einfachen, aber schönen Schmuckstücke,
die auf dem Markt feilgeboten wurden. Viele Beorninger trugen Kleidung, die eindeutig aus
Stoffen der Elben hergestellt waren. Es gab sogar einige
Pferde aus Rohan auf dem Marktplatz und Steingut aus
Esgaroth. Die Beorninger standen mit vielen der freien
Völker im Handel, erklärte Olbern und in nicht
allzu ferner Zukunft sollten auch Handelsruten mit Moria
eröffnet werden. Am späten Nachmittag kehrten sie zurück
in Beregs Haus. Olberns Mutter bereitete ihnen ein gutes
Mahl und sie aßen, als wären sie am Verhungern.
Plötzlich öffnete sich die Tür und Bereg
trat ein. Alle sahen ihn verwundert an. Es war einfach
kaum zu glauben, wie viel besser es ihm bereits ging.
Elrond untersuchte den Beorninger noch einmal und Luthawen
sah ihm aufmerksam zu. Der Elbenfürst erklärte seiner Enkelin
genau, was er tat und ließ sie auch selbst schon
ein wenig tun. Olbern lächelte stolz. Nur Elrohir
saß etwas abwesend am Tisch. Er konnte sich nicht
helfen, aber er hatte das Gefühl, dass etwas mit
seiner Schwester nicht stimmte. Natürlich war das
Unsinn. Laietha war sicher und wohlbehalten in Minas
Tirith bei ihrem Bruder. Aragorn würde sie gut
beschützen und niemals zulassen, dass ihr etwas
passierte. Trotzdem wäre Elrohir lieber jetzt als
später aufgebrochen, um nach dem Rechten zu sehen. Elrond, Olberns Mutter und Bereg gingen hinaus. Sie
wollten ein paar Boten zu Legolas schicken, um ihn von
Aragorns bevorstehender Hochzeit zu informieren, denn
Elrond und Elrohir hatten beschlossen, dass es sich
nicht mehr lohnen würde, zu Thranduil zu reisen. Luthawen und Olbern traten zu dem jungen Elben. "Was
hast du, Onkel?" fragte Luthawen, der die besorgte
Miene ihres Onkels nicht entgangen war. Elrohir lächelte
gequält. Es war absurd. Laietha war in Sicherheit
und er würde dem Mädchen keinen Schrecken
einjagen. "Nichts, Liebes, alles ist in Ordnung."
Olbern legte dem Elben die Hand auf die Schulter.
"Ich bin wirklich froh, dass dein Vater meinem
geholfen hat. Wir sind ein Volk, das gut im Wald überleben
kann, aber wir haben einfach zu wenig ausgebildete Heiler.
Ohne die Hilfe von Herrn Elrond..., nun, wer weiß.
Ich will gar nicht daran denken." Elrohir fing sich wieder und begann zu lachen. "Nur
keine Bange! Mein Vater ist ein ausgezeichneter Heiler
und es gibt nur wenige Dinge auf dieser Welt, gegen
die er nichts ausrichten kann." Olbern erwiderte
sein Lächeln. "Dann lass uns hoffen, dass
er ihnen nie begegnen wird, mein Freund." *** Eine Woche war seit der Nacht vergangen, in der Laiethas
Zustand zuletzt kritisch gewesen war. Faramir war in
den Garten des Palastes geschlendert und mehr als froh
gewesen, seine Schwägerin wieder auf den Beinen
zu sehen. Endlich würde sein Bruder ihm wieder
ein wenig Luft gönnen. Boromir war in der Zeit
als seine Frau in den Häusern der Heilung gelegen
hatte, mehr als anhänglich gewesen - für seine
Verhältnisse. Nun fand der Fürst von Ithilien seine Schwägerin
im Garten sitzend, die ihrem Bruder Elladan zusah, wie
er Aiglos im Schwertkampf unterwies. Faramir nahm neben
ihr Platz. "Na, bist du wohlauf?" Laietha
lächelte. "Ich bin froh, endlich wieder auf
mein Zimmer zu dürfen. Und ich freue mich, dass
ich hier in der Sonne sitzen kann. Ich konnte es noch
nie besonders gut leiden, lange im Bett bleiben zu müssen."
Faramir grinste breit. Das sah ihr so ähnlich!
"Gut, zu hören." Es dauerte keine zwei Minuten und Ionvamir kam in
den Garten gerannt. "Hey, Aiglos," brüllte
er, als er seinen Cousin entdeckt hatte. "Hast
du heute schon was vor?" Boromirs Sohn warf sein
Schwert achtlos zur Seite - und enthauptete dabei fast
seinen Onkel. Laietha versetzte ihm einen kräftigen
Klaps auf den Hinterkopf, aber Faramir grinste nur.
"Du hast doch nicht schon wieder Unfug im Sinn,
nicht wahr, mein Sohn?" Ionvamir zog eine Unschuldsmiene und zuckte mit den
Schultern. "Ich wollte meinen Cousin nur fragen,
ob er mit zum Angeln kommen will." Aiglos sah seine
Mutter aus großen Augen an. "Mama, darf ich?
Bitte!" Laietha musste schmunzeln, erlaubte es
ihm aber und wie ein Wirbelwind waren die Jungen auf
und davon. Faramir und Laietha tauschten einen wissenden
Blick und brachen in Gelächter aus. "Boromir
kann sich wohl schon mal eine neue Strafe für unseren
lieben Sohn überlegen," schmunzelte die Kriegerin. Erstaunlicherweise hatte es Aiglos geschafft, sich
an diesem Tag aus Scherereien herauszuhalten. Am Abend
hatte Aragorn Faramir und Eowyn zu einem gemeinsamen
Abendessen eingeladen. Laietha hatte sich für ein Kleid aus dunkelgrünem
Samt entschieden und da der Elbenstein farblich perfekt
zu dem Stoff passte, entschied sie sich ihn offen zu
tragen. Sie und Boromir tauschten ein Lächeln,
als er seine Frau genau in Augenschein nahm. "Was
bin ich doch für ein Glückspilz," schmunzelte
er und hauchte ihr einen Kuß auf die Wange. Auch Faramir und Eowyn trafen bald mit ihren Kindern
ein und sie nahmen alle Platz. Aragorn war ebenfalls
anwesend, aber er war ziemlich schweigsam. Er sah aus,
als hätte er in der letzten Zeit wenig Schlaf bekommen.
Laietha betrachtete es mit wachsender Besorgnis. Das
gefiel ihr gar nicht. Sie würde in einer ruhigen
Minute mal mit ihm reden. Nun waren sie alle versammelt - nur Mornuan ließ
auf sich warten. Eowyn und Laietha warfen sich vielsagende
Blicke zu. Als Aragorns Braut schließlich erschien
- strahlend schön, wie immer - erwachten auch die
Lebensgeister des Königs wieder. Er stürmte
zu ihr, um sie überschwänglich zu begrüßen.
Laietha verzog das Gesicht. Missmutig begann sie zu
essen. Beim Abendessen spielte sich das gleiche Szenario
wie bei den Essen zuvor ab. Aragorn hatte nur Augen
für seine Verlobte und beachtete seine Gäste
kaum. Laiethas Miene verfinsterte sich zunehmend. Boromir
bemerkte es wohl, schüttelte aber im Stillen den
Kopf über seine Frau, denn ihm war schon klar,
was ihren Unwillen erregt hatte. Laiethas verfluchte
Eifersucht raubte ihm den Verstand - von seiner eigenen
ganz zu schweigen. Er gab es nicht offen zu, aber es
wurmte ihn gewaltig, dass Laietha sich wegen Aragorn
so aufregte. Boromir hatte gehofft, dass es sich legen
würde, wenn seine Frau die Braut ihres Bruders
erst näher kennengelernt hatte, aber dem war nicht
so. Er bewunderte nur Mornuans Geduld. Laietha versuchte ihren Ärger mühsam unter
Kontrolle zu halten, aber es fiel ihr schwer. Wie konnte
Aragorn sich nur so gehen lassen? Plötzlich erstarrte
sie, denn sie spürte Mornuans kalten Blick auf
ihr ruhen. Die Frau schien sie mit ihren Blicken durchbohren
zu wollen. Laietha lächelte sie an und Aragorns
Braut kopierte ihre Mimik. "Ich bin wirklich froh, dass es dir besser geht,
Schwester. Ich hätte nicht erwartet, dich so schnell
wieder auf den Beinen zu sehen." Die Kriegerin
zuckte mit den Schultern. "Die Leute in den Häusern
der Heilung verstehen ihr Handwerk," war alles
was sie sagte. Mornuan erhob sich und schlenderte zu
ihrem Platz hinüber. Ein Frösteln überkam
Laietha und sie straffte sich, um nicht aufzuspringen
und fortzulaufen. Mornuan starrte auf das Juwel an ihrer
Brust und plötzlich bedauerte Laietha, dass sie
es so offensichtlich zur Schau getragen hatte. Mornuan berührte es mit kennerhafter Miene.
Laietha widerstand dem Drang, zurückzuweichen.
"Das nenne ich hübsch. Wo hast du es her?"
Laietha hatte nicht vor, ihr zu offenbaren, was sie
da trug. "Es ist ein Geschenk," erwiderte
sie knapp und vielleicht einen Hauch zu bissig. Schnell
legte sie ihre Hand um den Stein, wie um ihn vor der
Berührung Mornuans zu schützen. Aragorn lächelte
sie ermunternd an, als er den Stein entdeckte. "Es ist ein Geschenk unseres Ziehvaters - ein
Elbenstein mit magischen Kräften. Ich denke, dass
er der Grund ist, dass es meiner Schwester nun schon
so viel besser geht." Laietha warf ihm einen giftigen
Blick zu. Er redete zu viel. Früher hätte
er bemerkt, dass sie ihre Gründe hatte, zu schweigen.
Mornuan sah Laietha in die Augen und lächelte verstehend. "So ist das also. Du kannst dich glücklich
schätzen, solche Geschenke dein Eigen zu nennen."
Laietha presste die Lippen zusammen. "Ich weiß,"
zischte sie mühsam kontrolliert. Mornuan schmunzelte.
"Oh nein, tust du nicht, Kindchen." Damit
begab sie sich zu ihrem Platz zurück. Den Rest des Mahles über blieb Laietha stumm.
Boromir nahm sich vor, später einmal mit ihr zu
reden. Als die Tafel aufgehoben wurde und alle sich
verabschiedeten, nahm Laietha jedoch die Gelegenheit
wahr, um ihren Bruder kurz abzupassen. "Ich muss mit dir reden, Dunai." Aragorn
sah sie unglücklich an. "Muss das jetzt sein,
Aiwe? Ich wollte eigentlich den Abend mit Mornuan verbringen.
Kann das hier nicht warten?" Sie verdrehte entnervt
die Augen. "Ich schätze nicht! Was zum Balrog
ist mit dir los, Dunai?" Er blinzelte sie verständnislos
an. "Ich weiß nicht, was du meinst, Laietha."
Die Kriegerin schnaubte wütend. "Das ist
ja wohl mehr als offensichtlich! Ich frage mich schon
die ganze Zeit, wo du die Weisheit, für die du
geschätzt wirst gelassen hast!" Aragorn sah
sie böse an. "Hüte deine Zunge, kleine
Schwester. Du redest noch immer mit dem König."
So hatte er noch nie zuvor mit ihr gesprochen, aber
Laietha hatte keine Furcht - schließlich war er
ihr Bruder und die Geschwister hatten sich immer ehrlich
die Meinung gesagt, auch wenn - gerade Laietha - man
diese lieber nicht hatte hören wollen. Und nun
war es wirklich an der Zeit, Aragorn den Kopf zu waschen.
"Jetzt stell dich nicht dümmer als du bist,
Aragorn. Glaubst du, du könntest mir etwas vormachen?
Du hast nur noch Augen für deine Braut und darüber
vergisst du, wer du bist!" Laietha war aufgebracht.
Sie wedelte mit der Hand vor der unordentlichen Kleidung
ihres Bruders herum. "Wie du rumläufst! Nennst
du das königlich? Armes Gondor kann ich dann nur
sagen! Du vernachlässigst deine Pflichten..."
Aragorn drehte sich um und wollte seine Schwester stehen
lassen, aber sie packte ihn am Ärmel seines Gewandes
und wirbelte ihn herum. "Ich bin noch nicht fertig,
Aragorn!" Blitzschnell legte ihr Aragorn die Hand an die Kehle.
"Aber ich habe genug gehört. Was ich tue und
lasse, geht dich gar nichts an, Weib." Mornuan
war aus dem Speisesaal zu ihnen getreten und beobachtete
die Szenerie amüsiert. Laietha kochte innerlich.
"Vielleicht solltest du dann dein Amt niederlegen
und es jemanden übertragen, der sich besser um
die Aufgaben eines Königs kümmert als ein
liebestrunkener Narr!" fauchte sie. Nun ging alles so schnell, dass Laietha nicht einmal
wusste, wie ihr geschah. Der König versetzte ihr
eine schallende Ohrfeige. "Sei froh, dass du meine
Schwester bist, denn sonst hätte ich dich schon
längst in den finstersten Kerker werfen lassen.
Wage es ja nie wieder, dich in meine Angelegenheiten
einmischen zu wollen, Annaluva, oder du wirst es bereuen."
Seine Stimme war ein bedrohliches Flüstern und
sein Blick ließ selbst die kühne Kriegerin
zurückweichen. "Du bist nicht du selbst, Elessar,"
murmelte sie kaum hörbar. Aragorn schnaubte und
stapfte davon. Mornuan trat an Laiethas Seite und bedachte die Kriegerin
mit einem zuckersüßen Lächeln. Sie legte
Laietha sanft eine Hand auf die Schulter und beugte
sich zu ihr, um ihr etwas ins Ohr zu wispern. "Wenn ich an deiner Stelle wäre, würde
ich in Zukunft aufpassen, was ich sage. Mir scheint,
du stehst zur Zeit nicht allzu hoch in der Gunst deines
Bruders. Vielleicht hat er deine verräterischen
Ratschläge satt. Und wir alle wissen doch, was
mit Verrätern geschieht, nicht wahr?" Sie
strich Laietha mit einem Finger über die Wange
und hinterließ eine rote Strieme mit ihrem Nagel.
Die Kriegerin war zu schockiert, um eine passende Antwort
zu finden. Mornuan schlenderte fröhlich summend
hinter ihrem Bräutigam her. Boromir sah seine Frau im Gang des Palastes stehen
und er fand, dass es eine günstige Gelegenheit
war, ein Wort mit ihr zu wechseln. Selbst Faramir und
Eowyn hatten ihn beim gemeinsamen Essen schon gefragt,
was mit seiner Gattin loswäre. Langsam wurde es
kindisch. Seine Frau schien sein Kommen kaum zu bemerken.
Boromir legte ihr die Hand auf die Schulter und als
sie sich zu ihm umdrehte, sah er, dass ihr die Tränen
in den Augen standen. Das war seltsam! Boromir sah sie
besorgt an. "Was hast du? Ist etwas passiert?" Laietha
zuckte mit den Schultern, ihre Unterlippe begann zu
zittern und sie warf sich in seine Arme. Boromir verstand
die Welt nicht mehr. Was ging hier vor sich? Hatte sie
Schmerzen? "Sch...Laietha, was ist denn los?"
fragte er sanft. Die ersten Tränen durchnässten
den Stoff seines Hemdes. "Er muss wahnsinnig sein!
Was für einen bösen Fluch hat sie nur über
meinen Bruder gelegt?" schluchzte Laietha. Boromir versteifte sich. Darum ging es also... Er nahm sie sanft bei den Schultern und zwang sie,
ihm in die Augen zu sehen. "Laietha, darüber
haben wir doch schon gesprochen. Du hast absolut keinen
Grund, eifersüchtig auf sie zu sein." "Ich bin doch nicht eifersüchtig, verdammt!"
schluchzte sie. Boromirs Gesicht blieb ernst. "Du
hast schon deine Familie, Laietha. Nimm ihm nicht das
Recht auf eine eigene." Die Kriegerin sah ihn wütend
an. Er verstand gar nichts! "Lass mich in Ruhe! Ich weiß, was ich
weiß! Und hier geht etwas seltsames vor sich!
Warum seht ihr das alle nicht?" Sie wollte sich
seinem Griff entwinden, aber Boromir hielt sie eisern
fest. "Das einzig seltsame, das ich hier sehe,
ist das Benehmen meiner Frau. Das ist kindisch. Hör
auf damit! Reiß dich gefälligst zusammen,
Laietha!" Sie riss sich los und stürmte davon. Boromir
sah ihr kopfschüttelnd nach. Seine Frau war in
letzter Zeit ein wenig schwierig. Hoffentlich machte
sie keine Dummheiten. *** Laietha rannte, als wäre der Balrog hinter ihr
her. Zwar sah sie durch den Tränenschleier vor
ihren Augen kaum, wohin sie ihre Beine trugen, aber
es war ihr auch egal - sie wollte einfach nur fort.
Ihr Bruder hatte den Verstand verloren und nicht einmal
ihr Mann schenkte ihr Glauben. Sahen sie denn alle nicht,
was hier vor sich ging? Sie wurde langsamer. Aber vielleicht hatte Boromir
auch recht. War sie eifersüchtig? Vielleicht sah
sie ja wirklich nur Gespenster! Boromir hatte nichts
verdächtiges an Mornuan bemerkt, auch sein
Bruder Faramir hätte doch gewiss etwas gesagt,
wenn Mornuan etwas im Schilde führte. Laietha lehnte
sich gegen eine Wand in ihrem Rücken. "Sieh es ein, du bist ein närrisches, von
Eifersucht zerfressenes altes Weib, Annaluva."
Sie würde sich morgen bei Aragorn und Mornuan für
ihr ungebührliches Verhalten entschuldigen. Sie
seufzte laut und machte sich auf den Heimweg in den
Palast - tief in Gedanken. Laietha sah die vier Gestalten, die sich aus dem
Schatten lösten zuerst nicht und selbst wenn -
es hätte sie nicht gestört, denn die Straßen
in Minas Tirith galten als sicher. Sie wurde erst stutzig,
als es schon zu spät war und sie den Dolch eines
der Männer funkeln sah. Aus einem Reflex heraus
griff sie an ihre Seite und fluchte im Stillen, denn
ihr Schwert trug sie nicht bei sich. Hinter ihr wurde
boshaftes Gekicher laut. "Sieh nur, Tion, da scheint sich jemand verlaufen
zu haben," lachte einer von ihnen. Laietha sah
sich blitzschnell um. Sie hatten sie eingekreist und
es gab keine Chance zur Flucht. Sie versuchte sich zu
orientieren und kam zu dem Schluss, dass sie in einem
der äußeren Ringe war - weit weg vom Palast
- weit weg von den Posten der Wachen. Ein großer Mann, der sich bis jetzt in den
Schatten gehalten hatte, trat auf sie zu. Er hatte nur
ein Auge, das andere war von einer schwarzen Klappe
verdeckt und als er grinste, enthüllte er eine
Reihe bräunlicher Stummel, die in seinen besseren
Tagen wohl einmal Zähne gewesen waren. "Holde
Maid, ihr habt doch sicher ein paar Almosen für
einen armen Mann übrig, nicht wahr?" Sie war sich ihrer reichen Kleidung wohl bewusst,
wenn sie auch kein Geld bei sich hatte, aber einer Frau
konnten üblere Sachen geschehen, wenn sie alleine
in der Stadt unterwegs war. Laietha trug nur einen wertvollen
Gegenstand bei sich und den hatte der Anführer
der Banditen jetzt entdeckt. Er nahm den Elbenstein
in seine schmierigen Finger. "Das nenne ich einen hübschen Stein. Habt
ihr nicht eben gesagt, dass ihr ihn mir schenken wollt?"
Laietha biss sich auf die Lippen. Wenn ihr das Leben
lieb war, sollte sie besser schweigen, aber sie spürte
bereits jetzt, dass ihr ein paar wütende Flüche
in den Sinn kamen. Der Anführer wollte ihr den
Stein abnehmen, als sie einen Schritt nach hinten wich
und ihn böse anfunkelte. Die Männer um sie
herum brachen in Gelächter aus und sie hörte,
wie Waffen gezogen wurden. "Aber, aber, wer wird denn geizig sein, edle
Frau," lachte der Anführer. Die Männer
zogen den Kreis um sie immer enger. "Auseinander, Lumpenpack!" Ein Pfeil zischte
durch die Luft und traf den Mann neben Laietha in die
Schulter. "Die Palastwache," fluchten die
Räuber und wie Ungeziefer verschwanden sie spurlos
in den dunklen Gassen aus denen sie hervorgekrochen
waren. Laietha bemerkte erst jetzt, dass sie die Luft
angehalten hatte und atmete tief durch. Das war wirklich
knapp gewesen! "Laietha!" Sie erkannte Bergil unter den
Soldaten und er umarmte sie erleichtert. "Was machst
du denn hier? So weit draußen!" Der junge
Soldat schüttelte den Kopf. "Komm, lass uns
auf den Schrecken erst einmal ein Bier trinken. Ich
habe jetzt sowieso Schluss." In der Wirtschaft eingekehrt, ein kühles Bier
vor der Nase, stopften sie ihre Pfeifen und saßen
eine Weile lang schweigsam rauchend nebeneinander. Laietha
schüttelte den Kopf. "Das kann auch nur mir
passieren! In Minas Tirith überfallen zu werden!"
Bergil sah sie lange an. Sein Gesicht war ernst. "Leider
ist das keine Seltenheit mehr." Laietha starrte
den jungen Mann bestürzt an und er begann zu berichten.
Die Straßen von Minas Tirith waren seit einiger
Zeit nicht mehr sicher. Diebsgesindel trieb sein Unwesen,
denn die Palastwache war deutlich unterbesetzt. "Der
König kümmert sich zu wenig um seine Leute.
Vieles geht drunter und drüber und das nutzt dieses
Pack natürlich aus. Jemand sollte mit ihm reden."
Er sah Laietha bittend an, aber die Kriegerin schüttelte
resigniert den Kopf. "Ich habe es heute erst versucht, aber er hat
mir nicht zugehört. Was soll ich schon ausrichten?"
Hilfloses Schweigen trat zwischen sie und Bergil seufzte
laut. "Dann sieht es übel aus - wenn er nicht
mal auf dich hört. Niemand anders würde es
wagen, mit ihm zu sprechen - aus Angst vor der Strafe."
Die Kriegerin sah ihn neugierig an. "Strafe?"
Bergil nickte. Dann berichtete er von dem Botschafter,
den Aragorn ins Gefängnis hatte werfen lassen,
als er ihm widersprochen hatte. Laietha entgleisten die Gesichtszüge und sie
dachte an das Gespräch der Frauen in den Häusern
der Heilung, das sie belauscht hatte. Es stimmte also.
Sie zuckte mit den Schultern. "Also schön,
ich werde versuchen, mit ihm zu sprechen, aber ich fürchte,
es wird nicht viel nützen..." Bergil nickte.
"Wenn er nicht auf dich hört, auf wen denn
dann?" Darauf wusste auch Laietha keine Antwort. *** Es war schon später Abend, als Laietha endlich
wieder im Palast eintraf. Sie war von einer seltsamen
Unruhe erfüllt und verwirrt. Gerade hatte sie sich
damit abgefunden, dass sie sich wie ein dummes Kind
benahm und dann bat sie Bergil, mit Aragorn zu sprechen.
Gedankenverloren wiegte sie den Elbenstein in ihrer
Hand. Als sie ihr Zimmer betrat, sah sie Boromirs vertraute
Umrisse im Bett liegen und hörte seinen regelmäßigen
Atem. Langsam zog sie ihr Kleid aus und setzte sich an
die kleine Kommode vor den Spiegel. Mit sorgfältigen
Strichen, bürstete sie ihr Haar. Laietha betrachtete
die grauen Strähnen und rückte ein wenig dichter
an den Spiegel heran. Mit einem Seufzen lehnte sie sich
zurück, als sie bemerkte, dass sie die Lachfalten
um ihre Augen nicht verschwinden lassen konnte. Sie
fühlte nicht die geringste Müdigkeit. In ihrem
Kopf schwirrten alle möglichen Gedanken. Sie würde
wohl doch nicht umhin kommen, ihren Bruder um ein Gespräch
zu bitten. Eine Gänsehaut bildete sich auf ihren
Armen bei dem Gedanken daran, dass Aragorn vielleicht
noch einmal so wütend werden könnte. Seine
Worte hatten sie mehr als die Ohrfeige geschmerzt. Laietha fröstelte in der kühlen Nachtluft
und begab sich zu ihrem Bett. Lautlos schlüpfte
sie unter die Decke und es tat gut, Boromirs Wärme
zu spüren. Sie schloss die Augen. "Tut mir
leid, dass ich dich angebrüllt habe." Sein
warmer Körper presste sich gegen ihren Rücken
und Boromirs Duft umhüllte sie wie eine zweite
Decke. "Kannst du mir verzeihen?" Laietha
drehte sich zu ihm um und hauchte ihm lächelnd
einen Kuss auf die Lippen.
(4)
Liebe Schwester! (5) Ich habe Angst, Elladan. (6)
Bei den Valar! (7) Ich liebe dich.
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