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Titel: Der
geschenkte Tag
(Seite 4) Autor: Naurdolien
Er
seufzte und drückte sie fest gegen sich. "Du
hast ja recht, Laietha, er benimmt sich wirklich seltsam,
aber vielleicht ist das die Aufregung. Weißt du
noch, wie verrückt ich mich vor unserer Hochzeit
benommen habe?" Sie schmunzelte und ihr Mann strich
ihr sanft über die Wange. "Siehst du, es gibt
nichts, was du befürchten müsstest."
Von draußen klang ein fremder Gesang zu ihnen
ins Zimmer hinein und Laietha begann herzhaft zu gähnen.
"Du hast recht, Liebster. Vielleicht sehe ich Gespenster!"
Boromir lächelte und stieg aus dem Bett, nur
um sich hinzuknien und hinunterzusehen. Mit einem breiten
Grinsen kam er wieder zum Vorschein. "Dort sind
jedenfalls keine," lächelte er und Laietha
begann zu lachen. Nachdem Boromir auch den Wandschrank und die Kommode
nach Gespenstern abgesucht hatte, kam er zu ihr ins
Bett zurück. "Du vermisst dein kleines Töchterchen,
nicht wahr?" Boromir lächelte schief und nickte
ihr zu. "Vielleicht wird sie ja Olbern heiraten
und uns bald mit Enkelkindern beglücken,"
neckte die Kriegerin ihn. Boromir verdrehte die Augen.
"Beim Turm von Ecthelion," stöhnte er
gequält. Laietha lachte leise und vergrub ihren
Kopf an seiner Brust. Ihr Mann küsste sie sachte
auf die Stirn und noch während sie seinem Herzschlag
lauschte, fielen beide in einen tiefen Schlaf. *** Aiglos erwachte kurz nach Sonnenaufgang. Er sah sich
eine Weile die Wände in seinem Zimmer an und begann,
sich schrecklich zu langweilen. Ihm fehlte seine Schwester.
Gestern hatte er ein Mädchen getroffen, das ihm
gut gefallen hatte und nun, wo er ihren Rat mal brauchte,
war sie nicht da. Typisch! Der Junge schwang die langen
Beine aus dem Bett und lief zum Fenster. Die Morgensonne
flutete die Weiße Stadt mit ihren goldenen Strahlen
und langsam begannen die Leute in den Straßen
zu erwachen. Boromirs Sohn nutzte die Zeit, um sich lange im Spiegel
anzusehen und sein glattes Kinn gründlich, aber
vergeblich nach Bartflaum zu untersuchen. Er seufzte
laut. Auch auf seiner Brust wollten sich die ersehnten
Haare nicht einstellen. Neidvoll dachte er an seinen
Badeausflug mit Olbern, als er den dunklen Flaum auf
dessen Brust bewundert hatte. Ach, wenn er doch endlich
ein Mann wäre! Als auch sein Starren den Haarwuchs nicht förderte,
wusch sich Aiglos, kämmte seine Haare, die er zu
einem kurzen Zopf zusammenband, und zog sich an. Sein
Magen knurrte laut. Es wurde Zeit, seine Eltern zum
Frühstück zu wecken. Als er in das Zimmer seiner Eltern kam, bot sich
ihm ein seltsames Bild. Sein Vater saß mit entnervten
Gesicht auf dem Bett, während seine Mutter auf
Knien das Zimmer absuchte. "Laietha, jetzt beruhige
dich, es muss ja irgendwo sein!" Aiglos sah seinen
Vater fragend an, aber der zuckte nur hilflos mit en
Schultern, als seine Frau zum siebenten Mal an diesem
Morgen einen Blick in die Schublade ihrer Kommode warf.
"Ich kann es nicht finden! Es ist einfach weg!"
jammerte Laietha und machte sich erneut daran, das Bett
zu durchsuchen. "Vielleicht hast du es heute Nacht
verloren. Schatz, wir werden es finden!" Aiglos
sah seiner Mutter nach, die mit einem verzweifelten
Ausdruck im Gesicht ihre Sachen durchwühlte. "Was
ist denn los?" fragte er. Boromir seufzte und begann
zu erklären. Laiethas Elbenstein war verschwunden. Sie hatten
nun schon den ganzen Raum auf den Kopf gestellt und
Laietha war fest davon überzeugt, ihn nicht abgelegt
zu haben - aber sie fanden nicht die geringste Spur
von dem Schmuckstück. Aiglos´ Mutter war
verzweifelt. Boromir seufzte und nahm sie tröstend
in den Arm. "Lass uns erst mal etwas essen gehen
- dann sieht die Welt schon ganz anders aus. Im Moment
bringt das doch alles nichts. Nach dem Frühstück
werden wir es schon finden, es sei denn, Elbensteine
lösen sich für gewöhnlich in Nichts auf." Aber auch nach den Frühstück blieb das
Juwel verschwunden und Laietha begann zu weinen. Elladan
beteiligte sich nun auch an der Suche und Boromir war
zu einem Treffen mit seinem Bruder aufgebrochen, zu
dem ihn Aiglos begleitet hatte. Es half nichts - Laietha
und Elladan wurden nicht fündig und am Nachmittag
stattete Auranor ihrer Tante einen Besuch ab. Mit großen Augen sah das kleinen Mädchen
die Frau an, die auf dem Bett saß und weinte.
"Tante Lai..." begann sie schüchtern
und tapste auf Laietha zu. Die Kriegerin wischte sich
schnell die Tränen aus den Augen und lächelte
das Mädchen an. "Was gibt es, mein Sonnenschein?
Ich freu mich, dich zu sehen." Auranor wischte
ihr mit ihren Knubbelfingern eine Träne von der
Wange. "Was ist denn los? Warum bist du so traurig?"
Laietha nahm ihre Nichte fest in den Arm. "Ich habe etwas verloren. Das ist alles. Bist
du gekommen, damit ich dir wieder eine Geschichte erzähle?"
Auranor nickte zuerst, begann dann aber unruhig hin
und her zu rutschen. "Du, Tante Lai..." Laietha
sah sie aufmerksam an. "Was ist, Liebes?"
Auranor kletterte auf ihren Schoß und schmiegte
sich fest gegen die Brust der Kriegerin. "Ich will
dir ein Geheimnis verraten, wenn du mir versprichst,
nicht mehr traurig zu sein." Die Kleine machte
ein ernstes Gesicht. Laietha lächelte. "Versprochen." Auranor presste ihre Lippen ganz fest an Laiethas
Ohr. "Ich habe einen Silmaril gefunden," flüsterte
sie. "Zuerst wollte ich ihn ja Mama schenken, aber
jetzt geb ich ihn dir, damit du nicht mehr traurig bist."
Sie steckte ihre Hand in die Tasche ihres Kleides und
zog etwas hervor. Laietha dachte mit einem Lächeln an eine kleine
Holzschachtel bei sich daheim, in der sie ein gutes
Dutzend "Silmaril - Kiesel" aufbewahrte, die
Luthawen und Aiglos ihr geschenkt hatten. Lächelnd
streckte sie ihre Hand aus. "Das ist wirklich süß
von dir, mein Schatz!" schmunzelte sie. Auranor öffnete ihre Faust und als Laietha ihr
Geschenk empfing, konnte sie einen erstaunten Schrei
nicht unterdrücken. Das Mädchen lächelte
befriedigt. Elladan, der den Aufschrei seiner Schwester gehört
hatte, kam ins Zimmer gestürmt. Er hatte draußen
auf dem Flur nach Laiethas Kette gesucht. "Alles
in Ordnung?" fragte er besorgt. Laietha winkte
ihn zu sich - ihre Miene war eine Mischung aus Freude,
Entsetzen und Überraschung und selbst der Elb konnte
nicht sagen, welches Gefühl zu überwiegen
schien. Langsam öffnete Laietha die Hand und Elladan
keuchte erstaunt. Sie starrten eine ganze Weile lang
fassungslos auf den grünen Elbenstein. Auranor
war vollauf mit sich zufrieden. Laietha wandte sich ihrer Nichte wieder zu. "Mein
kleiner Schatzsucher, wo hast du den denn gefunden?"
Auranors Augen begannen zu leuchten. "Kommt mit,
ich werde es euch zeigen. Vielleicht finden wir ja noch
viel mehr davon!" Das Mädchen stürmte
aus dem Zimmer und nachdem Laietha die Kette wieder
um ihren Hals gelegt hatte, folgten sie und Elladan
dem Kind. Sie waren nun zu neugierig, wohin sie Faramirs
Tochter führen würde. *** Schnurstracks marschierte Auranor in den Garten -
Laietha und Elladan folgten ihr auf dem Fuße.
"Ich habe grade Verstecken gespielt und da hab
ich den Silmaril hier liegen sehen. Er war ganz schön
gut versteckt." Laietha und Elladan tauschten vielsagende
Blicke. Der Elb sah sich den Boden an, aber Auranor
hatte alle Spuren zertrampelt - falls welche dort gewesen
waren. Sie hatten beide einen Verdacht, wer Laiethas
Kette dort versteckt haben könnte, aber das Wichtigste
fehlte ihnen leider - ein Motiv und Beweise. Gedankenverloren strich Laietha ihrer Nichte durchs
Haar. Auranor sah sie mit großen Augen an. "Erzählst
du mir noch eine Geschichte, Tante Lai?" Die Kriegerin
musste schmunzeln und auch Elladan feixte. "Von
Elben und Drachen und Schätzen! Am besten die von
dem kleinen Hobbit, der bei Onkel Legolas war und den
Drachenschatz gefunden hat!" Nun begannen Elronds Kinder laut zu lachen. "Du
kennst die Geschichte doch schon auswendig," versuchte
Laietha Auranor milde zu stimmen, aber das kleine Mädchen
zog einen Flunsch. Plötzlich hatte Elladan die
rettende Idee. "Was hältst du davon, wenn
wir selbst nach Schätzen suchen?" Auranors
Augen begannen zu leuchten. Das war ganz nach ihrem
Geschmack. "Meint ihr, wir finden hier noch mehr Schätze?"
fragte sie hoffnungsvoll und schielte zu der Stelle,
wo sie Laiethas Kette gefunden hatte. Die Kriegerin
schmunzelte. "Ich glaube nicht - das wäre
zu einfach. Nein, wir werden unseren Schatz schon eine
Weile suchen müssen." *** Gegen Abend kam Eowyn in den Garten spaziert und
hörte schon von Weitem das fröhliche Lachen
ihrer kleinen Tochter. Da kamen sie auch schon - Auranor
auf den Schultern ihrer Tante, die von einem wütend
fauchendem Elladan verfolgt wurde. Der Elb war ganz
rot im Gesicht. "Schneller, Tante Lai!" jubelte
Auranor und lachend kam die lustige Gesellschaft vor
Eowyn zum Stehen. Faramirs Frau musste gar nicht fragen, was los war,
denn Auranor erklärte es ihr ganz von allein. "Onkel
Elladan ist ein böser Drache. Wir haben ihm seinen
Schatz gestohlen. Sieh nur - für dich, Mama!"
Auranor streckte ihr die Hand entgegen und mit einem
Ausruf der Verwunderung, nahm die Herrin Rohans die
wundervollen Geschenke entgegen. Einige interessant geformte, glitzernde Steine -
vielleicht waren das ja die lang verlorengeglaubten
Silmaril, wer konnte das schon genau sagen? Die Teile
einer zerbrochenen Tasse, die bestimmt einmal Aule gehört
hatte - eine echte Rarität. Und einen schneeweißen
Kiesel - ein Drachenzahn. Eowyn nahm diese wertvollen Geschenke voller Entzücken
entgegen. Es hatte gut getan, wieder einmal einen Nachmittag
ganz allein mit Faramir zu verbringen, aber nun war
sie auch heilfroh, ihre Tochter wiederzuhaben. Sie bedankte
sich bei ihrer Schwägerin und Laietha erwiderte
das Lächeln. "Keine Ursache. Ein freier Nachmittag
ist etwas herrliches." Zusammen gingen sie in Richtung des Palastes. Im
Garten kamen sie an Ionvamir und Aiglos vorbei, die
sich im Bogenschießen übten. Eowyn verabschiedete
sich und machte sich auf den Heimweg. Laietha und Elladan
sahen den Jungen noch ein wenig zu. Dann machten auch
sie sich af den Weg zu ihren Gemächern. Zuerst
liefen sie schweigend nebeneinander her. Elladan warf
Laietha einen Blick zu. "Was hast du?" Die
Kriegerin sah sich auf dem Gang um, schüttelte
dann aber den Kopf. Nicht hier. Als sie Laiethas und Boromirs Gemach erreicht hatten,
setzten sie sich an den kleinen Tisch und sahen sich
lange an. "Du hast einen Verdacht, nicht wahr?"
Laietha nickte. "Ja, den habe ich." Sie sah
sich noch einmal im Raum um und fuhr dann in der Sprache
der Elben fort. "Etwas stimmt hier nicht. Meine Kette ist ganz
gewiss nicht von alleine in den Garten gekommen und
wenn du dich einmal genauer umsiehst - hier läuft
nichts so wie es sollte. Ich denke, dass Mornuan irgendwie
ihre Finger im Spiel hat, aber ich weiß noch nicht
wie - und ich kann nichts beweisen." Der Elb nickte.
"Ich verstehe, was du meinst, Schwester. Wir sollten
versuchen herauszufinden, was hier vor sich geht." Mit einem lauten Knall flog die Tür auf. Laietha
und Elladan fuhren zusammen und starrten auf den fassungslos
dreinblickenden Boromir. Er schnaubte vor Wut und brachte
kein Wort über die Lippen. Laietha erhob sich schließlich.
"Was ist denn los mit dir?" Der Krieger rammte wütend seine Faust in ein
Kissen. "Er muss den Verstand verloren haben!"
knurrte er. Laietha und Elladan sahen ihn erwartungsvoll
an. Boromir begann zu berichten. Er hatte den Nachmittag
bei Beregond und seinen Männern verbracht und war
nun gerade auf dem Heimweg gewesen, als er aus dem Flur
Lärm hörte. Er war darauf zugelaufen und hatte
Aragorn und Aiglos gefunden. "Ionvamir und Aiglos haben bei ihren Bogenschießübungen
im Garten aus Versehen ein Fenster zerbrochen. Aragorn
hatte es gesehen und Aiglos musste sofort zu ihm kommen.
Dein Bruder hat sich wie ein Irrer aufgeführt!
Als ich dort ankam, wollte er Aiglos übers Knie
legen!" Boromir schüttelte den Kopf. "Ich
kann es immer noch nicht glauben! Es war doch nur ein
Fenster, verdammt!" Laietha versuchte ihn zu beruhigen,
aber ihr Mann war außer sich. "So habe ich
ihn noch nie gesehen! Was ist nur in ihn gefahren?" Elladan machte sich zum Gehen bereit. Er lächelte
Laietha traurig an. "Wir sehen uns später."
Sie nickte. Nachdem Elladan den Raum verlassen hatte,
berichtete Boromir von seinem Besuch bei Beregond. Auch
in der Armee war die Stimmung getrübt und Laietha
dachte an die Begegnung mit den Straßenräubern.
Elladan hatte Recht - sie mussten handeln. *** Sie waren früh zu Bett gegangen und die Stimmung
war gedrückt gewesen. Sowohl Laietha als auch Boromir
hatten ihren eigenen Gedanken nachgehangen und Aiglos
war erstaunlich ruhig gewesen. Boromir war eingeschlafen
und als sie sein vertrautes Schnarchen hörte, stand
Laietha so leise wie möglich auf und zog sich an.
Für einen Moment hatte sie überlegt, ihren
Mann einzuweihen, aber sie wollte nichts sagen, bevor
sie nicht einen Beweis in den Händen hielt. Noch
war es zu früh, aber mit etwas Glück... Auf Zehenspitzen verlies sie den Raum und schlich
über die leeren Flure des Palastes. An Elladans
Zimmer angekommen, klopfte sie leise und wenig später
erschien das Gesicht ihres Bruders in der Tür.
"Lass uns in den Garten gehen. Das Licht der Sterne
hilft mir immer, mich zu konzentrieren," flüsterte
er und Laietha stimmte ihm zu. "Was hältst du von ihr, Elladan?"
fragte Laietha fast schüchtern. Der Elb zuckte
mit den Schultern und starrte den vollen Mond an. "Keine
Ahnung, aber irgendwie ist sie mir nicht geheuer."
Laietha atmete erleichtert auf. "Bei den Valar,
ich bin nicht die Einzige, das bedeutet, dass ich nicht
verrückt bin!" Elladan zerzauste ihr das Haar.
"Schön für dich, Schwesterchen, aber
was sollen wir machen? Du hast gesagt, dass Elessar
nicht auf dich hören will und außerdem wird
ein schlechtes Gefühl wohl kaum als Beweis reichen."
Sie wollte gerade etwas erwidern, als aus dem Garten
ein Schrei gellte. Beide erstarrten und die Haare in
Laiethas Nacken sträubten sich. Sie hatte die Stimme
sofort erkannt, würde sie selbst im stärksten
Sturm erkennen, und der Schrei hatte von Schmerzen gezeugt.
Die Geschwister sahen sich mit großen Augen an.
Laietha begann zu laufen. "Aragorn," keuchte
sie. Elladan sprintete hinter ihr her und holte sie schnell
ein. Er packte sie am Arm, um sie zum Stehen zu bringen
und legte ihr die Hand auf den Mund. Mit seinen scharfen
Elbenaugen hatte er Aragorn ausgemacht. Und er war nicht
allein. "Was ist los? Wir müssen ihm helfen, Elladan!
Was ist, wenn er in Gefahr ist? Lass mich los!"
Der Elb legte den Finger auf seine Lippen. "Still
jetzt, Laietha. Wir müssen leise sein." Vielleicht
würden sie schon bald wissen, warum sich ihr Bruder
so seltsam benahm. Sie schlichen durch den Garten und bald konnte auch
Laietha einen Blick auf Aragorn erhaschen. Sie erstarrte
im Gehen. Aragorn war nicht alleine. Er stand an einem
kleinen Tümpel und im hellen Licht des Mondes konnte
Laietha noch etwas anderes erkennen - er war nackt.
Vor ihm kniete Mornuan. Laietha errötete und wollte sich schon umdrehen
und gehen, aber Elladan hielt sie fest. "Wart es
ab und sieh hin, Laietha." Etwas widerstrebend
kauerte sie sich neben ihren Bruder in das Gebüsch.
Aragorn warf den Kopf zurück und stöhnte gequält
auf. Es hörte sich nicht so an, als würde
sie ihm Vergnügen bereiten. Mornuan erhob sich.
Auch sie legte nun ihre Kleider ab und Laietha wollte
endgültig gehen, als sie im Licht des Mondes etwas
aufblitzen sah. Sofort spannte sich jeder Muskel in ihrem Körper
und sie fixierte den blitzenden Punkt. Sie riss die
Augen auf, als sie erkannte, was dort reflektiert hatte
- Mornuan hatte einen Dolch gezogen und näherte
ihn Aragorns Brust. "Was..." Laietha wollte
aufspringen, aber Elladan presste ihr eine Hand
auf den Mund und zwang sie sitzen zubleiben. "Sedho!"
(8) zischte er und Laietha gehorchte. Sie sah, wie Mornuan den Dolch an Aragorns Brust
hielt und einen tiefen Schnitt ausführte. Selbst
im blassen Licht des Mondes konnte sie das Blut erkennen,
das ihrem Bruder über die Brust strömte. Die
Frau presste ihre Lippen auf den Schnitt und trank sein
Blut. Aragorn stöhnte, aber Mornuan riss den Kopf
zurück in der Geste eines Raubtieres, das seinen
Triumph über seine Beute feierte. Blitzschnell
griff sie nach einer kleinen Phiole und fing etwas von
dem Blut auf. Sie leckte sich die Lippen und murmelte
über das Blut ein paar Worte, die keiner der beiden
Beobachter verstand. Dann sang sie leise ein paar Verse
und Aragorns Blut begann zu glühen. Laietha fühlte solch eine Beklommenheit ihr
Herz umklammern, dass sie es fast nicht mehr in ihrem
Versteck ausgehalten hätte. Ihr Atmen schien ihr
unendlich laut und ihr Herz pochte so heftig, dass sie
fürchtete Mornuan würde es hören. Unter
ihrem Hemd spürte sie den Elbenstein leuchten und
sie presste die Hand dagegen, damit sein Licht sie nicht
verraten würde. Nun wurde Mornuans Stimme wieder laut und Laietha
öffnete die Augen. Aragorn war auf die Knie gesunken
und Mornuan stand mit einem breiten Grinsen über
ihn gebeugt. In der Hand hielt sie noch immer die Phiole
mit Aragorns Blut. Sie setzte das Gefäß an
seine Lippen und zwang ihn, zu trinken. Der König
stieß einen gequälten Schrei aus und sackte
in sich zusammen. Mornuan lachte. "Du wirst dich nur meinem Willen unterwerfen,
Aragorn, Arathorns Sohn. Bald schon wirst du mein Mann
sein und ich werde über Gondor herrschen."
Sie beugte sich zu ihm hinunter und küsste ihn
auf den Mund. Laietha spürte Elladans Hand, die
ihre so fest drückte, dass sie glaubte, er würde
sie brechen. "Sie ist eine Hexe," stieß
Laietha kaum hörbar hervor. Die Kriegerin sah ihren Bruder an und fand sein Gesicht
gezeichnet von Entsetzen. "Er ist in großer
Gefahr. Wir müssen schnell handeln, bevor sie ihn
mit ihrer morgul (9) umbringt. Solche Dinge habe ich
noch nie gesehen, aber ich hörte, wie Vater davon
sprach." Laietha war wie versteinert. Sie fühlte etwas,
einen Stich in der Seite und riss den Kopf herum.
Mornuan sah ihr direkt in die Augen. Schweiß brach
Laietha aus allen Poren hervor und sie spürte,
wie ihr Mut zu schwinden begann. "Sie hat uns entdeckt,"
flüsterte sie mit bebender Stimme. Mornuan lächelte
und wandte sich dann wieder ihren Geschäften zu.
Elladan schwieg und zog seine Schwester mit sich
fort. Als sie endlich am Palast angekommen waren, begannen
Laiethas Knie zu zittern und auch Elladan wirkte durcheinander.
"Wir können gegen sie nichts ausrichten. Sie
scheint große Macht zu haben und Aragorn ist in
ihrer Gewalt." Die Kriegerin nickte. "Du musst Vater holen. Vielleicht kann er uns
helfen. Ich werde hier bleiben und acht geben, dass
sie Aragorn nichts zu leide tut." Elladan wollte
protestieren. Er wollte seine Schwester nicht allein
lassen, aber die Kriegerin hatte sich ein wenig gefangen
und nun war ihre Sturheit zurückgekehrt. Sie schüttelte
den Kopf. "Ich werde ihn nicht allein lassen - keine Diskussion
und jetzt beeil dich. Wir haben keine Zeit zu verlieren
und der Weg zum Düsterwald ist weit." Elladan
sah, dass alle Worte auf taube Ohren stoßen würden,
also huschte er zu seinem Gemach und holte seine Sachen.
Es verging nicht viel Zeit und er war reisefertig. Schnell begaben sie sich zu den Ställen und
sattelten sein Pferd - einen weißen Hengst namens
Nauth. Und das Tier war wirklich fast so schnell wie
ein Gedanke. Bevor er sich auf das Pferd schwang, küsste
er seine Schwester und die beiden drückten sich
fest. "Sei schnell, Elladan." Der Elb lachte.
Er würde sich keine Pause mehr als nötig gönnen.
"Und du pass auf dich auf, Schwesterchen. Sie ist
gefährlich und scheint dich nicht sonderlich gerne
zu haben." Laietha nickte. Nichts anderes hatte
sie vor. Wie ein Schatten war Elladan verschwunden und Laietha
begab sich zurück in ihr Bett. Boromir hatte ihr
Fehlen noch nicht bemerkt und schlief friedlich, aber
Laietha wälzte sich nur von einer Seite auf die
andere. Ständig sah sie Mornuans Blick auf sich
ruhen und der Gedanke daran, dass sie es mit schwarzer
Magie zu tun hatten, jagte ihr Schauer über den
Rücken. Sie hörte, wie die Nachtwächter die Zeit
ausriefen, aber die Stunden schienen einfach nicht vergehen
zu wollen, also stand sie wieder auf und zog sich an.
Vielleicht würde sie in der Bibliothek etwas finden,
das ihnen weiterhalf. Es war vergebens. Sie hatte zunächst nur auf
die vielen Schriftrollen gestarrt und nicht recht gewusst,
wo sie mit ihrer Suche beginnen sollte. Dann hatte sie
sich systematisch durch ein Regal mit Schriftrollen
gearbeitet, war aber nicht fündig geworden. Ihr
Vater würde wissen, was zu tun war - zumindest
hoffte sie das. Jedes Rascheln ließ sie zusammenschrecken,
denn fast erwartete sie, dass Mornuan ihr gefolgt war.
Einmal nickte sie kurz ein, aber sofort schreckte sie
aus ihrem Schlaf hoch, weil sie das Lachen der Frau
in ihren Ohren gellen hörte. Es machte keinen Sinn,
schlafen zu wollen. Als ihre Augen zu brennen begannen,
ging sie in die Küche, um sich einen Tee zu holen.
Die Sonne streckte ihre ersten vorwitzigen Finger
durch die Fenster und Laietha hatte ein wenig an Aiglos
Bett gesessen und ihren Sohn im Schlaf beobachtet. Er
ist ein hübscher Bengel, dachte sie. Vielleicht
würde er bald mit seinen dummen Streichen aufhören.
Laietha ging schließlich in ihr Gemach zurück.
Auch Boromir schlief noch tief und fest und sie musste
lächeln, als sie ihn so ansah. Sein Haar war schlohweiß
geworden, was ihn wie einen weisen Mann aussehen ließ.
Sein Gesicht war noch immer scharf geschnitten und selbst
jetzt im Schlaf, während er ihr Kissen umklammerte
und leise vor sich hinschnarchte, sah er stolz und entschlossen
aus. Er murmelte etwas und drehte sich auf die andere
Seite. Sein Körper war noch immer der eines Kriegers,
auch wenn es schon seit vielen Jahren keinen Krieg mehr
gegeben hatte. Laietha konnte der Versuchung nicht widerstehen
und schlich zum Bett, um ihm einen Kuss auf die Schulter
zu hauchen. Er roch noch genau wie damals - obwohl es
nun schon so viele Jahre her war... "Wo hast du dich die ganze Nacht über rumgetrieben,
Frau Annaluva?" murmelte er verschlafen. Boromir
drehte sich um und blinzelte den Schlaf aus den Augen
fort. Laietha lächelte und hauchte ihm einen Kuss
auf die Lippen. Sie fühlte sich auf einmal sehr
beklommen und sog jede Sekunde dieses Morgens in ihr
Herz auf. "Ich war spazieren." Boromir legte
ihr die Arme um die Hüften und zog sie ins warme
Bett. "Dann behalte deine Geheimnisse für
dich!" Sie lachte, auch wenn ihre Gedanken um andere
Dinge kreisten. *** Laietha hörte einen Tumult und öffnete
die Augen. Die Sonne stand schon hoch am Himmel. Sie
verfluchte sich dafür, dass der Schlaf sie doch
noch übermannt hatte. Schell sprang sie aus dem
Bett und eilte ans Fenster um zu sehen, wer dort solchen
Lärm gemacht hatte. Aragorn stand im Hof und brüllte Beregond an.
Sofort eilte Laietha nach draußen. Alle Soldaten hatten sich im Hof versammelt und Beregond
sah sich hilfesuchend um, während Aragorn seine
ganze Wut an dem Soldaten ausließ. "Was du
getan hast, ist unverzeihlich! Ich entlasse dich aus
meinen Diensten! Pack dich!" Laietha erreichte
den Hof und rannte an Aragorns Seite. "Was ist hier los?" fragte sie kritisch.
Als ihr Blick auf Aragorn fiel, schrak sie zusammen.
Sein Haar war über Nacht fast vollständig
ergraut und er schien sich seit Tagen nicht rasiert
zu haben. Seine Kleidung war in Unordnung und sein Hemd
stand offen. Auf seiner Brust konnte Laietha deutlich
den langen Schnitt erkennen. An seiner Seite stand Mornuan
und grinste Laietha breit an. "Das geht dich nichts an, Weib! Misch dich nicht
in meine Angelegenheiten!" schnauzte Aragorn sie
an. Beregond aber begann zu erklären. "Ein
Bote kam, der verlangte, den König zu sprechen.
Er sagte, es sei von größter Wichtigkeit,
also..." "Ich habe ausdrücklich befohlen, dass ich
nicht gestört werden will. Niemand hat sich dem
Wort des Königs zu widersetzen!" tobte Aragorn
und hob den Arm, um Beregond zu schlagen. Angelockt von dem Krawall waren Boromir und Faramir
in den Hof geeilt und der Fürst von Ithilien ergriff
das Wort. "Was geht hier vor sich? Beregond ist
der Hauptmann meiner Wache und wenn es ein Problem mit
ihm gibt, bin ich derjenige, der es zu lösen hat!"
Aragorn erstarrte in der Bewegung, fuhr herum und
kam drohend auf Faramir zu. "Du bist nur ein Fürst
und ich bin dein König! Du unterstehst meinem Befehl
wie jedes atmende Wesen hier! Ich entscheide immer noch
solche Dinge, niemand sonst. Du tätest besser daran,
meine Befehle nicht in Frage zu stellen!" Mornuan
lachte leise. Jetzt hatte Laietha wirklich die Nase voll. Sie marschierte
auf ihren Bruder zu und packte ihn am Oberarm. Die Leute
um sie herum kehrten sie herzlich wenig. "Jetzt
komm endlich wieder zu dir, Aragorn. Du machst dich
zum Narren." Langsam drehte er sich um und trat
ganz dicht an sie heran. "Was hast du gesagt?"
zischte er. Zum ersten Mal in ihrem Leben bemerkte Laietha,
wie viel größer er war als sie. Trotzdem
blieb sie nicht stumm. "Hör auf, dich wie ein liebestrunkener
Narr zu benehmen, Aragorn. Du bist nun einmal der König
und kein einfacher Waldläufer, der tun und lassen
kann, was er will. Du hast Pflichten und im Moment vernachlässigst
du sie. Dein Volk ist unzufrieden mit dir, also solltest
du dich besser wieder daran erinnern, wer du bist! Und
jetzt geh dir etwas vernünftiges anziehen und erfülle
deine Pflichten, wie es sich für einen wirklichen
König geziemt!" Man hätte eine Stecknadel fallen hören
können, aber sie fiel nicht, statt dessen zerriss
ein klatschender Laut die Luft und Laiethas Hand wanderte
an ihre brennende Wange. Boromir war der erste, der
sich protestierend zu Wort meldete. "Was fällt
dir ein..." Weiter kam er nicht, denn Aragorn packte
Laietha an den Schultern und schüttelte sie. "Ich habe dich bereits einmal gewarnt, Annaluva
und ich wiederhole mich nicht gerne. Hüte deine
Zunge, wenn du mit dem König sprichst." Laietha
lachte traurig und warf einen Blick auf Mornuan, die
sie zufrieden anlächelte. Die Kriegerin wurde wütend.
"Bist du so blind, dass du nicht bemerkst, was
hier vor sich geht? Merkst du nicht, wie diese Hexe
dich verwunschen hat? Bist du so schwach im Geist, dass
du dich ihrem Zauber nicht widersetzen kannst?"
Die umstehenden Zuschauer schnappten kollektiv nach
Luft. Noch nie hatte es jemand gewagt, so mit dem König
zu sprechen. Aragorn stieß einen wütenden
Schrei aus und zog sein Schwert. Er packte Laietha im
Nacken und hielt ihr Anduril an die Kehle. Laietha schluckte
und rang sich ein bitteres Lächeln ab. "Also
hat sie dich ganz in ihrer Gewalt. Kämpf dagegen
an, Aragorn!" Er presste die Klinge dichter an ihre Kehle und Laietha
spürte einen winzigen Blutstropfen, der sich seinen
Weg über ihre Haut bahnte. Boromir war sprachlos.
Er wollte zu ihr stürmen, aber sie bat ihn mit
ihren Blicken zu bleiben, wo er war. In Aragorns Augen
glimmte eine finstere Wut. Seine Stimme war kaum mehr
als ein Flüstern, aber man verstand ihn bis in
die letzte Reihe. "Wir sind nicht blutsverwandt, Annaluva. Du
warst schon dem Tode geweiht, an dem Tag, als ich dich
im Wald auflas. Es war allein meine Wahl, dein Leben
zu verlängern und nun habe ich mich entschlossen,
es dir zu nehmen. Am liebsten würde ich es sofort
und hier beenden, denn ich habe deine verräterischen
Ratschläge satt. Lange genug hast du meinen Geist
mit deiner Zunge vergiftet. Aber dein Tod soll allen
Aufrührern, die den Frieden meines Landes zerstören
wollen, ein Beispiel dafür sein was sie erwartet,
wenn sie sich mir widersetzen. Morgen wirst du öffentlich
hingerichtet werden." Er rief nach seinen Wachen. "Schafft sie in
den finstersten Kerker! Sie wird morgen Mittag getötet.
Jeder der sie zu befreien versucht, wird an ihrer Seite
sterben, wie es sich für Hochverräter geziemt!"
Die Wachen sahen verwirrt von Laietha zu Aragorn, nahmen
die Frau dann aber doch und brachten sie fort. Sie schlugen
sie nicht einmal in Ketten, denn die meisten kannten
sie als Freundin. Laietha wehrte sich nicht. Nachdem Boromir den ersten Schrecken überwunden
hatte, wollte er Aragorn an die Kehle springen, aber
Faramir reagierte geistesgegenwärtig und zog ihn
mit sich davon. Unüberlegte Handlungen würden
ihnen nur noch mehr Scherereien einbringen. Jetzt brauchten
sie einen kühlen Kopf, einen starken Weinbrand
und einen guten Plan. *** Laietha hatte sich auf die niedrige Pritsche gesetzt,
die ihr als Bett dienen sollte. Aragorn hatte nicht
zu viel versprochen, als er davon geredet hatte, sie
in den finstersten Kerker zu schaffen. Sie hatte nicht
einmal gewusst, dass es solche Verliese in Gondor gab.
Der Soldat, der sie in die Zelle gebracht hatte, hatte
sich noch bei ihr entschuldigt, aber Laietha hatte nur
müde abgewinkt. Das war alles mehr als absurd.
Dennoch war sie in großer Gefahr, solange Mornuan
den Willen ihres Bruders lenkte. Mornuan - allein der
Gedanke an dieses Weib, das am Herzen ihres Bruders
saugte wie ein boshaftes Insekt, ließ Wut in Laietha
aufsteigen. Doch die Wut wurde von Hilflosigkeit überschattet,
als sie sich wieder bewusst wurde, wo sie war. Mornuan! Die Tür flog mit einem Knall auf und Laietha
erhob sich. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht, betrat
Mornuan den Raum. Laietha straffte sich und schob trotzig
ihr Kinn vor. Mochte sie auch eine Gefangene sein -
sie würde vor diesem Weibsbild keine Schwäche
zeigen. Mornuan umrundete die Kriegerin langsam. "Du
weißt viel über mich, Schwester, zu viel,
aber das wird dir nichts nützen. Niemand glaubt
dir." Mornuan legte eine Hand auf Laiethas Herz
und der Kriegerin war, als wäre alles Leben aus
ihr entwichen. Ihr Herz raste, aber ihre Glieder waren
von einer kalten Schwere erfüllt. Sie konnte sich
nicht bewegen. Mornuan lachte leise. "Lange habe
ich darauf gewartet Ich freue mich jetzt schon auf dein
Gesicht, wenn dein Bruder den Befehl gibt, dich zu töten."
Die Kälte breitete sich über Laiethas ganzen
Körper aus und drohte ihr, den Atem zu rauben.
Der Elbenstein an ihrer Brust begann zu glühen
und nahm ein wenig von der Todeskälte mit sich.
Sein Licht erhellte die finstere Zelle. Mornuan starrte
Laietha an, aber dann gefror ihr Lächeln und blitzschnell
packte sie den Stein und riss an der Kette. Das Metall
schnitt in Laiethas Haut und Blut begann ihr über
den Rücken zu tropfen. Mornuan beugte sich zu ihrem
Nacken und leckte die feine Blutspur ab. Die Kriegerin konnte sich noch immer nicht rühren.
Mit einem boshaften Kichern baute sich Mornuan vor ihr
auf. Sie leckte sich eine Spur von Laiethas Blut von
den Lippen. "Süß. Schade, dass du nicht
mehr sehen kannst, wie dein Bruder mir das Ja-Wort gibt
und mich zu seiner Königin macht. Aber vielleicht
wirst du uns ja vom Jenseits her beobachten können."
Damit machte sie kehrt und schlenderte aus dem Raum
- den Elbenstein wie eine Trophäe in der Hand schwenkend. Es dauerte einen Moment, bis die Kälte von ihr
abfiel und Laietha sank zu Boden. Sie hatte diese Frau
unterschätzt. Elrond war im Düsterwald - wer
wusste schon, wie lange es brauchen würde, bis
Elladan ihn fand? Und würde ihr Vater etwas gegen
dieses Weib unternehmen können? Nein, es schien
hoffnungslos! Aragorn hatte den Verstand verloren und
sie würde sterben ehe die Sonne am nächsten
Tag versank. Laietha schlug die Hände vors Gesicht
und begann bitterlich zu weinen. *** "Das kann er unmöglich machen! Er muss
komplett den Verstand verloren haben!" Faramir
sah schweigend zu, wie sein Bruder wütend durch
den Raum lief. Er selbst war zu schockiert, um Worte
zu finden. Boromir starrte düster aus dem Fenster.
"Sie hat es gewusst. Sie hat gesagt, dass etwas
nicht stimmt, und ich habe ihr nicht geglaubt. Warum
habe ich nur nicht auf sie gehört?" Schweigen
legte sich zwischen beide Männer. Jeder von ihnen
wusste, dass Selbstvorwürfe nun niemandem nutzten.
Auf dem Tisch standen zwei leere Gläser. Der Weinbrand
lag Faramir noch immer auf der Zunge. Auranor kam ins Zimmer gestürmt und stieß
einen Freudenschrei aus, als sie Boromir entdeckte.
"Onkel Bormie! Soll ich dir mal zeigen, was ich
heut gefunden habe?" Faramir hob seine kleine Tochter
schnell auf den Arm. "Nicht jetzt, Liebes. Wir
haben ganz wichtige Sachen zu besprechen. Geh und spiel
mit deinem Bruder, ja?" Die Kleine verzog das Gesicht,
aber sie war ein artiges Kind und tat, wie man sie geheißen
hatte. Boromir hieb wütend die Faust gegen die Wand
und sank auf die Knie. Faramir stürmte an seine
Seite. "Lass den Kopf nicht hängen, Boromir,
wir werden ihr helfen." Boromir stieß einen
verzweifelten Schrei aus. Die Worte seines Bruders trösteten
ihn nicht im Geringsten. Sie wussten beide, dass die
Kerker gut bewacht waren und Laietha war auf Geheiß
des Königs eingesperrt worden. Und selbst wenn
es ihnen gelang - sie würden die Stadt und Gondor
verlassen müssen, denn das war Hochverrat. Boromir
würde seine Heimat nie mehr wiedersehen können.
Faramir legte ihm ermunternd die Hand auf die Schulter.
"Der Morgen ist weiser als der Abend. Wir werden
uns etwas einfallen lassen und außerdem glaube
ich nicht, dass Aragorn sie wirklich töten lassen
wird." Im selben Moment, als seine Worte den Mund
verlassen hatten, bezweifelte er sie selbst. Er selbst
hatte Aragorn gesehen, als er seine Schwester verurteilt
hatte und der König hatte verdammt ernst ausgesehen.
Eowyn betrat den Raum zusammen mit Aiglos. Als Boromir
seinen Sohn sah, stand er rasch wieder auf. "Ich
habe davon gehört. Jetzt sagt mir bitte, dass es
ein schlechter Scherz ist." Aber als Eowyn die
beiden Männer ansah, wusste sie, dass es die Wahrheit
gewesen war. "Das kann er doch nicht machen! Sie
ist doch seine Schwester und jeder hier weiß,
dass er sie mehr als alles andere liebt!" Boromir
sah sie müde an und seine Stimme klang rau. "Aber
er ist nicht mehr Herr seiner Sinne." Sie verfielen
ins Schweigen. Aiglos sah von einem zum anderen und schluckte schwer,
um nicht weinen zu müssen. Er verstand nicht, was
mit seiner Mutter geschehen war, sondern hatte nur gehört,
dass sie verurteilt worden war. Er durfte jetzt nicht
weinen! Schließlich war er schon fast ein echter
Mann! Fast. Die ersten salzigen Tropfen fielen über
seine Wange und blieben an der Nasenspitze hängen.
Boromir ging zu seinem Sohn und nahm ihn fest in den
Arm. Aiglos war froh, sein Gesicht in dem weichen Hemd
seines Vaters verbergen zu können. Der Krieger
strich dem Jungen sanft übers Haar. "Keine
Sorge, Aiglos, wir werden sie dort rausholen."
Er wusste nur noch nicht wie. *** Aragorn saß auf seinem Thron, die Hand in der
Tasche vergraben und dachte nach. Er war verwirrt, aber
konnte sich nicht erklären, warum. Seine Finger
berührten etwas, das er schon fast vergessen hatte
- eine Strähne vom Haar seiner Schwester, die er
wie einen Talisman bei sich trug. Was hatte er
nur getan? Seine Erinnerungen an die Ereignisse des
Mittags waren verschwommen. An eines erinnerte er sich
ganz genau - er hatte sie zum Tode verurteilt. Aragorn
schüttelte den Kopf. Seine Entscheidung war richtig
gewesen, nicht wahr? Sie versuchte doch, seinen Thron
für sich zu beanspruchen, ihn zu verraten! Niemals
würde eine Frau ihn so übertölpeln! Ein Zweifel regte sich in seinem Hinterkopf, der
ihn schon seit dem frühen Nachmittag plagte. Sie
würde so etwas nie tun. Aber nun hatte er sein
Urteil vor so vielen Zeugen verkündet und er konnte
es unmöglich zurücknehmen, ohne seine Glaubhaftigkeit
zu verlieren. Wie würde das denn aussehen? Nein,
sie musste sterben. Aber allein schon bei dem Gedanken
daran, fühlte er sich miserabel. Vielleicht war
diese Strafe doch zu hart. Während er so vor sich
hingrübelte, senkte sich langsam die Dämmerung
über die Stadt.
Mornuan betrat den Raum und ging auf Aragorn zu.
Sanft legte sie ihm die Hände auf die Schultern
und begann, ihn zu massieren. Er stöhnte erleichtert
auf und lehnte sich in ihre Liebkosung hinein. Mornuan
küsste seinen Nacken und ließ ihre Hände
in sein Hemd gleiten. Aragorns Kopf war wie leergeblasen.
Woran hatte er eben gedacht? Es wollte ihm nicht einfallen.
Mornuan lächelte zufrieden. "Du hast die richtige Entscheidung getroffen,
Aragorn. Sie hat versucht, dich um den Thron zu betrügen.
Sie hat nichts anderes als den Tod verdient." Der
König schüttelte sein Haupt. Der Gedanke seine
Schwester zu töten, behagte ihm nicht sonderlich.
"Ich habe mir eine bessere Strafe für sie
ausgedacht. Morgen, wenn sich alles zur Hinrichtung
versammelt hat, will ich sie begnadigen und aus meinem
Reich verbannen. Sollte sie es jemals wagen, hierher
zurückzukehren, werde ich sie persönlich töten."
Mornuan hob ihre Braue und zog ihre Hände aus
Aragorns Hemd zurück. "Du bist ein weiser
Mann, Aragorn. Jeder in deinem Königreich wird
morgen sehen, dass sie einen gnädigen König
haben." Damit drehte sie sich um und verließ
den Raum, denn ihre Pläne waren anderer Natur als
die des Königs. Mornuan hatte wohl bemerkt, dass Laietha vor Allem
unter den älteren Soldaten sehr beliebt und hochgeschätzt
war, deshalb würde sie sich jemand anderen für
diese Aufgabe suchen müssen, aber das sollte kein
Problem sein. Am Ende des Korridors sah sie einen jungen
Mann, der die Uniform der Garde des Fürsten von
Ithilien trug, auf sie zukommen. Mornuan lächelte
breit. Das war genau, wonach sie gesucht hatte. Alles
fügte sich so, wie sie es geplant hatte. "Hey, du!" Der junge Mann stoppte, musterte
sie von Kopf bis Fuß und als er sie erkannte,
verbeugte er sich eilig. Mornuan lachte leise. Soweit,
so gut. "Meine Herrin," murmelte er artig.
Mornuan nahm sein Kinn zwischen ihre Finger und hob
seinen Kopf. "Du kannst dich erheben, mein Junge."
Sie setzte ihr verführerischstes Lächeln auf
und bemerkte, dass der junge Soldat schwer schluckte.
"Du hast doch gewiss von der Verräterin gehört,
die heute festgenommen worden ist, nicht wahr?"
Der Soldat nickte. Mornuan schenkte ihm ein wohlwollendes Lächeln.
"Ich will, dass du sie gut bewachst. Sollte sie
versuchen zu fliehen, wirst du sie töten - und
du wirst sicherstellen, dass sie versucht zu fliehen,
ist das klar?" Der junge Mann sah sie einen Moment
lang verdutzt an. Mornuan musterte ihn und lächelte.
"Keine Sorge, deine Mühen werden nicht unbelohnt
bleiben. Ich will als Zeichen dafür, dass du sie
getötet hast, ihr Haar. Bring es mir heute Nacht
in den Garten und du wirst eine reiche Belohnung empfangen."
Der junge Soldat knallte die Hacken zusammen und
begab sich auf den Weg, um zu tun, was man ihm aufgetragen
hatte. Mornuan lachte laut und zufrieden. Alles verlief
genau so, wie sie es geplant hatte. Nur zu schade, dass
sie Annaluvas Tod nicht mit ansehen können würde.
*** Bergil stürmte durch die Stadt, als wäre
ein Balrog hinter ihm her. Die Passanten, die er anrempelte,
schimpften ihm wütend hinterher, aber er hatte
jetzt Wichtigeres zu erledigen. Völlig außer
Atem, kam er an dem kleinen Stadthaus von Faramir und
Eowyn an. Die Haushälterin stieß einen erschreckten
Schrei aus, als sie den keuchenden Soldaten in der Tür
stehen sah. "Ich muss sofort zu Hauptmann Faramir,"
stieß er hervor. Die ältere Frau stemmte
die Hände in die Hüften. "Kommt gar nicht
in Frage. Der Hauptmann befindet sich in einer Besprechung.
Wer seid ihr überhaupt?" Bergil nannte ihr
seinen Namen, aber das stieß bei der Frau auf
taube Ohren. "Kenne ich nicht. Nichts da, ihr könnt
morgen zu früherer Stunde wiederkommen und nicht
so spät am Abend, wo sich allerlei Gesindel herumtreibt."
Bergil war der Verzweiflung nahe. "Es ist aber
wichtig! Es geht um Leben und Tod!" Nun war er
lauter geworden. Die Haushälterin zog ein grimmiges
Gesicht und stellte sich in die Tür. Mochte der
Soldat seine Arbeit tun, aber sie würde ihre Aufgaben
genauso ernst nehmen. Angelockt von dem Spektakel, kam Eowyn die Treppen
hinuntergestürmt. "Es ist gut, Nana,"
sagte sie beruhigend und schob die erboste Haushälterin
sachte zur Seite. Dann zog sie Bergil schnell ins Haus.
Sie stiegen die Treppen hinauf und Eowyn führte
Bergil in Faramirs Arbeitszimmer, wo der Fürst
von Ithilien und sein Bruder in eine hitzige Diskussion
verstrickt waren. "Und wie bitte sehr sollen wir dort wieder herauskommen?"
fragte Faramir genervt. Die Atmosphäre war mehr
als nur angespannt. "Du bist der clevere Bruder,
nicht ich!" schnaubte Boromir und ließ sich
frustriert in einen Sessel fallen, nur um eine halbe
Sekunde später wieder aufzuspringen und durch den
Raum zu laufen. "Wie soll ich nachdenken, wenn
du die ganze Zeit über hin und herläufst?
Setz dich, Boromir!" Bergil konnte sich ein breites Grinsen nicht verkneifen.
"Guten Abend," rief er in die Runde und die
beiden Männer fuhren herum. Sie starrten ihn an,
als hätten sie einen Geist gesehen. Eowyn holte
Bergil etwas zu Trinken. "Hör zu, Bergil,
wenn es wegen der Wachablösungen ist, können
wir das ein anderes Mal besprechen?" fragte Faramir.
Bergil nahm Eowyn mit einem dankbaren Nicken das Glas
Wein ab und nahm einen Schluck. Er befeuchtete seine
trockenen Lippen und bedeutete den Männern mit
einem Lächeln, sich zu setzen. "Ich habe Neuigkeiten, die euch vielleicht interessieren
dürften." Boromir sah ihn erwartungsvoll an.
"Sprich, Freund," bat er und Bergil begann
zu berichten. *** Draußen wurden die Wachen abgelöst. Es
musste also kurz nach zehn Uhr sein. Laietha stützte
den Kopf auf die Knie und nahm einen kleinen Bissen
von dem Brot, das ihr einer der Wächter vor einiger
Zeit gebracht hatte. Er hatte es vor Scham kaum gewagt,
sie anzusehen, aber das half ihr nun auch nicht. Es
gab kein Fenster in ihrer Zelle und Laietha konnte nur
den Schimmer der Fackeln von draußen vor der Tür
erahnen. Die Dunkelheit machte sie schläfrig. Ihr
Kopf sank nach vorne auf die Brust und sie begann zu
träumen. Sie wusste nicht, was sie geträumt hatte, aber
der Schweiß war ihr auf die Stirn getreten und
als sie erwachte, hatte sie Aragorns Bild vor Augen.
Die Müdigkeit war wie weggeblasen und in ihren
Kopf kreisten nun tausende von Gedanken. Als sie noch ein Kind gewesen war, war sie mit Aragorn
oft durch die Wälder gestreift. Er hatte sie auf
seinen Schultern getragen und war mit ihr auf Bäume
geklettert. Sie hatte ihn zu Wettläufen herausgefordert
und er hatte jeden einzelnen von ihnen verloren. Als sie älter wurde, hatte er sie oft auf Streifzüge
durch die umliegenden Ländereien geführt.
Er hatte ihr alles über das Leben in der Natur
beigebracht, das er selbst wusste. Als sie begann in den Krieg zu ziehen, wich er so
selten wie möglich von ihrer Seite, um sie so gut
wie möglich zu beschützen. Laietha hatte ihn vergöttert. Ihr großer
starker Bruder, der sie vor allem beschützte. Wo
war er nun? Hatte Mornuan ihn völlig in ihrer Gewalt?
War Aragorn für sie verloren? Eine Träne rann
über ihre Wange, aber sie wischte sie schnell weg.
Es nutzte gar nichts, jetzt zu heulen wie ein Waschweib.
Sie besann sich darauf, wer sie war - Ziehtochter von
Elrond Halbelben, dem Herrscher über Bruchtal.
Nun war es wohl beschlossen - sie sollte morgen sterben,
aber vielleicht konnte sie doch noch etwas tun, um ihrem
Bruder zu helfen. Sie musste nur genau nachdenken. Die
Nacht war noch lang, aber wenn ihr nichts einfiel, würde
es morgen auch nichts ausmachen, denn dann würde
sie sterben müssen. Laietha sprach ein Gebet zu
den Valar und bat sie um Stärke. Dann begann sie
zu überlegen. *** Bergil berichtete, dass er von Laiethas Gefangennahme
gehört hatte - sein Vater hatte es ihm fassungslos
berichtet, als er nach Hause gekommen war. Bergil hatte
in der Kaserne nach Faramir gesucht, ihn aber nicht
gefunden. Dann hatte er zum König gehen und mit
ihm reden wollen. "Auf dem Weg zum König bin
ich seiner Braut begegnet. Ratet, worum sie mich gebeten
hat!" Boromir wollte die Antwort am liebsten aus dem Jungen
herausschütteln, riss sich aber zusammen und sah
ihn nur erwartungsvoll an. Bergil fuhr mit seinem Bericht
fort. "Mornuan will, dass ich Laietha töte."
Faramir wusste nicht so recht, ob er das als gute oder
schlechte Nachricht aufnehmen sollte, aber Boromir lächelte
breit. "Das sind gute Nachrichten. Wir werden sie
befreien und heimlich verschwinden. Mornuan wird sie
für tot halten und wir können uns in Sicherheit
wiegen." Der junge Soldat nickte. "Wir sollten
noch ein paar Vorbereitungen treffen. Wir sehen uns
in zwei Stunden wieder hier. Macht euch bereit, die
Stadt zu verlassen." Es war also beschlossene Sache. Boromir holte noch
ein paar ihrer Sachen und auch Faramir ging noch einmal
aus dem Haus. Eowyn sorgte dafür, dass ihre Pferde
bereit waren und weckte dann Aiglos, der in Ionvamirs
Zimmer untergebracht war. Auch Bergil traf in dem kleinen
Stadthaus ein und als alle versammelt waren, machten
sich Bergil und Boromir auf zu den Kerkern. Faramir
wollte sich mit ihnen später vor den Ställen
treffen. Die beiden Männer sprachen nicht viel miteinander,
als sie zu den Gefängnissen gingen. Sie hatten
Glück. Als sie dort eintrafen fanden sie heraus,
dass der wachhabende Offizier ein Veteran war, der schon
früher unter Boromir gedient hatte. Es bedurfte
nicht vieler Worte, um den Mann zu überzeugen,
sie zu Laietha zu führen. Vor ihrer Zelle waren
zwei weitere Wachen postiert. Zunächst kreuzten
sie ihre Waffen, aber als sie Boromir erkannten, ließ
einer von ihnen seine Waffe sofort sinken. Der andere war ein relativ junger Mann. Er sah seine
beiden Kameraden verwundert an, aber Dagoron, der Veteran
unter ihnen, legte ihm besänftigend die Hand auf
die Schulter. "Lass gut sein, mein Junge. Sie ist
unschuldig, dafür leg ich meine Hand ins Feuer,
auch wenn ich nicht mal so genau weiß, was man
ihr vorwirft." Boromir klopfte ihm dankbar auf
die Schulter. Die Tür öffnete sich und Laietha sprang
auf. Was war denn nun schon wieder? Gespannt versuchte
sie die schattenhafte Gestalt auszumachen, die ihre
Zelle betrat. Das Licht der Fackeln von draußen
blendete sie. Als sie Bergil erkannte, entspannte sie
sich. Der junge Mann trat zu ihr. "Wir müssen
uns beeilen, Frau Annaluva. Keine Zeit für Fragen,
komm einfach mit." Laietha konnte ihr Glück
kaum fassen. "Wie hast du das geschafft?"
wollte sie wissen. Bergil erklärte es ihr kurz.
"Sie will dein Haar als Beweis für deinen
Tod, Laietha." Die Kriegerin nahm eine der dicken Locken in die
Hand und sah sie nachdenklich an. Sie war stolz auf
ihr Haar. Boromir liebte ihre Lockenmähne, aber
es war ein geringer Preis für ihr Leben. Sie nickte.
Bergil reichte ihr einen Dolch und mit einem unglücklichen
Gesicht schnitt sie den dicken Zopf im Nacken ab. Sie
reichte ihm die Haarpracht und Bergil bedachte sie mit
einem mitleidigen Blick. "Wir können ihn nicht
in ihrer Gewalt lassen, Laietha," flüsterte
er und sie nickte stumm. Aber sie wusste auch, dass
es nicht in ihrer Macht lag, Mornuans Fluch zu brechen.
Sie brauchten Elronds Hilfe. Geschwind verschwanden sie aus dem Kerker. Bergil
schärfte den Wächtern ein, sie sollten sagen,
dass er Laietha zur Hinrichtung abgeholt hatte. Sie
nickten und wünschten ihnen Glück auf der
Reise. Bei den Pferdeställen angekommen, trafen sie
Eowyn und Aiglos. Die Herrin Rohans drückte ihre
Freunde und ihren Neffen. Faramir würde sie vor
den Toren der Stadt erwarten. Bergil hatte sich verabschiedet.
Er musste Mornuan noch Laiethas Haar bringen, damit
sie glaubte, er hätte ihren Befehl befolgt. Dann
würde er nachkommen und sich mit ihnen am Rande
des Druadanwaldes treffen. Als sie vor den Toren der Stadt ankamen, erwartete
sie eine Überraschung. Faramir hatte Beregond und
einige seiner Männer zusammenkommen lassen. Der
Hauptmann von Ithiliens Garde war inzwischen selbst
ein gutes Stück gealtert. Er und Boromir waren
nur wenige Jahre auseinander. Als er den früheren
Schwertarm des Weißen Turmes auf sich zukommen
sah, sprang er vom Pferd und salutierte erfreut. "Mein
Hauptmann, es ist gut, unter eurem Befehl zu stehen."
Er machte eine winzige Pause. Mit einem Lächeln
setzte Beregond hinzu: "Mal wieder." Boromir schmunzelte und klopfte ihm auf die Schulter.
Faramir wandte sich an seinen Bruder. "Ich dachte,
nur für den Fall, dass Mornuan nicht darauf reinfallen
sollte, wäre es vielleicht besser, wenn ihr nicht
alleine unterwegs seid." Die beiden Brüder
sahen sich lange an und auch Boromir stieg ab. Sie sagten
nichts, aber jeder von ihnen wusste, wenn sie nichts
gegen Aragorn unternahmen, würden sie sich vielleicht
eine ganze Weile lang nicht sehen können. Wortlos
umarmten sie sich fest. Laietha hasste es, sie stören zu müssen,
aber die Zeit drängte und jede Sekunde, die sie
so dicht bei der Stadt waren, würde man sie entdecken
können. Sachte berührte sie die Schulter ihres
Mannes. "Wir müssen gehen oder alles war umsonst."
Boromir nickte und sie bestiegen ihre Pferde. Sie waren nur Schatten in der Nacht, als sie in Richtung
des Waldes davon sprengten. Faramir sah ihnen noch so
lange nach, bis er sie nicht mehr erkennen konnte. Seine
Gedanken waren bei dem Tag, als Boromir nach Bruchtal
aufgebrochen war. Vielleicht würden sie sich nie
mehr wiedersehen. Er seufzte tief und machte sich
auf den Heimweg zu seiner Familie. *** Mornuan nahm Laiethas Haar mit einem wölfischen
Lächeln in Empfang. Bergil wäre um ein Haar
einen Schritt zurückgewichen, als er das Glitzern
in ihren Augen sah. Die Verlobte des Königs löste
den Verschluss ihrer Halskette und legte sie Bergil
in die Hand. Das Schmuckstück sah sehr wertvoll
aus. "Ich habe ja gesagt, dass du nicht leer ausgehen
wirst. Und jetzt pack dich und zu niemanden ein Wort
davon." Das ließ sich der junge Mann nicht zweimal
sagen. Schnell eilte er von dannen. Unterwegs bat er
noch einen Kameraden, seiner Frau zu sagen, sie solle
mit den Kindern zu ihren Eltern gehen und dann machte
er sich auf den Weg zu den Ställen, wo ihn bereits
ein gutes Pferd erwartete. Er wusste, sollte Mornuan
herausbekommen, dass er sie betrogen hatte, würde
er in ganz Gondor nicht mehr sicher sein. Mornuan schlenderte mit einem Lächeln im Gesicht
zu ihren Gemächern. Sie stricht sachte über
den schweren roten Zopf, der von einigen silbernen Strähnen
durchzogen war. Es war vollbracht. Annaluva hatte ihre
gerechte Strafe empfangen. Nun würde sich Mornuan
auf den Weg zu Aragorn machen und ihm von diesem fürchterlichen
Zwischenfall erzählen, der seine Ziehschwester
das Leben gekostete hatte. Sie kam ihrem Ziel immer
näher. Mornuan konnte es kaum noch erwarten. Sie fand Aragorn immer noch in seinem Arbeitszimmer
sitzend. Der König starrte ins Leere. Mornuan umarmte
ihn von hinten, aber er reagierte nicht. "Mein
Liebster, ich habe schreckliche Nachrichten erhalten."
Langsam hob er den Kopf. Sein Blick war trübe und
er schien einen Moment zu brauchen, bis er Mornuan erkannte.
Sie fuhr fort. "Eine der Wachen hat mir berichtet,
dass Annaluva versuchte zu fliehen. Sie ist tot."
Für einen kurzen Moment konnte sie Trauer in
seinen Augen aufblitzen sehen - den leisesten Versuch
eines Protestes erahnen, aber sein Geist war schon zu
schwach, um sich ihr noch zu widersetzen. Behutsam legte
sie ihm eine Phiole mit glühend rotem Inhalt an
die Lippen und er trank willenlos. Mornuan zog ihn in
ihre Arme. Woran hatte er eben noch gedacht? Aragorn konnte
sich nicht erinnern. Er versank in ihrer Umarmung, als
hätte er keine Knochen im Leib und ihr Parfüm
vernebelte seine Sinne. All seine Wahrnehmung beschränkte
sich nun auf die sanften Hände, die über seine
Brust glitten und ihm das Hemd von den Schultern streiften.
Er schloss genießerisch die Augen, als ihre weichen
Lippen sich den Weg zu seinem Hals bahnten und keinen
Raum für andere Gefühle als das Verlangen
nach seiner Braut ließen. Seine Braut, die ihm
eben doch etwas gesagt hatte...was war es nur gewesen?
Er konnte sich nicht entsinnen und es spielte auch
keine Rolle mehr. Mornuan hob ihren Kopf aus seinem
Schoß und er stieß ein Keuchen aus. Die
Frau lächelte ihn verführerisch an. "Ihr
arbeitet zu hart, mein Liebster. Kommt, ich will euch
zu etwas Entspannung verhelfen." Damit zog sie
ihn auf die Beine und geleitete ihn in Richtung ihrer
Gemächer davon. *** Die Nacht war kühl und es hatte zu nieseln begonnen.
Laietha saß an einen Baum gelehnt an der Seite
ihres Mannes, während sie auf Bergil warteten.
Aiglos war vor einer halben Stunde eingeschlafen
und Laietha hatte ihren Mantel über ihn gelegt,
um ihn vor dem feinen Regen zu schützen. Auch Boromirs
Atemzüge waren ruhig und gleichmäßig.
Gewiss schlief auch er. Die Soldaten saßen ein
Stück weiter abseits und hielten Ausschau nach
Bergil. Laietha sah sehnsüchtig zu dem weißen
Turm Ecthelions hinüber, der wie ein Dorn aus Perlen
in den Himmel stach. Aragorn, dachte sie und fühlte Tränen in
ihre Augen steigen. Zunächst zwang sie sich, nicht
zu weinen. "Wir sind nicht blutsverwandt!"
Tränen fielen aus ihren Augen und obwohl sie versuchte,
sich zusammenzureißen, wurde sie schon bald von
Schluchzern geschüttelt. "Nicht blutsverwandt!"
Aragorns Worte hallten in ihrem Herzen wieder. "Ich
habe deine verräterischen Ratschläge satt!"
Ein verzweifelter Laut entkam ihrer Kehle und Laietha
wollte aufspringen und in den Wald laufen, denn so sollte
sie niemand sehen. Zwei warme Arme legten sich um ihre Schultern und
sie erstarrte für einen Moment. "Ich weiß,
dass dich seine Worte verletzt haben." Laietha
warf sich in die Arme ihres Mannes und Boromir drückte
sie fest an sich. Es war so selten, dass sie weinte.
Ihre Tränen durchnässten sein Hemd, aber er
presste seine Lippen gegen ihren Scheitel und strich
ihr beruhigend über den Rücken. Sollte sie
ruhig weinen, er würde sie trösten. Das Licht
des nahen Lagerfeuers fiel auf sie und Boromir sah sie
lange an. Der Nieselregen fing sich in ihren Haaren, die ihr
noch bis knapp auf die Schultern fielen. Es war seltsam,
sie so zu sehen. Die Locken entwickelten in der feuchten
Luft ein Eigenleben und begannen sich zu kringeln. Laietha
presste sich fest gegen ihn und obwohl es nicht kalt
war, zitterte sie. Boromir nahm seinen Mantel und breitete
ihn wie eine Decke über seine Frau. Laietha ließ
ihn nicht los und auch ihr Schluchzen wollte nicht verebben.
Aragorns Worte mussten sie schwer getroffen haben. "Denk immer an eines, Liebes, es waren nicht
seine Worte." Laietha hob langsam den Kopf und
sah ihn aus großen Augen an. Boromir küsste
ihre Stirn, wie er es oft bei den Kindern getan hatte,
wenn sie sich das Knie aufgeschlagen hatten. "Es
war Mornuan, die aus ihm gesprochen hat. Sie hat dich
vom ersten Tag an gehasst - und sie hat Angst vor dir."
Sie schenkte ihm einen überraschten Blick, aber
Boromir strich ihr eine kurze Haarsträhne aus der
Stirn. Wenigstens hatte sie aufgehört zu weinen.
Sie bat ihn um Erklärung. Boromir lächelte
sie ermunternd an. "Sie wollte dich aus dem Weg
räumen lassen. Erstens heißt das, Aragorn
hatte andere Pläne mit dir und zweitens bedeutet
es, dass sie glaubt du könntest ihr gefährlich
werden." Laietha rang sich ein Lächeln ab.
"Du bist wirklich der Beste, Boromir." Er
zuckte mit den Schultern und küsste ihre Stirn.
"Nun, was recht ist muss recht bleiben, nicht
wahr? Außerdem bedeutet das noch etwas anderes
- wenn sie glaubt, du könntest ihren Plänen
gefährlich werden heißt das, dass sie eine
Schwachstelle hat und die werden wir finden." Er
drückte sie fester an sich und Laietha küsste
ihn dankbar. "Ich werde dich nie wieder einen dummen
Krieger nennen!" Er lachte leise. "Das glaub
ich erst, wenn ich es sehe!" Sie saßen eine gute Weile schweigend nebeneinander.
Auch Boromir wirkte bedrückt und Laietha wusste,
dass auch ihr Mann an seinen Bruder dachte, den er nun
für sehr lange Zeit nicht mehr sehen können
würde. Sie waren wie Verbrecher geflohen, waren
vogelfrei in Gondor. In dem Land, für das Boromir
so viele Jahre seines Lebens hart gekämpft hatte.
Dem Land, das für ihn alles bedeutete - seiner
Heimat. Boromir seufzte tief und Laietha legte ihm ihre
Hand auf die Brust. "Anim nach dim, melethron."
(10) Er sah sie an, konnte sich aber kein Lächeln
abringen. "Wir werden eine Lösung finden -
das hast du selbst doch gerade gesagt. Ich habe Elladan
losgeschickt, damit er meinen Vater holt. Er wird wissen,
was zu tun ist." Boromir nickte und spielte gedankenverloren
mit einer vorwitzigen Strähne ihrer Haare. "Können
wir nicht einfach hingehen, ihr den Kopf abschlagen
und die Sache wäre ausgestanden?" Laietha
schüttelte traurig den Kopf. "Boromir, sie
ist eine Hexe. Wir können ihrem üblen Fluch
nicht mit Schwertern beikommen. Mein Vater ist weise
und mächtig. Wir müssen auf seine Künste
vertrauen." Und darauf, dass Aragorn selbst die
Stärke aufbringt, sich aus ihrem Bann zu lösen,
setzte sie in Gedanken hinzu. Die Stunden der Nacht krochen dahin, der Regen wurde
stärker und langsam begannen sie sich zu sorgen.
Wo blieb Bergil nur? Hatte er seinen Auftrag erfüllt
und hatte fliehen können? Oder war ihre List durchschaut
worden? Das schlechte Gewissen nagte an Laietha, denn
schließlich ging es bei dieser Sache um sie -
in gewisser Weise. Die Regentropfen verdampften zischend in dem kleinen
Lagerfeuer und als es langsam zu tagen begann, wurden
auch die Soldaten unruhig. Besonders Beregond lief unruhig
hin und her. In der Ferne sahen sie einen Reiter, der
sich ihnen schnell näherte. Die Soldaten zogen
ihre Waffen und Laietha weckte rasch Aiglos. Ein Aufatmen
ging durch die Menge, als sie Bergil erkannten. Der
junge Soldat grüßte seine Freunde mit hoch
erhobenem Schwert. "Das hat aber lange gedauert," brummte
Boromir und schlug seinem jungen Freund auf die Schulter.
Bergil grinste und bedeutete ihnen, aufzusitzen. "Wir
sollten uns beeilen und ein gutes Stück Weg zwischen
uns und die Stadt bringen - sicher ist sicher!"
Niemand wagte zu widersprechen und sie beeilten sich
mit dem Aufbruch. Sie ritten entlang des Druadanwaldes
und das Wetter war ihnen keine rechte Hilfe. Bald schon
goss es wie aus Eimern und die anfänglich noch
fast gelöste Stimmung, ging in bedrücktes
Schweigen über. Sie würden etwa eine Woche
bis zu Thranduil brauchen, wo sie dann auf Elrond zu
treffen hofften. Aiglos ritt bei seinem Vater mit, denn
er war so schläfrig, dass er fast aus dem Sattel
gefallen wäre. Boromir sah seine Frau besorgt an,
die schweigend neben ihm herritt. Aber als die Kriegerin
es bemerkte, lächelte sie ihm zu. "Ich komm
schon klar." Nun, ihm blieb nichts anderes übrig, als ihr
zu vertrauen, aber er würde sie im Auge behalten.
Der Himmel tat sich auf und es prasselte auf ihre Mäntel
hernieder, ihre Schultern weiter zu Boden drückend. *** "Was für ein herrlicher Morgen!" Sam
sprang aus dem Bett und riss das Fenster auf. Die Sonne
hatte schließlich über den Regen gesiegt
und die Wolken zerrissen. Nun schien sie mit voller
Kraft, wie um sich mit allen Reisenden auszusöhnen.
Der Geruch von nasser Erde lag in der Luft und es war
angenehm kühl. Pippin gähnte herzhaft. "Oh
Sam, wie kannst du so früh am Morgen nur schon
so gute Laune haben?" Sam begann zu lachen. "Früh
am Morgen? Hat man schon mal so eine Schlafmütze
gesehen? Die Sonne steht bereits hoch am Himmel! Ich
will endlich Streicher wiedersehen und wir sind nur
noch einen Tag von Minas Tirith entfernt! Ich will dort
ankommen, bevor er verheiratet ist!" Frodo lachte laut. Das sah seinem Freund wieder mal
ähnlich. "Sam hat vollkommen Recht! Raus aus
den Federn, meine Herren, oder wir werden ohne Frühstück
abreisen müssen!" Diese Drohung zeigte Wirkung
und geschwind waren nun auch Merry und Pippin aufgestanden.
Die vier Freunde wuschen sich und zogen ihre saubere
Kleidung an, denn die Frau des Hauses war so gut gewesen,
ihre Kleider für sie zu waschen und in Ordnung
zu bringen. Nach einem guten und reichlichen Frühstück,
machten sie sich auf den Weg. Die Ponies waren ausgeruht
und die Hobbits hatten sich noch Proviant geben lassen.
Nun stand ihrem Aufbruch nichts mehr im Wege. Das Wetter
war ihnen hold und die Sonne schickte ihre wärmenden
Strahlen über das Land, obwohl es in der Nacht
mächtig geregnet haben musste. Fröhlich singend
ritten sie auf die Weiße Stadt zu, die sie nun
schon weit am Horizont ausmachen konnten. Die Leute, die ihnen unterwegs begegneten, musterten
sie neugierig, aber freundlich. Am Ende des Tages kehrten
sie in einem kleinen Gasthaus am Ende des Steinkarrentals
ein und rieben sich die schmerzenden Hinterteile. Sie
alle würden froh sein, wenn sie am nächsten
Tag endlich Minas Tirith erreichen würden und ihre
Reise ein Ende hätte. Es gab an diesem Abend nur ein Gesprächsthema
bei den Freunden - Aragorns Braut. Wie würde sie
wohl aussehen? Sie waren wirklich furchtbar aufgeregt
und Frodo verkündete laut, dass er kaum hungrig
war - was sich als kapitaler Fehler erwies, denn Pippin
nahm diese Aussage zum Anlass, um ihm sein Essen vom
Teller zu stibitzen. Satt wurden trotzdem alle, denn
die Wirtsleute gaben sich große Mühe, ihre
kleinen Gäste so gut wie möglich zufrieden
zustellen. Während Merry, Pippin und Frodo nach einigen
Krügen guten Bieres ein paar fröhliche Lieder
anstimmten, saß Sam nachdenklich am Kaminfeuer
und zog an seiner Pfeife. Sein Freund trat auf ihn zu.
"Was ist mit dir, lieber Sam?" Der Gärtner
lächelte und schüttelte den Kopf. "Oh,
ich habe nur versucht mir auszumalen, wie die Braut
unseres guten alten Streichers aussehen mag. Er hat
es wirklich verdient, die schönste und gütigste
Frau Mittelerdes zu bekommen." Frodo lächelte verschmitzt und klopfte ihm freundschaftlich
auf die Schulter. "Die Chancen stehen zwar gegen
eine elbische Frau, aber ich denke, dass sie nichtsdestotrotz
wunderschön und durch und durch liebenswert sein
wird." Sie lachten sich an und bald begaben sich
die vier Freunde auf ihre Zimmer. Nur noch ein Tag trennte
sie von Minas Tirith und sie konnten es kaum noch erwarten,
endlich anzukommen. *** Die Palastwachen starrten ungläubig auf die
Fremden, die sich vor den Toren der Stadt versammelt
hatten - es war eine gewaltige Armee, alle schwer bewaffnet
und in funkelnder Rüstung. Die Menschen sahen exotisch
aus. Ihre Haut war dunkelbraun, ihre Augen schwarz und
ihr Haar hatte die Farbe von Pech. Es glänzte in
der Sonne. Noch nie zuvor hatten die Wachen Gondors
solche Waffen gesehen. An den Seiten der Soldaten hingen
gebogene, prächtig verzierte Schwerter und Säbel.
Die Pferde der Männer sahen wild und ungestüm
aus - sie wären den Rössern Rohans ebenbürtig
gewesen. Die Armeen standen sich stumm gegenüber,
aber niemand wagte es, auch nur einen Schritt auf die
anderen zuzumachen. Endlich kam auch Aragorn an die Stadtmauer. Er gähnte
und rieb sich den Schlaf aus den Augen, obwohl es bereits
später Vormittag war. "Was soll denn so wichtig
sein, dass man einem Mann nicht einmal seinen wohlverdienten
Schlaf gönnt?" Der Hauptmann Aragorns Wache
schlug die Hacken zusammen und erstattete Meldung. "Mein Herr, diese Männer kamen vor gut
einer Stunde hier an und verlangen Einlass in die Stadt.
Sie sagten, sie kämen in Frieden..." Seinen
Augen war anzusehen, dass er mehr als misstrauisch war.
Mornuan huschte mit einem strahlenden Lächeln an
seine Seite. "Das sind liebe Gäste meines
Volkes, die zu unserer Hochzeit erschienen sind, mein
Liebster," schmeichelte sie. Der Hauptmann sah
seinen König mit großen Augen an und erwartete
seinen Befehl. Noch immer verharrte das Heer vor der Stadt in beispielsloser
Disziplin. Selbst die Tiere zuckten mit keinem Muskel.
Die Soldaten Gondors hingegen waren mehr als unruhig
und fingerten nervös an ihren Schwertern herum.
Aragorn sah seinen Hauptmann an, als wäre er ein
dummes Kind. "Hast du nicht die Worte deiner zukünftigen
Königin gehört? Lass die Gäste schon
ein und sorge dafür, dass man ihnen die besten
Quartiere der Stadt zuweist!" Damit ergriff er
seine Braut und zog Mornuan zurück in Richtung
ihrer Gemächer. Aragorn ließ sich in die weichen Kissen sinken
und Mornuan streichelte seine Brust. "Du musst
durstig sein, Liebster. Trink." Sie gab ihm eine
kleine Phiole mit roter Flüssigkeit und er leerte
sie in einem Zug. Plötzlich fühlte er sich
schwindelig und als er die Augen schloss, begann sich
alles vor ihm zu drehen. Er presste die Hände an
seine Schläfen und fühlte, wie er in eine
Dunkelheit stürzte, die finsterer als eine mondlose
Nacht zu sein schien. Plötzlich spürte er
Mornuans warme Lippen auf seinen und er zog Trost aus
diesem Funken Wärme, in seiner plötzlich so
entsetzlich kalten Welt. "Warum sollten wir so lange warten, mein Geliebter.
Willst du mich nicht bald zu deiner Frau machen? Was
hindert dich daran, mich bald zum Weib zu nehmen?"
Die Dunkelheit lichtete sich vor seinen Augen und alles
was blieb, war Mornuans schönes Gesicht. Er versuchte
herauszufinden, was gegen eine baldige Hochzeit sprechen
könnte, aber es wollte ihm nichts einfallen, also
nickte er. "So sei es. Wir werden morgen heiraten.
Ich werde sofort gehen und alles Nötige veranlassen."
Der Schwindel war verschwunden und Aragorn fühlte
sich in seinem Herzen bestärkt - alles was er wollte,
war morgen Mornuan zur Frau zu nehmen und sie zu Gondors
Königin zu krönen. Schnellen Schrittes und
von neuer Kraft erfüllt verließ er das Gemach. Nach einigen Minuten klopfte es an der Tür zu
ihrem Gemach und Mornuan öffnete. Hinein trat einer
der Männer, die vor kurzem eingetroffen waren.
Er begrüßte Mornuan mit einem Kuss. "Alles
ist bereit, Herrin. Die Männer haben ihre Posten
bezogen und erwarten eure Befehle." Mornuan lächelte
und trat ans Fenster. Das Gefühl des Triumphes
baute sich in ihrem Magen auf und sie lachte laut. "Menschen sind so einfach zu täuschen.
Aragorn, stolzer König der Menschen, dem sogar
Sauron nichts anhaben konnte - ich habe seinen Willen
gebrochen, bevor er nur ahnte was vor sich ging. Sogar
seine Schwester hat er zum Tode verurteilt, als ich
es befahl." Sie drehte sich um und sah den Mann
an, der geduldig in der Tür stand, ohne eine Miene
zu verziehen. "Morgen werde ich Königin von Gondor sein.
Nicht jedem wird diese Idee gefallen. Mach deine Männer
bereit. Sie sollen ohne Gnade Kind, Weib und Greis -
kurzum jeden töten der zu bezweifeln wagt, dass
Mornuan die rechtmäßige Herrin dieses Gebietes
ist." Der Soldat nickte und knallte die Hacken
zusammen. Mornuan entließ ihn. Zufrieden lächelte
sie und ließ sich aufs Bett sinken. Lange hatte
sie auf diesen Tag gewartet und jetzt war er zum Greifen
nahe. Alles fügte sich so, wie sie es geplant hatte. *** Faramir hatte mit Schrecken den Einzug der fremden
Soldaten gesehen und ihm war auch nicht entgangen, auf
wessen Befehl dieses Heer in die Stadt geleitet worden
war. Sie konnten nicht mehr auf Aragorn zählen.
Faramir war Taktiker genug um zu wissen, dass die Stadt
verloren war, wenn Mornuan den Befehl gab, Gondors Heer
aufzulösen und ihre eigenen Männer die Stadt
übernehmen würden - und das würde zweifelsohne
geschehen. Er musste Hilfe holen gehen, denn langsam
wurde die Situation brenzlig. Er musste seinen Bruder
und Laietha warnen. Sollten sie mit Elrond zurückkehren
und die Stadt besetzt finden wären sie tot, bevor
sie auch nur einen Fuß in die Stadt setzen konnten. Der Fürst Ithiliens berichtete seiner Frau davon
und Eowyn gab ihm recht. Er musste aufbrechen und die
anderen informieren. "Du solltest sofort gehen,
Faramir. Ich werde nach Edoras reiten und Eomer um Hilfe
bitten. Ich habe das Gefühl, dass Mornuan kurz
vor ihrem Ziel steht und die Zeit drängt nun."
Faramir stürmte die Treppen hinauf und packte
seine Sachen. Dann verabschiedete er sich von seinen
Kindern. Als er ins Wohnzimmer trat fand er Eowyn, die
gedankenverloren ihr Schwert in der Hand wog. Es beunruhigte
ihn, sie so zu sehen. Schnell ließ sie die Waffe
sinken als sie ihn sah. "Ich werde morgen in aller
Frühe mit den Kindern aufbrechen," sagte sie
und Faramir fiel ein Stein vom Herzen. Er war froh,
wenn seine Familie außer Gefahr war. Faramir gab ihr einen Abschiedskuss und machte sich
auf, um die Stadt zu verlassen. Voller Unbehagen sah
er die fremden Soldaten die begannen, sich an strategisch
wichtigen Posten aufzustellen. Er musste sich beeilen.
Als er die Stadt verlassen hatte, gab er seinem Pferd
die Sporen. Boromir und die anderen hatten gut einen
Tag Vorsprung. Er würde nicht eher rasten, als
dass er sie gefunden hatte. Er wusste noch nicht genau, was sie im Falle eines
Krieges ausrichten können würden, aber zunächst
war es wichtig zu verhindern, dass Mornuan Aragorn heiratete.
Eines stand für ihn fest - wenn Mornuan erst Königin
wäre, würde sie Aragorn töten lassen,
denn sie hatte ja auch nicht gezögert, Laietha
aus dem Weg räumen zu lassen. Er trieb sein Pferd
noch mehr zur Eile an. *** Luthawen hatte die Zeit bei den Beorningern sehr
genossen. Sie hatte viel über Heilkräuter,
die nur im Düsterwald wuchsen, gelernt und ihr
Großvater hatte sie sehr gelobt. Sie war ihm oft
zur Hand gegangen, wenn er sich ein paar kranke Beorninger
angesehen hatte. Es machte ihr Spaß, den Kranken
zu helfen und Olbern war jedes Mal voller Stolz gewesen,
wenn er seine schöne Freundin dabei beobachtet
hatte. Luthawen hatte wirklich ein Herz aus Gold. Die Sonne begann unterzugehen und Olbern klopfte
sachte an der Tür zu Luthawens Zimmer. Sie wollten
am nächsten Tag aufbrechen und mit Herrn Elrond
und seinem Sohn nach Minas Tirith reiten. Bereg und
ein paar seiner Männer würden sie begleiten.
Luthawen bat ihn hinein. Sie saß am Spiegel und bürstete ihr Haar.
Olbern küsste sie sanft auf die Stirn und nahm
ihr die Bürste aus der Hand. Dann begann er, sich
seinen Weg durch die dichte Lockenpracht zu bahnen.
Luthawen schloss genüsslich die Augen und lächelte.
Olbern konnte nicht widerstehen und hauchte ihr einen
Kuss auf die bloße Schulter. Das Mädchen
errötete, zog sich aber nicht zurück. Sie
wagten nicht zu sprechen. Olbern war fast ein wenig traurig. Nach der Hochzeit
von König Elessar würde Luthawen wieder mit
ihren Eltern in das Landhaus am Firienwald ziehen und
er würde sie lange nicht mehr sehen können.
Allein bei dem Gedanken daran, krampfte sich sein Herz
schmerzhaft zusammen. Er sprach nicht davon, denn schließlich
wollte er Luthawen nicht zu irgend etwas zwingen, das
sie gar nicht wollte. Er sog jeden Augenblick in sein Herz auf, damit er
diese Zeit nie vergessen würde. Es wurde spät
und schließlich legte Olbern die Bürste zur
Seite. Die roten Locken flossen über Luthawens
Schultern und wie sie so im Mondlicht vor ihm saß,
war sie für ihn die schönste Frau der Welt
- so schön, dass er fürchtete, alles
wäre nur ein Traum. Luthawen ging zu ihrer Tasche und zog ein kleines
Bündel mit Kräutern hervor. Sie drückte
es Olbern in die Hand. "Hier, gib das bitte der
Frau von Beorel. Es wird ihr bei ihren Beschwerden helfen.
Ich habe es heute Nachmittag vergessen." Olbern
lächelte. Sie dachte immer so viel an andere. Ihre Hände berührten sich, als er ihr die
Kräuter aus der Hand nahm und sie sahen sich lange
an. Olbern presste seine Lippen sanft auf ihre und Luthawen
schmiegte sich dicht an ihn. Er strich ihr sachte über
den Rücken und auch sie erwiderte die Liebkosungen,
aber etwas war anders als sonst. Fast ein wenig erschreckt
wich Olbern von ihr, aber Luthawen lächelte ihn
wohlwollend an. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren,
löste sie die Bänder an ihrem Kleid und der
dünne Stoff glitt zu Boden. Olbern schluckte, als
er sie so vor sich stehen sah und sie wurden beide gleichzeitig
rot. Jetzt war es zu spät, um zu zaudern. Luthawen
trat dicht an ihn heran und sah ihn lange an. Ihr Herz
konnte sich nicht entscheiden, ob es stillstehen oder
rasen sollte und es dauerte eine unendlich lange Zeit,
bis Olbern genug Mut fand, sie in seine Arme zu ziehen.
Die Nacht deckte den Düsterwald mit einem Schleier
aus Dunkelheit zu und eng umschlungen ließen sich
die beiden Liebenden in die Kissen sinken. Sie ließen
nicht voneinander ab, bis die goldene Morgensonne sich
ihren Weg durch das dichte Blätterdach bahnte und
sich in den glänzenden Augen der jungen Leute spiegelte. Olbern sagte kein Wort und auch Luthawen schwieg.
Er streichelte sachte ihr Haar, unfähig, in Worte
zu fassen, was er empfand. "Bereust du etwas?"
fragte er schließlich und Luthawen lächelte
leicht. "Nein, gar nichts." Trotzdem schien
Olbern etwas seltsam an ihrer Miene. Sie hatte sich
verändert im Laufe der Nacht. Woran es lag, vermochte
der junge Beorninger nicht zu sagen. Er küsste sie und schob all die verschiedenen
Gedanken, die ihm durch den Kopf gingen zur Seite. Er
wollte diesen wundervollen Morgen genießen, denn
schließlich würden sie heute aufbrechen und
würden keine Gelegenheit mehr haben, so ungestört
beieinander zu sein.
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Sei still! (9) Schwarze Magie (10)
Sei nicht traurig, Liebster.
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