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Titel:
Die Vergangenheit holt Dich immer wieder ein - Kapitel 1/4 Autor: Wilarwen
1. Kapitel: Eine Rückkehr?
Er seufzte laut und wechselte die Position.
Der Baumstamm, an dem er lehnte, drückte unangenehm in seinen Rücken. Eine
kleine Person lag nicht weit von ihm entfernt. Von weitem hätte man durchaus
denken können, es wäre ein Kind, bei genauerer Betrachtung sah man aber einen
langen Bart und konnte sicher sein, dass man hier kein Kind, sondern einen Zwerg
liegen sah. Lautes Schnarchen war zu hören.
Der junge Mann seufzte
wieder und betrachtete die Sterne. Nun, "Mann" war auch bei ihm der falsche
Ausdruck. Wer sich ein wenig auskannte, konnte an den langen Haaren, den klaren,
weichen Gesichtszügen und der anmutigen Körperhaltung schon erkennen, dass es
sich um einen Elb handelte. Alleine der verträumte Blick gen Nachthimmel
bestätigte dies. Wieder war ein Seufzen zu hören. Eigentlich hätte er
ebenfalls schlafen sollen. Was man bei Elben schlafen nennt, nicht das, was der
Mensch darunter versteht. Aber selbst das war ihm gerade unmöglich. Die Nacht
war frostig, aber er fror nicht, seine leichte Kleidung reichte vollkommen aus.
Die beiden Reisenden waren einfach unzertrennlich, nach allem was sie
schon gemeinsam erlebt hatten. Eigentlich sollten sie entspannt sein, die
Ringkriege waren vorüber, ein dunkler Herrscher war besiegt worden. Aber sie
waren rastlos, hatten keine wirklichen Pläne für ihre Zukunft. Ihre wichtigste
Lebensaufgabe, wenn man das so nennen konnte, war bereits erfüllt und nun
mussten sie sich einer neuen stellen. Der Elb seufzte schon wieder, nahm
seinen Bogen vom Waldboden auf und fuhr mit der Hand über die Schnitzereien.
Sollte er wirklich einfach nach Hause reiten? Oder von einem seiner Freunde zum
anderen reisen, die nun über ganz Mittelerde verstreut lebten und seine Heimat
vergessen? Sie waren erst vor 2 Wochen getrennter Wege gegangen, aber er
vermisste sie jetzt schon, zumal er einige von ihnen nur kurz wieder gesehen
hatte. Das Band der Freundschaft war durch viele schreckliche Ereignisse sehr
stark geworden. Nur sein vertrautester Freund war noch bei ihm. Sie hatten
sofort beschlossen, dass sie gemeinsam nach dem Sinn des weiteren Lebens suchen
wollten.
Aber wo war der Sinn? Er hatte, wenn es ihm vergönnt war, noch
unendlich viele Jahre vor sich. Denn Elben waren unsterblich. Zwerge aber nicht.
Sie wurden alt, aber nur so alt, dass es im Vergleich zu einem Elbenleben wie
ein Wimpernschlag wirkte. Er würde nicht morgen gehen, auch nicht übermorgen,
aber irgendwann würde ihre Freundschaft nur noch eine Erinnerung sein. Eine
schöne Erinnerung, aber gleichzeitig auch eine schmerzvolle. Mit seinen anderen
Freunden stand es nicht anders. Keiner von ihnen war ein Elb. Nur er war dazu
verdammt, ewig auf dieser Erde zu verweilen. Für manchen Sterblichen vielleicht
ein verlockender Gedanke, aber ihm machte er Angst.
Wie viele Kriege,
Zeiten des Friedens, Generationen würde er kommen und gehen sehen? In seinem
Volk, aus dem er vorher noch nicht oft heraus gekommen war, hatte er solche
Fragen nicht gestellt. Sie lebten entgegen der Zeit, sie ging vorüber, aber die
Elben blieben. Warum war das alles so? Worin lag der Sinn? Traurig beobachtete
er, wie ein Stern leicht flackerte und dann erlosch. In seinem Herzen spürte er
einen Stich. Er bemerkte gar nicht, wie er in den Schlaf sank. Immer noch
sah er die Sterne über sich. Aber seine Gedanken eilten fort von diesem Ort, in
eine andere Welt, ein anderes Leben.
"Legolas....es ist schon hell....".
Sofort saß er aufrecht. Er hatte wenigstens einige Stunden vor sich hin
gesonnen, aber erfrischt oder erholt fühlte er sich nicht. Eher ungewöhnlich,
denn so etwas wie wirkliche Müdigkeit kannte er nicht. Aber nun fühlte er sich
beinahe schwach und erschöpft.
"Du siehst grauenvoll aus, was ist los?
So kenne ich dich gar nicht..." Legolas sah Gimli, den Zwerg, irritiert an. "Wie
sehe ich aus? Grauenvoll? Warum???" "Ich weiß nicht, irgendwie so farblos, sonst
bist du zwar auch eher bleich, aber...ich weiß nicht, vielleicht bilde ich es
mir auch ein. Geht es dir denn gut?"
"Natürlich, ich fühle mich wie
immer, Elben werden nicht krank" So sicher war sich Legolas da aber gar nicht
mehr. So wie heute hatte er sich noch nie gefühlt. Ihm war zweimal in seinem
nicht unerheblich langen Leben schlecht gewesen, aber das war keine Krankheit
gewesen. Auch Elben konnten zu viel essen oder trinken. Doch heute würde er
sagen, dass er sich irgendwie krank fühlte. Zumindest stellte er sich krank
fühlen so vor.
Trotzdem stand er energisch auf. "Komm, lass uns los
reiten....wo wird unser Weg heute hin führen? Der Sonne nach? Wie wäre das?"
"Aber wollten wir nicht...ich dachte...zu dir nach Hause....und das liegt in die
andere Richtung..." Aber Legolas war gar nicht nach zu Hause zumute. Natürlich
fühlte zu seinem Vater und seiner Mutter verbunden...er wollte nicht darüber
nachdenken und warf diese Gedanken beiseite. Aber er hatte Gimli versprochen,
dass er ihn mitnimmt. Schließlich hatte er ihm alles erzählt, von der Schönheit
und auch des Schreckens im Düsterwald.
"Okay, ich hatte nur den
Gedanken....los in Richtung Norden!" Ehe Gimli sich versah, saß Legolas
schon auf dem Schimmel. Mühsam erklomm er sein Pony. Ein hübsches kleines Tier
mit strohblonder Mähne. Vor allem konnte es mit dem eleganten Pferd von Legolas
mithalten. Es war wendig und schnell, trotz Gimlis Gewicht. Und auch wenn sie
eine Woche verloren hatten, Legolas war ein sehr guter Reitlehrer gewesen.
Sie waren ein paar Stunden unterwegs, als Legolas spürte, dass er eine
Pause benötigte. Das helle Tageslicht brannte regelrecht in seinen Augen. Es
machte ihm Mühe in die Ferne zu sehen, es verschwamm teilweise vor seinen Augen.
Sein Mund war trocken und sein Magen fühlte sich an, als hätte er einen Sack
Mehl gefrühstückt. Er zügelte das Tempo ein wenig, entschloss sich dann aber,
doch weiter zu reiten. Wenn sie durch ritten, würden sie den südlichen Rand des
Düsterwalds heute Abend noch erreichen. Dann konnten sie in aller Ruhe am Rand
entlang bis zum Reich seines Vaters vordringen. Es wären dann nur noch knapp 200
Meilen.
Er wollte nun doch so schnell wie möglich erst einmal nach
Hause. Durch den Wald wäre der Weg zwar etwas kürzer, aber Legolas wusste nicht
genau, inwieweit der Wald derweil aufgeteilt worden war. Er hatte nur die
Botschaft erhalten, dass er aufgegliedert worden war, der Palast seines Vaters
aber noch an derselben Stelle war.
Legolas kniff die Augen ein wenig
zusammen, um nicht so viel Licht einzulassen. Es half nur unbeträchtlich,
außerdem dem sah er nun noch weniger. Er nahm seinen Wasserschlauch aus der
Satteltasche und trank ein paar kleine Schlucke. Das kühle Nass tat seiner Kehle
gut, aber seinem Magen bereitete es noch mehr Unbehagen. Sein Kopf wurde zudem
immer schwindeliger. Trotzdem, er musste durch halten. Auch wenn er nur mit
seinem Freund unterwegs war, ihm wurde von klein auf beigebracht, dass Elben
keine Schwächen hatten und somit auch keine zeigen durften.
Also ritten
sie weiter...immer weiter, bis der Rand des ehemaligen Düsterwaldes vor ihnen
auftauchte. Mittlerweile war die Sonne schon fast untergegangen. Legolas stoppte
sein Pferd und blieb andächtig stehen. Keine Spur mehr von düsteren Bäumen. Der
Wald hatte seinen Schrecken verloren. In der späten Abendsonne schimmerte er
sogar beinahe so golden wie die Mallorn - Bäume von Lothlórien. "Hier sollten
wir unser Nachtlager aufschlagen. Was denkst du? Heute können wir nicht mehr
weiter reiten, es wird bald dunkel."
Gimli nickte nur und starrte auf die
hohen Bäume. "Das ist also deine Heimat?" brachte er endlich hervor "Fast. Meine
Heimat liegt noch etwa 200 Meilen nördlich von hier." Gimli ließ sich von
seinem Pony gleiten. Legolas stieg weniger elegant ab, als üblich. Sein
Gleichgewicht war etwas aus den Fugen geraten. Als er gerade stand, hatte er das
Gefühl, dass sich alles um ihn herum drehte. "Gimli, gehst du etwas Holz
sammeln? Dort hinten liegen viele Zweige. Ich werde ein wenig an meine Heimat
denken."
Gimli machte sich sofort eifrig auf den Weg, während Legolas
sich setzte. In seinem leicht wirren Kopf erklangen Lieder aus vergangenen
Tagen, der Anblick des Waldes hatte ihn gedanklich nach Hause versetzt. Leise
summte er eine wunderschöne Melodie, die ihm beinahe die Tränen in die Augen
trieb. Wieder kamen die Gedanken der vergangenen Nacht auf. Vermischten sich mit
den Liedern und den Erinnerungen, von denen viele schon etliche Jahre zurück
lagen. Sein Kopf wurde schwer und sank auf seine Brust.
Für einen Elben
sehr unüblich fielen ihm die brennenden Augen zu. Er öffnete sie erst wieder als
er eine kleine Hand auf seiner Schulter spürte. "Was machst du da? Irgendwas
stimmt nicht mit dir." Legolas lächelte Gimli leicht an. "Ich habe nur in
Erinnerungen geschwelgt. Es überkam mich einfach so." "Du hast ausgesehen, als
würdest du richtig schlafen...das hat mir Angst gemacht. Elben schlafen doch
nicht richtig, oder?" "Nein, aber auch wir haben Lider, die geschlossen werden
können."
Gimli nickte nur leicht und fing an das Brennholz zu stapeln.
Dann zündete er das Feuer an und briet ein paar Würstchen. Legolas verspürte
keinen Hunger, der Geruch von gegrilltem Fleisch verschaffte ihm sogar eher
leichte Übelkeit. Um nicht aufzufallen, packte er einen Apfel aus und biss
hinein. "Kein Würstchen?? Hättest du gleich sagen können, jetzt sind zwei zu
viel." "Danke, aber ich habe keinen großen Appetit. Ich muss ein wenig ruhen."
Gimli sah ihn erstaunt an. "Du und ruhen? Irgendwas ist heute absonderlich an
dir. Deine Blässe sieht immer noch sehr ungesund aus, außerdem sitzt du auf
einmal hier mit geschlossenen Augen, was, wie sogar ich weiß, einem Elben
überhaupt nicht ähnlich sieht. Und nun willst du, anstatt dich zu stärken,
ruhen. Ich mache mir Sorgen um dich. Wirklich....."
"Mache dir keine
Sorgen, es ist alles bestens. Wir haben eine anstrengende Zeit hinter uns und
auch ich muss mal zur Ruhe kommen. Im Palast meines Vaters werden wir
hoffentlich dazu Gelegenheit bekommen." Gimli brummte nur etwas
Unverständliches. Legolas legte sich auf den Rücken und blickte in den Himmel.
Gimli hatte Recht, irgendetwas war ganz und gar nicht in Ordnung. Und ob sie im
Palast tatsächlich Ruhe finden würden, stand noch in den Sternen.
Legolas erwachte wenige Stunden später
und fühlte sich gar nicht wohl. Sein Magen schmerzte und die Übelkeit, die er
schon am Feuer gespürt hatte, hatte stark zugenommen. Leise erhob er sich und
ging ein paar wackelige Schritte, bis er an einen Baum kam, an dem er sich
abstützen konnte. Trockenes Würgen überkam ihn.
Er versuchte so leise
wie möglich zu sein, während sein Magen dabei war, das Wenige, das er zu sich
genommen hatte, wieder auszuwerfen. Er betete zu seinen Göttern, dass Gimli
nicht erwachte und ihn in diesem Zustand sah. Erst nach vielen Minuten ließen
die Krämpfe nach. Seine Knie gaben nach und er musste sich auf den Boden sinken
lassen. Vor seinen Augen drehten sich die Bäume und er befürchtete, ohnmächtig
zu werden. Er lehnte den Kopf gegen den Baumstamm und versuchte ruhig zu atmen.
Wieder würgte es ihn, aber er konnte es mit aller Gewalt unterdrücken.
Nach einigen Versuchen gelang es ihm, wieder aufzustehen und zu seinem
Lager zurück zu kehren. Erschöpft ließ er sich nieder und rieb sich die
Schläfen. Was war nur los mit ihm?
Auch Gimli hatte keine ruhige Nacht,
er schlief zwar, als der Elb wach wurde, aber nicht lange danach öffnete auch er
die Augen. Legolas saß am Feuer, das nur noch leicht glimmte und stützte den
Kopf in seine Hände. Beinahe lautlos stand er auf und setzte sich neben ihn.
„Geht es dir nicht gut?“ Erschrocken drehte Legolas den Kopf in seine Richtung.
„Erschreck mich doch nicht so….“ Gimli seufzte. „Ich konnte kaum schlafen, weil
ich mir Sorgen um dich machte. Willst du nicht über irgendetwas reden?“ Legolas
schüttelte nur den Kopf und wandte den Blick wieder auf die glühenden Zweige.
Gimli bemerkte, dass seine Frisur völlig auseinander fiel, was ihn nicht
gerade beruhigte. „Hier, trink ein wenig Wasser, das wird dir gut tun.“ Legolas
nahm den Becher in die Hand und trank ihn widerwillig leer. „Danke.“ murmelte
er.
*****
„Legolas, dein Vater möchte dich umgehend
sprechen…..er erwartet dich im Thronsaal…“ Nach diesen Worten verschwand das
junge Elbenmädchen wieder aus Legolas’ Gemach. Ihm schwante Schreckliches.
Bisher hatte ihn sein Vater nur auf diese Weise um eine Unterredung gebeten,
wenn er irgendetwas angestellt hatte. Zögerlich richtete er seine Haare ein
wenig und machte sich nervös auf den Weg.
„Ach, da bist du ja, mein
Sohn.“ Mit Schrecken sah Legolas eine Frau mit langen blonden Haaren vor dem
Thron seines Vaters. Sie kniete und hatte den Kopf ehrfürchtig gesenkt. „Tritt
bitte näher.“ Legolas versuchte aus der Stimme seines Vaters irgendetwas
herauszuhören oder zu spüren. Aber Thranduil hatte großes Talent, Emotionen zu
verbergen. Genau wie sein Sohn.
Vorsichtig schritt er durch den Saal.
Die Frau regte sich nicht, sondern hielt den Blick auf den Boden gerichtet. Aber
Legolas wusste sofort, um wen es sich handelte. „Galweniel, sprich aus, was du
zu sagen hast…mein Sohn ist nun zugegen.“ Die Elbendame sah nun vorsichtig auf,
aber sie wagte nicht, Legolas oder dem König in die Augen zu blicken. „Eure
Majestät, ich erbitte Eure Hilfe. Ich erwarte ein Kind von Eurem Sohn…“ Legolas
wurde übel. Sein Vater sah ihn verächtlich an. „Hast du irgendetwas zu deiner
Verteidigung zu sagen, Sohn?“
Legolas senke den Blick und schüttelte
beinahe unmerklich den Kopf. „Nun, wenn dem so ist, muss ich versuchen, die Ehre
meines Sohnes zu erhalten. Ihr werdet beim nächsten Neumond vermählt.“ Legolas
stockte der Atem. Eine Vermählung? Er hatte doch nur einmal mit dieser Frau eine
gemeinsame Nacht verbracht. Und nun sollte er so teuer dafür bezahlen. „Aber
Vater…“ begann er. „Legolas, es gibt nicht mehr hinzuzufügen, du bist
Thronfolger meines Königshauses, wir müssen deine Ehre bewahren. Ansonsten
müsste ich dich verstoßen.“ Legolas überlegte nicht lange. „Lieber gehe ich und
kehre niemals wieder, als zu einer Hochzeit gezwungen zu werden!“ schrie er
beinahe zu laut. Thranduil sah ihn entsetzt an. „Dann muss ich dich bitten,
meinen Palast augenblicklich zu verlassen.“ sagte er mit einem leichten Zittern
in der Stimme.
Legolas blickte zornentbrannt und gleichzeitig
erschrocken zu seinem Vater. „Du wirst mich niemals wieder sehen, das verspreche
ich hiermit!!!“ schrie er und entfernte sich mit schnellen Schritten. Das Herz
schlug ihm bis zum Hals, als er in seinen Gemächern ankam. In Windeseile hatte
er ein paar Sachen in seine Tasche gepackt, seinen Bogen und Köcher gegriffen
und sputete zu den Ställen. Dort ließ er sein Pferd satteln und ritt davon.
Er kam an den Kerkern vorbei und machte kurz halt. Sein Vater sollte dafür
büßen, dass er seinen eigenen Sohn verstieß. Der Elbenprinz hatte die nördliche
Grenze des Düsterwaldes schon erreicht, als ein kleines Geschöpf aus der
geöffneten Tür huschte und die Freiheit wieder fand.
*****
Legolas schreckte auf, seine
Erinnerungen waren so real gewesen, als hätte er sie noch einmal durchlebt.
Sollte er nun wirklich zurückkehren? Was würde ihn erwarten? Große Angst
machte sich in ihm breit. Sein größter Wunsch war es, seinen Vater um Verzeihung
zu bitten. Aber würde er diese auch annehmen? Legolas hatte seine Pflichten als
Kronprinz nicht erfüllt. Im Gegenteil, er hatte Schande über das Königshaus
gebracht. Wahrscheinlich verachtete ihn sein Vater. Ihm wurde wieder hundeelend.
Er richtete sich auf. „Wo willst du hin?“ fragte Gimli, der den Schlaf
nur vorgetäuscht hatte. „Ich muss mal kurz verschwinden“ brachte Legolas noch
hervor und hastete in den Wald. Als er sicher war, dass er sich außer Hörweite
des Zwerges befand, ließ er die Anspannung fallen und erbrach sich neben einen
Baum. Es war nur ein wenig Wasser, was anderes hatte er ja nicht zu sich
genommen, aber der Brechreiz wollte nicht aufhören. Er musste immer weiter
würgen, bis ihn der Schwindel überwältigte. Ihm wurde schwarz vor Augen und er
konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten. „Hilfe!“ stieß er noch hervor,
bevor er auf dem weichen Waldboden aufschlug. Aber Gimli hörte ihn natürlich
nicht.
Der Zwerg saß sorgenvoll am Feuer, das er wieder entfacht hatte,
um sich ein wenig in dieser recht schlaflosen Nacht zu wärmen, und wartete. Er
wollte nicht übereilt hinterher laufen, um Legolas vor einer peinlichen
Situation zu bewahren. Aber im Inneren wusste er, dass ihn der Elb angelogen
hatte. Mit ihm war etwas nicht in Ordnung und er hatte nicht nur verschwinden
müssen. Er beschloss noch ein wenig zu warten und ihn dann zu suchen.
Gimli wartete und wartete, aber Legolas tauchte nicht auf. Angespannt
blickte er auf den Wald, in der Hoffnung einen blonden Haarschopf zu erspähen.
Aber er sah nur die Umrisse von Bäumen in der Dunkelheit. Der Zwerg packte seine
Axt und ging auf den Wald zu, ungefähr zu der Stelle, an der Legolas in den Wald
gegangen war. Langsam und um sich schauend ging er Schritt für Schritt weiter
hinein. „Legolas?“ rief er. „Wo bist du? Ist alles in Ordnung?“ Aber keine
Antwort, nicht mal ein Echo konnte Gimli vernehmen. Langsam bekam er es mit der
Angst zu tun.
Er war schon ein gutes Stück gegangen, als er in einiger
Entfernung etwas erkennen konnte. Gimli nahm die Beine in die Hand und rannte.
Sein Herz drohte auszusetzen, sein bester Freund lag bewusstlos am Boden und
regte sich nicht. „Legolas! Bitte…was ist mit dir?“ Der Zwerg schmiss seine Axt
weit fort und rüttelte den leblosen Leib. Aber der Elb reagierte nicht. Seine
Augen waren geschlossen, die Arme hingen schlaff am Körper hinunter, als Gimli
versuchte ihn hoch zu ziehen. Trotz seiner geringen Größe schaffte er es,
Legolas’ verhältnismäßig leichten Körper aus dem Wald bis zum Lagerplatz zu
schleppen. Dort angekommen nahm er seinen Wasserschlauch und schüttete etwas
Wasser in das bleiche Gesicht. „Komm zu dir, bitte….“
Fieberhaft
überlegte er, was er nun tun könnte. Ihm fiel nur ein Ort ein, an dem Elben
lebten und zu dem er den Weg wusste. Es war nicht weit entfernt, aber immerhin
mindestens 5 Wegstunden, da er einen Umweg machen musste, um die Brücke über den
Großen Strom zu erreichen. Und er als Zwerg war dort eigentlich nicht erwünscht.
Aber ihm blieb keine Wahl, Legolas musste geholfen werden und er war sicher,
dass dies nur Elben konnten. Außerdem hatten sie ihn schon einmal geduldet. Er
holte den Schimmel und brachte ihn dazu, in die Knie zu gehen. Dann zog er den
Elb in den Sattel bis er einigermaßen sicher auf dem Pferd lag. Mit den Zügeln
in der Hand schritt er zu seinem Pony und bestieg es. So schnell es ging, ritt
er in westliche Richtung. Legolas zeigte noch immer keine Regung. Sein Körper
hing auf dem eleganten Pferd wie ein nasser Sack.
So ritt Gimli mit dem
Schimmel im Schlepptau Stunde um Stunde. Bis sich vor ihm die Wälder Lóriens
auftaten. Erleichtert und gleichzeitig angespannt beschloss er keine Minute zu
verlieren und ritt in den Wald. Sollte er immer noch bewacht werden, hoffte
Gimli, dass die Elben sie nicht beide sofort erschossen. Auf einmal regte sich
Legolas auf dem Pferd. Gimli hörte, dass er leise aufstöhnte. Sofort stoppte er
und stieg ab. „Legolas…“ Der Elb murmelte nur etwas und hielt die Augen
geschlossen. Gimli strich ihm die Haare aus dem verschwitzen Gesicht. Es fühlte
sich unbeschreiblich heiß an.
Gimli wusste nichts über Elbenkrankheiten
oder dergleichen, daher konnte er nicht mal sagen, ob die Hitze für einen Elben
normal war. Vorsichtig nahm er den Wasserschlauch und setzte ihn an Legolas’
Lippen. „Trink ein wenig…bitte..“ Aber Legolas war zu schwach, um zu trinken.
Gimli spürte Verzweiflung in ihm aufkommen. Er hatte keine Ahnung, wie weit es
noch bis zu Galadriels Reich war, denn dort wollte er hin. Dort würden sie
sicher wissen, was Legolas fehlte.
„Eindringling, nehmt die Hände nach
oben!“ Eine Stimme erklang in der Nähe der beiden. Gimli ließ den Schlauch
fallen und hob die Arme. „Bitte….hört mich an…“ stotterte er. Er fühlte sich
völlig erschöpft und sah wie drei bewaffnete Elben auf ihn zu schritten. Aber
als sie die Person auf dem Pferd sahen, ließen sie die Bögen sinken. „Was habt
ihr diesem Elben angetan?“ „Ich? Nichts…er ist sehr krank…ich weiß nicht was ihm
fehlt. Er braucht die Hilfe der Elben. Deshalb sind wir hier.“ Die drei Männer
traten näher heran und musterten Legolas. „Das ist Thranduils Sohn, einer der
unsrigen. Folgt mir…“ Gimli ging etwas eingeschüchtert hinter ihnen her. Sein
Pony ließ er stehen, aber er führte den Schimmel.
Sie gingen mindestens
eine Stunde noch tiefer in den Wald hinein, als sie an den atemberaubenden
Fletts ankamen. Mittlerweile begann es zu dämmern. Legolas wurde von einem Elben
sofort weg getragen und Gimli hechtete hinterher. Er sah zu, wie der kranke Elb
auf eine Art Bett gelegt wurde und sich mehrere männliche Elben um ihn
versammelten. „Schickt sofort nach Elrond in Bruchtal, er muss auf der Stelle
kommen, nur er kann ihm helfen. Und einen Boten zu Thranduils Palast. Der König
sollte schnellstens hier erscheinen.“ sagte einer der Männer, während er Legolas
untersuchte. Legolas war zwar wieder wach, aber reagierte immer noch nicht auf
Ansprachen oder Berührungen. Eine Elbin brachte ein Gefäß und Leinentücher, die
getränkt wurden und der erhitzen Stirn Abkühlung bringen sollten.
Gimli
fasste seinen letzten Mut zusammen und trat an das Krankenlager. „Was fehlt
ihm?“ Die Elben sahen ihn beinahe herablassend an. Aber dann tauchte ein Gesicht
auf, dass Gimli erkannte. Es war Haldir, ihn hatte er hier bereits bei seinem
ersten Besuch kennen gelernt. „Gimli, ein treuer Freund Legolas’“ sagte er mit
einer warmen, herzlichen Stimme. „Du hast dein Leben riskiert, um ihn hier her
zu bringen, das wird er dir niemals vergessen. Aber ich muss dir mitteilen, dass
es schlecht um ihn steht. Er beginnt zu schwinden. Wir wissen nicht, ob Elrond
noch rechtzeitig eintrifft.“ Gimli sah entsetzt zu Legolas und dann wieder zu
Haldir. „Aber warum…ich dachte… ihr...könnt nicht krank werden…“ „Körperlich
nicht, da hast du recht, aber die Seele kann leiden und das kann den Leib
zerstören.“ Gimli atmete tief durch, trat an Legolas heran und legte seine Hand
auf eine der schlanken Elbenhände. „Legolas, ich bin bei dir, ich werde nicht
gehen. Ich bewache dich, bis du wieder gesund bist. Wir schaffen das schon.“
Legolas reagierte nicht, aber Gimli spürte, dass er ihn verstanden
hatte. „Richtet dem Zwergen ein Lager in der Nähe und bereitet ihm ein
Nachtmahl. Er wird von der anstrengenden Reise müde und hungrig sein.“ befahl
Haldir. Dann drehte er sich zu Legolas und flößte ihm eine Flüssigkeit aus einem
kleinen Becher ein. „Gleich wird es dir etwas besser gehen.“ flüsterte er und
strich ihm über das Gesicht. Legolas stöhnte wieder auf. Haldir schien zu
wissen, was geschah, denn er drehte ihm geschickt den Kopf zu Seite und ließ ihn
in ein Behältnis erbrechen. Gimli sah, dass in Haldirs Gesicht großer Schmerz
stand. Auch er selber fühlte sich zutiefst betrübt. Sollte er wirklich seinen
einzigen Freund auf diese Weise verlieren?
Der Klang einer wundervollen
Stimme ließ ihn von seinen Gedanken abkommen. Singend schritt Galadriel an das
Bett und legte die Hände auf Legolas’ Oberkörper. Die anderen Elben fielen in
den Gesang ein, Gimli konnte den Text nicht verstehen, aber er lauschte
andächtig diesem verzaubernden Ritual einer fremden Welt.
zum 2.
Kapitel
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