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Titel: Der
geschenkte Tag
(Seite 6) Autor: Naurdolien
Der
Karren bog um die nächste Ecke und nun erkannte
Eowyn, was ihnen bevorstand. Sie wurden nicht direkt
zur Hinrichtungsstätte gefahren, sondern vorher
einmal durch die ganze Stadt. Mornuan wollte nicht nur,
dass sie starben - vorher wollte sie Eowyn demütigen
und die Angst vor dem Tod wachsen lassen. Die Freunde
tauschten einen Blick, als auch die Hobbits begriffen
was geschehen sollte. Sie alle strafften sich. Vielleicht
konnte die neue Königin ihnen das Leben nehmen,
aber ihren Stolz nahm sie ihnen nicht.
Es war
schwieriger als sie gedacht hätten. Eowyn hatte
erwartet, dass die Menschen in den Häusern bleiben
würden, aber die Straßen waren voll von Schaulustigen.
Ihre Köpfe dröhnten von den Schreien der Masse.
Die Sonne brannte auf sie hernieder und ihre Münder
waren trocken. Die Ketten schnitten in ihre Haut. Schwindel
ergriff von ihnen Besitz, jedoch noch immer versuchten
sie sich tapfer aufrecht zu halten. Ihr Mut aber, war
bis in die Zehen gesunken. An Flucht war nicht zu denken.
Ein Mann
aus den Reihen der Zuschauer hatte versucht, sie zu
befreien. Eowyn hatte gar nicht so schnell begreifen
können, was geschehen war. Einer der Wächter
hatte dem Mann, ohne mit der Wimper zu zucken, die Kehle
durchgeschnitten.
Eine
Frau hatte sich vor den Karren gestellt und gebeten,
die Hinrichtung nicht auszuführen. Sie waren über
sie hinweggerollt und Eowyn hatte ihre Knochen brechen
hören. Einer der Wächter hatte sie getötet.
Die Nachricht
schien sich herumgesprochen zu haben, denn als sie am
äußersten Ring der Stadt angekommen waren,
machte die Menge artig Platz für den Karren. Die
Menschen waren betrunken. Viele johlten in freudiger
Erwartung auf die Hinrichtung. Ebenso viele senkten
beschämt den Blick. Als sie fast am Stadttor angekommen
waren und wendeten, warf Eowyn noch einen letzten Blick
hinaus vor die Stadt. Sie schickte ein stummes Gebet
zu den Valar und dachte an ihren Bruder und ihre Familie.
Nichts
geschah. Der Karren wendete und trug sie in Richtung
der Richtstätte. In wenigen Stunden würden
sie sterben.
***
Sein
Kopf schmerzte heftig, als er die Augen aufschlug und
für einen Moment war alles ganz verschwommen. "Er
wollte uns nichts tun - er wollte uns helfen!"
piepste Auranor. "Na, das wollen wir doch erst
mal sehen. Der Gute ist nämlich nicht ganz bei
Sinnen, Kleines!" dröhnte eine Männerstimme.
Sie war voll unterdrückter Aggression.
Aragorn
stöhnte und versuchte sich aufzurichten. Es ging
nicht. Jemand musste ihn geschickt verschnürt haben.
"Onkel Aragorn!" murmelte Auranor und als
Aragorn die Augen erneut aufmachte, sah er die Tochter
von Eowyn und Faramir über sich gebeugt.
Er befand
sich in einem düsteren Raum. Um ihn herum standen
fünf Männer, von denen er zwei erkannte. Der
eine war ein Veteran seiner eigenen Wache, der andere
ein Freund Bergils aus der Wache von Ithilien. Sie sahen
ihn grimmig an und Aragorn konnte es ihnen nicht einmal
verübeln.
"Was
wolltest du mit den Kindern?" fauchte der Freund
von Bergil und packte ihn am Kragen. Aragorn schluckte
und versuchte, sich an seinen Namen zu erinnern. Es
dauerte eine Weile, bis er ihm einfiel. "Ich wollte
ihre Mutter befreien, Bregol. Ich wollte ihnen helfen."
Der Soldat schnaubte höhnisch. Natürlich glaubte
er ihm kein Wort. Der Mann aus Aragorns Wache legte
seinem Freund die Hand auf die Schulter und brachte
ihn dazu, Aragorn loszulassen.
"Er
ist immer noch der König, Bregol," sagte er
ruhig. Der junge Soldat spuckte aus. "Schöner
König, der seine eigene Schwester umbringen lassen
will!" knurrte er bitter. Aragorn schlug die Augen
nieder. Dann war es wahr...
Ein weiterer
Mann kam in das Zimmer und nun erst begriff Aragorn,
dass sie sich in einem größeren Haus befinden
mussten. Er hörte aus dem anderen Zimmer und von
über sich Stimmengewirr. Von draußen her
klang Gejohle aus der Ferne. Er versuchte auszumachen,
wie viele Menschen sich in diesem Haus befanden und
kam zu dem Schluss, dass es gut zwanzig waren.
Der Lärm
von außerhalb schwoll immer mehr an. Der Mann,
der das Zimmer betreten hatte, verbeugte sich knapp
vor Bregol und in ihm erkannte Aragorn einen weiteren
Mann seiner Palastwache. "Sie kommen, Herr,"
flüsterte er. Bregol entließ ihn mit einer
knappen Geste. "Also dann - zwei Männer bringen
die Kinder in Sicherheit und ihn..." Sein Blick
ruhte kurz auf Aragorn und der König sah maßlose
Enttäuschung in seinen Augen. Er wurde von Scham
überwältigt.
Der Soldat
sog scharf den Atem ein. "Wir werden Frau Eowyn
und die Halblinge befreien," erläuterte er
knapp. Aragorn hob den Kopf und sah ihm fest in die
Augen. "Macht mich los. Ich habe große Schuld
auf mich geladen in der letzten Zeit. Meine Schwester
kam durch mein Wort zu Tode, ihr konnte ich nicht helfen.
Lasst mich wenigstens an meinen Freunden einen Teil
meiner Schuld büßen."
Aragorn
sah ihm an, wie sehr er mit sich rang. Das Spektakel
außerhalb des Hauses wurde lauter und die Männer
aus Aragorns Wache nickten Bregol zu. Mit einem Seufzer
durchtrennte er Aragorns Fesseln und gab ihm ein Schwert
in die Hand. "Beeilt euch. Wir müssen rasch
handeln." Damit trat er in den anderen Raum.
Es waren
dreißig Männer aus den ehemaligen Wachen
von Gondor und Ithilien, die sich versammelt hatten.
Viele verbeugten sich, als sie ihren König sahen,
aber Aragorn bemerkte auch, dass einige ihn skeptisch
musterten. Auranor und Ionvamir wurden von zwei Soldaten
nach draußen geführt und Aragorn sah noch
aus dem Augenwinkel, wie sie sich schnell zur Stadtmauer
durchschlugen. Sie befanden sich also im äußersten
Ring von Minas Tirith.
Bregol
schien der Anführer der Gruppe zu sein. Er erklärte
kurz, wie sie vorgehen würden. Sie sollten sich
unters Volk mischen. Keiner von ihnen trug seine Uniform.
Sie waren gekleidet wie Bettler - die Kapuzen ihrer
Umhänge tief ins Gesicht gezogen.. Sobald der Karren
mit seinen Wachen an ihnen vorbeiziehen würde,
sollte es losgehen. "Wartet auf das Zeichen,"
sagte Bregol und damit stießen sie die Tür
auf und traten hinaus ins Freie.
In einiger
Ferne konnten sie schon den Karren mit den Gefangenen
sehen. Geschwind verteilten sie sich unter den Zuschauern.
Aragorn zog die Kapuze des Mantels, den man ihm gegeben
hatte, tief ins Gesicht. Er war bereit, seinen Fehler
wieder gutzumachen und seinen Freunden zu helfen, wenn
er schon Laietha nicht hatte helfen können.
***
Kurz
nachdem der Karren gewendet hatte und sie auf dem Rückweg
zum Palast waren, begann die Schlägerei in der
Menge. Zwei Betrunkene waren in Streit geraten und hieben
mit den Fäusten aufeinander ein. Die Wachen reagierten
sofort. Vier Männer entfernten sich vom Karren
und machten sich daran, die beiden Streithähne
zu trennen. Als sie bei den Männern ankamen, zogen
die zwei ihre Messer und schnitten den ersten Wachen
die Kehlen durch. Die Frauen schrieen entsetzt auf und
die beiden Männer riefen laut: "Für Gondor!"
Damit begann der Tumult.
Eowyn
und die Hobbits waren auf einmal gespannt bis in die
Haarspitzen und sie konnten sich ein Lächeln nicht
verkneifen. Aus der Menge sprengten bewaffnete Männer
hervor und die Wachen Mornuans, die von den umstehenden
Menschen behindert wurden, konnten nichts unternehmen.
Einige der Zuschauer fanden nun den Mut, sich zwischen
die Wachen und die Gefangenen zu stellen und so dauerte
es nicht lange, bis ein Mann mit einem dunklen Umhang
den Karren erklommen hatte und sich an den Ketten Eowyns
zu schaffen machte.
Als sie
rasselnd zu Boden fielen, hob er den Kopf und Eowyn
und die Hobbits stießen einen verwunderten Schrei
aus. "Aragorn!" Der König lächelte
traurig und widmete sich den Ketten von Frodo. Bregol
war ebenfalls auf den Karren gestiegen und befreite
Merry und Pippin. Aus der Ferne sahen sie Verstärkung
für die Wachen Mornuans auf sie zueilen. "Nichts
wie weg hier!" bellte Bregol und half Eowyn vom
Karren.
Aragorn
hatte seine Waffe gezogen und die Massen, die in Panik
auseinander liefen, als sie erkannten, dass sie bald
in eine Schlacht verwickelt werden würden, erleichterten
den Soldaten Mornuans den Weg zum Geschehen.
Mit grimmiger
Miene stellte er sich ihnen entgegen und war kurz darauf
in ein Gefecht verstrickt. "Bringt Frau Eowyn und
die Halblinge in Sicherheit!" rief er und stieß
einem der Angreifer die Waffe ins Herz. Bregol warf
ihm einen anerkennenden Blick zu. "Macht schon!"
befahl er und die Männer stürmten hinaus,
sich schützend vor Eowyn und die Hobbits stellend.
Aragorn schwitzte wie verrückt. Zu lange hatte
er sich nicht mehr in einen Kampf gewagt und seine Hände
zitterten fast bei den Schlägen, die er austeilte.
Bregol
stürzte an seine Seite und half ihm, einen der
Feinde zu besiegen, der ihn zu überwältigen
drohte. "Wir sollten uns zurückziehen - mein
König," setzte er nach kurzem Zögern
hinzu. Aragorn nickte. Zwar war seine Wut noch nicht
besänftigt, aber er war klug genug um zu erkennen,
dass er diesen Kampf nicht gewinnen konnte. "Rückzug!"
befahl er und sie verließen fluchtartig die Stadt.
Vor dem
Stadttor warteten Reiter mit Pferden auf sie. Aragorn
erkannte die meisten von ihnen. Also hatten sich der
Männer der Wache zusammengeschlossen. Eigentlich
war das Hochverrat, aber Aragorn bewunderte sie im Stillen.
Sie dienten ihrem Land wahrhaft treu - besser als er,
was in der letzten Zeit nicht gerade schwer gewesen
war. Geschwind entfernten sie sich von der Stadt und
bald schon bemerkten sie, dass sie nicht mehr verfolgt
wurden. Am Rande des Druadanwaldes, trafen sie auf noch
mehr Soldaten.
***
Es klopfte
leise an der Tür zu Mornuans Gemächern. Ein
Mann ihrer Armee trat ein. "Ich weiß es bereits.
Sie sind geflohen, samt dem sogenannten König,"
sagte sie kühl. Der Mann verbeugte sich. "Die
Schuldigen haben den Tod gefunden." Mornuan nickte.
"Mach deine Männer bereit zur Schlacht. Sie
sammeln sich am Rande des Waldes. Sicher werden sie
versuchen, uns anzugreifen. Ich will, dass du ihnen
zuvorkommst. Niemand aus der Armee Gondors soll am Leben
bleiben." Der Mann verbeugte sich knapp.
Sie lächelte
in sich hinein. Gut, es würde also doch noch ein
wenig Zeit zum Spielen bleiben. Sie hatte gehört,
dass sich rebellische Soldaten aus der Stadt entfernt
hatten und nun war der König also auch noch am
Leben. Sollte er doch - es kümmerte sie nicht.
Dank ihrer Zauberkünste war er ein alter Mann,
der schon bald sterben würde. Und nun hatte sie
seine Stadt in ihrer Gewalt.
"Postiert
Wachen überall in der Stadt. Macht klar, dass ich
keinen Aufstand dulden werde. Ich will so ein Fiasko
nie wieder erleben." Der Soldat verbeugte sich
und Mornuan entließ ihn. Mit einem Lächeln
trat sie ans Fenster und betrachtete den Sonnenuntergang
in ihrem neuen Königreich. Sie würde sich
von einem sabbernden Greis nicht ihr Eigentum nehmen
lassen.
Lächelnd
nahm sie die Krone vom Haupt und wog sie fast zärtlich
in ihrer Hand. Sie spazierte zu ihrem Nachttisch und
zog Laiethas Haar hervor. "Siehst du, Annaluva,
so sollte es von Anfang an sein. Du bist tot und ich
bin Königin. Zu schade, dass du es nicht mehr sehen
kannst. Fast wünschte ich, du wärest noch
am Leben, damit ich vor dir prahlen könnte. Aber
man kann nun mal nicht alles haben." Mornuan lachte
laut und entkleidete sich.
Sie ließ
sich in das weiche Bett sinken und nahm sich einen Schluck
Rotwein aus der Karaffe neben dem Bett. An der Wand
des Schlafzimmers hing ein Bild von Laietha und Aragorn,
das Herr Elrond einmal hatte anfertigen lassen. "Auf
meine Gesundheit!" prostete Mornuan den Figuren
zu und sie kicherte albern wie ein Schulmädchen.
"Ich denke, ich werde euch noch ein Weilchen hier
hängen lassen," murmelte sie verträumt.
Sie war mit dem Ergebnis ihrer Arbeit mehr als zufrieden.
Der Rotwein
beschwipste sie und bald schon stellte sie das Glas
auf den Nachttisch. Sie streckte sich über das
ganze Bett aus und summte zufrieden. Endlich hatte sie
ihre Ruhe und musste ihr Lager nicht mehr mit diesem
alten Zausel teilen. "Wirklich ekelhaft,"
schüttelte sie sich. Dennoch - ein wenig stand
ihr der Sinn nach Gesellschaft, also ließ sie
ihren Heerführer rufen.
Sie musterte
ihn eine Weile, als er entblößt vor ihr stand.
Das war doch ein ganz anderer Anblick. Sein Körper
war gestählt, seine Haut dunkel und glänzend,
seine Augen wild. Sie räkelte sich verführerisch
in den Laken und warf ihm einen einladenden Blick zu.
Es lag keine Bitte in ihrem Lächeln, sondern es
war ein Befehl.
Ihre
helle Haut bildete einen starken Kontrast zu seiner
dunklen, als er sich zu ihr legte und Mornuan schloss
genießerisch die Augen, während er begann,
ihren Befehlen Folge zu leisten. Das war doch gleich
etwas ganz anderes. "Sei zärtlich zu mir,"
gurrte sie ihm ins Ohr. "Heute ist schließlich
meine Hochzeitsnacht!"
***
Sie hatten
sich in der Entfernung gründlich verschätzt
und als die Dämmerung sie überraschte, waren
sie noch ein gutes Stück vom Waldrand entfernt.
Sie kamen auf die Große Weststraße am Steinkarrental
und beschlossen, dort zu rasten. Es dauerte nicht lange
und sie hörten aus der Ferne Pferdegetrappel, das
sich ihnen schnell näherte. Geschwind verbargen
sie sich im Gebüsch und warteten ab, wer sich ihnen
dort näherte.
Laietha
und Boromir pressten sich tiefer in den Schutz der Dunkelheit.
Sie wagten kaum zu atmen und das Geräusch von Hufen
kam immer näher. Plötzlich sprang Beregond
auf. "Rohirrim!" rief er froh. Auch die anderen
entspannten sich nun, denn sie erkannten in der Tat
die Banner von Eomer.
Laietha
und Boromir liefen nun ebenfalls aus ihrem Versteck
und erwarteten die Ankunft der Menschen aus Rohan. Bald
schon erreichten die Reiter die Freunde und Eomer sprang
vom Pferd. Faramir suchte die Reihen der Pferdeherren
ab. "Wo ist Eowyn?" fragte er schließlich
beunruhigt. Eomer, der gerade seiner Frau Lothiriel
vom Pferd half, sah seinen Schwager fragend an. "Ist
sie denn nicht bei dir, Faramir?" Der Fürst
Ithiliens schüttelte den Kopf.
Als Eomers
Blick über die kleine Gruppe schweifte bemerkte
er, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Schnell
ließ er sich von ihnen berichten was vorgefallen
war. Eomer schüttelte den Kopf und legte seinen
Arm besorgt um seine Frau und seinen Sohn.
"Das
begreife ich nicht. Wie konnte er nur ihrem Zauber verfallen?
Und was ist mit meiner Schwester? Ihr wird doch nichts
geschehen sein?" Darauf wusste keiner eine Antwort.
Sie beratschlagten, was zu tun sei. Laietha und Faramir
äußerten ihren Verdacht, dass Mornuan die
Stadt besetzten würde und Aragorn ans Leben wollte.
Eomer runzelte besorgt die Stirn.
Nach
einer guten Weile, wandte sich der König Rohans
an seine Freunde. "Ich habe nachgedacht. Ich habe
nur wenige Männer bei mir - schließlich brachen
wir zu einer Hochzeit auf und planten nicht, in den
Krieg zu ziehen." Er warf einen Blick auf seine
Familie und fuhr nach kurzem Zögern fort.
"Lothiriel
und Elfwine werden mit fünf meiner Männer
ins nächste Dorf zurückkehren." Boromir
atmete erleichtert auf. Er hatte sich schon Sorgen um
das Wohlergehen seiner Cousine gemacht. Dann sah er
Laietha bittend an, aber ihre Miene war entschlossen
und er wusste, dass sie sich nicht davon abbringen lassen
würde, sie zu begleiten. "Ich werde euch natürlich
helfen," setzte Eomer hinzu. Sie waren einverstanden.
Rasch
verabschiedeten sich Lothiriel und Elfwine von der Gesellschaft
und sie machten sich auf den Weg ins nächste Dorf.
Sobald die Lage sich geklärt hatte, würde
Eomer einen Boten zu ihnen schicken lassen. Nun ließ
sich Rohans König alles genau erklären.
Die Ankunft
der Rohirrim hatte vieles verändert. Eomer war
mit einer Eskorte von fünfzig Mann gekommen und
nun standen ihre Chancen auf einen Angriff gar nicht
schlecht, wenn man herausbekommen sollte, dass die Wachen
Gondors und Ithiliens auf ihrer Seite waren. Sie beschlossen,
das Lager aufzuheben und im Schutze der Dunkelheit weiter
zu marschieren. Gleich am nächsten Morgen würden
sie einen Spion in die Stadt schicken, der die Lage
erkunden sollte. Boromir lächelte zufrieden, aber
Laietha wurde von einer großen Unruhe befallen.
Sie hatte es nun noch eiliger, in die Stadt zu kommen
und nach dem rechten zu sehen.
***
Aragorn
und die Männer sahen sich eine Weile lang schweigend
an. Viele schienen nicht recht zu wissen, was sie vom
plötzlichen Sinneswandel ihres Königs halten
sollten. Bregol aber überzeugte sie schließlich
davon, dass man Aragorn vertrauen konnte. "Ihr
habt gesehen, wie es um die Stadt steht, mein Herr,"
sagte er mit einer tiefen Verbeugung und Aragorn nickte
betroffen.
Es war
seine Schuld. "Wir müssen etwas unternehmen
und die Stadt befreien. Wir sollten keine Zeit verlieren,
sondern sofort angreifen." Bregol schlug die Hacken
zusammen. "Wie ihr befehlt, mein Herr! Ich werde
die Männer antreiben." Der Soldat zögerte
keine Sekunde, sondern machte sich ans Werk.
Aragorn
setzte sich auf einen Stein und stützte den Kopf
in die Hände. Sein Schädel dröhnte -
nicht nur von dem Schlag, der er hatte einstecken müssen.
Am anderen Ende des Lagers hörte er Auranor und
Ionvamir, die fröhlich ihre Mutter begrüßten.
Die Kinder wussten nicht, wie knapp ihre Mutter dem
Tode entronnen war. Es war auch besser so und schließlich
war Eowyn noch am Leben... Wieder kehrten seine Gedanken
zu seiner Schwester zurück und er umfasste ihre
Halskette. "Verzeih mir, Aiwe," flüsterte
er.
Aus dem
Augenwinkel nahm er eine Bewegung wahr. Eowyn kam auf
ihn zu und setzte sich neben ihn. Beschämt senkte
er den Blick, aber sie legte ihm sanft die Hand auf
die Schulter und er hob sein Haupt. In ihrem Blick war
nichts von Groll. Aragorn presste den Elbenstein fester
in seine Hand.
"Es
tut mir so leid, Eowyn," brach es aus ihm heraus
und er konnte den Fluss seiner Worte nicht aufhalten.
Die Frau Faramirs hörte sich seine Beichte geduldig
an. Ja, er hatte große Schuld auf sich geladen.
"Aber es war nicht dein freier Wille, Aragorn!
Es war Mornuan, nicht du, die mit deiner Stimme gesprochen
hat." Sie erriet seine Gedanken. "Laietha
ist dir nicht böse. Sie weiß es!" Aragorn
fuhr auf.
"Aber
das macht sie nicht wieder lebendig, verstehst du? Sie
ist tot! Egal, ob Mornuan den Befehl gegeben hat oder
ich! Ich bin ihr Bruder! Ich hätte sie beschützen
müssen, aber ich habe es nicht getan, weil..."
Ihm versagte die Stimme und er setzte sich wieder hin.
Eowyns Hände ruhten auf seinen Schultern, die durch
die Last seiner Schuld zu Boden gedrückt wurden.
"Sie lebt, Aragorn."
Der König
sah Eowyn an, als hätte er noch nicht begriffen,
was sie eben gesagt hatte. Eowyn berichtete ihm von
Laiethas Flucht und wohin sie auf dem Weg war. Ein riesiger
Stein fiel Aragorn vom Herzen und er wünschte sich
nichts sehnlicher, als sich sofort auf die Suche nach
ihr zu machen und sich zu entschuldigen, sie zu herzen
und zu küssen, weil sie lebte. Dazu war keine Zeit.
Die Soldaten
rüsteten sich zum Aufbruch. Sie legten ihre Rüstungen
an und griffen zu den Waffen. Sie würden die Stadt
im Morgengrauen erreichen und angreifen. Der neue Tag
würde ihnen hoffentlich mehr Glück bringen,
als die vergangenen.
Die Hobbits
traten zu Aragorn und er fiel vor ihnen auf die Knie.
"Es tut mir leid, liebe Freunde. Ich habe keine
Worte für die Scham, die ich empfinde, denn um
ein Haar hätte ich euch alle verraten." Sam
sog die Luft ein, sagte aber nichts. Man konnte ihm
ansehen, dass er Aragorn noch nicht verziehen hatte.
Merry
und Pippin winkten ab. "Du hast uns am Schluss
geholfen - das ist alles was zählt. Jeder macht
Fehler, Aragorn." Dann griffen sie nach ihren Schwertern,
denn in der Stunde der Not, würden sie ihre Freunde
nicht allein lassen.
Während
die anderen sich rüsteten und Eowyn sich mit den
Kindern auf den Weg machte, um Eomer zu verständigen,
dass sie Hilfe brauchten, trat Frodo noch einmal zu
Aragorn. Der König beugte den Kopf und lange sahen
sich die zwei Männer schweigend an. Plötzlich
und ganz und gar unvermittelt, lächelte Frodo Aragorn
an.
"Ich
weiß, was Einsamkeit bedeutet und ich weiß
was es heißt, von großer Macht verführt
zu werden. Mach dir keine Vorwürfe, Aragorn. Es
zählt nur, wie wir uns am Ende entscheiden und
du hast dich für deine Freunde und dein Land entschieden.
Niemand wird dir etwas nachtragen." Eine Weile
herrschte Schweigen zwischen ihnen, aber dann legte
Aragorn dem Hobbit dankbar die Hand auf die Schulter.
Er nickte und stand auf, ein Schwert an seinem Gürtel
befestigend.
"Ja,
ich habe mich für mein Land und mein Volk entschieden
und nun ist es an der Zeit, meine Entscheidungen rechtsgültig
zu machen und zu kämpfen." Damit straffte
er sich und schritt an die Spitze seiner kleinen Armee.
Es waren nicht Viele, aber sie alle waren entschlossen,
für ihre Stadt und ihren König zu kämpfen.
Eowyn
drehte sich noch ein letztes Mal um. Als sie Aragorn
so an der Spitze seines Heeres stehen sah, bemerkte
sie mit einem Lächeln, dass er ein Stück gewachsen
zu sein schien. Er war aufrechter als zuvor und Eowyn
wusste, dass er mit aller Entschlossenheit seine Fehler
wieder gutmachen würde.
Die kleine
Armee brach auf. Sie nutzten den Schutz der Dunkelheit,
um nach Minas Tirith zu marschieren. Aragorn lief an
der Spitze des Zuges, die Hobbits marschierten tapfer
in der Mitte der Formation. Man hatte ihnen lange Messer
gegeben, denn Frodo und Sam hatten keine Waffen mit
sich geführt. Merry und Pippin liefen aufrecht
Seite an Seite, voller Tatendrang, Gondor erneut gegen
seine Feinde zu verteidigen.
Diesmal
näherten sie sich von der westlichen Seite. Sie
würden nicht auf den Pelennorfeldern kämpfen,
aber trotzdem wussten sie, dass von ihrer Stärke
die Freiheit Gondors abhing. Noch würde sich Mornuan
in ihrem Triumph sonnen und nichts unternehmen und darin
lag ihre Chance. Sie würden zuschlagen, sobald
Anor ihr goldenes Angesicht zeigte und mit dem ersten
Licht des Tages, Mornuans finsteren Treiben ein Ende
bereiten.
Der Weiße
Turm ragte über den Bergen auf und während
sie im Licht des Mondes darauf zuliefen, waren alle
tief in Gedanken. Bregol schritt mit erhobenen Haupt
an Aragorns Seite. Wie die Hobbits ihren Freund so beobachteten,
fiel ihnen auf, dass er langsam wieder zu Kräften
zu kommen schien. Der zerbrechliche alte Mann wurde
stattlicher, sein Gang aufrechter, seine Schultern zeigten
nicht mehr zu Boden. Dennoch war er noch nicht wieder
der alte Streicher und würde es wohl auch nie wieder
werden. Von seiner Brust aber, ging ein helles Leuchten
aus und die Hobbits sahen sich an und lächelten.
***
Es klopfte
sachte an der Tür. Mornuan stöhnte missmutig
und stieß ihren Heerführer von sich herunter,
der ihr gerade den Rücken massiert hatte. "Was
gibt es?" fauchte sie den Boten an, der in der
Tür stand. Der Mann verbeugte sich. "Die Kundschafter
melden, dass die Rebellen sich auf dem Weg hierher befinden,
Herrin." Mornuan zog erstaunt eine Augenbraue hoch.
Es schien fast, als wollte Aragorn Initiative ergreifen
- was natürlich dumm war.
"Schicke
einige Männer hinaus. Sie sollen sie abfangen und
umbringen. Ich habe keine Lust, mich noch länger
mit ihnen herumzuärgern." Der Bote nickte
und verschwand. Mornuans Heerführer hatte sich
aufgerichtet und wollte sich anziehen, aber Mornuan
hatte andere Pläne mit ihm. "Es ist immer
noch meine Hochzeitsnacht," lachte sie und zog
den Mann wieder ins Bett.
***
Der Turm
Ecthelions war nun deutlich zu sehen und es musste nach
Mitternacht sein. Faramir erklärte Eomer genau,
was er über die Befestigung der Weißen Stadt
wissen musste und sie überlegten zusammen, wie
man die Männer am besten einschleusen könnte.
Der König Rohans konnte zwar immer noch nicht glauben,
dass Aragorn Laietha verurteilt haben sollte, Bann oder
nicht, aber nun - Boromirs Frau sah wirklich mitgenommen
aus.
Auch
Boromir war es nicht entgangen. Laietha ließ die
Schultern hängen und erinnerte ihn schmerzlich
an seinen Bruder, wenn Faramir von einem Gespräch
mit ihrem Vater gekommen war. Die Stille der Nacht um
sie herum war beinahe erdrückend.
Laietha
ritt ohne ein Wort zu sagen. Sie war mit ihren Gedanken
weit fort. Das Rasseln von Kettenhemden klang in ihren
Ohren und Waffengeklirr schien überall um sie herum
zu sein. In der Luft hing der Geruch von Tod und sie
hörte die Schreie der Verwundeten. Es war wie in
ihren Träumen - in den Träumen, aus denen
sie schreiend erwachte. Die Träume, die sie bis
an das Ende ihres Lebens verfolgen würden.
Sie hörte
das Surren der Pfeile, die um ihre Ohren zischten und
plötzlich erblickte sie Aragorn, wie sie ihn schon
so oft mit entsetzensweiten Augen gesehen hatte. Es
war in einen Kampf verwickelt und sah den Schützen
nicht, der zielte, sah nicht den fliegenden Pfeil und
brach zusammen, als die Spitze ihren Weg zu seinem Herzen
gefunden hatte.
Der Schrei
zerriss die Stille und Boromir war der erste, der die
Fassung wiedergewann und seinem Pferd die Hacken in
die Seite jagte. Wie der Wind preschte er hinter seiner
Frau her und als er sie schließlich einholte und
ihren Hengst zum Stehen brachte, musste er sie stützen
damit sie nicht vom Pferd fiel. Fieber schien sie zu
schütteln. Sie war kreidebleich und kalter Schweiß
stand ihr auf der Stirn. Vorsichtig zog er sie aus dem
Sattel und in seine Arme. Ihr Herz raste, ihr Atmen
kam stoßweise und ihre Augen suchten hektisch
nach etwas, das niemand außer ihr zu sehen schien.
"Aragorn," stammelte sie leise.
Faramir
und Eomer scharrten sich mit besorgter Miene um sie
herum. Sie kamen nicht dazu zu fragen, was los sei.
Mit einem Aufschrei riss sich Laietha los. "Wir
müssen uns beeilen! Schnell!" Die Männer
sahen sich verwundert an, aber auf einmal waren alle
Zeichen von Krankheit aus Laiethas Gesicht gewichen
und es spiegelte sich nur noch Furcht in ihren Augen.
"Schnell, macht schon!" befahl sie. Boromir
zuckte nur hilflos mit den Schultern.
"Herr,
seht nur!" rief einer der Rohirrim und deutete
auf drei Figuren, die sich der Gruppe näherten.
Laietha erstarrte zu einer Salzsäule und versuchte
angestrengt auszumachen, wer sich ihnen dort näherte.
Faramir erkannte es als erster. "Eowyn!" rief
er froh und rannte auf seine Frau und seine Kinder zu.
Die Soldaten entspannten sich erleichtert.
Als Eowyn
ihren Gatten erblickte, breitete sie die Arme aus und
lief ihm entgegen. Er schwenkte sie überglücklich
herum. Auranor war mehr als froh, ihren Vater wiederzusehen
und klammerte sich an seinen Hals. Eowyn war sehr erleichtert
als sie entdeckte, dass sich Faramir in Begleitung Eomers
befand. Der König von Rohan war gekommen, um seine
Schwester zu begrüßen.
"Ihr
kommt wie gerufen," begann sie ihren Bericht. Kurz
erzählte sie, was geschehen war, verschwieg allerdings
die geplante Hinrichtung, als sie Laietha sah. Faramirs
Frau schenkte ihrer Schwägerin ein aufmunterndes
Lächeln. Schnell wurde sie wieder ernst. "Ihr
müsst euch beeilen, Aragorn braucht eure Hilfe.
Er ist im Anmarsch auf die Stadt und will sie befreien.
Er wird jede Hilfe brauchen, die er bekommen kann."
Laietha
wurde bei den Worten ihrer Freundin aschfahl. Gehetzt
sah sie sich um. Sie konnte noch nichts erkennen, aber
sie hatte im Gefühl, dass Aragorn ihre Hilfe bräuchte.
Boromir bemerkte ihre Unruhe und ritt zu ihr. "Was
ist?" Laietha sah ihn flehend an. "Lass uns
aufbrechen! Bitte!" Etwas in ihrer Brust verhärtete
sich und sie fühlte sich so schrecklich beklommen.
In ihrem Kopf erschienen noch einmal die Bilder so vieler
schrecklicher Träume, in denen sie den Tod ihres
Bruders gesehen hatte. "Beeilung!" rief Laietha
und die Männer leisteten ihrem Befehl Folge.
Faramir
verabschiedete sich geschwind von seiner Familie und
sie trieben ihre Pferde zur Eile an In Windeseile jagten
davon in Richtung Minas Tirith. Eowyn und die Kinder
sahen ihnen nach.
***
Elrohir
brachte sein Pferd abrupt zum Stehen. "Was ist?"
Elladan eilte an seine Seite. Sein Bruder starrte mit
offenen Augen in die Richtung, in der Minas Tirith lag.
Eine kurze Weile lang antwortete der Elb nicht, dann
schüttelte er den Kopf. "Nichts...nur ein
Gefühl. Ich kann es nicht beschreiben, aber wir
sollten uns beeilen."
Auch
Elrond waren die Blicke seiner Söhne nicht entgangen
und er hatte ebenfalls etwas gespürt. Mornuans
Macht war groß. Ein Krieg lag in der Luft und
es würde nicht lange dauern, bis Blut vergossen
werden würde. Die Vögel verkündeten es,
denn statt in ihren Nestern zu schlafen, waren sie davon
geflogen.
Als der
Mond in der Mitte des Himmels stand, verließen
sie den Wald und sahen den Turm der Weißen Stadt
weit übers Land ragen. Sie nahmen auch die Gruppe
von Reitern wahr, die sich etwa zwei Wegstunden vor
ihnen den Weg über die Ebene bahnte und Elrond
bemerkte noch etwas anderes - den Tumult der Schlacht,
die vor ihnen gerade losgebrochen war.
***
"Mein
Herr!" Einer der Soldaten wies auf die Bewegung
am Horizont und Aragorn nickte. Sie kamen also. Natürlich
waren sie auf der weiten Ebene leicht zu entdecken gewesen
- oder Mornuan hatte ihre Männer ausgesandt, um
sie zu vernichten. Wie dem auch sein mochte - sie waren
alle bereit, zu kämpfen. Die kleine Armee hielt
auf Aragorns Zeichen an und jeder begab sich in Position.
Mornuans Soldaten rückten unaufhörlich näher.
Aragorns Männer versteiften sich. Sie erwarteten
den Feind.
Es dauerte
eine kurze Weile, aber dann waren die Feinde soweit
herangekommen, dass man sie genauer im Mondlicht erkennen
konnte. Es waren viele, aber als die Hobbits sich unter
den Männern Gondors und Ithiliens umsahen, wussten
sie, dass selbst eine größere Heerschar ihnen
kein Leid anhaben könne würde. Diese Männer
hier kämpften für ihr Land, ihr Leben, ihre
Freiheit und ihre Familien. Kein bezahlter Söldner
konnte entschlossener sein zu siegen.
Plötzlich
hielt das feindliche Heer an. Sie standen sich gegenüber
und für einen kurzen Moment hing die Stille schwer
über dem Land. Niemand schien es zu wagen, zu atmen,
doch dann flog der erste Pfeil und fand sein Ziel. Einer
der Männer neben den Hobbits ging zu Boden. Das
war das Zeichen, auf das alle gewartet hatten. Aragorn
zog sein Schwert. "Elendil!" gellte sein Schrei
und seine Männer stürzten vorwärts. Auch
in Mornuans Truppen kam Bewegung und binnen von Sekunden
war die laue Mondnacht erfüllt vom Kampfgetümmel.
***
Sie preschten
über die weiten Ebenen. In der Ferne konnten sie
Bewegung erkennen. Dort geschah etwas und sie alle hatten
eine Ahnung, was dort vorging. Die Schlacht hatte schon
begonnen. Der Wind drehte und plötzlich erstarrten
alle, denn er trug einen hassentbrannten Schrei mit
sich. Mehr Aufmunterung benötigten sie nicht. Die
kleine Gruppe jagte davon, um ihrem König zur Seite
zu stehen.
***
Die Bogenschützen
hatten ihre Waffen sinken lassen und griffen nun zu
ihren Schwertern. Der Kampf Mann gegen Mann hatte begonnen
und die Nacht war erfüllt vom Scheppern der schweren
Rüstungen und dem Lärm, den die Schwerter
hinterließen, indem sie aufeinander krachten.
Aragorn
und Bregol kämpften in vorderster Reihe, Seite
an Seite und sie brachten vielen Feinden den Tod. Bregol
musterte den König, als er mit einem mächtigen
Hieb einem der feindlichen Soldaten den Tod brachte.
Es steckte also doch etwas in ihm. Bregol hatte den
König noch nie zuvor persönlich getroffen.
Es stimmte also doch, was man sagte. Der König
war ein mächtiger Krieger. In den Augen des alten
Mannes, blitzte Kampfeslust. Plötzlich fühlte
Bregol ein Brennen in seinem Nacken und dann umfing
ihn Schwärze.
Aragorn
stieß den fremden Kämpfer zur Seite und rammte
ihm die Waffe ins Herz. Bregols Leiche lag mit weit
aufgerissenen Augen am Boden. Seine kleine Unaufmerksamkeit
hatte ihn das Leben gekostet. Aragorn stieß einen
wütenden Schrei aus, der durch die Nacht gellte.
Noch ein Leben mehr, für dessen Verlust Mornuan
und ihre Männer bezahlen würden. Noch wütender
als vorher, warf er sich wieder in den Kampf.
Merry
und Pippin standen Rücken an Rücken und die
Soldaten waren wohl nicht darauf vorbereitet gewesen,
dass diese kleinen Wesen sich so geschickt zur Wehr
setzen würden. Wahrscheinlich hatten sie die beiden
zunächst für Kinder gehalten. Die zwei Hobbits
nutzten die Verwirrung der Feinde aus und gemeinsam
brachten sie einen Soldaten zu Fall und beendeten sein
Leben durch einen gut gezielten Streich. Es schien sich
alles zu ihren Gunsten zu entscheiden. Die Schlacht
würde zwar noch eine Weile dauern, aber sie würden
gewinnen. Pippin zwinkerte Merry zu und gemeinsam duckten
sie sich unter einem Schwerthieb, nur um ihre Gegner
durch einen kräftigen Schlag ins Gemächt zu
Fall zu bringen.
***
Zum zweiten
Mal in dieser Nacht klopfte es an Mornuans Tür
und mit einem ungehaltenen Schnauben sprang sie aus
den Federn. Mit ihrem Morgenmantel bedeckte sie notdürftig
ihre Blöße. "Was gibt es?" schnauzte
sie und der Soldat vor ihrer Tür zuckte zusammen.
"Wir werden geschlagen, Herrin," stieß
er ängstlich hervor. Mornuan stieß einen
wütenden Schrei aus. "Alles muß man
selbst machen! Sorgt dafür, dass mein Pferd gesattelt
wir!"
Sie stapfte
wütend in den Raum und zog sich etwas an. Ihr Heerführer
räkelte sich verschlafen in den Kissen. Ärgerlich
riß sie ihm die Decke weg und warf ihm seine Kleidung
vor die Füße. "Mach schon, jetzt kannst
du unter Beweis stellen, wie gut du dich auf die Kunst
der Kriegsführung verstehst."
Mornuan
zog sich an und begab sich zu den Pferdeställen.
Ihre Männer waren gewappnet und bereit zum Aufbruch.
Zwar warfen sie ihr sorgenvolle Blicke zu, als sie erkannten,
dass ihre neue Königin plante, mit ihnen zu reiten,
aber Mornuan war wild entschlossen dazu. Sie hatte genug
von diesem hin und her. Der König von Gondor würde
den Tod finden, dafür würde sie persönlich
sorgen, und dann sollte dieses Ärgernis ein für
alle Mal aus der Welt geschafft sein. Es bewahrheitete
sich, was sie schon immer geahnt hatte - wenn man wollte,
dass etwas richtig gemacht wurde, mußte man sich
selbst darum kümmern.
***
Elrohir
zuckte zusammen, als der Schrei durch die Nacht gellte.
Das war Aragorn. Mit seinen scharfen Sinnen versuchte
er die Nacht zu durchdringen, aber selbst für einen
Elben war die Schlacht noch zu weit entfernt. Nur eines
war ihnen allen klar - und es wurde deutlicher, als
Elrond sein Pferd zur Eile antrieb - sie mussten sich
beeilen, oder ihr Ziehbruder war verloren.
Luthawen
hatte den Schrei auch gehört und die Haare in ihrem
Nacken stellten sich auf. Ihr Großvater hatte
versucht, sie und Aiglos in das nächste Dorf zu
schicken, aber die knappe Zeit hatte gegen den Elben
gearbeitet und so durften die Kinder die Gruppe begleiten.
Eins hatte Elrond aber deutlich gemacht - wenn sie die
Schlacht erreichten, würden sich Olbern und Laiethas
Kinder an ihrem Rand aufhalten und außer Schussweite
bleiben.
Sie hatten
sich damit zufrieden gegeben. Olbern, Aiglos und Luthawen
bildeten gemeinsam mit Olberns Mutter und Bergil die
Nachhut. Bereg ritt in vorderster Reihe, freudig darauf
brennend, seinem Freund Aragorn dessen Güte vergelten
zu können. Sie hatten vielleicht keine übermächtige
Armee, aber ein wenig Hilfe hatten sie zu bieten und
vielleicht würde es ausreichen.
Elrond
war weniger optimistisch eingestellt. Fieberhaft überlegte
er die ganze Zeit nach einer Lösung, wie er Mornuan
beikommen konnte.
Es war
ihm eingefallen - sie war schon einmal bei ihm gewesen,
zusammen mit ihrem Mann, einem dunklen Hexer. Lange
Jahre lag das nun schon zurück, und er verfluchte
sich, dass es ihm nicht eher aufgefallen war.
Ihr
Mann hatte versucht, sein Land mit Gewalt zu nehmen,
als sich Elrond geweigert hatte einen Pakt gegen die
Zwerge mit ihm einzugehen. Laietha hatte ihn in einer
Schlacht getötet. Auch Mornuan konnte also sterben.
Er musste nur einen Weg finden, dicht genug mit einer
Klinge oder einem Pfeil an sie heran zu kommen.
***
Der Lärm
der Schlacht wurde lauter. Sie hörten die Aufschreie
der Verwundeten, Schmerzensschreie, Schreie voller Angst,
Pein, Agonie und die Geräusche der aufeinanderprallenden
Waffen. Der Gestank von Blut hing in der Luft. Tod war
allgegenwärtig.
Sie überquerten
den letzten Hügel und waren mitten im Schlachtgeschehen.
Es sah
in der Tat schlecht für Aragorn und seine Männer
aus. Viele von ihnen lagen bereits tot am Boden. Laietha
erkannte viele von ihnen. Aus der Ferne hatten sie beobachtet,
dass die Schlacht zuerst gut für Aragorn ausgesehen
hatte - bis Mornuan Verstärkung gesandt hatte.
Mit einem wilden Schrei hob Laietha ihr Schwert und
preschte auf einen der Feinde zu. Nun hatte der Krieg
auch für sie begonnen.
Neben
ihr ging einer der Männer, die ihr gefolgt waren,
zu Boden. Sie stieß einen wütenden Schrei
aus, sprang vom Pferd und enthauptete seinen Mörder.
Die Kriegerin tauchte ihr Schwert tief ins Blut ihrer
Feinde, aber sie ließen sie nicht zu Atem kommen
und begannen, sie zurückzutreiben. Aragorns Männer
waren am Ende ihrer Kräfte und wären ihre
Freunde nicht zu Hilfe gekommen, wäre die Schlacht
entschieden gewesen.
Laietha
sah, wie sich ihr Mann unter dem Hieb eines feindlichen
Schwertes duckte und sie eilte ihm zur Seite und trieb
den Angreifer mit gezielten Schlägen zurück.
Ein Ruf drang an ihr Ohr. "Elendil!" Sie wirbelte
herum und versuchte die Richtung auszumachen, aus der
er gekommen war. Es war ihr Bruder gewesen.
Dort
war er - umzingelt von Feinden. Er kämpfte verzweifelt
gegen sie an, aber er würde den Kampf verlieren.
Laietha unterdrückte die Panik, die sie zu erfassen
drohte. Sie begann zu rennen, musste ihm helfen. Viele
Feinde tötend oder verwundend, bahnte sie sich
ihren Weg zu ihm. Halte durch, Dunai, dachte sie.
Boromir
sah Laietha nach, die sich ihren Weg durch die feindlichen
Reihen bahnte. Mit einem unterdrückten Fluch hastete
er ihr hinterher. Auch er hatte Aragorn entdeckt und
Boromir befürchtete, dass seine Frau unaufmerksam
und verwundbar wurde. Er hatte geschworen, sie zu beschützen,
und das würde er tun.
Laietha
sah den Bogenschützen und dann fiel ihr Blick auf
Aragorn, der ihn nicht sehen konnte. "Aragorn!
Hinter dir!"
Aragorn
wirbelte herum. Diese Stimme würde er überall
wiedererkennen. Konnte es sein, dass sie hier war? Sein
Blick durchsuchte den Kampfplatz, suchte nach ihrem
roten Schopf und dann fand er sie. Laietha stand mit
hochgerissenen Armen auf dem Schlachtfeld, starrte ihn
an und winkte wie von Sinnen. In einer grotesken Geste
der Freude winkte Aragorn zurück, winkte ihr zu,
als hätten sie keinen Krieg, als stünde er
nicht mitten auf einem Schlachtfeld.
Er lief
auf sie zu, lachend, und spürte plötzlich
einen Stich ins Herz. Seine Beine versagten ihm den
Dienst, noch immer sah er seine geliebte Schwester an,
die nun plötzlich weinte und auf ihn zurannte.
Dann fiel sein Blick auf den Pfeil, der aus seiner Brust
ragte und während alles um ihn herum im Dunkel
versank, begriffe er, dass er starb.
***
Boromir
versteinerte in seinem Lauf, als er Aragorn zu Boden
gehen sah. Mit einem wilden Aufschrei rannte er seiner
Frau hinterher, die nun alle Vorsicht sinken ließ
und nur noch auf den getroffenen König zustürmte.
Boromir musste ihr den Rücken decken.
Laietha
stürzte neben ihrem Bruder zu Boden. Mit einem
Schrei riss sie ihn in ihre Arme und drückte ihn
gegen ihre Brust. Mit zitternden Fingern suchte sie
seinen Puls, aber sein Herz hatte aufgehört zu
schlagen. Wie eine Puppe wiegte sie ihn, aber sein Leben
konnte sie ihm nicht zurückgeben. Die Schlacht,
der Krieg und die Gefahr für ihr eigenes Leben
interessierten sie in diesem Moment nicht.
Ein heftiger
Schlag traf sie an der Schulter und schleuderte sie
zur Seite. Am Rande ihrer Wahrnehmung bemerkte sie Boromir,
der wie verrückt um ihre Sicherheit kämpfte.
Ihr Geist schrie, sie möge sich zusammenreißen
und auf die Beine kommen, aber ihr Körper war taub
und jenseits ihrer Kontrolle.
Wie in
einem schlimmen Traum sah sie das Schwert, das ihrem
Mann den Schädel spaltete. Langsam und immer langsamer
sank Boromir zu Boden und wie eine Schnecke schlich
sich ein grellrotes Rinnsal aus Blut über seine
Stirn, immer langsamer werdend, bis er schließlich
unbeweglich, mit gebrochenen Augen vor ihr kniete.
Die Zeit
um sie herum schien stillzustehen. Fassungslos starrte
Laietha auf das Gesicht ihres Mannes, auf die vielen
Gefallenen, die sie umgaben, Ein Schrei staute sich
in ihrer Brust und die Zeit dehnte sich ins Endlose.
Fast
erwartete sie nun endlich den tödlichen Schlag
eines Gegners, aber nichts geschah. Laietha spürte
ihre Beine wieder, erhob sich und sah sich um. Plötzlich
durchzuckte sie die Erkenntnis wie ein Blitz - die Zeit
stand wirklich still!
Rings
um sie herum war die Schlacht zu einem grausigen Bild
erstarrt. Ein Mann rammte seinem Feind ein Schwert in
den Leib - beide Münder zum Schrei verzerrt. Ein
abgetrennter Kopf hing in der Luft, einen feinen Faden
aus Luft hinter sich herziehend, fast wie ein makaberer
Ballon.
War sie
tot? Waren das Mandos Hallen? Blut, Tod und Leid bis
in die Ewigkeit?
Aber
Laietha war eine vernünftige Frau, auch wenn sie
mit Vernunft hier nicht weiter kam. Dies war alles,
aber nicht der Tod. Langsam schritt sie durch das schreckliche
Statuenkabinett. Zwar konnte sie nicht behaupten, dass
sie etwas besonderes gesucht hätte, aber als sie
die Gestalt erblickte, die sie unverwandt anstarrte,
wusste sie, dass ihre Suche ein Ziel gefunden hatte.
Dort
stand sie - noch mit ihrem weißen Brautkleid -
ein spöttisches Lächeln auf den Lippen und
starrte sie ein wenig verwundert an. "Mornuan."
Laiethas Stimme bebte vor Zorn. Die Kriegerin verharrte
im Gehen. Sie hätte sich denken müssen, dass
dieses Weib seine Finger im Spiel hatte.
Mornuan
schritt langsam auf die Frau zu. Zugegeben, sie hätte
es nicht für möglich gehalten, dass Aragorns
Schwester noch am Leben sein könnte, was wiederum
bedeutete, dass der Junge sie betrogen hatte. Wenn man
sich nicht um alles selbst kümmert, dachte sie
zum zweiten mal in dieser Nacht. Eigentlich sollte Annaluva
ja bereits verwesen, aber dafür würde sie
schon sorgen. Dass die Kriegerin noch am Leben war bedeutete
aber vor allem, dass Mornuan nun doch noch ein wenig
mit ihr spielen konnte. Sie liebte Spiele.
"Fast
ein kleines Kunstwerk, nicht wahr, Annaluva?" Mornuan
strich fast liebevoll über eine Klinge, die aus
dem Leib eines gefallenen Kriegers ragte. Mit einem
anerkennenden Nicken betrachtete sie die Szenerie. "Es
scheint wohl so, dass die Schlacht zu meinen Gunsten
enden wird. Wir können gern die Soldaten zählen,
was meinst du?"
Laietha
war zu perplex, um eine Antwort zu geben. Sie war angewidert
von der Abgebrühtheit mit der Mornuan das Schlachtfeld
betrachtete und noch viel mehr darüber erschüttert,
wie viel größer die macht der Hexe zu sein
schien, als sie erwartet hatte. Wie lange konnte Mornuan
ihren Trick wohl noch aufrecht erhalten? Laietha erwartete,
dass der erstarrte Hexenkessel um sie herum jeden Augenblick
wieder zu toben beginnen würde. Kein Zauber hielt
ewig!
Mornuan
lachte. "Keine Bange, wir haben Zeit zum Plaudern.
Ich bin die Herrin der Zeit! Erst wenn ich es befehle
wird sie weiterlaufen und dann wirst du auch bald schon
tot sein." Sie lächelte Laietha milde an.
"Allerdings...du bist mir fast ans Herz gewachsen.
Vielleicht - nur vielleicht - gewähre ich dir ja
einen letzten Wunsch!"
Laietha
überlegte nicht lange. "Rette meinen Mann,
rette meinen Bruder. Wenn du wirklich so viel Macht
hast, schenk ihnen das Leben. Ich werde dafür sorgen,
dass du die Krone behalten kannst."
Mornuan
lachte überrascht. Sie hatte erwartet, dass die
Kriegerin um ihr Leben betteln würde. "Und
wie soll ich das anstellen? Ich bin Herrin über
die Zeit - nicht über Leben und Tod, zumindest
nicht auf diesem Schlachtfeld!"
Laietha
kniff die Lippen zusammen. Der letzte Hoffnungsfunke
drohte zu erlöschen. Aber Mornuan gefiel die Idee.
"Was würdest du mir geben, wenn ich dir Gelegenheit
gäbe sie zu retten?" Die Augen der Frau hatten
sich zu Schlitzen verengt und sie musterte Laietha neugierig.
"Was
immer du verlangst, mein Leben..." Als die Worte
Laiethas Mund verließen wusste sie, dass die Hexe
in den Handel einschlagen würde. Mornuan lachte
laut, drehte sich um und begann ein paar leise Wörter
zu murmeln. Als sie damit fertig war, zog sie eine Phiole
hinter ihrem Rücken hervor und hielt sie der Kriegerin
hin.
"Ich
bin gewillt, dir zu helfen, Annaluva. Wenn du diesen
Trank zu dir nimmst, schenke ich dir einen Tag. Ich
kann deine Familie nicht retten, aber wer weiß,
vielleicht kannst du es?" Laietha streckte die
Hand nach dem Trank aus, verharrte aber in der Bewegung
und sah Mornuan skeptisch an. "Wo ist der Haken?"
Vielleicht war es ja Gift? Aber selbst wenn, was machte
es für einen Unterschied! Sobald Mornuan den Zauber
löste, würde sie erschlagen werden, denn ihr
Schwert hatte sie verloren. Und außerdem konnte
sie am Horizont etwas erkennen, das ihre Hoffnung weckte.
"Es
gibt keinen Haken - keinen wirklichen. Ich werde dir
einen tag schenken, wie ich es versprochen habe, und
du wirst im Gegenzug für mich sterben - wie du
es versprochen hast. Dieser Trank bringt dich einen
Tag zurück. Du kannst versuchen was in deiner Macht
steht, um deiner Familie zu helfen, aber du kannst nicht
weglaufen. Wenn der Tag verstrichen ist, um genau diese
Zeit wirst du sterben. Was sagst du, Annaluva? Dein
Leben gegen ihrs?" Mornuan streckte ihr die Hand
entgegen. Der Trank schimmerte blassblau.
Laietha
schlug ein und nahm die Phiole. Sie öffnete sie,
machte sich nicht die Mühe, an dem Trank zu riechen
oder ihn zu kosten, sondern stürzte ihn mit einem
Schluck hinunter. Er schmeckte bitter und augenblicklich
drehte sich alles um sie herum. Vielleicht war es doch
Gift, dachte sie bei sich und Mornuans Lachen war das
letzte, was sie wahrnahm.
***
Das Erste
was sie hörte war der Gesang der Vögel. Die
Sonne schien ihr ins Gesicht und der süße
Duft von Blumen hing in der Luft. Neben sich hörte
sie leise, vertraute Atemzüge.
Ich bin
in Mandos Hallen, dachte sie. Laietha wagte nicht die
Augen zu öffnen. Alles schien so friedlich und
ruhig. War das der Lohn für all die Jahre, die
sie im Dienst der Waffe verbracht hatte? Die Valar hatten
sie heimgeholt. Sie wollte ihren Mann sehen, dem sie
gefolgt war. Langsam öffnete Laietha die Augen.
Boromir
lag an ihrer Seite und schlief. Die Morgensonne schien
auf sein Gesicht und ließ die weißen Haare
golden schimmern. Unter ihr piekste ein Tannenzapfen
Laietha in die Seite und der Waldboden auf dem sie lag
roch feucht. So idyllisch ihr auch alles schien, aber
das Gefühl, nicht tot und nicht in Mandos Hallen
zu sein wurde stärker.
Die Kriegerin
richtete sich auf. Um sie herum befand sich ein Lager
- nein, nicht irgend eines, korrigierte sie sich schnell,
es war ihr Lager im Druadanwald, das Lager, das sie
am Vorabend aufgeschlagen hatten und von dem aus sie
ihren Sohn entsenden würde, um Hilfe zu holen!
Sie schüttelte den Kopf - was für ein grässlicher
Traum war das doch gewesen!
An ihrer
Seite begann sich Boromir zu strecken. Er gähnte
und blinzelte in die Morgensonne. Ein Lächeln huschte
über sein Gesicht, als er seine Frau ansah. Rings
um sie herum begann das Lager zu erwachen. Das Rasseln
der Schwerter wurde laut, als die Soldaten sie sich
um die Hüfte gürteten, Feuer wurden geschürt
und Kessel mit Trinkwasser aufgesetzt, um ein Frühstück
zuzubereiten.
Auf der
anderen Seite des Lagers erwachte Faramir. Boromir stand
rasch auf und eilte an seine Seite. Laietha folgte ihrem
Mann mit einem Lederbecher, in den sie Wasser gefüllt
hatte und einem Stück Brot. Nachdem sich Faramir
gestärkt hatte, begann er zu berichten. Mornuans
Truppen hatten die Stadt übernommen, die Männer
der Stadtwache waren entlassen worden, Eowyn und die
Kinder wollten sich auf den Weg nach Rohan machen. Boromir
verzog das Gesicht. "Schlechte Nachrichten bringst
du."
Der Krieger
schüttelte den Kopf - es kam ihm vor, als hätte
er das alles schon einmal gehört. Laietha versteifte.
Auch ihr kam alles so bekannt vor - wie in ihrem Traum.
Es war kein Traum, meldete sich ihre innere Stimme.
Aber es konnte nicht sein. Nicht einmal Mornuan konnte
so mächtig sein, die Zeit um einen ganzen Tag zurückzusetzen.
"Diese
Frau hat aber auch an alles gedacht," knurrte Boromir.
"Sie hält Aragorn schön in ihrem bann
und platziert in Seelenruhe ihre Leute in der Stadt.
Aber sie wird ihn ja wohl nicht für den Rest seines
Lebens in ihrem Bann halten können, oder?"
Er schüttelte den Kopf - schon wieder hatte er
das Gefühl, diese Worte schon einmal gesagt zu
haben. Was für ein seltsamer Morgen!
Laietha
zuckte zusammen. Auch sie hatte das Gefühl, den
Tag schon erlebt zu haben. Ihre innere Stimme hatte
auch eine gute Erklärung dafür, aber das war
einfach zu absurd, maßregelte sie ihr Verstand.
Trotzdem mussten sie ihren Vater darüber informieren.
Ein Gefühl sagte ihr, dass Elrond nicht mehr fern
war. Boromir erklärte sich damit einverstanden,
dass sie Aiglos aussenden würden, um Elrond zu
suchen. Boromir wollte ihm Bergil zur Seite stellen,
aber Laietha schüttelte den Kopf. Sie würden
kämpfen müssen. Die Bilder aus ihrem Traum
schlichen sich vor ihre Augen. "Wir brauchen hier
jeden Mann, der ein Schwert führen kann und Vater
ist nicht mehr weit. Aiglos kann alleine reiten."
Boromir
war nicht einverstanden. Der Junge war erst 12 und am
liebsten wäre es ihm, wenn seine Frau ihn begleitet
hätte. Sie schien etwas zu wissen, das sie nicht
sagen wollte, aber in ihren Augen hatte Boromir eine
winzige Spur von Furcht gesehen, die ihm nicht gefallen
wollte. Dennoch blieb seine Frau stur und ging nicht
auf seinen Vorschlag ein - nicht, dass er etwas anderes
erwartet hätte.
Laietha
erhob sich, nahm ein paar Früchte, etwas Wasser
und ein Stück Wegbrot und ging hinüber zu
ihrem Sohn, der noch immer tief und fest schlief. Statt
ihn zu wecken, kniete sie eine Weile neben seinem Lager
nieder und musterte ihn aufmerksam. Er war ein hübscher
Junge, mit einem schön geschnittenen Gesicht. Er
hatte noch nicht die markanten Züge seines Vaters,
obwohl es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis
sein Kinn kräftiger würde und sich Freude
und Sorgen in den glatten Wangen niederschlagen würden.
Sein Haar schimmerte golden in der Sonne. Er musste
es von Boromirs Mutter geerbt haben, von der ihr Mann
so selten, aber immer voller Liebe sprach. Laietha dachte
an seine wachen Augen und sein helles Lachen.
Plötzlich
überkam sie eine tiefe Trauer. Sie hatte das Gefühl,
ihren Sohn zu letzten Mal zu sehen. Ängstlich zuckte
sie zusammen. Würde ihm doch etwas geschehen? Sollte
ihn vielleicht doch jemand begleiten? Aber im selben
Moment, als sie überlegte Bergil zu bitten mit
ihm zu reiten wurde ihr klar, dass nicht Aiglos sondern
sie selbst sterben würde, bevor der tag zu Ende
war.
"Guten
Morgen, Mama." Laietha machte fast einen Satz in
die Höhe. Schnell zwang sie sich zur Ruhe und schenkte
ihrem Sohn ein erzwungenes Lächeln. "Guten
Morgen, Schlafmütze." Ihre Verwirrung war
ihm nicht entgangen, aber bevor er sie befragen konnte,
hatte Laietha ihm schon das Wasser und das Essen gereicht.
"Beeil dich mit dem Frühstück und zieh
dich an. Ich habe einen wichtigen Auftrag für dich."
Ein Auftrag!
Aiglos schlang das Essen hinunter wie ein ausgehungerter
Wolf, hustete, als er sich verschluckte und stürzte
das wasser in einem Zug hinunter. Hastig lief er zu
einem kleinen Tümpel in der Nähe des Lagers,
stolperte vor Eile und wäre fast hineingefallen.
Er ganz alleine sollte sich auf die Suche nach seinem
Großvater machen! Die Valar mussten seine Gebete
erhört haben! Hätte seine Mutter nicht so
seltsam besorgt gewirkt, hätte er einen Jubelschrei
ausgestoßen. Aiglos war mächtig stolz, dass
man ihm so viel Vertrauen entgegenbrachte.
Boromir
schüttelte schmunzelnd den Kopf über den Eifer
seines Sohnes. Ja, die Ausgelassenheit der Jugend war
etwas Wunderbares. Ihm selbst und seinem Bruder waren
solche Ausbrüche der Freude nicht gestattet gewesen
- ihr Vater war nicht müde geworden, sie immerfort
an ihre Stellung zu erinnern und daran, wie sie sich
zu betragen hatten. Aiglos schien nun die Ausgelassenheit,
die man ihm verwehrt hatte, mit auszuleben.
Boromirs
Züge verdüsterten sich, als er an einen Vater
dachte. Er spürte Denethors festen Griff um seinen
Oberarm, den Funken eines auflodernden Freudenfeuers
in seinem Sohn erstickend.
"Boromir!
Nimm dich zusammen und erinnere dich daran, wer du bist.
Du bist der Sohn des Statthalters von Gondor, du wirst
eines Tages an meinet Statt über Gondor regieren
- du bist kein Bauerntölpel, der durch den Schmutz
auf seinen Feldern trampelt!"
Boromir
schüttelte den Kopf. Ich war ein aufgeregter Junge,
Vater, ein Junge, der zum ersten mal mit auf die Jagd
durfte!
Er verstand
sich selbst nicht mehr. Früher - früher hatte
er nie solchen gewaltigen Groll gegen seinen Vater verspürt.
Er hatte gewusst, dass Denethor nicht gerecht gegen
seine Söhne war, aber er hatte Entschuldigungen
gefunden, die rechtfertigten, wie sein Vater sie behandelt
hatte. Aber jetzt wollten ihm keine Entschuldigungen
mehr einfallen. Nicht mehr, seit er selbst Kinder hatte.
Vielleicht war er selbst manchmal nicht streng genug
mit seinen Kindern, aber um keinen Preis würde
er dem Beispiel seines Vaters folgen. Im Grunde war
selbst Aiglos, den er mehr als ein Mal einen Rüpel
schimpfte, doch ein guter Mensch, also konnte sein Weg
so falsch nicht sein.
"Papa!"
Boromir schüttelte die Gedanken ab und trat lächelnd
zu seinem Sohn. Schon oft hatte er in den letzten Jahren
im düsteren Zwiegespräch mit Denethor gesessen,
aber versöhnt hatte es ihn nicht.
Aiglos
saß auf dem Rücken des Schimmels, den man
ihm gegeben hatte. Am liebsten wäre er schon davon
geprescht, aber Laietha redete ermahnend auf ihn ein
und gab ihm letzte Anweiszungen, in welche Richtung
er reiten sollte. Aiglos hörte nur mit einem halben
Ohr hin.
Laietha
schluckte hart. Für einen Moment dachte sie daran,
dass sie Aiglos nie wieder sehen würde. Nie würde
sie sehen, wie er zum Mann wurde, sich eine Frau suchte
und sein Glück machte. Natürlich war es Unsinn,
schalt sie sich selbst. Aber auch wenn es kein böser
Traum gewesen war - wie sie sich immer noch zu überzeigen
versuchte - selbst wenn sie diese Nacht sterben sollte,
blieb jetzt keine Zeit für lange Gespräche.
Sie musste ihren Jungen gehen lassen. Laietha zog ihren
Sohn in ihre Arme und er wäre fast vom Pferd gefallen.
"Beeil
dich, Aiglos, reite wie der Wind. Finde deinen Großvater
und deine Schwester. Sag ihnen, dass die Zeit drängt
- und sag ihnen, dass ich sie liebe." Bei den letzten
Worten schnürte sich ihr die Kehle zu und Laietha
räusperte sich schnell. Sie rang sich ein Lächeln
ab und entließ Aiglos aus ihrer Umarmung.
Aiglos
bekam nichts von der seltsamen Stimmung mit, in der
seine Mutter sich befand. In Gedanken ritt er schon
wie ein Pfeil durch den Wald. "Mach ich, Mama!
Bis bald!" Er schnalzte mit der Zunge und der Schimmel
galoppierte davon. "Sei vorsichtig und mach keinen
Unsinn!" brüllte Boromir ihm hinterher, aber
sein Sohn war schon zwischen den mächtigen Bäumen
verschwunden. Wenn der Junge nur nichts anstellte!
***
Elrond
und seine Söhne schraken gleichzeitig aus dem Schlaf
hoch. Sie sahen sich an und mit einer Stimme riefen
die jungen Elben aus: "Was war das?" Verwirrt
sahen sie sich um. Sie waren an der Stelle des Waldes,
wo sie gestern Nacht ihr Lager aufgeschlagen hatten,
aber - etwas schien nicht richtig zu sein! Sie sollten
gar nicht mehr hier sein! Hilfesuchend blickten sie
zu ihrem Vater, der sich nachdenklich übers Kinn
strich. Verschlafen blinzelten Luthawen und Olbern zu
ihnen hinüber und auch Bereg und seine Frau waren
von der Unruhe aufgewacht.
Bereg
ging zu seinen Männern hinüber, die alle ein
wenig besorgt aussahen. Er wechselte geschwind ein paar
Worte mit ihnen in ihrer eigenen Sprache, dann kam er
brummend und den Kopf schüttelnd zu den anderen
zurück. "Sie sagen, sie würden sich unbehaglich
fühlen. So als sein ein Schatten über uns
alle hinweggezogen, aber nun ist er fort und es gibt
keine Spur mehr von ihm."
Luthawen
rieb sich den Schlaf aus den Augen. "Ich
habe etwas Seltsames geträumt - einen Traum, fast
wie den von dem Mutter geplagt wird. Ich sah Onkel Aragorn
und er kämpfte in einer Schlacht - bis er von einem
Pfeil getroffen fiel. Mutter kam auch darin vor, aber
ich kann mich an nichts genaues mehr erinnern."
Sie schüttelte den Kopf. Vielleicht war es nur
die Sehnsucht nach ihrer Familie, obwohl sie sich einen
angenehmeren Traum hätte vorstellen können.
Ob es wohl die Angst war, ihren Eltern gegenüberzutreten
und ihnen zu sagen, wofür sie sich entschieden
hatte?
Auch
Elrohir hatte von seiner Schwester geträumt - von
Laietha und einem Raben. Sie hatte ihn zu sich gelockt
und der Vogel war auf ihre Hand geflogen. Plötzlich
aber hatte er nach ihr gehackt und bevor Elrohir ihr
eine Warnung hätte zurufen können, hatte der
Vogel seiner Schwester das Herz herausgerissen! Eine
Stimme hatte etwas geflüstert und dann gelacht,
dass ihm das Blut in den Adern stocken wollte. Langsam
verschwand die Szenerie im Dunkeln, aber was ihn bis
zum Aufwachen begleitete war die Stimme seiner Schwester:
"Hab keine Sorge Elrohir, sie hat mir einen Tag
geschenkt!"
"Seltsam,"
lachte Olbern. "Mir kommt es vor, als hätte
ich diesen Morgen schon mal erlebt, nur ein wenig ruhiger!"
Nur Luthawen lachte gezwungen mit ihm, die Elben blieben
stumm und ernst. Auch ihnen kam es so vor, als wiederholte
sich der Morgen. Etwas ging nicht mit rechten Dingen
zu. Für Elben waren Elladan und Elrohir noch jung
- sie zählten noch nicht einmal 3000 Jahre, aber
für die Menschen war das eine Zeitspanne, die dem
Wort Ewigkeit fast gleichkam und weder sie noch ihr
Vater, der schon so viel länger als sie auf dieser
Welt war, hatte jemals einen Tag erlebt, der wie ein
anderer schien. Nein, hier war jemand am Werk, der sich
in der schwarzen Kunst verstand. "Mornuan."
***
Draußen
jubelten die Menschen noch immer. Mornuan konnte sich
ein selbstgefälliges Lächeln nicht verkneifen.
Aragorn saß stumm auf dem Bett und stierte an
die Wand. Ekel überkam Mornuan, als sie daran dachte,
wie viele Nächte sie neben diesem sabbernden Greis
gelegen hatte. Nun, zu ihrem Trost wusste sie, wie die
Geschichte ausgehen würde. Sie hatte den ganzen
Morgen hin und her überlegt, ob sie Annaluva betrügen
und ihn gleich nach der Hochzeit töten lassen sollte,
aber das wäre ja ein Zeichen von Schwäche,
nicht wahr? Nein, anders herum war es viel amüsanter.
Sie konnte nicht verlieren. Annaluva wusste nun zwar,
dass ihr Bruder noch lebte und dass sie seine Truppen
schlagen würden, aber was machte das schon?
Sie hatte
ihr einen Tag versprochen und Annaluva hatte nicht mal
einen halben bekommen - zugegeben, das war nicht Mornuans
Absicht gewesen, aber es betrübte sie auch nicht
sonderlich. Sie war gespannt, was sich die Kriegerin
einfallen lassen würde, um ihren geliebten Bruder
zu retten. Aber selbst eine Frau wie sie konnte nicht
aus Lehm eine Armee backen! Aragorn und seine Männer
waren verloren und Mornuan würde zur Stelle sein,
um zuzusehen, wie Annaluva starb. Es würde kein
angenehmer Tod sein, aber das war auch nicht teil der
Abmachung gewesen, nicht wahr?
Nun war
es Zeit, sich um ihre neuen Staatsangelegenheiten zu
kümmern. Sie verließ den Raum und verschloss
die Tür hinter sich. Vielleicht würde sie
später noch einmal auftauchen, rechtzeitig, um
Aragorn an der Hinrichtung seiner Freunde teilhaben
zu lassen. Es war beim zweiten Mal eben nicht mehr halb
so lustig wie beim ersten, sein herz brechen zu sehen.
Leise lachte sie in sich hinein. Wer weiß - vielleicht
würde er ja so gar nicht aus dem Palast fortlaufen
wollen?
***
Aragorn
schenkte seiner Frau keinen Blick. Die Trauung war ihm
wie ein Traum vorgekommen, aber es schien kein guter
Traum zu sein. Dennoch war etwas in seinem Bewusstsein,
das ihn den ganzen Morgen nicht in Ruhe gelassen hatte.
Mornuan schien ihm verändert und als er in den
Spiegel geblickt hatte, hatte sich ein teil seines Verstandes
erschrocken. Er war ein alter Mann geworden! Noch etwas
war nicht so, wie es sein sollte - darüber hatte
er die ganze Zeit versucht nachzudenken, aber erst als
Mornuan den Raum verlassen hatte, war es ihm eingefallen
- seine Schwester fehlte!
Bilder
sprangen vor sein Auge - ein Todesurteil gegen seine
Schwester, von seinen Lippen und die Nachricht, dass
sie auf der Flucht getötet worden war, aber Trauer
empfand er nicht. Aus den Tiefen seines Herzens drangen
leise Stimmen hervor, die von seinem Entschluss, sie
zu begnadigen sprachen und er sah Eowyns Gesicht, die
ihm lächelnd verkündete, dass Laietha lebte.
Vor seinem
Fenster bauten die Henker schon den ganzen Morgen. Es
waren Galgen, die sie errichteten - Galgen für
seine Freunde. Aragorn stand auf. Er fühlte sich
so schwach, wie er aussah, aber durch Herumsitzen würde
er seine alte Stärke nicht zurückbekommen.
Es war Zeit zu handeln. Seine Freunde würden nicht
auf sein Geheiß sterben - zumindest nicht, so
lange er am Leben war! In diesem Moment hörte er
Kinderstimmen vor der Tür und kleine Hände,
die schwach gegen das schwere Holz klopften. Jetzt war
seine Zeit zum Handeln gekommen!
***
Das Volk
johlte und der Lärm toste in ihren Ohren. Es hatte
Widerstand gegen die bevorstehende Hinrichtung gegeben,
aber er war von der neuen Stadtwache brutal niedergeschlagen
worden. Einige Menschen in der Menge hielten betroffen
oder verängstigt die Köpfe gesenkt, aber es
gab auch Menschen unter ihnen, bei denen Eowyn Mordlust
in den Augen blitzen sah. Sie selbst war jedoch seltsam
ruhig und gefasst - sie hätte nie für möglich
gehalten, ihrem Ende so mühelos aufrecht entgegenzugehen.
Vielleicht hatte es ja etwas damit zu tun, was Frodo
an diesem Morgen gesagt hatte.
Es war
ein ausgesprochen seltsamer Morgen gewesen. Keiner von
ihnen hatte sich erinnern können, eingeschlafen
zu sein und auch von ihrem Erwachen fehlten alle
Erinnerungen. Aber was spielte das auch für eine
Rolle? Der Jubel der Stadt hatte ihnen verkündet,
dass Aragorn und Mornuan vermählt worden waren
und das hämische Lachen der Wächter kündete
von ihrem nahenden Tod.
Sam hatte
düster vor sich hingebrütet und auch Eowyn
hatte wehmütig ihrer Kinder gedacht. Da aber war
Frodo aufgestanden und hatte nur gelächelt. Diesen
Anblick würde Eowyn nicht mehr vergessen. Der Hobbit
sah aus, als wäre er von einem inneren Leuchten
erfüllt - ganz so, als käme er aus einer anderen
Welt. Es war kein Fünkchen Angst in seinem Blick.
Tröstend legte er Sam eine Hand auf die Schulter.
"Habt keine Angst, meine Freunde, heute werden
wir nicht sterben."
Im
Angesicht ihrer Bewacher, der errichteten Galgen und
der soliden Kerkermauern. Hätten sie ihm ins Gesicht
lachen, oder ihn zurechtweisen sollen, aber seltsamerweise
waren sie alle geneigt, ihm zu glauben.
Nun hatten
sie den äußersten Ring der Stadt erreicht.
Der Karren machte sich bereit zum Wenden und es war
ihre letzte Gelegenheit noch einen Blick in die weite
Ebene vor Minas Tirith zu werfen. Urplötzlich spannten
sich Eowyns Muskeln und ohne jeglichen erkennbaren Grund
machte sie sich zur Flucht bereit. Aus dem Augenwinkel
bemerkte sie, dass es den Hobbits ebenso erging. Sie
spürte Frodos Blicke auf sich ruhen und mit einem
winzigen Lächeln murmelte sie ihm zu: "Ich
glaube, du hattest Recht."
***
Kaum
dass Aiglos fort war hatte Laietha zum Aufbruch gedrängt.
Langsam, ganz langsam waren Bilder vor ihre Augen getreten
- Bilder, die aus einer nicht allzu fernen Zukunft zu
kommen schienen, Bilder, die ihr bekannt vorkamen. Sie
ritten schnell und Minas Tirith kam näher. Und
immer wieder sah sie diese Bilder, wie Fetzen aus einem
bösen Traum, die von leid und Tod kündeten.
Gegen Mittag hieb sie die Wucht der Eindrücke fast
aus dem Sattel. Sie rasteten. Die Kriegerin ließ
sich mit einem Ächzen von ihrem Pferd gleiten und
sank keuchend zu Boden - gerade noch rechtzeitig, bevor
sie die Flutwelle der Bilder überrollte. Und mit
den Bildern kehrten ihre Erinnerungen zurück -
die Schlacht, die vielen Gefallenen, Aragorns Tod und
schließlich auch ihr Handel mit Mornuan.
"Aragorn!
La!" Boromir kniete neben ihr und hatte ihr besorgt
eine Hand auf die Schulter gelegt. "Was ist los,
Laietha? Geht es dir nicht gut?" Sie schüttelte
den Kopf, um das Bild ihres Bruders zu verdrängen,
der in seinem Blut auf dem Schlachtfeld lag. Es nütze
nichts. Ihr schien es, als hätte sich dieser Anblick
in ihr Hirn gebrannt. "Aragorn!"
Boromir
legte ihr eine Hand auf die Stirn. Zumindest hatte sie
kein Fieber, aber das beruhigte ihn auch nicht sonderlich.
Vielleicht waren es immer noch Aragorns Kränkungen,
die ihr so zu schaffen machten. Hitzige Wut auf den
König von Gondor jagte für eine Sekunde durch
ihn, aber die Sorge um seine Frau kühlte die Wut
so schnell ab, wie sie gekommen war.
Laiethas
Augen waren leer und sie starrte in die ferne. Boromir
kannte diesen Blick nur zu gut - es war der selbe, wie
in so vielen Nächten, in denen sie aus Träumen
von Kampf und Tod erwachte. Nicht selten rief sie den
Namen ihres Bruders - so wie jetzt. Sie musste in furchtbarer
Sorge um ihn sein.
"Ganz
ruhig, Liebes! Es geht ihm gut! Du machst dir zu viel
Sorgen!" Zärtlich strich ihr Boromir über
den Kopf. Er selbst war nicht allzu überzeugt davon,
dass sein Schwager wirklich in Sicherheit war. Der König
von Gondor und Laietha hatten eine besondere Bindung
zueinander und nach den Umständen zu urteilen,
von denen Faramir ihnen berichtet hatte war es gut möglich,
dass Mornuan ihn nach der Krönung hatte töten
lassen. Sie sollten schnell weiterreiten.
Zärtlich
nahm er ihr Kinn in seine Hände und sah ihr tief
in die Augen. Sie erwiderte seinen Blick, erkannte ihn
und tauchte endlich aus ihren Tagträumen auf. Sie
schenkte ihm ein schmales Lächeln - nicht annährend
genug, um ihn zu beruhigen - und ein leichtes Kopfnicken.
Was immer sie auch quälte, entschied Boromir, es
konnte und musste warten. Sie würden später
reden.
"Ich
werde die Männer versammeln. Wir reiten weiter,
wenn du bereit bist. Vor Einbruch der Dunkelheit kommen
wir ohnehin nicht in die Stadt, also lass dir Zeit."
Boromir hauchte seiner Frau einen Kuss auf die Lippen
und schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. "Es
geht mir gut, Boromir," flüsterte sie. Natürlich
durchschaute er die Lüge, aber sie schien nicht
in Gefahr zu sein. Der Zusammenbruch hatte ihm nicht
gefallen, aber es würde Laietha weitaus schlechter
gehen, wenn sie Aragorn nicht retten konnten.
"Ich
liebe dich." Boromir strich ihr lächelnd über
die Wange. Dann erhob er sich zu seiner vollen Größe,
drehte ihr den Rücken zu und ging zu den Männern.
Er würde mit seinem Bruder, Beregond und Faramir
ihr weiteres Vorgehen besprechen. Vielleicht konnte
er Laietha überreden, ihrem Vater entgegen zu reiten.
Er wollte nicht, dass sie sich in Gefahr begab, aber
die Chancen dafür standen ungefähr so gut,
wie einen Ork zu überreden, sich zu baden.
Boromirs
Stimme, die Wärme seiner Lippen und seine tröstende
Zuversicht hatten ihren Herzschlag für einen Augenblick
beruhigt, auch wenn die Bilder in ihrem Kopf so wild
wirbelten, dass ihr ganz schwindelig wurde. Während
ihr Mann mit ihr sprach versuchte sie sich davon zu
überzeigen, dass sie fantasierte. Wie tröstlich
wäre es gewesen, wenn sie dem Wahn verfallen wäre
und ihrem Verstand misstrauen könnte, aber inihrem
Herzen wusste sie, dass sie geistig vollauf gesund war.
Boromir
erhob sich und wie ein Blitz zuckte eine neues Bild
durch ihren Geist - ihr Mann ging von einer feindlichen
Waffe getroffen zu Boden.
Laietha
erhob sich langsam, die Knie weich wie Butter. Nicht
Boromir! Nicht ihr geliebter Mann! Aber sie wusste,
dass was sie gesehen hatte, die Zukunft war. Mit zitternden
Knien lief sie in Richtung Wald. Sie konnte es nicht
ertragen, ihn jetzt zu sehen. Nicht mein Mann! Jeder
Blick, jeder Gedanke an ihn rief dieses schreckliche
Bild in ihren Kopf - sie musste jetzt klar denken können,
sie musste nachdenken, was zu tun sei, um Boromir und
ihren Bruder zu retten. Es musste noch andere Erinnerungen
in ihrem Kopf geben, nicht nur Tod und Krieg!
Ohne
ihr Zutun trugen ihre Beine sie in den Wald hinein.
Wie weit sie lief, konnte Laietha nicht sagen. Die Männer,
in ihre Besprechung vertieft, bemerkten ihr Fortgehen
nicht.
***
Als sie
weit genug vom Lager entfernt war, ließ sie sich
gegen einen Baumstamm sinken und begann bitterlich zu
schluchzen. In ihrem Kopf tobte ein wahrer Orkan und
wirbelte jeden klaren oder vernünftigen Gedanken
davon. Sie hatte einen tag versprochen bekommen - einen
guten halben hatte sie gewonnen, um ihren Bruder und
ihren Mann zu retten und die Zeit drängte! Dennoch
konnte Laietha keinen Muskel rühren.
Laietha
starrte auf einen toten Vogel, der dicht neben ihr am
Boden lag. Eine Ameise kroch über den Kadaver und
krabbelte wieder fort. Eine zweite Ameise kam und dann
eine dritte.
Du solltest
nicht hier rumsitzen, du solltest etwas tun!
Nun waren
es schon zu viele Ameisen, um sie zu zählen. Wo
kamen sie nur her? Laietha musste neben einem Ameisenhaufen
sitzen. Die Tiere krabbelten über den Vogel, nagten
an seinem toten Fleisch, rissen mit ihren kräftigen
Zangen kleine Fleischstücken heraus und trugen
sie davon - ein Festmahl für ihre Königin.
Ihre roten Panzer schimmerten in der Sonne. Laietha
konnte den Blick nicht abwenden.
Eomer
und seine Männer waren auf dem Weg. Laietha wusste
es. Wenn sie ein paar Männer schickten, könnten
sie bald eine Kampfgruppe sein, die Mornuans Armee für
eine Weile die Stirn bieten konnten. Zumindest lang
genug, bis Aragorn in Sicherheit war. Alles, was sie
tun musste, war sich zu erheben und zu handeln.
Inzwischen
war es eine ganze Ameisenstraße, die zu dem toten
Vogel und zurück zu ihrem Bau wanderte, ein glänzender
roter Strom auf dem Waldboden. Es war ein junger Sperlin
gewesen. Wahrscheinlich hatte ihn ein Räuber erlegt,
oder das Tier war aus dem Nest gefallen.
Steh
auf! Tu etwas! Starr nicht einfach Löcher in die
Luft ! Rette deinen Mann! Rette deinen Bruder! Rette
dich selbst!
Ich kann
nicht.
Du kannst!
Du musst! Kämpfe!
Ein paar
Ameisen krabbelten über ihre Hand und erkundeten
neugierig ihren Körper. Laietha bewegte sich nicht.
Vielleicht hatten einige der Tiere sie gebissen, denn
es brannte an ihren Oberschenkeln.
Du bist
so dumm, schrie alles in ihr und in ihrem Magen bildete
sich ein harter Klumpen. Du wirfst alles weg! Du hättest
auch gleich gestern sterben können, wenn du es
nicht einmal versuchen willst!
Laietha
hätte am liebsten laut aufgeschrieen. Der Druck
in ihrem Magen wurde zum Druck in ihrer Brust, aber
nicht einmal für ein Seufzen hatte sie Kraft. Sie
fühlte sich schwach und zum ersten Mal in ihrem
Leben jämmerlich hilflos. Ihr ganzes Leben lang
hatte sie gekämpft, aber jetzt, als es um den wichtigsten
Kampf in ihrem Leben ging, saß sie im Wald und
starrte auf einen dummen Ameisenhaufen, die sich mit
Aas den Bauch voll schlugen!
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