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Titel: Der
geschenkte Tag
(Seite 7) Autor: Naurdolien
Es
war, als wäre sie nicht mehr Herrin ihres eigenen
Körpers. Sehenden Auges lief sie in ihr Unheil
und zog Boromir und Aragorn mit sich in den Tod. Fast
konnte sie Mornuans hämisches Lachen hören,
weil sich die große Kriegerin kampflos ergab. Eine nie gekannte Schwermut drückte sie zu Boden.
Das war also ihr letzter Tag auf dieser Welt. Wie lange
war sie in Schlachten gezogen, wohlwissend, dass sie
am Ende des Tages der Tod erwarten konnte und nie hatte
sie auch nur einen Hauch von Furcht verspürt. Sie
war eine Kriegerin - sie fürchtete sich nicht vor
dem Tod oder dem Sterben, aber diesmal war es etwas
ganz anderes. Bei all ihren Schlachten hatte die Gefahr
zu sterben wie ein drohendes Schwert über ihr geschwebt,
aber Gefahr und Hoffnung waren Bettgefährten, wie
ihr Schwertmeister sie von dem Moment an als sie ein
Schwert zu schwingen begann gelehrt hatte. Diesmal gab
es für sie keine Hoffnung. Laietha erbebte unter den Schluchzern, die sie schüttelten.
Sie würde ihre Kinder und Brüder nie wiedersehen
und Boromir, ihr geliebter Boromir! Wie viel wollte
sie ihm noch sagen! Aber sie konnte es nicht, sie wagte
nicht einmal, ihm jetzt unter die Augen zu treten. Am
liebsten wäre sie davongelaufen und hätte
sich vor Mornuan und ihrer finsteren Macht versteckt.
Aber es war zu spät - der Handel war abgeschlossen
und unumkehrbar. Hatte Mornuan gewusst, dass sie so fühlen würde?
Hatte sie Laietha betrogen? Wahrscheinlich nicht. Mornuan
hatte ihr wie versprochen Zeit geschenkt und plötzlich
erwachte eine grimme Wut in Laietha - nicht auf die
Hexe, sondern auf sich selbst, weil sie nicht in der
Lage war, dieses Geschenk zu nutzen. Sie hörte Stimmen im Wald - Boromir und Bergil
riefen ihren Namen. Sie suchten nach ihr. Laietha fragte
sich, wie lange sie wohl fort gewesen war. Die Ameisen
waren fast fertig mit ihrer Arbeit. Von dem toten Vogel
waren nur noch ein paar Knochen übrig. Laietha
hob den Kopf und erschrak - es war schon Nachmittag!
Kein Wunder, dass die Männer nach ihr suchten!
Es mussten wenigstens drei Stunden vergangen sein -
drei Stunden, in denen sie nichts getan hatte, um ihren
Mann und ihren Bruder zu retten. Sie fühlte sich schuldig. Es war höchste
Zeit, sich auf den Weg zu machen und Aragorn zu helfen.
Die Stimmen kamen näher und Laietha bekam Angst,
dass ihr Mann sie so vorfinden würde. Schon vorhin
war er drauf und dran gewesen, sie zu fragen, was sie
quälte. Sie konnte ihm jetzt nicht gegenübertreten! Laietha fühlte sich schwach. Boromir - ihr geliebter
Boromir! Wenn er sie fand, würde sie sich ihm in
die Arme werfen und ihm alles erzählen, aber das
durfte sie nicht. Ihr Mann würde sie in seine starken
Arme schließen und tröstende Lösungen
für die auswegslose Lage finden - vielleicht sogar
etwas ausgesprochen Dummes tun, das sich Laietha nie
verzeihen würde. Sie wollte ihn nicht verlieren. Eine menschliche Gestalt näherte sich ihr und
schon fühlte sie die Schwäche, die sie zu
übermannen drohte. Bei Eru, lass es nicht Boromir
sein, betete sie still und ihre Gebete wurden erhört. *** Elrond und seine Söhne hatten zum Aufbruch gedrängt.
Gegen Mittag hatten sie einen einzelnen Reiter in der
Ferne ausgemacht. Schnell hatten die Elben ihn als Aiglos
erkannt und ein dumpfes Gefühl breitete sich in
Elladans Magengrube aus - hoffentlich war Laietha nichts
zugestoßen! Geschwind hielten sie auf den Jungen
zu, der sie mit fröhlichem Winken grüßte.
Das beruhigte die Elben ein wenig, denn wenn seiner
Familie etwas zugestoßen wäre, würde
er kaum so gelassen sein. Mit einem breiten Grinsen brachte Aiglos sein Pferd
zum Stehen. Luthawen schwang sich strahlend vom Rücken
ihrer Stute und als auch Aiglos abgesessen hatte, schloss
sie ihren Bruder überglücklich in den Arm.
"Du wirst es kaum glauben, aber du hast mir gefehlt!"
Aiglos erwiderte die Umarmung. Er würde es zwar
nie zugeben, aber auch er hatte seine große Schwester
vermisst. Immer nur mit Ionvamir durch die Gegend streifen
war auf Dauer nicht das Wahre. Dann erinnerte er sich
plötzlich seines Auftrags und wurde so ernst, wie
ihn noch nie jemand der Anwesenden gesehen hatte. Schnurstracks ging der Knabe zu Elrond. "Großvater,
Mama hat mich geschickt. Sie sagt, ihr sollt euch beeilen.
Es wird Krieg geben, sagt Onkel Faramir. Er kam gestern
Abend bei uns im Lager an. Da war noch irgendwas..."
Aiglos kratzte sich am Kopf. Er hatte nicht das beste
Gedächtnis, warum ließ es ihn gerade jetzt
im Stich? "Onkel Faramir hat noch etwas mit Truppen
gesagt oder so..." Zum Glück musste der Junge nicht weiter ausholen,
denn Bereg, Olbern und den Elben war die Bedeutung dessen
sofort klar. Mornuan musste Truppen eingeschleust und
die Stadt besetzt haben. "Das hast du sehr gut
gemacht, Aiglos. Lass dir von deiner Schwester etwas
zu Essen geben." Elrond strich seinem Enkel wohlwollend
über den Kopf und Aiglos hatte gegen diesen Vorschlag
nicht das geringste einzuwenden. Sein Magen knurrte
laut, schließlich war das Frühstück
schon eine ganze Weile her und sein Bisschen Proviant
hatte er schon kurz nach dem Aufbruch verputzt. Er war
eben im Wachstum, wie seine Mutter sich sein Essverhalten
zu erklären pflegte. Elrond wartete kurz, bis seine Enkel außer
Hörweite waren, dann beratschlagten er und die
anderen, was zu tun sei. "Besser wir reiten sofort
nach Minas Tirith," schlug Elladan vor, der die
ganze Zeit über an das grausige Schauspiel im Garten
denken musste, das er und seine Schwester hatten mit
ansehen müssen. "Was ist mit den Kindern?"
fragte Olberns Mutter besorgt. "Sicherlich wollt
ihr sie nicht in Gefahr bringen und wenn es Krieg geben
wird..." Bereg nickte bedächtig. "Vielleicht können
wir sie in ein nahegelegenes Dorf bringen? Meine Frau
könnte sie begleiten." Der Vorschlag hörte
sich gut an und Elladan und sein Bruder waren sofort
einverstanden, nur Elrond zögerte einen Moment.
Er spürte die erwartungsvollen Blicke der anderen
auf sich ruhen. Nach einer Weile stillen Nachdenkens
antwortete er. "Aiglos und Beregs Frau sollen sich auf den
Weg in das Dorf am Druadanwald machen, aber ich möchte,
dass Luthawen uns begleitet." Mit einer schnellen
Handbewegung erstickte er Olberns aufkommenden Protest
im Keim. "Du wirst mit ihr ein Stück weit
hinter uns herreiten, aber ich habe das Gefühl,
dass der Krieg schneller eintreten wird als gedacht,
vielleicht werden wir in eine Schlacht reiten und Luthawen
ist eine geschickte Heilerin. Sie hat viel von mir gelernt
und ich möchte nicht, dass ein Mädchen ihres
Alters schon die Grauen eines Krieges sehen muss, aber
wenn wir auf eine Schlacht treffen, wird es verletzte
geben - und heilende Hände werden von Nöten
sein." Olbern schluckte. Auch er wollte nicht, dass Luthawen
Kriegsgefallene sehen musste, aber in den Augen ihres
Großvaters sah er so viel Sorge und Schmerz bei
seiner Entscheidung, dass er glaubte, der Elb habe sich
die Entscheidung sehr gut überlegt. "Gut,
aber ich werde auf sie aufpassen," nickte er langsam
und errötete plötzlich. Sein Vater bemerkte
es und klopfte ihm lachend auf die Schulter. "Wenn
ich es nicht besser wüsste, hätte ich gedacht,
du wärst schon ihr Mann!" Ach, dachte Olbern,
wenn das nur so einfach wäre, aber dafür müsste
er erst an Herrn Boromir vorbei! Luthawen hatte Aiglos in den Wald geschickt, um Feuerholz
zu holen. Sicher wollte sie nur ungestört Olbern
anhimmeln! Mürrisch bückte sich der Junge
und sammelte trockene Zweige auf. Eben noch war er der
gefeierte Kundschafter seiner Mutter in wichtiger Mission
gewesen, nun war er der Sklave seiner großen Schwester.
Na ja, das würde er alles Papa erzählen, dann
würde sie schon sehen, was sie davon hatte. Plötzlich
entdeckte er im Gras eine seltsame Pflanze. Sie hatte
leuchtend rote Beeren und tiefschwarze Blätter.
An den feinen Stängeln waren Dornen - das merkte
er, als er versuchte, eine der Pflanzen zu pflücken.
Ärgerlich saugte er an dem Stich. Ein Kribbeln
lief über seine Zunge - nicht unangenehm. Was das
wohl für eine Pflanze war? Schnell rief er nach
seiner Schwester. Luthawen ging gemächlich auf ihren Bruder zu.
Was er wohl nun schon wieder hatte? Vielleicht ließ
sich Aiglos wirklich nur dann ertragen, wenn sie ihn
nicht sehen musste, sie hatte eben noch so schön
von sich und Olbern geträumt... "Sieh mal!" Aiglos deutete auf eine Stelle
am Waldboden. Zuerst fürchtete Luthawen, er hätte
einen toten Vogel gefunden und wollte sie ärgern,
aber dann entdeckte sie zu ihrem Erstaunen, das Pflänzlein.
"Das ist Saewthond! Giftwurz!" Aiglos verzog
das Gesicht. Toll, er hatte eine giftige Pflanze gefunden
und sich an ihr gestochen. Wurde ihm nicht schon ganz
flau im Magen? Gestorben auf seiner ersten wichtigen
Mission... "Ist...ist sie tödlich?" stammelte
er, ganz blass um die Nase, während seine herzlose
Schwester sich über die Pflanze beugte und sie
vorsichtig pflückte - natürlich nicht, ohne
sich mit ihrem Kleid vor den Dornen zu schützen.
"Hast du dich gestochen?" Aiglos nickte und
hielt ihr mit Heldenmiene den Finger hin. Luthawen drückte
so lange daran herum, bis tatsächlich ein winziger
Tropfen Blut aus der Wunde trat. "Du wirst es überleben,
du Held," lachte sie. "Ist sie giftig?" fragte Aiglos - nun ein
wenig verärgert, da er sich nicht ernstgenommen
fühlte. Luthawen war ganz und gar damit beschäftigt,
den Waldboden nach noch mehr Pflanzen abzusuchen. "Natürlich
nicht, du Tollpatsch, und hättest du ein wenig
besser in Salabwens Unterricht bei Großvater aufgepasst,
wüsstest du, dass sie sehr selten ist und gegen
Vergiftungen aller Art hilft! Es ist ein großes
Glück, dass du sie gefunden hast, ein zerstochener
Finger ist kaum ein gerechter Preis dafür." Aiglos dachte für einen Moment daran, seine
Schwester im Wald festzubinden und sich zum Lager davonzumachen,
aber dann hörten sie die Stimme von Beregs Frau,
die das Zauberwort sprach, um Aiglos Ärger verpuffen
zu lassen - "Essen!" Während Aiglos das Mittagessen hinunterschlang
wie ein ausgehungerter Wolf, berichtete Luthawen ausführlich
von ihrem Fund, obwohl Aiglos seine Rolle nicht annährend
gewürdigt genug fand. Elrond lächelte und
strich seinen Enkeln wohlwollend über das Haar.
"Das habt ihr gut gemacht. Diese Pflanze kommt
ausgesprochen selten vor. Der Vorrat, den Luthawen gepflückt
hat, wird eine ganze Weile reichen. In Bruchtal werde
ich daraus einen Sud kochen, der Vielen helfen wird." Elladan und Elrohir waren rastlos. Sie stocherten
in dem Essen herum, das Beregs Frau zubereitet hatte.
Am liebsten wären sie sofort aufgebrochen. Etwas
stimmte nicht. Der Tag wurde seltsamer und seltsamer.
Aiglos hätte nicht allein kommen sollen - es war
nur ein Gefühl, aber jemand hätte ihn begleiten
müssen. Außerdem mussten Boromir und Laietha
wirklich verzweifelt sein, wenn sie den Jungen ohne
Begleitung losschickten. So etwas würden sie nur
tun, wenn eine Schlacht bevorstände und sie niemanden
entbehren konnten. Die Elbenbrüder sahen sich an
und hofften, dass ihr Gefühl sie trog. *** Bregol war über die Maßen überrascht
gewesen. Er hatten den Verräter, der bis vor Kurzem
noch ihr König gewesen war - es genaugenommen auch
noch immer war - mit den Kindern seines Hauptmannes
aus dem Palast laufen sehen. Was hatte dieser Teufel
jetzt vor? War es nicht genug, dass er ihnen die Mutter
nehmen wollte? Sollten die Kinder bei der Hinrichtung
zusehen oder wollte er sie gar selbst noch umbringen
lassen? Was immer er auch im Sinne hatte, Bregol würde
es zu verhindern wissen. Geschwind hatte er ausgeholt und hatte den König
niederschlagen wollen, vorsichtig darauf bedacht, das
kleine Mädchen auf seinem Arm nicht zu verletzten,
aber der greisgewordene König war im blitzschnell
ausgewichen, fast als hätte er den Schlag kommen
sehen. Bregol zögerte nicht lange. Er würde
dem Alten keine Chance geben, seine neuen Wachen zu
rufen und wollte sich auf Aragorn stürzen, aber
die Kinder waren schneller als er. Schreiend stellten
sie sich vor den Mann. "Nicht! Tu ihm nichts! Er hat uns doch geholfen!
Tu ihm nicht weh!" Bregol hatte nicht gewusst,
was ihn mehr erstaunt hatte - die Reaktionsschnelle
oder das Mitgefühl der Kinder mit dem zukünftigen
Mörder ihrer Mutter, aber Bregol hatte ein weiches
Herz und hatte dem Mann Glauben geschenkt, als er beteuerte,
er wolle alles tun, um Frau Eowyn und die Halblinge
zu retten. Er hatte Wort gehalten und sich tapfer in dem kurzen
Scharmützel geschlagen. Zumindest Bregols Herrin
schien nicht an Aragorn zu zweifeln - ebenso wenig wie
die Halblinge. Einer von der Stadtwache Minas Tiriths
hatte Bregol freundschaftlich auf die Schulter geklopft.
"Hab ich es dir doch gesagt, mein Junge, unser
König ist wieder zu sich gekommen und nun werden
wir es diesem Weibsbild zeigen!" Bregol sah zu
dem Mann hinüber, der ihnen allen so viel Leid
zugefügt hatte. Er würde ihm fürs erste
vertrauen, aber wenn es hart auf hart kam - dieser Mann
war nicht mehr sein König, bis er sich nicht wieder
seiner würdig erwiesen hatte! *** Warum hast du nicht besser auf sie aufgepasst, du
Narr! Boromir rannte durch den Wald. Seine Lungen brannten.
Jetzt war keine Zeit, sich alt zu fühlen. "Laietha!"
brüllte er aus Leibeskräften. Von seiner Frau
fehlte jede Spur. Einer der Männer hatte gesehen,
wie sie in den Wald gelaufen war. Er hatte gedacht,
sie würde ihre Notdurft verrichten gehen und es
als nicht weiter wichtig angesehen. Boromir hätte
ihn am liebsten erwürgt, obwohl er wusste, dass
der Mann nichts dafür konnte. Einen winzigen Moment
lang hatte er sogar Wut auf Aragorn verspürt -
schließlich war seine Frau seinetwegen besorgt,
verwirrt und verletzt! Das wäre alles nicht passiert, wenn er seinen
Verstand früher eingesetzt hätte! Er hätte
dieser Frau niemals trauen dürfen! Sicher, Boromir
selbst war auch auf Mornuan hereingefallen, aber er
war ja auch nicht König von Gondor! Entsetzt über diesen Gedankengang blieb Boromir
stehen. Er keuchte, nicht so sehr, weil er außer
Atmen war. Vielmehr wünschte er sich, diesen Gedanken
nie gedacht zu haben. Aragorn war ein guter König
- er war Boromirs Schwager und ein enger Freund. Boromir
selbst wollte die Herrschaft über Gondor nicht
- auch wenn das nicht immer so gewesen war. Damals - vor so vielen Jahren, als er hilfesuchend
nach Bruchtal zu den Elben gegangen war, um Hilfe für
die Stadt zu erbitten, über die er eines Tages
herrschen würde, hatte er Aragorn lieber tot als
auf dem Thron sehen wollen. Aber das war lange her.
Aragorn war ein guter König - und Aragorn war jetzt
verdammt noch mal nicht wichtig! Jetzt musste Boromir zuerst seine Frau finden und
sicherstellen, dass ihr nichts fehlte. Er würde
sie in die Arme schließen, er würde Bergil
nicht sofort rufen, er würde mit ihr sprechen.
Im Lager hatte er sie zu leicht gehen lassen. Es musste
mehr hinter ihrer Flucht stecken als nur die Kränkung
durch ihren dummen Bruder! Boromir würde dafür
sorgen, dass es ihr besser ging und besser auf Laietha
Acht geben als ihr Bruder - diesmal! - auf seine Stadt! *** Es war Bergil, der aus dem Wald auf sie zugelaufen
kam. Schnell lief er auf sie zu und blieb vor ihr stehen,
die Kriegerin musternd. Laietha hockte immer noch auf
dem Boden. Die Bisse der Ameisen brannten. "Zum
Glück haben wir dich gefunden," seufzte er
und schickte sich an, nach Boromir zu rufen. Laietha
hielt ihn mit einem festen Griff ums Handgelenk zurück.
"Nicht." Bergil hob eine Augenbraue. "Was
ist los?" Laietha schluckte. Sie konnte Boromir nicht unter
die Augen treten - nicht so. Schon allein Bergils beunruhigte
Miene hatte ihr einen schmerzhaften Stich ins Herz versetzt,
wie erleichtert würde ihr Mann erst sein, wenn
er sie fand. Sie machten sich Sorgen um sie. "Was
ist nur los mit dir, Laietha?" Bergil hatte sich
neben sie gekniet. "Willst du darüber reden?"
Reden - sie wollte es am liebsten herausschreien, dass
sie alle in Gefahr waren, dass sie nur noch diesen einen
Tag hatte, dass ihr Mann sterben würde, ihr Bruder,
sie selbst. Aber wie absurd klang das alles schon allein
in ihren eigenen Ohren. Bergil würde sie gewiss
für verrückt halten... Aber noch während ihr all diese Dinge durch
den Kopf schossen, hörte sie ihre eigene Stimme,
die Bergil alles von Anfang an berichtete, die unter
Schluchzern von Mornuan und ihrem Handel erzählte,
von den Ereignissen der kommenden Nacht, von Schuldgefühlen
Bergil gegenüber, der nun auch mit ihnen in die
Schlacht ziehen würde, obwohl er vorher vielleicht
sicher an der Seite ihres Sohnes gewesen war und so
wenig, wie sie sich vorher hatte aufraffen können,
etwas zu tun, so wenig war sie nun in der Lage den Fluss
ihrer Worte zu beenden bis nicht alles bis zum Letzten
erzählt war. Der Soldat hörte ihr aufmerksam zu, aber Laietha
konnte seine Miene nicht deuten. Ob er sie nun für
verrückt hielt oder ihr Glauben schenkte, wusste
sie nicht. Schweigen senkte sich über den Wald,
in der Ferne nur Boromirs Stimme, der nach ihr suchte.
Schließlich erhob sich Bergil und streckte ihr
eine Hand entgegen. "Steh auf, Laietha. Wir haben
nicht mehr viel Zeit, aber es gibt Hoffnung. Wenn Eomer
nicht weit ist, werden wir ein paar Kundschafter schicken
und selbst voraus reiten. Aragorn wird leben - genau
wie Boromir und auch du. Ich bin sicher, dass dein Vater
nicht mehr fern ist und helfen kann. Steh auf."
*** Boromir hatte Stimmen gehört. Bergil hatte seine
Frau also doch schon gefunden. Ein winziger Funke Zorn
durchzuckte ihn, konnte er nun also doch nicht zuerst
mit ihr sprechen, aber die Erleichterung überwog.
Er würde den Jungen zurück zum Lager schicken
und mit seiner Frau reden. Aber was Boromir sah, brachte
sein Blut in Wallung - seine Frau saß an einem
Baum und Bergil kniete neben ihr. Sie redeten - Laietha
redete mit Bergil, aber nicht mit ihm. Vielleicht war
es kindisch, aber die alte Eifersucht wallte wieder
auf und Boromir ballte die Hände zur Faust. Nun,
vielleicht gab es eine andere Erklärung. Vielleicht
hatte Bergil sie gerade erst gefunden und erkundigte
sich nur nach ihrem Befinden. Boromir blieb stehen und
sah ihnen einen Augenblick lang zu. Aber der Junge machte
keine Anstalten, nach ihm zu rufen. Sollte er noch den
ganzen Nachmittag durch den Wald irren? Bergil erhob sich und streckte Laietha die Hand entgegen.
Er streckte sich beim Aufstehen, also war er schon länger
bei ihr gewesen. Boromir schnaubte. Er begann zu laufen.
"Da seid ihr ja!" Groll schwang in seiner
Stimme mit. "Wie schön, dass du mir gesagt
hast, dass ich nicht mehr zu suchen brauche, Bergil."
Es war viel einfacher wütend auf ihn als auf seine
Frau zu sein. Überhaupt fühlte er in den letzten
Stunden viel Wut in sich. Er war wohl ein verbitterter
alter Mann. "Ich werde den Männern sagen, dass sie
sich zum Aufbruch bereitmachen sollen." Bergil
entschied, dass es besser wäre, die beiden einen
Moment alleine zu lassen. Boromir warf ihm einen finsteren
Blick hinterher, als der Junge zurück zu ihrem
Lager ging. Den Unmut in sich etwas zügelnd, trat
er zu seiner Frau. "Was ist nur los mit dir? Rede
mit mir, Laietha, ich bin dein Mann!" Er hoffte,
dass sein Tonfall nicht verriet, wie gekränkt er
in seinem Stolz war. Sie tat es immer wieder - sie hatte
sich mal wieder jemand anderem geöffnet, bevor
er etwas erfuhr. Sicher, normalerweise hatte sie ihre
Gründe dafür, aber das machte es nicht besser. Boromir trat auf sie zu und wollte sie in den Arm
nehmen, aber allein sein Anblick rief die schrecklichen
Bilder wieder zurück und ein Gedanke erhärtete
in Laiethas Verstand - sie musste verhindern, dass er
sie in die Schlacht begleitete - nur wie? Unbewusst
wich sie von ihm zurück. Was war das? Boromir blieb verdattert stehen, als
seine Frau sich von ihm abwandte. Was war nur geschehen?
Sie war noch nie von ihm zurückgewichen! Angst,
Sorge und eine winzige Spur Eifersucht mischten sich
in seinem Herzen. Es musste ihr furchtbar gehen, wenn
sie nicht mit ihm sprechen wollte. Schnell machte er
einen Schritt auf sie zu. "Was ist passiert? Rede
mit mir, Laietha!" Boromir griff nach ihr und bekam
sie am Arm zu fassen. Laietha stieß ihn hart von sich. "Es ist
nichts! Lass mich einfach nur in Ruhe, ja?" Hastig
trat sie ein paar Schritte zurück. Es gab nur einen
Weg, wie sie sein Leben retten konnte - er durfte sie
nicht in die Schlacht begleiten. Sie musste ihn überzeugen
zu gehen - mit Gewalt und einer List. In Boromirs Kopf wirbelten verschiedene Gedanken
durcheinander, er versuchte eine Erklärung zu finden,
wieso seine Frau sich so benahm, aber es wollte ihm
kein vernünftiger Grund einfallen. Je mehr sie
sich ihm widersetzte, desto mehr erwachte das Bedürfnis
in ihm, zu erfahren was sie so verstört hatte -
wichtiger noch, was sie mit Bergil besprochen hatte.
Mit einem Satz stand er vor ihr und packte sie an den
Schultern, damit sie ihm nicht noch einmal ausweichen
konnte. "Ich verlange, dass du mir sagst was hier vorgeht,
auf der Stelle, Frau!" Laietha wand sich in seinem
Griff, aber er würde nicht zulassen, dass sie ihn
erneut von sich stieß. Boromir packte fester zu
und schüttelte sie, als würde er dadurch eine
Antwort bekommen. Der erschreckte Schrei seiner Frau
brachte ihn wieder zur Besinnung. "Lass mich los, Boromir, du tust mir weh!"
Er hatte sie gegen einen Baum gedrängt und ihre
grünen Augen funkelten böse. Trotzdem löste
er seinen Griff nicht. "Sprich mit mir! Ich suche
dich den ganzen Nachmittag, du verschwindest im Wald
und als ich dich gefunden habe, hast du stundenlang
mit Bergil geredet, was hast du?" Es hatte eine
Bitte an Laietha sein sollen, aber Boromirs Herz raste
vor Angst. Er hatte fast das Gefühl, als würde
er sie zum letzten Mal sehen, als müsse er sie
vor einer bevorstehenden Gefahr beschützen, die
er nicht fassen konnte. "Du sollst mich einfach nur in Ruhe lassen!"
Laiethas Stimme klang so schrill, dass es in seinen
Ohren wehtat. Mit aller Kraft stemmte sie sich gegen
seinen Körper und versuchte sich ein Stück
Freiraum zu verschaffen. "Verstehst du nicht, dass
ich einfach nur allein sein will? Du würdest mir
ja sowieso nicht glauben, wenn ich dir erzähle,
was mich bedrückt! Du hast mir ja nicht mal geglaubt,
als ich euch alle vor Mornuan gewarnt habe! Es wäre
deine gottverdammte Pflicht als mein Mann gewesen, damals
an mich zu glauben, denn dann wäre das alles hier
nicht passiert! Dann wäre Aragorn jetzt nicht in
dieser tödlichen Gefahr und ich...!" Laietha schluckte, eine Sekunde lang entsetzt über
den Hass, der in ihrer Stimme mitschwang und darüber,
dass sie sich fast verraten hätte. Hatte sie wirklich
so viel Wut auf Boromir verspürt, als niemand ihr
Glauben geschenkt hatte. Was aber viel wichtiger war,
war dass Boromir jetzt zurückgewichen war und sie
mit offenem Mund anstarrte. "Was willst du damit
sagen, Laietha?" Keine Kampfeslust mehr, nur noch
Unglaube und ein Hauch von Verzweiflung schwangen in
seiner Stimme mit. Sie holte tief Luft, als sie ihre Chance witterte,
ihn davon abzuhalten, sie in die Schlacht zu begleiten.
"Ich frage mich, wo du gewesen bist, als ich dich
damals brauchte, als ich versucht habe, dieses Unglück
von meinem Bruder abzuwenden, das so vielen Menschen
bis jetzt Leid bereitet hat! Vielleicht ist es dir ja
auch ganz recht, dass Mornuan jetzt die Stadt in ihrer
Gewalt hat und meinen Bruder umbringen will! Du wolltest
ihn doch sowieso lieber tot als auf dem Thron sehen,
weil dieser Platz dir zustand! Und jetzt siehst du die
Gelegenheit, nach seinem Tod die Stadt zu befreien und
dich an seiner Statt auf den Thron zu setzen!" Ihr Stimme zitterte, genau wie ihre Hände, die
sie unmerklich zu Fäusten an ihrer Seite geballt
hatte. Boromir starrte sie mit offenen Mund und weit
aufgerissenen Augen an, unfähig, etwas zu sagen.
Er war ein ganzes Stück zurückgewichen und
alle Farbe hatte seine Wangen verlassen. Laietha keuchte
heftig. Niemals hätte sie sich träumen lassen,
ihren Mann so schändlich zu belügen. Sie machte
auf dem Absatz kehrt und marschierte schnellen Schrittes
in Richtung Lager zurück. Laietha spitze die Ohren, ihr Herz schlug wie eine
Kriegstrommel und sie betete zu den Valar, dass Boromir
ihr nicht nachlaufen würde, nicht durchschaut hätte,
dass alles nur ausgemachte Lügen waren. Sie wagte
sich nicht umzudrehen, aus Angst vor dem Anblick seiner
Gestalt, aus Angst zu sehen, wie sehr sie ihn verletzt
hatte. Sie hätte sofort kehrt gemacht und wäre
vor ihm auf die Knie gefallen, um ihn um Verzeihung
zu bitten, aber was war sein gekränkter Stolz schon
gegen sein Leben! Sie hatte keine Zeit, sich jetzt darüber Gedanken
zu machen und je näher sie dem Lager kam, desto
mehr verschwand ihr Mann und der Streit aus ihren Gedanken.
Boromir war jetzt nicht mehr wichtig - jetzt war es
an der Zeit, Aragorn zu retten. Laietha blickte zum
Himmel, dem Sonnenstand nach musste es später Nachmittag
sein. Ihnen blieb nicht mehr viel Zeit, aber Laietha
wusste nun, was sie zu tun hatte. Sie ballte die Faust
in grimmer Entschlossenheit und bahnte sich den Weg
durchs Unterholz zu ihrem Rastplatz. *** Boromir starrte seiner Frau nach, die wütend
im Wald verschwand. Er sollte ihr nachlaufen und versuchen
zu ergründen, was sie dazu bewogen hatte, so mit
ihm zu reden, so zu denken, aber er hatte plötzlich
keine Kraft mehr. Seine Knie gaben nach und er setzte
sich auf einen Baumstamm. Ihre Worte hatten ihn direkt ins Herz getroffen und
er schnappte immer noch nach Luft, als sie schon lange
seinen Blicken entschwunden war. Sicher, er war verdammt
wütend auf Aragorn gewesen, aber ihn tot sehen
zu wollen? Nein, schon allein nicht, weil er wusste,
wie sehr seine Frau leiden würde, wenn sie ihren
geliebten Bruder verlöre. Aber als er sie gesucht
hatte - er hatte Aragorn für die missliche Lage
seiner Stadt verantwortlich gemacht. Laietha kannte ihn gut - besser als Faramir, was
viel zu bedeuten hatte. Hatte seine Frau seine Wut gesehen?
War es vielleicht auch anderen aufgefallen? Er fühlte
sich schäbig, die Schuldgefühle, die er lang
begraben gehofft hatte, rissen die Mauern nieder, die
er gezogen hatte, um sie zu verbergen. Vielleicht stimmte
es also doch - ein Mal ein Verräter, immer ein
Verräter - und Laietha hatte es erkannt. Niemals
hätte er etwas getan, um Aragorn zu schaden, aber
in Gedanken hatte er ihn verraten und sich gewünscht,
dass er dafür büßen sollte, dass er
Laietha Kummer bereitete. Ihr Kummer bereiten kannst du schließlich auch
gut allein, schalt er sich. Es hatte ihm den Atem verschlagen,
als sie ihn angeschrieen hatte, er hätte ihr nicht
geglaubt. Ja, er hatte seine Pflicht als ihr Ehemann
vergessen und ihr nicht geglaubt. Boromir stützte
den Kopf in die Hände und massierte sich die schmerzenden
Schläfen. Er hatte als ihr Ehemann versagt. Vielleicht
hätte er ihr auch einfach hinterhergehen sollen
und sie trösten, aber dazu fehlten dem stolzen
Krieger der Mut. *** Bergil war erleichtert, als er seine Freundin aus
dem Wald kommen sah. Er konnte kaum glauben, dass sie
noch vor kurzer Zeit so mutlos gewesen sein sollte.
Jetzt war ihr Blick entschlossen und ihr Schritt fest.
Endlich ging sie wieder mit erhobenem Haupt. "Ich habe Faramir auf die große Weststraße
geschickt. Er wird nach Eomer Ausschau halten. Das hier
hat er mir für dich gegeben." Mit einem Lächeln
nahm Laietha ihr Schwert entgegen. Es war Aragorns Geschenk
an sie gewesen. Jetzt würde sie es benutzen, um
ihren Bruder zu schützen. Es hatte sie immer begleitet
- von ihrer ersten Schlacht an. Für Laietha war
es ein gewisser Trost, dass es sie auch in ihre letzte
Schlacht begleiten sollte. "Wir brechen auf!" Ruhe trat schlagartig
im Lager ein und Bergil zuckte unter der Stimme seiner
Freundin zusammen. Bis jetzt hatte er sie zwar als herausragende
Kriegerin erlebt, aber nie in einer Führerrolle.
Dennoch verwunderte ihn nicht, dass die Krieger fast
ohne zu zögern ihrem Befehl folgten und sich auf
ihre Pferde schwangen. Auch Laietha ging zu ihrem Hengst.
Plötzlich wurde Bergil klar, dass etwas fehlte.
Suchend sah er sich um, aber den Mann seiner Freundin
konnte er nirgendwo ausmachen. Er war ihr nicht gefolgt.
"Wo ist Boromir?" Laietha hatte das Schwert
am Sattel ihres Pferdes befestigt und stand schon mit
einem Bein im Steigbügel. Sie sah dem Soldaten
fest in die Augen. "In Sicherheit." Mit einer
geschmeidigen Bewegung saß sie auf. Eine Bemerkung, sie habe ihn wohl an einen Baum gefesselt,
lag Bergil auf der Zunge, aber ihr Gesichtsausdruck
war zu ernst gewesen, als dass er sich getraut hätte,
einen Scherz zu machen. Sie war zu allem entschlossen.
Bergil glaubte nicht daran, dass Mornuan ihr ein Gift
verabreicht hatte, das sie am Ende des Tages töten
würde, aber Laietha schien es zu glauben. Geschwind
saß auch Bergil auf. "Folgt mir, Männer Gondors! Reitet für
euer Land, für euren König!" Mit einem
Klirren zog sie ihr Schwert und streckte es hoch in
die Nachmittagssonne - als hätte das Weiße
Gebirge das Geräusch verhundertfacht klang es,
als die Männer es ihr gleichtaten. Stahl funkelte
in der Sonne, wie ein Bergbach an einem Sommertag. "Auf
nach Minas Tirith!" Und mit einem Donnerschlag
setzte sich die kleine Armee in Bewegung. *** Mornuan räkelte sich auf den seidenen Laken
ihres Ehebettes. Neben ihr lag der Hauptmann ihres Heeres.
Sein gebräunter Körper bildete einen angenehmen
Kontrast zu dem cremefarbenen Laken. Er wartete geduldig
auf die Befehle seiner Herrin, aber Mornuan fand keinen
gefallen an seiner Gesellschaft. Der König war geflohen - nun, das war nichts
Neues, ebenso wenig, dass auch die Hinrichtung entfallen
würde. Mornuan war nicht besorgt, schließlich
wusste sie, wie der tag enden würde. Sollten sie
nur das vermeintliche Glück genießen. Es war später Nachmittag - nicht mehr lang und
Annaluva würde endgültig tot sein - ihr Mann
und Aragorn wahrscheinlich auch. Sie sollte sich also
gar keine Gedanken machen - aber in ihrem Herzen herrschte
große Unruhe. Mit einem ärgerlichen Grollen schwang sie sich
aus dem Bett und hüllte ihren Körper in einem
federleichten Morgenmantel. "Du kannst gehen. Mach
dich und deine Männer bereit für die Schlacht."
Ohne den Krieger eines weiteren Blickes zu würdigen
ging sie zum Fenster und starrte hinaus, über die
Ebene hinweg zum Rand des Waldes. "Wo bist du?" flüsterte sie mit zusammengekniffenen
Augen. Sie wünschte sich die Gabe der Hellsicht.
"Liegst du im Wald in einer Kuhle und weinst dir
die Augen aus? Oder versuchst du vor mir wegzulaufen?"
Mornuan lachte einen Hauch zu schrill für ihre
eigenen Ohren. Was war dieses Gefühl in ihrem Magen?
Furcht? Das war unmöglich! Sie hatte diese Frau
schon einmal besiegt. Mit raschen Schritten ging sie hinüber zu ihrer
Kommode und zog den festen roten Zopf heraus. Ihr Haar
war nur der Anfang gewesen. Vielleicht hätte sie
sich als Beweis für ihren Tod damals gleich ihr
Herz und ihre Leber verlangen und verspeisen sollen,
aber dann besann sie sich wieder auf ihre Macht und
lachte kurz. Sie war viel zu mächtig für dieses
Kriegerweib! Annaluvas Dummheit hatte ihr den endgültigen
Triumph in die Hände gespielt. Wie konnte sie nur
so dumm sein und für die verschwindend geringe
Chance, ihren Mann und ihren Bruder zu retten ihr eigenes
Leben eintauschen! Das Gefühl der Unsicherheit blieb - ganz gleich
wie sehr Mornuan auch versuchte, sich die Kriegerin
schwach zu reden.. Unruhig trat sie an ihren Kleiderschrank
und suchte sich ein dunkelrotes Kleid aus Samt heraus.
Ihre Kleiderfrauen eilten auf ihren Befehl hin herbei
und kleideten sie hurtig an. Der Ausdruck von Furcht
in ihren Augen gab Mornuan ein Stück ihres Machtgefühls
zurück. Sie flüchteten wie aufgescheuchtes
Geflügel, als Mornuan sie fortschickte. Sie ärgerte sich nun, dass sie ihre Halskette
mit den roten Steinen fortgegeben hatte - völlig
umsonst, wie sich herausgestellt hatte. Einen Augenblick
lang hatte sie überlegt, die Kette anzulegen, die
sie der Kriegerin abgenommen hatte, aber das Schmuckstück
hatte eine seltsame Ausstrahlung und bereitete ihr Unbehagen.
Ein anderes mal vielleicht. Heute entschied sie sich
für eine Kette aus Silber, Diamanten und einen
großen schwarzen Onyx. Er passte so wunderbar
zur Farbe ihrer Augen. Es klopfte an der Tür. Mornuan ließ absichtlich
ein paar Augenblicke verstreichen, bis sie den wartenden
zum Eintreten aufforderte. Ihr Hauptmann knallte die
Hacken zusammen. "Das Heer ist bereit, meine Königin."
Sie nickte. "Gut. Wir verlassen bei Sonnenuntergang
die Stadt. Macht meinen Wagen bereit, nach dem Essen
soll alles fertig sein." Der Soldat salutierte und verließ den Raum.
Mornuan rieb sich die Hände. Gut, bald würde
sie alle Sorgen los sein. Sie würde sich die letzten
Stunden vor dem Aufbruch noch ein gutes Mahl gönnen.
Schließlich wollte sie sich ihren Triumph nicht
durch einen knurrenden Magen verderben lassen. *** Faramir ritt zügig gen Westen. Er wusste zwar
nicht, wieso sich der junge Mann so sicher gewesen war,
dass Eomer und seine Männer auf dem Weg in die
weiße Stadt waren, aber es sollte ihm nur recht
sein, sie konnten Hilfe gebrauchen. So abwegig war die
Vermutung auch nicht, denn auch Eowyn hatte sich auf
den Weg machen wollen. Vielleicht würde er seine
Frau und die Kinder ja schon bald wiedersehen - dagegen
hätte er ganz und gar nichts einzuwenden gehabt. Lange musste er nicht suchen - zwei Stunden war er
vielleicht geritten und dann sah er sie und sein Herz
füllte sich mit frischem Mut. Fünfzig Ritter
aus Rohan, mit wehenden Bannern auf stolzen Pferden
kamen die Straße entlang galoppiert. Faramir hielt
Ausschau nach seiner Frau, konnte sie aber nicht unter
den Männern entdecken. Nun, vielleicht hatte sie
in einem der Gasthäuser unterwegs Rast gemacht
oder vielleicht sah er sie auch nicht unter den vielen
Männern. Auf jeden Fall war Faramir froh, nicht
weiter reiten zu müssen. Seine Gedanken verdüsterten
sich. Er hatte sich schließlich nicht zum Vergnügen
auf die Suche nach seinem Schwager gemacht. Faramir
durfte nicht vergessen, dass ihnen bald ein Krieg bevorstand.
Vielleicht war es also nicht so schlimm, wenn Eowyn
in einem der Gasthäuser untergekommen und so in
Sicherheit war, dachte er bei sich. Als sie erkannt hatten, wer sich ihnen näherte,
ließ Eomer seinen Schwager mit einem Hornstoß
begrüßen. "Seht nur, der König
schickt uns eine großartige Eskorte! Nicht, dass
wir schon zu spät zur Hochzeit kommen!" scherzten
die Rohirrim. Eomer stimmte gut gelaunt ins Gelächter
ein und seine Frau lächelte schmal. Manchmal musste
sich Lothiriel doch noch sehr an die raueren Umgangstöne
in Rohan gewöhnen und das, obwohl sie bereits seit
so vielen Jahren mit Eomer verheiratet war. Elfwine
hörte neugierig zu, wenn sich die Männer unterhielten
- vielleicht war er zu aufmerksam, dachte Lothiriel. Faramir ritt den Rohirrim mit schnellem Schritt entgegen.
Eomer begrüßte ihm freudig und auch Faramir
war erleichtert, ihn mit einer solchen großen
Reiterschar zu sehen. Eomer bemerkte, wie der Fürst
von Ithilien die Männer musterte. "Ich weiß,
ich sehe aus, als wolle ich in den Krieg ziehen, aber,"
er bedachte Lothiriel und den Knaben mit einem Lächeln,
"ich habe große Schätze dabei." Der König von Rohan schlug seinem Schwager freundschaftlich
auf die Schulter, als Faramir nicht aufhörte, die
Menge nach einem vertrauten Gesicht abzusuchen, aber
Eowyn blieb nicht auffindbar. Nun, dafür war jetzt
keine Zeit. Sicher ging es ihr gut. So berichtete er
schnell und so leise, dass seine Cousine und Eomers
Sohn nichts mit anhören mussten von den Dingen,
die ihnen bevorstanden. Eomer versteifte. Kurz dachte
er über das Gesagte nach, denn winkte er seinen
Waffenmeister zu sich. "Nimm zwei deiner besten Männer. Sie werden
mit der Königin und dem Prinzen in das nächste
Dorf reiten." Er reichte dem Mann einen kleinen
Beutel, in dem Faramir Münzen vermutete. "Wir
werden euch rufen lassen, wenn ihr nach Minas Tirith
nachkommen sollt. Bis dahin hütet meine Familie
wie euren Augapfel." Der Soldat nickte und verbeugte
sich tief. Eomer gab seiner Frau einen schnellen Kuss
und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Lothiriel wurde
etwas blass, nickte dann aber und holte ihren Sohn zu
sich. Faramir küsste die Hand seiner Cousine und
wünschte ihr eine gute Reise. Sie sahen der kleinen
Gruppe noch nach, bis sie verschwunden waren, dann wandte
sich Eomer grimmig an Faramir. "Wir haben
keine Zeit zu verlieren. Während wir auf dem Weg
in die Stadt sind, musst du mir in allen Einzelheiten
berichten, was vorgefallen ist. Der tag heute kam mir
ohnehin seltsam vor..." *** Ein Lächeln umspielte Aragorns Lippen und Eowyn
legte ihm freundlich die Hand auf die Schulter. "Sie
ist dir nicht böse, Aragorn, sie hat gewusst, dass
du unter einem Bann standest. Laietha und ihre Leute
warten am Druadanwald und ihr werdet euch bald wiedersehen."
Aragorn nickte. Fast hatte er geahnt, dass seine Schwester
noch am Leben war. Er hatte es sich zumindest gewünscht
und nun da Eowyn ihm die frohe Kunde überbracht
hatte, wäre er am liebsten aufgestanden und zu
ihr geritten, aber das musste noch ein wenig warten.
Zuerst würde er seine Stadt befreien, denn er hatte
so viel Unheil angerichtet, das es jetzt wieder gutzumachen
galt. Einige Männer vertrauten ihm noch immer, aber
die Blicke, die ihm der junge Soldat, der Eowyns Befreiung
organisiert hatte, zuwarf, sprachen eine deutliche Sprache
- es galt nun, sich das Vertrauen des Volkes wieder
zu erarbeiten und dafür galt es Taten zu vollbringen.
Eowyns Kinder eilten an ihre Seite und die Fürstin
von Ithilien presste sie gegen ihre Brust. "Ich
werde meinen Bruder suchen. Ich habe das Gefühl,
dass er nicht weit von hier sein kann...warum auch immer."
Sie lächelte unsicher. Irgendwie kam ihr der Tag
merkwürdig vertraut vor.
Aragorn erhob sich
und drückte die Frau fest an sich. "Pass gut
auf dich auf und bleib mit den Kindern in Sicherheit."
Niemand sprach davon, aber Eowyn war zu sehr eine Frau,
die den Weg des Schwertes gegangen war, um die Zeichen
einer bevorstehenden Schlacht zu übersehen. Sie
würde Hilfe schicken, wenn sie jemanden traf, der
helfen konnte. Vielleicht würde sie Boromir unterwegs
begegnen. "Möge dein Schwert geschärft
und dein Pferd stark und schnell sein," flüsterte
sie ihm ins Ohr. Aragorn lächelte dankbar. "Geh
nun." Eowyn und ihre Kinder verschwanden in der
Dämmerung und Aragorn sah ihnen noch eine Weile
nach. Dann straffte er sich und begab sich zu den Männern,
die auf sein Kommando warteten. Frodo trat schnell zu Arahorn, als er den König
erblickte. Er hatte etwas im Gefühl, über
das er unbedingt mit dem Mann reden musste. Aragorn
sah ihn erwartungsvoll an. Es dauerte einen Augenblick,
bis Frodo seine Gedanken in Worte fassen konnte, dann
begann er sich zu erklären. Es war ein seltsamer Tag und er hatte das Gefühl,
als würde Mornuan sie verfolgen. "Sie beobachtet
uns. Vielleicht kann sie durch die Augen von Tieren
sehen, wie Saruman, ich weiß es nicht, Streicher,
aber sie weiß, dass wir hier sind und sie angreifen
wollen. Außerdem habe ich das Gefühl, dass
sie ihre Truppen in die Schlacht begleiten wird. Hier
ist Hexerei am Werk, also sollten wir besonders vorsichtig
sein." Die anderen Hobbits hatten gelauscht und sie alle
hatten ein mulmiges Gefühl in der Magengegend,
aber Sam hatte ein ums andere Mal beteuert, dass er
glaubte, ihnen würde nichts geschehen und Frodo
hatte ihm beigepflichtet. Was für ein seltsamer
Tag! Die Männer waren alle unruhig - einige hatten
das Gefühl, den nächsten Morgen nicht mehr
zu erleben, was nichts ungewöhnliches vor einer
Schlacht war, aber das Gefühl unterschied sich
von dem, was sie bisher erlebt hatten. Aragorn wusste,
dass es nur eine Möglichkeit gab, die Unruhe zu
bezwingen. "Wir brechen auf!" verkündete
er laut und tatsächlich wich das Gemurmel dem Rasseln
von Waffen und Rüstungen und es dauerte nicht lange,
bis die kleine Armee sich in gang setzte, um gegen Minas
Tirith zu marschieren. *** Elrond hatte zum schnellen Aufbruch gedrängt
und sie waren den ganzen Tag im strammen Tempo geritten.
Als sie gegen Abend den Waldesrand erreichten, hielten
sie kurz an, was Aiglos Hintern ihnen dankte. Vielleicht
war das leben als Kundschafter doch nichts für
ihn, denn sein Rücken schmerzte vom langen Reiten.
Zumindest - und das hatte Elrond über die Maßen
erstaunt - hatten sich die Geschwister nicht gestritten. Elladan und Elrohir tauschten einen besorgten Blick.
Sie wollten so schnell wie möglich weiter, denn
je näher der Abend rückte, desto mehr hatten
sie das Gefühl, dass ihre Ziehgeschwister in Gefahr
schwebten. Elrond suchte die Große Weststraße
mit seinen Blicken ab, konnte aber nichts ausmachen.
Er rief Aiglos und Bereg zu sich. "Aiglos, du und
Beregs Frau werdet euch auf den Weg zum nächsten
Gasthaus machen und dort warten, bis ich euch holen
lasse." Er drückte dem Jungen einen kleinen
Beutel in die Hand, in dem Boromirs Sohn Münzen
erfühlen konnte. "Du bist für die Sicherheit
der Frau verantwortlich, verstanden?" Der Junge
grinste breit. Das wurde immer besser. Das nächste
Gasthaus war ein ganzes Stück weit fort, weit genug,
um eventuellen Abenteuern über den Weg zu laufen!
Aber als hätte sein Großvater seine Gedanken
gelesen, packte er den Jungen fest an der Schulter.
"Ihr reitet auf direktem Weg dorthin. Zwei von
Beregs Männern werden euch begleiten. Im Zweifelsfall
versteckt ihr euch, bevor ihr einer Gefahr entgegentretet,
haben wir uns verstanden?" Aiglos nickte. Wenn
sein Großvater so ernst und eindringlich mit ihm
sprach, hatte es meist einen guten Grund. Sein Enkel
hatte nur einmal nicht auf ihn gehört, weil ihm
die Ermahnung, dass Feuerkröten ein brennendes
Sekret absondern nur als Vorwand erschienen war, damit
Aiglos seiner Schwester die Tiere nicht ins Bett setzte.
Die brennenden Blasen an seiner Hand hatten ihn eines
Besseren belehrt und von diesem Tag an glaubte er Elrond
aufs Wort. Elrond nickte zufrieden. "Geht nun und seid
vorsichtig. Wir sehen uns bald wieder. Und mach keinen
Unsinn." Luthawen drückte ihren Bruder zum
Abschied. Fast wäre sie froh gewesen, ihre Ruhe
vor ihm zu haben, wenn sie nicht das Gefühl geplagt
hätte, ihr stände an diesem Tag noch etwas
Schlimmes bevor. Nur was geschehen würde, wusste
sie nicht. Und sie wagte auch nicht, mit den anderen
darüber zu reden, denn irgendwie schien jeder in
der Gesellschaft unangenehmen Gedanken nachzugehen.
Natürlich hatte es sie stutzig gemacht, dass sie
die Gruppe begleiten sollte und Aiglos nicht und auch
Olbern wich ihr nicht von der Seite und sah sich immer
wieder nach rechts und links um. Jetzt, das Aiglos und Beregs Frau in Sicherheit waren,
beschleunigte die Gruppe ihr Tempo und sie preschten
in Windeseile auf die Weiße Stadt zu. *** In der Ferne ragte der Weiße Turm Ecthelions
auf und die untergehende Sonne tauchte ihn in feuriges
Licht. Mein letzter Sonnenuntergang, dachte Laietha.
Sie verabschiedete sich still vom Tageslicht und ihr
Herz schlug schneller. Bald würde es vorbei sein.
Für einen Augenblick schweiften ihre Gedanken von
der bevorstehenden Schlacht ab. Von ihrem Mann hatte
sie so schmählich Abschied genommen. So hatte sie
sich die letzte Begegnung mit dem Menschen, den sie
am meisten liebte nicht vorgestellt. Aber der Moment
war verstrichen. Was geschehen war, konnte sie nicht
rückgängig machen und letztendlich war alles
gut so wie es war. Sie preschten über die Ebene, den Pelennor Feldern
entgegen. Laietha spähte in Richtung Stadt, in
der Hoffnung, eine Spur von ihrem Bruder zu entdecken,
aber das schwindende Licht erschwerte die Sicht. Hoffentlich
hatte sie ihn nicht verpasst! Sie trieb ihren Hengst
noch mehr zur Eile an und die Männer Gondors griffen
ihr Tempo auf und folgten ihr. Ein Mal hatte sie neben
sich eine huschende Bewegung gesehen. Sie war sich nicht
sicher, meinte aber eine Frau und Kinder erkannt zu
haben, aber das war nicht wichtig. Es ging jetzt nur
darum, Aragorn so schnell wie möglich zu finden. Nicht lange nachdem es ganz dunkel geworden war und
nur der Mond ihnen noch Licht spendete, hörten
sie in der Ferne das Klirren von Waffen und Laiethas
Herz machte einen ängstlichen Sprung. Sie kämpften
bereits! Sie hatte so gehofft, Aragorn noch vor der
Schlacht abzupassen und ihn zu warnen, aber nun wurde
jede Sekunde kostbar. Sie musste Aragorns Mörder
aufhalten bevor er zuschlug! Mit einem Ruck brachte sie ihr Pferd zum Stehen und
die Soldaten taten es ihr gleich. "Männer
Gondors! Schützt euren König, befreit eure
Stadt, reitet für Heimat und König Elessar!"
Ein donnernder Jubel folgte ihren Worten und mit gezückten
Schwertern ritten die Soldaten an ihr vorbei und es
dauerte nicht lange, bis sie ins Schlachtgeschehen eingriffen. Laietha verharrte einen Moment lang und suchte das
Schlachtfeld nach den vertrauten Umrissen ihres Bruders
ab, aber sie sah ihn nicht. Die Schlacht musste schon
eine Weile toben, denn es sah nicht gut für Aragorns
Leute aus. Sie musste ihn finden und sich zu ihm vorkämpfen,
aber vorher hatte sie noch etwas anderes zu erledigen,
wenn sie in Frieden sterben wollte. Neben ihr griff Bergil bereits zu seiner Waffe. Laietha
sprang von ihrem Pferd und packte ihn am Arm. Erstaunt
sah er sie an, aber sie ließ ihn nicht zu Wort
kommen. "Hör gut zu, mein Freund, ich bitte
dich um einen letzten Gefallen." Sie ließ
ihm keine Chance zu protestieren. "Du musst diese
Schlacht überleben und Boromir finden. Für
Erklärungen ist keine Zeit, aber ich habe furchtbare
Dinge zu ihm gesagt." Jetzt verstand Bergil, warum die Kriegerin alleine
aus dem Wald gekommen war. Ein Mann wie Boromir ließ
sich nicht von ein paar Beleidigungen abschrecken. Er
wollte sich gar nicht vorstellen, was Laietha ihm gesagt
hatte, um ihn in Sicherheit zu bringen. Die Kriegerin
schluckte und presste ihren Freund fest an sich. Die
letzte menschliche Wärme, die sie spüren würde... "Sag ihm, dass ich ihn liebe und dass nichts
von alledem wahr ist..." Ihre Stimme versagte und
Bergil schloss sie fest in den Arm. Sie löste sich
von ihm und lächelte dankbar. "Und hab ein
Auge auf meinen Bruder." Kurz zögerte sie,
aber dann packte sie ihr Schwert. "Wir sehen uns
in Mandos Hallen, Bergil!" Ihre Stimme hallte noch
in der Luft, aber sie war bereits verschwunden.
Bergil holte tief Luft. Jetzt war er geneigt ihr zu
glauben, dass sie sterben sollte. Einer der Fremdlinge hatte Bergil entdeckt und nutzte
den kurzen Moment seiner Gedankenverlorenheit. Mit einem
harten Schlag entwaffnete er den Soldaten und Bergil
konnte um Haaresbreite einem zweiten Schwerthieb ausweichen,
nicht ohne das Gleichgewicht zu verlieren und zu Boden
zu gehen. Entsetzt sah er den grinsenden Fremdling an,
der sein Schwert hob, um ihn zu enthaupten. Dann war Bergil auf einmal nur noch Krieger. Ohne
zu wissen, was er tat, holte er aus und trat mit aller
Kraft zu. Mit einem Schmerzensschrei ging der Fremdling
zu Boden und hielt sich den verletzten Unterleib. Bergil
griff nach dem Dolch des Feindes und rammte ihm die
Waffe ins Herz. Keuchend wischte er sich den Schweiß
von der Stirn. "Danke, Laietha," flüsterte
er. Er sollte sich schon etwas mehr Mühe geben,
sein Versprechen zu erfüllen. Er wischte sich das
Blut von den Händen und griff nach seinem Schwert.
"Mehr Vorsicht," murmelte er. Wenn er starb
würde ihm seine Freundin die Unsterblichkeit zur
Hölle machen. Im Zentrum der Schlacht entdeckte er seinen König.
Er würde gleich damit anfangen, auf Aragorn aufzupassen.
Fest umschloss er den Griff seiner Waffe und bahnte
sich seinen Weg durchs Kampfgetümmel, bereit, seinem
König zur Seite zu stehen und seinen Eid zu erfüllen. *** Aragorn hatte wohl bemerkt, dass sie Verstärkung
erhalten hatten. Er atmete auf. Lange hätten sie
den Feinden nicht mehr standhalten können. Die
Valar mussten die Männer geschickt haben. Auch
Aragorns Leute schöpften neuen Mut und rings um
ihn herum hörte er die Kampfrufe gondorianischer
Soldaten. Auch er packte sein Schwert fester und stürzte
sich mit frischem Mut in den Kampf. *** Boromir hatte eine ganze Weile lang reglos auf einem
alten Baumstamm gesessen und zu Boden gestarrt. Seine
Frau kannte ihn zu gut. Sie hatte bemerkt, was nicht
einmal er selbst hatte wahrhaben wollen, dass er Aragorn
für einen schlechten König hielt, dass er
Laietha nicht zur Seite gestanden hatte, als es seine
Pflicht gewesen war. Dennoch sträubte sich etwas
in ihm zu akzeptieren, dass er der schlechte Mensch
sein sollte, als den sie ihn dargestellt hatte. Vielleicht lag es an der plötzlichen Art, wie
sie ihre Meinung zu ihm geändert hatte, dass er
nicht glauben konnte, ihre Worte wären von Herzen
gekommen, aber sie hatte ihn dort am härtesten
getroffen, wo er am verwundbarsten war - bei seiner
Liebe zu ihr und zu Gondor. Sie wusste genau, dass er
alles tun würde, um seine Stadt und sein Land in
Sicherheit zu wissen, und vielleicht hatte sie gerade
deshalb nicht einmal falsch gelegen, als sie ihn bezichtigt
hatte, Aragorn Vorwürfe zu machen und ihn seines
Amtes entheben zu lassen, aber Gondor war schon lange
nicht mehr seine größte Liebe. Er würde
für sein Land in den Krieg ziehen, aber ohne Nachzudenken
jeden töten, der seine Stadt bedrohte - nein. Es
gab nur eins, für das er zum Mörder werden
würde und das waren seine Frau und seine Kinder. Plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen
und mit einem wilden Fluch sprang er in die Höhe.
Sie hatte ihn getäuscht! Sie musste irgendetwas
wahnsinniges vorhaben, bei dem sie ihn nicht dabei haben
wollte, deshalb hatte sie diesen Streit vom Zaun gebrochen
und er war dumm genug gewesen, ihren Erwartungen zu
folgen und sich selbstmitleidig in die Ecke zu setzen
um zu jammern! Er wusste gar nicht, dass er so schnell laufen konnte,
denn er war im Handumdrehen bei ihrem ehemaligen Lagerplatz.
Er hatte schon genug Zeit vertrödelt und jetzt
musste er sich selbst übertreffen, wenn er rechtzeitig
zur Stelle sein wollte um zu verhindern, dass seine
Frau etwas sehr Dummes tat. Sein Pferd war noch angebunden,
was ihn darin bestärkte, dass sie nur hatte Zeit
gewinnen wollen. Schnell schwang sich der Krieger in den Sattel und
trieb das Tier zu höchster Eile an. Es war später
Nachmittag. Seine Frau hatte eine gute Stunde Vorsprung
und die galt es jetzt aufzuholen. Er lenkte das Tier
in Richtung Minas Tirith, denn Boromir hätte sein
Leben darauf verwettet, dass Laietha unterwegs war,
um Aragorn zu suchen. *** Laietha war von der falschen Seite her in die Schlacht
eingedrungen. Es war unmöglich, Aragorn zu erreichen.
Zwischen ihrem Bruder und ihr selbst waren unzählige
Feinde. Die Kriegerin fluchte, aber dann erregte jemand
ihre Aufmerksamkeit. Wenige Meter von ihr entfernt stand
ein Bogenschütze, der anlegte und die Sehne spannte.
Laietha wusste, wem der Pfeil galt. Vielleicht war sie
doch am rechten Ort! Sie zückte ihren Doch und mit einem gezielten
Wurf brachte sie den Bogenschützen zu Fall. Er
ging gurgelnd zu Boden. Laietha atmete auf. Jetzt war
es geschafft! Ihre Fingerspitzen wurden taub. Das war
also der Anfang vom Ende. Dort, auf einem der Streitwagen
sah die Kriegerin Mornuan. Hatte sie es sich doch nicht
nehmen lassen, ihrem Triumph am Ende beizuwohnen. Laietha
umschloss ihr Schwert mit der Hand, entschlossen der
Hexe wenigstens noch einen Denkzettel mitzugeben, bevor
sie starb. Mornuan lächelte hämisch. Laietha konnte
ihre Selbstzufriedenheit selbst auf diese Entfernung
sehen, aber die Kriegerin hatte erreicht was sie wollte
- Boromir war in Sicherheit und Aragorn würde die
Schlacht mit großer Gewissheit überstehen.
Sie sah, wie Bergil sich zu ihm vorkämpfte. Aber
sie hatte nicht mit Mornuan gerechnet. Wie in einem bösen Traum sah sie den Bogenschützen
an ihrer Seite auftauchen, der anlegte und auf ihren
Bruder zielte. Nein! Schoss es ihr durch den Kopf. Nicht
jetzt! Laietha stieß einen gellenden Warnruf aus,
aber zu spät - der Pfeil traf sein Ziel und dann
explodierte auch in ihrem Körper ein Geschoss aus
Schmerz, das ihren Schrei ersticke und sie auf die Knie
sinken ließ. Alle Geräusche wurden dumpf, die Bewegungen
der Schlacht um sie herum langsam, nur ihr Herz pumpte
das Gift unermüdlich durch ihren Körper. Ihre
Atmung wurde schwer, als die Muskeln zu versagen begannen,
jede Faser in ihrem Körper brannte, als das Gift
sie zu zerfressen begann. Und dann tauchte Mornuans
Gesicht über ihrem auf. Laietha konnte keinen Muskel
rühren. "Ist dein armer Bruder nun doch noch gefallen?"
höhnte die Frau. Grimmige Wut durchzuckte die Kriegerin.
Am liebsten wäre sie der Hexe an die Gurgel gesprungen,
aber das Gift wirkte schnell und sie konnte sich nicht
mehr bewegen. Eine eisige Kälte begann Besitz von
ihr zu ergreifen. Plötzlich huschte ein breites Grinsen über
das Gesicht ihrer Kontrahentin. "Wen haben wir
denn da?" rief sie freudig überrascht. "Sieh
nur, wer wegen dir gekommen ist!" Mornuan nahm
ihren Kopf in die Hände und drehte ihn in Richtung
des Schlachtfeldrandes. Es dauerte einen Moment, bis
Laietha begriff, was sie von ihr wollte, aber dann raste
ihr Herz vor Entsetzen. Boromir, formte sie mit stummen
Lippen. Dort am Rande des Schlachtfeldes stand ihr Mann
und suchte nach ihr. Mornuan würde ihn töten
lassen und dann war alles umsonst gewesen. Das Gift begann ihr Herz zu erreichen. Schon wurde
der Herzschlag unregelmäßig und vor ihren
Augen begann es zu flimmern, aber in ihr erwachte ein
Hass, den sie nie zuvor verspürt hatte. Ihre Muskeln
verkrampften unter ihrer Gegenwehr und Mornuan lachte
laut. "Oh, es ist schmerzhaft, nicht wahr? Habe
ich vergessen, das zu erwähnen? Dein Herz beginnt
zu flattern, hab ich Recht? Sei getrost, du hast es
bald überstanden. Hast du noch letzte Worte an
deinen Mann, bevor ich ihn töte?" Laietha konnte schwören, dass sie nicht mehr
Herrin über ihre Glieder war, aber die Wut war
so stark in ihr, dass sie ihr Schwert zu fassen bekam.
Sie konnte Mornuan vielleicht nicht töten, aber
sie würde ihr unvergessen bleiben. Mit einer letzten
Anstrengung packte Laietha ihr Schwert und als Mornuan
erkannte, was sie vorhatte, war es bereits zu spät
- Laietha traf ihren Hals und das letzte was sie sah
war der heiße rote Blutstrom, der sich über
ihr Gesicht ergoss. *** Er hörte den Schrei seiner Schwester. Warum
er sich zur Seite drehte, wusste Aragorn nicht, aber
der Pfeil, der für sein Herz bestimmt gewesen war,
durchschlug seine Schulter. Mit einem Ächzen ging
er zu Boden. Sofort war Bergil an seiner Seite. "Mein
Herr!" Der junge Mann bekam ihn unter den Armen
zu fassen und wuchtete ihn hoch. Stöhnend stützte
sich Aragorn auf ihn. "Schon gut, ich kann gehen."
Suchend sah sich der König um. Wo war seine Schwester?
Plötzlich ertönte ein wilder Schrei der
feindlichen Truppen und aus dem straff organisierten
Regiment wurde in Windeseile ein chaotischer Haufen.
Etliche flohen, die anderen kämpften verbissen
weiter und an einer Stelle des Schlachtfeldes bildete
sich ein verlassener Kreis, um den zuerst Mornuans Männer
herumstanden, die dann von den Männern aus Minas
Tirith niedergemacht wurden, aber auch die Wachen Gondors
blieben stehen. Aus dem Süden schallte ein Horn - Rohirrim,
erkannte Aragorn. Eomer und seine Männer waren
als doch noch rechtzeitig eingetroffen und nun stürzten
sich auch die Pferdeherren ins Kampfgetümmel und
trieben die Fremden auseinander. Schon jetzt war abzusehen,
dass die Schlacht bald vorüber sein würde.
Auf Bergil gestützt humpelte er zu jenem Kreis
inmitten des Schlachtfeldes. Aragorns Herz zog sich schmerzhaft zusammen und das
lag nicht an der Verletzung in der Schulter. Laietha!
Mit erstaunlicher Kraft zog er Bergil mit sich und als
der junge Mann zu begreifen begann, warum die Männer
einen Kreis bildeten war er es, der das Tempo anzog.
Aragorn verschaffte sich unsanft Zutritt zum Zentrum
und brauchte einen Moment um zu erkennen, was er dort
sah - auf dem Boden lag der blutüberströmte,
regungslose Körper seiner Schwester und direkt
daneben der seiner Frau. Hastig stieß er Mornuan zur Seite. Ihre glasigen
Augen starrten reglos in den Himmel. Sie schien tot
zu sein. Aber auch um seine Schwester stand es schlecht.
Der Lärm um sie herum war verloschen - zumindest
nahmen sie ihn nicht mehr wahr. Aragorn suchte nach
ihrem Puls, aber er fand keinen, er legte sein Ohr an
ihre Lippen, aber kein Hauch entkam ihrem Körper.
"Nein." Zuerst war es ein Flüstern, dann
ein Schrei der die Nacht zerriss. *** Bergil überlegte fieberhaft. Das konnte nicht
das Ende sein. Er sprang auf die Beine und sah sich
suchend um. In der Ferne sah er Boromir angelaufen kommen,
aber hinter dem Krieger erregte etwas anderes seine
Aufmerksamkeit. Reiter am Horizont. Das war genug um
Hoffnung in dem Mann keimen zu lassen. Bergil rannte
los. Elrond schien ihn erblickt zu haben, denn der Elbenfürst
hielt auf ihn zu und sprang hastig vom Pferd. Bergil
hielt sich nicht mit langen Erklärungen auf. Er
bekam den Elben am Ärmel seines Gewandes zu fassen
und zog hastig. Stoff riss, aber entweder Elrond schien
es nicht zu bemerken, oder es war ihm egal. "Vergiftet
- sie stirbt - schnell!" Mehr brauchte der Elb nicht. Er stieß den Soldaten
zur Seite und begann zu rennen. Seine Robe war hinderlich,
aber er stolperte dank seiner Geschicklichkeit nicht
und erreichte in wenigen Augenblicken den Kreis auf
dem Schlachtfeld, aus dem er Aragorns Klage hörte. Elrond kniete neben seiner Ziehtochter nieder. Er
suchte den Puls, suchte nach Atem und fand so wenig
wie sein Ziehsohn. "Ruhe!" donnerte er und
Aragorns Klage verstummte mit dem Gemurmel der Männer.
Elrond legte ihr die Hand aufs Herz, betastete ihre
Stirn, sah in ihre Augen. Der Junge hatte Recht gehabt, man hatte sie vergiftet
- ihr Herz hatte bereits aufgehört zu schlagen,
aber in ihr hatte er einen solchen Kampf gespürt,
dass er der festen Überzeugung war, sie retten
zu können - wenn er die richtigen Mittel hatte!
Es konnte jedes beliebige Gift sein! Wahrscheinlich
eines, das er noch nie zuvor gesehen hatte und er hatte
nicht einmal einen Wimpernschlag Zeit. Alles was er
hatte war die Pflanze, die Luthawen gefunden hatte -
es war einen Versuch wert. Hastig zog er die Pflanze aus seinem Kräuterbeutel,
ohne auf die Stacheln zu achten, die in seine Haut eindrangen.
Er pflückte die Beeren und steckte sie in den Mund
seiner Tochter. Normalerweise kochte man Sud aus den
Beeren, zerrieb ihre Blätter zu einer Paste, versetze
sie mit anderen Kräutern, verdünnte die Extrakte,
aber das alles brauchte Zeit. Roter Beerensaft lief Laietha über die Lippen.
Es sah aus wie Blut und hob sich von ihrer immer bleicher
werdenden Haut ab. Elrond öffnete ihren Mund und
schob den Brei mit seinem Finger in ihren Hals. Er massierte
ihn von außen, in der Hoffnung, etwas von der
Medizin in ihren Körper zu bekommen. Er zerriss
der Stoff ihres Hemdes und rieb ihre Brust mit den Blättern
ein, ohne einen Gedanken an die Stacheln zu verschwenden.
Laietha spürte sowieso nichts. Wenn es nur etwas
helfen mochte! Wie in Trance hörte er die Stimmen von Laiethas
Mann und ihrer Tochter. Hoffentlich war jemand zur Stelle,
der sie zurückhielt! Elrond beugte sich über
den reglosen Leib seiner Tochter. Kein Herzschlag war
zu hören, nur der Tumult in ihr tobte weiter. Er
kniff die Augen zusammen. Mehr konnte er nicht tun.
Das Kraut war verbraucht und mehr Hilfsmittel hatte
er nicht. Stumm blickte er auf und sah Boromir, der seine Tochter
fest gegen sich presste, ein hilfloser Olbern, der daneben
stand und einen fassungslosen Aragorn. Sie alle warteten
geduldig, dass er ihnen hoffnungsvolle Nachrichten überbringen
würde. Elrond schüttelte den Kopf. Luthawen riss sich von ihrem Vater los. Bevor auch
nur einer von ihnen einen Muskel rühren konnte,
hatte sich das Mädchen über ihre Mutter geworfen. "Mama! Mama, komm zurück zu uns!"
Heiße Tränen strömten über Luthawens
Wangen und tropften auf das Gesicht ihrer Mutter. Das
Mädchen trommelte mit den Fäusten auf ihren
Oberkörper ein, als könne sie die Frau dadurch
zurückbringen. Boromir beugte sich zu ihr hinunter
und wollte sie fortziehen, aber seine Tochter schrie
hysterisch und warf sich zurück auf Laietha. Boromir
ließ sie gewähren und legte ihr eine Hand
auf den Rücken. Plötzlich versteifte Luthawen.
Sie presste ihr Ohr gegen die Brust ihrer Mutter und
sprang mit einem Schrei in die Höhe. "Sie lebt!" Fast grob stieß ihr Großvater
sie zur Seite. Ja, ganz schwach, ganz langsam - aber
eindeutig ein Herzschlag. "Bringt eine Bahre,"
flüsterte Elrond und bevor er den Satz beendet
hatte, war Bergil auch schon davon gestürmt auf
der Suche nach einem Transportmittel. *** Dem Schmerz wich eine leichte Wärme und ein
Ziehen, das einen Teil der Kriegerin von ihrem Körper
zu lösen schien. Laietha versuchte sich an ihrem
Leib festzuklammern, aber sie hatte weder Hände
noch Finger zum Greifen. Eine unendliche Leichtigkeit
durchflutetet sie und vor ihr tat sich ein gleißendes
Licht auf, in dessen Mitte der Umriss einer Frau zu
erkennen war. Es kam Laietha wie in einem Traum vor.
Zwar konnte sie das Gesicht der Frau, die vor ihr stand
nicht erkennen, aber sie war sich sicher zu wissen,
mit wem sie es zu tun hatte. "Mutter," flüsterte
sie und die Frau streckte lachend die Arme nach ihr
aus. Endlich, endlich ist es soweit, mein Kind! Komm zu
mir, dein Vater und ich haben so lange auf dich gewartet,
jetzt ist der Tag gekommen, an dem wir uns wiedersehen! Laietha zögerte einen kurzen Augenblick, aber
dann schüttelte sie den Kopf. "Nein, Mutter,
ich kann noch nicht. Jetzt ist nicht der richtige Augenblick!"
Sie dachte an Boromir und Aragorn und daran, wie schändlich
Mornuan sie betrogen hatte. Nein, sie konnte jetzt nicht
sterben, sie würde es einfach nicht zulassen! Wehr dich nicht, Kind, wehr dich nicht, komm zu uns
ins Licht, deine Zeit ist gekommen. Wehr dich nicht,
sonst wirst du rastlos auf der Erde wandeln und der
Weg zu uns wird dir versperrt sein! Der Sog wurde stärker und sie spürte, wie
sie sich immer mehr von ihrem Körper entfernte.
Nein, jetzt noch nicht, dachte sie. Sie konnte nicht
ruhen, bis sie Mornuan das Handwerk gelegt hatte, sie
musste zu sich kommen, musste versuchen, Aragorn und
Boromir zu retten! So hatten sie nicht gewettet! Die
Frau im Licht streckte ihre Arme nach ihr aus. Laietha, mein Kind! Komm zu uns! Komm zu mir und
deinem Vater! Ihre Gesten wirkten bittend und Laietha war fast
versucht ihr nachzugeben, als sie ein Stück weiter
an ihren Körper herangezogen wurde und ein Schrei
an ihr Ohr drang: "Mama!" Traurig sah sie die Frau im Licht an. Lebewohl, mein
Kind! Und mit einem Ruck wurde Laietha zurück in
ihren Körper gepresst. Alles was sie wahrnahm war
ein stechender Schmerz und danach wurde sie von tiefer
Dunkelheit verschluckt. *** Boromir saß vor dem Krankenzimmer und wartete
darauf, dass Elrond ihnen endlich Nachricht überbrachte.
Er selbst hatte versucht herauszufinden, was seiner
Frau zugestoßen war - erfolglos. Boromir hatte
an ihrem Körper keine Verletzungen ausmachen können
- sah man von einem Schnitt an der Stirn ab. Die Unmengen
von Blut stammten von der toten Hexe. Dennoch kämpfte
Laietha mit dem Tod. Neben ihm auf der Bank lag Luthawen, ihren Kopf an
Olberns Seite gebettet. Der junge Beorninger hatte die
Augen halb geschlossen und das Mädchen war vor
Erschöpfung eingeschlafen. Boromir war sehr froh,
dass seinem Sohn dieser Anblick erspart geblieben war.
Er würde in den nächsten Tagen zusammen mit
Eowyn und der Königin von Rohan nachkommen. Elrond
hatte ihn in das nächste Dorf geschickt. Im Nebenzimmer hatte man Aragorns Schulterverletzung
bandagiert. Der König hatte Glück im Unglück
gehabt, denn der Pfeil hatte ein wichtiges Blutgefäß
knapp verfehlt. Die Zeit verstrich quälend langsam.
Überall auf dem Flur huschten Heilerinnen von Zimmer
zu Zimmer, denn neben vielen Toten hatte es bei der
Schlacht auch viele Verletzte gegeben. Auch Gefangene
waren gemacht worden und aus der Ferne drangen die barschen
Befehle der gondorianischen Soldaten an Boromirs Ohr.
Seine Gedanken blieben nicht lange beim Los der gefangenen
Fremdlinge. Auf Bergil gestützt kam Aragorn aus dem Verbandszimmer.
Mit einem Ächzen nahm er auf der Bank platz. "Gibt
es etwas Neues?" fragte er hoffnungsvoll, aber
Boromir schüttelte nur den Kopf. Schweigend saßen
sie nebeneinander. Bergil lief nervös auf und ab.
Schließlich schüttelte Boromir verzweifelnd
den Kopf. "Ich verstehe es einfach nicht! Was ist
nur mit ihr geschehen? Bergil, du bist doch die ganze
Zeit über mit ihr zusammen gewesen - was hat meine
Frau so zugerichtet?" Der junge Soldat atmete tief durch und baute sich
vor dem Mann seiner Freundin auf. Boromir hatte ein
Recht von alledem zu erfahren, es war schließlich
auch Laiethas letzter Wunsch gewesen. Sie war zwar am
Leben, aber wenn man danach urteilen wollte, in welchem
Zustand sie sich befand, konnte es gut möglich
sein, dass sie die Nacht nicht überlebte. Trotz
allem befürchtete Bergil, dass sein König
und sein ehemaliger Hauptmann ihm die Geschichte nicht
glauben würden. Er nahm also seinen Mut zusammen und begann alles
zu berichten, was Laietha ihm im Wald anvertraut hatte:
vom Ausgang der Schlacht in der Boromir und Aragorn
gestorben waren, von ihrem Handel mit Mornuan, ihren
Bemühungen Boromir zu schützen und auch von
dem Versprechen, das sie Bergil abverlangt hatte. Aragorn hatte den Kopf in den Händen vergraben
und Boromir starrte Bergil fassungslos an. Er öffnete
und schloss den Mund einige Male, ohne jedoch einen
Ton hervorbringen zu können. "Das ist alles
meine Schuld," murmelte Aragorn mehr zu sich selbst
als zu den anderen. Zu dem Schmerz in seiner Schulter
gesellte sich auch der Schmerz in seinem herzen, dass
sie vielleicht sterben würde, ohne dass er sie
um Verzeihung für all das Unrecht bitten konnte,
das er ihr angetan hatte. Boromir widersprach seinem Schwager nicht. Auch er
hielt ihn für den Schuldigen an der Lage seiner
Frau, aber ihm gingen zu viele andere Dinge durch den
Kopf, als dass er einen Wutanfall hätte bekommen
können. An vorderster Stelle stand die Sorge um
seine Frau, dicht gefolgt von der Verwirrung, die Bergils
Bericht in ihm ausgelöst hatte. Die Geschichte
von geschenkten Tagen und Zaubertränken passte
ganz und gar nicht in sein Weltbild, aber er wagte es
nicht weder Bergil noch seine Frau der Lüge zu
bezichtigen. Es war einfach absurd! Es war verrückt! Und
vielleicht wurde es deshalb so glaubwürdig für
Boromir. "Ich werde sie umbringen," brummte
er voller unterdrückter Wut. Allein der Gedanke
daran, dass sie ohne zu zögern für ihn und
Aragorn gestorben wäre, ließ ihm einen kalten
Schauer den Rücken herunterlaufen. Dass ihn jemand
so sehr lieben konnte, ängstigte ihn, obwohl er
es immer gewusst hatte. "Wie hat sie es nur geschafft, Mornuan zu töten?"
sinnierte Bergil vor sich hin, der sich ausgesprochen
unbehaglich zwischen den beiden Männern fühlte
und der selbst kaum erwarten konnte, dass sich die Tür
öffnete und Elrond verkündete, dass Laietha
außer Gefahr wäre. Boromir knirschte mit den Zähnen. "Du wirst
es nicht glauben, aber soweit ich erkennen konnte, hat
sie ihr die Kehle durchgeschnitten." Bergil verschränkte
die Arme vor der Brust. Natürlich, aber als er
vorgeschlagen hatte, ihr den Kopf abzuschlagen, hatte
man ja gesagt, es wäre unmöglich! *** Endlich war Ruhe in den kleinen Raum eingekehrt.
Elrond beugte sich über den Körper seiner
Tochter, den man gewaschen, in ein sauberes Nachthemd
gekleidet und in ein weiches Bett gelegt hatte. Die
gondorianischen Heiler hatten nur die Köpfe geschüttelt,
nachdem sie die Kriegerin untersucht hatten und waren
unverrichteter Dinge wieder gegangen. Auch Elrond konnte
nicht viel für seine Tochter tun. Er hatte ihren
Mann vor die Tür geschickt, damit er sich ganz
auf Laietha konzentrieren konnte. Ihr Herz schlug zu schnell und zu flach und in ihrem
Geist tobte ein wahrer Kampf. Ihre Stirn glühte
und Elrond erneuerte das mit Kräutersud getränkte
Tuch auf ihrer Stirn. Seine Tochter sprach wirr im Fieber.
Zunächst konnte er mit ihren Worten nichts anfangen,
sie kamen in einer Sprache, die ihm zunächst unbekannt
schien, aber dann wurde ihm bewusst, wo er sie schon
einmal vernommen hatte - das war viele Jahre her, wahrscheinlich
zu lange, als dass sich seine Ziehtochter noch daran
entsinnen konnte. Die Stunden der Nacht zogen sich in die Länge,
aber das Fieber wollte nicht abklingen. Elrond versuchte
ihr etwas Wasser einzuflößen, aber es lief
ihr aus dem Mund wieder heraus, während ihr Körper
glühte, als wolle er von innen verbrennen. "Lass
mich, Mutter! Bitte, noch nicht!" Laietha riss
die Augen auf und starrte mit entsetztem Blick ins Leere.
Elrond nahm ihren Kopf in seine Hände und sah
ihr tief in die Augen. Der Elb erschrak. In den Augen
seiner Tochter spiegelte sich nicht sein Bild, es war
fast, als könne er in ihre Seele blicken. Ersah
die Silhouette einer Frau umkränzt von gleißendem
Licht, das selbst auf ihn einen faszinierenden Sog ausübte.
Aber beim Anblick dieser Gestalt begann Laiethas Herz
zu rasen und ihr Atem ging rasselnd und schwer. Elrond
legte ihr eine Kühle Hand auf die Stirn, die andere
ließ er über ihrem Herzen ruhen. "Es wird alles gut, meine Tochter. Du bist in
der Welt der Lebenden." Langsam verebbte der Tumult,
die Frauengestalt verschwand und Laiethas Herzschlag
wurde ruhiger. Elrond sah nun wieder das eigene Spiegelbild
in den glasigen Augen der Menschin. Dann schloss Laietha
die Augen und fiel in tiefe Bewusstlosigkeit. *** Als Laietha die Augen aufschlug blendete sie helles
Tageslicht. Einen Augenblick lang wusste sie nicht,
wo sie sich befand. War sie tot? War sie in Mandos Hallen?
Sie versuchte ihre Hand zu bewegen und ein jäher
Schmerz schoss durch ihren Körper. Ich bin wohl
noch am Leben, schoss es ihr durch den Kopf. An ihrer
Hand spürte sie eine leichte Bewegung und kurz
darauf erschien Boromirs Gesicht über ihr. Er sah
aus, als wäre er gerade erst erwacht. Laietha versuchte
ihn anzulächeln, aber selbst das schmerzte. Boromir schnappte hörbar nach Luft. "Du
lebst," flüsterte er ungläubig und strich
ihr vorsichtig eine Strähne aus dem Gesicht. Laietha
spürte Übelkeit in sich aufsteigen. Boromir
betastete vorsichtig ihre Wangen. "Du lebst,"
lachte er ungläubig. Die Übelkeit wurde stärker
und hilfesuchend sah sich Laietha um. An ihrer Seite
stand eine Schüssel. Unter Aufbringen all ihrer
Willenskraft riss sie ihren Oberkörper hoch und
erbrach sich. Boromir sprang auf und brüllte aus
dem Fenster: "Sie lebt!" Laietha sank zurück in die Kissen. Ihr Körper
war eine einzige Masse aus Schmerz und sie fühlte
sich elend. Erneute Übelkeit stieg auf und es würde
nicht lange dauern, bis sie sich wieder übergeben
müsste. Boromir küsste sie stürmisch
auf den Mund. "Den Valar sei Dank, du lebst!"
lächelte er. Erneut raffte sich Laietha auf und
erbrach sich in die Schale neben ihrem Bett. Ich wünschte,
ich wäre tot, schoss es ihr durch den Kopf, aber
dann überspülte sie eine Woge der Dankbarkeit,
denn an ihrem Bett saß ihr lieber Mann, gesund
und am Leben und sie lächelte glücklich. "Ja,
ich lebe," hauchte sie. *** Boromirs Schrei war nicht unbemerkt geblieben. Aragorn
hatte seine Geschäfte in den Garten verlegt, er
hatte viel Arbeit aufzuholen, die liegengeblieben war,
aber er wollte sofort erfahren, wenn sich der Zustand
seiner Schwester verbesserte oder verschlechterte. Auch Bergil hatte schweren Herzens seinen Dienst
wieder angetreten, allerdings nicht ohne zu verlangen,
dass man ihn informieren würde, wenn seine Freundin
wieder zu sich kam. Elrond und seine Söhne hatten
Tag und Nacht im Flur Wache gehalten, aber Boromir war
nicht zu überzeigen gewesen, die Seite seiner Frau
zu verlassen. Vier Tage hatten sie um Laiethas Leben gebangt und
als der Schrei aus dem Fenster drang, verkniffen sich
die Heilerinnen den Sohn des ehemaligen Statthalters
zu ermahnen, dass dies ein Haus der Heilung sei und
schreiende Angehörige nicht erwünscht wären. Aragorn war der erste, der in das Zimmer stürmte.
Er starrte sie an, als hätte er ein Wunder gesehen,
dann fiel er vor ihr auf die Knie und küsste ihre
Hand. "Verzeih mir, Schwester!" Er weinte
vor Glück und auch über Laiethas Wangen liefen
Tränen, so glücklich war sie, dass er am Leben
war. Seine Schulter war bandagiert und er sah müde
und erschöpft aus, aber seine Augen hatten wieder
das alte Feuer und ihr war sofort aufgefallen, wie aufrecht
er das Zimmer betreten hatte. Laietha lächelte
und obwohl ihr bei jeder Bewegung übel wurde, richtete
sie sich auf und umarmte ihren Bruder. "Es gibt
nichts zu verzeihen, Dunai, ich war dir nie böse,"
wisperte sie leise. *** Am Abend des Tages, als Laietha erwacht war, erreichte
Faramirs Familie in Begleitung von Aiglos und Beregs
Frau die Stadt. Eomer war einen Tag nach der Schlacht
aufgebrochen, um nach Rohan zurück zukehren. Faramir
hatte darauf bestanden, ihn zu begleiten, nachdem Aragorn
ihm berichtet hatte, dass auch Eowyn mit ihren Kindern
auf dem Weg in das Gasthaus gewesen seien, in dem Eomers
Frau sich in Sicherheit gebracht hatte. Es war ein glückliches Wiedersehen, Faramir
wollte seine Familie nicht mehr loslassen. Er war mehr
als froh, dass Eowyn nicht in die Schlacht gezogen war,
wenn er an das Los seiner Schwägerin dachte. Er
könnte es nicht ertragen, wenn seine Frau an Laiethas
Stelle gewesen wäre. Zwei Tage hatten sie noch dort verweilt und Eowyn
genoss es, endlich wieder Gelegenheit zu haben, mit
ihrem Bruder Zeit zu verbringen. Aiglos gegenüber
hatte man zuerst nicht erwähnt, wie es um seine
Mutter stand, obwohl der Junge zu ahnen schien, dass
etwas nicht in Ordnung war. Glücklicherweise wurde
er durch die Gesellschaft seiner Cousins und seiner
Cousine die meiste Zeit über davon abgelenkt, sich
um das Wohl seiner Mutter Sorgen zu machen. Schließlich
sind Papa, Bergil und Onkel Aragorn bei ihr und passen
auf sie auf, sagte er sich. Dennoch war er froh als
sie aufbrachen, denn Elfwine hatte ihm etliche Inspirationen
eingehaucht, die er unbedingt an seiner Schwester ausprobieren
wollte. In Minas Tirith angekommen, erschrak Aiglos zuerst,
als Luthawen ihn in Richtung der Häuser der Heilung
führte. Es war ihn schon verdächtig vorgekommen,
dass sie so nett zu ihm war. "Und mach keinen Unsinn,
hörst du? Und wenn du welchen gemacht hast, dann
prahle nicht damit," ermahnte sie ihn. "Mutter
ist schwach und darf sich nicht aufregen." Luthawen
drückte ihn an sich und lächelte dann. "Du
machst das schon." Aiglos schluckte den Kloß herunter, der sich
in seinem Hals gebildet hatte. Vorsichtig klopfte er
an die Tür des Krankenzimmers und lauschte gespannt
in die Stille. Er seufzte erleichtert, als die leise
Stimme seiner Mutter ihn aufforderte, einzutreten.
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